Nr. 30. LommSeuv, den 4. Fevrnar 1888. 2."J«hrga«g. Hamburger Echo. Das Hamburger Echo erscheint täglich, außer Montags. — Der Wbounem-ntSprciS beträgt vierteljährlich im BorauS exN. Bringegeld M. 3,60. Nr. deS PostkatalogS 2505 Bei Anzeigen wird die dreigespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 25 4 berechnet. — Nnzeigen-Dnnahme in der Expedition, sowie bei allen Jnseraten-BüreauS' Redaktion und Expedition: Hamburg, Grotze Theaterstraße 44. — Berantwortlicher Redakteur: Otto Stolte» in Hamburg. r-ero^-nrulyen.' DaS „Berl. Volksblatt" schreibt: „Das „Lcipz. Tageblatt^ veröffentlicht gegen den Abg. Bebel wegen dessen Angriff gegen den Abg. Dr. Götz-Lindenau in der Montagssitzung deS Reichstags folgende schwere Beleidigung: „Herr Bebel hat sich übrigens mit der Denunziation anderer Parteien im Allgemeinen nicht begnügt, er hat auch das Gebiet der persönlichen Beschuldigung betreten und z B gegen den Abg. Dr. Götz Insinuationen vor- gebracht, wie man sie sonst nur von gewerbsmäßigen Verleumdern zu hören pflegt. . . Die Grenzen des Anstandes und der Ehrlichkeit aber können auch durch die außergewöhnlichsten Verhältnisse nicht ver - wischt werden." Eine stärkere Beleidigung als sie hier daS „Leipz. Tagebl" gegen einen Volksvertreter erhebt, ist kaum denkbar und so hat sich der Abg. Bebel, entgegen seiner bisherigen Gewohnheit, die stärksten Angriffe auf seine Person unberücksichtigt zu lassen, entschlossen, das „Leipz. Tageblatt" vor Gericht zu zitircn und ihm so Ge- legenheit zu geben, seine schwere Anschuldigung zu be- weisen. Konstatiren wollen wir, daß in derselben Nummer, in der das „Leipz. Tagebl." den Angriff gegen Bebel bringt, es die Rede des Dr. Götz gegen die Bebel'sche Bemerkung abdruckt, durch welche alles das bestätigt wird, was Bebel gegen den Dr. Götz behauptet hatte. Bebel wird den Dr. Götz für sich als Zeugen zitiren, er wird das gerichtliche Urtheil, das gegen Dc. Götz so un - günstig als möglich lautet, vor Gericht produziren lassen und wird durch anderes Beweismaterial, dessen Richtig - keit Dr. Götz gar nicht wird bestreiten können, und wo - durch nachgewiesen wird, daß der Dr. Götz in der That noch nach 1866 ein blutrother Demokrat war und alles, was Bebel über seinen (Götzs) Gesinnungs - wechsel behauptete, wahr ist. Das „Leipz. Tagebl." dürfte aber bereuen, sich und seinen Schützling so gründlich bloßgestellt zu haben." Die oben zitirte gentlemenlike Bemerkung des „Leipz. Tagebl." findet sich wörtlich auch im „Hamburg. Korrespondent" Nr. 31, vom Dienstag, dem 31. Januar, MittagSblatt, am Schluß eines Artikels mit der Ueber- schrift: „Aus dem Reichstage." Derselben Nummer des „Hamb. Korr." liegt auch der Bericht über die Reichstagssitzung bei, in welcher Herr Götz aus die Be - merkungen Bebels sich vertheidigt. Wir tragen den be - züglichen Passus nach. Hier ist er: Götz : „Nun hat der Abgeordnete Bebel mir zugerufen: „Bezahlen habe ich mich für den Wandel meiner Ueberzeugung nie lassen — Herr Dr. Götz I" DaS ist ja kein direkter Vorwurf, der den Herrn Präsi - denten zu einem Ordnungsruf hätte veranlassen können, ich weiß aber, was das für ein Vorwurf sein soll. ES handelt sich um einen Prozeß. Sie müssen mir erlauben, daß ich Ihnen die Sache kurz erzähle. (Heiterkeit.) Es mann Fischer, welcher den soztaliitiscyen Avgeoro- neten Singer und Bebel die Richtigkeit der Ent- KMu.