0 ND LV Freitag, den IS September 1890 «tbaftw* uni (Jrwbthon: «rohe rheaterlkrshr 44 te H»mdura. Das „^amlniratr Echo** erscheint täglich, außer Montag-. Der Huxmmnmteprrt» beträgt: durch die Post bezogen (Nummer der Postkatalog- 2616) ohne Bringegelb vierteljährlich X 4,90; durch bw Lolportär, wöchentlich 36 4 frei in'» Hau». Verantwortlicher «edaktär: Otto Stettin in Mamburg. Anret-en werben die fLnigespolrene Petitzeile oder deren Rann mit SO 4, für den »rbettsmarkl und Vermiethungaanreigen mit 90 4 berechnet. D» int« Kriete. o Die deutsch« Sozialdemokratie hat fich in Glauben-sachen durchaus tolerant verhalten. Indem sie in ihrem Programm erklärt, daß die Religion Privat - sache sei, hält sie e-wie der alte Fritz und läßt einen Jeden ,nach seiner Fayvit" selig werden. Damit find natürlich weder die katholischen noch die protestan. tischen Eiferer zufrieden, die in zudringlicher und lästiger Weise Jedermann mit ihren Dogmen behelligen -u muffen glauben. Sie greifen die Sozialdemokratie grade wegen ihrer Toleranz an und so ist auch auf dem bel - gischen Datholikentag für Sozialpolitik zu Lüttich mehrfach die Anklage erhoben worden, die Sozialdemokratie habe dem Arbeiter feinen inneren Frieden geraubt; die katholischen Priester aber seien be- rufen, ihm denselben wieder zu geben. Die katholischen Agitatoren bilden fich ein, die Ar- beiter müßten mit fich selbst in Zwiespalt gerathen, wenn ihnen der religiöse Glaube fehle, und behaupten, dieser Glaube sei das beste Rüstzeug im Kampfe gegen die Noth des Daseins Dieser Ueberzeugung find wir allerdings nicht. Es giebt eine Menge von Bezirken, wo die Arbeiter sehr gut katholisch find und dennoch unter den schrecklichsten Ber- hältniffen leben muffen. Vir erinnern nur an Ober' schleffen, wo jetzt wieder eine schreckliche Hunger-noth im Anzuge ist, oder an das gut katholische Irland, wo fich der gleiche Fall avspielt. Vir find nicht der Meinung, daß irgend eine religiöse Ueberzeugung die Arbeiter dieser Länder wird vor dem Hungertyphus schützen können. Schon vor Jahren, als der Hungertyphus in Oberschlesien wüthete, war die Hauptsorge der katholischen Beltreter im preußischen Abgeordnetenhause, daß die Opfer der Hungerpest auch richtig mit den katholischen Sakramenten versehen würden, worauf ganz richtig er - widert wurde, daß eS sich in einem solchen Falle nicht um Sterbesakramente, sondern um L e b n - - mittel handle. Daß der religiöse Glaube, insonderheit auch der katholische, im Abnehmen begriffen ist, soll und kann nicht bestritten werden. Es ist dies einfach eine Folge der fortschreitenden Bildung. Die Wiffen- schäften werden popularisirt und dringen in die große BolkSmaffe ein. Dazu hat allerdings auch die Sozial - demokratie ein gutes Theil beigetragen, namentlich waS die Verbreitung der Sozialökonomie und der Natur- wiffenschaften anbetrifft. Deshalb wird ihr aber, mit Ausnahme frommer Eiferer, Niemand einen Borwurf machen wollen. In unserem Zeitalter erklärt bekanntlich die Mehrzahl der Gebildeten für sich die Religion für überflüssig, aber für die große Maffe für nothwendig, weil diese doch einen Trost für ihr Elend haben müsse. Bekanntlich erklärte einst auch Robe-pierre in diesem Sinne den Atheismus für „aristokratisch". Es mag ja sein, daß es Leute giebt, welchen der Glaube an religiöse Dogmen und die Hoffnung auf ein bessere» Jenseits als Mittel dienen, die Noth des Lebens bester zu ertragen. Das wird aber nur bei Leuten der Fall sein, die in ihrem Leben