Nr. 173. 11. Jahrgang. HamburgerEcho """" Da« „Hamburger Echo" crichkinl täglich, außkr Montag». D,r NbounementSprei» (intl. „Die Nene Well") bkträgt: durch dir Post b-zvgkn (71t. btt Post- latalog; 3334) ohnr Bringrgeld vikrtcljährlich M. 3,60; durch dir Kolporläre wächkntl. 30 >4 frei in'« Hau« Einzelne Numnier 5 ?4. Souiltag»>71uu»ner mit illustr. SouutagS-Beilage „Die Neue Welt" 10/4- Veraulwortlicher Nrdaktör: Gustav Wabcröky in Hamburg. SouuavenÄ, den 28. Juli 1900. Anzeigen werden die sechsgespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 80 ?4, für den Arbcitsmarkt, Vcrmicthuugs- und Familicnanzcigcu mit 20 4 berechnet. Anzeigen Anuahmr in der Expedition (biö 0 Uhr AbcndS), in den Filialen, sowie in sämmtlichen Annoncen-Bürcau«, Redaktion und Expedition: Große Dheaterstraße 44 in Hamburg. Hierzu eine Beilage. Hunnische Kultur? Heute, Freitag, hat Wilhelm II. in Bremer - haven eine Rede gehalten, welche unzweifelhaft überall das größte Aufsehen erregen wird, besonders im Aus- lande, wo man unsere eigenthümlichen Verhältnisse nicht richtig zu beurtheilen vermag und gewohnt ist, die Zeitungs - nachrichten über kaiserliche Reden als das unab - änderliche Programm der deutschen Re - gierung zu betrachten. Sicher ist jetzt schon, daß in den Augen der ge- sammten Kulturwelt nach dem durch die Presse ver - breiteten Wortlaut dieser Rede das Deutsche Reich als ein Staatswesen erscheinen wird, welches Einflüssen unterliegt, die man durch die moderne Zivilisation längst überwunden glaubte. Eine Aufforderung an europäische Truppen, keinen Pardon zu geben, Gefangene nicht ztt machen, den Hunnen nachzuahmcn, ist wohl in neuerer Zeit von leitender Stelle aus nicht mehr ergangen. In Bremerhafen ist eine Kriegführung empfohlen worden, die seit Jahrhunderten außer Gebrauch schien, wenn die Zeitungen korrekt berichten. Der deutsche Kaiser sprach danach zu den nach China abgehenden Truppen, jungen Soldaten, die sich aus dem einen oder anderen Grunde als Freiwillige für die Expedition meldeten. Weder der „Hamb. Korr.", noch die „Hainb. Nachr." eröffentlichcn die Rede im Wortlaut, so daß eine Vergleichung nicht möglich ist, im „Hamb. Fremdcitblatt" dagegeit findet sich ein ausführliches Telegramm, welches wir, selbstverständlich ohne Gewähr für die Richtigkeit, wiedergcben. Danach sprach der Kaiser: „Zum ersten Mal, seitdem das Deutsche Reich Wiedererstanden, treten an daflelbe große überseeische Aufgaben heran. Diese siitd früher in größerer Aus - dehnung an uns herangctreten, als die meisten meiner Landsleute erwärtet haben. Diese find die Folge davon, daß das Deutsche Reich wiedercrstanden ist und damit die Verpflichtung hat, für seine im Aus - lande lebenden Brüder einzustehcn im Moment der Gefahr. Mithin sind nur die alten Auf - gaben, die das alte römische Reich nicht lösen konnte, von Neuem hervorge - treten und das neue Teutsche Reich ist in der Lage, sie zu löse«, weil es ein Gefüge be - kommen hat, das ihm die Möglichkeit dazu giebt durch unser Heer. „In 30jähriger harter, angestrengter Friedens - arbeit, sind Hunderttausenbe von Deutschen zum Kriegsdieitst herangebildct worden, ausgebildet nach den Grundsätzen meines verewigten großen Groß - vaters. Bewährt in drei ruhnwollen Kriegen, sollt Ihr mtnmchr vor dem Feinde die Probe ablegen, ob die Richtung, in der wir uns in militärischer Be - ziehung bewegt haben, die richtige sei. Eure Kameraden von der Marine haben uns schon gezeigt, daß die Ausbildung und die Grundsätze, nach denen wir unsere militärischen Streitkräfte aitsgebildct , die richtigen sind, und au Euch wird es sein, cs ihnen gleich zu thun. „Sticht