Nr. 139. Freitag, ütii 15. Juni 1888. R Jahrgang.' n taalick außer MontagS. — Der AbonnementSprriS beträgt vierteljährlich im BorauS exkl. Bringcgeld M. 3,60. Nr. des PostkatalogS 2505. S StiSSÄ» °d-- »«-- Raum M K 4 >.r-ch.L - «.«•»■*> >u d<. «Mdi.E, f.el, M .».« MUMM Ä 8 Redaktion und Expedition: Hamburg, Große Tbeaterstraße 44. - Verantwortlicher Redakteur- Otto Stötten in Hamburg. m $on d« MWr. Qum Nachfolger des Herrn von Pnttkamer soll ein hoher Beamter in Ai-ssicht genommen sein, dessen Namen bisher in der vorliegenden Frage noch nicht genannt ist, und dessen Stellarg ein schlagender Beweis für die Grundlosigkeit der fortschrittlichen Erfindung sein würde, daß der Rücktritt des ehenialigen Ministers des Innern als Symptom eines System-Wechsels zu be - trach t e n s e i. — Also meldet triumphirend das eine hiesige reaktionäre Blatt. Das Oberreptil am Rhein aber erhofft einen Mann seines Kalibers; es schreibt: „Die Frage, wer der Nachfolger des Ministers v. Putt- tarnst werden soll, ist noch immer ungelöst. Be: dem gegenwärtigen Zustande des Kaisers, dessen Befinden in der That zu den ernstesten Besorgnissen Anlaß giebt, ist es wahrscheinlich, daß die Ernennung eines neuen Ministers des Innern sich noch einige Zeit hmschleppen wird. In den Kreisen unserer Hochorthodoxeu und Ertremkonservativen giebt man sich deshalb schon der Hoffnung hin, daß in nicht zu langer Zeit entweder Minister von Puttkamer auf seinen Posten zuruckberufen werden könnte, schon um ihm angesichts der zum Th-il widerwärtigen Angriffe eines Theiles der Oppofttions- presse eine unzweideutige Genugthuung zu geben, oder daß als sein Nachfolger vor der Hand sein langlahriger UnterstaatSsckreiär Herrfurth ernannt werden könnte der im Sinne Puttkamers weiter regieren und ,hm vielleicht für spätere Jahre die Stelle freihalten könnte. Das sind indeß Hoffnungen, die eitel Schäume smd und sie werden keinesfalls in der Zukunft ihre d^stutigimg finden. Man darf wohl hoffen, daß sich schließlich für den endgültig erledigten Posten ein begabter Mann findet, welcher im Sinne der Mittelparteien den Gesundungs- Prozeß unserer innern Zustände durch eine maßvolle und versöhnliche Politik weitersührt und die Nationalliberalen nicht immer wieder in die Nothwendigkeit versetzt, reak - tionäre Strebungen mit freundschaftlicher Entschiedenheit abzuweisen. (Das ist zum Lachen.) Das Kartell würde dadurch unbedingt an innerer Festigkeit wie an volks- thümlicher Anziehungskraft gewinnen." Die „maßgebenden Personen' der konservativen Gesamintvertretung von Berlin wollen Herrn v. Putt - kamer nicht scheiden lassen, ohne ihm eine „öffentliche Anerkennung für seine Verdienste sowohl uni das Vater - land (?) als auch um die reichstreuen Parteien ausge - sprochen zu haben." Die in der letzten Sitzung des preußischen Abgeord - netenhauses zur Sprache gebrachten unerhörten Wayl- vorgäuge in Elbing-Marieuburg können noch immer nicht zur Ruhe kommen. Ganz natürlich. Nachdem sie aller Welt gezeigt worden sind und Jeder sie sehen iann, erwacht das öffentliche Gewissen und bäumt sich auf. Selbst den Konservativen fängt die Berwerflichkcit amt- licher Beeinflussungen an cinzulenchten wenn andere, d,c Indignation echt ist, die -zum Ausdruck kommi. So schreibt die konservative „Elvioger Ztg. u. A.. Beraeaenwärtigen wir es uns, in welch.r Wmse die Ä'gitatwn damals in Szene gesetzt wurde wo selbst junge Regierungs-Referendarlen, dre unter Herrn Land ratb Dr. Dippe damals auf dem hresigen Laiid- rathsamte beschäftigt wurden, sogenannte Wahlthatigkeit ausüben iu müßen glaubten, wie in der eigenen Partei durck