Nr. 187. 7. Jahrgang. Hamburger Echo. Dal „Hamburger Echo" erscheint »»glich, außer Montag». Wer «bouuementSPret« (inN. „Die Reue Welt-) beträgt: durch die Poft bezogen (9h. bei Poft, latalog» 9796) ohne Bringegeld vierteljährl.-i.4,90; durch die lkolportvre wöchentl. 86 4 frei in'« Hau«. Berantwortlicher Redaltör: E. Heiue in Hamburg. Freitag, heu 11. August 1893. Anzeigen werden di« sechsgefpaltenr Petitzeile oder deren Raum mit 80 4, fflr den Arbeit-markt, «ermiethungS- und Familieuanzeigeu mit 90 4 berechnet. Anzeigen Annahme in der Expedition (bi» « Uhr Abd-.), sowie in sämmtl. «nnoncen-Büreau«. Redaktion und Expedition: Große Lheaterftraße 44 in Hamburg. Hierzu eine Beilage. AitismWe Pr»gr«Wimllt. in. □ Die Quintessenz aller antisemitischen „sozial- reformatorischen" Weisheit steckt in einem kleinen Satze des „Programms", welcher lautet: „Soziale Neuordnung auf dem Boden der Berufskreise und ErwerbSstände." Der Satz ist zwar nicht neu und der Gedanke, den er enthält, ist nicht dem Hirn der Leiter der ZukunftS- partei entsprungen. Man hat es da zu thun mit einer, in konservativen Kreisen von jeher vertretenen Idee, die auf die überwundene soziale Organisation des Mittelalters zurückgreift. Solch eine Idee ist nur möglich bei Menschen, welche die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft nicht zu er- kennen oder in ihren unvermeidlichen Konsequenzen zu ersassen vermögen. Diese Entwicklung führt, wie das sozialdemokratische Programm so klar darlegt, mit Naturnothwendigkeit zum Untergange des Kleinbetriebes, dessen Grundlage das Privat - eigenthum des Arbeiters an seinen Produktions - mitteln bildet, — also zum Untergange grade der zahl - reichsten Erwerbsstände. Sie trennt den Arbeiter von seinen Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen besitzlosen Proletarier, indeß die Produktionsmittel das Monopol einer verhältnißmäßig kleinen Zahl von Kapita - listen und Großgrundbesitzer werden. Unser Programm geht den Thatsachen auf den Grund, indem es weiter ausführt: „Hand in Hand mit dieser Monopolisirung der Produktionsmittel geht die Verdrängung der zersplitterten Kleinbetriebe durch kolossale Großbetriebe, geht die Ent - wicklung des Werkzeugs zur Maschine, geht ein riesen - haftes Wachsthum der Produktivität der menschlichen Arbeit. Aber alle Vortheile dieser Umwandlung werden von den Kapitalisten und Großgrundbesitzern monopolisirt. Für das Proletariat und die versinkenden Mittelschichten — Kleinbürger, Bauern — bedeutet sie wachsende Zu - nahme der Unsicherheit ihrer Existenz, des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Erniedrigung, der Aus - beutung. „Immer größer wird die Zahl der Proletarier, immer massenhafter die Armee der überschüssigen Arbeiter, immer sschroffer der Gegensatz zwischen Ausbeutern und erbitterter der Klasjenkauipf zwischen Bourgeoisieund Proletariat, der die moderne Gesellschaft in zwei feindliche Heerlager trennt und das gemeinsame Merkmal aller Industrieländer ist. „Der Abgrund zwischen Besitzenden und Besitzlosen wird noch erweitert durch die im Wesen der kapitalistischen Produktionsweise begründeten Krisen, die imnier umfang - reicher und verheerender werden, die allgemeine Unsicher- heit zum Normalzustand der Gesellschaft erheben und den Beweis liefern, daß die Produktivkräfte der heutigen Ge- sellschaft über den Kopf gewachsen sind, daß das Privat- eigenthuiil an Produktionsmitteln unvereinbar geworden ist mit deren zweckentsprechender Anwendung und voller Entwicklung. „DaS Privateigenthum an ProduktionSmiteln, welches ehedem das Mittel war, dem Produzenten das Eigen- thum an seinem Produkt zu sichern, ist heute zum Mittel geworden, Bauern, Handwerker und Kleinhändler zu expropriiren und die Nichtarbeiter — Kapitalisten, Groß - grundbesitzer — in den Besitz des Produktes der Ar- beiter zu setzen. Nur die Verwandlung des kapitalistischen Priv ateigenthumS an Produktionsmitteln — Grund und Boden, Gruben