Nr. 130 10. Jahrgang Ham li urge r Echo Sonnabend, den 6. Juni 1896 SS Auzrtfleu werkn btt sech«gcspa!tcne Pelitzn'lt ober beten Raum mit 30 4, für ben ArbcitSmarkt, vcr- nticthuugS- uub Familicnauzcigctt mit 20 4 berechnet. Attzeigcn-Auuahmk in ber Expedition (bis 6 Uhr Abds.), sowie in sammt!, rlnnoncen-vüreaux Rebaktion und Expedition: ©roste Tljcnterfirnftc 44 in Homb»ra. Da« „Hamburger Echo" erscheint täglich, außer Montag«. Der Abouncmeatsprcis (mH. „Die Neue Welt") beträgt: burch bie Post bezogen (Nr. be« Post, katalog« L04I) ohne SB ringegelb vierteljährlich 3L 4,20; burch bie Solportöre wochentl. 36 4 frei in «Hau«. Einzelne Nummer 6 4.' Sonntags-Nummer mit illustr. Sonntags-Beilage „Die Neue Welt" 10 4. Berantwortlicher Redaktör: R. Stenzel in Hamburg. Hierzu eine Beilage. Kein Stikstllllh. Im März 1890 tagte in Berlin bekanntlich bie von Kaiser Wilhelm II. einberufene und von 15 europäi - schen Staaten beschickte Arbeiterschutzkonserenz. Dieselbe beschäftigte sich mit ber Frage der inter - nationalen Arbeiterschutzgesetzgebung und einigte sich dahin, eine Reihe von Schntzbestimmungen den enropäischen Regierungen zur Durchführung zu em - pfehlen. Diese Bestimmungen blieben natürlich sehr weit hinter den Forderungen zurück, welche die organisirten Arbeiter der Kulturwelt an die gesetzgebenden Faktoren zu stellen Pflegen. Indessen wurde es allerseits als ein Fortschritt erachtet, daß bie europäischen Regierungen sich einmal ernsthaft mit der Frage einer gemeinsamen, inter - nationalen Arbeiterschutzgesetzgebung und deren Durch - führbarkeit beschäftigt hatten. Die Konferenz selbst fügte ihrem Schliißprotokoll vom 29. März 1890 folgende Bemerkung an: „Es ist wüiischeuswerth, daß die Berathungen bet betheiligten Staaten erneuert werde», um sich gegen - seitig die Beobachtungen mltzutheilen, welche sich bei Prüfung der Kolisereiizbeschlüsse ergeben haben, und um zu prüfen, ob eS angemessen sei, jene Beschlüsse abzu- äudern oder zu ergänzen." Ueber sechs Jahre sind seitdem ^»gegangen, aber keine Regierung von den fünfzehn betheiligten hat sich geäußert, daß es für sie wüuscheuswerth sei, die Be - rathungen zu erneuern. Bismarck, dessen Sturz grabe in jener Zeit erfolgte, während in Berlin die Arbeiterschutzkonserenz stattfand, erklärte hinterher, daß er mit der Sozialpolitik des Kaisers nicht einverstanden gewesen sei, wie man auch leicht begreifen kann, daß die Anschauungen Bismarcks einer internationalen Arbeiter- schiitzgesetzgebuug feindlich sind. Die Staatsmänner der übrigen Staaten scheinen die Bedeutung der Frage" auch nicht hinlänglich gewürdigt zu haben; insonderheit hatte der mächtigste Industrie- und HandelSstaat der Welt, England, in Sir John Gorst einen Vertreter auf die Konferenz gesandt, dem alles Verständniß für die vor - liegende» jFragen gefehlt zu haben scheint. Doch wie dem sei — die Konferenz hat sich getrennt, ohne daß ihre Arbeite» eine direkte Einwirkung auf die Gesetz - gebung hatte». Wohl habe» sich die einzelnen Staaten inzwischen mehrfach mit Arbeiterschutzgesetzen beschäftigt, aber der Versuch einer internationalen Verständigung ist nicht wieder aufgenommeu worden. Er ist sicherlich nicht-für immer gescheitert, aber es giebt Leute, die das wünsche». I» Bezug aus die Arbeiterschutzzesetzgebttug hat sich die Auffassung so mancher Kreise geändert, und namentlich waren die jüngste», auf diesen Gegenstand bezüglichen Auslassmigeu der „Norddeutschen Allgemeine» Zeitung" sehr be - zeichnend. Ma» kann von einem solchen Blatte, das alle» Negierungen dient, ganz gewiß keine