i IV ^Jahrgang. Rr. 2SS. twl ..Hamburger Echo" erschein» täglich, äuget Montag». Der Abonnrmrnlsprrt« betragt: durch b« Poft bezogen (Nummer M Postkatalog- 2616) ohne Brmgegtkd mrrtkliahrl'ch Ji 4,20; durch bw KokpertSre wöchentl,ch % 4 frei in’» Hau». Berannvortlicher Rebaknk: Otto -kolken in Lamdurg- Tonuerstag, Seu 18. Tezeulber 1890. Thuet tun werden die fftnkgespaltem Petirzeile aber deren Reum mit 80 4, für den ArbeiiomarKt und Vrrntirthungoanzrlgrn mit 20 4 berechnet. Arltetgrn Annah«»», in der (hpebiiiau ^ble ß Atzr Xbbe.), so»u in sLuuiul. XunmurmWUttM. »ebafhen und Lr^edin«,: Grohe rhraterttrah» 44 in Hamburg. Hierzu eine Beilage. Jie ütili|ie ii Äiiift wiltt lit Siliilimikitie. „Stet- war die Liebe, die Vahr-I heit, die Humanität, der Geist bet I Universalität auf Seiten bei I wissenschaftlichen, — der! Haß, die Luqe, die Intrigue, diel Berfetzerung-sucht, der Geist der I Partikularität aus Seiten de-1 theologischen Manne-." j Feuerbach. I I. O Unsere Leser wisse»: die Theologie macht! mobil gegen die Sozialdemokratie. DieI geglichen Oberen sowohl im protestantischen wie im katholischen Lager rufen ihre Untergebenen auf zum Dampfe, zum großen .Dreuzzuge wider die jozuUe Revo - lution". Sie wetteifern förmlich, den grimmen Feind und die Gefahren, die er droht, möglichst grausig zu schildern. So haben dieser Tage etliche General Super- intendertten des Konststorialbezirks Dassel an die Geist - lichen eine Ansprache erlaiicn, in welcher ei u A folgender - maßen heiß!: I „Eine mächtige unb Wohlerganisirte Partei hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Massen unseres Bolkc- unter Vorspiegelung einer erträumten irdischen Glück - seligkeit zur Empörung wider alle göttliche und mensch" liche Ordnung zu verführen, und verfolgt dieses Ziel mit der klaren Erkenntniß, daß cs uu: dann zu er reichen ist. wenn es ihr gelingt, Gottesfurcht nnb Gottes-! glauben in den Herzen zu zerstören. „Es ist bekannt, daß die Geister der Bersührnng eo jetzt grad« auf da- Latrdvolk abgesehen haben unb mit dem Eiser des Fanatismus und der Aufwendung großer Mittel und Kräfte planinäßig darauf hinarbeiten, grade in dem Landvolk dessen theuerster Erbe: Glaubcn und Gottesfurcht, christliche Zucht und Sitte zu vernichten. „Der Feind ist gerüstet und wird kein MiUel der List und Gewalt scheuen. Sind auch wir gerüstet, ihm zu wehren und unsere Äc»neinbcu vor der kommenden Versuchung und iu ihr zn bewahren? „Vor Allem ist die Kirche vor dem fatschen Schein zu bewahren, als steye sie im Dienst der Reichen, der Hochgestellten, der Machthaber dieser Welt, und als suche sie in deren Interess« die Verbesserung der Lage des niederen Volkes- zn verhindern. Die Kirche steht iw Dienst eine- höheren Herrn, — dessen, der arm ward um unseretwillen, der alle Mühseligen und Bcladeuen zu sich ruft, um sie zu erquicken, der aber als der Sohn des heiligen Gottes dessen Ordnung ausrecht hält und ge - bietst, dem Kaiser zn geben, was des Kaisers ist, und Gott, was GotteS ist. „Die Kirche hat nicht die Ausgabe, sozialpolitische Reformen zu machen, aber sie wird noch weniger gegen Reformen Partei ergreifen, welche des Bolles Lage ver- bessern und feine Lasten erleichtern sollen ändern für jede gerechte Linderung alles Elends emir.ien. Nicht gegen die Geringen nnb Armen will sie streiten für die Reichen und Mächtigen, ioncern für das arme Bolk gegen feine Verführer unb Verderber, die es unter heuch - lerischer Maske um seine Zufriedenheit und