Nr.  242. 
11.  Jahrgang. 
-> A 
®a«  ..Hamburger  t^cho"  erschemt  t-^lich.  außer  Montag«. 
Drr  AbounementSprci««  (inN.  „Die  Neue  äöclt“)  beträgt:  durch  die  Post  bezogm  (Nr.  de«  P-st. 
tataloge  3108)  ohne  Bringegeld  vierteljährlich  M.  4,20;  durch  die  Solportöre  wöchentl.  36  4  frei  in’«  Hau«. 
Einzelne  Nummer  6  /£.  Sonntags-Nummer  mit  illustr.  SonutagS-Beilage  „Die  Neue  todt"  10  4. 
Verantwortlicher  Redaktör:  Gustav  Wabcröky  in  Hamburg. 
Sonnabkud,  de«  16.  Oktober  1897. 
Anzeigen 
werden  die  sechsgespaltene  Petitzeile  eiet  deren  Raum  mit  30  xj,  für  den  AtbeiiSmartt,  Der» 
miethungS-  und  Familienanzeigcu  mit  20  4  berechnet. 
Anzeigen-Aonahme  m  der  Expedition  <bis  6  Uhr  Äbdö.),  sowie  in  sammt!  Anno»ce»Büreau«. 
Redaktion  und  Expedition:  Große  Theaterstraße  44  in  Hamburg. 
Hierzu  eine  Beilage. 
A»  die  Plirtcigtmiikii! 
Durch  Beschluß  des  Parteitages  in  Hamburg  ist  als 
Sih  der  Parteileitung  Berlin  bestimmt  worden.  Damit 
hat  die  Thätigkeit  des  geschäftsführenden  Ausschusses  ihr 
Ende  erreicht.  Für  das  laufende  Jahr  sind  die  Unter -
zeichneten  mit  der  Leitung  der  Parteigeschäfte  betraut 
worden.  Entsprechend  dm  Bestimmungen  des  Organi -
sationsstatuts  hat  sofort  im  Anschluß  an  die  Wahl  die 
Konstituirung  der  Parteileitung  stattgefunden,  bei  welcher 
Gelegenheit  nachstehende  Beschlüsse  gefaßt  wurden: 
Die  Adresse  des  Parteibüreaus  ist  von  nun  an: 
I.  Auer,  Berlin  SW.,  Katzbachstr.  9. 
Sämmtliche  für  den  Parteivorstand  bestimmte  Briefe 
und  sonstigen  Zusetldungen  sind  nur  an  die  vorstehende 
Adresse  zu  richten. 
Alle  Geldsendungen  dagegm  find  nur  an  bett  Partei- 
kassirer 
Albin  Gerisch,  Berlin  SW.,  Katzbachstr.  9, 
zu  adressiren. 
Beschwerden  über  dm  Parteivorstand  oder  bessert 
Geschäftsführung  finb  an 
Heinrich  Meister,  Hannover,  Pferbestr.  9, 
einzusenden. 
Parteigenossen!  Nach  bett  Bestimmungen  des  §  4 
des  Organisations-Statuts  hat  die  Neuivahl  der  Ver- 
traumspersonm  alljährlich  im  Anschluß  au  den  Partei -
tag  stattzufinben.  Wir  richten  beshalb  an  Euch  bas 
Ersuchen,  bte  Neuwahlen  überall  wo  sie  nothwmbig 
finb,  schleunigst  vorzunehmen  uttb  von  dem  Ergebniß 
derselben  unter  genauer  Angabe  der  Adreffe  des  Ge -
wählten  dem  Parteivorstand  unter  der  oben  angegebenen 
Adresse  Dtitthellnug  zu  machen. 
Auch  die  Vertrauenspersonm  jener  Orte,  welche  im 
neuen  Jahre  die  Parteigeschäfte  wie  bisher  weiter  be- 
sorgm,  werden  ersucht,  davon  dem  Parteivorstand  Mit -
theilung  zu  machm,  damit  das  Adressettverzeichniß  auf 
dem  Laufendm  gehaltm  werden  kann  und  Irrthümer 
vermieden  werden.  Die  Vertrauenspersonett  werden  be -
sonders  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  es  nicht  genügt, 
wenn  ihre  Neuwahl  in  irgettb  einem  Partei-Organ  ver -
öffentlicht  wird.  Bei  der  großen  Zahl  unserer  Preß- 
organe  ist  es  ausgeschloffen,  daß  seitens  des  Parteivor -
standes  eine  so  genaue  Kontrole  staüstndet,  um  jede 
Notiz  über  etwa  erfolgte  Wahl  von  Vertrauenspersonen 
srststellcn  zu  können. 
Die  Wahlm  der  Vertrauenspersonm  haben  in  öffent- 
lichm  Parteiversammltmgen  stattznfinden,  zu  denen  Jeder- 
mann  Zutritt  hat,  der  sich  zu  den  sozialdemokrattschen 
Gruudsätzm  bekennt. 
Wo  solche  Versammltmgen  nicht  stattfinden  sönnen, 
sei  es,  weil  die  Geiwffen  kein  Lokal  bekonmten,  oder  weil, 
wie  in  Meklenburg,  sozialdemokratische  Versammlungen 
überhaupt  nicht  geduldet  werden,  da  genügt  es,  wenn  die 
Parteigenossen  fich  privatim  verständigen  und  einen  aus 
ihrer  Mille  als  Verttaitensperson  in  Vorschlag  bringen. 
Parteigenossen  I  In  das  Begonnene  Geschäftsjahr 
fallen  die  Reichstagswahlen.  Dieselbm  stellen  die  höchsten 
Anforderungen  an  die  Gesammtpartei  wie  an  jeden  Partei- 
genoffeu.  Die  Parteileitung  wird  auch  im  neuen  Jahre 
ihre  Pflicht  erfüllen,  wir  erwarten,  daß  Eurerseits  das 
Gleiche  geschieht. 
Vorwärts  ttotz  alledem! 
Hoch  die  internationale  Sozialdemokratte  I 
Berlin,  den  15.  Oktober  1897. 
Für  die  Parteileitung: 
August  Bebel,  Paul  Singer, 
Vorsitzende. 
I.  Auer,  W.  Pfannkuch,  Schriftführer. 
Albin  Gerisch,  Kassirer. 
Vlne  Riicn. 