und Bergwerke, Rohstoffe, Werkzeuge, Ma - schinen, Verkehrsmittel — in gesellschaftliches Eigenthum, und die »Umwandlung der Waaren- Produktion in sozialistische, für und durch die Ge' sellschaft betriebene Produktion kann es bewirken, daß der Großbetrieb und die stets wachsende Ertragsfähigkeit der gesellschaftlichen Arbeit für die bisher ansgebeuteten Klaffen aus einer Quelle des Elends und der Unter- drückung zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger, harmonischer Vervollkommnung werde. „Diese gesellschaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung nicht blos des Proletariats, sondern deS ge- sanimten Menschengeschlechts, das unter den heutigen Zuständen leidet." Da haben wir die denkbar wahrste und klarste Schilderung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und zugleich die Angabe des Mittels, diesem Unrecht und Unheil ein Ende zu machen. Berufsgenossen. ! ch a stli che O rg a nisa ti 0 n der Arbeit mit Unterordnung deS Kapitals, der Pro - duktionsmittel, als gesellschaftliches Eigen- thun, unter die Arbeit; eine alle Bernfskreise umfassende Organisation auf der Grundlage des d e m 0 - kratischen Sozialismus, — das ist das nächste große Ziel der ökonomischen Entwicklung. Aus dem Boden der bestehenden Wirth- ! ch a fts 0 rd n il n g, die vom Kapitalismus be- herrscht wird, eine „soziale Neuordnung" nach Berufs- kreisen und Erwcrbsständen vornehmen wollen, das Mit aus dem Gipfel der unsinnigsten Uto- d' st erei stehen. Ohne Beseitigung der kapitalistische» Mirthschaftsordnung, ohne Rückkehr zu iniltelaltellichen Zuständen ließe sich das antiseniitische ZiikniiftsstaatS- Ideal mit der „sozialen Neuordnung" nicht schaffen. Aber diese WirthschaftSordnung läßt sich nicht hinweg- klretiren, sie will sich auslebe 11, um einer gercch- tev,n Platz zu machen. Alle soziale Neuordnung an» nur das Ergebniß der wirthschaftlichen '"»■ Will der Antisemitismus eine wirthschastliche Neu- "kdiiung? Nein, er läßt die Kapitalherrschaft, w Grundlage der bestehenden Ordnung unangetastet, 6 er zugleich die züuftlerischcn Bestre- I “ n 9 e n unterstützt und in seinem Programm B e - zg"nku„g b e r Gewerbesreiheit fordert. i m °’ r le ’ en ro ' r i" einem den antisemitischen Kandidaten blatt" fClt Hamburger Wahlkreise empfehlenden Flng- °d j 6ic -Zukuiiftspartei" dafür eintreten will, c ^u-wüchs, des Kapitalismus" zu be ¬ seitigen. Wenn wir nur erst wüßten, was 61t Anti- semitiSmuS unter „Auswüchsen" versteht! Er wendet sich bekanntlich nur gegen jüdisch, Kapitalisten und Ausbeuter und will glauben machen, wenn nur diese erst „unschädlich" gemacht seien, so sei auch „die soziale Frage gelöst". Danach hat er an „christlicher" Kapital- herrschaft nicht» auSzusetzen. Mit keiner Silbe thut da» anti - semitische Programm de» Kapitalismus Erwähnung, geschweige denn, daß von Gegensatz und Kampf zwischen Kapital und Arbeit die Rede wäre- von welchem Kampfe schon Laffall« vor mehr als dreißig Jahren schrieb, daß er zum Inhalt hat den wieder ein- mal streitig gewordenen Begriff des erworbenen Rechtes und daß dieser Streit die Gesellschaft durchzittert bis in ihre innersten Tiefen. Um diese entscheidende Thatsache drückt der Anti - semitismus sich herum; ja, er wirst sich zur Vertheidigung der streitigen Grundlage gegenwärtiger Ordnung, des erworbenen Rechter der Ausbeutung aus. Nur darf der Ausbeuter nicht Jude sein I Zwar kennt die „Zukunft-- Partei" uch eine „Arbeiterfrage" und ihr „Pro- gramm" fordert zur „Lösung" derselben: a. Verbesserung bezw. weiteren Ausbau der Kranken-, Unfall-, Invaliden- und AlterSversorgungS-Gesetze; staatliche Fürsorge für Wittwen und Waisen; b. Maximal-Arbeitstag nach der Eigenart der einzelnen Betriebe; c. Beschränkung bezw. Verbot der Frauen- und Kinder- arbeit in Fabriken und gewerblichen Betrieben; d. Sonntagsruhe von mindestens 36 Stunden; e. staatliche Einigungs-Aemter für Lohn- und andere Streitigkeiten; f. Fürsorge für gesunde