Da» »Hamburger Echo" rrWint täglich, außer Montes«. Diesstag, fc*n 15. April 1890 vsistzegel- vierteljährlich JC 4,20; durch die «olportöre wöchentlich 36 «Z frei in'« Hau«, verantwonlicher Redakrür: Kilo Stolten in Hamburg. B n | e t g t n "*rden die stlnfgefpaltme Xfbuton, lote« in ismmtliches Ummnenl-vi^nmO. Redaktion und ^^n>edition: (ftroftr Tbesterffrahr 44 i» littnitiiiik gtirttiiliii. * Die Londoner »Internationale Frieden-liga" hat Nrzlich «Htbtt einmal ein Lebenszeichen von sich Gegeben Sie hat in einer «drefie an die Berliner Arbeiterichutz-ponferenz die Bitte ausgesprochen, dieselbe mbge die Abrlstung-frage in den Arei- ihrer Berathun - gen ziehen. Die fortschrittliche und demokratische Preffe brtxft denn auch ihr Bedauern darüber au«, daß die- nicht geschehen ift. Wir theilen diese« Bedauern nicht und haben un« nie für die illustouSren Bestrebungen der Elihu vurrit, Hodopson Pratt, Bühler urd wie bte bürgerlichen Friedensapostel sonst heißen mögen, erwärmen kSnneu ; -tnch damals nicht, als in Stuttgart die Liga Setser- Hipp Hack-Tcholl-Elben die Frieden-schalmei so strenen- haft blieS, daß naive Seelen hätten glauben können, eS gehe jetzt dem Sott MarS ernstlich an den Kragen Die Methode, die Lölkerkriege durch äußerliche, mechanische Mittel, wie .Friedensvereinigungen", ver - hindern zu wollen, ist die Methode des Arzte-, der ein vsn verdorbenen Cästen hrrrührendeS Geschwür durch Operatton zu beseitigen sucht: So lange die Säfte de- RbrperS verdorben find, werden fie immer wieder neue Ge- fthwAre erzeugen. Ein rationeller Arzt wird vielmehr dahin wirken, daß die Säfte gesunden, womit die Ursachen de- Geschwür- hinweggeräumt find. Alle Kriege entspringen in letzter Instanz au- ma- teriellen Ursachen. Selbst in den Religionskriegen waren materielle Intereffen, bewußt oder unbewußt, die eigent- Achen Beweggründe, die Religion gab nur den äußer- Achen Anlaß oder den Deckmantel ab. Auch im amert- Arnischen Cklawenkrieg war nicht sowohl Humanität da« Heitmottv, als vielmehr da- Bestreben der Rordstaaten, da« Uebergewicht der Südstaaten zu brechen, wie Bebel einmal im Reichstag sehr richtig bemertt hat. Nicht moralische Ideale, sondern materielle Jnterefien stad die Feder im Triebwerk der Weltgeschichte. Ans einen Kampf um Mein und Dein lausen schließ- Ach alle Kriege hinan-, mögen fie Eroberungskriege, WvalitLtSkriege, Revanchekriege, Kolonialkriege, Reli - gionskriege, Zollkriege oder wie immer heißen. Der äußere Krieg hängt enge zusammen mit dem inneren Krieg, dem wirthschaftlichen Kampfe Aller gegen Alle, dem Kampfe zwischen Kapital und Arbeit oder dem Kampfe der Konkurrenz. Der Bölkerkrieg ist eine Folge deS ökonomischen Kampfs, eine akute Form, t» welcher fich der chronische ikrieg im WirthschaftSleben von Zett zu Zeit zuspitzt Und so furchtbar auch ein Bäüerkrieg ist, so zahlreich die Opfer find, die er fordert, namentlich bei der heutigen Entwicklung der Kriegstechnik — die Opfer, welche dem innern Krieg anheimfallen, find noch viel zahlreicher, und d-S Elend, welches Bölkerkriege verursachen, ist verhältnißmäßig gering gegen da- Massenelend des interen wirthschaftlichen Kampfs, der unaufhSrllch wüthet und tobt und tagtäglich seine Mafien- opser fordert. In diesem innern Krieg hat daS Proletariat die Hanptzeche zu bezahlen und gelänge eS jemals, den BSlkerkrieg und den bewaffneten Frieden auf dem Wege der .FriedenSvereinigungen" aus der Welt zu schaffen, während der wttthschaftliche Kampf ruhig weiter geführt wird, so würde dieser Erfolg dem profitgierigen Kapital ,eviß in hohem Grade zu Statten kommen; das Prole- tariat hätte sehr wenig davon; nach wie vor würde eS die Melkkuh des Kapitals fein. Der äußere Krieg ist eine natürliche Konseguenz teS innern Krieg-, und jene Weissagung, wonach die Völker .ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln schmieden werden, fein Volk wider das andere «in Schwert aufheben wird und fortan die Nationen nicht mehr kriegen lernen", wird erst dann eintteffen, die MttitäretatS werden erst dann verschwinden und die Ka - sernen zu gemeinnützigen Anstalten umgewandelt werden, wenn einmal bet wttthschaftliche Kampf Aller gegen Alle aufgehört haben wird zufolge einer Reuorganisatton der Gesellschaft im Sinne deS Sozialismus. Die einzige Garantie de- Völker- frieden- ist der wirthschaftliche Friede, d. h. der Sozialismus. Und die wahre internationale Frieden-liga ist diejenige, welche den wirthschaftlichen Krieg beenden und den sozialen Frieden begründen will: Die Sozial- demokratie. Bon Napoleon III. rührt bekanntlich da- berüchtigte Wort her: Tempire c’est la paix (da- 8ufie"reich ist der Friede). Wir aber sagen mit wett besserem Recht: Der Sozialismus ist der Friede. $11 itt Mietet. Die sozialdemokratische stzraktton deS deut - sche« Reichstage- hat am Sonntaa einen an die deutschen Arbeiter zu richtenden Aufruf, betreffend die Kundgebungen am 1. Mai, beschlossen Wir werden den- fr Iben, da er für diese Nummer zu spät eingetroffen ist, morgen im Wortlaute mittheilen. Nachdem die Rachwahle» zum Reichstage be - endet sind, hat fich folgende Zusammensetzung defielben durch die Wahlen von 1890 ergeben: Konservative 72 Reich-partei 19 Nationalliberale 43 Deuischfreifinnige 67 Bolk-partei 10 Zentrum IM Polen 16 Welken 11 Sozialdemokraten 35 Antisemiten 5 Däne 1 Elsässer 10 Wild 1 In den Nachwahlen haben die Freifinnigen 2, da- Zentrum 1 Mandat verloren; die Konservativen, Ratio- nalliberalen und Antisemiten je 1 Mandat gewonnen; die übrigen 6 Nachwahlen haben am Bestand der Par - teien nicht- geändert. Minister Herrfurth soll, wie der „Saale-Ztg." berichtet wird, den ihm nahestehenden Greifen erklärt haben, er bedaure lebhaft, daß das Tozialifteugefetz nicht schon in den achtziger Jahren abgefchafft worden sei. Der Minister rechnet mit Bestimmt- heit darauf, daß die Beseitigung diese- Zwangs- mittels zunächst eine Lockerung der Partei- diSziplin zur Folge haben werde. Dem 1. Mai sehe man ohne das geringste Gruseln entgegen. Alle Polizeiorgane, voran die hauptstädtischen, hätten Weisung empfangen, nur im Falle der äußersten Noth- Wendigkeit einzuschreiten Der Minister glaube zu wifien, daß gewisse Führer wer weiß was darum geben würden, wenn die Polizei wieder auf die unzweckmäßige Taktik des Angriffs zurückgreifen und dadurch neues Wafier auf ihre Mühle liefern würde (?). Am 1. Mai werde man den Sozialdemokraten also die thunlichste Bewe- gurgsfreiheit gewähren, und zwar auf Anordnung deS Ministeriums, das damit den persönlichen Wünschen des Kaisers gerecht werde. Mit dem Verhalten deS Herrn Ministers bei der Berathung de« letzten Sozialisten - gesetzes steht diese Meldung nicht grade im Einklang, und darum möchten wir hinter diese ganze Nachricht ein großes Fragezeichen machen. Die Sozialdemokraten im Berliner Rath - haufe haben nach der ,W.