Nr. ISS. 14. Jahrgang. Hamb urge r Echo. Da« ^Hamburger Ech»" erlcheint täglich, außkr Montag«. Der NbonnkmcntSprciS (int!. „Die Reut Welt") beträgt: durch di« Post bezogen (Nr. de« Post- katalog« 3334) ebne Bringegeld vierteljährlich X 4,20; durch die Lolportore Wochen,,. 36 4 frei in’« Hau« Einzelne Numnier 6 4 Sonntag« Nummer mit iOuflr. Sonntag« Beilage „Die Neue Well 10 4- B-rantwortlicher Redaktor: Gustav Waberöky in Hamburg. Mittwoch, den « Jmti 1900. tl u ü e i fl e n werden die fechsgcfpaltene Petitzeile oder deren Raum mit 30 4, für den AibeiiSmarki, 93er* luiethuuaö- und Familieuanzeigeu mit 20 4 berechnet. Slnzefaeu Alluahme in der Szpedilion (bis 6 tthr Bdds.), sowie in fämmtl.?[nnoncen>Fiireeul Redaktion und Expedition: Graste Theaterstraste 44 in Hamburg. Parteigenossen! Nachdem beschlossen worden, unser Organ, das „Hamburger Echo", zu verbilligen, ist es die Pflicht der Genossen, für dessen weitere Verbreitung zu sorge» und eine intensive Agitation ;n entfalten. Tie nöthigen Maßnahmen sind unsererseits getroffen worden und wir dürfen wohl erwarten, daß jeder Parteigenosse am Donnerstag, 7. Juni, präzise 8 Nhr Abends, zur Flugvlattverbreitnng sich eiufiuden und die ihm zugewiesene Aufgabe mit Eifer erfüllen wird. Jeder Einzelne hat seine Kraft in den Dienst der allgemeinen Lache zu stellen; nnr dann wird auf eineu vollen Erfolg gerechnet werden können. Wir erwarten, daß kein Genosse die Mühe schent, bei der Propaganda für unser Arbeiterblatt mitzuwirke». Die Lsrstiinhe der Sszlaldmokrlltislhtü Vereine m Hmburg, Mm, Sttnijeii uni) WaniM. Hierzu eine Beilage. Zur zweiten Berathung der Flottenvorlage. n. Eine der in der Kommission erörterten Vor - fragen, betreffend Kosten nnd Anschaffung der Mittel, ging dahin: Welche Steigerung der s on sti g en R e i chs- ausgabenist mit Wahrscheinlichkeit bis zum Jahre 1920 zu erwarten, insbesondere durch Mehrkosten für das Heer, Len Penfionssonds, die Versicherungsgesetze, die Kolonien, Neubewafsnung, Fesmngsbauten, Ueberseekabel, Anlagen in K iautschou, maritime Stützpunkte, Koh Imitationen, Aflikabahnen und Vermehrung der Kolonialttuppen? Die Regierung gab Zusammenstellungen, in denen sie behauptet, „daß die Steigerung der Einnahmen, abgesehen von den Getreidezölleu, welche naturgemaß größeren Schwankungen unterliegen, eine stetige und sehr bedeutende sei". Die 2st-Einuahmen haben sich vom Nechnungsjahr 1895/96 bis Ende 1899 gesteigert: ohne Getreidezölle von 704,9 ans 856,6 Millionen Mark, mit Getreidezöllen von 807,5 auf 960,7 Millionen Mark. Steigerungen der Reichsansgaben wurde» in der Kommission von allen Nefforts tu Anspruch genommen. Das ^Auswärtige Amt erklärte, der Umfang der Steigerung für die Schutz - gebiete lasse sich „in keiner Weise vorans - berechnen". Auch das Kriegsministerium war nicht in der finge, für sein Ressort eine solche Be - rechnung zu geben; jedoch wiesen seine Vertreter daiauf hin, daß die durch das Gesetz vom 25. März 1899 bewilligten Mannschaften voraussichtlich durch die in den Jahren 1901 und 1902 anszustellenden Formationen aufgebraucht werden und im Jahre 1903 demnach die An - forderung der 7006 Kopfe, deren Bewilligung der Reichstag durch