Nr. 44. . «. Jahrgang. M! AH M I .W -Vif; ?l 44 M-j U r --i M - Das ^Hamburger Echo" erscheint täglich, außer Montag-. DerlNbonnementSpreiS (inkl. „Die Neue Welt") beträgt: durch die Post bezogen (Nr. deS Post, katalogs 2761) ohne Bringegkld Vierteljahr!.M>. 4,20; durch die Kolportöre wöchentl. 36 4 frei in's Haus. Verantwortlicher Redaktör: Otto Stolte» in Hamburg. iKiwmwrin—wntin———Mfwinm i Sonntag, se» 21. Februar 1892. 7> Anzeigen werden die fiinsgespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 304, für den ArbcitSmarkt und VcrmiethnugSanzcigcn mit 20 4 berechnet. Anzeigeu-Annahme in der Expedition (bis 6 Uhr LlbdS.), sowie in säinmtl. «nnoncewÄürrawI Redaktion und Ervedition: Grohe Thcaterstrahe 4-4 in Hamburg. Hierzu zwei Beilage« und das illusteirte UutcrhaltuugSblatt „Die Neue Wett". Sie drei Heiliges. * Wir meinen weder die heiligen drei Könige vom Morgenland, noch die drei Wetterheiligen im Maimonat, sondern die drei Heiligen des Klassenstaats Religion, E i g-e n t h u m und Ehe undFamilie, vor welchen bekanntlich die „verruchte" Sozialdemokratie so wenig Respekt haben soll, daß sie dieselben von ihrem Posta, ment Herunterstürzen, „Umstürzen" will — nach der Be< hauptung der Sozialistenfresser — während die brave Dourgeoiste in frommer Inbrunst vor ihnen anbetend auf den Knieen liegt und sie gegen den sozialdemokrati - schen Ansturm beschirmt. Denn sie sind die drei Schutz - heiligen der Kultur, der Zivilisation, ohne sie würde die Menschheit in die Barbarei zurücksinken. Leider haben die Heiligen — wie ihre Reliquien — das fatale Geschick, öfters gefälscht zu werden, gleich den Schienenstempeln, und ivenn man die drei Kulturhciligen des Klassenstaats auf ihre Echtheit Prüft, so stellt sich heraus, daß auch sie diesem Vcrhäilgniß nicht entronnen sind. Heilig ist die Religionl Unversälscht müßte der Sinn des Wortes sein: Die Ueberzeugung anderer Menschen muß unS heilig, unantastbar sein. AchNing vor jeder ehrlichen Meinung, möge sie uns noch so irrig scheinen, Achtung vor der Weltanschauung, Achtung vor der politischen Ansicht Anderer. Kein Mensch hat daS Recht, Jemand wegen seiner Ansichten anzufeinden und zu ächten, und ebensowenig hat die Gesellschaft, der Staat, daS Recht, Jemand in seinen Meinungen zu vergewaltigen, ihm andere Ansicht aufzu- jwingen, ihn wegen seiner Gesinnung zu verfolgen. Welchen Sinn hat aber der Satz im Klassenstaat? Heilig ist meine Religion, meine Ansicht. Was i ch fae wahr und gut halte, das soll unangetastet bleiben, und wenn andere Leute abweichende Ansichten vertreten und propagiren, so sind sie „verruchte Umstürzler" und müsieii unschädlich gemacht werden. Kann man ihre Ansichten nicht mit Gründen widerlegen, „mit der Macht der Argumente, mit der Logik Kettenschlüsie", oder mit schnodderigen „Zukunftsbildern", so müssen eben Aus - nahmegesetze, Knüppel und Dreschflegel, Verleumdungen und Verdächtigungen, Entziehung von Arbeitsgelegen, heit, also die Hungerpeitsche, Saalabtreibungen u. s. w. in Anwendung kommen. Und der Staat macht die Schule dagegen mobil, zwingt die Eltern, ihre Kinder btn Unter- richt in einer den Eltern vielleicht verhaßten Religion mitzumachen, kommandirt die Soldaten in die Kirchen und drängt den Sträflingen seine Priester auf, läßt den Polizei- und Justizapparat gegen die abweichende politi - sche Richtung in außerordentlicher Verschärfung spielen, und spricht es sogar offen ans, daß jedes Gesetz aus seine Repressivkrast gegen die Sozialdemokratie geprüft wird. „Heilig ist die Religion" bedeutet im Munde der Herr- schenden Klasse: „Heilig ist mir meine Religion, aber unheilig ist mir deine Religion und ich unterdrücke sie nach Straften, und mit allen Malicen". Und genau so verhält es sich mit der H eilig leit des Eigenthums. Sie bedeutet der Bourgeoisie: Heilig ist mein Eigenthmu, aber das Eigenthum des Arbeiters, des Proletariats, ist mir unheilig, das reiße ich an mich bis auf den letzten Pfennig und laste ihm nur so viel, als er nothwendig braucht zum Leben, d. h. zum Leben für mich, für die Bourgeoisie, für mich Froh», dienste zu verrichten, für mich Mchrwerth zu schaffen; die überschüssigen Arbeiter aber mögen sehen, wo sie bleiben. Das Eigenthum des Arbeiters ist sein Arbeits - produkt oder das Aeqnivaleut dessen, was er schafft, der Werthe, die er erzeugt. Daß dieses den Üblichen Lohn weit übersteigt, weiß man, am