se-nen besten Trost im Leben und im Sterben betrfine.i wollen, und eS unter dem Versprechen einer irdisch.»Freiheit Gleich - heit und Brüderlichkeit in das Elend der ärgsten ttuccht- schäft und uuausdenkliches Verderben führen würden. Was die Diener der Kirche treiben muß, jetzt auf der Bacht zu sein, ist die Liebe zu unserem Polke; und der brennenden Gefahr gegenüber thut brennende Liebe noth r Wahrhaftig, bte theologische Phrase will wieder „in ihre Rechte treten" gegenüber der immer mächtiger werdenden Herrschaft des Geistes einer neuen Zeit! Die Theologie glaubt, sie fei nun lange genug bei der Philosophie unb btm Sozialismus in bie Schule ge - gangen, um Beiden jetzt den Garaus machen zu können, dadurch, daß sic die Armen und Elenden der „christlichen Liebe" versichert Daß die heutige Theologie es wagt, den Sozialis - mus hinwegcskamotireu zu wollen, das ist ein Faktum, welches Todte vor Erstaunen wieder wachrufen könnte; denn diese Theologie hat das Bewußtsein ihrer Grund- unb Pobenlosigkeit, sie hat das Bewußtsein, baß ihre nothwendige Stütze, ihre uuerläß. liche Voraussetzung, baei „religiöse Bewußtsein", im Herzen des Volkes unrettbar dem Verfalle überant - wortet ist Das ist jenes Bewußtsein, welches nicht etwa auf die ewigen Gebote der Vernunft und Gerechtig - keit, sondern aus das theologische Dogma sich stützt. DaS wahre religiöse Bewußtsein, als das des Guten, des echt Menschlichen, har mit diesem Dogma nichts gemein. So wahr sagt Kant: „Der Tod der Dogmen ist die Geburt der Moral." Aber so allmächtig und unabweisbar ist der Geist der neuen Zeit, die Wahrheit des Sozialismus, so ein» leuchtend ist seine Lehre, daß die bestehende Oekouomie der Gesellschaft nicht bleiben sann, daß selbst die T h c o- l 0 g i e , obwohl sie das Unbegreifliche zum Gegenstände hat, glaubt, helfend und rettend eingreifen zn müssen. Wenn Theologen mit der Feuerspritze heranrücken, dann fürchten sie gewiß für sich selbst und ihre In- tereffen die „brennende Gekahr". Freilich, sie geben vor, „das arme Volk gegen seine Verführer und Verderber" schützen zu wollen. Die Unwahrheit aber ist zu Hand- greiflich, zu plump, zu abgedroschen, um ernst genommen zu werden. Eine Theoiogie, die sich ihrer bedient, offen - bart damit ihre absolute Unfähigkeit, die sozialen That - sachen richtig zu beurtheilen und ihnen gerecht zu werden. Indem sie thöricht genug ist, dem echten, dem demo - kratischen Sozialismus sich unter der Maske einer tisch Religiöse im wahrhaften Sinne des Wortes müssen es sür die ärgste Todsünde leiten, sich in die „göttliche Weltordnung", die „göttlichen Rathschlüfsc" einzumischeu, daß irdische Leben für einen Selbstzweck zu erklären, dieses Leben „mit dem Stachel der Sünde", tote bte Theologie lehrt, bas nur eine leibensvolle Vorbereitung für daS bessere Jenseits sein soll. Und die Theologen des Katholizismus toie deS Protestantismus , wenn sie »lit dem sozialen Wohlergehen der Menschen sich befaflen, sind heute, tote schon srüher, ivahrc Abtrünnige von ihrer vcrnieiutlicheil göttlichen Mission. Mein Mensch ist zum AthetsmuS behiilflicher ge - wesen, als bie Ideologen se l bst Sie selbst haben baffir gesorgt, baß die Unvereinbarlichkeit bet von ihnen willkürlich konstmirteu religiösen Dogmen mit her MiUtur- enttoicklmig ber Menschheit, mit bei Verminst, der mensch - lichen Freiheit, der sozialen Gerechtigkeit offenbar wurde Der Atheismus ist die Frucht der Erkenntniß vom wirk 1 Uchen Wesen der Dinge Und diese Frucht