zum Geringsten erfüllt es uns Alle mit Stolz, daß grade ans dem Munde answärtiger Führer das höchste Lob unseren Streitern zucrkannt worden ist. Die Aufgabe, zu der ich Euch hinaussende, ist eine große. Ihr sollt schweres Unrecht sühnen; ein Volk, das derart, wie cs die Chinesen gethan, im Stande ist, tausendjähriges altes Völker - recht umzuwerfen und der Heiligkeit des Gesandten und der Heiligkeit des Staatsrechts in so abscheulicher Weise Hohn zit sprechen, das ist ein Vorfall, der in der Weltgeschichte noch nicht vor- gekommcn ist, und dazu von einem Volke, das stolz ist auf eine zehntansenbjährige Kitltur. Aber Ihr könnt daraus ersehen, wohin eine Kultur kommt, die nicht auf dem Christenthum anfgcbaut ist. „Diese heidnische Kultur, möge sie auch noch so schön und gut sein, geht zu Grunde, wenn große Aufgaben an sie hcrantreten. So sende ich Euch hinaus, damit Ihr bewähren sollt, einmal Eure alte deutsche Tüchtigkeit, zum Zweiten die Hingebung, die Tapferkeit, das freudige Ertragen jeden Ungemachs, zum Dritten Ehre und Ruhm unserer Waffen und Fahnen. Ihr sollt ein Beispiel abgeben der Manneszucht und der Disziplin, der Selbstüberwindung und der Selbst- b c h e r r s ch u n g; Ihr sollt kämpfen gegen einen gut bewaffneten, gut ausgerüsteten Feind, aber Ihr sollt auch rächen, nicht nur den Tod des Ge - sandten, sondern auch den vieler Deutscher und Europäer. Kommt Ihr vor den Feind, so wird er geschlagen. Pardon wird nicht gegeben. Gefangene nicht gemacht. Wer Euch in die Hände fällt, ist in Eurer Hand. Wie vor 1000 Jahren die Huntten und der König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name „Deutscher" in China in einer solchen Weise bethätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel a n z u s e h e n. „Ihr werdet mit einer Ueberntacht zu kämpfen haben. Tas sind wir gewohnt. Unsere Kriegsgeschichte beweist es. Ihr habt es gelernt aus der Geschichte des Großen Kurfürsten und aus Eurer Regimentsgeschichte. Fragt Eure Traditionen, fragt Eure Regimentsgeschichte. Der Segen deS Herrn sei mit Euch. Die Gebete meines ganzen Volkes begleiten Euch auf allen Euren Wegen. Dleine besten Wünsche für Euch, für das Glück Eurer Waffen werden Euch folgen. Gebt, wo es auch fei, Beweise Eures' Muthes. Möge sich der Segen Gottes an 6urc' Fahnen heften und er auch geben, daß das C h r i st e n = thut» ui jenen Landen seinen Eutzug findet. Dafür, steht Ihr mir mit Eurem Fahneneid. Und nun glückliche Reise. Adieu, Kameraden I" Ueber bett entscheidenden Passus findet sich im „H. C." nur Folgendes: Die Rede schloß nach der Version des „B. L.-A.": „Kommt Ihr an den Feind, so wisset,, Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht. Führt EureWassen so, daß noch auf Tausende vonJahren hinaus kein Chinese mehr cs wagt, einenDeutschen scheel anzusehen. Deffnct der Kultur den Weg ein für alle Mal. Adieu, Kameraden I" In den „N. Hamb. Zeitung" lautet der Schlußsatz der Rede: „Der Herr sei mit Euch, der Segen Gottes begleite Euch, meine besten Wunsche werden Euch folgen, jedem Einzelnen, wo er auch sei. An Eure Fahne knüpfe sich der Sieg, wenn Ihr für europäische Kultur kämpftim Lande der Bestien, nnd nun glückliche Reise. Adieu, Kameraden." „Die Gebete meines ganzen Volkes begleiten Euch auf allen Euren Wegen", sagte also nach dem „Fremden - blatt" der Kaiser. Würden wir beten, unsere Gebete würden die jungen Leute nicht begleiten, welchm auf - getragen fein soll, keinen Pardon zu geben, keine Gefangene zu machen, das heißt, Alles niederzumetzeln, was ihnen vor die Waffe kommt. Wie mögen die Prediger der christlichen Liebe sich nun stellen zu diesem