Der  Klaffenstaat  hat  immer  blaue  Bohnen  für 
die  Arbeiter  bereit.  Auf  seine  äußere  Form  kommt 
es  dabei  nicht  an;  in  der  letzten  Zeit  haben  wir 
gesehen,  wie  im  „freien"  Nordamerika,  in  der  re -
publikanischen  Union  der  Washington  und  Lincoln 
grade  so  auf  die  Arbeiter  geschossen  worden  ist,  wie 
in  dem  „konstitutionellen"  Ungarn  und  im  absolu -
tistische»  Rußland.  Ein  blutrothes  Brandmal  tragt 
die  Kultur  unserer  Zeit;  mitten  im  Frieden  werden 
wehrlose  Arbeiter  wie  schädliche  Thiere  dahinge -
schlachtet,  nur  weil  sie  beffere  Lebens-  und  Arbeits -
bedingungen  gefordert  haben.  Die  herrschenden 
Klassen  sehen  theilnahmslos  zu  und  ein  Theil  der 
Presse  findet  die  Schlächtereien  ganz  in  der  Ord -
nung,  beim  das  vergossene  Arbeiterblut,  so  hofft  man, 
wird  Andere  abschrecken,  wider  den  Stachel  zu 
locken.  Diese  Rechnung  ist  freilich  eine  grundfalsche. 
Die  blutigen  Ereignisse  spielen  sich  überall  ganz 
.auf  die  gleiche  Weise  ab.  Die  Arbeiter  werden 
gereizt  und  dann  wird  geschossen.  Im  „freien" 
Amerika  hat  man  die  letzten  Blutthaten  mit  besonderer 
Brutalität  ausgeführt.  In  Russisch-Polen,  wo 
ein  Streik  auf  den  großen  Eisenwerken  der  tznta 
Bankowa  ausgebrochen  ist,  hat  man  die  Gelegenheit 
offenbar  benutzt,  um  die  neuen  Jiifanteriegewehre 
auf  die  Durchschlagskraft  ihrer  Geschosse  zu  er -
proben,  denn  einige  Kosakciiblätter  berichten  nicht 
ohne  innerliche  Gentigthunng,  daß  jede  Kugel  dort 
mehrere  Arbeiter  durchbohrt  habe.  Zugleich  findet 
man  es  beachtenstverth,  daß  der  russische  Oberst, 
der  die  Metzelei  besohlen  hat,  nur  drei  Jäger  vor -
treten  und  auf  die  mehrere  tausend  Köpfe  starke 
Arbeitermasse,  die  man  durch  brutale  Behandlung! 
gereizt  hatte,  feuern  liefe.  Die  schreckliche  Wirkung 
der  drei  Gewehre  genügte,  um  die  Diasse  auseinander. 
zu  treiben,  und  für  gewisse  Angstmeier  mag  dies 
eine  Beruhigung  sein.  Wenn  mau  mit  drei  Man»  I 
schon  eine  solche  Meiischeinnasse  auseinander  jagen' 
sann,  denken  sie,  dann  braucht  man  keine  soziales 
Revolution  zu  fürchten.  Aber  hat  man  jemals 
soziale  Probleme  mit  Bayvnnetten  und  Äugeln  lösen 
können?  Es  ist  immer  wieder  derselbe  Abenvitz,. 
der  seine  blutigen  Orgien  feiert.  Und  wie  lange  noch? 
Die  Einbrücke  bieser  Greuelthaten  werben  un -
auslöschlich  sein.  Nicht  bei  ben  herrschenden  Klassen, 
beim  biese  vergessen  solche  Dinge  bald  und  wähnen 
sie  auch  von  Anderen  vergessen.  Glauben  sie  doch 
auch,  die  Proletarier  der  Erde  hätten  schon  die 
große  Blutabzapfung  vergeffen,  die  1871  an  dem 
arbeitenden  Volke  von  Paris  vorgenommen  worden  ist! 
Die  Arbeiter  vergessen  dergleichen  so  leicht  nicht, 
und  die  Wirkung  ist  denn  doch  eine  ganz  andere, 
als  ein  russischer  Oberst  oder  ein  amerikanischer 
Sheriff  oder  ein  ungarischer  Vizegespan  glaubt. 
Bei  Bieiischen,  die  bisher  ruhig  das  Joch  der  er -
bärmlichsten  Lohnarbeit  getragen  und  die  mit  voll -
kommener  Gleichgültigkeit  der  kapitalistischen  Aus -
beutung  auch  im  Uebermaß  zugesehen  —  da  wallt 
plötzlich  das  Blut  auf,  denn  die  mobeme  Gesell -
schaftsordnung  hat  ihr  Medusenhaupt  uuverhiillt  ge -
zeigt.  slber  was  thun?  Einzelne  Hitzköpfe  mögen 
wohl  an  die  Anwendung  von  Gewalt  gegen  Gewalt 
denken.  Allein  die  Diasse  tritt  dem  nicht  bei. 
Grade  haben  ja  die  neuen  Gewehre  den  Beweis 
geliefert,  daß  es  unmöglich  ist,  gegen  die  Gewalt 
aufzukommen,  auf  die  sich  der  Klassenstaat  stützt; 
Menschen  werden  ja  wie  Spatzen  erschossen,  wenn 
sie  sich  zum  „Aufruhr"  provoziren  lassen.  Und  da 
erinnert  man  sich  in  der  verzweifelnden  Masse,  bafe 
es  anderwärts  Brüder  giebt,  die  schon  längst  ben 
Weg  ber  Vereinigung  unb  Organisation  betreten 
haben,  um  auf  beut  Wege  bes  gesetzlichen  Kampfes, 
wo  bte  Infanterie  unb  die  Kavallerie  unb  bie 
Artillerie  nichts  zu  sagen  haben,  sich  bessere  Lohn- 
unb  Arbeitsbedingungen  zu  erringen.  In  Rußland 
und  in  Ungarn  fehlt  den  Arbeitern  die  politische 
Freiheit,  resp,  das  Koalitionsrecht,  um  sich  zu  regen, 
und  so  wird  die  soziale  Bewegung  auch  zu  einer 
politischen,  denn  sie  fordert  Gewährleistung  der 
Menschenrechte  des  Arbeiters  vom  Staate. 
So  ist  in  Ungarn  eine  sozialistische  Bewegung 
unter  dem  Landproletariat  entstanden;  so  ist  in 
Russisch-Polen  auf  ben  großen  Jnbustriewerken  ber 
Huta  Bankowa  bas  Klaffenbewußffein  unter  ben 
Arbeitern  erwacht,  denn  man  sah  wohl,  baß  unter 
ber  Masse  eine  vollkommene  SSerstänbigung  vor -
handen  war. 
Bezeichnend  ist  die  Art,  wie  das  Ereigniß  von 
ber  bürgerlichen  Presse  beljanbelt  wird.  Die  Ar -
better  hatten  bie  Forbernng  ausgestellt,  man  möge 
bie  Krankenkasse  auflösen  unb  ben  Bestand  ver -
theilen.  Man  mag  mut  über  ein  solches  Verlangen 
urtheilen,  wie  man  will  —  jedenfalls  war  das 
fein  „hochverrätherisches"  Begehren.  Die 
Krankenkasse  war  jedenfalls  aus  Beiträgen,  bie  man 
ben  Arbeitern  vom  Lohne  abzog,  gebildet.  Kamen 
Unregelmäßigkeiten  in  ber  Verwaltung  vor?  War 
bie  Kasse  nicht  leistungsfähig?  War  sonst  ein  Miß -
stand  vorhanden?  In  Rußland  ist  alles  Derartige 
möglich  unb  ohne  Grunb  werben  bie  Arbeiter  wohl 
bie  Auflösung  ber  Kaffe  nicht  verlangt  haben. 