ist älter, als der moderne Sozialismus I Man darf nur niemals übersehen, daß. wen.» die Theologen von einer Gottheit sprechen, sie damit die Grundlage ihres eigenen willkürlich geschassenen Systems meinen. Alle religiösen Begrifse sind einzig ans die theologische Autorität gegründet Diese Autorität ver - bietet die Prüsung ihrer Dogmen und will keine Ver- standesthätigkeit gestatten ; sie verlangt, daß man au Gott glaube und ihn verehre, sowie sic es vorschreiben. Seit Jahrtausenden haben die Theologen gewetteifert in dem Geschäfte, sich als die Inspirirten der Gottheit zu er- I weisen. Ost genug artete dieser Wetteifer in die entsetz- I liebsten Greuel aus. Millionen hat die Theologie „zur ! größeren Ehre Gottes" gemordet, — sie, die als Po I Uzei für die „göttliche Weltorbnung" sich geriet t I „Der Name Gottes hat schon jeden Frevel I Mit Heil'genschein umstrahlt, — und doch ist er I Nur das Geschöpf d e r M e u s ch c n, die ihn ehren. — I Die Diener Gottes fah das Nachcschwert l Ich zücken, als bie Gnabe niederfticg. I Unb, bet Vcrheeiung Werk zu heiligen, l Icbweden Frevels Trieb bestätigte. I Wahnwitzige Priester schwangen ob der Welt I Das nnheildräuende Kreuz; die So nur schien i Auf Ströme Blut's herab, vom blanken Stahl I Des Meuchelmords vergossen ; jegliches I Verbrechen ward entsühnt vom Geist des Herrn." — I Tas sind grausige Wahrheiten, die ber englische I Dichter Theilen in diesen Worten sagt. Und gleich l alS seien sie extra aus den Kamps der Theologie gegen 1 die SozialocmokraUc gemünzt, mulhen uns die folgen- I den an: I „Wie lächerlich des Priesters Dogmenschwall, I Wie leicht fein zürnender Vernichtiingsfluch l I Und seiner Menschenliebe Heuchelei, I D i e wechselnd jedem Druck der Zeit sich fügt - I Welch' oji'iiec Zugl" — Achtzchnhuridert Jahre hindurch hat die christliche I Theologie sich abgcurüht, dicMenschheit an ihre Dogmen zu I fetten, damit sie wie der Sklawe au der Galeere „vcr- I jährte Schuld mit jedem Rudeeschlage wiederkäne." Aber I bie Menschheit hat bie Fesseln zerbrochen; bie Theologie I führt in Wahrheit nur noch eine Scheinherrschaft über I den Geist der Massen. Achtzehnhnudert Jahre hat sie I die „christliche Liebe" gepredigt; aber Wirklichkeit ist diese I Liebe nie geworden, weil sie nicht im Geiste der Gc- I rcchtigfeit, der sozialen Gerechtigkeit, gelehrt und I geübt wurde. Dem arbeitenden Armen die Pflicht der I Duldung und Demuth, beut bte Flüchte ber Arbeit ge- I nießeiidcu Privilegirten die Pflicht des Almosengebeus — so bat die Theologie sich ihren „Sozialismus" fonftruirt. Ur damit schleicht sie hinter der Kultnreutwicklung her, m in ihr passend erscheinendenl Augenblicke die Well mit dem Geschrei von ihrer „göktüchen Mission" gegen die .Verführer und Verderber" zu erfüllen und ihre bankerotte Autorität auSzuspieleu. Die Theologie lehrt einen „allmächtigen, allweifen und gerechten Oott, dessen Rathschlusse uiicrsorschlich". Wir wollen diesen Glauben respektireu, wenn er ehrlich unb aufrichtig, ein wirkliches religiöses Bedürfniß ist. Aber alles bas ist er dann nicht, wenn irrende, sterbliche Menschen, die diesen Glauben ver - treten, sich berufen erachten, der göttlichen Allweisheit, Allmacht und Gerechtigkeit zur Hülfe zu l 0 m in c n und zu lehren, was Gott wohlgefällig ist und waS nicht Der metaphysische Begriff ber Göttlichkeit in seiner ganzen Reinheit bnlbct kein theologisches System; ihm zufolge m u ß ber Gläubige den Lauf und die Gestaltung der irdischen