nie von etwas Anderem gehört haben. In der ganzen menschlichen Natur aber wurzelt da- Streben nach Besserung der Verhältnisse, ein Faktor, auf dem die ganze Kulturentwicklung beruht. Ohne diesen natürlichen Drang würden wir gar nicht vorwärts kommen, und wo er nicht vorhanden ist, da steht der Mensch auf einer durch' aus unbefriedigenden Kulturstufe. Die oberen Zehntausend, welche dem allgemeinen Fortschritt nichts von ihren Vorrechten abtreten wollen, erklären diesen Drang nach Besterung für „Begehr' l i ch k e 11" und die Kirche, die keinen Fortschritt wünscht, stellt ihm die „E n t s a g u n g" gegenüber. Beide Rich - tungen wollen den armen Mann durchaus zufrieden haben; sie wollen alle den Preis nicht zahlen, um den die Zufriedenheit leicht geschaffen werden könne, nämlich die Gewährleistung eine- aus- kömmlichen Daseins. Um diesen Widerspruch kommt auch die katholische Kirche nicht herum, welche für die Erleichterung des Kampfes um's Dasein bi- jetzt nur ihre kärgliche Mildthätigkeit aufzubieten hatte und erst widerwillig, um der Sozialdemokratie ihr Gebiet streitig zu machen, sich zu einigen schwächlichen „sozialen Reformen" in der Theorie entschlossen hat. Noch auf dem Kongreß zu Lüttich protestirten einige fanatische Wk-kk 8lilk Mifi Lim. Eine Hamburger Hofgeschichte von Franz Laufkötter. (5 Fortsetzung.) „Jetzt bin ich bei Dir, Paula, wie Du es gewollt hast. Aber ob ich recht daran gethan — der Gedanke fällt mir immer von Neuern wieder auf die Seele. Denke nur, Du Gute, in welche Lage wir gerathen sind." — Er faßte ihre beiden Hände und blickte ihr tiefinnig in'S Auge. — „Wie soll dies Alles enden, was soll aus «ns Beiden werden? . . . Wenn ich nur etwas Rechtes ge - lernt hatte 1 Grade jetzt, da ich Dich liebe und Dir so gern ein freundliches Heim bieten möchte, jetzt erst be - dauere ich es doppelt, daß ich nichts gelernt habe, daß meine Jugend werthlos, mein Leben ein verfehltes ist." „Erzähle mir von Deiner Jugend, Robert," bat Paula, um ihn von seinen trüben Gedanken abzulenken. „Nicht heute, Paula, nicht heute! Später einmal, wenn wir ruhiger in die Zukunft blicken können, will ich Dich znrückführen in meine Kinderzeit, und Du sollst er - kennen und verstehen, wie und warum ich das geworden bin, was ich bin. Laß uns heute lieber überlegen, was ich beginnen soll." „Was für Absichten hast Du, Robert? Hast Du Dir bereits Pläne gemacht?" — Sie sah ihm vertrauensvoll in die Augen. „Bon früh auf liebte^ich die Musik," entgegnete er, „und habe mehrere Jahre Unterricht im Klavier- und Geigespiel genossen. Aber ich habe nicht viel davon ab- gebracht, ich bin ein Stümper geblieben." „Gott bewahre!" rief Paula entrüstet. „Du ein Stümper? Ich verstehe nicht viel von der Musik, aber da- muß ich gestehen, so wie Du zu spielen verstehst, habe ich noch nie spielen gehört. Wie oft habe ich hier in meiner Stube gesessen und den Klängen Deiner Musik gelauscht. Bald hätte ich weinen mögen vor schmerz- lichem Weh, bald laut aufjauchzen in Heller Lust, bald zürnten und grollten die Töne, bald scherzten und Mtssionsprediger heftig dagegen, daß die Kirche in die soziale Entwicklung durch Gesetze eingreifen wolle; sie müsse sich auf die Mildthätigkeit beschränken, sagten diese Propheten Der große und unaufhörliche Störenfried, welcher dem Menschen den „inneren Frieden" .raubt, ist nicht die Sozialdemokratte, sondern der M a g e n , der alltäglich unerbittlich seine Forderungen stellt, die wenig- stenS bis zu einem gewissen Grade