philosophische Unwandelbarkeit der Ansichten verlange»; aber grabe dieses offiziöse Blatt, das früher das Bische» Arbeiter- schütz, das wir im Reiche habe», als eine segensreiche Errungenschaft nicht hoch genug preisen konnte, hat jüngst die ganze Arbeiterschutzgesetzgebniig als für die Sozialdemokratie förderlich und darum gefährlich be - zeichnet. Auch andere Organe sprachen solche An - schauungen aus. Es ist ja seit längerer Zeit bekannt, daß in den „staatsmännischen" Kreisen ein Umschlag ein« getreten ist; die Unternehmer und Großkapitalisteii, die stets in’« Schwärzeste malten, 1 neust de» Arbeitern nur die geringste» Zugeständnisse gemacht wurden, scheine» wieder bei de» Regierungen mehr Gehör gefunden zu habe» mit ihrer alte» Klage, sie könnte» in Folge der Sozialgesetzgebung die Konkurrenz des Auslandes »ich mehr anshalte». Daß diese Leute gegen jede nationale und internationale Schutzgesetzgebung sind, versteht sich von selber. Bismarck, der Millionärzüchter, hat dem seiner Zeit genügend Ausdruck gegeben. Wir wußten auch wohl, daß die Bourgeoisie aller Säuber alle Hebel in Bewegung setze» würde, um die Durchsührnug einet internationalen Arbeiterfchiitzgesetzgebiing zu vereitel». Es scheint ihr das auch vorläufig geglückt zu sei». Diese Kapitalisten, die am liebste» einige Millionen chinesischer Kulis nach Europa importireu würden, um die ihnen immer »och zu theure» einheimischen Arbeitskräfte lahm zu lege», werde» immer Todfeinde des Arbeiterschutzes fein, sobald derselbe ernsthaft werde» soll. Aber ganz so stumm wird es i» ber Frage boch nicht werden, wie eS die koalirte AuSbeuterschaft aller Länder wünscht. Der Schweizer Nationalrat h hat die Sache neuerdings augeschuitte» und in Gemein - schaft mit dem Stäuderath die schweizerische Bundes- regicrnng aufgefordert, die Verhandlungen über eine internationale Regelung des Arbeiterschutzes wieder aus- zunehuien. Bekanntlich ist von der Schweiz ans über - haupt die erste Anregung zu einem internationalen Vor - gehen ansgegaiigen, und zwar schon vor etwa 20 Jahren. Ma» darf wohl ermatten, daß der Bundesrath der Eidgeuosseiischast der Anregung der Volksvertretung Folge leisten wird. Inzwischen ist der bekannte demokratische Sozial- Politiker und St. Galleuer NegieruiigSrath Theodor Eurti mit einem neuen bestimmten Vorschlag hervor- getreten, der die Errichtung eine« internationalen ArbeiterschiitzaulteS bezweckt. ES soll eine internationale Behörde eingesetzt werden, die zunächst alleS aus die Arbeiterschutzgesetzgebung bezüg- liche Material auS alle» Länder» zu sammel» und der weiteste» Oesfeutlichkeit zugäuglich zu mache» hat. Alle bezügliche» Gesetze, GerichtSurtheile 11. s. w. solle» inbegriffen fein. Soda»» soll das Schutzamt eineu regel - mäßigen Jahresbericht herauSgebe». Dau» soll es als eine allgemeine AuSkunftS - und Vermitt - lungsstelle diene». lind schließlich soll eS den Mittelpunkt für einen regelmäßig abznhalteude» Kon- g r e 6 bilde», ber von ben Vertretern der betheiligten Staate», von Parlamentarier» u. s. w. besucht werde» soll und dessen Verhandlungen wieder Aiiregmige» für die Weiterbildung des Arbeiterschutzes in allen Länder» liefern solle». Auf diesem Wege hofft man zu einem internationalen Jneinandergreifen der Gesetzgebung über de» Arbeiterschutz zu gelangen. Die Curti’sche Anregung enthält nicht ben interna - tionale» Arbeiterschutz selbst, aber einen Krystallisation-- fern, um ben herum sich daS Weitere ansetzen kann. So entschiede» wir eine internationale Regelung bet Materie verlangen, eben so gut wissen wir auch, daß dieselbe