Resolution vom 16. März 1899 in Aussicht gestellt hat, würde beginnen müssen. Das Reichsschatzamt rechnet mit der Nothwendig - keit einer Steigerung der Verzinsung der Reichsschnld um rund M. 8 760 000, wobei ein künftig er Anleihebedarf von M. 202 520 000 vorgesehen ist. Die Post- und Telegraphen - verwaltung erwartet für ihr Reffort außer - gewöhnliche erhebliche Ausgaben in den nächsten zwanzig Jahren nicht, sondern nnr eine aus der regelmäßigen Zunahme des Lerkchrs und der Er- weitermtg der Post- und Telegrapheneinrichtnngen sich ergebende Steigerung der Ausgaben, der jedoch eine entsprechende Mehreinnahme gegenüber« steheit werde. Das Reichsamt des Innern hat eine Be - rechnung der voraussichtlichen Steigerung der Ausgaben in seinem Bereich bis zum Jahre 1920 gegenüber dem Etat für 1900 gegeben. Diese Steigerung soll von M. 4 440 500 im Jahre 1901 ans M. 39 160 400 bis zum Jahre 1920 an - wachsen. Die Summe der Steigerung in diesen zwanzig Jahre» soll M. 469 765 600 betragen, wovon ML 376 765 600 auf die Mehrausgaben für die Arbeiterversichernng entfallen. Vergleiche» wir mit diesen Darlegungen die Berechnung der Flotteukosten, welche die Budgetkommission in ihrem Berichte giebt. Als vor einiger Zeit von oppositioneller Seite diese Kosten für die nächsten siebzehn Jahre auf ungefähr 5 Milliarde» berechnet wurden, zeterten die Flottenpropagandisten: das fei eine „Fälschung" zwecks „Irreführung der öffentlichen Mei - nung". Die Büdgetkommisfion aber gelangt in ihrer Berechnung (S. 73 bis 85 des Berichts) an dieselbe Summe heran. Für dir Zest von 1901 bis 1917 find angesetzt einmalge Ausgaben (Schiffsbau, Armirnng und Werst- und Hafenbauten) Mi. 1 759 200 000. Davon entfallen auf S ch if f sbanauoten nach Maßgabe der Kommisfionsbeschlüsfe für neue Schiffe allein JA- 1 152000 000. An fort - dauernden Ausgaben sind ML 2070870000 twrgefebeu, so daß der Gesammibetrag des ordent - lichen Marineetats sich auf M. 3830070000 belaufen wurde. Es komme aber noch hinzu der Marinepensionsetat mit M. 116450000 und die Verzinsung der Anleihe für Marinezwecke mit K 406590000. Danach werden die Ge'ammk- kosten für die Flotte bis zum Jahre 1917 sich belaufen auf M. 4353110000. Stellt man, was die Bndgetkmnnnfsion nicht gethan hat, noch die im Laufe der Jahre eintretcn&e Vertheuerung der Baukosten (Steigerung der Materialpreise, der Arbeitslöhne rc.) in Rechnung, so erhält man nach mäßiger Annahme eine Znschlagssumme von nahezu Ml. 352000000, so daß eine Gesammtlast von nahezu Ml. 4705000000 erreicht wird. Das wären nahezu die 5 Milliarden, welche die Flottenpropagandisten nicht haben gelten lassen wollen. Dabei ist zu berücksichtigen die Eventualität oder Wahrscheinlichkeit, daß das Reichsmarineamt nach einigen Jahren abermals die „Nothwendig - keit einer weiteren Flottenvermehrung" ent - deckt und mit neuen Forderungen an den Reichs - tag hcrantritt. Die sehr willkürliche günstige Schilderung der Reichseinnahmen und ihrer Steigerung, welche die Regierung in der Budgetkommission ge - geben hat, muß beurtheilt werden im Zusammenhang mit den von der Kommission gemachten Deckungs - vorschlägen. Gegenüber der Regierung, welche „prinzipiell" festhalten wollte