besten aus der Mehr- werththeorie von Karl Marx. Das Lohnsystem aber bringt es mit sich, daß die beschäftigten Arbeiter mit dem elendesten Existenzminimum abgesertigt werden, was darüber hinansgeht, dieses rechtmäßige Eigenthnyt des Proletariats, schiebt das biedere Kapital in seinen großen Sack. Das nennt dann der Kapitalist Heiligkeit des Eigenthums. Und Heiligkeit des Eigenthlims nennt er e?, wenn die besitzende Klaffe die ganze Erde und ihre sämmtlichen Produkte in Beschlag nimmt und sich in Ueberflüffen wälzt und dabei Tausende von Arbeitslosen hungern und frieren läßt, ihnen ihr natürliches Miteigen- thnm an den von der Natur und einer vieltausend - jährigen Kultur geschaffenen Arbeits- und Lebensmitteln nimmt. Und „Heiligkeit des Eigenthnins" nennt er es, wenn die Großen die Kleinen, die Ringe die Privaten aufsangen und niiniren. Und das Gleiche gilt von dem dritten Heiligen, der Heiligkeit der Ehe und Familie; auch da muß das Fürwort des Besitzes mein ergänzt werden, wenn seine wahre klassenstaatliche Bedeutung richtig zum Aus- druck kommen soll. Strenge,eifersüchtig wachtder respektable Bourgeois über die „Ehre" seines Hauses, weh' dem Rons und Verführer, der sie schändet; er selbst aber 6e« treiöt die Pirsch ans weibliches Wild als Lieblingssport. Und erst die Heiligkeit der Familie! Seine Familie wohl, aber die Familie des Arbeiters? Reißt nicht der Kapitalismus das Proletarierweib aus dem häuslichen Kreise, nimmt den Kindern die Mutter, um billigere Arbeitskräfte zu bekommen? Und die Äinber selbst, werden sie nicht im Alter, wo weder Körper noch Geist genügend erstarkt und entwickelt sind, durch Fabrik- und hansindustrielle Arbeit unmenschlich gequält und leiblich und geistig geknickt? Entsetzen würde er sich, wenn seinem Kinde Derartiges widerfahren würde, seine Familie ist ihm heilig, die Familie der Proletarier aber ist ihm gleichgültig, der Arbeiter, sein Weib und seine Kinder sind ihm nur Maschinen und Maschinchen. Wenn nicht Heuchelei und Selbstbelügen zum ganzen System gehörten, müßte die Bourgeoisie in den kurzen Augenblicken, in welchen die. Hatz des kapitalistischen Ge- schäfts ihr zu denken verstattet, selbst einsehen, was es mit ihren drei Heiligen auf sich hat. Sie müßte einsehen, daß sie es ist, welche gegen die Heiligkeit der Religion, des Eigenthums und der Ehe und Familie gräulich ge - frevelt hat und daß Niemand anders als die Sozial - demokratie gegen diesen Frevel ankämpst und diese drei Kulturprinzipien zur Herrschaft zu bringen strebt. Vos der Weltböhlle. Gegen Ersatz für das Sozialistengesetz nimmt die „Nationalliberale Korrespondenz" mit folgenden Bemerkungen Stellung: „In den jüngsten Reichstagsverhandlungen, nament- lich bei den Debatten über die Reichseifenbahnverwaltung und die Entlassung von Arbeitern wegen sozialdemokra - tischer Agitationen, sind von konservativer und sreikonftr- vativer Seite mehrfach Aeußerungen in der Richtung ge - fallen, daß man ohne einen Ersatz für daS abge - schaffte Sozialist enge s e tz auf die Dauer nicht werde auskommen können. Grade diese Andeutungen gaben den Debatten eine ungewöhnliche Schärfe, zumal da man darin nicht leicht hingeworsene Redefloskeln, sondern einen mit Bedacht ausgestreckten Fühler zu er- kennen glaubte. Indessen haben sich die Regierungs - vertreter auf diesen Gegenstand nicht eingelassen, und auch von betheiligter Seite ist versichert worden, daß diese Auslassungen keineswegs „bestellte Arbeit" seien. Man hat daher vorläufig keine Berechtigung, derartige Andeutungen für mehr als private Meinungsäußerungen einzelner konservativer Redner zu halten. In der That wüßten wir auch nicht, was gegenwärtig solche Pläne aus die Oberfläche treiben sollte. Die sozialdemo- kratische Bewegung hat seit dem Er - löschen des Sozialistengesetzes nicht der - artige Formen angenommen, daß eine erneute Abwehr mit außerordentlichen Maßregeln nothwendig erschiene. Sie ist, wenigstens nach den letzten Reichstagswahlen zu ur< theilen, die allerdings noch unter der Geltung des Sozialistengesetzes, aber unter der Sicherheit des demnäch- stigen Erlöschens desselben stattfanden, in die Breite ge - gangen ; daß sie aber gefährlichere Formen angenommen hätte, ist nicht hervorgeireten, und was die Ausdehnung betrifft, so wirkten in den letzten Jahren manche Um - stände mit, die schlechten Erwerbsverhältnisse, die Thene- rung