Ham immer Echo. Da« „Hamburger (9rt)0” erschein« «Sqlich, aiiöer Monlag«. Der Nban«ieu«eutSprciö (intl. „Die Neue lüclt") beträgt: durch die Post bezogen (9?r. de» Pvst- latalog« 2966) ohne Briugegeld vierteljährlich .*t 4,20; durch die fiolpottöic ivöcheull 36 4 frei in’« Hau». Verantwortlicher Ncdaklör: R. Stcuzcl in Hamburg. Sonntag, he« 24 November 1895. Anzeigen werden die sechlgelviktene Petilzeile »der »eren Raum mtt 30 4, fflt den ArbcitSiuarkt, Veriiitethinig» und ^ainilienanzctgc« mit 20 4 berechnet. Anzeigen Auuabnie in der Expedition (bis 6 Itbv Abds.), sowie in (änuntl. LutioiurwBweauj. Redaktion und Expedition: (Krohe Theaterstrahc 44 in Hamburg. Hierzu zwei Beilage« und daS illustrirtc Uutrrhaltnugsblatt „Die Nene LBelt". Die konsermtilie Partei null -as ichmeille WahlreA. Seit Jahren werden sowohl an! dein koiiscrb ativen wie aus dein iiatioualliberalen Lager Angriffe gegen das geltende Ncichstagswahlrecht iinlernoninicii. 3n letzter Zeit haben diese Angriffe eine recht bedentsanie Verschütsung erfahren. Wir erwähnte» kürzlich bereits der von dein sreikoitservalive» Milglicdc des prenhischen Abgeordneteithauses S ch r e i b c r vcrsahien Broschüre: »Wider d i e G l e i ch h e i t i m W a h l r e ch l". Schon früher hatte der Verfasser in einem Artikel des „Deiltschen Wochenblatt" die Ansicht vertreten, dass der „Grundschlcr" de» Rcichstagswahlrechtes in der Gleichheit zu suchen sei und daß deshalb hier die „Reform'’ eitizusetzen hqbe. Er bcsiirwortcte nach dieser Richlntig hin, dah jeder Wähler übereilte, die „Gr und stimme", verfüge» sollte, zu ivekcher daun, „je nach dem Werthe, den der einzeknc Wähler für die Allgemeinheit, den Staat, be - sässe", eine enltprcchende Anzahl von Zusatz, stimmen zn treten hätte. Dieses „Qualitäts- oder P l u r a l s y st e in" würde „den Unterschied der sozialen Stellung, den Einfluß des Besitzes und der Bildung, sowie die Pflicht zurVertheidiguug dcsVaterlaiideS berück - sichtige» uiid durch entsprechende Verinehruiig der Stimme» zogt Ausdruck bringen. Die erwähnte Broschüre soll den Ziveck haben, diese» Vorschlag näher zu begründen. Der Verfasser macht sich die Sache so bequem wie möglich, indem er mit der größten Unverfrorenheit von der Behauptung ousgeht: von Uranfang seien die Mensche» nicht gleich gewesen; die Gleichheit sei „wider die Natur". DaS jetzige Reichstagswahlrecht bringe „nicht die Mei- innig der durch Besitz, Bildung oder Verdienst um den Staat hervorragenden Elemente zur Geltung, sondern die der breit flulhenden Massen"; es müffe dem Prinzip der Gleichheit das der „O u a l i t ä t" cntgegengestcllt lverdeu. D. f). btt Besitz soll grundsätzlich herr - sche» in der Gesetzgebung; je größer der Besitz, desto größer die Qualität. Die „Bildung" spielt dabei nur eine dekorative Rolle; die ist ja mit dem Besitz, und wäre der Besitzer der dümmste und ungebildetste Tropf, „ganz naturgemäß verbunden". Der ehrliche Manu der Arbeit, de» die heilige Ordnung dazu verurtheilt, sich a n s b e n t e n z n lassen int Interesse der Besitz. Übermacht, er ist „m i n d e r w «r t h l g", er hat die geringste „Qnalitäi"; allerdings soll auch er eine Stimme habe», aber der Besitzende soll ihn je nach seiner Qualität um daS fünf-, zehn- und zwanzigfache aufwicgcn mit seinen Zusatzstimmen. Für je /b. 100 000 eine oder zwei Stimme» mehr, für die „Bildung" extra noch eine und für den Reservc-Osfizier drei. Daun ist das richtige „OnalitätS"-Berhällniß hcrgestellt! Herr Schreiber schildert, wie die Gleichheit der Stimmabgabe im „deutsche» Wahlrechte" Aufnahme sand. Er greift zurück aus die Verhandlungen des deutschen Parlaments der Jahre 1848 und 1849 und theilt gewissenhaft die Stimmen mit, die sich damals gegen die Gleichheit im Wahlrecht erklärt haben. Besonderes Gewicht legt er dann darauf, nachzuweisen, daß die konservative Partei in Preußeii stets diese Gleichheit bekämpft hat. Er genügt dem Be - dürfniß, die konservative Partei in Schutz zu nehmen gegen den Verdacht, sic könne jemals shmpathisirt haben mit dem Grundsatz der Gleichheit und Gleichwerthigkeit der Wähler. Es dürfte auch für unsere Lese« Interesse haben, zn erfahren, wie in früherer Zeit sich konservative Partei, fiihrcr zu diesem Grundsätze gestellt haben. Am 17. September 1866 sagte Herr von Kleist- Retzow im