iiichtssmit einem Male erreicht werden taun, und darum ist uns der Curti’sche Vorschlag nicht minder willkommen, wie jeder andere Fortschritt auf diesem Gebiet. Wir zweifeln nicht daran, daß dieser Vorschlag bie heftigste Gegnerschaft des Unlernehmerthums finden wird. Aber grabe barum muß bie Thätigkeit für eine inter - nationale Regelung der Fabrikgesetzgebung mit doppeltem Eifer wieder ausgenommen werden. Wen» es gelingt, rin solches Schatzamt zu errichten, wie Curti eS vorschlägt, bann hat eS ben Beweis zu liefern, daß bie internationale Regelung bei Arbeiter- fchntzeS keine „Utopie" ist, wie profitgierige Kapitalisten und von ihnen besoldete Gelehrte glauben machen wollen. Wenn dieser Beweis geliefert ist, bann ist die Verwirk- lichung deS Ganzen nur noch eine Frage ber Zeit. $011 litt WtltbiilM. Auf die eigene Meinung zu verzichten unb sich in Sache» des Bürgerlichen Gesetzbuches einfach bei» Willen des Buiidesralhes uulerzuordue», mnthet bie Stumm’fche.Post" alle»Ernstes bemRe ichS- t a g zu. Er müsse es vermeiden, einem Faktor ber ReichSgefetzgebung Beschlusse auszuzwingen, welche der Bitudesrath nach feiner Auffassung mit der salus publica nicht vereinbar finde. Man dürfe es nicht darauf an- kommen lassen, ob ber Bundesrath sich um des Zustandekommens des Bürgerliche» Gesetzbuches willen eine Art von k a u d i n i s ch e m Joch anszwingeu lassen werde. — Aber bet Reichstag soll sich nach Ansicht der „Post" ein solche« kaudinisches Joch auflegen lassen. Wen» bie Ansicht des Bnndesrathes derart allein maß - gebend fein soll, bann wäre ja ber Reichstag einfach überflüssig. Wir haben schon früher darauf hingewiese», daß es eine unerhörte Unverschämtheit ist, votn Reichstag zu fordern, er solle den Entwurf nach den Beschlüsseu des Bnndesrathes gutheißen, wo dieser nicht einmal dem ursprünglichen Entwurf gegenüber Enthaltsamkeit geübt, sonder» ihn »och in wesentliche» Punkten ver - schlechtert hat. Ju Bezug auf die Schaffung eines Noth- gesettes für politische Vereine bezweifelt die „Freis Ztg", daß das Zentrum dem zustiunuen werde, meint aber, die Zentrumspartei könnte auch mir durch Gründe, die außerhalb der Sache selbst liegen, veranlaßt werden, sich einem Nothgesetz zu widersetzen. „Sogar die Konservativen haben alle Ursache, ein solches Noth - gesetz zu wünschen. Demi ohne ein solches Gesetz ist die jetzt in uiehreren Provinzen geplante organische Verb i ndu ng d er L a n d tv i r t h s ch a f t S k a m ui e r n mit laudwirthschastlicheu Vereinen ab - solut unmöglich. Auch würden bei einer gleich - mäßigen unb durchgreifenden Ausführung beS bestehenben BereinsgesetzeS die Führer der laudwirthfchast- l i ch e ti Vereine in erster Reihe wegen Verletzung der Bestimmungen des Vereinsgesetzes durch Erörterung politischer Fragen strafrechtlich verfolgt werden müssen. Wenn die Regierung nicht nach vorgefaßte» Meimingeu, sondern nach den praktischen Ersahrnugeu der Verwaltung urtheile, so müßte sie selbst dringend den Erlaßs eines solchen Nothgesetzes wünschen. Anderen - falls kommen die Behörden in ber nächsten Zeit in eine Unsumme praktischer Schwierigkeiten auch für die Durch - führung ber geltenden Vereinsgesetze nach anderen Rich - tungen hin." Zur dritte» Berathung deS Margariuc- gesctzeS wird von den sozialdemokratischen Abgeordnete» beantragt, das V e r b 0 t d e s F ä r b e » S z ii strei - chen und den § 6 nach ber Regierungsvorlage (Ron- trole ber Polizeibehörde») wlederherznstellen. Auch in BundeSrathskreifen sollen »ach ber „Lib. Korresp." die Beschlüsse des Reichstages zu dem Margarinegesetz