Arbeiter-Wohnungen ; g. Ueberwachung des Fabrik- und Bergwerkwesens; h. Verbot der Einführung chinesischer Arbeiter. „Seht Ihr" — sagen uns die Antisemiten mit trium- phirender Miene — „wir wollen auch was für die Arbeiter thun, wir fordern gesetzlichen Arbeiterschutz, so gut wie die Sozialdemokratie." Gemach, Ihr Herren, fein gemach I Was werdet Ihr antworten, wenn wir Euch beschuldigen, läp - pische Demagogen zu sein? Ihr seid'sl Aber Ihr dürft Euch trösten, denn Ihr steht als solche nicht allein. Auch das Zentrum hat seine Dema - gogen, die mit Arbeiterschutzgesetzverheißungen glauben wenigstens noch einen, wenn auch nur kleinen Theil der Masse indifferenter und unaufgeklärter Arbeiter für die ultramontauen Parteizwecke eiufangen zu können. Und neuesten» hat man im Schooße der sogenannten „frei, sinnigen" Partei alles Ernstes erwogen, ob eS nicht g«. rathen sei, auch etwas in „Sozialpolitik" und „Arbeiter- schütz" zu machen, um — der Sozialdemokratie „Ab- bruch zu thun". AIS vor etwa 25 Jahren bei ihrem Einzuge in's Parlament die Sozialdemokratie begann, sozial- politische Gesetze im Jntereffe der Arbeiterschaft zu fordern, da hatte sie Regierung und sämmtliche Parteien in schroffster Weise gegen sich. Man be- zeichnete die allerbescheidensten Forderungen zum Schutze der Arbeiter gegen übermäßige Ausbeutung als „un - durchführbare", „nur aus die Verhetzung der Arbeiter wider das Kapital berechnete". Nicht einmal das Fabrikeninspektorat wollte man zugestehen. Mit aller Entschiedenheit vertheidigten Regierung und herrschende Parteien den manchesterlichen Grundsatz: der Staat habe kein Recht, sich in die Verhältniffe zwischen Kapital und Arbeit einzumischen. Aber die sozialdemokratische Partei wuchs und wuchs; die Arbeiterbewegung ergriff immer weitere und größere Kreise, sie wurde eine Macht im politischen Leben, die mit immer größerem Nachdruck ihre For - derungen an di« Gesetzgebung richtete, so insbesondere auch die gesetzlichen Arbeiterschutzes und der gesetzlichen Arbeiterversicherung. Dar- über verging ein Jahrzehnt. Immer noch widerstanden Regierung, sowie die liberalen und konservativen Par - teien diesen Forderungen. Die inzwischen entstandene Zentrumspartei aber trat unter dem Einfluß des ihr ausgezwungenen Kulturkampfes, in der Hoffnung, große Masten von Arbeitern an sich zu festeln, der Frage der sozialpolitischen Gesetzgebung näher. Wir erwähnten vor einiger Zeit an dieser Stelle, daß noch im Jahre 1877 da» offizielle Organ der preußischen Regierung, die „Provinzial-Korrespondenz", eine „amtliche Denkschrift" veröffentlichte, in welcher eS wörtlich heißt: „Die Anwendung außerordentlicher Mittel zu Gunsten der Arbeiter muß sehr bedenk- lich und gefährlich erscheinen. Der schon jetzt laut gewordene Ruf nach Umgestaltung der b e- stehenden Ordnung würde noch lauter ertönen, je mehr die Regierung unter Aufgabe ihrer Grundsätze in Folge des Druckes von in sozialdemo kratischen Volksversammlungen gefaßten Resolutionen sich nachgiebig erwiese." Was forderten denn jene Volksversammlungen? Nicht? mehr als: Maßregeln zur Verbesserung der Lage der Arbeiter ; gewerbliche Schiedsgerichte und Einigungs- äntler; Reform oer Strafanstalt-arbeit; Beschränkung der gewerblichen Frauen- und Beseitigung der Kinder - arbeit ; gesetzlichen Normalarbeitstag; Versorgung der Arbeiter im Alter und im Jnvaliditätsfalle rc. Davon etwa- znzngestehen, schien der Regierung „sehr bedenklich und gefährlich". Es kam daS Sozialistengesetz im Jahre 1878, das unsere Partei „vernichten" sollte. Die .Ver - nichtung" gelang nicht. Dann wurde die Welt über - rascht durch die kaiserliche Botschaft vou 1881, welche „positive Förderung de- Wohles der Arbeiter" verhieß und durch die in den Motiven znm Unfallver- sichernngsgesetzeutwurf enthaltene Erklärung: daß gesetz - geberische Maßregeln zu Gunsten der Arbeiter zu ergreifen seien, und zwar ohne Rücksicht auf da- Be - denken, „ein sozialistische- Element