Nr. 249. 9. Aahrgang. Da« „SximbHtfler »rtjo* «f»tiiit täglich, außer Monlagr. Ler «boinirilirittfllirciS (hitt. „Dir Rcnr Welt") beträgt, durch die Post bezöge« (Wt de« Post, tatalog« 2955; ohne Briugegeld vierteljährlich X 4,20; durch die «alportSrc wScheittl 36 4 frei in’« Hau«. BerautworUicher Redaktor: Si. Steuzel in Hamburg. Freitag, deu 25. Oktober 1895. Anzeige» imrdeu die lechlgeipaltene Petitzeile oder deren Raum mit 30 4, kür den «rbcitSmarkt, «ermiethuugS- mtd Aamtlieuauzeige« mit 20 4 berechnet. Auzeig-n-Annahme in der Expedition (bis 6 llstr Abd».), sonnt in stürmst, «nnoncen.vüreaux. Redaktion und Expedition: «rohe Theater strafte 44 in Hamburg. Hierzu eine Beilage. Wer zsilhtet Mörders Slus Mülhausen i. T. wird der „Franks. Ztg." nnterm 22. Oktober geschrieben: „Das «ttiutat gegen Schwartz hatte bekanut. lich zur Folge, daß verschiedene Personen, die sich ver- dächtig äußerlen oder in ihrer geistigen Beschränkheit gar mit Drohungen um sich warsen, sofort verhastet wurden. Einer dieser unbedachten Häftlinge hatte sich bereits vor der hiesigen Strafkammer zu verantworten. Es ist die? ein gewisser G. Petitjean, Zylindermacher hier, der längere Zeit schon arbeitslos umherirrt und noch vielfachen Versprechungen von der in Fabrikanten - händen ruhenden Arbeitsvermittluiigsstelk« mit den Worten schließlich abgefertigt wurde, er erhalte keine Arbeit, da er — Sozialdemokrat sei l Dies reizte den durch Arbeitslosigkeit und Entbehrungen de- primirten Familienvater so, daß er am Tage nach dein Attentat aus Schwartz dem Angestellten der ArbeitS- Vermittlungsstelle tu bett Weg trat und ihn mit den Worten ansprach : „Sie sind schuld, daß ich keine Arbeit bekomme. Ich bin Sozialist. Sie wissen, wie es gestern dem Henri Schwartz ergangen Ist. So geht es Ihnen auch einmal 1" Dieser Drohung wegen legte ihm das Gericht eine Gesängnißstrase von 6 Monaten aus." Zu dieser Mittheilung macht das genannte Blatt folgende Bemerkung: „Dieses Verhalten der ArbeitSvermitilungsstelle macht es immer erklärlicher, daß die Verhält - nisse zwischen Arbeitern und Fabrikanten in Mülhausen keine günstigen sein können. Auch der Mörder Meyer halte bekanntlich Ursache zu einem besonderen Haß gegen sein Opser." Und zwar, wie wir nochmals betonen, Ursache aus rein persönlichen Gründen. In dem oben mit- getheilten Falle wurde von der A r b e i t s v e r m i t t - luttgsstelle an einem Arbeiter das Ver - brechen begangen, ihn deshalb, weil er Sozial - demokrat, dem Hunger und dem Elend zu übcrant- Worten. Es ist ja bekannt, in welchem Maße das neueste System der Verrufserklärung und Aus- huttgeruug seilens des Unternehmerthums gegen - über Arbeitern , die ihm wegen ihrer politischen Gesinnung und gewerkschastlicheu Thätigkeit ntijj. liebig sind, geübt wird. Das Uuternehmerthum schreckt nicht davor zurück, solch einem Manu grade- zu das Recht zum Leben durch ehrliche Ar - beit abzusprechen und cS wirkt mit vollster Ueberlegung brutal und rücksichtslos daraufhin, daß er der Bedingung seiner Existenz nicht zu genügen vermag; er soll zuGrunde gerichtet, oder zum Berräther au seiner Ueberzeugung, ein Heuchler oder Gesinnungslump werden. Dieser grenzenlose Fanatismus, der zu Haß und Erbitterung gradezu herausfordert, bethätigt sich im Namen der „Ordnung", der „christlichen Moral". Und die heuchlerische Niedertracht erreicht dann ihren höchsten Grad, wenn solch ein verfehmter, vom Hungertode be- drohter Arbeiter in Verzweiflung zur Gewaltthat schreitet oder mit einer solchen droht. Dann läßt die „Ord- uungspresse" sich's angelegen fein, die Sozial - demokratie für diese Ausschreitung verantwortlich zn machen und nach energischer Bekämpfung der „Umsturz- ideen" zu schreien. Diese Niedertracht, durch welche die Schuld der herrschenden Gesellschaft abgewälzt werden soll auf eine Partei, die sich die Be - seitigung des Elends und der Uttterdrückuttg zur Aufgabe geniacht hat, erscheint in um so schlimmerem Lichte, als grade d i e Kreise, welche sich als berufene Vertheidiger der „sittlichen Weltordnung", der „öffentlichen Moral", des Rechts und des Gesetzes ansspielen, für sich das Privilegium des verbrecherischen Eigeit- m a ch 1 s k a tu p s e s in Anspruch nehmen. Das Ver - brechen des Duells zu begehen, einen Menschen aus den nichtigsten Gründen, um eines belctbigenben Wortes willen, mit kaltem Blute niederzu - schießen