Aber  wegen  einer  solchen  Forderung  die  Ueber« 
bringet:  derselben  zu  verhaften  unb  in  das  Ge -
fängniß  zu  werfen,  wie  es  in  ber  That  geschah, 
bas  konnte  mir  ein  protzenhafter  Uebermuth  ober 
bie  Absicht,  bie  Arbeiter  zu  provoziren  unb  einen 
Aberlaß  vorzuuehmen,  biftiren.  Die  Bourgeois- 
presse  hat  einstimmig  hervorgehoben,  bie  „Rcibels- 
fiihrer",  bie  man  verhaftete,  hätten  „bie  Massen 
verhetzt".  Mau  kennt  biese  Phraseologie  zur  Genüge. 
Aber  ist  es  nicht  bie  benkbar  stärkste  Aufhetzung, 
wenn  man  auf  ein  gesetzliches  Vorgehen  ber  Ar -
beiter  mit  einer  unerhörten  Gewaltthat  antwortet? 
Davon  spricht  unsere  bürgerliche  Presse  nur  in  ver -
einzelten  Ausnahmen. 
Es  ist  überhaupt  bezeichnend,  daß  das  Vorgehen 
des  russischen  Kosakenregiments  gegen  die  Arbeiter 
so  oft  den  offenen  oder  auch  durch  Schweigen  aus- 
gedrückten  Beifall  unserer  Bourgeoisie  findet,  der -
selben  Leute,  die  sich  für  die  kultivirteste  Klaffe 
unseres  Zeitalters  ansehen.  Das  sagt  Alles!  Es 
beweist  aber  auch,  bafe  man  am  Ende  seines  Lateins 
angenommen  ist,  beim  wenn  bie  bürgerliche  Kultur 
von  Mittel-  unb  Westeuropa  gegen  soziale  Schäden 
keine  andere  Mittel  mehr  kennt,  als  was  die 
Kosakeitweishett  ihr  emgiebt  —  wir  meinen  bie 
Weisheit  des  höheren  „staatsmännischen"  Kosaken- 
thtiuts  in  Rnfelanb  —  bann  ist  bas,  was  wir  an 
wirklicher  Kultur  besitzen,  bem  Untergang  gc- 
wibmet,  wenn  bie  Arbeiter  nicht  stark  genug  sind, 
es  zu  retten. 
Und  sie  sind  stark  genug.  Die  Bewegungen  in 
Rußland,  so  traurige  Begleiterscheinungen  dabei  zu 
verzeichnen  finb,  beweisen  boch  nur,  baß  auch  unter 
ben  russischen  Arbeitern  bie  Zeit  der  Stumpfheit 
und  des  trägen  Zuschauens  vorüber  ist.  Der 
Kampf  um  die  Befteinng  der  arbeitenden  Klaffen 
hat  auch  in  dem  Zarenreich  begonnen  und  wird  nicht 
still  stehen.  Blane  Bohnen  halten  ihn  am  wenigsten 
auf.  Die  Versuche,  ben  Geist  der  Zeit  mit  bar -
barischen  Dritteln  niederznhalten,  müssen  in  allen 
Ländern  gleichmäßig  mifelingen. 
Das  alte  Europa  nähert  sich  der  Zeit,  ivo  nach 
des  Dichters  Wort  „ein  Hüben,  ein  Drüben  nur 
gilt".  Die  „Drüben"  finb  nicht  weise,  in  Rußland 
so  wenig  wie  in  Nordamerika  und  in  Ungarn.  Sic 
sind  zu  der  Nolle  von  Todteugiäberu  verurtheilt. 
Bon  der  Weltdühne. 
Der  internationale  Gottesgnadenthinnsfchntz. 
l-r  epftirt  dieser  Scvutz  —  wer  könnte  nach  dem  Prozeß 
gegen  unser  Blatt  noch  daran  zweifeln?  Von  denischer 
Seile  ist  damit  der  Vlnfang  gemacht  worden,  durch  die 
sich  auf  den  §  103  des  NeichrstwsgesetzBnches  stützend« 
Sttasoerfolgnng  gegen  einen  a  r  a  d  i  s  ch  e  n  R  e  d  a  k  t  ö  r, 
der  eine,  den  deutschen  Kaiser  beleidigend«  Aenße- 
nmg  ans  dem  Pariser  „Inttansigeant"  entnommen  hatte. 
Jetzt  möchte  man  anscheinend  von  Deutschland  ans 
diesen  Vorgang  verallgemeinern  und  damit  die 
Uriheilsfreiheit  der  Presse  noch  mehr  unterbinden,  als  das 
ohnehin  schon  der  Fall  ist.  Die  „Franks.  Zig."  bebt  als 
besonders  bedeutungsvoll  den  llmstand  her- 
.Es  ist 
.daran«  vom 
kaum  Silbern  holen  könnt«,  ohne  sich  dieses  mrd) (baren 
un 
Majestät  ein 
Die  Reichskomniisfion  für  Arbeiterstatistik 
wttd,  wie  die  „Soziale  Praxis"  miltheilt,  in  die  im 
Februar  vertagten  mündlichen  Vernehmrmgen  einer  An -
zahl  von  Meistern  und  Gesellen  der  Müllergewerbes 
aus  der  schon  erwähnten  Eingabe  des  auS  27000  Meistern 
bestehenden  Germania-Jnnungsverbandes  hervor.  Die 
Eingabe  gipfelt  in  folgenden  Punkten: 
„Der  Bundesrath  möge  die  Verordnung  vom 
4.  März  1896,  betreffend  die  Arbeitszeit  in  Bäckerei« 
und  Konditoreien,  gänzlich  ausheben,  oder,  wenn 
dieses  ans  Gründen,  welche  fich  der  Beurtheilung  der 
Petentm  entziehen,  unzulässig  oder  unausführbar  sein 
sollte,  die  erwähnte  Verordnung  dahin  ab  ändern, 
daß  als  wesentlichste  Bestimmung  derselben  künsng  eine 
Minimalruhezeit  von  8  bis  9  Stunden  festgesetzt 
werde;  daß  ferner  bei  Uebertretungen  der  Ver- 
in  der  zweiten  Hülste  Oktober  oder  im  November  ein -
treten.  Die  Vernelwnmgen  erstrecken  fich  darauf,  fest -
zustellen,  ob  eine  gesetzliche  Regelung  der  ArdeitSzett  im 
Ätüllergewerbe  nothwendig  und  möglich  ist. 
