«r.  19«. 
4  Jahr,a«g. 
Lonuabeuü,  den  23.  August  1890 
Hierzu  eine  Beilage. 
vor 
bie 
sparnissen 
besaß, 
diese  Summe 
nicht 
Handelsgeschäft,  und  von  diesem  Zeitpunkte  an  begann 
‘  er  mit  einiger  Verachtung  auf  den  schlichten  Handwerker 
0 
sind, 
Die 
eine 
die 
acht- 
nur 
des 
nur  die  persönliche  Freiheit 
Sklawen  machte  und  ihre  Arbeitskraft 
ganze  alte  Ztultur  war  auf  Sklawen- 
daß 
das 
und 
Nationalliberale  Tendenz-Lügen.  — 
nationalliberale  Presse  macht  eine  Berliner 
•t. 
t 
Durch 
Kor- 
sondern  ihnen 
raubte,  sie  zu 
aus  nutzte.  Die 
arbeit  errichtet. 
Es  ist  nicht  wahr,  was  der  Liberalismus  behauptet, 
durch  die  Periode  der  freien  Konkurrenz 
Eigenthum  erst  zu  seiner  vollen  und  wahren  Freiheit 
Entwicklung  gekonimen  sei. 
Das  Stichwort  des  Liberalisnins  „unbeschränkte 
Freiheit  des  Eigenthums"  ist  die  denkbar  gröblichste  Un> 
Wahrheit.  Denn  in  ihrem  innersten  Grunde  genommen, 
beruht  die  Aufhebung  der  Monopole  und  Zünfte,  die 
Einführung  der  freien  Konkurrenz  auf  dem  Gedanken, 
daß  ein  a  u  s  s  ch  l  i  e  ß  e  n  d  e  s  Recht  auf  Gewerbebetrieb 
und  Absatz  unmöglich  P  r  i  v  a  t  e  i  g  e  n  t  h  u  m  des  Jndi- 
viduums  sein  könne.  Der  Liberalismus  aber  will  die 
Rechte,  die  er  will,  politische,  wie  das  Wahlrecht,  oder 
soziale,  wie  das  in  der  Gewerbesreiheit  liegende  Recht 
auch  für  Bethätigung  der  Arbeitskraft,  nie  für  das  Jndi- 
viduum,  sondern  immer  nur  für  das  in  besonderer 
Lage  befindliche,  so  und  so  viele  Steuern  bezahlende, 
bildet." 
Tie  dreißig  Jahre,  welche  seitdem  verfloßen 
haben  die  Wahrheit  dieser  Worte  vollauf  bestätigt, 
moderne  Kulnirbewegung  ist  nur  zu  begreifen  als 
scheioung.  Das  Leben  bei  im  Streite  Ueberwundenen 
wird  zum  „Eigenthum"  des  Siegers. 
ES  war  schon  ein  großer  Ztulturfortschritt,  als  an 
die  Stelle  des  ursprünglichen  Prinzips  der  Zerstörung 
feindlicher  Güter,  die  solche  Güter  erhaltende  Idee  und 
Praxis  der  Eroberung  trat.  Die  Menschen  hatten 
gelernt,  den  Werth  der  Erzeugnifle  menschlicher  Arbeit 
zu  schätzen.  Roch  ungleich  größer  war  der  Fortschritt, 
idaß  man  sich  des  Werthe-  des  Menschenlebens 
selbst  bewußt  wurde,  die  besiegten  und  gefangenen 
Feinde  nicht  mehr  „von  Rechtswegen"  dem  Tode  weihte, 
ihres  schönen  Gesichtchens  oder  um  ihrer  sausten  Worte 
willen  meinen  Haß  gegen  ihre  Sippschaft  a,ich  nur  für 
eine  einzige  Stunde  einschlafen  ließe!" 
respondenz  die  Runde,  in  welcher  aus  dem  Umstande, 
daß  die  deutschen  sozialdemokratischen  Blätter  die  guten 
Fortschritte,  welche  in  der  Schweiz  die  Agitation  für  den 
Z  e  h  n  st  u  n  d  e  n  -  T  a  g  macht,  als  „höchst  erfreu, 
l  i  ch  c  Erscheinung"  preisen,  gefolgert  wird:  man 
scheine  in  den  sozialdemokratischen  Kreisen  „doch  allmälig 
zur  Einsicht  zu  kornmen.  daß  Deutschland  für  den  Acht- 
stunden  tag  noch  nicht  reif  ist."  Dem  wird  hinzu- 
gefügt:  „Man  wird  das  Streben  mancher  Arbeiter- 
kategoricn  in  der  Schweiz,  wo  ja  der  elfstündige  Normal 
um  von 
uleihen. 
unerläßlich  anzusehen  Pflegt.  Selbst  mit  alledem  hätte  ich 
vielleicht  noch  nicht  einmal  gereicht,  wenn  nicht  meine 
kleine  —  wenn  nicht  das  kleine  Mädchen  aus  seiner 
Sparbüchse  nachgehoßen  hätte.  So  wurde  der  Maxe! 
erlöst,  und  grade,  als  ob  er  gewußt  hätte,  wie  ich  um 
seinetwillen  eine  gute  Weile  hungern  und  frieren  mußte, 
schenkte  er  mir  von  der  Stunde  an  Alles,  was  sein 
Hundegemüth  an  Liebe  und  Zärtlichkeit  ausbieten  konnte. 
Das  kleine  Mädchen  konnte  ihn  nicht  behalten,  denn  cs 
kam  in  eine  Pension,  in  die  mau  natürlich  feilte  Hunde 
mitbringen  durfte,  und  so  mußte  ich  mich  denn  schon 
seiner  annehmen,  so  gut  c5  eben  ging 
Seitdem  hat  er  alle  Wechselfälle  des  Schicksals  mit 
mir  durchgemacht,  bis  jüngst  eine  Zeit  kam,  in  der  ich 
Der  kilt»rhiK»rische  ßeiig  6er 
UchtmtMlnz. 
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dem  Siege  der  Anschauung,  daß  der  öffentliche  Wille 
einer  Nation  nicht  Eigenthum  einer  regieren -
den  Familie  sein  könne.  Ties  wurde  zuerst  in 
Frankreich  erreicht,  nicht  nur  in  den  Prinzipien 
der  französischen  Revolution,  sondern  auch  in  der  Wirk- 
lichkeit.  Ties  zeigt  sich  daran,  daß  seit  hundert  Jahren 
keine  Familie  mehr  in  Frankreich  eine  Dynastie  bilden 
•)  Der  bekannte  Großindustrielle  „König  Stumm" 
ahmt  dieses  Herrenrecht  in  unsern  Tagen  nach. 