die das Färben der Margarine verbieten uub das Feil- Halten der Margarine nur in befonber.en 81 er - sauf« räumen zulassen, als unannehmbar bezeichnet werde». Da würde» die „Berl. Pol. Nachr." ja mit einem neuen Artikel über „sozialdemokratische RegierungS- Politik anfwarte» könne». Vo» der Stichwahl in Ncnrnppin-Templin liegt jetzt ein abschließendes Zahlenrefuttat vor. Nach demselben ist ber Kandidat der freisinnigen Volkspartei, Amtsvorsteher Gotthold Lessing, mit 9636 Stimmen gewählt worden. Der konservative Land - rath v Arnim erhielt 8362 Stimmen. Die Mehrheit für Lessing beträgt mithin 1284 Stimmen. Bei bet Hanptwaht am 21. Mai hatten v. Arnim 7136, Lessing 4730, unser Genosse Apelt 3750 unb der Antisemit Schlickert 2421 Stimmen erhalten. Die Berliner „BolkSztg." meint, im Wesentlichen sei ber Sieg Lessings der energischen Unterstützung bet freisinnigen Volkspartri durch die sozialdemokratische Partei des Kreises zu bauten, uub bemerkt dazu weiter: „Wenn das liberale Bürgerthnm, das bei der letzten allgemeinen ReichStagSwahl, soweit eS sich um die frei - sinnige Volk-Partei handelt, bekanntlich au« eigener Kraft leider keinen einzigen Kandidaten durchzubringen vet- inochte, mit ber Sozialdemokratie Schulter au Schulter kämpft, wird die Reaktion verdientetniaße» an die Wand gedrückt. Möge ber sreisinnig-sozialdeinokratifche Wahl- sieg diesem seinem Werthe nach von Denen, die es au- geht, begriffen und gewürdigt werden 1" Ja, wenn nur nicht ber Freisinn auch von der jänimerlichen Spießbürgeraugst vor der Sozialdemokratie ergriffen wäre. Herr (Sagen Richter ist ihnen dabei ja mit leuchtendem Beispiel vorangegangen. Die Agrarier schiebe» die Schuld für ben konser - vativen Durchfall auf die La » drathS kandidatur. Die „Deutsche TageSztg." bemerkt zu dem Wahlausgang: „Herr von Arnim ist ein hochgeachteter Mann, alS Landrath trefflich und allgemein geschätzt; aber viele gutgesinnte, konservativ gerichtete Männer halte» eine San brat MIanbibatur, besonders unter be» gegenwärtigen Verhältnissen, ganz besonders nach dem kürzlich veröffentlichten Erlasse des StaatsministeriumS für ungemein bedenklich. Man sagt, ein Landrath könne alS Abgeordneter eigentlich gor nicht ander«, als für die Vorlagen ber Regierung ein treten. Hoffentlich lernt man für die Zukunft daran«. Hätte inan eine» unab - hängigen Manu be« praktischen Lebens al« gemein - samen Kanbidateu ber Konservativen, Antisemiten und des „Vnndes der Landwirthe" gesunde», hätte man sich nicht auf die von vornherein wenig aussichtsreiche Kandidatur versteift, so würde der freisinnige Amts- vorsteher Lessing niemals in den Reichstag eingezogen fein." Der Jammer ist ja groß und daS Schlimmste für die Konservativen ist, daß die Klage berechtigt ist. Aber trotzdem wird man sich der Landiathskandidature» nicht entledige», denn ohne Landräthe und deren kräftige Mit - wirkung bei den Wahlen sind die Konservative» geliefert. Die nächsten Wahlen machen den K 0 n s e r ö a • tive n schon jetzt Angst Mit dem ersehnte» Kartell gegen die Sozialdemokratie ist eS vorläufig nichts, dazu laufen die Sonderintereffen der cinzelnen kapitalistischen Parteien viel zu sehr auseinander. Der „Rcichsbote" richtet deshalb an die Konservativen folgende Mahnung: „Die Konservativen müssen sich vor Allem selbst durch eine gute Organisation so zu stärken suchen, daß sie die Hülse der Natioualliberaleu und Freikonservativen nicht nöthig haben. Es ist hoch an der Zeit, daß bie konservative Partei ernsthaft daran denkt; denn grabe für sie wirb bet nächste Wahlkampf ein sehr heißer