an dem absurden Ge - danken, daß ueue Steuern „nicht nothwendig^ seien, stellte sich die reaktionäre Mehrheit der Kom - mission auf den Standpunkt, wenn man auch diesem Gedanke» zustimiiien könne, die Gelegenheit, neue Stenern zu schaffen, bezw. bestehende zu erhöhen, doch zn günstig sei, als daß man sic nicht benutzen sollte. So gelangte diese Mehrheit den» zunächst zu dem Vorschläge, daß der in Folge des Flottengesetzes sich ergebende Mehrbedarf an Reichseiiinahmeii aufgebracht werde» solle: 1) durch Erhöhung der Reichs-Stempelabgabeu auf Werthpapiere, Kaufgeschäfte und Lotterie- loose, sowie durch Einführung einer Reichs- Stempelabgabe auf Kuxe und Schiffsfracht- urkunden, 2) durch Erhöhung der Zollsätze auf Schaumwein und Branntwein, 3) durch Einführung einer Verbrauchsabgabe auf inländischen Schaumwein und Saccharin. In zweiter Lesung gelaugte die Kommission dazu, an Stelle dieses Vorschlages den § 6 des Gesetzentwurfes in der in unserem vorigen Artikel mitgetheilten Fassung auzunehinen. Es ist darin von neuen Steuern und Zollerhöhungen nicht mehr die Rede, aber nicht etwa deshalb, weil man von suchen grundsätzlich absehen will, sondern weil, wie der Antragsteller ausführte (S. 46 des Berichts), „es nicht erforderlich sei, alle geplanten Stenern und Zollerhohnngen ausdrücklich aufzuführen, da solche ja durch besondere Gesetze gleichzeitig geregelt würden". Dem - gegenüber ist die Schlußbemerkung des vorgeschlagenen § 6, wonach der Fehlbetrag „nicht durch Erhöhung oder Vermehrung der indirekten, den Massenverbrauch belastenden Reichsabgaben aufgebracht werden darf", völlig bedeutungslos. Diese Bemerkung, dem besteheiideii Flottengesetz entnommen, war auch der in erster Kommissioiisberathnug beschlossenen Fassung deS § 6 zilgesiigt. Sie hat lediglich den Zweck, die Volksmassen zu beschwichtigen, während cs jedem in die Verhältniffe eingeweihten Politiker klar ist, daß die Deckung doch auf eine erhebliche Mehrbelastung der arbeitenden Klasse nach dem bisher geübten System hinausläust. Es ist zu beachten, daß in der Schlußbemerkung des § 6 nur von Reichsabgabe» die Rede ist. Die Wahl dieses Wortes „Abgaben" ist keine zufällige, sonder» eine wohl überlegte. Es ist diesbezüglich in der Commission (Seite 47 des Berichts) offen erklärt worden: „Unter sonstigen Einnahmen deS Reiches sei die allenfallsige Ertragssteigerung aus dem Post-, Eisenbahn- und Bankivesen, sowie aus der Zucker - steuer verstanden, auf keinen Fall wolle man darunter eine Erhöhung der Zölle auf Ge - treide, Petroleum und Kaffee begreifen, deshalb habe man auch den Ausdnick Reichsabgaben anstatt Reichsfleuern in § 6 gewählt." Das ist deutlich. Getreide, Petroleum und Kaffee sollen, obwohl sie Gegenstände des Massen - verbrauchs sind, einer stärkeren Belastung unter - worfen werden können. Und füglich können Bier und Branntwein, wie alle anderen Gegenstände deS MaffenkonsumS, ebenso behandelt werden, denn es handelt sich dabei nicht um „Abgaben", sondern um ©(euern im konkretesten, aber auch schlimmsten Sinne des Worte?. Die hier in Rede stehende Faffung de? 8 6 ist der Versuch einer gröblichen frivolen Täuschung deS Volkes, der dieser Tage int Reichstage sicher