in die Gesetzgebung einzusühre n". Was dabei für die Arbeiter herausgekommen ist, wissen unsere Leser. Seitdem veranstalten die sogenannten „Ordnung-- Parteien" einen förmlichen Wettkampf in „Arbeiter- fteundlichkeit" oder w«nigsten- in Versicherungen derselben. Nun fordern sie alle, jede entsprechend ihrer Eigenart, wenigsten- „etwas" für die ArbeUer. Wer wird sich wundern, daß auch die antisemitisch, Partei diese- demagogische Spiel mitmacht? Im Bunde mit der Macht der wirthschaftlichen und sozialen Thatsachen hat di« Svzialdemökrati« Regierung und gegnerische Parteien gezwungen zur Anerkennung der sozialen Frage und der Nothwendigkeit der Sozialreform, wenigsten- im Prinzip. Und nun geberden sich all« dies« Parteien, als seien sie die 6t- rufenen „sozialreformatorischen" Faktoren und hätt» ihr „sozialreformatorische-" Wirken gor kein« Bor. geschickte. ES bleibt schon dabei, wa- wir so oft betont haben, und was ja selbst ein BiSmarck im Reichstage zugegeben hat, die „Arbeiterfreundlichkeit" der anti > sozialdemo - kratischen Parteien ist das Resultat der Furcht vor der Sozialdemokratie. Und wenn der Antisemiti-mu- in sein Programm Forderungen aufnimmt, bk unsere Partei schon vor einem viertel Jahrhundert mit ge- höriger Begründung und weit klarer, umfastender und präziser unter dem entschiedensten Widerstand« der Regierungen und der herrschenden Klassen ausgestellt hat, — nun, so ist daS doch nur ein« plump ■ demagogisch: Spekulation aus Arbeiterstimmen. Sollten die Herren Antisemiten sich von dieser Spekulation im Ernste Erfolg unter den Arbeitern, besonders hier in Hamburg, versprechen, so dürften sie unseres auf - richtigen Mitleids sicher fein. Wer von diesen Herren nicht ganz ohne sozialpolitische- Verständniß ist, wer von ihnen den wahren Rarafter der Arbeiter - frage wenigstens ahnt, bet muß ein Gefühl tiefer Beschämung empfinden, wenn er die diese Frage betreffenden Forderungen de- antisemitischen Programm - vergleicht mit denen, die das Programm der Sozial- demokratie aufstellt. Hier sind sie: „Zum Schuhe der Arbeiterklaffe fordert die sozial - demokratische Partei Deutschland- zunächst: 1) Eine wirksame nationale und inter - nationale Arbeilerschutzgesetzgebung auf folgender Grundlage: a. Festsetzung eines höchstens acht Stunden be - tragenden Normal-Arbeitstages. b. Verbot der Erwerb-arbeit für Kinder unter vierzehn Jahren. e. Verbot der Nachtarbeit, außer für solche Industriezweige, die ihrer Natur nach, aus technischen Gründ- > 'her au- Gründen der öffentlichen Wohlfahrt Nachtarbeit erheischen. d. Eine ununterbrochene Ruhepause von min - desten- 36 Stunden in jeder Woche für jeden Arbeiter. e. Verbot des Trucksystem-. 2) Ueberwachung aller gewerblichen Betriebe, Er- sorschung und Regelung der Arbeitsverhältniffe in Stadt und Land durch ein Reichs-Arbeitsamt, Bezirks-Arbeitsämter und Arbeitskammern. Durch - greifende gewerbliche Hygieine. 3) Rechtliche Gleichstellung der landwirthfchaftlichen Arbeiter und der Dienstboten mit de» gewerb - lichen Arbeitern; Beseitigung der Gesinde- ordnungen. 4) Sicherstellung des Koalition-rechts. 6) Uebernahme der gejammten Arbeiterversicherung durch das Reich mit maßgebender Mitwirkung der Arbeiter an der Verwaltung.' Die so sehr wichtige Frauenfrage wird int antisemitischen Programm völlig ignorirt. Es muß aber gefordert werden, wie die Sozialdemokratie das thut : Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich, und privatrecht, licher Beziehung gegenüber dem Manne benachtheiligen. Ueber di« gradezu albernen Portierungen de« Programm- der „Znkunftspartei", betreffend die Be - schränkung der Konsumverein«, strafrechtliche Bestim - mungen gegen verlogene Reklame rc. gehen wir ohne ein Wort der Kritik hinweg. Nur die eine Bemerkung wollen wie un- erlauben, daß solche strafrechtliche Be- stimmungen ant richtigsten Anwendung fänden gegen den Antisemitismus selbst, denn dieser ist die Stätte der denkbar verlogensten