-Z." folgendes Programm ausgestellt: Sie wollen die Miethssteuer beseitigen, an ihre Stelle soll eine progressive Einkommensteuer mit Selbsteinschätzung treten; die Pferdebahnen sollen in den Betrieb der Stadt übergehen; die Gemeindeschulen, welche die Freisinnigen als Paradepferd vorführten, be- dürften dringend einer Reform, der Geist, welcher in den Gemeindeschulen herrsche, fei nur dazu angethan, der Stöckerei und Muckerei Vorschub zu leisten. Die Sozialdemokraten hoffen, bei den beiden am 15. April bevorstehenden Ergänzung-wahlen in der IH. Klaffe den Sieg zu erringen Ihre Agitation ist eine uner- müdliche. Sitil. Sozialpolitischer Roman von DbSxaeli. veberivtzt vvn Natalie Liebknecht Gortsetznng) .Sie dürfen nicht länger bleiben, Sie müffen sofort Gehen. Ich werde Ihrem «ater Alle- sagen. Und nehmen Sie einen Rath an: Diese Angelegenheit mag bürgfchaft-fähia *) sein, oder nicht. Ich sann darüber »mH keine Meinung haben, da- hängt von dem Ergebniß der Beweisaufnahme ab. Wenn Sie aber irgend einen Gitten Mann kennen — Sie verstehen mich — ich meine Rnen Hau-befitzer, der schon lange ansässig und in guten Aerhältniffen ist — s» rathe ich Ihnen, keine Zeit zu verlieren und nach ihm zu sehen. Da- wird Ihrem Mater viel nützlicher fein, al- ein Lebewohl ober ähnliche Minge." Nachdem Etzbil von seiner Frau Abschied genommen nnd ihm für ihren Vater viele thränenvollen Aufträge Gegeben hatte, stieg fie mit dem Inspektor die Treppe Hinunter Da« Bürean war noch immer nicht geöffnet, «httge Polizeibeamte waren in dem Durchgang, und als Gtzbil erschien, machte ihr einer von ihnen den Weg frei zn dem Wage», der auf fie wartete. Eine oder zwei Milchfrauen, ein müssiger Esten- dehrer, ein Patzetenbäcker mit seiner rauchenden Waare „d mehrere jener namenlosen Richtse, die sich immer anfommcln und den Kern eines Volk-Haufen- bilden, Wahrscheinlich auch verschiedene junge Mitbürger, welche die Rächt im Hydepark bei Mutter Grün zugebracht, — Hatten schon vor dem Polizeigebäude Posto gefaßt Sie wurden von der Polttei zerüreut, kamen wieder und stellten fich ist einer respektvolleren Entfernung auf, von Wo au- fie die Wächter de- Gesetze- mit mehr oder Weniger spitzigen und verletzenden Worten beschofien. Ein Mann in einem weiten, hellen Uederrvck, da- Oeficht durch einen lose um den Hals gewundenen Whawl und einen breitfrämptgen Schlapphut verdeckt, hals Sybil in den Wagen und drückte ihr dabei mit Großer Zättlichkeit die Hand. Dann stieg er auf den Bock neben den Kutscher und trug ihm auf, so rasch wie Möglich nach Smiths Square zu fahren. Mit klopfendem Herzen lehnte Sybil sich in den Wagen zurück und faltete die Hände. Sie war zu auf - geregt, um zu denken; die Erlebnisse der letzten vierund- «wauzig Stunden waren so wunderbar und waren so schwindelnd rasch aufeinander gefolgt, daß fie beinahe auf •) BxilabkL d. h. eine Anklage, bei der keine Unter - suchungshaft verhängt werden kann, wenn der Angeklagte Bürgschaft zu stellen vermag. die Fähigkeit verzichten mußte, durch ihr Denken und Wollen einen Einfluß auf ihr Schicksal auszuüben. Seine Stimme war ihr in das Ohr geklungen, als fette Hand die ihrige berührte. Und der Klang dieser Stimme tönte in ihr fort, und der Druck dieser Hand hatte ihr Herz pochen gemacht Welch' zärtliche Ergeben- heit l Welch' ernste Treue I Welch' tapferer und ritter - licher Glaube! Hätte sie auf irgend einen Talisman gehencht, oder irgend einen gehorsamen Geist angerufen, ihr Befehl hätte nicht vollständiger und pünktlicher erfüllt werden können. Sie kam an den Thürmen der St. Johanniskirche vorüber, — der Kirche des Heiligen, der über ihr zu wachen schien in der Stunde der Noth. Sie nahte der Schwelle ihre- HauseS; sie erbleichte, ihr Herz bebte. Der Wagen hielt. Zitternd und furchtsam stutzte sie fich auf seinen Arm und wagte doch nicht, ihm in'S Antlitz zu blicken. Sie traten in das HauS, fie waren in dem Zimmcr, in dem er vor zwei Monaten ver - geblich vor ihr gekniet hatte, und da- gestern der Schauplatz so vieler herzerschütternden Leidenschaften ge - wesen war. Wie in einem lieblichen Traum, wenn die bezauberte Phantasie eine Zeit lang dem Sttvme entzückender Abenteuer und süßer, rührender Worte gefolgt ist, plötz - lich ein wilder Abgrund gähnt und wir dann auf irgend eine geheimnißvolle, unbegreifliche Weise uns wieder in - mitten der lieblichsten Bilder und auf dem Gipfel der Seligkeit finden — so geschah eS jetzt, daß Sybil, während Alles, was fich zugetragen, Alle«, was er ge - than, Alle-, was fie gefühlt, ihre Seele in klarer Ord - nung durchzog, sich plötzlich durch irgend einen geheim - nißvollen Vorgang, den ihr Gedächtniß sich nicht zurück- rufen konnte, an EgremontS stürmisch pochendes Herz ge- drückt fand und vor der Umarmung nicht zurückichreckte, welche bie Zärtlichkeit seiner hingebenden Liebe auSdrückte. 9. Mowbray war in großer Auftegung. ES war Sonn - abend Abend. Die Werkstätten waren geschloffen, die Nachricht von der Verhaftung der Delegirten war ein- getroffen. »DaS ist eine schöne Geschichte," sagte Stutzer Mick zu DevilSdust. „WaS denkst Du davon?" ,SS ist der Anfang vom Ende," erwiderte De- vclsdust." „J}um Teufel," rief der Stutzer aus, der den Sinn °" Bemerkung seines sehr tiefsinnigen nnd philoso- Phi scheu Freundes nicht recht verstand, aber vor ihrer orakelhaften Kürze Re'pekt hatte. ,Wrr müssen Warner sehen," fuhr DevilSdust fort, dem Moore eine Versammlung abbauen. 3$ a>iH einige Beschlüsse aufsetzen Wir müffen uns aussprechen, wir müffen die Kapitalisten in's Bockshorn ragen." Wege» Wahlfälschung hatte fich am DonrerS- tag der Bürgermeister von (Bertenbad) vor dem Land- gericht in Kaffel zu verantworten Derselbe wurde be - schuldigt, bei der Leitung der Neuwahl der Gemeinde- körperschaften in einigen Fällen absichtlich falsche Ein- Tagungen in daS Wahlprotokoll gemacht zu haben, indem er Namen der in den außerordentlichen Ausschuß ge - wählten Personen in die Listen des ständigen AuSschuffes eintrug, um so ihm zugethane Leute in den ständigen Ausschuß zu bringen Der Gerichtshof verurtheilte den Angeklagten unter Zubilligung mildernder Umstände zu einem Monat Gefängniß, während von dem Vertreter der Staatsanwaltschaft drei Monate Gefängniß beantragt worden waren In Betreff der Prüfung der Zahnärzte hat der BundeSrath entschieden, daß bte vorgefchriebene einjährige praktische Thätigkeit bei einer zahnärztlichen höheren Lehranstalt ober einem approbirten Zahnarzt außerhalb des erforderlichen zahnärztlichen StusiumS von minde - stens vier Halbjahren auf der Universität stattfinden muß. Seitenstücke znm Fall BoShardt. Die frei - sinnigen Zeitungen erheben ein entsetzliches Geschrei darüber, daß einer der Ihrigen, der Redaktör BoShardt, welcher wegen politischer Vergehen eine Gesängnißstrafe zu verbüßen bat, im Gefängniß wie ein gemeiner Ver - brecher behandelt werbe. Der Fall ist an unb für sich leider schlimm genug, allein er steht nicht vereinzelt da, sondern hat mehrere Vorgänger, wie Nachstehendes be - weist. Die „Sächs. Arbeiterztg." berichtet, daß dem sozial- demokratischen Redaktör Wittner auS Dresden, der seit einiger Zeit eine ihm wegen Majestät-beleidigung zu- bitiirte Gefängnißstrafe in Zwickau verbüßt, eine ganz ähnliche Behandlung zu Theil geworden, wie Herrn BoShardt in Ichtershausen. Nur die Brille hat man Herrn Wittner gelassen, sonst aber ist demselben Alle- da- widerfahren, was über Herrn BoShardt gemeldet wurde. Insbesondere hat man dem Gefangenen Wittner jede Selbstbefchäftigung untersagt unb ihn dazu ge - zwungen, sich an der Anfertigung von Tuchpantoffeln zu bettzeiligen. Es wirb nunmehr ber sächsische Minister de- Innern, v. Nostitz-Wallwitz, veranlaßt