oder nieder zu stechen, — gilt den sogenannten „saiissaktionsfähigen" Ordnnngsntäntieru als „Ehrensache". Und da? Gesetz und die Justiz ahnden dieses Verbrechen sehr milde. Fast tagtäglich werden Tuellmorde oder Aussordernngen dazu begangen. Und Abgeordnete der „staatserhaltenden" Parteien haben den erbärmlichen Muth, im Parlamente das Duell als im Interesse der „Ehre" der herrschenden Staude und Klassen liegend zu vertheidigen. Wir haben erlebt, daß Offiziere, um ihrer „Standesehre" genug zu thun, friedliche und waffenlose Bürger, mit denen sie in Wortwechsel geriethen, mit dem Säbel ohne Weiteres n i e d e r s ch l u g e n. Erst kürzlich hat sich ein solcher Fall hier in Haniburg zugetragen, wie ja denn überhaupt derartige Fälle nicht zn de» Seltenheiten gehören. Vor zwei Jahren bedrohte ein preußischer General in Berlin den Redaktür eines Blattes, welches seine Tochter beleidigt haben sollte, mit einem Mord mittels Revo lvers. Als der Fall im Reichstage zur Sprache kam, erklärte der preußische Kriegsminister, jener General (Kirchhoff) habe sich tii Bertheidignug der Ehre feiner Tochter im Stande gerechter Nothwehr befunden gegenüber der „Berleumdnngssreiheit"III Mau erinnere sich auch der fürchterlichen Brutalitäten militärischer Vorgesetzter gegen Untergebene, wie sie schon so ost im Reichstage jttr Sprache gebracht worden sind, — Brutalitäten, die nicht selten den Tod oder Verstümmelung und Siechthnm der armen Opser zur Folge hatten. Mit Recht hat die Sozial- demokrat e sür derart geScheußlichkeiten.die von grenzenloser Verrohung Zengnißgeben, das herrschende militärische System verantwortlich geumchk. Di« reaktionäre» Ordiinngspolitiker sind darob in sittliche Entrüstung ge rathen und haben das System wie die Schul» des MilitarisuutS gegen den erhobenen Borwnrf in Schutz genommen DaS sind dieselben Clemente , die für den Mord iit Mülhausen die Sozialdemokratie und ihre Lehren verantwortlich machen wollen I Glaubten wir an eine Vorsehung, an ein rächende- Schicksal, wir könnten heute sagen, daß daffelbe oft wunderbar spielt. In gestriger Nummer unsere« Blatte« machten wir Mit- theil,eng über ein von dem entlassenen Schutz- m a u u Z i e g e n b a 1 g in Leipzig aus den Polizeidirektor Dr. Brettschneider venlbtes Revolver- Attentat. Unser Leipziger Parteiorgan berichtet dazu: „Ziegenbalg ist vor mehreren Jahren wegen ein- getretener Dien st Unfähigkeit entlassen worden - es ist derselbe ehemalige Schutzmann, der vor einiger Zeit durch Zirkulare, die er mit der Post an guifituirte Bürger unserer Stadt versendete, ans die in Folge seiner Krankheit und Entlaffnng entstandene Rothlage auf- merksam machte und in demüthigster Weise um Unter- stützung bat. Er war rücken marksleidend und galt in amtlichen Kreisen als geistig abnorm. „Vor etwa Jahresfrist tvurde ihm die von ihm iuuegehabte Wohnung in einem der Rathshäufer am Naschmarkt wegen rnckständigeu Miethszinses gekündigt. Er glaubte sich zu Unrecht entlaffeu und machte deu Polizeidirektor Brettschneider dafür persönlich verant - wortlich. „Vor längerer Zeit reichte Ziegenbalg auch eine Eingabe au das Leipziger Stadtverordnetenkollegium ein, in der er sich über seine Entlastung beschwerte; das Kollegium konnte sich jedoch, da die Eingabe eine reine Privatsache betraf, nicht mit ihr befassen. „Ziegenbalg bezog für sich und seine aus 4 köpfen bestehende Familie eine Pension von X. 1,28 pro Tag welcher Betrag um so weniger ausreichen konnte, als auch seine Frau krank war. „In einer im November 1894 oh das Publikum gerichteten gedruckten Bittschrift sagte Ziegenbalg: „Als städtischem Pensionär ist mir leider laut Stadt- regulativ auch die A r m e n u u t e r st ü tz u tt g entzogen, und selbst eine Nachfrage seitens des Vereins für innere Mission brachte mir trotz meiner augenscheinlichen Hülfs- bedürftigkett teilte Hülfe, weder eine pekuniäre Unter- stützung, noch auch nur eine Gemüse-, Milch- ober Brot- marke. Dieser Verein unterstützt statutengemäß nur Leute, die als unterstützniigsbedürftig bezeichnet werden und nur, weutt dieses mittete schriftlicher Empfehlung geschieht von Herrschaften, die dein Verein al« Mitglieder angehören. Da mir solche Empfehlung fehlte, konnte ich keine Unter - stützung erhalten. Ich bin deshalb gezwungen, damit der Noth meiner Familie gesteuert werde, mich an die Hochherzigkeit deS Publikums zu