Reklame (ü r recht schlechte Zwecke. „Besserung der sozialen Lage der HandelSgehülfen" verlangt da- antisemitische Programm auch; aber darüber, wic diese Besserung be - wirkt werden soll, erfahren wir nichts. Hier tritt wieder die Art und Weise, wie der Antisemitismus hofft, Anhänger au- den einzelnen Beruf-kreisen zu gewinnen, in ihrer ganzen großartigen „Genialität" zu Tage. Den Beamten die Versicherung der „Fürsorge', den Handwerkern, Bauern, Arbeitern und Handl ungsgehülfen ebenso. Jeder bekommt eine Extrawurst gebraten, an der er kauen und würgen kann nach Herzenslust, beseelt von dem Gedanken, daß sie doch wenigstens nicht — „k 0 s ch e r' ist. Nur nebenbei sei noch bemerkt, daß das antisemitische Programm für eine „thatkräftige und zielbewußte Kolonialpolitik' (also sür die mit dem Gelde des Volkes und mit dem Blute seiner Söhne zu schützenden Sonderinteressen einiger großer Handelshäuser), sowie für „Einrichtung von ü b e r • seeischen Strafkolonien" eintritt. Weshalb nicht auch für ein Gesetz, daS alle Gegner bei Anti - semitismus, bie Juben natürlich in erster Linie, uer- urtheilt, in bie Strafkolonien geschickt zu werden? Ganz ant Schluffe de- Programms kommt der Kernpunkt der antisemitischen Bestrebungen zum Ausdruck in der Forderung: „Aufhebung der Gleichberechtigung und Stellung der in Deutschland lebenden Juden unter ein besonderes Fremdenrecht (Judenrecht); Verbot der Einwanderung fremder Juden." Ueber dies« aller Vernunft und den einfachsten Grundsätzen der Gerechtigkeit Hohn sprechende, die Humanität und Kultur schändende, dem Sumpfe bei revolutionären Geiste- brutaler Junker unb zelotischer Pfaffen entstammende Forderung haben wir schon so oft bk Geißel der Kritik geschwungen, daß wir H heute wohl bei dieser bloßen Erwähnung bewenden lassen dürfen. — Ach, wie recht hatte doch jener österreichische Politiker, der bett Antisemitismus ben „Sozialismus de» dummen Kerls" nanntet Dieser „Sozialismus" ist'«, der auch au» betn „Programm" der antisemitischen Partei spricht. Wo keine vernünftigen unb gerechten Grunb. Prinzipien die Richtschnur des sozialpolitischen Handelns abgeben, da kann ein Parteiprogramm aller- ding- nichts Befferes bieten, al» daS, was daS antisemitische enthält. Der „Sozialismus des dummen Kerl-" tritt da so recht deutlich in die Erscheinung. Von Her WelWne. „Teutsches Volk, den Beutel auf," — da- ist bet Reftän de- garstigen politischen Liebes, das auf ber am 8. August in Frankfurt jufammengetretenen Finanz, minister. Konferenz ertönt. Ueber bie Verhand- lungen unb Beschlüße scheint bie „Franks. Ztg." am besten informirt zu fein. Herr Miquel behauptet, offen- bar im Einverstänbniß mit seinen Kollegen vom Fach: bie Mittel zur Deckung der Kosten für die „HeereSreform" müssen aufgebracht werben. Der Scharfsinn bet Kon- ferenzler war hauptsächlich ber Frage bet Tabak- sabrikatftcuer gewidmet. Die Debatte wat sehr ein - gehend unb, wie man vernimmt, wurden gegen ben Steuervorfchlag von mehr als einer Seite Einwendungen erhoben. Man ist aber zu einem — wenn auch nicht einstimmigen — Einverstänbniß gekommen, so baß also bie Tabakfabrikat st euer feiten- ber Vertretet ber Regierungen im Prinzip als angenommen gelten darf. Hingegen läßt sich über die Höhe ber Steuer und bie Abmessung ber Abstufungen nichts sagen; sie muß schon aus dem Grunde späterer Berathung Vorbehalten bleiben, weil erst, wenn da- reichsfinanzielle DeckungS- programm vollständig vorliegt, auch ber aus dem Tabak zu ziehend« ©teuerertrag genau abgeschötzt werden kann. Es wird bie Bemessimg dieses Mehr- ertrage» ganz davon abhSngen, wie die übrigen Steuerprojekte ausgenommen werden; mit anderen Worten: je weniger die anderen Steuervorschläge Aus - sicht auf Annahme haben, desto mehr muß der Tabak bluten und umgekehrt. Wie schon gesagt, wird die Produktionssteuet fallen und bementsprechend ber Tabak- zoll genau um M. 45 herabgesetzt werden. Was bie Art ber Besteuerung betrifft, so