der Lebensmittel und die sich darauf stützende Auf - hetzung, und man wird doch abwarteii müssen, ob diese Ausdehnung weiter fortschreitet oder wieder einen Rückgang erfährt, lieber die Zweckmäßigkeit der Abschaffung des Sozialistengesetzes mochte man verschiedener Meinung sein, das aber unterliegt kaum einem Zweifel, daß die Beibehaltung desselben weit geringeren Bedenken unter - legen hätte, als jetzt die Schaffung neuer außerordent- sicher Abwehrmaßregeln ohne die zwingendste Noth- Wendigkeit." Das nasionalliberale Organ ist ja merkwürdig verständig geworden, wozu offenbar die zu Ungunsten des Liberalismus veränderte politische Situation Beran- laffnng gegeben hat. Vor ganz kurzer Zeit noch, ehe die Fehde zwilchen Regierung und Liberalismus eintrat, hat es die sozialdemokratische Bewegung und die „außer - ordentlichen Abwehrmaßregeln" ganz anders beurtheilt l Die „Rechtsgleichheit" im Rechtsstaate Preußen. —„Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich", beginnt Artikel 4 der preußischen Verfassung. Zu diesem Artikel hat die behördliche Äuslegnng und Anwendung der Gesetze, insbesondere der das Vereins- und Versanim- lungswesen betreffenden Bestinimungen schon oft merk - würdige Illustrationen geliefert. Hunderte von A r - beiier - Organisationen sind polizeilich aufgelöst worden, indem die Behörden geltend »lachten, diese Or- ganifationen seien „politische Vereine" und als solche in gesetzwidriger Weise mit einander in Verbindung ge - treten. Schon das Jnverbindungtreten für einen Streik, ober zum Zwecke bet Unterzeichnung einer Petition an ben Reichstag re. würbe oft genug als ein verbotenes erachtet. Dahingegen ist es noch nie bet Fall gewesen, daß die Behörden Unternehmer -Organisatioiien, welche ganz offenbar sich als politische Vereine betätigten und zu gemeinsamen politischen Zwecken sich mit einander in Verbindung setzten, mit gleichem Maße gemessen hätten. Die Innungen treiben seit Jahren politische Propa - ganda; dieselbe nachdrücklicher betreiben zu können, sind sie zu einem Verbände zusammengetreten. Ans ben so - genannten „Jnnungstagen", bie einen sehr aus - geprägten politischen Staralter tragen, sink» bie einzelnen Innungen burch Delegirte vertreten, was gesetzlich verboten ist. Aber die Polizei unb bie Staatsanwaltschaft unternehmen gegen biefe Gesetzesübertretungen nichts. Dieselben Behörben, welche mit haarscharfer Subtilität, oft unter sehr freier Storr- struirung ganz neuer Rechtsbegriffe, bie vereinsgesetzlichen Bestimmungen gegen bie Arbeiter- Koalition nn- wenben, scheinen bie gesetzwidrige Praxis der Innungen nicht zu erkennen. Ja, auf dem vor acht Tagen in Berlin stattgehabten Jnnuirgstage ist das Unerhörte geschehen, daß ein Vertreter des Polizeipräsidiums im Namen desselben ben Zusammenschluß ber Innungen mit Genugthuung begrüßte als eine Maßnahme von nationaler Be - be u t u n g 111 lieber die politische Thätigkrit, welche bie Delegieren ber mit einander zu gemeinsamen Zwecken in Verbindung getretenen Innungen in Berlin ansgeübt haben, sind unsere Leser unterrichtet. Ließe man gegen - über ben Innungen biefelbe Rechtsauslegnng gelten, mit ber man den Arbeiter- Organisationen die Existenz so sehr erschwert, so müßten jene Unternehmer-Koasitionen längst polizeilich aufgelöst unb ihre Leiter und Delegirten zu strafrechtsicherBerantwortnng gezogen worben sein. Jnbem bas nicht geschehen ist unb auch wohl nicht ge- schehen wirb, ist ber Beweis geliefert, baß bie „Rechts- gleichheit" im Rechtsstaate Preußen nur auf bem Papier existirt. Daß ber Berliner Jnnungstag auch noch bie Ünver- frorenheit besaß, zu beschließen, daß bie Behörden a» ge - gangen werden sollen, die Jnnnngsversamin- lungen fürderhin nicht mehr polizeilich überwachen zu lassen, macht der „guten Gesin- nnng" der Zünftler alle Ehre. Wir hätten auch gar nichts gegen bie Erfüllung dieses Wunsches einzuwenben, wenn nicht grade diese selben Zünftler am liebsten sähen, daß hinter jeden sozialdemokratischen Arbeiter zwei Schutzleute gestellt würden, und daß die polizeiliche Ueberwachnng der Arbeiterversammlnligen die schärfste Durchführung erführe. Die Polizeibehörde ist ja gesetzlich befugt, von ber Ueberroadntng ber Versammlungen abzu - sehen. Aber baß eine solche Rücksichtnahme grabe bie Zünftler berbient hätten, vermögen wir nicht einzu - sehen. Der r e ch t li eb e n be Mensch verlangt für sich