wenden. Könnte ich nur einen Bürgen für X. 222 finden, damit ich das Nöthigste bezahlen, eine klein» Wohnung miethen, und so meine Familie vor dem Exmittirteuhaufe bewahren könnte 1 — Gott würde solche That christlicher Nächsten - liebe gewiß reichlich lohnen." Wir frage», ist für dieses Attentat auch die Sozialdemokratie verantwortlich? Die gegnerische Preste, welche das Mülhauser Attentat gegen uns zu sruktifiziren versucht, macht sich die Kritik leicht. Sie erklärt den Ziegenbalg für verrückt. Die Erklärung mag zutreffeu. Aber ohne Zweifel ist der Mül- Hauser Mörder des Fabrikanten Schwartz min - destens ebenso verrückt gewesen 1 Uebrigeite ist, wie unser Leipziger Parteiorgan zutreffend bemerkt, es nicht ausgeschlossen, daß grabe erst durch die Auf- pussung des Mülhauser Mordes durch die Leipziger nationalliberale und konservative Hetz- presse Ziegenbalg zu dem Attentat ermuntert worden ist. War Ziegenbalg wirklich geistig abnorm, so hat diese Abnormität ohne Zweifel unter dem Eindruck seiner Nothlage eine schlimme Steigerung erfahren. Ob er zu Unrecht entlassen worden ist und begründete Ursache hat, de» Polizeibirektor bnfür verantwortlich zu machen, können wir natürlich nicht »utersnchen und fest- stellen. Aber inatr - nehme ben Fall Meyer unb bei, oben mitgetheilten Fall Petitjean znm Vergleich. Das Resultat ist ein vernichtendes für die „gutgesinnte" Hetzprefse, die diese Fälle gegen unsere Partei ansniitzt. Ihr ist freilich, wie wir schon neulich beiuerkteu, die Scham zu den Hunden entflohen und das letzte Restcheu Ehrlichkeit znm Teufel gegangen; sie zu mahnen, in An- sehiing deS Leipziger Attentats auch gegen u 1, 5 gerecht zu sein, unterlassen wir selbstverständlich als völlig nutzlos. Sie möge ihr verächtliches Spiel weiter treiben und damit in all' den Volkskreisen, die fähig sind, ehrlich und ver- nüuftig zu urtheilen, sich gebührendermaßen um deu letzten Rest vou Kredit bringen. Vou der WeMhne. Rttchklkiiige bom BrcSlauer Parteitage. Aus die dieser Tage von uns reprodnzirteii An«laff,u-gen der „Magdeburger Volksstimme" bemerkt der besonders zur Aeußernng provozirte „Vorwärts", „daß dieser Unter- ossizierstou einem sozialdemokratischen Blatte sehr schleckt ansteht. Der „Vorwärts" betrachtet die Genossen nicht als Rekruten, die man nach Belieben anschuanzt und rechtsum I (interim 1 foinmanbirt. Unb glaubt denn die „Magdeburger Volksstimme", ein sozialdemokratiscker Parteitag sei ein katholisches Konzil, helfen Beschlüsse bei Strafe der Exkommunikation nicht fritifirt werbe» dürfen?" In Fürth faßte eine Versammlung »ach dem Bericht des Genossen Segitz über ben Parteitag eine Resolution, die im Wesentliche,, dem Nürnberger Be- schlöffe entspricht und aii-brücklich konftalirt, daß es eine „Lebensfrage für die Sozialdemokratie sei, die Land - arbeiter und Kleinbauern zu gewinnen*. Der Danziger Streit, der dem Parteitage unterbreitet wurde, ist durch ben Beschluß desselben leider noch nicht erledigt. Genosse I 0 ch e m will sich bei dem Beschluß nicht beruhigen und hat eine Versammlung seiner Getreuen einbmtfen, in der beschlossen wurde, daß btt Versammelten „Otto Jochem nach wie vor das vollste Vertrauen entgegeiibringen unb ihn deshalb mich für geeignet halten, Bertrmieusstell, tilgen in der Partei zu bekleiden. Dagegen erklären sie Li p i n ski und Berger für unwürdig, als Parteigenossen zu gelten und schließen sie ans der sozialdemokratischeu Partei mtS*. Der Beschluß ändert an der Entscheidung deS Partei - tages nichts. Jocketns Anhang ist zunächst ititr dadurch im Vortl-eil, daß ihm dessen Lokal zur Verfügung steht. Hoffentlich gelingt es den Danziger (Sen offen bald, »in anderes Lokal anfantreiben. Die konservative,, „Greuzboten* bemerken über den Breslauer Parteitag: „Bon allen Parteitagen ist der sozialdeniokratiiche der erträglichste. Reite» vermag er zwar auch nicht mehr zu bringen — so weit zahlt er der Greisenhaftigkeit unserer Zeit den schuldigen Tribut — aber während auf ben Versammlungen der herr - schenden Parteien die bekannten Redensarten von Auto - maten heruntergeklappert werden, die dabei so wenig fühlen wie ein Hammerstein beim Preise der christlich- germanischen Tugend, sieht unb hört man bei ben Sozialdemokraten warme Menschen, die warn, von menschlichen Dingen reden. Wenn Fran Zeiki» die Sage deS Proletarier» weibeS schildert, wenn Gehr aus Bremerhaven