die^kiasscte Rücksichtslosigkeit Zwiespalt hmem- getragen^ und dann mit Hochdruck eine.Wah-maschme m flpffht wurde, bie an ö ungrauorrcye grknzw s° ^scheinen die Auslassungen de- Abgeordneten Rickert, eines Gegners unserer Partei, nicht allein be greislich, sondern auch gerechtfertigt. Das ist daS Lraurig- und zu gleicher Ze't Bescha wende für uns, daß wir selbst es zu- 7e st e h e n m ü s s e n, d a ß , e i n ° A n s ü h r u n g - n z u R e ch t b e st e h e n, daß wir es hinnehmen mrpsen, daß der Elbing,Marienburger Wahlkreis »ur Zielscheibe von Angriffen dienen „mußte, welche abzuschlageu Nie- mand in der Lage ist." Der Landrath des Elbingcr Kreises Dr Dippe ist als R e g i c r u n g s r a t h nach 'Sumbmnen vc w? worden. Dem Dr. Dippe fallt die a f § ä theilung der Urwahlbezirke >m Kreise E g 5- Auch hatte derselbe den Bruder des M. msters bei de Agitationsreisen begleitet. Dr. Dippe fu g Wahl auch als Wahlkommi sar. Dem ugt d,e Fr« . Zig " an? „Die Beförderung^ des Dr. D'PPe zum Re- gierungSrath — denn als Beförderung muß 1 nennung immer angesehen werden — letzten Amtshandlungen des Ministers v. Puttkamer ge wesen zu sein." Bour „Freisinn". „In einem Punkte," schre'bt die „Weser-Ztg.", „stimmen wir oer „Nordd. AUg. ^rg. bei. Sic sagt der Sturz Puttkamers ft' dem » Präsidenten ganz unerwartet gekommen; diese TY ! w könne aber nur einer solchen Partei Besriedizung g währen, bei welcher die Fraktionspolitik bereits das staatliche Bewußtsein geschädigt habe. Das ist sehr richtig. Aber es ist ein Jrrthum, anzunehmen, daß die Gefühle, die in der „Freisinnigen Zeitung" zum Ausdrucke kommen, die Gefühle der Liberalen in ganz Deutschland seien. Grade in dem Punkte, der hier in Frage kommt, denken und fühlen unzählige freisinnige Deutsche ganz anders als jenes Berliner Fraktionsblatt. Sie wünschen innig, daß Kaiser und Kanzler beisammen stehen mögen." Eine sozialdemokratische Versammlung von Wählern des 14. Kommunal-Wahlbezirks in Berlin ver - fiel am Mittwoch Abend der polizeilichen Auslösung. Die Versammlung, die behufs Verkündigung des Wahl- resultat? nach dem Etablissement „SanSsouci" einberufen war, war nach der Berliner „Volks-Ztg." überaus zahl- reich besucht. Nachdem Tischler Robert Blum zum Bor- sitzenden gewählt worden war, theilte Tischler Winter Las Wahliesultat aus den drei Bezirken mit, in denen gestern die Wahl stattgefnnden. Der Redner bemerkte: Wenn jeder Genosse bei den Stichwahlen seine Schuldig- feit thut, dann muß der Sieg unser sein. Hierauf äußerte Schuhmachermeister Metzner: Der heutige Tag hat bewiesen, daß, wenn die Arbeiterpartei irgendwo ge - schlossen auftritt . . . Hier erhob sich der beaussichtigende Polizeiosfizier und erklärte die Versammlung aus Grund des § 9 des Sozialistengesetzes für aufgelöst. Mit stur, mischen Hochrufen aus die Sozialdemokratie und dem Gesänge "der Arbeiter-Marseillaise verließen die Massen den Saal. Um die Nothwendigkeit einer Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft auch dem Verstocktesten klar zu machen, sollte kein Fall unerwähnt bleiben. In den ersten Tagen des April dieses Jahres fand (wie man der „Frkf. Ztg." aus Beden schreibt) in Waldkirch ein Einbruchsdiebstahl statt. Man konme den Thäter bisher nicht ermitteln und scheint jetzt auf eine eigene Art der Ermittlung desselben verfallen zu sein. Es wurden vor acht Tagen zwei Hutmacher eingeliesert, von denen der eine in Offenburg, der andere in Furt- wangen in Arbeit steht. Gegen Beide lag kein anderer Verdacht vor, als daß sie in jenen Apriltagen auf Her- bergen in der Nähe Waldkirchs (Freiburg, Emmen- dingen rc.) verkehrten. Es