feine gebührende Kritik erfahren wird. Schließlich ist zu erwähnen, daß die Agrarier und ihre Bimdesgeuoffenschaft in der Kommission bemüht gewesen sind, weitgehende Berücksichtigung ihrer Sonderinteressen zu erlangen. Einer ihrer Vertreter führte au8: „Die Arbeitsgelegenheit werde durch die Novelle im Werthe von etwa 48 Millionen für das Jahr gesteigert, berechne man den darin enthaltenen Lohnantheil, so ergebe sich, bafe 24—30 000 Arbeiter mehr von der Industrie beansprucht würden. Diese Arbeiter würden mit Sicherheit der Landwirth - schaft entzogen, beim es bestünden keine Arbeiter- reserven. Tie Kalamität für das Land werde nm so größer fein, als die Landwirthschast keine höheren Löhne zahlen könne, sondern immer weiter zurückgehe, die Negierungen müßten sich der Landwirth- schastebensoannehmen wie der Industrie". Im Auftrage des Reichskanzlers gab sodann der Vertreter der verbündeten Regierungen folgende Erklärung ab: „Die verbündeten Regierungen sind zur nach - drücklichen Wahrung der Interessen der d^e u t s ch c n L and w i r b l^h u > t hmsichllich des Schutzes ihrer tLrzaugntjje bei der Aus - gestaltung des in Vorbereitung befindlichen Zoll - tarifs, sowie beim Abschlusse neuerHandels- Verträge entschlossen. Ueber die einzelnen Mast- nahmen, die zu diesem Zwecke zn ergreifen sind, ins - besondere über die Höhe der für die landwirthschaftlichen Erzeugnisse einzustellenden Zollsätze, tvird nat-urgeiuäß erst nach Beendigung der Vorarbeiten für die Ausstellung des Tarifs eine Entschließung getroffen werden können." Jeder Eingeweihte weiß, daß sich damit die Re - gierung bereit erklärt hat, der Forderung der Agrarier, betreffend die Erhöhung der Ge - treidezölle rc., Rechnung zu tragen. Das ist der Preis für die Zustimmung der Agrarier zum Flotten - gesetz! Auf diese Weise soll, wie in der Kommission gesagt wurde, „die Landwirthschast sicher ge - stellt werden gegen die ihr ans der Flotten - vermehrung drohenden Nachtheile". Im Zu - sammenhang damit stehen zwei Resolutionen, welche die Kommission dem Reichstage zur Annahme vorschlägt: „Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, daß im Interesse der Landwirthschaft und zum Zweck deren Versorgung mit den nöthigen Arbeitskräften die deutschen Reichs- grenzen für den erforderlichen Zuzug fremdländischer Arbeiter geöffnet werden." „Die verbündeten Legierungen zu ersuchen, spätestens Anfang der nächsten Session des Reichstages einen Gesetz- entwuri vorzulegen, durch welchen die Besteuerung des Saccharins und ähnlicher Süßstoffe in einer der bestehenden Zuckersteuer und der Süßkraft der künst- lichm Süßstoffe entsprechenden Höhe gesichert wird." Oeffiiling der Reichsgrenzen für die billigere ausländische Arbeitskraft — Schließung der Reichsgrenzen für das billigere aiisläildische Vieh und Fleisch; möglichste Erschwerung und Fernhaltung der Einfuhr ausländische» Getreides um diesen Preis und noch etwas mehr, das im Hintergründe steht — Beschränkung der Freizügigkeit, Knebelung der Arbeiterklasse rc. — muß es den Agrariern leicht sein, „echt patriotisch" der Flottenverrnehmiig zuzustimme», während das entgegenkommende Verhalten des Zentrums seine Begründung in dessen spekulativer