preußischen Herreuhause: „Das allgemeine gleiche Stimmrecht zerschlügt d e n O r g a u i s in u s des StaatcS in seine Atome, wie wenn wir die einzelnen Glieder von unserem Leibe löse» wollten. Er enthält eine Unwahrheit und u n g e r c ch t i g. feil, indem es die mäunlichen Einwohner des StaatcS als gleich und gleichberechtigt hmstellt. Man hat sich auf die gleiche Verpflichtung zum Militärdienst, die so - genannte Bluisteuer, berusen, aber grade der Organismus unseres Militärs ist ein so ausgebildeter, so feiner, daß er auch unser jetziges Wahlftzstcm, welches doch die Autorität unserer Verfassung für sich hat, sehr bald von sich ausstieß. Generale, Osfizier^ und Unteroffiziere, ge - bildete und gewandte Gemeine stehen doch nicht bei« uu> gebildeten Gemeinen gleich D i e geheime Abstimmung zerstört den berechtigten Ein - fluß der Gutsbesitzer, der Pa stören auf dem Laude, der Fabrikbesitzer . . . ." Die Brutalität und Unverschämtheit des konservative» „Recht» -Begriffes kann wohl kaum drastischer zum Aus - druck gebracht werden. Als „berechtigt" wird cS hiu- gestellt, weil» Geistliche und Arbeitgeber die ihnen unter - stellten Wähler bei öffentlicher Abstimmung „moralisch zwingen so zu stimmen, wie es de» Herre» gefällt I Dieses Einflusses wegen sind die Konservativen so entschiedene Gegner der geheimen Abstimmnug. Da sind sie „ausgesprochene Demokraten", nm Stimm - vieh an dicWahlurue schleppen zu könne». Im koustituireuden norddeutsche» Reichstage 1867 Wirte gtgenülier der Erklärung der Negierung, „das allgemeine gleiche Wahlrecht sei dem konservativen Prinzip förderlich", Herr v. B e l 0 w . H 0 h e u d o r f Fol - gendes ans: „In Zeiten, wo die Geschichte mit so große», Jeder, mann verständliche» Züge» schreibt, in suchen Zeiten kau» man mit vollem Recht von einer vox l'üpuli vox dci sprechen mib aufrichtig daran glauben. Allein eS ist numöglich, daß wir vor jeder Wahl eine Schlacht von Wniggrätz schlagen ; cS werden die iiicderc» Seilen eiuUetcii, und die hohen Zeiten werden ver- lchwiudeii. Ek wird der gewöhnliche Lauf des Lebens eintrcten die materiellen Jntcreffen werden sich geltend mache», der Magen wird, wie Herr Wagner sagte, sein Recht fordern. Und diese Frage deS Magens ist grade i» unserer Zeit von bedenklichem Gewiedte. Den» zum Niedere» zieht eS den Menschen nnwiderstehlich herab. Wir sind eiugetreten in Zeiten, wo die geforderte Gleich - heit der Rechte fast in den Hintergrund getreten ist und die Gleichheit der Genüsse im Vordergründe steht. . . „Gleichzeitig tritt nun die Forderung an den künftigen Reichstag heran, staatsrechtliche, volkswirthschaftliche, finanzielle Fragen zu berathe» und zn emscheideu, welche aber de» große» Schichte» der Bevölkerung, welche durch das allgemeiue Wahlrecht zur unbedingten Geltung kommen, nnverständlich sind, — beim, meine Herren, es wird doch kein verständiger ernsthaster Manu meinen, daß in beii großen, breiten Schichten des Volkes die Staatsweisheit so abgelagert ist, baß man blos die Wahlpumpeu braucht anznsetzen, um sich in ben Besitz biescs werthvollen Gutes zu setze». Grade diese nnver- slandcucu Beziehuiigeu aber eröffne» dem Demagogen einen weiten Spielraum, die Agitation und die politische Leidenschaft ist um so größer, je mächtiger das Gebiet ist, welches sich für seine» Einfluß barbietet. . „Ohne Gegengewicht und schützende Garantie gehe» mir unter Segel mit dem vollen Winde dieses allgemeiuen Stimmrechts, welcher sich jede» Augenblick zu einem Sturm steigern sann, ohne den natürliche» Ballast der hohe» Stencrpflicht, ohne de» Ballast des Besitzes, welcher de» Mensche» an die gegebenen Staatsverhält- uisse enge auschließt; ohne diesen Ballast wollen wir mitten in die hohe See einer »nbekauule» Znkunst hinein- steuern. Ich fürchte, das Schiff wird ohne Ballast sich nicht steiler» lassen, eS wird kentern, es wird sich aber wieder erheben und wird sich voraussichtlich auf eine Weise wieder erhebe», welche dieser Seite des Hanfes (links) gewiß die ant allerwenigsten angenehme ist." Als bann die Zustimmung des preußische» Land- tage» zu der Eiusühruug des allgemeinen Wahlrechts für den Norddeutschen Bund eiugeholt wurde, sprach der Kommissionsbericht des Herrenhauses ans: „Die überwiegende Mehrheit der Kommission glaubte trotz der Bedenke», welche sich hier erhoben, der