keine Bevorzugung in ber behörblichenHaiibhabung der betreffenden Gesetze; er fordert, daß das Vereins- und Berfammlungsrecht für alle Staatsbürger frei gegeben werde. Der avisirte Gesetzentwurf, betreffend das AuSwandernngsweseu, welcher speziell auch für Hamburg eine große Bedeutung hat, ist bem Bnnbes- rathe nunmehr zugegangcn. Die Hauptbestiininungen sollen barin gipfeln, daß für Besörderniig von Aus - wanderern nach außerdeutschen Ländern eine Erlaub- n i ß voin Reichskanzler einzuholen ist, tvelche Erlaubniß nur ertheilt werden bars an Reichsangehörige und an juristische Personen, eingetragene Genossenschaften, Aktien- unb Kominanbitgesellschasteii, welche im Reichsgebiet ihren Wohnsitz haben. lieber die weiteren Bestimmungen machen die „Hamb. Nachrichten" folgenbe Mitlheilungen: Die Konzession ist von einer Kaution von M, 30 000 und bem Nachweis geeigneter Schiffe ab- gängig. Es soll in der Konzessionsurkunde genau ange - geben fein, für welche außerdeutschen Länder und bei überseeischer Beförderung für welche Einschiffungshäfen dieselbe ertheilt ist. Außerdeutsche Häsen sollen nur als Zwischenhäfen angelaufen werben dürfen. Transport - wechsel in einem außerdeutschen Hafen soll verboten fein. Für Kolonialgesellschaften kann der Reichskanzler Ans- nahmen machen. Der Geschäftsbetrieb kann im ganzen Deutschen Reiche stattfinben, jedoch nur unter Vermittlung, insoweit es sich nicht um bloße Bekanntmachung ober Auskuuftertheilung hanbelt, von Agenten, ivelche bierzu der Erlaubniß ber höheren Verwaltungsbehörde bedürfen. Auch diese Er- laubnih kann nur an Reichsangehörige ertheilt werden. Die Agenten sollen keine Zweigniederlassungen eröffnen dürfen. Wer aus dem Reichsgebiet auswandern will, muß der Ortspolizeibehörde seines Wohnsitzes Anzeige davon machen. Die Behörde soll dies durch öffentliche Bekanntmachung mittheilen, welche stempel- und kostenftei ist. Vier Wochen nach geschehener Bekanntmachung ist dem Ausivanderiingslustigen eine Bescheinigung zu er- theilen. Die Beförderung des Auswanderers durch den Unternehmer soll nur auf Grund eines schriftlichen Ver - trages nach erfolgter Beibringung der oben erwähnten Bescheinigung stattfinben. Verboten ist die Beförderung von Wehrpflichsigen vom vollendeten 17. bis zum voll- endeten 25. Lebensjahr auch von Personen, welche in dem Bestimmungslande zur Einwanderung nicht zuge - lassen werden. Auch solche Reichsangehörige, für welche von fremden Regierungen ober Kolonialgesellschasten ber Beförderungspreis ganz ober theilweise bezahlt wird, dürfen nicht zur Auswanderung zugelasfen werden. Die Verträge zwischen ben Unternehmern und den Aus- roanberem müssen auf bie Beförderung unb Verpflegung bis zum überseeischen Bestimmungshafen gerichtet fein. Der Verkauf von Fahrscheinen, durch welche Aus- Wanderer über einen überseeischen Platz be - fördert werden sollen, ist verboten. Für Verzögerungen in der Beförderung von dem Vertrags- mäßig bestimmten Orte aus ist dem Auswanderer vom Unternehmer Vergütung zu gewähren. Wenn durch einen Sceunsall ober durch einen anderen Umstand die Reise verhindert ober eine längere Unterbrechung der - selben veranlaßt wirb, so hat ber Unternehmer für Unterkunft unb Verpflegung der Auswanderer kostenfrei zu forgen und die Beförderung derselben sobald als möglich zu bewirken. Jedes Aiiswandererschiff soll vor Antritt der Reise burch besonbere Beamte auf seine Seetüchtigkeit, Einrichtung, Ausrüstung unb Verprovianti- rung, sowie jeber Auswanderer durch einen Arzt auf seinen Gesundheitszustand untersucht werden. Als Aus - wandererschiffe sollen solche Seeschiffe gelten, welche nach einem außereuropäischen Hasen fahren und außer Kajüten- Passagieren mindestens 25 Reisende befördern. Die Aussicht über das Auswandererwcsen soll der Reichs - kanzler ausüben und hierfür besondere Kommissare be - stellen. Die Sanbeäregierungen sollen an denjenigen Hafenplätzen, an welchen Unternehmer zugelassen sind, AuswanderungsveHdtden errichten. Zur VolkSschulgesctz-Bcwcgung. Die „Voss. Ztg." erklärt, die Behauptung, es seien an die preußischen Lehrer Verbote, sich an Diskussionen unb Abstim - mungen über ben Entwurf zu betheisigen, nicht er - gangen, berbiene kein Glauben. Jetzt berichtet die „Köln. Ztg." über eine weitere Verfügung an bie Kreisschulinspektoren, die von der königlichen Regierung zu Arnsberg ergangen ist. Die Verfügung