in die Hölle hinabsteigt, wo die Kohlenzieher der Dampfer arbeiten, und die um so furchtbarer wird, je komfortabler die Salons droben ouSgestattet werden, und je rascher die Seertejen zum Ziele fliegen, da könnte ein Tolstoi, ein Dostojewski Stoff zu einen, Romane schöpfen, ein Bürger, ein Schiller, ein Freiligrath sich zu einem Ge- dicht begeistern laste,t Und wie interestant. wie neu in der Weltgeschichte ist doch eine große politische Partei, die ans lauter so armen Teufeln besteht, daß X 3000 Einkommen als das höchste Maß dessen, was ein Partei - führer zu beziehen berechtigt sei, erscheinen, daß der Glück- licke, der sie bezieht, beneidet unb bekrittelt wird und daß die Forderung, das Darüberhinausgehende müsse gestrichen werden, auf jedem Parteitage erhoben wird 1 Und da» in einer Zeit, wo die Gerichtsschreiber X 3000 Besoldung beziehen, die Braitereidtrektoren X 60= bis 100 000 ein - nehmen, und der Herr, der daS unbesoldete Ehrenamt eines Vorsitzenden der Tiefbau-Beriifsgenossensäraft be - kleidet, sich soeben die Entschädigung, die ihm für Zeit- versänminß gewährt wird, von X 10000 auf X 15 000 hat erhöhen lasse»l* Einen genialen Einfall hat die „K 0 n s e r - v a t i v e K 0 r e e j p 0 n d e u z". Eie führt Beschwerde über die ö f s e n t I i ch e i, Sammlungen für bei, sozialde», akratische» Parteifonds und fragt: „Was soll werden, loenn eine zersetzende Partei wie die Sozialdemokratie von Jahr zu Jabr ihren Reich- thum vermehrt, nicht um daran ihre Mitglieder parti« zipireu zu lasten, sondern um einen mobilen Korrup- lionsfondS zur Hand zu habe»?" Kostbar I Sonst heißt eS immer, die Führer und Beamten unserer Partei leben von bei, „Groschen der Arbeiter". Jetzt touftatirt das konservative Organ, daß die Partei ihren Reichthiiii, den, „mobilen Korrnptions- sonds" zirführt. Das Blatt steht offenbar noch sehr stark unter beut Einbruck bet Hammerstein- Schuftereien unb möchte für biefelben an unserer Parteikaste sich schablos halten. Die „Leipziger Zeitung" greift den genialen Gebankeu aus unb führt ihn weiter aus: „Daß es ber Umsturzpartei gestattet ist, unter den Augen deS Gesetzes ben Kriegsfonds zu sammeln, mit den, sie ben heutigen Staat zu zerstören gebeult, gehört gleichfalls zu ben Abnormitäten, zu denen die herrschend gewordene Austastung geführt hat, daß die Sozial - demokratie eine Partei wie jede andere sei. Rein, daS ist sie eben nicht. Was sie erstrebt, ist im Rahmen der heutigen Staatsordnung niemals sondern nur nach deren Umsturz zu erreichen Nicht di-Reform, sondernder Um- stürz, das ist, wie die ParteiUitur g unter offener Berhöh- uung der Staatsgewalt erst auf ihrem letzten Parteitag wieder verkündet hat, ihr letzter Zweck. Reformen iniierhalb bet besteheubeii Staatsordnung weist sie mit ausdrücklichen Worten zurück. Kampf auf« Mester mit beut heutigen Staat, das ist die offen ausgegebene Parole. Seinem Todgegner dieses Mester selbst zn schärfen und ihm behülslich fein, baß ihm für den tontmenben Kampf auch die nöthigen finanziellen Mittel nicht fehlen, das thut der Staat, indem er ben Genosten diese Geld- sammlungen gestaltet und dadurch die Bevölkerung in ber Ansicht bestärkt, daß das Santmeln und Beisteuern für solche Zwecke gar nichts Unerlaubtes, sondern am Ende sogar etwas ganz Verdienstliches sei. Es ist die reine Selb st m orbpolitik, bie wir ba treiben." Ei, ei I Mit ihren eigenen Geldern führen bie sozialdemokratischeu Arbeiter den Kampf für Recht unb Freiheit. Allerdings müssen sie auch in Form von Steuern aller Art die Mittel hergeben, welche zur Bekämpfung und Unterdrückung ihrer be- rechtigten Bestrebungen dienen. Unausgesetzt ist bi» arbeitende Klasse gezwungen, ihren Gegnern, der reaktionären Staatsmacht und dem Kapitalismus, allen herrschenden Jnteressenrichtungen, bedeutende finanzielle Mittel zufließeti zu lassen. WaS würden bie „Kons Korresp “ und bie „Leipziger Zeitung" sagen, wenn ein sozialdemokratisches Blatt versuchte, ben Arbeitern be - greiflich zu machen, daß sie ba bie „reine Selbstmord- Politik" treiben? Na, die Entrüstung 1 Wenn wirklich das Sammeln und Beisteuern für bie Zwecke unserer Partei gesetzlich verboten würbe (behördlich ist's ja schon oft genug geschehen), ber Opferfreubigkeit nuferer Genossen würde dadurch kein Abbruch geschehen Unb wir wurden schon wissen, unsere Gelder in Sicherheit zu bringen vor Konfiskation. Ter