Regie- rnngsvorlage zustimme» zu müssen, indem es sich nur um ein Wahlgesetz ad hoc handle, um einen ein - maligen Versuch, und kaum ein anderer Wahl- mobil« anfznsinden fein dürfte, über den eine baldige Verständigung zwischen de» verschiedene» Staaisregie- rangen zu erzielen fei." Syl> el karakierisirt die Stimmung bei den Wahl- rechts-Debatte» im konstitnirenden Norddeuticheu Reichs- tage in seinem Werke: „Die Begründung des Denlschen Reiches" lute folgt: „Was daS allgemeine gleiche Wahlrecht betraf, so zeigte sich die eigenthümliche Erscheinung, daß die Mehr, heit der Redner es sür bedenklich, ja gefährlich, in feinen Folgen unberechenbar erklärte . . . Seit Lassalles Auftreten hatte sich die sozia- listifche Agitation gegen Kapital und Eigenthum energisch gewendet; genug, es war ihnen durchaus keine Freude, die bittere Pille zu schlucken. Aber sie schlucktenl" Sie standen unter dem Eindruck des Willens Vis marcks, welcher erklärte: „DaS allge - meine Wahlrecht ist uns gewissermaßen als ein Erb - theil der Entwicklung der deutsche» EiicheitS- bestrebuttgeu überkommen; ich kenne kein besseres." Ei» Antrag der Konservative» auf Errichtung eines Oberhauses wurde vom Reichstage verworfen; dahtugege» wurde i» Artikel 21 der Bundesverfassung bestimmt: „Der Reichstag geht aus allgemeine» u»d direkte» Wahle» mit geheimer Abstimmung hervor." Wahr ist'S, die Konservativen haben damals sich alle erdenkliche Mühe gegeben, die Einsühruug dieses Wahl- rechts zu verhindern. Da ist es nun ganz besonders bedeutsam, daß dieser Tage auch die offiziöse „Norddeutsche Allgemeine 3 e i t u ii g” sich ganz offen auf die Seite der konservativen Bekämpser des allgemeine» Wahlrechts gestellt hat. Aeußerlichen Anlaß dazu gab ihr dtc christlich - soziale Zeitung „Volk", welche sich prinzipiell freundlich zum allgemeine» Wahl - recht stellt und sDiejenigen reaktionärer Gesinming be- schuldigt, die dasselbe angreife». Das ist ein Verbreche»! Das offiziöse Organ erklärt, das „Volk" vertrete Doktrinen, die „in einem Gegensatz prinzipieller Art, in einem unlösbaren inneren Widerspruch zur kouservattven Grnudanschauung stehen". Dann heißt es: „Die konservative Partei kann dieses Wahlrecht, nachdem es einmal eingeführt ist, hiuuehnien; sie kann versuchen, sich mit ihm einznrichten; sie respektirt es als verfassungsmäßige Einrichtung — soweit der au? den Bestimmnngen bet Verfassung sich ergebende Anspruch in dieser Richtung reicht — in loyaler Weise. Sie kann aber ein in so mechanischer Weise koustruirtes Wahlrecht, das alle gesunden, iiatürlicheu und berechtigten Autoritäts- Verhältnisse zerreibt, numöglich grundsätzlich gntheißen oder für feine weitere Ausdehnung eintreten, b- h »och mehr Hindernisse zufammenzimmern, die den mögliche» künftigen llebergang zn einem rationelleren Wahl- systcm erschwere». Die prinzipielle konservative Stellung zu dem allgemeinen Wahlrecht kann — so lange dieselben (Srunbelenieiite ber Anschauungen und Ueberzeugungen das konservative Urtheil bestimmen — nie eine anbere fein, als sie Angesichts ber Frage, ob dieses Wahlrecht in der deutschen Volksvertretung eiugeführt werde» solle, von Herrn v. Kleist-Retzow am 17. September 1866 im preußische» Herreuhause und von Herrn v. B e l 0 w - H 0 h e » d 0 r f im Jahre 1867 int fonftituirenben norddeutschen Reichstage bargelegt ist." So nimmt bie „Norddeutsche Allgemeine Zeitung", wohl nicht ohne Uebereinstimmung mit „maßgebenden Kreisen", bie Partei des erzreaktionären KouservatiSmuS im Kampfe gegen das allgemeine Wahlrecht. Aber sie macht sich plumper Unwahrheit schuldig mit der Behauptung, daß die konservative Partei dieses Wahl - recht respektive. Sind es doch konservative Blätter, die wer weiß wie oft schon die Regieriiug zur gewaltsamen H i n iu e g r ä 11 in u 11 g desselben auf bem Wege des Staatsstreichs aufgeforbert haben l Das entspricht auch durchaus konservativer Grund, anschauungI Soh der Weltbühne. Dio RcichSfinauzvcrlvaltuug scheint noch in letzter Stande den ordenilichen Etat des Reichshaushalts mit einigen Millionen ans den sonst außerordenilichen Ausgabe» belastet zu haben. Anders wenigstens wäre er schwer zu erklären, daß diese! >eu finanzossiziöseii „Berl. Pol. Nachr.", die vor wenigen Tagen nur von einer Spannung zwischen Matiikalnrdeilrägen in Höhe von 6 