O  In  seinem  auf  tiefgehendster  wiffenschastlicher  I 
Forschung  beruhenden  Werke  „Das  System  der  erworbe-I 
neu  Rechte"  hat  Ferd.  Laffalle  dem  Gedanken  Ausdruck 
gegeben,  daß  im  Allgemeinen  der  kulturhistorische  Gang 
aller  Rechtsgeschichte  eben  oar'n  besteht,  immer  mehr 
die  E  i  g  e  n  th  u  m  s  sp  h  ä  r  e  des  Privatindi- 
viduumS  zu  beschränken,  immer  mehr  Objekte 
außerhalb  deS  Privateigenthums  zu  setzen. 
Die  ganze  Kulturgeschichte  hat  die  Eigenthums- 
frage  zum  Inhalt  —  und  der  Streit  um  das 
Mein  und  Tein  macht  die  ganze  Weltgeschichte  aus. 
Alle  wahrhafte  Weltgeschichte  kann  demnach  nur  als 
R  e  ch  t  s.h  i  st  0  r  i  e,  vom  k  ulturhistorischen  Stand- 
Punkt.-  aus  geschrieben,  sein.  Für  solche  wahrhaftige 
Geschichtschreibung  existiren  erst  geringe  Anfänge.  Aber 
diese  Anfänge  werden  unter  dem  Einfluß  der  gewaltigen 
sozialen  Bewegung,  welche  alle  Kulturvölker  ergriffen 
hat  und  beständig  wächst  und  sich  vertieft,  bald  zu  einem 
wisienschaftUchen  System  gelangen,  welches  für  die  Ge- 
schichlfchreibung  der  Folgezeit  maßgebend  sein  wird  Und 
dabei  werden  die  rechtswissenschastlichen  Leistungen 
Lafialles  keine  untergeordnete  Rolle  spielen.  Er  traf  den 
Kern  der  modernen  großen  Kulturbewegung,  indem  er 
auf  die  Frage:  „Da-  ist  es,  daS  den  innersten  Grund 
unserer  politischen  und  sozialen  Kämpfe  bildet?"  die 
Antwort  gab:  „Der  Begriff  des  erworbenen 
Rechtes  ist  wieder  einmal  streitig  gewor- 
den  —  und  dieser  Streit  ist  es,  der  daS  Herz  der 
heutigen  Welt  durchzittert  und  die  tiefinwendigste  Grund- 
läge  der  politisch-sozialen  Kämpfe  des  Jahrhunderts 
mit  Kapital  ausgerüstete  Individuum,  also  immer 
für  den  Besondern.  Ein  faktisches  Borrecht 
Besitzes  beherrscht  das  politische  und  soziale  Leben. 
In  politischer  Hinsicht  steht  Europa  gegenwärtig 
vom  Rande  deS  Abgrundes  zurückriß  und  ihm  die  Mög- 
lichkeit  gewährte,  wenigstens  die  unmittelbaren  Folgen 
seines  Leichtsinnes  abzuwenden.  Eine  völlige  Rettung 
suchte  und  fand  er  auf  einem  anderen  Wege.  Er  per- 
hcirathete  sich  mit  der  Tochter  eines  sehr  wohlhabenden 
Rentier-,  den  er  in  den  Glauben  zu  versetzen  wußte, 
daß  seine  Bcrhältniffe  bcstgeordncte  seien,  und  es  machte 
ihtn  dabei  sehr  wenig  Bedenben,  daß  er  ein  licbenswür- 
diges,  aber  armes  Mädchen,  mit  dem  er  sich  schon  vor 
Jahren  heimlich  verlobt  hatte,  auf  das  Schmählichste  im 
Stiche  lassen  mußte.  Als  sein  Schwiegervater  davon 
erfuhr,  war  die  Hochzeit  bereits  vorüber  und  er  mußte 
sich  damit  ebensowohl  zufrieden  geben,  wie  mit  der 
bitteren  Nothwendigkeit,  seinen  Schwiegersohn  durch  Dar -
bringung  sehr  bedeutender  Geldopfer  wieder  flott  zn 
machen  und  vor  dem  Bankerott  zu  bewahren.  Um  diese 
Zeit  erhielt  auch  Sebald  die  geliehene  Summe  zurück  — 
mit  einer  einzigen  Zeile  kühlen  Tankes.  ÄlS  ab« 
einige  Wochen  später  der  Handwerker  dem  jungen  E^- 
paar  auf  der  Straße  begegnete,  da  gab  es  von  Seiten 
Nehlsens  eine  sehr  verlegene  Begrüßung  und  wenige  h«. 
ablassende  Worte,  die  das  Ehrgefühl  Sebalds  auf  das 
Tiefste  verletzten.  Monate  lang  sahen  und  hörten  die 
ehemaligen  Freunde  nichts  mehr  von  einand«. 
Da  geschah  eines  Tages  in  Meister  Sebalds  Hause 
ein  großes  Unglück.  Er  »«letzte  sich  an  einem  fi^rfen 
herabzusehen,  den  er  früher  seinen  Freund  genannt,  und 
dessen  Gefälligkeit  er  oft  genug  in  Anspruch  genommen 
hatte.  Er  gab  jeden  Berkehr  mit  ihm  auf  und  er  hielt 
ihn  bei  einer  zufälligen  Begegnung  auf  der  Straße  kaum 
eines  Grußes  würdig  Desto  größer  mußte  Sebalds 
llebcmifctiing  sein,  als  Nehlsen  eines  Tage-  mit  allen 
Anzeichen  der  Erregung  in  seine  Werkstatt  stürzte  und  um 
eine  Unterredung  unter  vier  Augen  bat.  Er  war  durch 
waghalsige  Spekulationen  in  solche  Bedrängniß  gerathen, 
daß  nicht  nur  seine  kaufmännische  Existenz,  sondern  auch 
seine  Ehre  auf  dem  Spiele  stand,  wenn  es  ihm  nicht  ge -
lingen  würde,  schleunigst  den  zur  Deckung  einer  bringen» 
den  Verpflichtung  erforderlichen  Betrag  aufzutreiben.  Da 
er  sich  natürltch  keinem  seiner  Geschäftsfreunde  entdecken 
durfte,  wenn  nicht  Alles  über  ihn  zusammenbrechen 
sollte,  so  hatte  er  sich  in  der  letzten  Noth  des  ehemaligen 
Spielgenossen  erinnert,  der,  wie  er  wußte,  in  geordneten 
Verhältnissen  lebte,  und  flehte  ihn  nun  um  Gotteowillen  um 
Rettung  an.  Sebald,  der  noch  kinderlos  war,  bedachte 
sich  nicht  lange.  Er  ließ  Nehlsen  seinen  Hochmuth  nicht 
Das  Eigenthumsrecht  von  Sklawen  erhielt  sich  lange 
zunächst  in  unbedingter  Weise,  wonach  selbst  das 
Leben  des  SNawen  in  des  Herren  Hand  lag,  später  in 
bedingter  Weise. 