-gen über das Spitzelweien bestätigte. Sie sucht eben durch allerlei Schimpfereien die Gegenbeweise ,u ersetzen D e „Züricher Post" schreibt darüber- ' * . schweizerische Bundesrath wird, sofern der deutsche Reichskanzler die Sehnsucht des Herrn p. Putt- kamer stillt, in der Lage sein, mit aller Promptheit dar- zuthun, daß feinen Untersuchungsrichter, Herrn Haupt- mann Fischer kein Tadel trifft Ein Beamter dellen rasches, entschlossenes Handeln von jeher allseitig an - erkannt wurde, hat er seinerzeit dem Herrn Bundes- staatsanwalt Müller für den Bericht über die anarchisti- schcn Umtriebe in der Schweiz den wesentlichsten Töeil des Materials beschafft und die Aushebung der Anarchisten- Nester gründlich besorgt. Als dann in Zürich der von d-r deutschen Regicrungspresse mit zärtlicher Sorgfalt verfolgte Schlosserstreik ausbrach, entfaltete Herr Fischer eine Energie, welche ihm in Arbeiterkreisen arg verübelt wurde und die auch unser Blatt als übertrieben be - zeichnete. Wir wußten nicht und konnten nicht wiffen, was Herr Fischer herauSgespürt, daß nämlich die ordent - lichen Leute unter den Streikenden überstimmt und ge - hetzt wurden durch eine kleine, auf einen anarchistischen Koup hinsteuernde Bande. Und namentlich war uns unbekannt, daß in dieser Affäre der mit deutschen Reptilienbotzen klimpernde Schröder eine schustische Wirk - samkeit entfaltete. Gewissen Regierungen war cS recht angenehm, daß Herr Hauptmann Fischer den Anarchisten so scharf zu Leibe ging; daß er dabei nicht stehen blieb und die Jagd auf deren Kommanditäre, auf das infame Spitzelgeschmeiß auSdehnte, gefiel ihnen weniger. Herr von Putikamer hat in seinem, mit Verlegenheit ge- mischtem Zorn vergessen, daß Herr Fischer schweizerischer Beamter ist, zu dessen Obliegenheiten es einstweilen nicht gehört, der deutschen Regierung Gefälligkeiten zu er - weisen. Herr Hauptmann Fischer hat sich keiner Inkorrektheit schuldig gemacht, als er den Herren Bebel und Singer den bekannten Schein ausstcllte. Er bestätigte, was die betreffenden Herren schon wußten und was durch einvernommene Zeugen und durch Preß- stimmen in die Oeffentlichkeir' gekommen war. Die Untersuchung galt übrigens als abgeschlossen, die That- sachen erschienen als unumstößliche. Nutzlose Pedanterie und wirklich eine Taktlosigkeit gegen Parlaments - mitglieder eines fremden StaateS wäre es gewesen, hätte Herr Fischer die Bestätigung verweigert. Würden konser - vative deutsche Abgeordnete zu anderem Zwecke ein Zertifikat unseres PolizeihauptmannS verlangt haben, es wäre ihnen ebenso gegeben worden. Die Schweiz freut sich, daß der Topf endlich abgedeckt wurde — abgedcckt zum richtigen Zeitpunkte im deutschen Reichstage. Kann sich Herr? von Puttkamer von dem Kulturzustande eines LaneeS, dessen Behörden daS Gesindel der agents provocateurs nicht dulden wollen, keinen rechten Begriff machen, so werden wir es ertragen und ihn um seine «uüurauffassung nicht beneiden. Damit er jedoch den war einmal ein Bußtag (Große Heiterkeit); da war eine Versammlung einberufen worden von Mitgliedern der freisinnigen Partei. Wegen des Bußtages mußt- die Versammlung ausfallen. Ich als beschäftigter Arzt kam etwas zu spät und fand nur noch ungefähr sechs zur deutschfreisinnigen Partei gehörige Herren, von denen ich einige kannte. Na, meine schwache Seite ist, manch - mal ein Glas Bier zu trinken. (Stürmische Heiterkeit.) Wir kamen also in ein Gespräch — paffen Sie nur recht genau auf! (Heiterkeit) — und bei der Gelegenheit wollten mich die Herren etwas kitzeln (Große Heiterkeit) und sagten mir, es sei doch eigentlich nicht recht, daß ich meine Gesinnung nicht mehr wie früher oppo - sitionell heraussteckte, sondern mehr nach rechts gegangen sei. Darauf habe ich wörtlich gesagt: „Meine Herren, seitdem ich nicht mehr um jeden Preis dem Reiche Opposition mache, seitdem ich weiß, daß ich ein Vaterland habe und für dasselbe mitarbeite, seitdem befinde ich mich viel Wohler." Diese Worte hatte ein gewisser Heinz Krieger, Kandidat der Deutsch, freisinnigen, von feinen Bekannten gehört und brachte sie in einer Wahlversammlung vor, um zu beweisen, daß Dr. Götz von Lindenau für sein besseres Befinden, für Geld seine Ueberzeugung geändert hätte. Ich wollte mir — ich sage heute dummer Weise (große Heiterkeit) — die Sache nicht gefallen lassen — ich verklage nie wieder Jemanden (Sürmische Heiterkeit) — ich verklagte damals den Herrn Krieger. Dieser sand aus seinen Fraktions- genossen drei Zeugen, welche eidlich aussagten, man hätte damals mich unbedingt dahin verstehen müffen, mein materielles Wohlbefinden sei in Folge meines Gesinnungswechsels, also auf rein materiellem Wege, ungefähr durch Geld — direkt herausgesagt — verbeffert worden. Meine Klage gegen Krieger wurde abgewiesen und — daS ist die ganze Geschichte. (Große Heiterkeit.) Die Herren haben ihren Prozeß, der ganz korrekt durch- geführt ist, ich bin damals reingesalle,, aber ich bin bis -n* hnH „nv Jrcit hör anlwnoleu Gellnnnno wie stellte, mit Recht — aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, so daß er nach Italien reisen konnte, wo er bis zu seinem Ende blieb — haben sich als vollständig wahr erwiesen. t Mein Jrrthum bestand blos darin, den Staats- anwalt Richter, der den Angeklagten auf ein von dessen Freunden erwirktes Zeugniß der Unzurechnungsfähigkeit — von dessen Existenz ich erst nachträglich Kunde erhielt — in Freiheit gesetzt hatte, gesetzwidrigen Verfahrens 6e ^meinV bona "fides bewies ich dadurch, daß ich meiner Immunität als Reichstagsabgeordneter mich frei - willig begab und außerhalb des Reichstages ine Anklage wiederholte. m , Der Staatsanwalt selbst erkannte in dem Prozeß gegen mich meine bona ttäss an, und auf „Verleumdung wurde nicht einmal Anklage erhoben. Für die Beleidigung des Staatsanwalts Richter wurde ich zu der exorbitanten Strafe von sechs Monaten Gefängniß verurtheilt, obgleich ich vor der Verurtheilung ausdrücklich die Anklage gegen Richter öffentlich zurück - gezogen hatte. Ein bei jenem Prozeß gegen mich eminent betheiligter Beamter versicherte mir später, wenn mein Prozeß in Dresden, wo Raudnitz und sein Treiben be - kannt war, gespielt hätte, würde das Urtheil ganz anders ausgefallen sein. — Kurz, mein ganzer Fehler war, daß ich die Schuld an einem flagranten Verstoß gegen das Rechtsgesühl einem einzelnen Beamten aufbürdete, statt mich gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu wenden, die es möglich gemacht haben, daß ein reicher Verbrecher wie Raudnitz der verdienten Strafe entrinnen konnte, während sein Helfershelfer in's Zuchthaus wanderte. Jedenfalls hat Herr Held, so lange er StaatS- anwalt war, niemals eine Anklage aus sittlicheren Mo - tiven erhoben, als ich es in jenem Falle gethan Und irren kann sich Jeder — ich so gut wie' ein Staats- ta Ser WiltWk. Reichstag. Fortsetzung der Berathung des An - trages. betr. Verlängerung der Legislaturperioden. Richter spricht in längerer Rede gegen den An- trag, ebenso Singer, welcher ihn ein Attentat ans das allgemeine und direkie Wahlrecht nennt. Windthorst wundert sich über das Schweigen der Antragsteller und warnt Bennigsen vor der Gesellschaft, in die ihn daS Kartell