werden, weil zu ihren alten Gegnern nun auch solche aus dem Kreise ihrer bisherigen Anhänger hinzugetreten sind. ES ist vorauSzusehen, daß man versuchen wird, sie deS Abfalles vom sozialen Reform- g e d a »k e n z u v e r d ä ch t i g e n und ihr dadurch bie konservative» BokkSkteise zu entfremden. Ter konservativen Partei würde es deshalb zu großem Schaden gereichen, wenn sie auch nur den Schein aus sich labe, ein G e - sinnuugSgenofse bei Herrn von Stumm zu sein und mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Solche starken antisozialen Extravaganzen, wie sie Herr von Stumm unb seine Presse jetzt verüben, sind nicht geeignet, bet Sozialdemokratie das Wasser im Volksleben abzugraben und Mahlstimme» gegen sie zu gewinnen. Das ist vielmehr nur Wasser aus ihre Mühle. Wenn das so weiter geht, dann ist für den nächsten Wahlkampf Sitte« zu fürchten — und die ernsthaft staat«. erhaltenden Parteien müssen sich deshalb wohl vorsehen!" Der „Reichsbote" übersieht, daß man bie Konser - vative» nicht erst des „Absattes vorn sozialen Reform- gedanken zu verdächtigen" braucht, soudern sich einfach an die Thatsachen halten kaun, daß sie im Reich uub in Preußen gegen da« Bischen Brbeiterschutz Sturm gelaufen haben. Daß ihnen im Hinblick auf bie Wahlen dabei nicht ganz gehener ist, läßt sich denken. Aber selbst durch die Absage an Stumm läßt sich das nicht vertuschen. Die Grenzen der öffeutlichen Kritik werde» von ben Gerichten immer enger gezogen. In Bezug auf den sogenannten ReligtonSbefchimpsungsparagraph (§ 166 des Strafgesetzes) ist dies erneut durch eine von imS schon erwähnte, am 2 Juni gefällte Entscheidung des Reichsgerichts geschehen. Taffelbe hat ein freisprecheudes Urtheil gegen ben Berliner Antisemiten Sedlatzek aufgehoben. Der Rerchsanwalt führte zur Be- grünbung der staatsanwaltlichen Revision au«: Das Urtheil des Landgerichts I Berlin beruhe auf einem zweifache» RechtSirrthum. Der erste liege darin, daß die Beschimpfung im Sinne bei § 166 bei Straf- gefetzbiiches nur in ber äußere» Form gesucht werbe, als ob sie nicht auch aus bei» Inhalt ent - nommen werde» könnte. — Ter zweite RechtSirrthum liege in ber Auffassung des Gerichts, der subjektive Standpiinkt des Beschimpfenden sei maßgebend, sofern derselbe bona fide ober handelt; das Gesetz wolle viel - mehr den Beleidigten schützen, beut es gleichgültig fei, ob ber Beleidiger dabei bona fide ober mala fide handelt. Eine Rohheit könne-ebenso gut em-Inhalte, wie in. Aus- drucke liege». — Tas Reichsgericht begründete die Auf - hebung des Urtheils damit: „Der gute Glaube schließe die Strafbarkeit im Allgemeinen nicht au«. Auch die Ausstellung thatsächlicher Behauptungen könne eine Beschimpfung fein, sofern dadurch Gegenstände ber Heilighaltnng verächtlich behaukelt werden (ctr § 189 St.-G -B, Beschimpfung Ver - storbener)." So wurde dies Erkenntniß nach ber „Post" motivirt. So führt bie Anwendung bei § 166 zu immer weiterer Einschränkung der freien Meinung-äußerung in religiösen Dingen. Wenn jetzt schon die Aussprache von Thatsachen in obfulitt nicht beschimpfender Form zur Beschimpfung ausreichen soll und daher straf- bar ist, so hört die Möglichkeit der Kritik religiöser Tinge überhaupt auf. Eine solche Ausdehnung der Wirksamkeit des § 166 läßt dessen längst geforderte Aushebung um so dringlicher erscheinen. Eine famose Wahltheorie haben sich die 9? a t i 0 n a 11 i b e r a l e n des streife« Löwenberg, wo am 4. Juli die Nachwahl stattsindet, konstrnirl, um ihr Eintreten für den Konservativen zu rechtfertigen. DaS „Hirschberger Tagebl.", welches sich