werben, fich zu äußern, ob es sich hier ebenso wie in Gotha nur um ein Versehen hanbelt, ober ob er al- Letter beS Ge - fängniß wesenS eine berattige Behandlung eines politischen Gefangenen wünscht. Empörender noch ist folgender Fall, den ein Jour - nalist E. F. im „Schwäb. Wochenbl." zur öffentlichen Kenntniß bringt. Derselbe schreibt: „Im Jahre 1888 wurde ich wegen Majestätsbeleidigung durch die Preffe zu 5 Monaten Gefängniß verurtheilt, wovon ich 3 Monate im Zellengefängniß Heilbronn abzubüßen hatte. AIS ich dorten eingeliefert war, wurde folgendermaßen mit mir verfahren: Der Aufseher, welcher mich einzukleiden hatte, gab mir gleich den richtigen Begriff vvn dem, waS meiner wartete, indem er mich barsch anfuhr: „wie heißt Du?", „wegen was bist Du da?", „wie lange hast Du?" u. f w. Während dieses ExaminirenS fuhr er mich an „Du Lümmel, kannst Du nicht anständig hin- stehen?" unb in höhnischem Tone fuhr er fort: „Euch naseweise Bürschle wirb man schon Eure rebellische Ge- banken vertreibe, marsch ba ’nein in's Bad." Ich klei - dete mich so rasch als möglich aus unb stieg in's Bad, aber kaum war ich im Wasser, als der Aufseher schon wieder schrie: „Schnell g'macht oder ich will Dir schon Füß' mache!" Hierauf erhielt ich den Sttäflingsanzug. Von meiner Wäsche durfte ich nicht da- geringste be- halten. Der gefaßte Anzug war braun unb weiß ge - streift, ungefähr grabe so auffällig, wie der eines Zirkus- klowns. Die Hosen waren mir zu kurz und glichen zwei unförmlichen Säcken, bie Weste konnte ich ihrer Enge wegen nicht zuknöpfen, der Kittel war mir um za. 30 Zentimeter zu weit, als Stiefel er- hielt ich zwei Futterale aus Rindsleder, welche mir fast von den Fü^en fielen. Kaum war ich angekleidet, als ich mich auf einen Stuhl setzen mußte und im Nu waren mir sämmtliche Haare mit einer Art Hunds- scheere (Haarmafchine ist der technische Ausdruck für dieses Instrument) wie abrafirt vom Kopfe geschoren. Hierauf kam ich in eine Zelle, in welcher ich bis zum anderen Morgen bleiben mußte; dieselbe war so klein, baß ein Auf- unb Abgehen unmöglich war. Das Bett war in einer derartigen Verfassung, daß ich bie ganze Nacht kein Auge schließen konnte unb das Liegen glich einer wahren Tortur Am anderen Morgen wurde ich dem Direktor vorgeführt, wo mir eine ähnliche Be - handlung, nur mit etwas mehr Höflichkeit übertüncht, zu Theil wurde, wie Tags zuvor vom Aufseher. Ich war ganz erstaunt über die Art und Weise, wie ber Direktor mit mir sprach. Er sagte z. B.: „Wie kannst Du so frech sein und den deutschen Kaiser beleidigen? wa« hast denn Du für Eitern gehabt? waren die auch so wie Du, daß fie Dich so schlecht erzogen haben?" u s w. Der Buchhalter ober Inspektor, welcher einem bie Arbeit zuweist, sagte u A wörtlich zu mir: „Mit was für Lumpen host denn Du in Stuttgart verkehrt?" Während meiner ganzen Haft wurde ich genau so wie der ge - meinste Verbrecher behandelt und mußte wie jeder andere mit dem Blechschild auf der Brust im Hof in der Kirche rc erscheinen. Wohl zu beachten ist noch, daß ich diese Behandlung in einem Gefängniß zu erdulden hatte und nicht in einem Zuchthause, wie es bei Herrn BoS - hardt der Fall ist " DaS sind liebliche Kraftstückchen au« reaktio - närer Zett AnS Sachsen, 13. April. In Bezug auf bie Aufhebung des Schulgeldes, die vor ein gen Wochen auch den sächsischen Landtag beschäftigte, ist die ordnung-parteiliche Preffe Sachsen- fort und fort be - müht, auf die Undurchführbarkeit und da- Unmoralische einer derartigen Maßnahme aufmerksam zu machen. Vor einigen Jahren verstieg sich sogar die amtliche „Leipz. Ztg." dazu, die Forderung nach Aufhebung deS