ist eine Stempelung beim Fabrika nten in Au-sicht genommen. Es werden drei Hauptklaffen angenommen, Zigarren, Rauch - tabak, Schnupftabak, innerhalb deren Abstufungen nach dem Werthe Platz greifen. Die Einführung von Bande- rollen, wie sie anderwärts in Gebrauch find, ist nicht beabsichtigt, vielmehr beschränkt sich die Aufsicht auf eine Buchkontrole, bie unter thunlichfter Schonung ber kleineren Produzenten durchgesührt werben soll. (111) Ueberhaupt gedenkt man die Kontrole jo weit zu er - leichtern, als nur irgend möglich ist, um jede Schädigung der Betriebe fernzuhalten. Man hofft, daß das Tabak- fabrikatssteuergesetz bereits am 1. April in Kraft treten kann. — Auch über das Stempel st euer- gesetz wurde berathen, und auch hierüber ist man, wie verlautet , zu einer gewissen Einigung gekommen, die indessen ganz allgemeiner Natur ist. Die Frage gilt in ihren Einzelheiten noch nicht als spruchreif, weil grabe in ber letzten Zeit beachtens- werthe Mittheilungen Über bie Bedürfnisse des Geschäft-- leben- gemacht worden sind, die eine Berücksichtigung er - heischen. Weitere sorgfältige Berathungen find in AuS- sicht genommen, da bie Absicht besteht, bas jolibe Ge - schäft thunlichst wenig zu belästigen. Enblich ist auch bie Quittungssteuer in ben Kreis ber seitherigen Be- rathungen gezogen worden. Bindende Beschlüsse sind bis jetzt, wo wir dieses schreiben, noch nicht gefaßt worden. Es wird erwartet, daß die Konferenz bis morgen (Freitag) ihre Arbeiten beendet haben wird. Woraus eS aukommt bei der „Steuer - reform". Guter deutscher Michel, lasse dich nicht täuschen über den Zweck dieser famosen „Reform". Man wird eine bedeutende Zunahme des sozialen Elends und ein Anwachsen der wirthschaftlichen Korruption herbeireformiren. Aber wem soll'« zu Gute kommen? Dem Reiche? Man sagt so. In Wahrheit aber ist Herr Miquel um bie Reichsfinanzen nicht besorgt. ES ist ihm im Gegentheil vollkommen gleichgültig, was neu besteuert werben soll Seine Hauptsorg« ist ba- preußische Budget mit seinem Defizit von einem halben hundert Millionen, das zu einer ständigen Einrichtung zu werden droht unb bas man nicht alljährlich mit neuen Anleihen becken kann. Das wichtigste an ber Reform ber Reichsfinanzen sinb möglichst große Ueber- Weisungen an bie Einzel st anten. DaS Reich soll das Defizit im preußischen Haushalt decken. Daher die ungeheure Sortierung von 150 bis 200 Millionen neuer Reichssteuern, was eine Vergeudung einer eben so großen Summe sauer erworbener Arbeit-- groschen nach sich ziehen wird. Es wäre eine überflüssige Mühe, den Finanzministern in's Gewissen zu reden. Die Herren halten nichtssagend« Reden, aber das Ergebniß wird dem Volke gellend in die Qhrcn klingen. Die Berliner „BolkS-Ztg." meint: „Was bie Finanzminister beschließen werden, dürste ohne Weiteres die Zustimmung des Bundesrathes finden. Allein der Reichstag? Nach feiner Zusammen- setzung zu urtheilen, darf man kaum hoffen, daß er e8 über sich bringen wird. Widerstand zu leisten Selbst wenn das Zentrum sich in seiner Gesammtheit gegen die indirekten Steuern erklären sollte, was saunt anzu- nehmen ist, so werden bie Antisemiten boch nicht verfehlen, zuAllemJa und Amenzusagen. Und was bie politischen Rückenmärker um Rickert betrifft, so vermag ein herablassendes Klopfen auf bie Schulter Wunber zu wirken. Auch sie werden «s zugeben, daß das Reich unter Kuratel gestellt wird Auch sie werden dazu beitragen, daß die Unzufriedenheit immer weitere Kreise ergreift, und daß die Kluft zwischen den besitzenden unb nicht besitzenden Klassen noch breiter wird." Ein recht vergnügtes Gesicht wird vorgestern bie Hauptperson vom „V orrnuudschasts-Komit« b e i Deutschen Reiches", das da gegenwärtig in Frankfurt a. M. über die Zoll- unb Stener<„Reform" beräth, Finanzminister Miquel, gemacht haben, als er eine Deputation des deutschen Gastwirth- sch asls-Be rb and eS empfing. Dieselbe kam, um ben Finanz-Zauberer für den Kampf gegen