Tinge respekliren als dem Rathschlusse Gottes entsprechend. Tas nicht zu thun, solche Dinge als der „Ordnung Gottes" widerstrebend zu verdammen, daS ist theologische Anmaßung, hinter der daS theologische H e r r s ch a f t s g e l ü ft e, die Präteusion ber Autorität sich verbirgt. Jnbeni die Theologie vorgiebt, für einen Gott unb seine Vollendung käinpfeu zu müssen, kämpft sie in der That nur für ihre eigenen sehr greifbaren Interessen, die mit denen anderer Autoritäten solidarisch sind. Da - bei inacht sie sich des plumpen Betruges schuldig, baß sie ihre Gegner, Diejenigen, bie ihr nicht srohuben im Banne ihrer Dogmen, uls „schlechte" unb „verworfene", der „ewigen Verdammniß überantwortete Kreaturen" verketzert. Denn „gottlos" sein, d. h. nicht glauben an die Dogmen der Theologie, das heißt für sie „schlecht - sein. Ach, wenn's dieser Glaube thäte, die Menschen müßten selbander leben wie die Engel im Himmel, beim sie haben ihm ja lange genug gehnlbigt I Die Geschichte aber lehrt uns, baß bie Menschen in bcmselben Maße schlechter, roher, unvernünftiger waren, je mehr sie unter sozialistischen Theologie gegeuuberzustellen, wird sie sich selber ungetreu. Denn daß ber wahre Katholizismus wie ber wahre Protestantismus unfähig find, sich ernstlich und erfolgreich um eine menschlich-ver- nünftige Einrichtung auf Erden zu bekümmern, bedarf keines Beweise- mehr. Der katholisch wie der protestan - der Herrschaft des religiösen Dogmas standen. Und niemals hätte die Menschheit fortschreiten können zu höherer Kultur, Gesittung, Freiheit, Gerechtitzkeit, ohne beständigen Kampf gegen die Dogmen der Theslogie, ohne steten Eingriff in die „göttliche Weltorbnung" der Theologen. DaS frivole Wort, welches bie heutige Theoiogie gegen die sogenannten „Verführer und Ver - berber' bes armen Volkes schleudert : „Tic wollen die göttliche Ordnung stürzen" — dieses Wort bei Fanatismus unb bet Heuchelei ist nicht neu ES war daS llitheil für einen T 0 krateS, wie für JefuS von Nazareth unb so viele anberc edle Wahrheuskäinpfer, bie ber Tyrannei ber theologischen Selbstsucht zum Opfer fielen. Hnite kreuzigt man nicht mehr bie ..Verbrecher wider die Gottheit," aber man hetzt wider sie den reli- gissen Fanatismus auf, wo immer er verborgen sein möge Gemach, ihr Herren Theologen, der Plan wild nicht glucken! Räumen wir Sozialdemokraten gleich Jedem ein, daß seine Religion P r i v a t s a ch e sei, so werden wir doch nicht dulden, daß bie Theologie sie mißbraucht gegen bie Wahrheit unb bas Recht im sozialen Kampfe. Diesen Mißbrauch soll bie Theologie schwer zu be - reuen haben; eS ist ber letzte entscheidende Schritt zu ihrem vdlligeu Sturze. Wir die „Verführer und Ver - derber bed armen Volkes" werben demselben begreiflich machen, daß Theologie und wahreMotal und Gerechtigkeit himmelweit verschiedene Dinge sindI $8« btt Wkltdihnt. „Hcrdc für die Reinkultur des Revolutioue« bazilluis" — so hat die „Kreuz-Ztg." bekanntlich bie Großstädte genannt. Einst führte man die Gründung der Städte auf Götter und Heroen zurück — heute wird angesichts des Wachsens ber Großftäbte, baS bie neueste Volkszählung roieber festgestellt hat, von agrarischer Seile bas karakleristifchc Wort bes früheren Reichskanzlers wiederholt: „Alle großen Städte müssen Dom (Erdboden vertilgt werden." Tie „Franks. Ztg." wirft die Frage auf: Ist die Entwicklung großer, städtischer Mittelpunkte für bas moderne Leben wirklich zu einer Gefahr für ftmliiir unb Zivilisation geworben, ober