Die  Herbsttagnng  deS  Kolonialraths  soll,  wie 
verlautet,  Anfang  stsovember  beginnen  und  sich  auf  die 
Erledigung  folgender  Aufgaben  erstrecken:  Als  Haupt- 
gegensiand  der  Berathungen  liegen  die  Etats  der 
Schutzgebiete  vor,  diese  reichen  schon  aus,  um  den 
Kolonialrach  einige  Tag«  zu  beschäftigen.  Doch  torrb 
auf  die  Rechte  der  Menschheit  war  ein  Majestäts -
verbrechen.  Zum  Beweffe,  daß  man  des  Vergnügens  zu 
strafen  nicht  satt  werden  könne,  schien  man  nichts  Sin ¬ 
kst  egen  die  Regelung  der  Arbeitszeit  der 
Handelsangestellten  macht  fich  —  genau  wie  bei  den 
Bäckermeistern  gegen  die  ihre  Arbeiter  betreffenbe  Schutz- 
verordnung  —  in  kaufmännischen  Kreisen  eine  „starke 
Ovpositton"  geltend.  Sobald  die  Einzelheiten  des  Ent -
wurfes  bekaniu  geworden  find,  soll  durch  eine  Massen- 
Petition  der  kaufmännischen  Vereine  dagegen  Stellung 
genommen  »erben.  So  meldet  ein  Berichterstatter.  Nattir -
lich  sind  es  die  Prinzipale,  die  gegen  den  Schutz 
für  ihre  Angestellten  mobil  machen.  Sie  wissen 
zwarnoch  nicht,was  ber  ©nttourf  bringen 
wirb,  aber  gleichwohl  finb  sie  schon  auf  dem  Kriegs -
pfad.  Denn  die  unbeschränkte  AuSbeutungSfteiheit  ist 
ein  Heiligchum,  das  nicht  angetastet  werden  darf. 
In  den  nächsten  ReichstagSwahlkampf  wollen 
auch  die  Nationalsozialen  eingreifen.  Für 
Leipzig  stellten  sie  den  Profeffor  ©ob  m  al«  Kandi -
daten  auf.  Im  Kreise  Marburg,  den  Dr.  Böckel  im 
Reichstage  vertritt,  aber  ein  Mandat  nicht  wieder  an« 
nehmen  wird,  fanbibirt  ber  frühere  Redaktör  der  „Zett" 
Regierungsaffessor  a.  D.  v.  Gerlach,  während  Pfarrer 
Naumann  im  Kreise  Jena  als  Kandidat  ausgestellt 
werden  soll.  Im  siebmten  und  neunten  schleswig-hol -
steinischen  Wahlkreise  will  Redaktör  Damaschke  kan- 
didtten. 
unb  Reichen  mit  guter  Art 
gelehrten  von  Scheschiani  (1  ,  ,  -  „  —- r  ,  „  .  „  .. 
liehen  Preis  Alles,  was  ber  Hos  gern  sah,  für  recht  er-,  geschlossen,  ebenso  gegen  Frauenspersonen. 
beleidign  ngSparagraphen  erneuern. 
in  Reichskanzlers  vom  22.  i'lprtl  1896  geordnet  worden, 
bie  ■  Darin  wurde  bie  Strafbefugniß  auf  ben  Gnvernör  und 
I  die  BezirkSamtmänner,  bei  Exvedinonen  auf  den  Führer 
•;  eS  wurde  Prügelstrafe,  Ritthensttafe,  Geld- 
Neber  Majestätsbeleidignnge«  läßt  sich 
deutscher  Klassiker,  ghristoph  Martin  Wieland, 
seinei»  Staatsrotnan  „Der  gelben«  Spiegel  ober 
Könige  von  Scheschian"  wie  solgt  au«: 
.^insonderheit  schien  das  Lst-rbrechen  ber  beleidigten  I  übertraaen 
Lasters  schuldig  zu  machen.  ES  konnte  mit  einem  bloßen 
Worte,  mit  einer  Miene,  in  Gedanken,  ja  sogar  im 
Traume  —  es  konnte  an  dem  elendesten  Gemälde,  das 
den  König  vorftellte,  an  einem  Bedienten  ber  königlichen 
Küche,  an  einem  königlichen  Hunde,  an  ' 
worin  ber  König  spuckte,  begangen  werden 
samste  Tadel  ber  Maßregeln  des  Hofes,  bet  fleinfte  wmuumi  »umn  geaivciiei,  um  oie  «eroronung  zu  ve» 
Seufzer,  den  das  Mitleiden  mit  sich  selbst  einem  Unrecht:  fettigen.  Bis  zu  welchm  mterhörten  Forderungen  die 
leibenben  Scheschianer  auspretzte,  die  leiseste  Berufung :  Zunftbrüder  durch  ihre  Habgier  getrieben  werden,  geht 
Russische  Auswanderer.  Die  preußffchen  Be -
hörden  haben  neuerdings,  wie  die  „Post"  hört,  gestattet, 
daß  auch  den  rnssischm  Auswanderern,  die  von  den  so -
genannten  Konttolstationen  an  der  russischen  Grenze 
(Bajohren,  Eydtkuhnen,  Prostken,  Jllowo  und  Olloischiit) 
nach  Anttvetpen  oder  Rotterdam  gehen  wollen,  soweit 
sie  schon  von  Amerika  aus  mit  EchiffSkarten  für  diese 
Hüten  versehen  sind,  Etseubahn-Fahrkarttu  über  Ruh -
leben  nach  den  Einschiffungshäsm  verabfolgt  werden, 
und  daß  sie  in  besonderen  Abtheilungen,  statt  in  beson -
deren  Wogen  befördert  werden  können.  Es  findet  bann 
eine  ärztliche  Kontrole  ber  Tnrchwanderer  in  Hatmover 
ober  Oberhausen  statt.  Die  Kosten  hierfür  wie  alle 
anderen  Unkosten,  bie  ben  Gemeinden  ober  Armen  ver -
bänden  durch  ihre  Verpflegung,  Unterkunft  ober  Behand -
lung  erwachsen,  werden  solidarisch  vom  Norbdeulschen 
Lloyd  unb  ber  H  a  m  b  u  rg  -  A  m  e  ri  ka  -  L  i  n  i  e 
getragen,  bie  sich  hierfür  ebenso  wie  für  die  Unkosten, 
die  durch  die  Passagiere  ihrer  eigenen  Schiffe  entstehen, 
verbürgt  haben.  