Politik als „regierende Partei" findet. Wenige Tage »och, und das deutsche Volk wird um eine herrliche Bescheerniig reicher fein! Von der Weltbnhne. Gegen das Fleischbcschaugesetz sollen nach einer von der „Post" offiziös bestätigten Mittheilung des „Berl. Lokalanz." sowohl seitens der amerikanischen wie der englischen Botschaft in Berlin an zu - ständiger deutscher Stelle Vorstellungen erhoben worden sein. Seiten- der englischen Regierung werde die Erschwerung der australischen Fleischeinfuhr nach Deuffchland beklagt. Es fei ausgeschlossen, daß in Folge dieser Vorstellungen das Fleischbeschaugesetz im Bundes - rath noch scheuern tönnte, jedoch wäre es wohl mög - lich, daß beim Erlaß der Ausführungsbeftim- mungen auf gewisse, dem deutschen Interesse nicht entgegenstehende Wünsche des Auslandes Rücksicht ge - nommen würde. Diese an sich selbstverständliche Rücksicht - nahme auf ausländische Wünsche, die keine deutsche Interessen gefährden, treibt der agrarischen ..Deutschen TageSztg." sofort die Galle in s Blut und sie poltert loi: „UnS überrascht diese Mtthetlung nicht. Jedenfalls wird sie aber den Staatssekretär Grafen Posadowsky sehr überrascht haben, der im Reichs - tage mehrmals mit besonderem Nachdrucke hervorhob, daß daS Flesschbeichaugeictz ein deutsches ReichS- gesetz fei, ht das das Ausland nicht hinein - zu reden habe. Die Vorstellungen der auterikanischen und der englischen Botichaft haben den Herrn Staatssekretär nun eines Anderen belehrt Die ge - nannten diplomatischen Vertretungen halten sich für berechtigt, in die autonome hygieinische Gesetz - gebung deSReiches e i n z n g r e i fe n. Daß dieses Vorgehen der Botschaften erfolgreich sein werde, glaube» wir Dem Gewährsmanne des hiesigen Lokalblattes sehr gern. Tie verbündeten Regierungen werden freilich „stark" S bleiben, daß sie daS Fleischbeschaugesetz ttotz der illigung Amerika- und England- annehmen ; sie werden aber dafür sorgen, daß die dem Bundesrathe in dem Gesetze zngestandmen Vollmachten, wo es trgenb geht, im Interesse 6iigIanb8 und Amerikas gehandhabt werden. Wir werden also erleben, daß die Vorschriften über die Fleischeinfuhr, insbesondere über die Einfuhr von Pökelfleisch, soweit sie nicht gesetzlich feflgclegt sind, so tuild gehandhabt werden, daß die beiden fremden Regierungen damit zufrieden find. ES ist schwer, keine Satire zn schreiben." Das Agrarierorgan vergißt in seinem Eiser ganz, daß sich die Vorstellungen offenbar gar nicht gegen die sanitären Vorschriften, sondern gegen bte wirIh sch asts - politischen Wirkungen der agrarischen Sperr - maßregeln gegen die Fleifcheinfuhr richten. Wenn hier der Bundesrath int Entgegenkommen gegen daS Ausland so weit geht, als das Gesetz irgend zuläßt, um Re - pressalien des Auslandes, zu denen es anderenfalls im eigenen wirthschaftlicheu Interesse greifen würde, hintan- zuhalten, so in das der inji g richtige und ver - nünftige Standpuitki. Das in cm vunoyaben de» Gesetzes im Interesse Englands und AinerikaS zn ver - drehen, ist ein der agrarischen Unersättlichkeit würdige- Demagogenstückchen. Bei de» Debatten über die lex Heinze hat Herr Stöcker mehrfach seine Fähigkeit al» Kapuziner dargethau und bewiesen, daß