birgt bie Zu nähme jener Zentren doch noch einen Fortschritt in sich, der mir von schädlichen, aber vorübergehenden Begleit - erscheinungen befreit werden muß,' um zum Heile bet Menschheit auSzuschlagen? Unstreitig ist bie Zusammenballung der Bcvötterung in den Großstädten von einer großen Anzahl steigender Ucbelstänbe für bic fonjentrirten Menschenmassen be - gleitet. Die iftsuubheitlichen fallen am meisten auf unb werden immer in erster Linie genannt. Lust unb Licht unb Raum sind dein Einzelnen in der Großstadt spür- lieber zugemessen, als aus dem Lande. Darunter leidet bas Wohnen und bie körperliche Entwicklung überhaupt Es giebt großstädtische Kinder, namentlich der unteren Klassen, bic nie eine Wiese, nie einen Waid ober ein frisches Bächlein gesehen haben, die von den Thieren nur den Drvschkeugaul anS eigener Anschauung kennen, unb selbst fflr die begüterten Klassen wird im Rayon ber Großstadt bas Athmen immer schwerer; bie Lungen ber Großstädte, bie freien Plätze mit Gartenanlagen, schwin- ben bort, tov nicht eine vorsorgliche Haub besonberS über ihnen wacht. Dazu verzehrt bas gesteigerte Tempo bes Geschäftsbetriebes in der Großstadt die Kräfte aller Derer, welche an ihm bet heiligt find, doppelt so rasch. DaS Familienleben mit seiner erzieherischen Wirkung auf Gemüth und Word ber herauwachseiiben Generation ist gestört burch bic mannigfachen Einwirkungen bes groß - städtischen Lebens. Die Liste der „Uebel" laßt sich sicher noch verdrei» unb vervierfachen. Hat das Bild aber wirklich nur foldje Schatten- feiten? Auf einem Kongreß der englischen Medical Assoziation hat kürzlich der britische Gelehrte Haughton die Einseitigkeit solcher Schildereicu drastisch gekenn- zeichnet Gewiß, sagte er, es giebt Distrikte, wo bie Sterblichkeit beträchtlich geringer ist. als in ben Groß - städten. ES sind dies die arkadischen Gegenden, wo Ackerbau getrieben wird und die Leute zerstreut auf dem Laude wohnen. Diese Leute athmen nicht ihren eigenen Athem in Theatern und Kirchen ein. Sie trinken kein unreines Wasser. Sie trinken und athmen kein Gist in Wirthshäusern. Ihre Geister werben nicht durch Leidenschaften und intellektuelle Arbeiten über - mäßig angestrengt. Unter einer Million solcher Leute ereignen sich zehntausend Todesfälle weniger, als durchschmitlich ftaüfindcn. Und doch zahlen sie wohl zu theuer für diese niedrige Sterblichkeit. Der Werth bes Lebens hängt nickt nur von seiner Länge ab, sonbern auch von ber Anzahl unb b cm Werthe ber Geba nken unb Kulturan theile der Lebenden. Jene guten Leute leben nicht, sie vegetiren vielfach blos. Sie befinden sich in glücklicher Unkenntnis; von allen geistigen Bewegungen; sie sind ein stumpfes Geschlecht. Es lohnt sich mehr, sein Leben unter lebhafteren Leuten zuzu- bringen und an ben zchntauseub überschüssigen Leichen- schmäusen wenigstens stellenweise theilzunehmcn. So ber englische Arzt, in besten drastischen Ausführungen ein guter Kern Wahrheit steckt. Vielfach erklärt ja die intellektuelle Anziehungskraft der Großstadt allein die Thatsache, daß sich immer neue Arbeitskräfte, welche ein idyllisches, relativ sicheres Da - sein auf dem isolirten Lande führen könnten, wie Mücken in das elektrische Lichtmeer der Großstadt stürzen, um dort zu einem großen Theile unterzugeheu. Die geistige und kulturelle Ueberlegenheit der Stadt gegenüber bem Laube macht immer stärker sich geltenb. Deshalb steht auch das Organ ber Junker unb Feudalen in seiner neuesten Jercmiadc über