In  der  baierischen  Abgeordnetenkammer 
gelangte  am  Donnerstag  die  Bodenzinsvorlage 
mr  Generaldiskussion.  Erster  Redner  war  Abgeordneter 
Dr.  Ratzinger.  Er  sprach  gegen  den  Regierungs -
entwurf,  der  bie  jährlich  ungefähr  16  Mill,  betragenden 
Bodenzinse  durch  eine  jährliche  Aufwendung  von  zirka 
2  Mill,  allmälig  bis  zum  Jahre  1968  tilgen  will,  ebenso 
gegen  ben  Zentrumsantrag,  ber  die  Tilgung  etwas  rascher 
borgenommen  wissen  will,  und  verlangt  sofortige 
Beseitigung  der  Bodenzinse.  Wenn  der  Staat  einmal 
eine  Last  abnehmen  will,  soll  er  sie  ganz  und  auf  einmal 
beseitigen.  Was  der  Staat  allmälig  sann,  muß  er  auch 
auf  einmal  können.  Baiern  hab«  ja  seiner  Zeit,  al»  die 
Naturalleistungen  in  Geld  uuiaewaudeü  wurden,  ver -
säumt,  die  sofortige  Amortisation  dieser  Umwandlung 
vorzunehmen,  was  unerläßlich  gewesen  wäre.  Dadurch 
sei  e»  gekommen,  daß  feit  1848  —  also  in  60  Jahren  — 
das  ursprüngliche  Kapital  drei  Mal  im  Wege  ber 
Zinsleistung  vom  Bauer  bezahlt  wurde.  Von  dieser 
Bezahlung  hätten  die  übrigen  Berufsstände  Rutzen 
gehabt,  deshalb  könnten  sie  auch  sein  an  ber 
Last  ber  Aushebungen  mittragen.  Tie  Bodenzinse  hätten 
den  Karakter  einer  Ewigreule.  Nach  kanonischem  Rechte 
Eine  Poftkonfercuz  ist  am  Donnerstag  im 
Reichspostamt  in  Berlin  zusatnrneugetteten.  Anwesend 
waren  sämmtliche  Vorsteher  ber  vier  Abtheilungen,  ber 
ben  Unlerstaatssekretär  vertretende  Geh.  Postrath  Friffch, 
ber  den  Direktor  der  zweiten  Abtheilung  Scheffler,  welcher 
seinen  Abschied  eingereicht  hat,  verttetende  Geh.  Postrach 
Sydow,  Geh.  Postrath  Dr.  Kraetke  und  Gch.  Postrath 
Witt  ko  mit  den  sonstigen  Räthen  der  einzelnen  Abchei -
lungen.  Von  auswärts  sind  eine  Reihe  Lberpostdirek- 
toren  erschienen.  Staatssekretär  v.  Podbielski  führte  den 
Vorsitz  und  setzte  den  Zweck  der  Konferenz  eingehend 
auseinander.  Hierauf  wurde  in  bie  Berathung  der 
T  ariffragen  eingeketen.  Nach  der  „Köln.  Ztg.' 
stehen  folgende  Fragen  zur  Berathnua:  Ausdehnung 
des  Dl  e  i  st  g  e  w  i  ch  l  s  der  Briefe  (auf  20  Gramm), 
Ermäßigung  d  e  s  VriefportoS  für  den 
Nahverkehr  und  der  Postanweisungsgebühr 
für  Sentere  Sendungen.  Ueber  die  in  Aussicht  genom -
menen  ermäßigten  Sätze  verlautet  zwar  noch  nichts,  es 
ist  aber  anzuuehmen,  daß  sie  auf  die  Hälfte  des  jetzigen 
Betrages,  also  auf  5  Pf.  für  Briefe  int  Nahverkehr  — 
worunter  Wohl  hauptsächlich  der  Verkehr  in  Berlin  zu 
veritehen  ist  —  und  aus  10  Pf.  für  Postanweisungen 
fiein  ereil  Betrage»  lauten  soll. 
Im  Anschluffe  an  bie  Berathungen  ber  Oberpost- 
direkt  oren  werden,  wie  die  „Nordd.  Allg.  Ztg."  milthellt, 
im  Saufe  der  nächsten  Woche  Vertreter  bet  Han -
dels-  unb  der  Landwirthschaftskammern 
im  Reichspostamte  zu  einer  Konferenz  zusammen- 
treteu ,  um  gutachtlich  über  postalische  Angelegenhetten 
und  Wünsche  gehört  zu  werden. 
kannten),  erschöpften  daher  all«  ihre  Scharffinnigkeit,  die 1  Die  AuSbeutunqSwttth  ber  Bäckermeister 
Theorie  eines  so  einträglichen  Verbrechens  aufs  Feinst?  kennt  keine  Grenzen.  Jeder  anständige  Mensch  Hal  beim 
anszuarbeiten;  sie  setzten  alle  seine  Reste  und  Zweige  Bekanntwerden  der  Verordmnw  vom  4.  März  1896  sich 
bis  auf  die  feinsten  Fäserchen  sehr  künstlich  auseinmider,  gewundert,  welch'  schwächliche  Maßnahmen  in  Deutschland 
und  bewiesen  zum  Schrecken  der  armen  Scheschianer,  unter  dem  Namen  „Arbeiterschutz"  erlassen  werden, 
daß  man  zu  gewissen  Zeiten  kaum  ein  Glied  rühren.  Anders  faßtm  die  Bäckermeister  die  Verordnung  auf. 
—  Sie  eröffneten  eine  förmliche  Rebellion  gegen  dieselbe. 
.  Aus  den  Aeußerungen  der  Meister  über  bie  schwere 
Schädigung,  die  ihnen  durch  die  Einschränkung  der 
Arbeitszeit  auf  täglich  13|  Stunden  zu  gefügt  werde, 
r  königlicher  konnte  man  feststellen,  bis  zu  welcher  fast  unglaublichen 
de,  an  bem  Napfe,  I  Höhe  die  Ausbeutung  ber  Lehrlinge  unb  Gesellen  go -
to  er  den.  Der  behüt-  ■  trieben  ist.  Ununterbrochen  wird  nun  mit  allen  nur 
'■■  '■s.  der  kleinste  denkbaren  Mitteln  gearbeitet,  um  die  Verordnung  zu  be- 
orbrumg  nicht  ohne  Weiteres  immer  die 
Meister,  sondern  der  wirklich  Schuldige  bestraft  werde; 
daß  endlich  Anzeigen  von  Ueberhebingen  in  längstens 
acht  Tagen  angebracht  toerben  müssen,  weil  bei  einer 
längeren  Frist  bie  Feststellung  des  Thatbestandes  dem 
Meister  unmöglich  ist." 
Also  die  Arbeitszeit  für  Lehrlinge  und  Gesellen  soll 
nach  Ansicht  der  Meister  auf  15  bis  16  Stunden  aus -
gedehnt  werden  und  bann,  wenn  diese  noch  überschritten 
wird,  nicht  der  Meister,  sonbem,  wenn  möglich,  ber  ge -
plagte  Geselle  ober  Lehrling  bestraft  werden.  Da  weiß 
man  wirklich  nicht,  ob  man  sich  über  bte  Dummheit 
oder  über  die  Unverschäuttheit  dieser  Forderungen  mehr 
wundern  soll. 