er an Kraftausdrücken nicht ärmer ist als der von Schiller in Wallensteins Lager verewigte Bruder in Christo. Aber die Debatten im Reichstage haben nicht ausgereicht, Stöckers Bedürfniß völlig zu befriedigen. Jetzt greift er zur Feder und beweist in der „Deutschen evangelischen Kirchenzeitung", daß sein Vorrath an Krauftausdrücken noch nicht er - schöpft ist. Dort läßt er sich wie folgt vernehmen: „Wir haben es oft ausgesprochen, daß die schlechte öffentliche Meinung der wundeste Punkt unseres Volks - lebens ist. Aber daß der deutsche Geist so verdorben wäre, wie er diesmal in der Presse und Volksversamm- luugen zum Ausdruck gekommen ist, haben auch wir saunt gedacht. Unwissenheit und absichtliche Ver- ounkelung des Thatbestandes, unbewußte- U n ch r i st e n t h u m und bewußte Feindschaft gegen die sittlichen Grundsätze christlicher Lebensanschauung hatten einen Bund geschlossen. Edle Geister machten mit literarischen Schmutzsinken, christliche Künstler mit sozialdemokratischen und a l h e i - istischen Juden Waffenbrüderfchast, um für t>ic Kunst bie Schamlosigkeit z u retten. Dabei ging die Uebertreibung der eingebildeten Gefahren so sehr über alles Maß hinaus und nahm einen bald tragi - komischen, bald dämonischen Karakter an, daß man sich unwillkürlich fragen mußte, ob beim diese Gesellschaft bei gefmtben Sinnen fei. Daß bei der ganzen Bewegung Haß gegen das Christenthum int Spiele mar, wußten die Veranstalter derselben von vornherein; aber die Mit - läufer ahnten das nicht ober übersahen eS bei ihrer Gleichgültigkeit gegen daS christliche Moment im öffent - lichen Leben. Erst in ber letzten Versammlung deS famosen Goethebunbes nach beni gewonnenen Sieg trat es klar heraus; der eine Redner sprach offen gegen die christlich-sittliche Auffassung, ein anderer schloß feine An - sprache unter dem rasenden Beifall der Versammelten mit den Worten: Wider bie Pfaffen! Zum Uebermaß bes Wiberlichen sei noch bemerkt, daß ein K o n s i st o - rialrath unserer LanbeSkirche (Konsistorial- rath R e i ck e in Berlin), eine Zeit lang Vizepräsibent bes Goethebunbes, in biefer Versammlung zugegen war uttb fein Wort sagte. ES geht boch nichts über unsere staalskirchlichen Zustände I l" An dem Schimpfen merkt man, daß der einst so einflußreiche Demagoge sich gewaltig ärgert. Wir hätten ihn aber für klüger gehalten und nicht erwartet, daß er feinen Aerger so offen zur Schau trägt. Kein Mensch ist ganz frei von Schadenfreube unb nun giebt Stöcker biefer Untugend seiner Feinde so reiche Nahrung. lieber bad Ttempelsteuergesek ist ber Bericht ber Bübgetkornmissiou bei Reichstags am Sonnabend Abend zur Vertheilung gelangt. Ter Bericht umfaßt 100 Quarts eilen. Tie in ber Kommission zugesagte A b - schätzuug beS Ergebnisses ber Erhöhung der Stempelsteuern ist seitens des Reichsschatzamts nicht mitgelhetlt worden. In dem KommissioitSbericht wird bie finanzielle Wirkung ber Erhöhung ber Stempelsteuern auf 46 Millionen Mark berechnet, wovon 22 Millionen Mark auf bie Börsensteuer, 22 Millionen Mark auf bie Erhöhung de- Lotterte - st e m p e IS entfallen. ObbieCchifffahrSabgabe wie nach ben Beschlüssen erster Lesung noch 2 Millionen Mark einbringen werde, lasse