Auch  das  Eheweib  war  Eigenthum  des 
Mannes,  es  wurde  wie  eine  leblose  Sache  gekauft;  die 
Kinder  waren  Eigenthum  des  Vaters,  der  sie  nach 
der  Strenge  des  alten  Rechts  tödten  konnte.  Der 
Schuldner  wurde  mit  Freiheit,  Leib  und  Leben  Eigen, 
t  h  u  m  des  Gläubiger-.  Lange  Zeit  war  Jeder  selbst 
Rtchter,  ausgerüstet  mit  dem  Rechte  der  Selbsthülse,  so 
insbesondere  dem  der  Blutrache. 
Tas  Recht  der  Eigenthumsversügung  war 
selbst  der  Familie  gegenüber  das  unbeschränkte  voll- 
ständiger  Enterbung 
Schritt  vor  Schritt  unter  harten  Kämpfen  sehen  wir 
im  Laufe  der  geschichtlichen  Entwicklung  die  Privat -
willkür  eingeschränkt,  die  Eigenthumsbegriffe  und  damit 
auch  das  Recht  modifizirt  werden. 
Die  allmälig  entstehenden  Gesetze,  welche  die  In -
stitution  der  Sklawerei  regelten,  dem  Sklawen  bestimmten 
Schutz  gewährten  und  Bedingungen  für  seine  Freilassung 
.aufstellten;  ferner  alle  die  Gesetze,  welche  da-  Schuld- 
I  und  Abgabewesen  ordneten,  die  Gesetze  über  Pflichttheile 
;  bet  Vermächtnissen  und  Schenkungen,  die  Gesetze  über 
Zinsfuß  und  Wucher,  die  Ackergesetze  im  alten  Rom,  die 
mosaischen  Gesetze,  wie  die  des  Lykurg  und 
Solon  rc.  rc.,  sind  ebenso  viele  Beschränkungen  und 
Aufhebungen  von  Eigenthumsrechten. 
Die  Sklawerei  mildert  sich  zur  Leibeigen -
schaft;  das  Eigenthumsrecht  an  dem  Leben  des 
Men'chen  vermindert  sich  zu  einem  Eigenthum  an  seiner 
lebenslänglichen  Arbeitskraft,  zu  einem  Recht  auf 
lebenslängliche  und  totale  Ausnutzung  deffelben. 
!  Die  Leibeigenschaft  wieder  vermindert  sich  zur 
Hörigkeit  in  verschiedenen  Abstufungen,  das  heißt, 
das  Eigenthumsrecht  an  der  totalen  Arbeitskraft  des 
Andern  fällt  fort  und  mindert  sich  zu  einem  Eigenthums- 
recht  an  einer  bestimmten  A  r  t  der  Ausnutzung  des 
Hörigen  und  an  einem  bestimmten  Theile  seiner 
Arbeitskraft  und  Zeit,  so  daß  er  also  auch  für  sich 
erwerben  kann.  Da  ist  genau  vorgeschrieben, 
welcher  Frohiidienste  und  Leistungen  der  hörige  Bauer 
und  Handwerker  schuldig  ist  „seinem  gnädigsten  Herrn" 
und  zu  w  e  l  ch  e  n  Z  e  i  t  e  n  der  Woche,  des  Monat- 
oder  des  Jahres  dieselben  zu  vollbringen  sind. 
Das  berüchtigte  jus  primae  noctis  (das  „Recht 
der  ersten  Nacht")  ist  schon  die  Aufhebung  des  b  e  • 
ständigen  Eigenthumsrechts  an  dem  Leib  der  Sklawin 
und  die  Beschränkung  deffelben  auf  ihre  Jungfrauen- 
blüthe. 
I  Das  Mittelalter  ist  eben  die  Periode,  wo,  ohne 
I  daß  Sklawerei  mehr  vorhanden  ist,  „der  menschliche 
IWil  le  nach  allen  seinen  drei  Momenten  (Allgemeinheit, 
I  Einzelheit,  Besonderheit)  als  P  r  i  v  a  t  e  i  g  e  n  t  h  u  m 
«gesetzt  werden  kann".*)  Der  öffentliche  Wille  ist  in 
«seinen  verschiedensten  Abstufungen  als  Privateigen. 
Ithum  vorhanden;  die  an  den  Grundbesitz  geknüpften 
*)  Lassalle,  „System  der  erroorb  Rechte"  I.  S.261 
solche,  welche  die  Herrschaft  des  höheren  unbj 
besseren  Eigenthumsbegriffes  zum  Ziele 
hat.  Das  ist  die  nothwendige  Konsequenz  der  Thatsache, 
daß  alles  Recht  im  Eigenthumsbegriffe  seine  Quelle  und 
seine  Wurzel  hat. 
Werfen  wir  einen  Blick  auf  den  Kulturgang  der 
Rechtsentwicklung.  Er  beginnt  in  jenem  sagenumwobenen 
Menschheitsalt«,  welches  kulturhistorisch  als  das  der 
Alleinherrschaft  des  Selbsterhaltungs. 
t  r  i  e  b  e  s  bezeichnet  werden  muß.  Als  das  Eigenthum 
keines  und  aller  Menschen  lag  die  weite  Erde  mit  ihren 
Schätzen  da.  Die  Menschen  nahmen  davon,  soweit  sie 
Lust  hatten,  und  wo  sie  bei  diesem  Geschäft  des  Besitz- 
ergreifend  mit  Anderen  zusammenstießen,  da  entstand 
Kamps  und  der  Sieger  nahm  sich  das  „Recht". 
Es  ist  natürlich,  daß  der  Mensch  am  Anfang  der 
Geschichte,  wie  das  Kind  noch  heute,  nach  Allem  seine 
Hände  ausstreckt,  Alles  als  sein  betrachtet  und  keine 
Grenze  kennt  für  den  Umfang  seiner  Privatwillkür  Erst 
svät  und  in  immer  vorschreitendem  Maße  lernt  er  die- 
selben  finden.  Ter  Fetischdiener  zerbricht  noch  seine 
Ideale,  wenn  sie  ihm  den  Willen  nicht  erfüllen  und  be- 
handelt  so  selbst  seine  Götter  als  sein  Eigenthum. 