Ein  Krottrath  ist  am  Donnerstag  unter  dem 
Vorsitz  des  Kaisers  im  Neuen  PalaiS  bei  Pots -
dam  abgehalten  worden.  Außer  den  preußischen 
M  i  n  i  st  e  r  n  haben  an  der  Sitzung  auch  die  Staats -
sekretäre  der  Reichsämter  cheilgenommen.  Die 
Blätter  meinen,  der  Kronrach  habe  sich  mit  ber  Erörterung 
ber  schwebenden  innerp  olitischen  Fragen 
beschäfttgt,  in  erster  Reche  wohl  mit  oer  Marine- 
vorlage  und  der  Reform  ber  Militär  st  raf- 
prozeßordnung,  deren  Erledigung  für  das  Bleiben 
ober  Gehen  des  Fürsten  Hohenlohe  ausschlaggebende 
SBebeutung  hat.  Bezüglich  der  Marinevorlage  will 
ber  ^Lok.-Anz."  von  gut  unterrichteter  Seite  erfahren 
haben,  baß  von  ihrer  Veröffentlichung  zur 
Zeit  auf  einstimmigen  Rath  bet  Minister 
abgesehen  worben  ist.  Wenn  biese  MeLuna 
richüg  ist,  so  muß  bie  Marinevorlage  inhaltlich  noch 
b  e  b  e  n  k  l  i  ch  e  r  sein  und  bie  öffentliche  Kritik  noch 
weniger  verttagen,  als  bisher  angenommen  würbe. 
An  das  Stattfinden  des  Kronraches  knüpfen 
nattirlich  wieder  Erörterungen  über  die  noch  immer  nicht 
abgeschloffene  Krise  an.  Publizistische  Freunde  des 
llleichskanzlers  verbreiten  bie  Nachricht,  daß  er 
sich  sehr  wohl  befind«  und  ein  Ruhebedürfniß 
weniger  euipfttide  als  sonst. 
„WaS  damtt  bewiesen  merben  foC,*  meint  bie  „Dolksztg.", 
„ist  nicht  klar.  Es  finb  schon  bie  gesundesten  Minister  zurück -
getreten.  So  wttd  man  auch  jetzt,  wie  immer,  sich  auf  „lieber« 
raschuugen"  gefaßt  machen  müssen,  wenn  man  nicht,  wie 
wir,  längst  aufgehört  hat,  sich  durch  irgenb  etwas  über -
haupt  überraschen  zu  lassen.  Ob  di«  „schleichende" 
Ministerkrisis  urplötzlich  eine  akute  werden  könnte,  das 
regt  uns  nicht  sonderlich  auf.  Wir  haben  gelernt,  aus 
Alles  gefaßt  zu  sein." 
In  Bezug  auf  die  Militärstrasprozeß- 
0  rdnung  bemerkt  das  genannte  Blatt:  „Wie  der 
Bunbesrach  barnber  denkt,  darüber  kaun  mau  nur  Ver -
muthungen  hegen.  Für  einen  Reichskanzler,  der 
sehr  gestind  ist  unb  seinen  Rücktritt  nicht  zu  beschleunigen 
Neigung  hat,  brauchi  also  bei  streng  Formeller  Auffassung 
ber  Sachlage  die  Rücktritts  frage  e  e  st  bann  bretinenb 
zu  werben,  wenn  er  sich  im  B  u  n  b  e  s  r  a  t  h  überzeugt 
hat,  daß  er  sein  bem  Reichstage  gegebenes  Versprechen 
nicht  e  i  n  l  ö  s  e  n  kann.  Wmn  mir  also  überhaupt 
eine  „schleichende"  Krisis  haben,  so  kaun  sie  bis  dahin 
ruhig  wetter  ..schleichen".  Unterdeß  übt  die  Thaffach«, 
daß  die  MllttärsNafprozeßresorm-Augelegenhett  nicht 
leben  unb  nicht  sterben  kann,  ihre  eminente  er -
ziehliche  Wirkung  auf  das  deutsche  Volk  auS,  welches 
das  Warum?  mit  erwünschter  Gründlichkeit  in  den 
weitesten  und  in  den  engsten  Kreisen  erörtert  Das  hat 
auch  sein  Gutes!" 
Wiffensehast  das  Recht  eine-  unbriangrrtm  llnheiler  ein -
fach  genommen.  Schon  das  unliebsame  Auffehen,  welches 
das  Hamburger  Vorgehen  ttn  Auslande  erregt  hat,  be -
weist,  ans  welchen  falschen  Weg  man  fich  hier  begeben 
Hal.  Man  frägt  damit  wahrhaftig  nicht  zn  einer  erhöhten 
Achtung  vor  dem  Majestätsbegriff  bei,  sondern  steigert 
nur  das  Gefühl  der  Verbftterung,  dar  ohnehin  schon 
immer  weiter  um  sich  greift.  Auf  eine  Milderung,  nicht 
auf  eine  Verschärfung  der  Rechtshandhabung  und  Rechts- 
geftathmg  sollte  das  Bestreben  gerichtet  sein,  unb  es  wird 
eine  dankbare  Schlußaufgabe  für  den  jetzigen 
Reichstag  sein,  auf  diesem  Gebiete  mit  seiner  Initiativ« 
vorzugehen."  
Zu  allerlei  Dergleichen  fordert  der  in  vor -
stehender  Notiz  erwähnte,  dieser  Tage  in  Kairo 
(Egypten)  verhandelte  Prozeß  mögen  Beleidigung 
des  Kaisers  Wilhelm  heraus.  Das  „Berliner 
Tageblatt"  berichtet  darüber:  „Der  einheimische  Appell- 
gerichtshof  hatte  sich  mit  dem  Prozeß  gegen  Salim 
Sardis,  den  Hermtsgeber  des  Vierpftnnigblättchens 
„Mischir",  zu  besoffen;  Sardis  war,  wie  man  sich  er -
innern  wird,  seiner  Zeit  wegen  Beleidigung  und  Ver -
leumdung  des  deutschen  Kaisers  und  des  Sultans 
angeklagt  worden.  (Im  „Dfttschir"  war  behauptet  worden, 
der  Sultan  habe  ben  deutschen  Kaiser  durch  einige 
Millionen  bestochen  I)  Dem  Gerichtshof  präfibirte  (Torbert 
Bey;  die  öffentliche  Anklage  vertrat  Abdick  Madjid  Bey 
Radawan.  Derselbe  drang  in  seinem  Plädoyer  auf  An -
wendung  des  höchsten  zulässigen  Strafmaßes,  da  es  fich 
um  eine  Art  von  Vergehen  handle,  bie  im  Interesse  des 
Landes  nicht  streng  genug  geahndet  werden  könne,  um 
ihre  Wiederholung  nachdrücklich  zu  verhüten.  TaS 
Urtheil  lautete  auf  eine  Woche  Gefängniß,  1000 
Piaster  Geldstrafe  unb  die  Kosten  des  Verfahrens.  Der 
Verurlhellte  wurde  sofort  in  Haft  genommen  und  in  das 
Gefängniß  Hod  el  Marsaud  ab  geführt." 