Millionen Mark zu berichten wußten, jetzt plötzlich ver- sichern, bie Spannung werde das Doppelte, also 12 Millionen Mark, behagen. Man scheint außer- ordentlich schreckhaft gegen die Möglichkeit eines Ueberschnß- etats zu fein ; aber man luiib dem doch nicht entgehe» können, da auch die 12 Millionen durch bie zu geringe Veranschlagung der Einiiahmeu mehr wie ausgewogen mei den, und die Ausgaben wohl auch nicht ohne Abstriche pafsire» werden. ' Die Fiistiznovolle, welche dein Reichstage vor - gelegt werden soll, wird im „Reichsanzeiger" veröffent - licht. Dieselbe enthält bekanntlich Aenderungen und Ergänzungen deS GerichtsversassnngSgesetzes und bet Strafprozeßordnung. Der Entwurf nimmt im Wesent - lichen bie Vorschläge ber in der letzten Reichstagsiessiou vorgelegteu Jiisliznovelle wieder auf. Er enthält als tvichtigste Aenderungen: 1) die Einfuhr uu g der Berusting gegen bie Urtheile bet Straf - kammern in erster Instanz; 2) die Entschädi - gun g unschuldig Verurthellter und in Verbindung damit die Einschränkung deS Mieder - ausnahmeverfahrens ; 3) die Aushebung einiger der zum Ersätze für bie mangelnde Berufung eingesührten sogenannten Garantien d e S B e r s a h r e 11 s ; 4) die Ausdehnung desKontumazia l-Versahrens; 5) veränderte Vorschriften über die Beeidigung ber Zeugen (Nacheid); 6) bie Eiuführnng eine# abge- kürzten Verfahrens für gewisse, eine schleunige B c - Handlung erheischende Strastdaien; 7) Berä berungen in der sachlichen Zuständigkeit derGerichte. Dem Eutwnrs lind der Begründung sind als Anlagen hinzugesügt ber gegenwärtige Standpunkt der größeren europäischen Staaten hinsichtlich der Berufung gegen die Urtheile von Strafgerichtea, die Zuläisigkeit des Kontu- tnazialverfahrenS in den größeren europäischen Staaten, bie Bestimmungen des französischen , belgische» und englischen Rechts über die beschleunigten Urtheile der dälits flagrant, s, die Vergleichung ber französische» und bel - gischen Gesetzgebung über das summarische Verfahren, ein belgischer Entwurs über die Verfolgung der flagrants delita Boni 14. April 1890 und eine Zusammenstellung einiger Bestimmungen neuerer Strafprozeßordnungen über bie Ablehnung von Gerichispersonen. — Ter Entwurf nebst Begründung und Anlagen umfaßt fast zehn Druck- feiten bc5 „ReichSanzeigers". De» Strafvollzug belr-ffend hat bet Kaiser an den Juslizuii, lister iolgeuben Erlaß gerichtet: Ans Ihren Bericht vom pü^Oltober d. I. ermächtige ich Sie, solchen zu Freiheitzstrafeu venirtheilteii Personen, hinsichtlich derer bei längerer guter Führung eine Be- gnaOigung in Aussicht genommen werden kann, nach Ihrem Ermessen «nSsetziing der Serafvol«. streckn ug zu bewilligen, indem ich in den dazu ge - eigneten Fälle» demnächst Ihrem Berichte wegen Erlasses ober Milderung der Strafe entgegensehen will. Von dieser Ermächtigung soll jedoch vornehmlich nur zu Gunsten solcher erstmalig verurtheilten Personen Gebrauch gemacht luerben, die zur Zeit der That das 18. Lebensjahr nicht vollendet hatten und gegen die nicht auf eine längere als sechsmonatliche Strafe erkannt ist. Zur Noform der ArbcitervcrsichorungS- gcfctze macht in der „Sozialen Praxis" Stadtrath Flesch ans solgenden Punkt aufmerksam, der für bie Regelung des «rbeitöverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer von Bedeutung ist: Die Uniallversichernngs-Gesetzgebitug begnüge sich, die vertragsmäßigeAufvebung ihrerBestimmungen für ungültig zu erklären. Die Altersversicherung thut das Gleiche, sie untersagt aber außerdem auch bie vertragsmäßige Be - schränkung in der Uebernahme ober AuS - ü b n n g eines in Gemäßheit be» Altersversicherungs- Gesetzes den, Arbeiter Übertragenen Ehrenamtes, und sie erklärt beide Abmachungen nicht nur für zivil- rechtlich ungültig, sondern auch für kriminell strafbar. Die geplante Abänderung der UnfallverficherungS- gesctzgebung (Novellenentwuif von 1894) nimmt zwar in Nachahmung der Altersversichermigs - Gesetzes die Strafbestimmung für ben Fall des vertragsmäßigen Ausschlusses ber Wirkungen des Gesetzes ans; aber sie übergebt mit völligem Stillschweigen ben weiteren im AltersversicheeuugS-Gesetz geregelten und strafbar gemachten Fall: bie seitens des Arbeitgebers erfolgende Verhindernng eines Arbeiters an der Uebernahme oder Ausübung eines auf dem Unfallversicherungs-Gesetz beruhenden