betrifft die fortlaufende Mitwirkung ber Lehrer an der Tagespreise. Die Verfügung erinnert an die Allerhöchste Kabinetsordre vom 13. Juli 1839 und an ben Ministerialerlaß vom 31. Oktober 1841, welche besagen, baß ben Lehrern nur bie Uebernahme solcher Nebenbeschäftigungen gestattet werben soll, deren Verrichtung dem Stinte unb ber Würbe eines Lehrers keinen Eintrag thut unb ihn seinem nächsten Berufe nicht entfrenibet. Wenn bie Verfügung grabe jetzt, wo die Geister im Kampfe um die Schule znsammeutreffcn, erscheint, so zweifelt wohl Niemand, daß sie ben nächsten Zweck hat, den Lehrern zu verbieten, ihren Gegensatz zmn Entwurf ber Regierung auszusprechen. Eine vom bentschfreisinnigcn Verein zu Danzig einberufene Protestversammlung nahm eine Resolution an, in ber es u. A. heißt: „Die Versammlung hält es für ein Gebot der Gerechtigkeit, daß durch Auslösung des jetzigen Abgeordnetenhauses und Ausschreibung von Neuwahlen dem Volke bie Möglich, feit gegeben wirb, sein Urtheil über ben Volksschulgesetz- Entwurf wirksam zu sprechen." Die Urheber dieser Erklärung, und Diejenigen, bie ihr zugestimmt haben, hätten gut getljan, zu bedenken, daß das preußische Abgeorbnetenhans nicht benVolks- willen rcpräsentirt. Diese Körperschaft geht bekanntlich ans bem Dreiklassenwahlsy st cm hervor, welches bie Masse bes arbeitenden Volkes vom Wahlrecht ausschließt und bie Gesetzgebung ben herrschenden Klassen als Privilegium überweist Deshalb ist es ein Rou - se n s, zu behaupten, bem Volke müsse burch Auslösung des Abgeorbnetenhauses Gelegenheit zur Abgabe seines Urtheils über ben Entwurf gegeben werden. Das preußische Volk hat da leider gar nichts mitznrcden I Der Regierungspräsident als „Pfört- n e r" des katholischen Klerus. Ein Mitglied dieses Klerus, Herr Majunke, schreibt in ben „Historisch-politischen Blättern" zu bem Schulgesetzentwurf: „Mag ber pro- testantische Geistliche immerhin ben Regieruugspräsibenten als ben Herrn feiner Schule betrachten: der katholische Priester wirb in ihm nicht mehr sehen, als den Pfört - ner, ber ihm bie Schulthür behufs Ertheilung ober Leitung bes Religionsunterricht öffne t." Man sieht, ber pfäsfische Uebermuth ist im bebenklichsten Wachsen begriffen; bie u 11 r a m 0 n t a n e Ueberhebnng kann roieber in frivolster Weife sich gcltenb machen. Nicht unzeitgemäß dürfte da bie Er - innerung an ein Schreiben Kaiser Wilhelms I. vom 18. Februar 1874 fein, welches in ber vor einigen Jahren erschienenen Biographie Lorb John Ruffels ab- gedruckt ist. Es ist an den genannten Lord gerichtet und spricht ben Dank bes Kaisers aus für bie ihm ftiub- gegebenen englischen Sympathieen in dem Kampfe feiner Regierung gegen u 11ra m0 ntane Ueberhebnng Es heißt in dem Briefe deS Kaisers: „Es liegt mir ob, ber Führer meines Volkes in einem Kampfe zu sein, der schon burch Jahrhnnberte von deutschen Kaisern früherer Zeiten aufrecht erhalten wurde, unb zwar gegen eine Macht, deren Herr - schaft in keinem Lande der Welt mit der Freiheit unb der Wohlfahrt der Völker vereinbar gefunden ist, — einer Macht, bie, wenn sie zu unserer Zeit siegreich wäre, nicht in Deutsch- lanb allein die Segnungen der Reformation, ber Gewissensfreiheit unb das Ansehen der Gesetze gefährden würde." Und heute? Zum Reichswahlgesetzentwurf, welcher der kommissarischen Vorberathnng unterliegt, hat der ultra- montane Abgeordnete Gröber beantragt, dem § 6 folgende Fassung zu geben : „Jeder Abgeordnete wird in einem besonderen Wahlkreise gewählt. „Jeder Wahlkreis wird zum Zwecke ber Stimm - abgabe in Wahlbezirke getheikt, welche möglichst mit ben OrtSgcmeinben zusammenfallen sollen. Kein Wahlbezirk barf mehr als 3500 Gnwohner, keiner weniger als 100 Einwohner, gerechnet nach bet letzten allgemeinen Volkszählung, enthalten. „Ortschaften, in welchen bie erforderliche Zahl von Einwohnern ober eine genügende An- zahl zur Bildung des Wahlvorstandes geeigneter Per - sonen sich nicht vorfindet, müssen mit einer ber näch st gelegenen Ortschaften zu einem Wahlbezirk Bereinigt werden. Große Ortschaften können in mehrere Wahlbezirke getheilt werden. „Mit Ausschluß der Enklaven muffe» die Wahlkreise, sowie bie Wahlbezirke örtlich abgegrenzt unb zu einem räumlich zusammenhängenden Ganzen abgerundet sein. „Ein Reichsgesetz wird die Abgrenzung der Wahl- kreise bestimmen; bis dahin sind die gegenwärtigen Wahl- kreise beizubehalten. Die Abgrenzung