In  der  Vorinstanz  war  Salim  Sardis  zu  einem 
Jahre  Gefängniß  vervriheUt  worden. 
« elegeneres  zu  haben,  als  der  Natton  täglich  neue  Gelegm- 
eiten  zu  geben,  sich  strafbar  zu  machen;  und  Niemand, 
ach  Niemand  I  ließ  fich  in  den  Sinn  kommen,  daß  das 
strafwürdigste,  das  ungeheuerste  aller  Verbrechen  —  die 
Beleidigung  der  Menschheit  sei." 
vor,  daß  wegen  der  Aeußerung,  bte  unser  Kollege  S  ienzel 
mit  8  Monaten  Gefängniß  büßen  soll,  stt  Belgien 
selbst,  dem  „Herrscherbereich"  Leopolds,  kein  ein -
ziges  Blatt  verfolgt  worden  ist.  “ 
nämlich"  —  bemerkt  das  zitirie  Blatt  —  „bat  
Vertheidiger  der  begründete  Zweifel  hergeleitet 
worden,  ob  wirllich  der  belgische  Gesmidte  in  Berlin  von 
seiner  Regierung  ben  Auftrag  zur  Stellung  bes 
Strafantrags  erhalten  hat.  Das  Gericht  hat  eine  Fest -
stellung  barüber  abgelehnt  unb  sich  damit  begnügt, 
daß  der  Gesandte  als  Vertreter  seiner  Regierung  be -
rechtigt  sei,  Strafantrag  zu  stellen.  Es  ist  aber  ein  (ehr 
wesentlicher  Unterschied,  ob  bie  belgische 
Regierung  ans  eigenem  Antrieb  vorgegangen 
ist,  oder  der  belgische  Gesandte  von  deutscherSeite 
zur  Stellung  des  Strafanfrages  veranlaßt  worden  fft. 
Denn  in  letzterem  Falle  haben  wir  es  hier  mit  einem 
prinzipiellen  Vorgehen  zu  thun,  daSdiePreß- 
freiheit  mit  nenenGefahren  bedroht.  .  .  . 
Hiergegen  tmife  der  entschiedenste  Einspruch  erhoben  werden; 
denn  damit  wird  nicht  nur  der  Presse,  sondern  auch  ber 
Zur  Vcrurtheilmtg  Liebknechts  konstatfrt  die 
„Frankfurter  Zeitung"  : 
„Der  Gerichtshof  hat  einfach  angenommen, 
daß  bie  Zuhörer  eine  Bezugnahme  auf  den  Kaiser  darin 
hätten  erblicken  können  und  daß  Liebknechi  mit  dieser 
Möglichkeit  hätte  rechnen  müssen.  Ob  bem  in 
Wahrheit  so  toar,  ob  bei  den  Zuhörern  wirklich  eine 
solche  Auffassung  vorgeherrscht  hat,  darüber  hat  man 
thaffächlich«  Feststellungen  für  nnnöthig  gehalten.  Dem 
Gericht  hat  seine  bloße  Ansicht  darüber  genügt, 
um  ben  72jährigen  sozialdemokratischen  Führer  auf  vier 
Monate  in  s  Gefängniß  zu  sendeu. 
„Wer  ist  Angesichts  eines  solchen  Vorgangs  noch 
sicher  vor  den  Folgen  eines  offenen  Wortes,  bei  dem  er 
sich  nichts  Böses  gedacht  hat,  wenn  bie  Gerichte 
sich  bie  Fähigkeit  zu  schreiben,  bie  Ge -
ba  n  k  e  n  ber  Hörer  dieses  Wortes  zu  lesen 
unb  banach  in  ihrem  Urtheils  spruch  zu 
erkennen?  Wer  ist  namentlidj  heutzutage  seiner 
Freiheit  noch  sicher,  wo  auch  die  unverfänglichste 
Krittk  unserer  inneren  Zustände  ober  gar  eines  kaiserlichen 
Ausspruchs  genügt,  um  sich  eine  Majestätsbeleidigungs- 
flage  zuzuziehen'/  TaS  persönliche  Hervortreten 
bes  Kaiser«  bei  allen  möglichen  politischen  Anläfien 
nöthigt  doch  grabe;u  bie  im  öffentlichen  Leben 
Stehenden  zur  Kritik.  Aber  es  scheint  fast,  als  ob 
man  den  Rechlssatz  einführen  wollte,  daß  jede  krittsche 
Befrachtttng,  bie  sich  gegen  Handlungen  fürstlicher  Per -
sonen  richtet,  alS  eine  sträfliche  Bl  i  ß  a  ch  t  u  u  g 
ihresGoitesgnadenthums  anzusehen  sei.  Wie 
wäre  denn  sonst  z.  B.  der  neuliche  Versuch  eines  Vor -
gehens  gegen  bie  „Frankfurter  Zeitung"  zn  verstehen,  die 
sich  bes  „Verbrechens"  schuldig  gemacht  batte,  die  Herab- 
driickung  des  Verantwortsichkeitsbewußtt'eins  der  dem 
Parlanimt  veranNvortlichen  Staatsmänner  durch  das 
persönliche  Eingreifen  des  Kaisers  festznsteveu ?  Und 
dabei  liegen  bie  Beweise  für  biese  Feststellung  doch  zu 
Dutzenden  vor,  in  der  großen  Maffe  der  kaiserlichen 
Trinks prüche  und  Reden,  die  dies  persönliche  Moment 
mtt  scheinbarem  Nachdruck  hertorbeben.  S  0  durch -
drungen  von  ber  Unfehlbarkeit  kaiser -
licher  Aussprüche  ist  das  deutsche  Volk 
aber  doch  noch  lange  nicht,  daß  es  sie 
kritiklos  hinnehmen  könnte,  ganz  gleich 
was  sie  enthalten.  Seine  Krink  darf  sich  freilich 
nicht  in  dem  gleichen  Rahmen  halten,  wie  bie  impulsiven 
Kundgebungen  des  Monarchen ;  der  Staatsbürger  kann  selbst 
als  Reichs  tags  ab  geordneter  nicht  dem  Gestühl 
des  persönlichen  GekränkffeinS  einen  der  Kränkung  ent -
sprechenden  Ausdnick  geben,  er  sann  nicht  den  Ausdruck 
der  (htfrüfnmg  zuriickgeben,  er  Würbe  schwere  Gefahr 
laufen,  wenn  er  sich  bie  Bezeichnung  als  „vaterlandS- 
loser  Geselle"  in  ungeschminkter  Weise  verbitten  würde. 