Ehren. amtS. Der Gesetzgeber geht also hinter den Standpunkt zurück, de» er im Altersversicherungs-Gesetz eingenommen bat, und erklärt stillschweigend die Theilnahme der Ar - beiter an der Durchführung ber Gesetze für nicht sedutz- bedürftig § 147 deS AltersversicherungS Gesetze» bleibt eine vereinzelte in unserem ganzen RechtSsystem ohne Stütze dastehende Bestimmung, während sie der Ausgangs - punkt für eine kräftige RechtSenlwicklung hätte luerben solle» und körnten. Grade hierin liege ein bedauerlicher Rückschritt. ES genüge nicht, die Theilnahme der Arbeiter an der Durchführung eine» Gesetzes ans daS Papier zu schreiben, nm sie zu erreichen. Bei den Prinzipalen sei noch vielfach die Ansicht verbreitet, daß die Theilnahme des Arbeiters an öffentlichen Dingen überhaupt und au ben Ge- schäften der sozialpolitischen Selbstverwaltung im Speziellen etwas sei, daS man höchstens dulden könne, solange eS nicht stört, das aber eigentlich einen „Uebergriff des Arbeiters", einen Mißbrauch au seiner dem Prinzipal gehörigen Zeit darstellt. DaS Alters- Versicherungs - Gesetz rechnete mit dieser Thatsache nnb stellt wenigstens fest, daß die Theilnahme der Arbeiter au der Durchführung der Arbeiter- versicherung nicht ein bloßes ihnen vom Staate gewährtes Recht, svllderu eine ihnen vom Staat auferlegte Pflicht fei. Neben der Gebühren- Bestiiumnng des Gewerbegerichtsgesetzes liegt hierin der erste Ansotz der öffemlich - rechtliche» Auffassung de- Arbeilsverhältnisses, deren Durchführung und BuS- geftaftuiig allein der jetzt durch daS Arbeitsverhältniß bewirkten persönlichen Unfreiheit des Arbeiter» entgegen- treten, die Verwandlung des Arbeitsvertrages aus einem Vertragsverhältniß iu ein unzulässiger HerrschastSverhält- »iß verhindern kaun. Iu diesem Sinn empfiehlt Herr Flesch mindestens die genaue Nachahmung des § 147 des Altersversicherungsgesetzes, möglichst aber feint Erweite - rung mib schärfere Fassung sür die Revision der Ber- icheruugSgesetzgebuug. Die Schwierigkeiten, bie sich einet Reform der Juvalibitäls- und AlterSversiche- rung entgegenstellen, glaubt, wie bie „Deutsche Tages- ieitnng" miltheilt, eine Kommission deS Bundes der Landwirthe mit einem Schlage überwinden zu können Sie will, daß: 1) das Markenklcben in Wegsall kommen soll; 9) die Beiträge ber Arbeitnehmer unb der Arbeit - geber in Wegfall kommen solle» und 8) bie Kosten der Versicherung durch Zuschläge zur Einkommensteuer ausgebracht werden solle». Die „D. T.-Z." bemerkt dazu: „ES fleht wohl z» erwarten, daß Vorschläge dieser' Richtung iu Reichstag-kreis«», wie in den weitesten Kreisen des Volkes auf Zustimmung zu rechnen haben werde». Insbesondere werden Laiidwirthc und Handwerker dem Bunde der Laudwirthe für die Propagation solcher Vor - schläge lebhafte Auerkeuiinng zullen." Pardo»! Der Gedanke, die Kosten der Versicherung durch eine allgemeine Umlage, und zwar eine progressive, auszubringen, ist sozialdemokrati- scheu Ursprungs. Wir speziell nehmen in aller Be- scheidenheil das Verdienst für rinS in Anspruch, dies - bezügliche Vorschläge schon vor einigen Jahren gemacht zu habe», freilich ohne daß wir Unterstützung bei irgend einer der „staatserhalleiiden" Parteien gefunden hätleu. An Zöllen nnb Berbranchsslenern sind vom 1. April bi« (Snbe Oktober 1895 im Reich zur An- schreibnug gelangt: Zölle jMi. 238 101 384 (gegen denselben Zeitraum bei- Voriahres + JH. 11 914 828), Tabaksteuer Jt. 5 771246 (4- M. 141857), Zuckersteuer 47 501 817 (t- X 541 170), Salzsteuer M 25 042 108 (+ JK. 515 185), Maischbottich- .mb yrannlmeinmoteria!fteucrM 1 095 031(— *t 173871), Verbrauchsabgabe von Branntwein und Zuschlag zu der - selben A 68 527 490 (— A 4 601 061), Brennfleuer A 336 959 (+ A 336 959), Branstener A 16 764 041 (4- A 1 029 645), Utbergaiigicbgabe von Bier M 2 111 750 (-V A 49 300); Summe A405 251 826 (+ A 9754012). Stempelsteuer für: a. Werthpapiere A 8 843 652 (+ A. 3 904 119), b. Kauf- und sonstige AnschasfungS- geschäste A 12 568 134 (4- A 4 294 659), e. Loose zu : Privatlotterien * 2 410 765 (+ A 942 1 91), Staals- lotterien A 8 243 062 (+ A 3 482 818), Spielkarten- stempel A 693 998 (+ A 3493), Wechselstenipelfteuer ,»L. 5 017 138 (- A 226 033), Post- unb Telegrapheu- Verwaltuug A 164042 105 (4- A 10 130 083), Reichs. Eisenbahn Verwaltung A 40 673 000 (+ A 2 521 000). Tie zur ReichSkasse gelangte I ft - E i n n a h ui e ab. züglich brr AuSsuhivergütungen und VerwaltungSkosten beträgt bei ben uachbezeichueten Einnahmen bis Ende Oktober 1895: Zölle A 213 075 429 (+ A 12 575 164), Tabaksteuer * 7 484 860 (— A 232 019), Zuckersteuer A 45 592 426 (— A 1 686 738), Salzsteuer A 23 525 693 (+ A 514 594), Maischbottich- und Branntweinmaterial, steuer A 6 937 262 (—Al 196 071), Verbrauchsabgabe von Branntwein und Zuschlag zu derselben A 56 899 248 (- A 3229814), Breuusteu-r A 258 234 (+ A 258 234), Brausteuer und llebergang«abgabe von Vier A 16 040 538 (+ X 916 914); Summe A 369 813690 (+• A 7 920264). — Spielkarteustempel A 703 695 (+ A 48 221). Dio NoichStagScrsatzwahl für ben Wahlkreis Metz ist nach Mittheilung ber „Lothringer Ztg " ans ben 9. Januar n. I. aiifceraumt. Tie Ersatzwahl für ben Wahlkreis Diebenhofe n-Bolchen wird vor- aussichtlich am selben Tage stattfinden. Zur Geschichic deS Ibolas eventuali*. Tie ulitcmoiilene „Köln. Volls-Ztg.", hatte bei Be- spiechung derVernrtheilung Liebknechts wegenMa jestätS- beleidign ng auch geltend geuiacht, das Breslauer Urtheil setze sich mit der bisherigen Recht - sprechung des Reichsgerichts in Widerspruch Dem Blatte wird nun von juristischer Seite ge- schrieben: „Diese Annahme ist nicht zutreffend. Bor mir liege» zwei Entscheidnugen deS höchsten GerichtshoseS. Das eine Urtheil, auS dem Jahre 1882, betrifft den Professor Ai 0 m ui s e ii. Herr M. hatte am 24. September 1881 in einer Volksversammlung zu Charlottenburg eine seiner Zeit viel besprochene Rede gegen bie »nie WiithschaftS- Politik gehalten. Die Anhänger dieser Politik mußten sich den Vorwurf gefallen lassen, eine Politik des Schwindels zu verfolgen, Herr M. hatte sich in seiner Rede aber auch gegen Diejenigen gewandt, die diese» Schwindel i» die Hand genommen, d. i. die Durch- sührung dieser neuen Wirthschaftspolitik im Staats. Organismus unternommen habe». Auch dieses Verhalten wurde al# Schwindel bezeichnet. Insbesondere der letztere Theil derRedebraLte dem streitbaren Historiker eine Anklage wegen Bismarck-Beleidigung ein. Da# Land- geeicht II zu Berlin sprach bei der erstmalige» Verhand - lung ben Angeklagten frei; das Urtheil wurde aber auf die Revision ber Staatsanwaltschaft aufgehoben. Das Reichsgericht nahm in ber RevisionSentscheidnng au, das Jnstanzgerichl habe mir bann zu einer Frei, sprechung gelangen dürfe», wenn sich auS bet Rede deS Angeklagte» und au8 ben Umständen ergeben hätte, da dieser von dem allgemeinen Vorwurfe, der sich alt unb für sich iiolhwendig auch auf den Fürste» B., als den Träger dieser Politik, beziehe, denselben habe anSuehinen wollen 1 u d die Ueberzeugung gehabt habe, daß die Zu - hörer den Borwurf auf alle bet heiligten Staatsmänner, nur nicht ans den Fürsten B. beziehen könnte». DaS ist nichts Anderes als die Anwendung deS BegriffS deS Event »al-DoluS auf daS Vergehen der Beleidigung, wenn schon das Urtheil selbst den juristischen Kunstausdruck nicht gebraucht Bei ber demnächst wiederholten Verhandlung verblieb es bei der Freisprechung. In dem anderen, bem ReichSgertcht zur Entscheidung vorgelegteu Falle hatte sich ein Lehrer durch eine von Seiten des Angeklagten iu der Kirche ge- machte Aeußerung, bie et auf sich bezogen halte, beleidigt gefühlt. Auch hier kam in Frage, ob der Angeklagte bei der inlriminirten Aeußerung 011 bie Person des in der Anklage als in feiner Ehre gekränkt bezeichneten Lehrers gedacht hatte oder sich wenigstens bewußt gewesen mar. daß dritte Personen die Aeußerung nach ihrer Fassung ans ihn beziehen konnten. I» diesem Falle hat dos Reichsgericht ausdrücklich erklärt, baß der sog Eventual- D 0 l it s zur Vcrurtheilung auSgereicht haben würde. DaS Breslauer Urlheil bewegt sich hiernach genau in beut Gedankengange ber reichsgerichtlichen Recht, sprechung R e 11 ist dabei nur, daß in bem Lieb- knecht'schen Falle die Beleidigung sich gegen bas Staats - oberhaupt richtete Allein dies föitnte doch nur bann von Bebeutung sein, und nur baun als eine Abweichung von ber in der Jtidikalur des Reichsgerichts hervorge- Ireteiien RechtSaufsassnng betrachtet werden, wenn bei der MajestätSbeleidignng die Grenzen de§ Veleidigungsbegrissj nicht, wie man so leicht versucht wird auzitnehmen, weiter, sonder» enger zu ziehen wären. DaS