selbst national- liberal nennt, meldet, daß „viele liberal gesinnte Männer des Löwenberger Kreise- für be» konservativen Kandidaten stimme» werden, weit sie es für wünschen-werth und vernünftig halten, daß ber Reichstagsabgeordnete i m streife Löwenberg ansässig ist." — DaS ist eine hübsche Sorte von „Liberalen", welche die Wahl des ReichstagSabgeoidneten einrichtet nicht nach Maß - gabe der politischen Richtung, sondern nach dem Wohnort des Kandidaten. Ein großer Theil der nationalliberalen ReichStagSabgeord- neten selbst würde nach solcher Logik von deuNatioual- liberale» nicht gewählt werde» können, weil dieselben ihren Wohnsitz außerhalb ihres Wahlkreises habe». Dies ist beispielsweise bei allen irgendwie her - vorragenden Nalionalliberalen der Fall, so z. B. bei den Herren v. Bennigsen, v. Benda, Bürklin, v. Gun6, EnnecceruS, Dr. Friedberg, Dr. Hammacher, Dr. v Marquardsen, Dr. Paasche x. Aber was thut'«. Als Hörige des Bundes ber Landwirthe dürfen sie nicht mucksen. Und so konstruirt man sich denn die Theorie nach den Bedürsniffe». Der Krankenversicherulig unterlagen im Jahre 1894 laut der Nachweisungen deS Statistischen Amts durchschnittlich 7 282 609 Personen in 21 552 überhaupt thätig gewesenen Kassen. Tie Zahl der Versicherte» hat sich gegen daS Vorjahr um 175 803 vermehrt, uub zwar insbesondere bei den Ortskrankenkassen um 85962, beu Betriebskrankenkassen um 64 158 unb der Semeiiibever- sicherung um 17 322 Personen. Die Zahl der Erkran- kimgen, 2492309, hat sich gegen das Vorjahr (2 794027) erheblich vermindert, ebenso bie ber Krankheit-tage 43 686 440 (im Vorjahre 46199 436). Demgemäß sind anst) bie strankheitskoste» vo» X 101971 698 auf M. 99 588 457 zurnckgegauge», auf das Mitglied von X 14,35 auf X 13,67. Dem Zuge der Zeit, ber auf allen Gebieten herrschenden Reaktion, muß natürlich auch da« „liberale Musterländle" Baden nachgeben. In der Sitzung vom Mittwoch hatte sich die Kammer mit dem höchst „zeitgemäßen" Antrag aus RückwärtSrevidirung deS badische» D i e u st b 0 t e » g e s e tz e s, da« bisher noch relativ günstige Bestimmungen für die Dienstboten enthielt, z» beschästigen. Der Z e n t r u m S a b g e - ordnete Kops befürwortete bie Revision und bie Einführung der kriminellen Bestrafung de« böswilligen Vertragsbruches. In entfchie- dener Weife sprach sich der Sozialdemokrat Dreesbach gegen die zwangsweise Einführung vo» Dienstbote»- büchern für erwachsene Arbeiter auS; deSgleiche» gegen die strafrechtliche Verfolgung des stontraktbrucheS. Re- gierungsseitig wurde die Prüfung der Materie zugesagt, dabei ledoch betont, daß mit ber Bestrafung be« Kontrakt- bruches nicht viel erreicht, für bie Landwirthfchast aber bie Dieiistbotenkalamität dadurch voraussichtlich noch ver - größert werde. Venedey (BolkSp.) wendete sich daun energisch gegen die verlangte strafrechtliche Verfolgung deS KoiitraktbrucheS; daS hieße, einen Rückschritt machen z» der nicht gerühmte» preußi - sche» G e f i n b e 0 r b n u » g. Der Etrasrichter werde überhaupt iu Deutschland schon viel zu viel in Anspruch genommen. Buch in der Einführung von Dienstbücher» mit Zeugnisse» würde et einen Eingriff in die zivil- rechtlichen Berhältniffe der Arbeiter erblicken. Deshalb werde et gegen den Kouimifsionsauttag stimmen. — Nach längerer Debatte wurde dem KonimifsionSanltage mit allen Stimme» gegen die der Demokraten und Sozial- beaiotrateu beigestimmt. Ei« Stück „Kulturkampf" dürfte sich demnächst wieder im badischen Landtag abspielen. Die Spezialkommisfio» zur Veralhuug deS klerikalen Gesetz - entwurfs über die Zulaffung