angeblichen Befehl des obersten 5kriegsherrn? Werdm sie beten für den Erfolg der deutschen Waffen, die unerbittlich gegen Jeden gerichtet werden sollen, der als „Feind" betrachtet wird? Und was wird unsere „nationale" Presse sagen, welche sich über die Greuclthaten der Boxer entrüstet hat? König Etzel, Attila, die GotteSgeißel, und seine wilden Schaarm sollen dem deiitschen Volke als nachzuahmendcs Beispiel hingcstellt worden sein, im letztm Jahre des neunzehnten Jahrhunderts. „Ocffnet der Kultur den Weg", heißt es in der einen Version. Welcher Kultur? Der Kultur der Hunnen etwa? Man muß wohl annehmen, daß die Wiedergabe der Rede nicht korrekt ist, daß in Wirklichkeü der Zusammen - hang anders war, als das Telegramm ihn giebt. Das schließen wir schon aus einem gewaltigen historischen Irrthum, den die Aufzeichnung der Rede enthält. Danach soll in bet Weltgeschichte noch nichts vor - gekommen fein, wie bet — einstweilen noch zweifel - hafte — Gcsandtenuwrd in Peking. Um kein anderes Beispiel anztiführcn, verweisen wir nur auf den Ge - sandten mord in ,Rastatt im Anfang dieses Jahrhunderts, deficit Urheberschaft der damaligen Re- giermtg des zivilisirten Oesterreich zugeschrieben wird. Uiizweifelhaft wird her Reichskanzler, die verantwortliche Person der Reichsregierung, im „Reichsanzciger" eine bündige Erklärung ersoffen, daß die Rede in ber butch ben Telegraphen übermittelten Form nicht gehalten worden nnd baß deutsche Soldaten nicht zur Niedermetzelung um Pardon flehender Gegner aufgefordert worden find. Es hat immerhin noch etwas Be - deutung, daß das Deutsche Reich als zivilisirter Staat gilt. Das „Jahrhundert der Menschen- befreiung". Das neunzehnte Jahrhundert entsprechend seiner kulturhistorischen Bedeutung zu karakterisiren, hat mau bekauutlich allerlei Vorschläge gemacht; es soll das Jahrhundert der Eiseubahnen, das Jahr - hundert der Maschinen, das eiserne Jahrhundert, das Jahrhundert der Elektrizität heißen. Nun wird von Dr. Gustav Lewinstein in einem unter dem Titel „Der Robot ant Anfang und am Ende des 19. Jahrhunderts" im 175. Hefte der „Volks- wirthschaftlichen Zeitfragen" erschienenen Aufsatz ein neuer Vorschlag gemacht. Er führt aus: Wenn man einmal glaubt, dem Jahrhundert einen Namen beilegen zu müssen, so ist zu berücksichtigen, was am wesentlichsten die Entwicklung des Menschengeschlechts gefördert hat. Man muß dann die Aufhebung ber Leibeigenschaft in ben Vordergrund stellen und etwa den Namen Jahrhundert der Menschen- befreinug" wählen. Weltgeschichtliche Ereignisse werden nicht beeinflußt durch den Kalender, und so kann der Kulturhistoriker nicht den 1. Januar 1801 oder 1800 als den Anfang des 19. Jahrhunderts ansehen, ihm leitet die französische Revolution von 1789 das 19. Jahr - hundert ein, und . insbesondere die .ewig denkwürdige Sitzung ber französischen Nationalversammlung vom 4. Anglist 1789, in der einstimmig die FrohnSpflicht und persönliche Dienstbarkeit, die Bannrechte, die Patri - monialgerichtsbarkeit, ber Zehent und alle Vorrechte deS Adels, ber Gilden, Zünfte u. s. w ^aufgehoben und der Bauer zum freien, allen anderen Ständen gleichberech - tigten Blanne gemacht wurde. In demselben Jahre brachte Wilberforce im englischen Parlamente den Antrag auf Aushebimg ber Sklawerei ein, achtzehn Jahre später sah sich Preußen gezwungen, durch das Edikt vom 9. Oktober 1807 die Leibeigenschaft aiifzuhcben, während allerdings die volle Befreiung der Bauern erst nach ben Ereignissen des Jahres 1848 erreicht wurde. Selbst Rußland folgte mit der Aushebung der Leibeigenschaft, und wenn auch die Sklawerei noch immer nicht in allen Ländern des Erdreichs