ist aber nicht der Fall; der Rechtsbegriff ber Beleidigung ist überall der. elbe, mag eS sich um die Beleidigung einer Privatperson handeln oder aber bie Ehre des Staatsoberhauptes an - gegriffen fein." Die „Köln. Volks Ztg." bemerkt dazu: „Der Verfasser der vorstehettben Zuschrift stellt hier die Jurisprudenz be« Reichsgerichts in dieser Frage fest; ie soll damit aber wohl nicht vertreten werden." Snminliiiifl von Urtheilen in MajestiitS- belcidigniigö Prozessen. Ter „Vorwärts" bringt folgende Aufforderung: Die immer zahlreicher und immer „interessanter" werdenden Urtheile in ben MajestätSbeleidignng«. Pro - zessen lassen eS angebracht erscheinen, diese für unsere Zeitgeschichte im höchsten Grade wichtigen Urkunden zu amineln und auszubewahreu. Wir richten deshalb au die Partei-Redaktioneu und alle Genossen, welche mit Majestät-beleidigung«, Prozessen heimgesucht worden sind ober sonst in der Lage sind, Urtheile über solche Prozesse sich zu verschaffen, bie Aufforderung, dieselben an die Adresse I. Auer, Berlin SW, Katzbachstr. 9, eiuzusenden Aus Wunsch luerben die Urtheile, nachdem Abschrift von denselben genommen ist, den Eigenthümer» wieder znrückgesanbt. Taö BeleidiguugSrccht der StnittSmitonltc ift im Falle Hütte-Lorenz, wie sch«» kurz ge- meldet, and) in der Berufungsinstanz vor de« Lond- gencht verneint wordeu Tie Veriaerfnng der B.rusung des StaatSauwalts begründete der Gerichlspiäsident wie Der Gerichtshof hat nicht als erwiese» erachiet, daß der Angeklagte die Worte „Verleumder" oder ,$er-- lenmbung' gebraucht hat. Erwiese» ist dagegen, La* der Angeklagte zu dem Piivaikläger Hülle außerhalb des Plädshers ii einer Zwischenbemerkung gesagt: „Sir treiben gewerbsmäßige Ehrabfchneiderei", oder: „Sie lebe» ja ein von der gcwerbs- uub ge. wohuheitSmäßigen Ehrabfchneiderci" Der Gerichtshof hat auS der Verhandlmrg dir Ueberzeugung gewonnen, daß der Angeklagte diese BemerkMig vorsätzlich gethan hat. Der Gerichlshos ist ber Ansicht, daß dies« rechtswidrig geschehe» end eine Beleidigung im Sinne des § 186 de« Strafgesetzbuches ist Einmal gab die ganz« Sachlage keinerlei Beran- lasse ng zu einer solchen Zwischenbemerkung, anderer - seits war aber ber Staatsanwalt auch materiell zu einer solche» Aeußerung nicht befugt. Die Staatsanwaltschaft ist dem Gerichtshof nur toorbinirt al« Verwaltungsbehörde, nicht aber als Pro- zeßbehörde. Laut Strafprozeßorduung und Gerichts- verfasftingsgesetz hat ber Vorsitzende die Verhandlung zu leiten nnb steht diesem auch die SitzungSpalizei zu. Daranj ergiebt sich, daß der Staatsanwalt, ohne von dem Vorfipenbeu zum Wort verstattet zu fein, nicht das Recht hat, in die Verhandlung einzegreijeii. Der Staats - anwalt war sich anch zweifellos der Beleidioung jener Aeußerung bewußt. Der tlngeftagle hatte zu bei Be- meilung geweidS- unb gewohnheitsmäßiger „Ehr - abschneider" nicht den geringste» thatiäch» l i ch e n A n h a l t S p ,1 ii k t. „Ehrabschneider" iß der I ch 1 i ni ni ft e Vorwurf, de» mau Jemandem machen kann. Während ein Beleidiger unb Verleumder nur die Ehre Anderer angreift, so benutzt der Ehrabschneider jede Gelegenheit, um die Ehre seine? Nebenmenschen zu nehmen. Gegen einen Ehrabschneider giebt eS säum einen Schutz. Wenn man also einen Menschen Ehrabschneider nennr, so bezichtigt man ihn selbstverständlich einer bösen Ab - sicht. Wenn man einen g e iu e r b S • und ge - wohnheitsmäßigen Wucherer „Gurgel- abschneider" nennt, so ist ba« lange nicht so schlimm, als wenn mau einen Menschen alS Ehr - abschneider bezeichnet, da Jener nur eine Vernichtung gegen daS Eigenthum, dieser aber eine Vernichtung des höchsten Gutes des Menschen, bie Ehre, beabsichtigt. Der Beweis ber Wahrheit für die vom Angeklagten erhobene Behauptung ist keineswegs geführt. Der Angeklagte bat sich somit im Sinne de« § 186 deS Strafgesetzbuches schuldig gemacht. Der Schutz;ber § 193 kann dem Angeklagten nicht z ii g e b i 11 i g t werden. Der Angeklagte handelte einmal nicht in Wahrung be- rechligter Juteresjen. Buch gebt- aus ber Form unb ben Umständen bie Absicht der Beleidigung hervor. Dem Angeklagten war bclaunt, daß ber Privalktäger nur auf Grund der 185, 186 und 200 deS St -G -B be - straf! war. Wen» anch ber Staatsanwalt berechtigt war, daraus hinzuwirken, baß ber Piivaikläger, der Redaktör eiveS