befriedigt werden müssen. Aus der Schwierigkeit für so viele Menschen- unter den heutigen ökonomischen Zuständen die Anforde - rungen deS Magen- zu befriedigen, ist erst dieSo- zialdemokratie entstanden. Wer die Unzu- friedenheit der Armuth anklagt, der muß auch die Natur anklagen, daß sie den Magen angewiesen hat, täglich seine Forderungen so unerbittlich zu stellen. Darauf läßt sich dann antworten, daß die Natur Vorsorge getroffen hat, dem Bedarf aller menschlichen Mägen vorläufig zu ge - nügen, daß aber die Menschen durch ihre gesellschaft - lichen Einrichtungen diese Vorsorge selber vereitelt haben Gewiß ist die soziale Frage keine Magenfrage allein; sie ist in eminentem Sinn eine Frage ber Bildung, der Kultur und der Fortentwicklung des Menschen überhaupt. Aber bte Magenfrage ist ein unerläßlicher Theil bet - reiben. So lange ber innere Störenfried, ber Magen, nicht befriedigt werden kann, so wird ein innerer Friede nicht herzustellen fein, außer wo eine gewiße Stumpf - heit und kein Verlangen nach besserem Loos vorhanden ist Wo die- Verlangen erstickt wird, sei es nun durch dieses oder jene- Mittel, haben wir es mit einer Hem- mung des Kulturfortschrittes zu thun. In einer Gesellschaft, die dem Arbeiter Brot, Frei- heit und Bildung gewährt, wird ihm der innere Friede nicht fehlen und er wird seine Befriedigung darin suchen, an die Vervollkommnung menschlicher Einrichtungen im Gesammtintereffe zu arbeiten. Wo ihm der nothwendige Lebensunterhalt vorenthalten wird, da geht ihm aller innere sFriede verloren im Kampf mit ber nagenden Sorge. Dafür aber Nage man nicht den Sozialismus an, der ihm diesen Lebensunterhalt beschaffen will. $01 htt KtMhnc. Richt nur in Sachsen, sondern auch in Preußen übt man bereits die neue Praxis, ohne Sozialisten - gesetz mit den Sozialdemokraten fertig zu werden, ein; wenigstens muß man dies daraus schließen, daß in Berlin am Dienstag Abend eine Versammlung a u f Grund des allgemeinen Landrechts auf- gelöst wurde. Dieser sonderbare Grund, bemerkt dazu die „Bolksztg", ber die bekanntlich an furiosen Bei- spielen schon überreiche Sammlung von polizeilichen Gründen zu Auflösungen von Versammlungen noch um ein kuriosestes vermehrt, erregt allgemeines Schütteln des Kopses. Man spricht die Vermuthung aus, daß der überwachende Polizeibeamte nur das allgemeine Landes - recht (im Gegensatze zum Sozialistengesetze), also das preußische Bereinsgesetz gemeint haben kann, was eigentlich unmöglich sein sollte, aber bei der preußischen Polizei schließlich doch nickt unmöglich ist. Naher lieit die Ber- muthung, daß § 10 Tit. 17 Theil II des Allgemeinen Landrechts hinfort zur Auflösung von Versammlungen benutzt werden soll. Namentlich uns liegt diese Ver - muthung näher, da auf Grund dieses selben Paragraphen vor drei Jahren ber Verkauf einer Nummer ber „Volks- Zeitung" den hiesigen ZeitungsverkSufern von dem Polizeipräsidenten verboten wurde Der famose Para- grapb lautet: Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffent - lichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Ab - wendung der dem Pudliko ober einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizei. Das Verbot, welches die „Bolks-Zeitung" auf Grund dieses Paragraphen betraf, wurde alsbald wieder auf - gehoben ; inzwischen hat aber leider das Oberverwaltungs, gencht den Paragraphen, entgegen der bis dahin all- gemein geltenden Annahme, für noch zu Recht bestehend anerkannt, und Herr Herrfurth hat ihn in seinem be - sonnten