Staat sollte wirklich nicht Diel davon bekommen. Die ReichStngSersatzwahl in Dortmund findet heute (Freitag) statt und der Kampf wird ein sehr heißer werden. Je näher der Entscheibungstag heranrückte, desto schärfer wurde der Wahlkampf Das erklärt sich anS den Parleiverhältnisfeu des Kreises sehr leicht, wenn es nicht schon an sich selbstverftändlich wäre. Der Sozialdemo - kratie flehen Nationalliberale und Zentrum in fast gleicher Stärke gegenüber. Die ersteren aber haben ben Vortheil, daß ber ganze offizielle unb Unteriiehuierapparat für sie arbeitet. Das Stimmenverhältniß ber Parteien war bei der Wahl 1890 folgendes: Nationalliberale II815, Zentrum 10191, Sozialdemokratie 10422 Stimmen. Di» Hanptwahl von 1893 zeigt folgendes Ergebniß: Nationalliberale 16 284 Stimmen, Zentrum 13 188 Stimmen, Sozialdemokratie 17 170 Stimmen. In ber darauf folgenden Stichwahl bekam der nationalliberale Kandidat Möller 21 589, unser Kandidat Genosse Tölcke 21 526 Stimmen. Eine Stichwahl ist diesi-S Mal eben- falls unerläßlich unb, soviel gilt als sicher mit dem Kandidaten unserer Partei. Ob die Rationalliberaleii ober daS Zentrum mit unserem ffanbibaten in Stich - wahl kommen, läßt sich zur Zeit nickt beurtheilen Die Rationalliberaleii haben mit ber nochmaligen Ausstellung des Herrn Möller, nachdem et zwei Mal im unrecht- mäßigen Besitz des gieichstagsmandats gewesen, zweisellos keinen guten Griff gethan. Dazu kommt nort), daß Herr Möller sich durch fein Eintreten für das Zustande - kommen des russischen und rumänischen HaiidelSvertrages mit dem Blind ber Lanbwirlhe, welcher 1893 feine Wahl unterstützte, überworfen hat. Soiit Zentrum ist ebenfalls ber frühere Kandidat, Lambert Lensing, ber Verleger der „Trenionia", wieder ausgestellt. Die Sozialdemokratie rückt in Folge Ablebens unseres Veteranen Tölcke mit einem neue» Kandidaten, dem Genoffen Dr. Lütgenau, in’« Feld. Die Agitation unserer Partei ist äußerst lebhaft und findet offenbar guten Boden, wozu der Essener Meineidsprozeß nicht wenig beigetragen hat. Hoffentlich gelingt eS dieses Mal, den Kreis zu erobern. Leicht wird es nicht fein, weil sich zweifellos In ber Stichwahl bie Gegner zusammenfinden werben in ihrem Haß gegen die Sozialdemokratie — wenigstens soweit bie Führer in Frage kommen. Ob ihnen freilich die Wähler alle folgen werden, ist nicht so sicher. Der Berliner „VolkSztg." wird an# Dortmund ge - schrieben : „In die Wahlagitation für die National- liberalen ist jetzt außer dem Berghauptmann Täg- lichsbeck auch noch der Erste Staatsanwalt Haarmann eingetreten. Am Sonntag haben allein im Wahlkreise Dortmund annähernd 50 Wahlversamm- Jungen ftattgefunben. Die Nationalliberalen arbeiten mit Aufbietung aller ihnen zu Gebote stehenden Kräfte. Betriebssührer, Steiger, Materialienverwalter rc. x. sind als Vertrauensmänner thätig. Sollten ber national, liberale und ber sozialdemokratische Kandidat ie bie Stichwahl kommen, was wohl sicher ist, so wird letzterer den Sieg davon tragen.* Die Ausbeutung der staatliche» Arbeiter - versicherung durch bie Privatiudustrie zu G e - I ch äs t sz w e cken, ist nichts Neue«. In welchem Maße diese Ausbeutung betrieben wirb, zeigt das nach - stehende von einer Danziger Firma an die Unfall» Berufsgenofsenschasteii geschickte Zirkular: „Nachdeui das Unsall-Versicherungsgesetz nunmehr seit zehn Jahren seine segensreiche Wirkung über bie arbeitende Bevölkerung ausgeübt hat, haben sich jedoch inzwischen für die einzelnen Berufsgenossenschasteu mit Bezug ans bie immerniehr zu Tage tretende Simulation ber Rentenempfänger bahiu Mißftänbe gezeigt, daß Arbeiter nach ihrem Rentenempfang ben bisher innegehabten Wohnsitz verlaffen unb west ab ihren Wohnort wählen, «m sich btt Kontrol« ihrer Berussgeuoffeuschast zu ent- ziehen Wenn nun dieser Benefizial inzwischen einen größere» Theil seiner Erwerbssähigkeit zurückerhalten Hal, so bleibt jedoch bet betreffende Vorstand hiervon ohne Kenntniß und der Eiupsänger bleibt im Bollgenuß seiner ihm einmal bereinigten Rente, ohne hierauf An - spruch zu haben. Unterzeichnete haben, vorläufig für bie Provinzen Westpreuße», Ostpreußen unb Pommern, später wenn das Unternehmen Anklang findet, auch für tue Mark unb Pofen, hierselbft ein In ft itut ge- gründet, welches sich in gewissenhastester Weise zur Auf - gabe stellt, int Auftrage ber geehrten Genoffenschafts- reip