ber Wahlbezirke geschieht durch die zuständigen Behörden." Mit der Neuabgrenzung der Wahlkreise durch Reichsgesetz scheint es also auch für bie ZenmimS- männer keine Eile zu haben. Freilich, denn auch bie schwarze Gesellschaft würde dabei keine guten Geschäfte machen. „Bis dahin" daß bie Abgrenzung erfolgt, wird, wenn's nach des Zentrums Wünschen geht, noch Biel Zeit verstreichen. MeNenburgische sogenannte „RechtS' zustäude vor dem deutsche« Reichstage. Wegen ber eigen - artigen Znstänbe auf bem Gebiete bei Vereins- unb Verfammlungsrechts in Meklenburg, wo von einem Rechte ber Bevölkerung eigentlich nicht die Rede sein kann, hat der Walbeckverein zu Fried- lanb i. M sich an den Reichstag gewandt mit ber Bitte, „die r e ich s g es e tzl i ch e Regelung des Vereins- unb Versammlungsrechtes insbesondere zu bem Zwecke, allen erlaubten Vereinen nicht blos freie Be - wegung. sondern auch eine gesicherte rechtliche Grundlage zu geben, nach Möglichkeit bald zu veranlaffen." Die Petitionskommission beschloß, „wenn auch seitens einzelner Mitglieder eine reichsgesetzsiche Regelung des Vereins- unb Versammlutigsrechtes weder als eine Nothwendigkeit noch als ein Bedürsniß aner - kannt wurde, dennoch, unter Bezugnahme auf Artikel 4 Ziffer 16 der Verfassung des deutschen Reiches, sowie unter Berücksichtigung ber exceptionellen Ber- hältnisse in Meklenburg zu beantragen: die Petition dein Reichskanzler zur Erwägung zu über- weisen. Ob bie Erwägung im Sinne ber Petenten auS- fallcn wirb, scheint uns sehr zweifelhaft. Dem Derrath militärischer Gchcimniffe will bie Reichsregierung mit neuen gesetzlichen Bestimmungen entgegentreten. Sie hat bem Bunbesrathe einen bies- bezüglichen Gesetzentwurf zugehen lassen, lieber ben Inhalt beffeiben ist noch nichts bekannt geworden. Ob mau bie Mittheilung von Erlassen, betreffend die Soldaten Mißhandlungen, auch wohl als „Berrath misitärischer Geheimnisse" erachten dürfte? Die Frag« liegt nahe. Zur Welfen- und Reptilienfondsfrage schreibt der „Hannoversche Courier": „Durch verschiedene Blätter gingen dieser Tage Mit- theilungen über Verhandlungen der preußi - schen Regierung mit dem Herzoge von Cumberland, die den thatsächlichen Verhältnissen in wesentlichen Punkten nicht entsprechen. Nach den uns zu Gebote siehenden Nachrichten ist anzunehmen: 1) daß bie Berhanbluugen bie Thronfolge in Braun- schweig überall nicht zum Gegenstand haben; 2) daß dieselben sich nur auf die privatrechtlichen Ansprüche des Herzogs, welche der Beschlagnahme unterstehen, beziehen; 3) daß anscheinend begründete Aussicht auf günstigen Verlauf der ad 2 erwähnten Verhandlungen vor - handen ist. „Erfüllt sich diese Aussicht, so würde in bem ange- kündigten Weifenfon dsgeseh die Aushebung des Beschlagnahmegesetzes beantragt werden." Jedenfalls bie unter ben obmaltenben Umständen praktisch st e^kösung ber Welsen- unb der Reptilien- fonds-Frage:. der Cumberlänber erhält sein Geld unb verzichtet darauf, Herzog zu Braunschweig zu werden. bine Parteikonferenz des Wahlkreises Attrna-Jserloh» tagte am 14. b. M. in Lüden- e i b in Westfale». 16 Orte waren durch 41 Dele - girte vertreten. Die Verhandlungen boten ein trauriges, aber gleichzeitig interessantes Bild ber Sage bet Arbeiter, sowie beten politischer wie gewerkschaftlicher Bewegung in ben einzelnen Orten unb Bezirken. Unterbrückung der Besttebmigen »ach Besserstellung des Arbeiterlooses seitens der Unternehmet, Saalabtreibetci zufolge Beein - flussung ber Wirthe burch Behörben unb bergt, Furcht ber Arbeiter vor Maßregelungen, dies bilbete den Inhalt ber von ben D-legirten vorgebrachten Klagen. Auf Vor- schlag bes Genosfen Dr. Diederich- Dortmund be - schloß die Konferenz, allgemein verständliche Flugschriften, welche dem Bildungsgrade unb ber sveziellen Klassenlage bet Arbeiter in den verschiedenen Bezirken angepaßt sind, zur Einführung ber Massen in das ABC des Sozialis - mus herauszugeben. Man hofft auf diese Weise allmSlig Licht in das Dunkel dort zu bringen, wo bisher münd- siche Agitation nicht betrieben werden konnte. Eine in jedem Kreise gebildete Agitationskommission hat bie bekannteren Genossen ber verschiedenen Ortschaften unentgeltlich mit passendem Agitationsmaterial (Bro. schüren, Zeitungen rc.) zu versehen und letztere sollen wiederum in ihrem Kreise bie aufgeklärteren Genossen in Werkstatt und Fabrik, unb wo sich sonst Gelegenheit