von Orde» und ordens- ähiiliche» stongicgatioiieii beantragt nämlich in ihrem Bericht mit 6 gegen 6 Stimmen, dem Gesetzentwurf zu- znstimmeu. Dieser verlangt folgende Abänderung de« § 11 des Gesetzes vom 9 Oktober 1860: „Religiöse Orden und ordeiiSähnliche Kongregationen sind im Groß- herzogthum zuzulasien. Von der Errichtung einer einzelne» Anstalt ist der StaatSregierung Anzeige zu er - statten." Gegen beu Antrag stimmten die national* liberalen Mitglieber der Kommission. Im Plenum haben die Nationalliberalen eine ganz geringe Majorität. DaS Schicksal bei Gesetzentwurfs wird also vo» Zufälligkeiten abhängeu. Eine Parteikonferenz für den 22. sächsischen Wahlkreis sand am letzten Sonntag in Netzschkau statt. Genosse Müller bemerkte i» seinem Bericht über bie Thätigkeit ber Partei, daß zwischen Genoffen des Ober- und Unterlandes ein regerer Verkehr entwickelt werde, da bekanntlich in ber Faftensteiner und Auerbacher Gegend Säle zu Bersanimlungen nicht zur Verfügung stehe», st » iizel - Falkenstein ist ber Meinung, daß Hiera» tebigli* diejenigen Genossen die Schuld tragen, die das ganze Jahr bie Parteilokale so viel wie möglich umgehen. De» Ansichten Unger«, welcher die Saal- frage von dem Verhalte» einiger Genossen in Auerbach abhängig machte konnte sich ber Parteitag nicht an- schließen Hieraus gab Genosse Preß be» Bericht über bie Lanbeöversammluiig in Dresden, und gelangte hierzu eilte Resolution zur Annahme, bie ausspricht, daß man von dem Beschlusse, betreffend daS Landtags-Wahlrecht, nicht befriedigt fei, sich aber der Majorität fügen wolle. Nachdem »och Genosse Müller über Organisation und Agitation gesprochen und ber letzte Punkt ber Tagesordnung, „Die Presse", einer ein - gehenden Erörterung unterzogen war, beschloß ber Partei - tag, eine Beschiverde an bie KreiShanptmannfchast resp, an das Ministerium be« Innern wegen der bekannten Polenz'fchen Verordnung, betr. die Abhaltung öffentlicher Versammlungen, rinzureiche». feilten erfreulichen Wahlsieg haben in dem böhmischen Jiidustrieorte NiemeS bie dortigen Ge - nossen bei ber G e m ei n d e r a t h S w a h 1 eifochten. Die 10 Kandidaten ber Partei unb fünf Ersatzmänner wurden gewählt. An ben Wahlen beteiligten sich 83 pZt. bet Wählerschaft. ES wurden von 757 Wählern 627 Stimmen abgegeben. Davon erhielten bie Kandidaten ber sozialdemokratischen Partei 342 bis 412, die Ersatz - männer 329 bi« 381 Stimmen Die Gegenkandidaten Irachlkn ee irn, auf 162 bis 257 Stimmen, ihre 8r;atz- mäiiner auf 90 bis 237 Stimmen. „Tiefer Wahlsicg ist" — so bemerkt die „Wiener Arbeiterztg." — „ein gutes Vorzeichen für bie kommenden Reich«, rathswahleii. Er beweist, daß die Sozialdemokratie selbst in kleinbürgerlichen Kreisen festen Fuß gefaßt hat, und daß sie in bet Lage fein wirb, dem beiitfchuational- christlich-fozial-liberalen Müchmasch ersolgretch bie Spitze bieten zu könne». Der Klassenkanips tritt immer mehr in be» Vordergrund. Handwerker, Kleinbauer und Lohn - arbeiter, sie fühlen sich ein« im Kampfe gegen daS wucherische Kapital." Im englifchett Unterhaus« ließ sich bet Kolonial- fekretär Chamberlain am Donnerstag einmal wieder über die südafrikanischen Verhältnisse in einer Weise aus, welche zeigt, daß die englische Regierung dem Haupt- friedeuSstörer tu Südafrika nicht da« Handwerk zn legen geneigt ist. Chamberlain sagte, er hege in Folge amtlich ihm angegangener Nachrichten keinen Zweifel, daß Greil Rhodes nicht die stontrole über die Zivil- und militäri - schen Angelegenheiten in Kapland übernehme. Diese Bit- sicht werbe nicht erschüttert durch die ihm in