Sekiionsvorstäude dergleichen Rentner unter Ä 0 n t r 0 1 e z u stellen unb zu berichten, sobald eine Besserung in ber Er reerds kraft nach dem Urtheil eines bewährten ArzteS eingetreten ist DaS Institut stellt sehr ergebens! anheim, in derartigen Fällen sich vertraueu-vvll unter Einsendung des be - treffenden Aktenstückes an uite zu wenden, bannt hier von den Vorgängen Kenntniß genommen unb bet» uächsttnohiieuben KreiSphysikus Bericht erstattet werben kaun, nöthigenfalls soll auf besonderes Verlangen der Ver - letzte auch persönlich besucht unb btm Vorstände vom Ausfall dieser Untersuchung, sowie von ber erlangten Kenntniß übet seinen jetzigen Verdienst, der genaueste unb wahrheitsgetreueste Bericht sofort zugestellt werde». Die entstehenben Reisekosten, sowie sämmtliche Auslagen solle» auf das Nothwendigste beschränkt bleiben und kann die verehrliche Berussgeiioffeufchaft gewiß lein, daß Wohl- diesel be durch Anfreenbung dieser Kosten keine unnützen Ausgaben sich gemacht haben werde. Wir gestatten uns jedoch au dieser Stelle zu betonen, daß die unS gestellte Ausgabe durchaus nicht als Spion it- ober De - nnnziatioussystem anfznsaffen ist, vielmehr wollen reit jeder Partei Wahrheit unb Aufrichtigkeit nach bestem Wiffen eutgegeubringe» und lebe »ns vertrauensvoll über - tragene Angelegenheit sachgemäß erledigen." (Folgen die Namen ber Unterzeichner.) Also eine spekulative Detektiv-Wirthschaft! Die fehlt auch grabe noch, um den „Segen" bet Unfall - versicherung für die Arbeiter vollkommen zu machen. Das von ben BerttfSgenoffenfchaften geübte Kontrol- unb Spionirsystei» ist schon ein recht bedenk- liches unb zeitigt manches schwere Unrecht gegen die Arbeiter. Was würde erst für Unrecht begangen werde», wenn die Bernfsgetreffenfchaften fick der ihnen empfohlenen privaten Spitzel und Denunzianten bedienten?! Was dieser Unwesen kostet, das muß natürlich von den glück - lichen Rentnern wieder heransgeschundeu werden. Richter uud Gesetzgeber. Es ist eine, wenigstens in Laieukreiieii als ganz ielbstverständlich geltende Aus- faffnng, daß ber Richter, wen» der Sinn eines Gesetzes nicht zweifelsfrei ist, sich bei bem Gesetzgeber Rath zu holen habe, welche Absichten mit einer bestimmten Gesetzesfassung verfolgt seien, daß deshalb in solchen Fällen bie sogenannten Gesetzes Materialien (Reichstags- Verhandlungen, Soinmifsionsberichte, Regiernugsniotiverc.) zur Entscheidung herauzuzieheit seien. Da will nun plötzlich der „Hann Courier" entdeckt haben, baß diese» Gefetzesiiraterialieu zu großes Gereicht beigelegt werde und er fährt dagegen eine Entscheidung des Reichs- gerichtl vorn 7. Juli 1894 in 'S Feld, in welcher eS heißt: „Gesetzgeber waren weder bie Verfasser des Entwurfs, noch die Verjaffer von besten Begründung, noch die Kom - mission deS Reichstages Vielmehr beruht bie beutsche Reichsgesetzgebung auf beu Beschlüssen bes Reichstages, deS BundeSrathes unb ber Ausfertigung uud Verkündi - gung des Kaisers. Diese Handlungen haben aber ben Gesetzentwurf und daS Gesetz in bestiminter Fassung zum Gegenflande, nicht bie Folgernugen, welche ber Verjasser ber Begründung aus den vorgeschlagenen und vorgenom menen Bestiuiiuuugen gezogen hat, nicht die Absichten, die die Urheber deS Gesetz - entwurfs unb bie Kommission bei den gewählten Formulirungeu verfolgt habe». Jene Absichten unb Folgernugen sind also auch durch die Beschlüffe des Bnndesratbes unb des Reichstages nicht souktionirt. Begründung und RetchSIagsverhandlnngen können ja unter Umständen zur Auslegung duttkler und zweideutiger Bestimmungen eines Reichsgefetzes als Hülfsiuitlel benutzt werden. Sie sind aber nicht geeignet, ate Ersatz beste» zu dienen, was nicht ausgesprochen ist, weil eS irrthümlich ate selbstverständlich ober alS Folge bes Ausgesprocheneu angeseheu imirde." Sehr richtig bemerkt demgegenüber bie „Bost. Ztg.", „baß ber formale Standpunkt, den hier das Reichsgericht, wie leider in vielen seiner Erkenntnisse, einnimmt, nicht zn billigen ist. WünschenSwerth wäre eS ja, daß ein Gesetz so scharf und klar sormnlirt ist, daß eine Meinnnqs- verschiedenheit darüber von vornherein ausgeschloffen bleibt. Bei deu meisten Gesetzen ist daS aber nicht der Fall. Der Text des Gesetzes erscheint, oft freilich 11 u r durch bie U e b erspar: n ung juristischer Spitzfi n bigkeit, mehrdeutig. Unsere# Erachtens giebt es in solchen Fällen nichts Natürlicheres