Die  Verallgemeinerung  bestimmter  Gottheitsvorstellungen 
brachte  eS  mit  sich,  daß  frühe  schon  die  „sacra“, 
die  dem  Gottesdienste  geweihten  Heiligthümer,  als  g  e  • 
m  eins  a  m  c  s  Eigenthum  der  Privatwillkür  entzogen 
wurden.  So  entstanden  Stammes-  und  BolkSreligionen. 
Aber  noch  lange  blieb  d«  Mensch  s  e  l  b  st  Eigen- 
thumsgegcnstand  des  anderen  Menschen.  Zuerst  nahm 
der  Sieger  im  Daseins-  und  Jnteressenkampfe  sich  das 
„Recht",  den  überwundenen  Gegner  und  sein  Gut  zu 
vernichten.  Da-  war  in  d«  ersten  Periode  dieses 
Kampfe-  regelmäßig  die  Folge  der  sozialen  Streiteiit- 
Alles  von  mir  zu  entfernen  wünschte,  was  mich  an  jenes 
kleine  Mädchen  erinnern  konnte.  Es  wurde  mir  zwar 
schwer,  mich  von  dem  Maxel  zu  trennen;  aber  ich  hatte 
noch  viel  Schwereres  durchmachen  müssen,  und  mein 
Herz  war  abgestumpft  gegen  ein  so  geringfügiges 
Weh  Ich  schenkte  ihn  also  einem  Bekannten 
—  am  nächsten  Morgen  lag  er  wieder  vor 
meiner  Thür.  Ich  ließ  ihn  abermals  hintragen,  aber 
er  kehrte  nichtsdestoweniger  zurück,  und  der  Bekannte 
verzichtete  auf  seinen  Besitz.  Meine  Schwester  hielt  sich 
damals  an  einem  fünfzehn  Meilen  entfernten  Orte  auf. 
Ich  besuchte  sie,  um  sie  in  ihrem  schweren  Leid  zu  tröst  «’n 
oder  Trost  bei  ihr  zu  holen,  und  nahm  den  Maxel  mit, 
um  ihm  das  Heimkommen  zu  verleiden  Es  fand  sich 
auch  Einer,  der  ihn  behalten  wollte,  und  ich  kehrte  ohne 
den  Hund  zurück.  Aber  eine  Woche  später,  als  ich  im 
Dunkeln  nach  Hause  komme,  springt  Etwas  an  mir  in 
die  Höhe  und  ich  fühle  eine  heiße  Zunge  an  meiner 
Hand.  Nach  diesem  Spntng  aber  fiel  er  hin  und  lag 
regungslos  da  wie  ein  Kadaver.  Er  hatte  die  fünfzehn 
Meilen  augenscheinlich  ohne  Unterbrechung  zurückgelegt, 
denn  er  war  mit  dem  Schmutz  der  Landstraße  bedeckt 
und  abgemagert  bis  auf  die  Knochen.  Nun,  da  hatte  ich 
ja  wahrhaftig  schlimmer  sein  müssen,  als  sein  erster  Herr, 
wenn  mich  das  nicht  batte  rühren  sollen.  Ich  behielt  ihn, 
und  nun  werden  wir  uns  sicherlich  nicht  früher  trennen, 
als  bis  es  mit  Einem  von  uns  Beiden  zu  Ende  geht.  — 
Aber  wie  lächerlich  ist  es,  daß  ich  Ihnen  da  eine  lange 
Geschichte  erzähle,  die  am  Ende  Niemanden  interessiren 
saun,  als  allenfalls  den  Maxel  selbst!" 
„Nicht  doch,  Herr  Sebald,  ich  habe  Ihnen  mit  Ber -
gungen  zugehört.  Und  wollen  Sie  mir  nun  auch  eine 
Frage  —  eine  unbescheidene  Frage  vielleicht  —  gestatten, 
ohne  böse  zu  werden?" 
Hermann  nickte  stumm,  ohne  ihn  anzusehen. 
„War  jenes  kleine  Mädchen  Fräulein  —  Fräulein 
Lissy  Nehlsen?" 
„Warum  fragen  Sie  denn  danach?  Ich  bin  nicht 
gern  an  jene  thörichte,  vergessene  Zeit  erinnert,  lieber 
Asmus." 
„Ich  frage  darnach,  weil  ich  Sie  bitten  möchte, 
einen  Groll  abzulegen,  der  dem  besten,  edelsten  Wesen 
Kummer  bereitet.  Sie  mögen  einen  Grnnd  haben,  Lud -
wig  Nehlsen  z»  hassen,  aber  Sie  haben  sicherlich  feinen, 
diesen  Haß  auch  auf  seine  Tochter  zu  übertragen,  und 
Sie  thun  'hr  weh  mit  diesem  ungerechten  Groll." 
Ter  junge  Werfführer  staub  hastig  auf  und  trat 
an's  Fenster. 
„Ich  zweifle  nicht,  daß  Sie's  gut  meinen,  mein 
Freund,"  sagte  er  nach  einem  kurzen  Schweigen,  „aber 
Sie  sollten  grabe  diesen  Gegenstand  fallen  lassen!  — 
Sie  irren  sich  sehr,  wenn  Sie  glauben,  daß  ich  einen 
schien;  aber  der  Bursche  hatte  kaum  gemerkt,  daß  es  mir 
einigermaßen  Ernst  sei  um  die  Sache,  als  er  eine 
lächerlich  hohe  Summe  forderte,  eine  Summe, 
fötidjkt. 
Roman  von  Ferdinand  Hermann. 
für  mich  yleichbedenteitd  !v(n -  mit  einem 
tägigen  Verzicht  auf  ein  warmes  Mittagessen  und 
auf  v'ele  andere  Tinge,  die  man  sonst  als  zum  Leben 
Souveränetät-rechte  als  Privilegien  der  ver- 
chiedenen  Stände  und  Klaffen  machen  sich  geltend; 
öffentliche  Aemter  werden  erworben  durch  Erbschaft  und 
Kaus  zwecks  der  Ausbeutung  nach  Eigenthumsrechten. 