sind ganz solide Leute. Sie wurden von der Arbeit weg verhaftet, gefesselt und nach Waldkirch gebracht, wo man sie wieder laufen ließ. Nie - mand kümmerte sich darum, daß die Leute total mittel- los waren. So liefen sie mit leerem Magen zunächst die zwölsstündige Strecke bis Offenburg. Wie viele sol - cher Leute man schon in derselben Angelegenheit vcr- haftet und wieder entlassen hat, ist nicht bekannt. Für die beiden Genannten war es ein Glück, daß sie nach so langer Zeit noch ihr Alibi Nachweisen konnten. AuS der Haft entlassen. Drei der Geheim- bündelet beschuldigte Sozialdemokraten, welche im Elber - felder Gefängniß internirt waren, sind gegen Kaution aus der Haft ent,affen worden. Dem Vernehmen nach sollen noch mehrere Befchuldigte gegen Kaution in Freiheit gesetzt werden. Gera, 12. Juni. („Voss. Ztg.") Die hiesige Staatsanwaltschaft, welche eS ursprünglich abgelehnt hatte dem Anträge der hiesigen Polizei entsprechend, neuen die Streikkommission der Maurer einzuschreiten, ist -euerdings seitens deö fürstlichen Ministeriunis ange- wiesen worden, die Untersuchung gegen die Leiter des Maurerstrciks einznleiten. Die Nachricht, daß das Reichsgericht die Revision der im Posener Sozialistenprozcß Bernrtheiltcn verworfen habe, scheint auf einem Jrrthum oder aus un - richtiger Kombination zu beruhen. Die Verhandlung vor dem Reichsgericht sollte allerdings am 5. d. M. statt- finden Nach einer Meldung, die der Oberreichsanwalt dem Veitheidiger der Angeklagten zugestellt hat, ist jedoch der Termin vöm 5. aus den 22. Juni verlegt worden. Demgemäß kann eine Verwerfung der Revision noch nicht eingetreten sein. Zum Streik der Schmiede in Berlin wird ge- meldet, daß die Meister sich dahin einigten, die zehn- stündige Arbeitszeit im Prinzip anzuerkennen und dem- entsprechend nur in dringenden Fallen Ueberarbeit statt- finden zu lassen. Die Ueberstundenarbeit soll nach Maßgabe des Tagelohnes, Nachtarbeit höher bezahlt werde». Die Unterhandlungen zwischen Meistern und Gesellen, die in beiderseitig entgegenkommender Weise geführt werden, dauern fort. Der Verein deutscher Eisen- und Stahl- iudustricker hat auch in diesem Jahre über die Lohnverhältnisse seiner Arbeiter Er- Hebungen angestellt. Im Januar 1887 beschäftigten 205 Werke 138 695 Arbeiter mit einem Monatslohn von A 9 181870, im Januar 1888 dagegen 147 051 Ar- bciler mit M>. 10 259 518 Monatslohn. Demnach sind die Zahl der Arbeiter um 8356 gleich 6,2 pZt., die monat - lichen Gesammtlöhne dagegen um M. 1 077 648 gleich 11,7 pZt. gestiegen. Im Januar 1887 verdiente ein Arbeiter durchschnittlich monatlich M. 66,20 gegen A 69,67 im Januar 1888. Bus das Jahr berechnet würde sich ein Mehrverdienst des Arbeiters von Jt. 42,84 und für die 205 Werke, die nur einen, wenn auch sehr ansehn- lichen Theil des deutschen Eisengewerbes ausmachen, eine Steigerung der Löhne um die bedeutende Summe von Mi. 12 931 776 ergeben. „Abgesehen davon," bemerkt dazu die „Franks. Ztg.", „daß X.42 jährliche Mehr - einkünfte ein magerer Lohnzuwachs und daß ein Lohn von M. 69 für die anstrengende Hüttenarbeit sehr niedrig ist, vergißt aber der Verein deutscher Eisen- und Stahl- industrieller auch diesmal, neben dem kleinen Mehr- verdienst, der übrigens auch nur einer geringeren An - zahl Bevorzugter unter den 147 051 zu Gute ge - kommen fein kann, während der Verdienst der Mehrzahl möglicherweise sank, die durchschnittliche Arbeitsleistung der beiden Jahre pro Arbeiter zu setzen. Dies gehört entschieden zum Exempel. Es könnte z. B. die Schicht für den Einzelnen weit länger geworden fein, als sich der Lohn erhöhte. Es ist zu be - dauern, daß der Verein dieser Einwendung, die ihm schon oft gemacht worden ist, niemals durch genaue An - gaben die Spitze abzubrechen sucht. Er rechnet alle Jahre eine Erhöhung der Löhne heraus. Nach ihm müßten seine Arbeiter nunmehr nahezu Rentiers geworden sein, während man von einem besonderen Wohlstand der Eisen- und Stahlarbeiter, die viel zu ihrem Kräfteersatz brauchen, nirgends etwas hört. Hervorgehoben werden schließlich auch in dem Bericht die Leistungen der Werke zu Gunsten der Arbeiter. An gesetzlichen Leistungen (Krankenkassen , Unfall-, BerufSgeuossenschaften, Haft- Pflicht ii. f. w.) wurden in 1887 von den 205 Werken 2 340 893 gleich M. 15,92 für den Arbeiter gezahlt; an freiwilligen Leistungen dagegen (Invaliden- und Pen fiouStaffe«, Versorgung der WiLwc.i und Waisen, Ar - beiterwohnungen und anderen Wohlfahrtseinrichtungen) zahlten 159 Werke des Elfengewerbes und des Maschinen- Baues M. 2 511 876 gleich M. 18,52 für den Arbeiter. Für die Aktiengesellschaften berechnen sich die Leistungen für derartige Wohlfahrtszwecke ans mehr als | Prozent der an die Aktionäre gezahlten Gesammtdividenden; für die im Privatbesitz befindlichen Werke, deren BetriebS- ergebniffe nicht bekannt sind, dürste sich ein ähnliches Berhältniß ergeben." Wie«, 13. Juni. Aus Horwitz kommt die Nach - richt, daß daselbst 1500 Arbeiter von drei Webereien wegen Verweigerung einer Lohnerhöhung streiken. GenS- darmerie wurde unnöthigerweise aufgeboten, da die Ruhe nicht gestört wurde. DasPaßwesen an der g a l i z i sch e n Grenze wurde in Folge der von österreichischer Seite bei dem Generalguvernör Gnrko gemachten Vorstellungen be - deutend erleichtert, waS in der Geschäftswelt einen erfreulichen Eindruck macht. Pest, 12. Juni. Im H eer es a uSsch u ß der ungarischen Delegation erklärte ans verschiedene Anfragen der KriegSminister: Neuorganisationen seien nicht beab- sichligt; nur einige füc den Mobilisirungsfall vorgesehene Formationen sollten durch Aufstellung von Cadres schon im Frieden vorbereitet werden. Es handle sich nur darum, Maßregeln, die schon früher auf dem Papiere bestanden hätten, in’S Praktische zu übersetzen, resp. die Armee schneller operationSbereit zu machen. Gewisse Aus- gaben, die eigentlich in's Ordinarium gehörten, seien deshalb in's Extraordinarium Präliminirt worden, weil Niemand die Verhältnisse kenne, die Ende 1890 bestehen würden, und dann möglicher Weise die Nothwendigkeit nicht mehr bestehe, die fraglichen Maßregeln noch weiter sortzusetzen. Eine Vermehrung des Ofsizierstandes fei nothwendig wegen der geringen auf die Unterabiheitungen im Mobilistrungssalle entfallenden Prozentzahl von Berufsoffizieren. In den wenigen Mobilisirungstagen könne man diesem Uebelstande nicht abhelfen, darum müsse, besonders unter den heutigen Verhältnissen, schon im Frieden vorgesorgt werden. Der Minister versicherte, daß nur die wirklich nothwendige Zahl in Anspruch ge- nommen werden würde. Betreffs administrativer Er - sparungen und Dezentralisation des Lieferungswesens feien die Studien noch nicht abgeschloffen. Er werde übrigens gleich feinem Vorgänger danach trachten, die Schlagfertigkeit des Heeres mit der Finanzlage des Staates in Einklang zu bringen. Der Reichstag wird am Sonnabend feine Sitzungen schließen. Bern, 13. Juni. Der Stünderath hat 3£ Millionen Franks zur Beschaffung von Kriegsmaterial bewilligt. Paris, 12. Juni. Die Kammer genehmigte gestern die beiden ersten Artikel des Gesetzes über die Frauen - und Kinderarbeit. Das Gesetz unter- sagt die Beschäftigung der Kinder unter 13 bezw. (wenn sie das AbgangSzeugniß der Volksschule haben) unter