Schul - gelde- al- ein „rohe- kommunistische- Schlagwort" zu bezeichnen, da- nur darauf berechnet fei, die „Mafien der Urtheil-losen in die Netze der Sozialdemokratie zu treiben" Da auch da- nationalliberale „Leipz Tagebl." sich wiederholt gegen bie Aufhebung beS Schulgelde- erklärt hat, so ist eS von Jnterefie, zu erfahren, daß bereit- vor 40 Jahren im Leipziger Stadtverordneten- Kollegium ein Anttag auf Gleichstellung aller Volks - schulen und Aufhebung des Schulgeldes gestellt wurde unb baß ber Berichterstatter der vorberathenden Kom - mission, welche die Annahme diese- Anträge- befür - wortete, kein Anderer war, al- Profefior Dr. Karl Biedermann, ber Führer der sächsischen National- liberalen. Für Baiern soll der „Franks. Ztg." zufolge demnächst auch die konttolirte Einfuhr von Rindvieh in die Schlachthöfe gestattet werden, nachdem die Zu- laffung der Schweineeinfuhr vor kkurzem angeordnkt worden ist. Lennep, 11 April. („Frkf Ztg") „Zur Beleuch- tung derArbeiterfreundlichkeit ber unteren berufsgenossenschaftlichen Organe bient folgender Fall. Ein hiesiger Arbeiter ber Tuchinbustrie erlitt im Herbst 1887 in einer Fabrik einen kleinen Unfall am Fuße, bem er jedoch keine weitere Bedeutung beimaß Die anscheinend kleine Verletzung führte zu einer ein volle- Jahr dauernden Arbeitsunfähigkeit, und jetzt erst machte dec Geschädigte Anspruch auf Entschädi - gung bei der Sektion V der Rheinisch-Westfälischen Textil-Beruf-genoffenschaft, welche ihm während be» ein - jährigen Krankseins bie volle Rente ausbezahlte, später aber den Betrag betreiben auf M. 202 h^rabsetzte. Erst die hiergegen bei bem Schiedsgerichte eingelegte Berufung hatte den Erfolg, daß die jährliche Rente mit JL 547 festgesetzt wurde." Eine am Sonntag in Gelsenkirchen abgehaltene Versammlung, an welcher über 200 abgekehrte Berg leute deS Gelsenkirchener Bezirks theilnahmen, ward polizeilich aufgelöst, und zwar in Folge einer Aeußerung des Bergmanns Brodam, daß die Zechen - verwaltungen selbst den Stteik herbeizuführen ttachteten, um die Streikenden mit Hülfe deS Militär- zur Raison zu bringen. Wien, 13. April Die durch die Exzeffe in der vorigen Woche veranlaßten polizeilichen Maßnahmen sind beute mittels Polizeierlaß wieder aufgehoben worden. Die Regierung berief die Lande-chef- ber haupt - sächlich Industrie treibenden Kronländer zur Berathung darüber ein, ob den in Staat-anstalten b e• schäftigten Arbeitern der 1. M ai als Feiertag freizugeben fei. Nach diesem Beschluß werben sich bann zahlreiche Privatetablissements richten. Beim hiesigen Magistrat als Gewerbebehörbe treffen von zahlreichen Genofienschaften unb GehülfenanSschüfien Anmeldungen für am 1. Mai abzuh.'ltende Versamm - lungen über gewerbliche Fragen ein. Der Magistrat er - wägt jetzt, unter welchen Vorsichtsmaßregeln diese Ver - sammlungen grabe an biefem kritischen Tage bewilligt werben können. Als neu ist heute zu verzeichnen, baß jetzt auch unter den Schneiberinnen der Modesalons eine Ausstandsbewegung im Zuge ist und (jerberungen bezüglich Lohnerhöhung und vitküiMNg der Arbeit-zeit eihoben werden. In den Wiener Vororten wurden antlseMitlsche Drohbriefe verbrettet weih lindert Mitglieder de- Schriftsetzer- n»v t” daben nach offiziöser ttefte»e b bn L Bewegung für die Feier M LW anzuschließen und die Herausgeber der städtisch« Zeitungen zu ersuchen, am 2 Mai keine Blätter t «cheinen zu lasten Zahlreiche Kategorieen Arbeiter in Pest hatten «er Sammlungen ab und fordern eine Reduktion der Arbest»- stunden unb Lohnerhöhungen Die Arbeiter der Stent», bahn verlangen einen Minimallohn von 2 Mb« 50 Kreuzern und Erleichterung der lrbeit