bietet, zur Agitation veranlassen. Die Verbreitung der „Märkischen Arbeiter-Zeitung" läßt noch sehr Biele- zu wünschen übrig, woran außer den Unternehmern, Behörden, der Geistlichkeit unb ber Zahlungsunfähigkeit ber einzelnen Arbeiter unb deren Jndiffereiitisinus auch zum großen Theil bie Frauen Schuld tragen, bie unsere Presse wegen bes fehlenben Lokalklatsches bekämpfen. Bedenkt man aber, daß 1884 in Lüdenscheid nur 43, dagegen bei ber letzten Wahl 1065 Stimmen für ben ßanbibaten ber Sozialbemokratie abgegeben würben, so hat man anderen Kreisen gegenüber grabe keine Ursache, mit dem Resultat ber Bewegung unjnfrieben zu fein. Noch am 4. April 1888 nannte der bekannte Musterdemokrat Rechtsanwalt Lenzmann Lüdenscheid die Hochburg ber Fortschrittspartei, und vor wenigen Tagen sprach ein Genosse von derselben Tribüne die Worte: „Die heutige Versammlung hat wieder den Beweis erbracht, daß die Sozial- demokratie bie Herrin derSitNation ist." So änbern sich bie Zeiten I Die Entwicklung schreitet also auch hier in ihren natürlichen Bahnen schnell bem Ziele zu unb geht unbarmherzig über das Flickwerk frei - sinniger Demagogen hinweg. Die wirthschaftlichen Ber- hältniffe lösen auch ben Sandproletar ans bem Garn, welches die Gegner um ihn gesponnen Der JnuungSrummcl kracht zusammen! Die M e tz g e r - I n n u n g zu Frankfurt a. M. hat in ihrer letzten, sehr zahlreich besuchten Versammlung mit großer Mehrheit beschlossen, aus dem dortigen Jnnungsausschuß anSzutreten, weil sie sich nicht an ben politischen Bestrebungen der Innungen beteiligen, sondern nur Berufszwecke verfolgen wolle. Der Beschluß soll dieser Tage dem Jnnungsausschuß übermittelt werden. Der politische H n in b u g, den bie JnntiitLS- größc» zu Gunsten der reaktionären Parteien treiben, 1 muß bei ehrliche» Handiverkern. welche es mit ihrer Würde als Staatsbürger und Arbeiter unvereinbar halten, i zu Handlungen jener Parieren begrabirt zu werben Widerstand erregen. Der Ruhm Elsast-LothringenS, das auf dem besten Wege ist, daS „Reich ber Gottesfurcht und frommen Sitte" zu übertrumpfen, bringt weit über seine Grenzen. Denn aus Elsaß-Lothringen läßt sich das „Regens - burger Morgenblatt" berichten — und die Nachricht macht die Runde durch zahlreiche Blätter Deutschlands — daß bie Glashüttenarbeiter von Boyer „soeben ein Mittel zur Lösung der sozialen Frage ge - funden und auch ausgeführt haben." Die soziale Frage wäre somit gelöst unb zwar sehr einfach: bie Arbeiter liegen sich zur Feier ber ewigen Anbetung früh 5 Uhr eine heilige MZse lesen, komniunizirten währcnb der- selben, hörten Abenbs 7 Uhr noch eine Predigt und „erklärten, baß ihnen niemals ihre Arbeit leichter ge« fchienen unb sie niemals so ruhig und glücklich wäret Wie an diesem Tage". So ward in Boyer bie soziale Frage gelöst. Die Lage der elsäfsischeu Arbeiter vor füufzia Jahren finden wir in der „Revue d'Alsace" Bon 20. Januar 1836 folgendermaßen geschildert: „Mülhausen besitzt einen grimdverschiebeuen Raratter, je nachdem man es Sonntags oder an Werktagen be - trachtet. Während bet Woche bebeden zahlreiche Schloß bie Stabt mit finsterem Qualm. Früh. Mittags uni Abends wimmeln die Straßen von ben aus ben Fabriken strömenden Arbeitern, sonst sieht man nur Leute mit kaufmännischer Physiognomie durch die Straßen eilen. „Sonntags erscheint die Stabt wie tobt. Die Ar - beiter finb draußen auf bem Lande und gehen ihren rohen Vergnügungen nach. Allein, wer wollte ihnen diese mißgönnen? Ihnen, die 6 von 7 Tagen in frei - willigen Gefängnissen fchmachten, in diesen Schlössern der modernen Feudalität, Sklaweu der Bourgeoisie, von ftüh bis in die Nacht über die Maschinen gebeugt, abgezehrt, bleich, zerlumpt, ver - schmutzt, führen sie unter der Sonne Frankreichs ein wahres Negerleben Allerdings zwingt sie nicht die Peitsche des Aufsehers zur Arbeit. Ihre Bürgerwürde, Welche sie für einige Sous pro Tag verkaufen, wird ihnen zurückgegeben, mann sie wollen, b. h. wenn sie verhungern wollen. Sie haben auch daS Recht, reich zu werden, so gut wie bie Soldaten den Marschall - stab im Tornister tragen. „Weg mit diesem heuchlerischen Egoismus, dem man nur schon zu lange gehuldigt I Es wird Zeit, die Dinge beim rechten Namen zu nennen, nicht von Philanthropie zu sprechen, wo nur Gewinnsucht, nur bie Sucht nach Berühmtheit herrscht; ® olb unb Eitelkeit finb bie Seelen dieser Inbte - st ri eilen. „Die