und Selbst- verständlicheres, als daß sich der Richter bei den Urhebern des Gesetzes Rath holt. Jeder einzelne Reichstagsadgeord- nete ist freilich nicht Gesetzgeber. Anch bie Verfasser deS Entwurfs, auch die Reichstagekommifsion sind es nicht. Ader sie haben doch alle wesentlich am Zu - standekommen des Gesetzes mitgewirkt. Es kommt im Reichstage alle Tage vor, daß ein Abgeordneter die Re- gietutig fragt, welche Bedeutung sie einem Gefetzespara- graphen beilegt , und daß die Parteien von dieser Ant - wort ihr» Zustimmung oder Ablehnung abhängig machen. Ebenso ost wird durch den Berichterstatter einer Kom- niission eine Erläuterung zu einem bestimmten Para - graphen einer Gesetzesvorlage geben, die den Reichstag ztt seiner Zustimmung veranlaßt. Wenn der Richter diese Gesetzesmaterialien unberücksichtigt läßt und selbst- herrlichüber den todtenBuckstaben eines Gesetze# entscheidet, so beweist er damit nur, daß er nicht die nöthige Fühlung mit dem öffentlichen Leben hat. ES kaun dann auch nicht Wunder nehmen, daß immer wieder Urtheile einzelner Gerichte Aussehen erregen, die trotz ihrer Uebereinstimmung mit dem Buch - staben des Gesetzes nicht blos bei der Laienwelt, sondern auch bei aufgeklärten Juristen durch ihre Weltentrücktheit verblüffen." Die Erfurter CtaatSauwaltschaft ist, wie bie ,Dhür. Tribüne" berichtet, wieder einmal desavouirt worden l Da# Landgericht bat die Beschlagnahme des Flugblattes „Das E ch l a ch t e n ju b i - läum" aufgehoben und die konfiSzlrteu, etwa 50 Exemplare frei gegeben. Die Liaatsanwalt- chast hat sich'# in diesem Falle ganz besonders ange - legen sein lassen, au# dein Inhalt be# Flugblattes eine strafbare Handlung zu konftruiren. Die Beschlagnahme erfolgte zunächst auf (Briinb be# § 131 R.-St G B. (Berächtlichmackung von Staatseinrichtitiigen), dann wurden einige Tage später, wie berichtet, in Arnstadt plötzlich 7 Arbeiter verhaftet, weil ber Staatsanwalt in einer Stelle des Blattes Hoch- und Lande«, verrath witterte. Tie staatsanreaftliche Absicht, dem Verleger unb den Verbreitern einen Hoch, unb Lanbe«- verrathsprozeß anzubängen, wurde vom Reichsgericht und Oberreichsaitreal t in ihr Rich» zurückgeschleubert — die Erhebung ber Anklage würbe abgelehnt, die sofortige Freilassuiig der Verhafteten telegraphisch äuge» ordnet. Aber auch mit dem § 131 ist es nicht#, wie das Landgericht in seinem Beschluß eingehend barlegt. Wegen Beleidigung der baierischen Kammer in einer Besprechung des Beschlüffe#, betreffend da« sozialdemokratische Tadelsvotnm, sollen unser Münchener Parteiblatt, bie „Münchener Post", unb die demokratische Münchener „Freie Preffe" unter Auflage gestellt werde». Zunächst wird die Kammer sich zn erklären haben, ob sie sich beleidigt fühlt unb Strafantrag stellen will. Ein Borgänger HaiumersteinS In der Redaktion der „Kreuzztg." macht jetzt im ähnlichen Sinne von sich reden, wie brr edle Freiherr Gegen den früheren Krenz- zeilungsredaktör unb Abgeordneten v N a t h u s i u # - Subom ist ein Strafverfahren wegen Betrug#, Unterschlagung und Urkunbensälschung eingeleitet worden. Ein Vorspiel liefert ein Zivllprozeß, bet gegen Nathnsius schwebt unb jüngst vor dem flam» mergericht verhandelt wurde. Nathusiu# war früher Bormund eines Offizier# gewesen, mit dem er auch ver - wandt Ivar, und hatte die Beziehungen zu diesem dazu ckenntzt, von ihm X 30 000 Gefälligkeitsakzepte herauS- zulocken, welche et bann nicht cinlöste. Die Eiiilösuug mußte vielmehr von dem Offizier bewerkstelligt werben, bem bie# nur burch Hülfe von Berwandte», Freunden unb Gönnern möglich gerootben war. Toch ließ sich der p v. Nathnsius wenigsten# zu einem notariellen, bei Nichteinhaltung ber bebitngnteii Nückzahflingsraien sofort vollstreckbaren Anerkenntniß feiner Schuld herbei, ohne indeß nur im Mindesten feinen Verpflichtungen nachzukommen. Alle Exekutionen blieben durchaus frucht- la#. Da nun aber v N auch ber Aufforderung zur Leistung be# OffenbartingSeibc# nicht Folge leistete, so wurde schließlich feine Verhaftung verfügt, doch hat er sich dieser Verhaftung immer geschickt zu entziehen ge- wußt. Zum Ausgang des Mülheimer Krawall- Prozesses bemerkt die „Köln. Volksztg." : „Man ist gegenwärtig wo in breiten Volksschichten zweifellos eine gewisse Währung besteht, die leicht zn Explosionen führen kann, sehr geneigt, bei allen solchen Ruhestörnngen an planmäßig not