bie Ent - wicklung ber Großstädte in Deutschland schließlich hükf- und rettungslos vor ber vollendeten Thatsache, baß an jener Entwicklung nichts mehr zu ändern ist. Gewiß ist an ihr nichts zu ändern, insofern sie das sieg - hafte Vorwärtsdringeu von Kultur und Bildung bedeutet. Aber daS ungeheure Wachsthum der Groß- städte ist für den Wcitcrblickendcn doch auch nur eine Etappe auf dem Riesenwege menschlichen Fortschritts, keine ewige, daaeinde Erscheinung. Ungezählte Bevölkerungsiuasten werden noch ber magnetisch anziehenden Wirkung der Großstädte unterliegen und im Wirbel der Verkehrsinittelpnnktc Alles, Freud' und Leid, in reichlichem Maße auskosten, was die rasende Jagd nach dem Glücke dort bringt. Aber eS will uns be- dünkeu, als käme auch bereits eine gewisse zentrifugale Tendenz in der Entwicklung des modernen Wirthschästs- lebens zur Geltung. Gewiste innere Viertel unserer Großstädte sind schon so vollgesogcu, daß sie kaum mehr einen Zuwachs an Bevölkerung aufuehnien sönnen. Das t Weichbild ist cs überall, welches ben Zufluß aufnimmt unb besser verthcilt und anglicdcrt, als eS früher geschah Unb beiitüd) macht sich auch schou eine gewisse Schei - dung zwischen solchen Thätigkeiten geltend, die sich vor - wiegend in Großstädten konzentrircn, unb solchen, die dies nicht mehr nöthig haben Während Handel und Verkehr noch immer ihren bevorzugten Mittelpunkt in den städtischen Zentren finden, geht die Produktion sehr vielfach schon wieder auf das flache, wenn auch nicht aus das entlegenste Land. Die hohen Preise von Gruub unb 93oben in ben Städten, sowie die billigeren Arbeitslöhne auf dem Lande mögen hier bestimmend Mitwirken. Uu- verkcnnbar ist aber auch, baß unsere ganze techiiische Eittivi'cklung, und diese ist doch wohl der Hauptsaktor, in jener Richtung wirkt. Hier liegt eine hochwichtige Aufgabe für die Eisen- babnreform, deren Dringlichkeit nicht zum mindesten in der Vorahnung dieser Dinge mirdegrünbet ist. Seit- bem da» Telephon die Verständigung zwischen ben enb ferntesten Orten so leicht und bequem macht, ist ein weiterer Grund sür die Anhäufung der Probuktionsstätten in ben Großstädten roeqgefaUcn Nur hängt auch hi» noch ein siskali'ches Bleigewicht an bem Verkehrsmittel ber? Zukunft, * fickkr aBrf nicht für immer Hat bann noch bie Elektrizität ihren sieghaften Einzug auf baS Gebiet ber Kraftmaschinen gehalten unb Bachläuse wie Wasserfälle auf Mm Lande zn den werthvollsten Kraft- quellen gemacht, so ist die rationelle Beriheilung der Produktion aus das Land von selbst gegeben Neberall erblickt daS Auge jetzt schon Anfang-spuren dieser Entwicklung; sie ist eben kerne künstlich fonpruirte, sondern eine anS ber technischen Vervollkommnuna mit Naturnothweiibigkeit solgenbe. Beschleunigt wird sie durch bie Ucbelstänbe, welche bte großstäbwche Entwick - lung gegenwärtig mit sich bringt. Noth macht eben er sinberych Das ist bas alte, ewige Gesetz, baß bie schlimme Gegenwart die bessere Zukunst mit Herani eisen Hilst. Unb biete Zukunft muß sich ansgestalten zur sozialistisckenProbuktion-orbnung Diese erst wirb ben vollen Ausgleich zwilchen Stobt und Land zu Staube bringen. Partikulariftifchc Licbcuowurpinkcitei» gegen das Hohcnzollcrn und Vrcnsteuthnm. — In Meklenbrirg giebt es, wie in Hannover unb Kurhessen, eine partiknlansttsche Partei, bie sich nickt baran gewöhnen kann, bte preußische Oberherrschaft in Deutschlanb als ein „Glück" zu betrachten. Neulich hat man in Preußen bas „Jubiläum ber