ihr« Konkurrente» zu intereffircii nach dem bekannten Text: „O, Du heiliger Florian, Verschone unsere Häuser, Zünd' andere dafür an." Sie überreichte eine Petition, in der eine Reihe von Mißständen aufgezählt wirb, bie nach bet Ansicht der Petenten zu dem Niedergang des Wirthsgewerbes beitragen. Sie wenden sich gegen bie sogenannten Vereinswirthschaften, das Zimmervermiethen mit Pension und die Privatkostgebereien, namentlich aber gegen ben Flasch« nbierhan del unb -Verkauf, ber konzessionS-, Verordnung-- unb int Kleinverkauf steuerfrei betrieben werden sann, während ber Wirth nur unter Konzession, Berorbnung, bebrütenden Steuern und großen Geschäft-unkosten da» Biet abfetzen könne. Staatssekretär v. Maltzahn sagte zu, daß di« Konzefsion«- pflicht bei Flaschenbitthandel» oder -Verkauf» demnächst im Reichstag zur Berathung kommen solle; die Rege - lung des Kantinen- und Beteinlwirthschastswesens lieg« bereit# dem Reichstage vor, unb zwar in einem ben Petenten günstigen Sinne. Die Kantinen, Konsum- Vereine, Offiziervereine, sowie die Bierbrauer, bie Bier an Private abgeben, würben danach künftighin besteuert werden. Sv kann denn Herr Miquel bei Jnfzenirung diese» Theile- der „Steuerreform" sich allen Opponenten gegen - über daraus berufen, daß ein bedeutender Interessenten- kreis dieselbe au-drücklich verlangt. Aber wenn bk Mitglieber be- beutschen GastwirthschaftSverbandeS baran bie Hoffnung knüpfen, baß sie «ine „ Entlastung" unb bk „Hebung ihres Geschäft-" erfahren werben, s» bürsten sie halb eine nieberbrfidenbe Enttäuschung er - leben Der anarchistische Raratter unsere» Wirthschaft»- lebeu» wirb durch derartige Sonberintereffen-Umtrieb« in seiner vollen Schärfe erkennbar. Da steht eine Jnteressenten-Gruppe gegen bie anbere; der Inter- essenkampf erfährt durch bi« famos« Zoll- und Steuerpolitik ein« bedeutend« Verschärfung, und zwar «ur zum Vortheil dieser Politik, nicht jum Segen be» arbeiten» ben, tonfumirenben Volke», da» bie Zech« zahlen muß. Was biefe ober jene Gruppe von Inter» effenten, wie z B. bie der Gastwirthe, auf ber einen Seite scheinbar gewinnt, wirb sie auf bet anderen Seite in Wirklichkeit doppelt verlieren. Dk Finanzpolitik ober lacht sich in'- Fäustchen unb benlt: divide et imper» — theil« und herrsche. Auch die Börsianer, vertreten burch eine De - putation be- Frankfurter Wechselrnakler- SynbikatS, sinb bei Herrn Miquel von wegen ber projektirten!Börs«nsteuer vorstellig geworden. Die Deputation legte — wie wir auS einem Bericht der „Franks. Ztg." entnehme» — die Nachtheile bar, bi« schon bie bisherige Steuerbelastung deS Börsenverkehr» herbeigeführt habe und welche bei einer Verboppelung ber Steuersätze sich noch wesentlich steigern müßten, zumal bie Geschäftsthätigkeit ber Börse ohnehin unb seit längerer Zeit so schwer barnieberliegt. Die Erwi» berung des Minister» gab, äußerem Vernehmen nach, bie Versicherung, baß auch er bie vexatorisch« Natur dieser Besteuerung keineswegs verkenne, unb daß er im Prinzip durchaus kein Freund einer Besteuerung de» Verkehrs sei. Aber er müsse bestreiten, baß schon ber bisherige Steuersatz eine schwer« Schädigung bewirkt habe, da doch die Börse vor einigen Jahren einen Auf - schwung nahm trotz der Steuer unb jetzt barnieberliege aus einer Reihe von anberen Ursachen. Eine Mehr- b elaft ung ber Börse aber werbe nicht zu nermeiben fein. Wir leben in einem eisernen Zeitalter, bie Kosten be» neuen Mlltärgesetze» müsse« aufgebracht werben unb Niemand werbe eine neue Steuer durchsetzen können, ohn« daß zugleich eine weitere Besteuerung der Börse erfolgt. Während jeder ander« Steuervorschlag aus der einen oder anderen Seite Widerspruch findet, werte bie Mehrbesteue- rung ber Börse im Volk« und so ziemlich von allen Par - teien gefordert und gebilligt. Ob sie so groß« Summen wirb einbringe» können, wie ihre Befürworter annehmen, das bezweifle freilich auch er, aber auSbleiben werde sie nicht können. Dem Gedanken einer Rontingentirung