ft-üheren Feudalherren wurden alS Despoten verschrieen, die Jndustrielleil werden als soziale Friedens - apostel unb Beglücker gepriesen, alS ob es nicht ein Unter - schied wäre, ob man bie Arbeiter wegen ihrer selbst, ober wegen feiner selbst arbeiten läßt." Um dieselbe Zeit richteten die Arbeiter an? bem St. Amariethal eilte Petition an den Präfekten, in welcher es heißt: „Nie werben die Arbeiter selbst befragt, Alles wirb geheim gehalten, damit sie bie Fabrikantendarstellungen nicht Lügen strafen können. Immer mehr muß gearbeitet werben, immer weniger wirb bezahlt. Rommen Sie also, Herr Präfekt, tommen Sie um Gotteswillen und sehen Sie, wie bleich, wie mager, wie abgemattet, wie arm wir uns Alle befinben. Die Hälfte von uns liegt krank unb muß frühzeitig sterben, unb unseren Wittiven unb Waisen wirb noch bas Bettel» verboten. Die Regierung soll auch eine Zahl Arbeiter ver - nehmen, damit sie erfahre, was vorgeht, unb nicht leibe, baß bet Arbeiter bittere Lage burch Lüge» unb falsche Ziffern verschönert werbe. Hingegen sollte ber Fabrikant seine goldversüßte Sage auch erklären müssen, wie viel er mit schändlicher Gewalt ben Arbeitern abzwacken thut". Diese Mittheilmigen aus einer Zeit, Wo eS noch keine „umstürzlerischen" Sozialdemokraten gab, zeigen, wie es vor einem halben Jahrhundert im Elsaß, dem Paradies der „liberalen" Unternehmer unb ber katholi - schen Pfaffen, um die Arbeiter bestellt war. Aus amt - lichen Berichten, welche in ber Folgezeit über bie Sage der Arbeiter erstattet würben, sind schauderhafte That- sachen zu entnehmen. Es wirb da u. A. zugegeben, daß achtjährige Kinder in Spinnereien selbst 17 Stunden beschäftigt werden, daß dieselben bei jedem Wetter mit den eiebensten Lumpen beberft, um 3—4 Uhr Morgens ihr Lager veriaffen, um in ber Nacht um 10—11 Uhr heinizukehren, daß bie Arbeiter in den Spinnereien verkrüppelt und vor bet Zeit verzehrt hinsinken. Ebenso stellte JeanDollfuS fest, daß die Hälfte ber überhaupt in bie Schule kommenden Kinder dieselbe nur bis zum neunten Lebensjahre besuchte, woraus sie von ihren Eltern zur Fabrikarbcit heran, gezogen wurden Dabei vergaßen sie das etwa Gelernte wieder in der kürzesten Zeit 1500—2000 Kinder besuchten gar keine Schule. Jährlich kamen 500—600 Kinder katholischer Konfession zu ihrer ersten Kommunion, ohne lesen und schreiben zu können. Die ärmste Dorsgemeiiide hatte relativ mehr schulbeiuchende Kinder, als Mülhauseir. Ein intereffanteS Streiflicht auf die Vermögensverhältnisse ber Bewohner Mülhausens warf auch bie Thatsache, baß von 3000 schnlbesuchenbcn Kindern nur 600 das Schulgeld zu ent - richten vermochten. Nichts, rein gar nichts hat das elsässische Psaffen- thum gethan, diese schmachvollen Zustände zu beseitigen. Im Jahre 1868, wo bekanntlich noch kein Schulzwang im Elsaß existirte, trat der heutige Abgeordnete Simonis sogar gegen die Fabrikschule auf unb wollte diese noch abgeschasft haben. Unb diese selbige Klerisei geriet sich jetzr, als sei sie berufen, ben Arbeitern das Heil zu bringen. Auf der „Höhe der Zeit" sieht der Braun- f<6Weiger Magistrat. Derselbe hat einer De- putation der Arbeitslosen folgende schristliche Antwort ertheilt: „Der Stadtniagistrat kann bas Borhanbensei» eines Nothstandes in dem Sinne, daß ein Ein - schreiten der Stabtbermaltung zur Schaffung von Arbeits - gelegenheit geboten erscheine, nicht anerkennen. Die alljährlich im Winter wiederkehrende Verminderung der Arbeitsgelegenheit ist in diesem Winter nicht in er- höhtem Maße zu Tage getreten, im Gegentheil, es haben im Herbst 1891 bie Arbeiten im Freien, insbesondere alle Bauarbeiten länger als sonst und bis in den Winter hinein fortgesetzt werden können. „Sollre ein Nothstand wider Erwarten noch ein» treten, so würde sich Der Stadtmagistrat eventuell nur zu einer Beschäftigung der hier feit wenigstens einem Jahre ansässigen Arbeiter gegen einen mäßigen Tagelohn verstehen können, da auf jeden Fall verhütet werden muß, daß durch künstliche Schaffung lohnender Arbeitsgelegen - heit ein Zuzug auswärtiger Arbeiter be - fördert wird. „Die für das laufende Jahr in Aussicht ge- nominellen städtffcheil W.ge- und Kanal-Banarbeire» sollen in Angriff genommen werben sobald dies mit Rücksicht auf bie Witterungsverhältuiffe zulässig er - scheint." @hi Kommentar zu dieser Antwort des Magistrat» fst überflüssig, ^öchsteus sjeße sich sagen, dieselbe sei cm