Fürsten  tefhren  beliebig  über  die  Erbfolge  in  der  Regie -
rung  ihrer  Länder.  Die  Kirche  erwirbt  durch  Schenkung, 
Betrug  und  Gewalt  riesigen  Besitz  und  Heere  von  Leib -
eigenen  und  Hörigen  und  der  „Statthalter  GotteS  auf 
Erden",  der  Papst,  geriet  sich  al-  Oberverwalter  „alles 
Eigenthums  im  Himmel  und  auf  Erden". 
Auch  der  persönliche  Wille  als  Privat- 
ei  g  e  n  t  h  u  m  ist  da,  in  der  persönlichen  Un -
freiheit  in  allen  ihren  Abstufungen  der  Leibeigenschaft 
und  Hörigkeit;  ja  selbst  die  beliebige  Freiheit  der  Ber- 
heirathung  ist  in  vielen  Fällen  noch  in  das  Eigenthum 
des  „Herrn"  gesetzt.*) 
Drittens  endlich  ist,  und  zwar  bei  dem  Freien, 
die  Besonderheit  des  Willens  da,  welcher  in 
der  M  0  n  0  p  0  l  -  und  Zunftordnung,  der  Ban  m 
und  Zwangsgerechtigkeiten  u  s  w.  als  Privat' 
eigenthum  gesetzt  wird. 
Daß  der  menschliche  Wille  zum  Eigenthum 
geworden,  das  grade  ist  es,  waS  in  rechtsphiloso- 
p  h  i  s  ch  e  r  Hinsicht  das  Mittelalter  karakterisirt.  Und 
die  französische  Revolution  ist  nichts  anderes,  als  die 
Aufhebung  des  Privateigeuthums  an  den  drei 
Momenten  des  menschlichen  Willens,  wie  jeder  große 
Kulturfortschritt  stets  in  einer  Verminderung  des  Eigen- 
thumsumfangeS  besteht. 
Man  pflegt  die  gegenwärtige  Periode  als  diejenige 
des  Individualismus,  der  „freien  P  e  r  s  ö  n- 
lichkeit"  zu  bezeichnen  und  diese  Bezeichnung  als 
den  Sarafter  des  Liberalismus  zu  denken.  Nichts 
ist  so  durchaus  unrichtig,  als  dieses.  Wahrer 
Individualismus,  als  welchen  wir  den  Sozia -
lismus  aufzufassen  haben,  verhalt  sich  sehr  antagonistisch 
nicht  nur  gegen  die  bestehenden  Einrichtungen,  sondern 
auch  gegen  die  Tendenzen  unseres  sogenannten  L  i  b  e  • 
ralismuS,  wie  das  schon  Joh.  Gottl.  Fichte  im 
Anfänge  dieses  Jahrhunderts  dokumentirt  hat.  Die 
tiefer  gehenden  Strömungen  unserer  Zeit  richten  sich 
nicht  gegen  das  Moment  des  Individuellen, 
sondern  gegen  die  aus  dem  Mittelalter  herübergebrachte 
Besonderheit. 
konnte;  ferner  baran,  daß  auch  unterdrü  ckende 
He«lcher  daselbst,  wie  Napoleon  HI.,  gezwungen 
waren,  sich  auf  die  Volk-wahl  statt  auf  ein  (Eigen* 
thumSrecht  al-  den  Titel  ihrer  Stellung  zu  berufen. 
„Will  da-  französische  Volk  die  Wiederherstellung  der 
Kaiserlichen  Würde  in  bet  Perlon  LouiS  Napoleon 
Bonapartes?"  —  so  lautete  bie  Frage,  welche  da-  fron- 
zösische  Volk  1852  durch  förmliche  Abstimmung  zu  ent- 
scheiden  hatte  und  zu  feinem  Unheil  mit  „Ja"  beanb 
wartete. 
Viktor  Emanuel  übernahm  „durch  den  Killen  deS 
Volkes",  bezw.  der  Volksvertretung  auf  Grund  de-  Ge 
setze-  vom  17.  Mürz  1861,  bie  italienische  König-krone 
und  einige  Jahre  später  wählte  da-  spanische  Parla -
ment  einen  König. 
Mehr  und  mehr  bricht  das  Prinzip  sich  Bahn,  daß 
der  öffentliche  Wille  einer  Nation  nicht  Eigenthum  einer 
regierenden  Familie  sein  könne;  das  Nationali- 
t  ä  t  s  p  r  i  n  z  i  p  will  in  seine  Eigenthum-rechte 
treten.  — 
In  sozialer  Beziehung  steht  die  Welt  vor  der  Frage: 
ob  heute,  wo  es  fein  Eigenthum  an  der  unmittelbaren 
Benutzbarkeit  eines  andern  Menschen  mehr  giebt,  ein 
solches  auf  seine  mittelbare  Ausbeutung  exi stiren 
solle,  d  h  :  ob  die  freie  Bethätigung  und  Entwicklung 
der  eignen  Arbeitskraft  ausschließliche-  Eigenthum  des 
Besitzers  von  Arbeitssubstrat  und  Arbeitsvorschuß 
(Kapital)  sein  und  es  folgeweise  dem  Unternehmer  als 
solchem,  und  abgesehen  von  der  Bezahlung  seiner  etwaigen 
geistigen  Arbeit,  ein  Eigenthum  an  fremdem 
Arbeitswerth  (Kapitalprofit,  Kapitalprämie)  zustehen 
solle.  Gegenüber  diesem  erworbenen  Rechte  will  das 
Recht  der  Arbeit  auf  den  Arbeitsertrag,  unter 
Beseitigung  der  Abhängigkeit  d«  Arbeit  vom  Kapital, 
in  Geltung  treten. 
Die  Arbeit  will  sich  e  m  a  n  z  i  p  i  r  e  n.  Tiefe- 
Wort  „emanzipiren",  welche-  mau  letzt  in  einem  ver- 
roorrenen  Sinne  auf  jedes  Freiheitsbestreben  anzuwenden 
pflegt,  ist  grade  dann  ganz  zutreffend,  wenn  man  es  in 
Bezug  auf  den  Karafter  der  sozialen  Bewegung  unserer 
Zeit  in  seinem  ursprünglich  strengen  Sinne  auffaßt: 
„e  mancipio"  außer  dem  Eigenthum  er- 
klären.  Dahin  geht  der  Kulturgang  der  Rechts- 
entwlcklung,  daß  die  Herrschaft  der  privaten  Besitzüber- 
macht  über  die  Arbeit  aufgehoben  werde. 