Thronbesteigung beS großen Kurfürsten" gefeiert Wir haben ei nicht ber Mühe werth erachtet, von btetem Ereigmß Notiz au nehmen. Die partikularistische Presse hat sich ben Anlaß nicht entgehen lassen, über bas preußische Teutschthum etliche, zum Theil recht Autreffenbe Sarkus- uteit zu ergießen So schreibt bie Zeitung „Der Meklen- burger" u A FolgenbeS: „Tie Ausbauer bet boruffi- fizirten Teutschen im Feiern „nationaler" Feste verdient aufrichtige Bewunderung Kaum waren bie Ueber- schwänglichkeiteu der Moltkefeier überstandeu und glücklich bie erhebenben Kommerse von Kühschnappcl unb Schilda in den Spalten der Tagesblätter für die Nachwelt rcgi- stritt, da wurde der nationale Heerbann schon wieder zu einer Selbstbeweihräucherung deS preußi- schcn Deutschthu mS aufgeboten." — — „Der Kurfürst", heißt eS weiter, „gilt als der eigentliche Gründer deS preußischen StaatS unb somit auch beS preußisch-beutschcn Reichs, folglich hat der Tag feiner Throubcsteigung in hervorragender Weise Anspruch darauf, von der uiiiforaiirten und nicktuniforinitteu Leibgarde des HohcnzollernthumS, sowie besten sonstigen Schleppenträgern in obligater Weise festlich begangen zu werden." —- — „Das Dogma lautet: Brandenburg. Preußen hat stttS bie beste unb bie einzige national- gesinnte Regierung gehabt. Erst wenn bie eigens zur Erhärtung ber Wahrheit dieses Dogmas aufgebotene Historik auf dem Gebiete ber unfreiwilligen Komik ihr Meisterstück geliefert, wird sie vor dem allseitigen Hohngelächter bie Flagge streichen müssen.* — — „Mttlenbnrg hat von Hohenzvllern Königen eine fo fluchwirrbige Behandlung erfahren, ist von ihnen aus so schamlose, brutale Weise mißhandelt, geknechtet, ausge- sogen, daß wir Mcklenburger die Letzten sein sollten, bic im Troß ber Treitschke'schcn unb verwandten Geschichts - schreibung lausen. Gegen das preußischerseitS — nach - dem man dort über Nacht bem partikulsristischen Egois - mus bie Maske nationaler Politik vorgebunben — mit liebenswürdiger Unverfrorenheit gestellte Ansinnen, unS mit bem übrigen Deutschlanb vor ben Triumphwagen bes Hohenzollenithiinrs zu spaiuren, habe» wir nicht blos vom Standpunkt unserer deutschen Gesinnung zu prote- stiren. Wenn bic nationale Pflicht zur Dankbarkeit gegen den „großen" Kriesürsteir damit begründet wird, daß derselbe ben Grund zu jenem preußischen Staate gelegt f)abe, welcher sich in unseren Tagen statt genug erwies, Oesterreich aus dem deutschen Bunde hinauszu- werfen und, über das gebrochene Recht verbündeter Bruder ftämme hiuivegschreileiib, bas übrig gebliebene Riimvfbeutschlanb zu bem jetzigen Deutschen Reiche zu vereinigen, so mögen Diejenigen immerhin ihrer Pflicht genügen, welche in bem Deutschen Reiche von Preußens Gnaden unb Bismarcks Mache ihr Jbeal verkörpert sehen." Tie sogenannte „patriotische" Preste sucht ihren Grimm über biefe pariikularisti'chen Hiebe zu verbergen, indem sie dieselben als „Aeußerungen ohnmächtiger Wuth" hiuzustellen versucht Zur Pflege des „große« Baterlaudsgedau- tcnc". In unserem Leitartikel „Unterricht iu nationaler Geschichte" zeigten .vir an einigen Grunbzügeu, wie dieser Unterricht, wenn er der hist 0 rischen Wahr - heit bie Ehre geben wolle, beschaffen fein müsse. D i e Sünden der Herrschenden am Volke auf - zu decken, darauf komnit's hauptsächlich mit an. ES ist ein schlimmer Unfug, Unterricht in nationaler Ge - schichte darin zu sehen, daß man Dynasticcu vergöttert, die Großen und Mächtigen beweihräuchert. Als sehr bcachtenswcrth dürfen