Erlasse zur polizeilichen Bekämpfung ber Sozial - demokratie auch schon angezogen. Die erste Probe auf bas Exempel ist in der That viel- versprechen b. Geht es so weiter, bann werden wir bald um die tröstliche Erfahrung reicher fein, baß dieser schöne Paragraph zehn Sozialistengesetze im Leibe hat. Ueber die Veranlassung zur Auflösung der fraglichen Versammlung schreibt man dem „Berl. Bolksbl „Die Zeit ist gekommen, wo die Kirche beginnt, unter bte Sozialdemokratie zu gehen. Den An- fang machte die Kirche in Gestalt einiger „evangelischer Jünglinge" in der Versammlung in der Andreasstraße, welche „den Austritt aus der Landeskirche" zur Tages- Ordnung hatte. Der cand theol ev., welcher auserwählt war von seinen GlaubenSgenoffen, den sündigen Sozial - demokraten den leit zu lesen, schilderte da- Lhristen- thum in so glühenden Farben, daß häufig Rufe des ZweifelS ertönten Die Ruft wurden durch die „evange- lischen Jünglinge" durch großen Lärm zu unterdrücken gesucht, welcher sich so steigerte, daß schließlich die Ber- sammluna der polizeilichen Auflösung verfiel. Die Taktik, welche die Kirche zur Bekämpfung „sozialdemokratischer Irrlehren" einichlägt. hat fich bei diesem Debüt klar- gestellt; fie lautet: Sprengung der sozialdemokratischen Versammlungen. Sowohl aus dem ganzen Ver - halten ber evangelischen Jünglinge, als au* auS einer Unterhaltung, welche einige beriethen beim Hinausgehen führten, geht hervor, daß man die Sozialdemokratle dadurch zu bekämpfen suchen will, daß man ihre Versammlungen zur Auflösung bringt Run, so alt daS Mittel ist, so alt sind auch Die Gegenmittel. Bei späteren Versammlungen wird man eben jedem wilden Kirchendiener einen zahmen Sozialdemokraten zur Seite stellen, welcher verhindert, daß der religiöse Eiser in die Versammlung störenden Fanatismus ausartet. Interessant war es zu hören, wie die Polizei sich schon im Gebrauche bet Waffen übt, welche nach Fall beS Sozialistengesetzes zur Bekämpfung ber Sozialdemokratte dienen sollen. Die Auflösung erfolgte auf Grund des allgemeinen Landrechts. Die Unterhaltung der „evan- gelischen Jünglinge" endete immer mit dem Refrain: „Nun, wenigstens haben wir es zur Auflösung gebracht." Die Wiederholung wird ihnen verleidet werden." Das nennt die Welt dann auch einen Kampf mit geistigen Waffen. Die Angst vor der Sozialdemokratie verleiht ihren Gegnern Kourage zur — Selbsttäuschung So auch dem nationalliberalen Reichstagsabgeordneten Oechelhäuser. Der sagte kürzlich in einer Rede vor seinen Wählern: „Die Welt wird nicht vor dem Sozialismus in den Staub sinken, sondern dieser sich, wohl oder übel, in die bestehende Weltordnung einfügen müssen, wie sehr die Führer auch jetzt den Mund voll nehmen und ihre An - hänger glauben machen wollen, daß die ganze Welt sich künftig um die Axe ber Sozialdemokratie drehen werde. Man sollte überhaupt diese Vorgänge etwas gleich- müthiger betrachten." Allerdings, die Welt wird nicht „in bett Staub sinken" vor dem Sozialismus; aber ber Sozialismus wird die Welt von dem Loose befreien, vor dem Un - rechte im Staube zu liegen. Nicht wird ber Sozialis- mus sich ber bestehenden Weltordnung einfügen, sondern umgekehrt: die bestehende Weltordnung wird ausgehen im Sozialismus. Und daß die Welt sich thatsächlich um die Axe des Sozialismus nicht erst „künsttg", sondern schon jetzt dreht, das scheint dem Herrn Oechelhäuser trotz seines „Gleichmuths" doch bewußt zu fein, denn in direktem Anschluß an jene Worte forderte er alle „Gutgesinnten" auf, im Kampfe gegen die von der Sozialdemokratte heraufbeschworeiien „Gefahren" zusammenzustehen und die Arbeiter aus dieser „gefährlichen Genossenschaft" wieder zu befreien. Der beste Weg hierzu liege „sicherlich in dem ruhigen, konsequenten, auf jeden Dank verzichten- den Fortschreiten auf der Bahn der materiellen und sozialen Hebung des Arbeiterstandes und Erfüllung seiner berechtigten Forderungen; Gleiches gelte auch dem Hand- werkerstand gegenüber, dem in mancher Beziehung ge - holfen löerben müßte." — Wir wissen ja, was ber Herr Oechelhäuser und seine Freundschaft unter „berechtigten Forderungen ber Arbeiter" verstehen, und wie sie bemüht sind, die „materielle und soziale Hebung des Arbeiterstandes" durch sogenannte „Wohlfahrtsernrichtungen" zu bewirken. Ans diesem „besten" Wege werden die Gegner der Sozial - demokratie schlechte Geschäfte machen. Der papierne Feldzug gegen die Sozial - demokratie beht los Im „Reichsboteu" lesen wir: „Wir beabsichtigen, eine Anzahl Fli'iblätter über soziale Fragen herauszugeben, um allen Denen, welche zur Aus- fßrung der Arbeiter gegenüber der Verleitung durch die Sozialdemokratie etwas beitragen möchten, ein billiges, leicht zu verbreitendes Blatt tn die Hand zu geben. Im ersten Flugblatt wird unser Leitartikel: „Die Arbeiter und die Religion" der letzten Sonntagsnummer des „Reichsboten" erscheinen. Das Flugblatt kostet 1 Wir fürchten, ber Preis ist noch zu hoch für die zweite Auslage eines Reichsboten-Leitartikels. Wie wär's, wenn man jedem Abnehmer noch einen Pfennig zugäbe? Die t^ewerkschaftsorganifation in ihrem Verhältniß zur sorialdemokrattschen Bewegung flizzirt die Wiener „Arbeiter-Ztg." treffend, indem sie schreibt: „Die Gewerkschaftsorganisatton hat eine doppelte Aufgabe: sie hat das Auge des Arbeiters daran zu ge - wöhnen, die Gegenwart zu erkennen und in die Zukunft zu blicken; sie bat ihn zum thätigen Kampfe für die Besserung seiner heutigen Lebensbedingungen zu erziehen und tüchtig zu machen. Unstreitig hat die Sozialdemo - kratie der Gewerkschaftsbewegung ihre nächsten Ziele be - stimmt und ist unermüdlich thätig, ihr die nothwendigen Waffen zu erkämpfen. So wenig die Gewerkschasts- Organisation an sich mit ber sozialdemokratischen Partei oder mit Politik überhaupt zu thun hat, so wenig ist es ein bloßer Zufall, baß in Oesterreich wie in Deutschland und neuerlich auch in England die Leiter der Gewerk- schaftsbewegung tüchtige Sozialdemokraten sind. Die beste schmeichelten sie. . . . Ich habe immer gemeint, so wie Du könnte Niemand spielen." Ihre Augen leuchteten, als sie dies sagte. „Paula, Paula, Du willst mich eitel machen l" Ein leises Lächeln glitt über fein Gesicht. „Ich kann ja spielen, das fühle ich in mir. Aber was mir fehlt, das ist die Aus- und Durchbildung, die Schule, wie man es nennt . . . . ,Er hat keine Schule', haben schon Manche gesagt, die mich spielen hörten. ,Schade um das Talent', haben Andere hinzugefügt." „Aber Du spielst doch, daß die Musik zum Herzen geht und das — meine ich — ist der Zweck der Musik." „Darin hast Du Recht, Paula. Die Musik soll die Herzen rühren." „Dein Spiel rührt die Herzen, Robert . . . Und da will man Dir das Talent absprechen?" „Jedes Talent bedarf einer Schulung und muß fick einer Schulung unterwerfen, will es Erfolg und Aner - kennung erzielen. Siehe nur einen Kanarienvogel an! Auch in ihm schlummert ein Talent, die Gabe des Ge - sanges. Aber die Stimme muß geübt, geschult werden; er muß in des Züchters