Die  Entwicklung  der  menschlichen  Freiheit  duldet  auf 
die  Dauer  nicht  die  Grenzen,  welche  die  individuelle 
Willkür  ihr  auf  ökonomischem  Gebiete  gesetzt  hat.  Und 
möge  diese  Willkür  sich  noch  so  schr  aus  ihr  „Recht"  be -
rufen,  —  es  hat  noch  nie  ein  erworbenes  Recht  von 
ewiger  Tauer  gegeben,  es  giebt  gegenwärtig  fein  solches, 
wie  es  niemals  in  aller  Zukunft  eines  geben  wird.  Ter 
Weg  der  Geschichte  geht  über  zerstörte  erworbene  Rechte, 
denn  —  wie  Professor  v.  I  h  e  r  i  n  g  so  treffend  sagt  — 
„das  Recht  ist  ein  Saturn,  der  seine  eigenen  Kinder  ver -
speist".  Das  Recht  sann  sich  nur  dadurch  verjüngen, 
daß  es  mit  seiner  eigenen  Vergangenheit  anfrSumt.  Tie 
Idee  des  Rechtes  ist  ewiges  Werden;  das  Gewordene 
aber  muß  beut  neuen  Werden  weichen.  Tas  ist  der  tiefe 
Sinn  des  Dichterwortes: 
„Alles  was  entsteht, 
Ist  werth,  daß  es  zu  Grunde  geht."  — 
Mit  den  glühendsten  Dankesver-sich«ungen 
nahm  Nehlsen  das  Geld  entgegen,  das  ihn  in  Wahrheit 
ausreichte,  machte  er  sich  selbst  auf  den  Weg, 
seinen  Bekannten  den  Rest  zusammen- 
Es  wurde  leise  an  die  Thür  des  Zimmers  geklopft, 
und  er  brach  hastig  ab.  Marianne  war  heranfgekommen, 
nm  mitzutheilen,  daß  das  Miktagessen  fertig  sei.  Sie 
hatte  doch  wohl  die  letzten  Worte  ihres  Bruders  noch 
vernommen;  denn  sie  sah  ihn  ernst,  ja  beinahe  per- 
weisend  an,  und  es  wurde  ihm  sichtlich  schwer,  den 
ruhigen,  freundlich  heiteren  Ton  wieder  zu  finden, 
welcher  Gerhard  vorhin  so  wohlthuend  berührt  hatte. 
Es  war  eine  stille  Mahlzeit,  und  der  gelbe  Kauarien- 
Vogel  blickte  mit  seinen  fingen,  runden  Aenglein  schier 
verwundert  auf  die  brei  Menschenkinder,  die  trotz  all 
seines  herausfordernden  Zwitscherns  so  ernst  und  wort- 
karg  bei  einander  faßen. 
Als  endlich  Niemand  mehr  zum  Essen  Neigung  zeigte 
und  Marianne  Geschirr  und  Tischtuch  wieder  entfernt 
hatte,  sagte  Hermann  mit  einem  bitteren  Lächeln: 
„Sie  sehen,  Freund  Asmus,  wir  sind  eine  trübselige 
Gesellschaft  und  verstehen  uns  herzlich  schlecht  auf  die 
Zerstreuung  unserer  Gäste.  Ist  man  erst  einmal,  wie 
wir,  halbwegs  ans  der  menschlichen  Gemeinschaft  ansge- 
stoßen,  so  verlernt  man  nur  zu  rasch  alle  ihre  Gewöhn- 
beiten." 
„Du  thust  Unrecht,  Hermann,  zu  Herrn  Asmus  in 
solchem  Ton  zu  sprechen,"  unterbrach'  ihn  Marianne. 
„Bor  Allem  hat  er  ein  Recht  darauf,  die  ganze  Ge -
schichte  unseres  Unglücks  zu  hören  und  damit  hättest 
Tu  eigentlich  den  Anfang  machen  sollen.  Er  wird  dann 
selbst  am  Besten  beurtheilen  können,  wie  viel  Theilnahme 
ober  wie  viel  Verachtung  er  uns  zuzuwenden  hat." 
Obwohl  bie  Eut'cheibung  über  bieten  letztem  Punkt 
cigeniiid)  schon  in  dem  warmen  Blick  zu  lesen  war, 
welchen  Gerhard  auf  das  junge  Mädchen  richtete,  gab 
Hermann  doch  feiner  Schwester  Recht  und  erzählte  in 
kurzen  Worten  die  kleine  traurige  Geschickte  ihres  zerrüt -
teten  FamilienglückS. 
Sie  war  in  ihrem  äußeren  Verlaufe  einfach  genug. 
Ihr  Vater  war  von  bescheidener  Herkunft  gewesen, 
von  ebenso  bescheidener  als  Ludwig  Nehlsen,  der  Nach- 
barsohn,  mit  dem  er  in  engster  >inabensreundschaft  aus -
gewachsen  war.  Während  Nehlsen  zu  einem  Krämer  in 
die  Lehre  kam,  wurde  Sebald  einem  Handwerker  über -
geben,  und  weiln  sie  jetzt  auch  seltener  zusammen  kommen 
konnten,  so  blieb  ihre  Freundschaft  doch  unverändert  be -
stehen.  Sebald  mar  fleißig  und  geschickt,  und  als  er 
nach  beendeter  Lehrzeit  einige  Fahre  in  seinem  Hand- 
werk  gearbeitet  hatte,  waren  seine  Erioaruisse  groß  genug, 
daß  er  daran  denken  konnte,  sich  einen  eigenen  Herd 
zu  gründen.  Fast  zu  der  nümtichenZeit  begründete  auch 
Ludwig  Nehlsen  in  Gemeinschaft  mit  einem  Anderen, 
welcher  bie  Mittel  dazu  hergegeben  hatte,  ein  kleines 
entgelten,  sondern  übergab  ihm  Alle-,  was  er  an  Er ¬ 
sparnissen  besaß,  und  da  diese  Summe  1 
Nachdruck  verboten. 