sich nicht Übersehen. Auch sonst wird hervorgehoben, daß die Abschätzungen der Mehrerträge auf sehr unsicheren Grund - lagen beruhen. Tie Erfinder neuer Flotteusteuern sind immer noch auf ber Suche nach brauchbaren eteuerobjeften. Dm Bogel abgeschosfen hat in biefer Hinsicht ein Herr Abam ©treib, bet in einer Petition an ben Reichs - tag den grandiosen Vorschlag .nacht, zur Aufbringung ber Losten für bie Flottenversiärkung bie Fremd - wörter zu besteuern. Leider erfahren wir noch nicht, wie sich der Urheber diese» ingeniösen Gedankens die Ausführung seines Vorschlages denkt, ob er nur daS geschriebene ober gedruckte, ober auch das gesprochene Fremowort besteuern will. Jrn letzteren Falle müßte jedem Staatsbürger ständig ein Steuerkoitlrolör zur Seile stehen, der thn auch Nachts nicht verläßt, um auch ein im Traum ihm entschlüpfendes stenerfähigeö Fremd - wort nicht nnbeftcucrt hingehen zu lassen. Ober man verpflichtet jeden Staatsbürger, Tag und Nacht einen Phonographen auf der Brust zu tragen, von dessen Walzen dann bie Steuerbeamten die mit bet Sprech - steuer belegten Wörter ablefen unb für bett Fiskus ein - träglich machen. Die 3bec der Fremdwörtersteuer, bie allen Sprachreinigern baS Herz im Leibe lachen machen wirb, ist so genial, daß wir c» den Lesern überlassen müssen, sich selbst baS hübsche Projekt in den Einzelheiten nach ihrem Geschmack auSzumalen. . Die Waarenhaussleuer, bie in Baiern schon besteht und in Preußen demtiüchst Gesetz luerben soll, wird von ihren mittelstandsretterischen Freunden bekannt - lich alS ein Mittel angesehen, "bie Waarenhäuser kon - kurrenzunfähig zu machen, damit bie kleinen Handel - treibenden ourch hohe Preise existenzfähig werden, trotz der ruinösen Konkurrenz, die sie s i ch s e l b st machen in Folge ihrer weit über das Bedürfniß und die ber VolkSvermehrung entsprechende Vermehrung hinauS- gewachfenen Zahl. Wie im AuSlanbe, besonders in Frankreich, so ist aber auch in Baiern schon bei Be - weis erbracht, daß die WaarenhauSsteuer biesen Ztveck nicht erreicht. Der Jahresbericht der Psälzischen Han de l s - undGewetbekammer in Ludwigs - hafen sagt oaniber : „Nach Artikel 23 des bai'erischeit GewerbesteuergesetzeS vom 9. Juni 1H99 werden bie Waarenbäuser mit einer nach dem GeschästSumfaitge steigenden Normalanlage be - legt, welche unter Hinzurechnung ber Betriebsanlage nicht unter einem Halden Prozent nnb nicht über 3 pZt. deS Geschäft-Umsatzes behagen soll. AIS GeschäftS- ttmsatz gilt die Gesammtbruttoemnahme des Haupt - geschäftes und der etwaigen Filialen. Man Hal mit dieser Steuer bekanntlich die Waarenhäuser so treffen wollen, daß bereit Fortbestanb nicht mehr gut möglich fei. Aus beut Umstande aber, daß fort - während neue Waarenhäuser entstehen, darf man ben Schluß ziehen, baß bie Besitzer berselben sich mit bet neuen Steuer bereits abge- funben und sich so eingerichtet haben, baß sie weiter bestehen können. Die Steuer hat ihren Zweck nicht erreicht, vielmehr ist burch bieselb> b a 8 Monopol bc6 Großkapitals auch in Rück - sicht auf bie Waarenhäuser eladlirt. ES kann als seststehenb angesehen werben, baß künflighitt Waarenhäuser mit Erfolg nur in gewissen Gesellschafts - formen, z. B. als