bereitete unb geleitete Ausschreitungen zu denken, welchen sosoN mit den schärfsten Mitteln zu begegnen sei, um dieselben nicht zu einer Gefahr für die öffentliche Ordnung werben zn lasten. Namentlich icheineii einflußreicheStellen in Berlin ber Meinung zu huldige», baß bei solche» Dingen überall bie Sozialdemokratie ihre Hand im Spiele habe, unb baß daher, Mangels eine# An#- nahmegefetzes, von vornherein Alles ans geboten werde» müsse, was im Rahmen ber bestehendeii Gesetze geschehe» kann, um jeden Exzeß im Keime zu ersticken Es ist daher ausdrücklich sestzuftellen, daß bie Untersuchung und Berhanbluiig über ben Mülheimer Krawall keinerlei Spur von sozialbemokratischer Anrei - zung ober Beeinflussung der Betheiligten er - geben hat. „Man sollte sich, wie auch bei dieser Gelegenheit ausgesprochen werden mag, Überhaupt hüten, überall den Sozialdemokraten oder den Anarchisten zu wittern. Der Sozialdemokratie geschieht damit nicht selten Unrecht, und ganz gewiß ver - leiht man ihr durch diesen beständigen Hinweis ans bie» ielbc eine Bedeutung, welche sie nicht hat, speziell in der Rheinprovinz nicht hat. Lassen wir uns doch nicht 11 e r 8 ß # machen, sondern sehen wir de» Dingen ruhig in’# Gesicht Hätte man die Mülheimer Vorgänge mit etwas kälterem Blute betrachtet, so würde» dieselben nicht in solchem Maße ausgebanscht worden fein, und man hätte nicht in weiten Kreisen unsere# Vaterlandes längere Zeit unter dem Eindruck gestanden, als ob die Bevölkerung der der Hanptstadt der Rhein- provinz gegenüberliegenden guten Stadt Mülheim reif für die Revolution fei. So stehen die Dinge denn doch glücklicher Weise nicht Radaubrüder giebt es dort, wie überall in größeren Orten, aber bie Leute, welche an der Landungsbrücke der kleinen Daiupfboote sich versammelten, theils ans Neugierde, theil# um rhrein Mißfallen übet da# Konknrrenz-Gebahren bet einen Gesellschaft Ausdruck zu geben und für die andere zu denioiistriren, waren weit entfernt davon, ben Staat Preußen Umstürze» z» wollen. Es kann nur mit Genugthuung begrüßt werde», daß der Spruch des Schwurgerichtes diese Auffassung bestätigt hat." Tie sozialisteiifresterische Ordnmigspreffe wird diese Mahnung natürlich ebenso in ben Winb schlagen tot srühere. Die Bilanz deS Prager stsuSnahmez»standes. Der Ausnahmezustand über Prag, mit dessen Aufhebung Graf B a b e ti i sein Regiment begann, hat zwei Jahre, einen Monat und elf Tage gedauert. Eingestellt wurde» sieben Zeitungen; der dreistündigen Zensur wurden vier- undzwauzig Blätter unterworfen, darunter ein deutfch- nalionole# unb zehn sozialdemokratische. Der Aus - nahmezustand war nur formell auf Prag begrenzt; in Wirflichkeit reichte er viel weiter. So würbe in Kotin fünf Zeitungen bie Herausgabe verwehrt, die fick bis nach Brünn flüchten mußten. Sofort nach ber Verhängung wurde bie Thätigkeit des Jung- tscheckeuflubs sistirt und siebzehn politische Vereine eingestellt. Nickt weniger als 213 Vereinen wurde auf. getragen, baß sie ihre Versammlungen drei Tage früher aniiielben müssen, den übrigen wurde bie Frist mit zwei Tagen festgesetzt. Anch die A u # s ch n ß i i tz n n g e» uiußte» bei der Behörde gemeldet werden, bie dazu so - dann Regierungsvertreter sendete. Die Auslösung Bon Vereinen war damit nicht erschöpft; es wurden noch acht politische und sechs studentische Vereine vernichtet. Tie eigentliche Arbeit leistete allerdings das Aus - nahmegericht. Es kamen 72 Anklagen mit 179 Angeklagten zur Verhandlung Die höchste» Strafen erlitten ein siebzehnjähriger Schloffeilehcting und ein sechszehnjähriger Arbeiter wegen Hoch - verraths; die blutjungen Leute wurden beide z» je zwölf Jahren schweren Kerkers ver- urtheilt. Danach kamen Strafen für Hochverrath von elf unb zehn Jahren. Insgesammt verhängte das Ausnahmegericht an Strafen 258 Jahre, 5 Monate unb 35 Tage. Bon politischen Straffällen wäre» wegen Hochverraths 30, wegen Störung der öffemliche» Ruhe 91 und wegen §§ 300 , 302 mit) 305 St. - G. 20 Menschen angeklagt Davon wurden lediglich zwölf sreigelvrochen, von den anderen Angeklagten nur drei, so daß auf 179 Angeklagte 164 Schulthprüche solle». Von den im Omladinaprozeß Verurtheilteu schmachte» noch vierzehn im Kerker, drei Verurtheilt» ftarbe» int Kerker; einen erlöste der Wahnsinn von fein»» Leide». — E# ist eine reiche Saat von Noth und Schrecken, die von dem Ausnahmezuftaud auSging.