(13.  Sortierung) 
Dieses  kleine  Mädchen  nun  vernahm  allabendlich 
von  seinem  Schlafzimmer  aus  das  klägliche  Gewinsel 
des  HundeS,  der  offenbar  auf  das  Aergste  mißhandelt 
wurde.  Es  mußte  jedenfalls  irgenbtuo  in  ber  nächsten 
Nachbarschaft  geschehen,  aber  es  stießen  da  so  viele 
Hinterhäuser  an  einander,  daß  es  nicht  leicht  war, 
den  eigentlichen  Ursprung  der  jammervollen  Töne 
feftzuftellen  Dem  kleinen  Mädchen  aber,  das  schließ- 
iich  aus  Mitleid  mit  dem  armen,  gequälten  Thier 
gar  nicht  mehr  einzufcklafen  vermochte,  lag  unendlich 
v  el  daran,  seinem  traurigen  Schicksal  ein  Ende  zu 
machen,  und  so  erhielt  ich  den  Auftrag,  den  Aufenthalt 
des  Hundes  ausfindig  zu  machen.  Ich  brauchte,  wie 
schon  gesagt,  eine  volle  Woche  bafiu,  und  ich  mußte  mir 
sehr  viele  Grobheiten  und  auch  manche  Spötterei  gefallen 
lassen,  bis  ich  endlich  am  Ziele  war.  Ter  Hund  gehörte 
einem  herabgekommenen  Tnmkenbold,  dem  es  durch  die 
zwanzigjährige  Gewohnheit,  beim  Nachhausekommen  fein 
Weib  zu  prügeln,  so  sehr  zum  Bedürfniß  geworden  war, 
fein«  gewaltthätigen  Stimmung  Ausdruck  zu  geben,  daß 
er  sich  nach  dem  Tobe  seiner  Ehehälfte  bett  armen  Hund 
nur  zn  diesem  Zweck  angeschafft  zu  haben  schien.  Ich 
versuchte,  ihm  das  Thier  für  einen  Preis  abzuhandetn, 
der  mir  bei  meinen  Kassenverhältnissen  unerschwinglich 
arbeüStag  ein^eführt  ist,  ans  Herabsetzung  der  Arbeit-- 
bauer  auf  10  etuuben  für  wohlberechtigt,  ihre  Forderung 
für  keine  unmäßige  erachten.  In  der  Schweiz  sind  ab« 
auch  bie  Arbeit«  praktische  Leute,  selbst  wenn  sie 
Sozialdemokraten  sind,  (Hl)  und  vor  Allem 
stehen  an  der  Spitze  b«  Arbeiterbewegung  in  den  ein» 
Seinen  Gewerken  wirkliche  Arbeiter,  die  sich  nicht  von 
utopistischen  Wünschen  leiten  lassen,  sondern  zunächst  da -
wirklich  Erreichbare  erstreben.  DaS  Unglück  der  Arbeit«, 
beroegung  bei  unS  ist  aber,  daß  sich  an  die  Spitze  der- 
selben  Leute  stellen,  die  nicht  aus  dem  Gewerk  hervor- 
gegangen  sind,  nicht  dessen  wahre  Bedürfniffe,  besten 
wahre  Lage  kennen  und  daher  auch  nicht  zu  beurtheilen 
vermögen,  ob  die  ausgestellten  Forderungen  durckzuseden 
und  zu  ersüllen  sind,  sondern  Leute,  bie  lediglich  0« 
Agitation  leben,  deren  Gewerbe  die  systematische  Auf- 
hetzung  der  Arbeiter  gegen  ihre  Arbeitgeb«  ist.  Aut 
diesem  Grunde  ist  denn  auch  d«  vorjährige  Berlin« 
Ausstand  der  Bauarbeiter,  wie  der  diesjährige  in  Ham -
burg  gescheitert.  Die  Forderung  einer  neunstündigen 
Arbeitszeit  für  diese  Gewerke  war  unverständig  und  den 
thatsächlichen  Verhältnisten  nicht  entsprechend  und  mußte 
den  energischen  Widerspruch  b«  Unternehmer  heran-- 
fordern." 
Zunächst  muffen  wir  bemerken,  daß  in  Deutschland 
noch  kein  Sozialdemokrat  die  Verhältnisse  „reis"  erachtet 
hat  für  Einführung  des  Achtstundentages.  Sowohl  auf 
dem  internationalen  Kongreß  in  Paris,  nrie'jn  ber  deut -
schen  sozialdemokratischen  Presse  und  in  vielen  Hunderten 
von  Arbeiterversammlungen  ist  «klärt  worden,  daß  nicht 
daran  gedacht  werden  könne,  den  Achtstundentag  so  ohne 
Weitere-  einzuführen,  daß  dessen  Einführung  vielmehr 
nur  von  einer  internationalen  Gesetzgebung 
zu  erwarten  fei.  Es  ist  also  eine  Tendenz.Lüge, 
wenn  die  nationalliberalen  Blätter  schreiben,  die  deutsche 
Sozialdemokratte  komme  „allmälig  z  u  r  E  i  n  s  i  ch  t", 
daß  Deutschland  für  den  Achtstundentag  „noch  nicht 
reis  ist".  Auch  ber  Arbeiterschutzgesetzentwurf,  den  die 
sozialdemokratische  Fraktion  im  Reichstage  eingebracht 
hat,  begnügt  sich  bekanntlich  damit,  zunächst  nur  den 
zehnstündigen  Arbeitstag  zu  fordern. 
Eine  große  Albernheit  ist  es  sonach,  die  schweizeri- 
scheu  Sozialdemokraten  gegen  die  deutschen  al* 
„praktische  Leute"  ausspielen  zu  wollen.  Als  ob 
diese  weniger  wie  jene  „zunächst  das  wirklich  E«eickbare 
erstreben".  Wie  sehr  „praktische  Leute"  die  deutschen 
Sozialdemokraten  sind,  das  hat  doch  grabe  bet  Rational. 
liberalismuS  bei  ber  letzten  Reichstagswahl  erfahren 
müssen  l 
Ueber  ben  weiteren  Unsinn  bet  nationalliberalen 
Korrespondenz  verlohnt  es  sich  nicht  ber  Mühe,  viele 
Worte  zu  verlieren,  zumal  ja  unsere  Les«  recht  gut 
misten,  welche  Bewandtniß  es  mit  den  als  „Ausstände" 
bezeichneten  Aussperrungen  bet  Arbeiter  hier  am 
Orte  hat.  Die  nationalliberale  Preffe  würbe  in  arge 
Verlegenheit  kommen,  wenn  sie  einen  einzigen  an  b« 
Spitze  der  gewerkschaftlichen  Bewegung  stehenden  Mann 
nennen  sollte,  der  „nicht  aus  dem  Gewerk" 
hervorgegangen.  Wit  aber  können  eine  ganze  Anzahl 
verlotterter,  unwistender  Subjekte  nennen,  die,  ohne  eine 
Ahnung  von  ehrlicher  Arbeit  zu  haben,  als  national, 
liberale  Zeitungsschreiber  frech  unb  an- 
maßend  genug  find,  die  Arbeiter  „belehren"  zu  wollen 
übet  das,  was  sie  thun  und  lasten  sollen. 