AU  das  ist  ihm  benommen.  Wenn  aber  gar  jede  frei« 
milchige  Aeußerung  unter  ben  MajeftätsbeleidigungS- 
poragraphen  fallen  soll,  bamt  ist  bie  Freiheit  bes  Wortes 
in  Deutjchlanb  nur  noch  ein  Phantom." 
Aus  bem  so  gc|"tf>affenen  Zustande  ergiebt  sich  nach 
unserem  Ermessen  für  diejenigen  Reichstags- 
abgeorbnelcn,  denen  es  ernst  ist  um  bie  Freiheit  deS 
Wortes,  die  Pflicht,  im  Reichstage  von  ihrer  Rede -
freiheit  den  rücksichtslosesten  Gebrauch  zu  machen, 
um  der  Welt  den  Wtveis  zu  liefern,  daß  es  doch  noch 
«i  n  e  Stätte  im  Deutschen  Reiche  giebt,  wo  das  beleidigte  ,  „  ... 
Rechtsbewußisein  sich  Genugthuung  veisch affen  sann.  I  ihm  einiges  weitere  Material  borgelegt  werden,  so  ber 
Wfr  finb  überzeugt,  dieser  Pflicht  wird  genügt  werden,  Togoverlrag  mit  Frankreich,  vielleicht  kommen 
trotz  Geschäftsordnung  und  „Usus"  Und  sollte  es  darüber  noch  Zoll  fragen  hinzu.  In  den  nächtten  Tagen 
ttn  Parlament  zu  den  unergnicklichsten  Szenen  konitnen.  I  wird  auch  der  im  Jahre  1895  eingesetzte  Ausschuß 
der  wahre  Volksvertreter  darf  keine  Rücksichten  kennen,  eine  Berathung  abhalten,  der  Vorschläge  über  die  Grund- 
wenn  er  das  Recht  unb  bie  Gerechtigkeit  zu  ver-  sätze  hinsichtlich  der  Veritängung  schwerer  Strafen  über 
theidigen  hat.  die  Eingeborenen  in  den  afrikanischen  Schutzgebieten 
I  machen  soll.  Der  Kommission  ist  nicht  nur  das  gejammte 
Die  sozialdemokratische  Reichstagsfraktion  s  Material  aus  den  Schutzgebieten,  sondern  auch  die  Gesetz- 
wird,  anläßlich  der  Veittrtbeilttng  Liebknechts  und  gebung  ber  fremben  Kolonien  in  Afrika  zugänglich  g«. 
unseres  kkollegen  Stenzel,  sofort  bei  Beginn  der  Session  j  macht  worben.  Wahrscheinlich  wirb  der  Ausschuß  nun- 
den  Antrag  auf  Aushebung  ber  Majestät--  mein  dem  Plenum  deS  Kolensalralhes  einen  bezüglichen 
-  -  ••  ■■  I  Vorschlag  unterbreiten.  Sie  Ausübung  ber©  traf« 
aerichtsbarkeit  gegenüber  den  Eingeborenen  in  den 
ein  1  Kolonien  ist  schon  provisorisch  durch  eine  Verfügung  des 
sei  die  Ewigrente  verboten,  wie  das  Wuchern.  Tas 
Zentrum  müsse  daher  ber  kanonischen  Pflicht  wegen  die 
sofortige  Aufhebung  der  Bodenzinse  verlangen.  Aber 
wemt  es  sich  um  das  Gckd  der  Kapitalisten  handle,  sei 
erheit  schien  das  Verbrechen  ber  beleidigten  s  übertragen  :  es  wurde  Prugelstrate,  RMyeiNtta,e,  wcio-  >  daS  Zentrum  immer  eine  Manchesterpartei.  (Ohol  rechts.) 
herrliches  Mittel,  sich  ber  «fiter  der  Großen  strafe,  Gefängniß  mtt  Zwangsarbeit,  Kettenhasl,  Todes-  Wenn  nur  die  Bauern  vorn  Kapitalismus  befreien  wollen, 
"■  '  zu  bemächtigen.  Die  Reckfls-  strafe  zugelassen.  Gegen  Araber  und  Inder  ist  bie  An-.  müssen  wir  zu  dem  kanonischen  Rechte  zurückkehren.  DaS 
Leute,  welche  für  einen  leib.  Wendung  körperlicher  Züchtigung  als  Strafmittel  aus-  Zentnuu  hat  kein  Recht,  sich  über  bie  eunchlägtaeit  Glaubens- 
*  -  --  —  -  *  ~  .  I  sätze  hiwegzusetzen.  (Vollmar:  Doch,  doch  I  toenn’6 
ReichsverficherungSgcsetz.  Die  „Deutsche  Der- 
ficherungs-Zeitung"  brachte  kürzlich  die  Nachricht,  daß 
der  Entwurf  zu  entern  Neichsversicherungsgefetze  in  der 
ersten  Woche  des  Oktober  zur  Begutachtung  an  bte 
Mitglieder  des  Preußischen  Versicherungsbeirathes  ver -
sendet  werden  würde.  Es  hieß  auch,  daß  eine  Ver -
öffentlichung  des  Entwurfes  im  „Reichsanzeiger"  beab -
sichtigt  fei,  so  daß  also  in  Kürze  ber  Entwurf  bekannt 
werden  wurde.  Diele  Mittheilmtg  ist,  wie  der  offiziös 
bediente  „Berliner  Aktionär"  auf  das  Bestimmteste  ver -
sichern  sann,  unb  egrfinbet  Eine  Gesammtfitzuug 
des  Versichentngsbeirathes  bürste  weder  im  Oktober  noch 
überhaupt  in  diesem  Jahre  stattfinden,  so  daß  von  einer 
Vorlage  des  Gesetzentwurfes  in  dieser  Körperschaft  einst -
weilen  nicht  die  Rede  sein  sann.  Ebensowenig  ist  in 
nächster  Zeit  die  Veröffentlichung  des  Gesetzniiwurfes  im 
„Reichsanzeigcr"  zu  erwarten.  Dagegen  beabsichtigt  daS 
Reichsamt  des  Innern,  hervorragende  Fachlnrte  des 
Versicherungswesens,  sowie  Sachverständige  auS  anderen 
Steifen  zur  Begutachtung  des  Entwurfes  aufzufordem 
und  zu  einer  Sitzung  im  Reichsamt  des  Jntiern  ein -
zuladen.  Später  wird  fich  baun  auch  ber  preußische 
Versicherungsbeirach  mit  bem  Entwürfe  zu  beschäftiget» 
haben.