gebracht. Kräcker beantragt, den Antrag in eine Kommission zu verweisen, um die Beschlußunfähigkeit des Hauses fest - zustellen. Bennigsen antwortet auf die Windthorst'schen Ausführungen, und Helldorff ist für den Antrag. , Der Antrag Kräcker wird gegen die Stimmen der Freisinnigen und Sozialdemokraten abgelehnt. Die zweite Berathung findet im Plenum statt. Heute: Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutz, gebieten, Nachtragsetat, Wahlprüfungen, kleinere Vorlagen. Die Sozialistengesetz - Kommission des Reichs- tages wird ihre Arbeiten erst am nächsten Mittwoch be - ginnen. Der Antrag auf Anfhebnng deS Identitäts - nachweises ist nunmehr im Reichstage eingebracht worden. ivnvm uuu feine aJUTtgaroeimng wird taagtte Zi.^'er - fordern, so daß der Entwurf erst etwa im März an den Reichstag gelangen wird. Die Unfallversicherung soll nach der Thronrede vom 24. November 1887 auch auf diejenigen Kleinbetriebe von Handwerkern ausgedehnt werden, welche von der bisherigen bezüglichen Gesetz- gebung ausgeschlossen werden. Offiziös verlautet jedoch, daß die Arbeit für die Alters- und Jnvaliden-Berfiche- rung alle vorhandenen Kräfte so in Anspruch genommen habe, daß diese Vorlage noch nicht zur Ausarbeitung ge - kommen ist und voraussichtlich in dieser Session gar nicht mehr an den Reichstag gelangen wird. Der Entwurf des bürgerliche» Gesetzbuches für das Deutsche Reich wird in Berlin demnächst im Berlage von I. Guttentag (D. Collin) erscheinen. Die „Kreurztg." schreibt: An der Annahme deS Antrages auf Berläugcrung der Legislaturperiode ist wohl kaum zu zweifeln; eine natürliche Konsequenz derselben scheint uns dann die entsprechende Ausdeh - nung der Wahlperiode deS preußischen Abgeordneten. hauseS zu fein. Die Reichstagskommission zur Berathung des Gesetz- entwurfs, betr. die unter Ausschluß der Oeffeutlich- keit stattfindenden Gerichtsverhandlunge«, hat die erste Lesung der Vorlage beendet. A«S der Mark, 2. Februar, wird der „Köln. Ztg." geschrieben: „Bei der nächsten Reichstagswahl werden die Antisemiten in sämmtlichen westfälischen ReichstagSwahlkreisen eigene Kandidaten ausstellen, in Folge dessen sangen fie schon jetzt an, den Boden ge - hörig zu kultiviren, Im Herbst vorigen Jahres sprach der Reichstagsabgeordnete Dr. Böckel-Marburg in mehreren Städten Westfalens und augenblicklich hält Herr Lieber - mann v. Sonnenberg Vorträge über die Judenfrage in Steele, Essen, Münster, Waltrop, Lünen, Langendreer, Witten, Dortmund u. s. w. Daß diese eifrige Thätigkeit den von den Agitatoren erhofften Erfolg haben wird, möchten wir entschieden beztoeifeln," Die Berliner „Volks-Ztg," erhält folgende Zuschrift: „Borsdorf, den 31. Januar 1888. Da el gestern in der Hitze der Debatte vergessen ward, die mich betreffenden Ausführungen des Regie- ruugSkommifsars Held vom vorigen Sonnabend im Reichstage zu widerlegen, so bitte ich Sie, mir in Ihrem Blatte Raum für folgende Erklärung zu geben: Die von mir im Reichstage seiner Zeit — ich habe das Datum nicht im Kopf, es wird vor acht Jahren ge- wesen sein — behaupteten Thatsachen, daß nämlich ein in höheren Kreisen sich bewegendes, als vornehmer Wucherer und Wollüstling bekanntes Individuum Namens Raudnitz in Dresden, welcher der Unzucht mit kleinen Kindern angeklagt war — und zwar, wie sich heraus- Der Entwurf eines nene« Gcnoffcnschafts- gesetzes ist vom Reichsjustizamte ausgearbettet und dem Reichskanzler vorgelegt worden. Ausarbeitung des Entwurfes, betreffend die Alters- und Jnvaliden-Berforgnng der Arbeiter