telegraphi- scheit Auszügen seiner Rede zugeschriebenen Aeußerungen, Carriugton sei der General, der sämmtliche zur Be- kämpsuitg der Matabele iut Felde stehenden Streitkräfte befehlige Martiii stehe unter dem Oberkoutmissar und beschränke sich gegenwärtig auf bie Wahrnehmung der Pflichten deS VizekommisfarS. Grey sei Administrator ber Chartered Compatch im SJlatabelelanbe, aber nicht Betriebsdirektor. Cecil RhodeS habe jüngst eine Kolonne von Gwelo nach Buluwavo geführt. Er wisse nicht, ob ihm feit feiner Ankunft in Bultiwayo vou Carrington weitere militärische Pflichten zngewiesen seien. theidigiiugkzwecke in der Safelbai, ber Algoabai und in East-London bestimmt werden. Der Ueberschnß bei laufenden Finanzjahres werde a»f 888 000 Lstrl. geschätzt, wenn nicht die völlige Beseitigung der Rinderpest Geld- aufroeubutigen bestimmt. liebet die Crrutorbnng ciueS deutschen Qffi- zierS in China berichtet da? „Bür. Dalziel" in London (eine freilich nicht immer zuverlässige Quelle) Folgendes: Noch einem Shanghaier Telegramm wurde der deutsche Instruktiv »soffizier Krause von ber Humaner Leibwache de« Bizeköutg« von Nan - king criirorbet, angeblich auf A»stiften hochgestellter Persönlichkeiten DaS ganze deutsche Geschwader in ben chinesischen Gewässern wurde nach Nanking beordert, um Genugthuung zu verlangen. Es verlautet, die jetzt in chinesischen Diensten stehenden 50 deutsche» Mili - tärs würden abberufen werden, und man würde daraus bestehen, daß ihnen ihr Gehalt für die ganze Her- tragSmäßize Dienstzeit gezahlt werde. Die „Post" giebt bie Nachricht mit dem Bemerken wieder, baß im ReichS-Marineaiut am Donnerstag Morgen noch nichts bavon bekannt war, und daß sie im Auswärtigen Amt, ba« von dem Vorfall Kenntniß hoben müßte, keine Auskunft darüber erhalte» habe Eine ge - wisse Bestätigung aber findet bie Meldung in der vom offiziösen Draht am Donnerstag Nachmittag verbreitete» Nachricht, daß laut telegraphischer Meldung an das Oberkommando Oer Marine die Kriegsschiffe „Prinzeß Wilhelm", Kommandant Korvettenkapitän d Holtzendorff, unb „JltiS", stommanbant Kapitän- lieutenant Braun, am 3. Juni von Shanghai nach Nanking gegangen sind. ArbtilttbMWg. Die Angestellte» der Berlin» Privatpost. Aktiengesellschaft haben nach Ablehnung nachstehender Forderungen, welche ihre Beauftragte» ber Direktion übermittelte», beschlossen, bie Arbeit eiuzuftellen. Die über lange Arbeitszeit ohne Pausen, geringe Löhne unb kolossale Arbeitsüberbürdung klagenden Angestellten: Briefträger, Sammler, Expreß, Radfahrer uub Kutscher in der Zahl von zirka 400 Pcriouen fordern: 1) S-ieber- eiustelliing der am 1. Juni entlassene» Angestellten, speziell ber Verba tidSiuitglieder. 2) Verkürzung der Bestelltouren auf das Maß, wie sie vor beu: 1. Mai waren. S) Junehallimg der versprochenen Lohnerhöhungen, »ach den bereits bestimmten Zeitabschnitten. 4) Jeden sechsten Wochentag einen halbe» Tag frei, jede» vierte» Sonntag einen ganzen Tag frei. 5) Die Be- ftinimuiig, daß bie vierte Bestelllonr bereits um 6 Uhr Abend« aus allen Aemtern beginnen muß. 6) Abschaffung ber vierten Sammeltour, wofür bie fünfte bereite 9 Uhr Abends beginnt 7) Gleich- stellung der Sammler und Expreßsahrer mit ben Brief - träger» in Bezug auf Gehälter unb freie Zeit 8) Au- fdiaffung leichter Sommeikleidnng für die Expreß- unb Tourenfahrer. Die Brieffammler fordern außerdem, ihre Thätigkeit am Souutag auf eine einmalige Samin- Imig »011 12 bi« I Uhr Mittags zu beschränken, Fortfall ber Anordnung, baß diese Beamte» die Dieusträume fegen unb scheuern müsse« Die Angestellte« fordern