Hause einen förmlichen Kursus durchmachen, wie ein angehender Opernsänger Sonst taugt er nicht und man nennt ihn einen Wildschläger Oder betrachte ein Landmädchen, welches mit einer außergewöhnlichen Stimme begabt ist. In seinem engen Kreise wird das Talent verkümmern. Durch Zufall wird ein reicher Kunstfreund darauf aufmerksam, er löst eS aus seinen beschränkten Verhältnissen los und läßt es ausbilden. Tann erst, nach langjähriger Schu - lung, wird der Name des Mädchens rühmend genannt werden in den Kreisen der Musikkenner. Du siehst also, Paula, Talent und Ausbildung zusammen machen den Künstler und letztere fehlt mir. Ich weiß es selbst am besten, wenn es mir aucy noch Niemand gesagt hätte . ." Er blickte düster vor sich nieder. „Armer Schatz l" flüsterte sie und streichelte mit ihren weißen Händen zärtlich über seine Backen. „Woher sollte ich auch die Schulung haben?" fuhr er nach einer Weile, wie nachsinnend, fort. „Ich bin selbst nicht ganz ohne Schuld, aber die meiste Schuld daran tragen doch die unglücklichen Verhältniffe, in denen ich aufwuchs. Ja, hätte ich geregelten Unterricht ge - nossen, so wäre es wohl anders mit mir gekommen. Mein Lehrer, ber mich unterrichtete — aus reiner Ge - fälligkeit that er es, Paula, niemals hat er einen Pfennig dafür bekommen — mein Lehrer hatte selbst keine Schule. Er war ein genialer Mensch, ein Musiker von der Fußsohle bis 3um Scheitel, ein Künstler von Gottes Gnaden, aber er war — verzeihe es mir, Paula, wenn ich undankbar scheine,— er war heruntergekommen, ein verbummeltes Genie nannte er sich selbst mit Vorliebe. Er stammte aus einet guten Familie, war aber durch fremde und eigene Schuld ver - wahrlost und fristete sein Leben, indem er schlecht be- zahlte Musikstunden ertheilte. Es ging ihm jämmerlich genug und höchst kümmerlich schlug er sich durch. Und was noch schlimmer war, er stöhnte dem Trünke und verlor in Folge dessen nach und nach die wenigen Unter- ricktsstunden, die et ertheilte Mich hatte er in fein Herz geschlossen und mit rührender Zärtlichkeit nahm er sich meiner an. Wenn wir zusammen vor seinem alten Klavier saßen und er mich mit begeisternden Motten in das Reich der Töne einführte, glaube mir, Paula, das waren meine glücklichsten Stunden, an sie denke ick mit leuchtendem Auge noch heute zurück. So hat doch, Gott sei's gedankt, jeder Mensch einige lichte Punkte in seinem Dasein, welcher er fich freudigen und dankbaren Herzens jeder Zeit gern erinnert. Diese Musikstnuden sind die Lichtblicke meiner Jugendzeit, die sonst düster genug ist Welche Töne wußte er dem alten Instrumente zu entlocken, ihn hättest Du spielen hören müssen, Paula l Seine Augen leuchteten und belle Zähren rannen ihm die Wange herab. Ich saß während seines Spieles in einer Ecke des Zimmers, hielt beide Hände vor's Gesicht und schluchzte vor ungekannter Wonne und ungekanntem Leid Dann sprang er plötzlich auf, hüpfte mit mir wie wahnsinnig im ärmlichen Stübchen umher und rief in einer Art Verzückung: ,Wie schön ist's dock, mein Junge, ein Genie zu fein, wenn schon ein verbummeltes 1 Wie bin ich doch glücklich, so glücklich wie es tausend und Gewerkschaft lehrt wie wenig fich ihre letzten Ziele in ber heutigen Gesellschaftsordnung verwirklichen lassen Und ber entschiebenste Sozialdemokrat lernt, baß er airf bte Thätiakrit im Hier und Heute angewftftn kfi, baß bte Kampfbereitschaft be- Proletariat- nur zu erreichen ist zugleich mit der Hebung feiner geistigen und physischen Lebenshaltung."