eine# bestimmten Ertrage» und deffln Vertheilung auf bie ein - zelnen Börsen schien auch ber Minister abgeneigt; e» sei zu schwierig, bie Börse al# Korporation zu fassen, unb festzustellen, wer dazu beizutragen habe, wer nicht Auch in Bezug auf da» Projekt einer Rotirung#- und Emission». steuer fanden die vorgebrachten Einwendungen die An - erkennung be» Herrn Miquel, namentlich, daß e» schwer angehe» würbe, bie schon zugelaffeiien Papiere nachträg. lich zu belasten, während eine Mehrbesteuerung neuer Emissionen grabe bie Papiere brüten unb noch nieberen Range# begünstigen unb ihnen einen geschützten Markt verschaffen würde. Nach alledem geht der Gesammtein- druck dahin, daß schließlich boch an der geplanten Er - höhung ber Umsatzsteuer festgehalten werben soll. Int Gegensatz zu ben obigen Melbungen über bi« Aeußerung be» Finanzmiiiisters gegen eine Emissions - steuer wirb aber nach einer Wolfstschen Meldung ans Frankfurt a. M. von „unterrichteter Seite" bie Nach- richt, daß ber Finanzminister Dr. Miquel sich gegenüber den Frankfurter Maklern gegen eine Emission-steuer ausgesprochen habe, als vollständig unbegründet erklärt. Crinttt Blick in'S Weit« thut bie ultramontane „Kölnische BolkS-Zeitung" in einem Artikel über ben internationalen Kongreß in Zürich. Sie schreibt: „Sehr lebhaft bürste ei in Zürich auch bei be« Frage bet Taktik unb dem „Kr i e g s a u s st a n b" zu - gehen Liegt boch von hollänbischer Seite abermals der verrückte Antrag vor. das revolutionäre Proletariat möge eine etwaige Kriegserklärung mit dem „Weltausftand" beantworten, bi« gewaltsame Revolution in allen Ländern auSrnsen und bie Proletarier im Solbatenrock zur Verweigerung des Kriegsdienste» auf- fordern. Der BtÄffeler Kongreß hat zwar diese groß - mäulige Drohung auf Betreiben der Teutschen zurückge- wiesen; aber es dürfte sich inZürich immerhin eine ansehnliche Minderheit für ben holländischen Antrag erklären. Und ob bie parlamentarische Taktik ber deutschen Sozial - demokratie Billigung finde» wirb, steht noch sehr dahin. Allerdings werden sich, wie jüngst bie „Neue Zeit" be - merkte, bie deutschen Sozialdemokraten keine ben beutschen Verhältnissen wibersprechende Taktik bittiren lassen; aber sie werben wohl selbst kaum glauben, im Deutschen Reichstag je bie Mehrheit zu erhalten. Und wenn e» b 0 ch ber Fall wäre, so würde s i ch die Minderheit der Mehrheit schwerlich fügen. Ein gewaltsamer Abschluß ist, wenn die Dinge sich in der bisherigen Weise weiter entwickeln, unvermeidlich." Wem spricht denn bas ultramoutane Blatt bei Voraussetzung dieser Eventualität bas Urtheil ? Nicht ber Sozialdemokratie, sonder» ben herr - schende» Klaffen, von denen da» Blatt annimmt, daß sie geneigt feien, ihre Privilegien, bie mit bei» Ge- saninitintereffe unvereinbar sinb, mit Gewalt gegen bie Mehrheit zu vertheidigen. Sieht denn die „Köln. Volks-Ztg." nicht ein, daß sie damit da» „Recht der Gewalt" plausibel macht? I TaS „gutgesinnte" Preßkosakenthnm ärgert sich furchtbar darüber, daß der internationale Arbeiterkongreß in Zürich kurzen Prozeß mit den Anarchisten gemacht, jeder Gemeinschaft mit diesen Herren entsagt unb sie gebührendermaßen an die frische Luft befördert hat. Das paßt unseren „Ordnung». Politikern" gar nicht in den Kran: ; sie hätten e» so gerne gesehen, baß die Sozialdemokratie wenigsten» ben Anschein zugelassen hätte, als billige sie im „Gritnbe be» Herzen»" den Anarchi-mu». Dann hätten sich so prächtige Artikel zuni „Schuhe der Ordnung" schreiben lassen l Doch ti hat nicht sollen sein. Mit schlecht Der- hehltem Ingrimm leistet sich ein solcher Politiker folgende „bie Nutznießer der proletarischen B«. w e g u n g * überschriebene Faselei: „Der Anrschluß ber Anarchisten von ben Sitzungen be» Züricher Sozialistenkongreffes kann Niemanb Wunder nehmen, der bie Sachlage objektiv zu wüthigen weiß. (IIIII) Die Herren, welche auf bei» Zünhe« Kongreß bas entscheibenbe Wort sprechen, wollen nicht,