wir die Thatsache mittheilen, daß selbst ein konservatives Organ, das „Deutsche Tageblatt", ähnliche Gedanken äußert. ES schreibt: „Auch die Beschäftigung mit der vaterländischcu Geschichte, so unbedingt wir ihrer sorgfältigeren Pflege das Wort reden, bietet kaum einen Vollen Ersatz. D i e Geschichtsschreibung muß v 0 rAllemwahr sein; lediglich eine Serie von Lichtbildern, einen panegyrischen Strom aus ihr heranszuzichcu, wäre zudem ein nutzloses Beginnen: denn für wenige Matt kaust sich Jedermann die objektive und lückenlose Dar stelln ng der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands So bleiben Aivar bie glänzenben Gestalten einzelner deutscher Kaiser und die ruhmreichen Thaten unserer Holienzollernsürstcn, an denen sich die patriotische Denk- art aufrichteil und befestigen kann; aber dazwischen liegen tiefe Schatten und Seiten, bei deren Lektüre das deutsche Herz von Lcham u»d Zor« fast 3er« drückt wird." — Wenn so ein konservatives Blatt ber Wahrheit halb unb halb eutgegeukommt, fo ist bamit wob! zugegeben, baß der jetzt — zumal in ben Volksschulen — übliche „nationale Geschichtsunterricht" unter alter Kritik schlecht ist Auch viele ber Thaten bet Hohenzollcru- surften können als „ruhmreiche" vor ber historischen Wahrheit nicht bestehen Z B. bet Versuch des rohen „Soldatenkönigs", feinen eigenen Sohu, ben nachmaligen Friedrich ben Großen, zu erdrosseln. Bon einer recht bedenklichen Wirkung der Kaiserrede, bctr. das Schulwesen, wirb der „Ftts. Zeitung" vom Rhein folgender drastische Beweis mit- getheilt : „In der Quinta eines rheinischen Realgymnasiums machte ber Lehrer bes Französischen in Anbetracht der bevorstehenden Weihnachtszensuren bic Knaben auf bie Wichtigkeit bes Französischen alS Lehrfach aufmettsam. Ob bas pädagogisch grabe richtig war, ist fraglich, thut aber auch nichts zur Sache. Er meiste sofort bet ber junacn Gesellschaft eine fieberhafte Aufregung, bie ihn zu Der Frage veranlaßte: Nun, was ist benn los? Als Antwort erhielt er bic Gegenfrage eines Quintaners: Ist es wahr, baß unsere Schule Oberrealschule wirb, unb baß wir von Ostern ab kein Latein mehr haben? Der Lehrer, der vielleicht gut daran gethan hätte, die ganze Sache zu übergehen und die Bewegung der Klasse zu unterdrücken, sragte den Knoben: Wo haß Du das >enn getzött? Antwort: „Da- Hot w der Zeitung ge- standen, mein Voter hat s uni vorgelefen." Der Lehre wendet sich zu ber Klaffe: Habt Ihr benn auch barübet in bei Zcituna gelesen? «utwott: „Gewiß unb noch viel mehr " Der Mehrer fragt zunächst den Primus, der auch gleich bei der Hand ist mit bem Ausspruch: „Die Realgymnasien aeben nur eine Halbbildung und find überhaupt abzulchafien " So fragt nun bet Lehrer al- indlig den Inhalt bei ganzen Kaiserrebe aus ben 1b unb 12jährigen Bürschchen heraus unb schließlich melbet sich noch ein Schüler einer ber schwächsten in der Klaffe, ber aber in ber Pttnia einen Vruber fitzen hat, um cu:.t seine Bemerkung zu machen Er wirb aufgerufen unb aus seinem Ännbe schallt es dem Herrn Lehrer ent ejegen: „Unb ber Kaiser hat auch gesagt, baß die Lehrer jelbst noch nicht erzogen wären " stürmisches Gelächter bet Qumtanerschaar I Der Lehret lenkte notu di* nach bicsem kleinen Intermezzo wiebet in ben Unterricht ein, aber veraeffen konnte er es boch nicht, unb kam zu bem Entschluß, die Sache besannt zu machen Vielleicht iß e» noch manchem Kollegen tm weiten Vatettande ähnlich gegangen, ber sich nun trösten kann, baß er nicht allein ßeht' -