iozialbemokratischen BlatteS ist, eilt« möglichst harte Strafe erhielt, so hat der Angeklagte die Grenze» feinet Besngniß weit über - schritten. Der Augellagle hätte bie Zwischenbe - merkung im Plädoher Vorbringen können. Der Gerichts - hof kann nicht einsehen, daß alSdaiin die Wirkung feinet Worte eine Abschwächung erfahren hätte. Allein, daß es dem Angeklagten nicht darauf anlam, bla« ein höheres Strafmaß jii erzielen, sondern in erster Reihe den Privatkläger zu beleidigen, geht aus dem Umffanbe hervor, daß der Angeklagte feine Anrede gar nicht an die Richter, sondern an de» Privalktäger richtete, daß nachdem das lriegsgerichlliche Urtheil verlesen, er absolut ja einer solchen Aeußerung keine Veranlassung hatte und endlich ans dem Umstande, daß ber Angeklagte bie Aeußerung that, ohne vom Vorsitzenden zum Wort per - stattet worden zu sei», er also die Sitte und Ordnung im Gerichtssaale, die er von A m t 6 10 e g e n mit $ u wahren hatte, durch- brach. Es kann also feinem Zweifel unterliegen, baß der Angeklagte die Absicht bet Beleidignng hatte. Der Gerichtshof hat bie vom Schöffengericht erkannte Strafe für ausreichend gehalten, zumal ber Privatkläger eine Berufung nicht eingelegt hat Der Gerichtshof hat daher im Namen des Königs für Recht ersannt, daß die Be - rufung deS Angeklagten zn verwerfen, mithin bet Angeklagte ans Grund des § 186 des Strafgesetzbuches 311 60 Mark Geldstrafe zu verurtheilen unb dieser Strafe im Nicbtbeitreibiingsfalle für je 10 Mark ei» Tag Haft zu fubftituiren fei. Der Gerichtshof hat dem Ang«, (logten außerdem die Koste» des Verfahrens nnb auch bie bem Privatkläger durch bie Berufung entstaudeneu haaren Auslagen auserlegt. Wege» „Vcrächtlichinachiiiig deS Jeffniteu- gcsetzcs" ist der verantwortliche Redaktör der „Franken- steiu-Münsterberger Zeitung" in zwei Fälle» zn je A 150 Geldstrafe verurtheilt worden Das Jesuiteugesetz ift von bem Gericht offenbar als eint Staatseinrich- titng im Sinne des § 131 des Strafgesetzbuches ange - sehen worden „Kann denn aber," fragt bie „Germa - nia", „ein einzelnes Gesetz al- eine „StaaiSein- ricbtiing" betrachtet und eine abfällige Kritik desselben als eine Verächtlichmachung einer SiaatSeinrichtung be - straft werde» ? Eine Kritik ber Gesetze in» 6 erlaubt fein; beim sonst würde die Theorie des „beschränkten Unterthanenverstanbes" als ber Gipfel aller StaatSweis- heit anerkannt werden müssen, und soweit sind mir beim doch noch nicht. Ei» Gesetz ist auch noch keine Einrichtung, sondern es begründet eine solche. Der Artikel 131, um de» es sich hier handelt, »erbietet aber gar nicht, Staatseinrichtungen verächtlich zu machen Das ift das Schönste an bet Sache I Er »erbietet etwas ganz Anderes; er verbietet bie öffentliche Behauptung unb Verbreitung erdichteter ober entstellter Thatsachen, wissend, daß sie erdichtet oder ent - stellt sind, zu dem Zwecke, um Staatseinrichiungen ver- ächtlich zu machen ES muß also vor allen Dingen eine erdichtete oder entstellte Thatsache behauptet worden lein; eS ift aber weder eine wahre »och eine erdichtet' That- ache behauptet worden, sondern gar keine That - ach e. Es ist ein Gesetz in abfälliger Weife farallerifirt worden, und das ist gar nicht verboten. ES wäre anch ein Unsinn, wenn da» verboten wäre; denn wo ist dir Grenze, wo die erlaubte Kritik anftjört und die Ver - ächtlichmachung beginnt? JebeS Gesetz, daS in abfälliger Weise frilifirt wirb, wirb dadurch iu der öffentlichen Achtung herabgesetzt; unb wenn ein Fortschritt in der Gesetzgebung ermöglicht werde» soll, bann müsse» nicht nur die gesetzgebende» Faktoren, sonder» vor Allem bie Organe der öffentliche» Meinung befugt sein, sich darüber rückhaltlos anSznsprecheu Denn da« Volk untersteht dem Gesetze; eS hat unter dem Druck desselben zu leiden, in ber Regel aber nicht Diejenigen, welche bie Gesetze erlassen und haubhabeii. Deshalb nt 11 6 das Volk a n ch darüber reden fön ne«; nur darf man keine Thitsacheii entstellen ober erdichte», durch welche S t a a t S e i 11 r i ch t » ii g e u z n U » r e ch t in ein ungünstiges Licht gesetzt werde» Das ist im Straf - gesetz verboten und weiter nicht? — Wenn daS Jesuiten- gesetz gegen jede „Verächtlichmachung" geschützt sein soll, was soll man dann vom Reichstage denken, der zwei Mal mit wachsender Mehrheit dieses . . . Gesetz auf.