Aktiengesellschaften, ober nur baun errichtet werden können, wenn der Untern djincr ein größeres Betriebskapital besitzt. Trifft das Eine ober Ylnbere zu, bann ist bie Konkurrenz gegen das kleine und mittlere Gewerbe uns so erfolgreicher. Für die kleinen und mittleren Ge - werbe wird bie in Baiern eingeschlagene unb in andere Staaten in derselben ober in einer mobifizirlen Form übergehende staatliche ober gemeindliche Sonberbesteuernng bet Waarenhäuser nicht ben gehofften Erfolg haben." Es trifft also genau baS ein, was wir und andere vernünftige Leute borau»gefagt haben. Die Steuer verschärft nur die Konkurrenz und verdrängt die Kleinen noch mehr auS dem Handel. Als Rcst- ergebniß dieser Steuerkünste bleiben nur die Scheerereien nnd für die Masse ber Konsumenten, aus betten die Steuer boch schließlich wieder herausgeschlagen wird, auch hier und da P r c i i ft e i g e r u n g e n. Die deutsche MoloninlqeicUidmft hat, wie schon erwähnt, vor einigen Tagen in Koblenz ihre Haupt - versammlung abgehalten, .die einige interessante Episoden bot. Zunächst wurde das „Studium" eine» Anträge» beschlossen, wonach die kolonialen und maritimen Be - strebungen in ben Lehrplänen d« Schulen berücksichtigt werben sollen. Zeigte sich hierin Einmnthigkeit, so folgte schnell genug eine Szene, bie deutlich zeigt, welche Elemente in ber Kolonialgesellschaft vertreten sind. In einem ausführlichen Bericht über bie Verhandlungen heißt eS: Dr. Passarge wandte sich in schärfster Weise gegen die Art unb Weise, wie das fiolonialamt unter Herrn v. Buchka große beutsche Ciebietötlicile sozusagen verschleudert habe. Plan könne wohl sagen, daß Deutsch-Südwestafrika zu ,wei D r i 11eln an bie Debeer».Company iCecil Rhode» unb Konsorten) verschenkt sei. Die AuSrebe, baß man ja politisch Herr über baS Land bleibe, baß man das Verkaufsrecht besitze, und baß überhaupt bas verschleuberle Land keinen besonbereu Werth habe, zeige, wie unsicher man sich im Kolonialami fühle. Man wisse doch ganz genau, welche großen politischen Pläne Cecil Rhode» mit Südafrika ver'olge, und man müsse ihm »ach dieser Rui lung hm leider einen größeren Patrio - tismus nachrühmen, al» ihn deutsche Großkapitalistin von der Art de» Herrn v. Hansemaun u. A an ben lag legten, feine überaus traurige Rolle spielten bei ben Minenkonzes'ionen die angeblich deutschen Mitglieder ber betreffenden Gesellschaften, die in Igahrheit ganz im Solde Englands stäuben. Redner greift schließlich ben als Vertreter ber Abcheilung Hamburg im Saale an - wesenden Rechtsanwalt Dr. Scharlach- Hamburg, der einer btr Direktoren ber in London refidirenden Soulh-West-African-Cotupany ist, in sehr heftiger Weise an unb ruft ihm schließlich zu: „Sehen Sie mich mal an, Herr Dr. Scharlach, wenn Sie den Muth haben 1" Dr. Scharlach (in höchster Er- regung): „Da» werde ich nicht thun: Das ist ja eine Ste^beit, eme Unverschämtheill" (Mae- meme C^orufe und große Bewegung.) Herzog Johann Albrecht: Ich ersuche dnngend, alle Zwischenrufe unb beIcibigeiiMn Bemerkungen zu unterlassen. Dr. Pafiarae " habe nicht» mehr hinzuzusügen. — Später erftitlt Dr. Scharlach da» Wort Er berief sich daraus, daß er bet den Kolontaldirektoren Kayser