Die  Wahrheit  könuen  sie  nicht  hören!  — 
Kürzlich  theilten  wir  das  Urtheil  eines  österreichischen 
Gewerbe-JnspektorS  über  die  Arbeiterbewegung  mit 
Andere  sozialdemokratische  Blätter  thaten  dasselbe.  In 
diesem  sehr  vernünftigen  Urtheil  heißt  es  u.  A.: 
„Wenn  nun  der  Arbeiter  sieht,  daß  fein  Arbeitgeb« 
Tausende  und  Abertausende  im  Jahre  verbraucht,  daß 
derselbe  Tausende  für  Gesellschaften,  Soupers  und  Diners 
ansgiebt,  daß  derselbe  Personen  mit  Geld  reichlich  unter» 
stützt,  die  nicht  säen,  nicht  arbeiten,  wenn  er  sieht,  daß 
der  Arbeitgeber  seine  Zeit  am  Kartentische  verbringt,  « 
aber  im  Schweiße  seines  Angesichts,  krank  oft  und  elend, 
um  wenige  Kreuzer  arbeiten  und  sogar  schwer  arbeiten 
muß,  bann  ist  es  nicht  zu  verwundern,  daß  ber  Arbeit« 
haßerfüllt  und  feindlich  dem  Arbeitgeber  gegenüber 
steht." 
Darob,  daß  ein  Gewerbeinspektor  es  wagen  kann, 
in  solcher  Weise  der  Wahrheit  die  Ehre  zu  geben,  ist  die 
Unternehmer-Presse  furchtbar  erbost  So  leistet  sich  u.  A. 
die  Fachzeitung  „Der  Arbeitgeber"  einen  Artikel,  in 
welchem  zu  dem  obigen  Satze  des  Gewerbeinspektors  be -
merkt  wird  :  „Ter  Herr  Gewerbeinspektor  versteht  ja  das 
Hetzen  aus  dem  ff  I  Zu  verwundern  ist  eS  nur,  daß  er 
noch  nicht  von  der  sozialdemokrattschen  Gesellschaft  5um 
Ehrenmitgliede  ernannt  ist.  Lebte  er  in  Deutschland, 
dann  hätte  er  längst  schon  seinen  Sitz  im  Reichstage." 
(Unb  da  würde  er  jedenfalls  bester  am  Platze  fein,  als 
bie  Oechelhänser  und  Kons.) 
Weiterhin  heißt  es: 
Haß  gegen  Fräulein  Lissy  empfände,  ich  schätze 
ihre  guten  Eigenschaften  vielleicht  nicht  minder 
hoch  als  Sie;  —  aber  zwischen  dieser  Familie 
und  der  meinigen  gähnt  eine  Kluft,  die  viel 
zu  tief  und  breit  ist,  als  daß  es  ein  Hinüber  oder  Her- 
über  geben  könnte  1  Zwischen  uns  giebt  es  nichts  als 
Feindschaft  —  für  Ludwig  Nehlsens  Haus  habe  ich  keinen 
anderen  Wunsch,  als  das  Verderben!" 
Gerhard  erbebte  vor  diesem  leidenschaftlichen  Aus- 
bruch  seines  sonst  so  männlich  ernsten  und  gefaßten 
Freundes. 
„Wie  können  Sie  das  unschuldige  Mädchen  entgelten 
lassen  wollen,  was  Ihnen  der  Vater  gethan?"  rief  er 
ans.  „Sie  beklagt  Ihr  Unglück  auffs  Tiefste,  und  erst 
gestern  beauftragte  sie  mich,  Ihnen  zu  sagen,  daß  sie 
stündlich  für  Ihren  armen  Vater  bete." 
„Sie  betet  für  ihn!  —  Ah,  und  damit  glaubt  man, 
ist  es  gethan  I  Nicht  wahr?  Nein,  mein  Lieber!  Ich 
gehöre  nicht  zu  den  lammherzigen  Naturen,  die  um  eines 
schönen  Wortes  willen  eine  tödtliche  Kränkung  vergessen 
können,  und  nur  in  Ihrer  jugendlichen  Unerfahrenheit 
können  Sie  etwas  von  mir  verlangen,  das  über  eines 
Menschen  Kräfte  geht!  Sie  ist  unschuldig  an  dem  Un- 
recht  ihre-  Vaters  —  gewiß!  Aber  ist  nicht  auch  meine 
arme  Schwester  unschuldig  an  dem,  was  ßihrcm  Vater 
zum  Vorwurf  gemacht  wird,  und  muß  sie  nicht  trotzdem 
furchtbar  darunter  leiden?  Ich  tvill  von  mir  nicht 
sprechen;  denn  ick  bin  ein  Mann,  unb  stark  genug,  die  Ver- 
acklung  dieser  erbärmlichen,  falschen,  heuchlerischen  Ge -
sellschaft  zu  ertragen;  Marianne  aber  ist  trotz  ihres 
helbenmüthigen  Karakters  ein  Weib,  und  wie  sie  sich 
auch  bemüht,  es  vor  mir  zu  verbergen,  ich  sehe  doch  all' 
das  Herzeleid,  das  ihr  die  erbarmungslose  Grausamkeit 
der  Welt  bereitet.  Sie  ist  ja  die  Tochter  des  Diebes, 
des  Betrügers,  des  Sträflings!  Die  guten  Häuser  haben 
ihre  Thüren  vor  ihr  verschlossen,  unb  die  liebevollen 
Freundinnen  haben  sich  von  ihr  zurückgezogen!  —  Und 
Fräulein  Liffv?  —  Nun,  ihr  Vater  ist  ein  reicher,  ein 
angesehener  Mann !  Niemand  fragt  darnach,  wie  viel 
Tropfen  sauren  Schweißes  und  warmen  Herzbluts  an 
seinem  Golde  kleben  —,  er  ist  rechtschaffen  und  seine 
Ehre  ist  ohne  Makel.  Sie  wird  gefeiert,  bewundert,  auf 
den  Händen  getragen,  sie  wird  die  glückliche  Gattin 
irgend  eines  ebenso  reichen,  ebenso  angesehenen  und 
ebenso  makellosen  Maunes  werden,  als  es  ihr  Vater  ist! 
Was  saun  ihr  da  an  meiner  Freundschaft  gelegen  fein  I 
Sie  kaun  in  ihrem  schönen,  prächtigen,  sicheren  Hause 
ptcincit  ohnmächtigen  Groll  verlachen  —  ich  aber,  ich 
wäre  ein  Elender,  ein  Nichtswürdiger,  wenn  ich  um