beseitigt ist, so haben doch die Nationen, bk sich die zivilisirten nennen, im 19. Jahr- hunbert die Fesseln, in beiim ber Bauer lag, gelöst und ihm die Rechte gewährt, beten sich alle übngen Staats - angehörigen erfreuen. Ohne Zweifel, alle diese Akte bedeuten einen außerordentlichen Kulturfortschritt. Aber damit ist der gewaltige Inhalt des Begriffes Menschen- befreinng noch lange nicht erlchöpft. Diese Be - freiung zu einer wirklichen und vollkommenen zu machen, bleibt noch sehr viel zn thun übrig. In einer Gesellschaft mit Standes- und Klassen - herrschaft sind die Freiheiten, welche nach Maß - gabe der geltenden Rechts- und Wirthschaftsordnung bestehen sollen, für die beherrschten Klassen größteu- theils nur Scheinfreiheiten oder bedingte Frei ¬ heiten. Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts stehen wir vor der Thatsache, daß immer noch Standes- und Klassen-Privilegien existiren, deren Konsequenzen in der Unterdrückung und Fesselung großer Volksmassen fich begreifen. Der Kapitalismus, die Besitziibermacht, offenbart so - wohl auf wirthschaftlichem wie auf politischem Ge - biete die Tendenz, sich die Besitzlosen möglichst vollständig zu unterwerfen, sie, allen modernen Rechtstheorien zum Trotz, thatsächlich in Unfrecheit zu bringen und zu erhalten. Das Wort „Frei - heit der Arbeit" ist eine hohle Phrase; es ist nicht anwendbar ans die Arbeiterklasse; der Kapitalismus hat diese Klasse üi das System der Lohnwirthschaft gezwängt, welches, von ver- hältnißmäßig seltenen Ausnahmen abgesehen, eine neue Art von Sklawerei fbarftent. Die von ihm wirthschaftlich abhängigen besitzlosen Arbeiter seiner Willkür völlig zn unterwerfen, ist der Kapitalismus beständig bestrebt. Er verleugnet die wesentlichste Vormissetzuug wirklicher Freiheit innerhalb staatlicher und gesellschaftlicher Organi - sation, die Gleichberechtigung. Möge die für diese Organisation in Anspruch genommene Rechts-Theorie noch so eindringlich lehren, daß alle Staatsbürger ein gleiches Recht gemeßen sollen — der Kapitalismus spricht in der Praxis des wirthschaftlichen, politischen und sozialen Lebens dieser Lehre Hohn; nicht nur, daß er bemüht ist, die wirthschaftlichen Existenzbedingungen für die Arbeiter, die Höhe des Lohnes, die Länge der Arbeitszeit rc. willkürlich zu bestimmen, ohne Rücksicht ans berechtigte Ansprüche der Arbeiter zn nehmen — er nimmt auch für sich das „Recht" in Anspruch, die Arbeiter unter Androhung und Anwendung schlimmer Vergewaltigungs- Praktiken zu zwingen, Verzicht zu leisten auf ihnen gewährleistete Freiheiten und Rechte: der Koalitionsfreiheit, des Vereins- und Versammluiigsrechtes, des Wahlrechtes rc. Und im Bunde mit dem Kapitalismus sind die öffentlichen Gewalten bestrebt, den Arbeitern die Ausübung dieser Freiheiten und Rechte zu er - schweren oder u n m ö g l i ch zu machen. Sogenannte „staatserhaltende" Elemente entblöden sich nicht, offen und energisch die völlige Entrechtung der Arbeiterklasse zu fordern als ein „Schutz gegen den Umsturz". Die Arbeiter sollen keine Freiheit haben, die sie auf wirtbschaftlibem oder politischem Gebiete für die Wahrung uuoForderung ihrer ve- rechtigten Interessen gebrauchen könnten. Der Kon - servatismus, das Agrarierthum, schreckt selbst davor nicht zurück, die Veniichtung einer ber wichtigsten Kulturerrungeuschafteu des neunzehnten Jahrhunderts, des Rechtes der Freizügigkeit, zu fordern, nm eine neue Hörigkeit, eine neue Scholleu- sklawerei organischen zu können. Die unter Herrschaft der kapitalistischen Tendenz sich vollziehende Zersetzung ber bürgerlichen Gesell - schaft, die Verschärfung des wirthschaftlichen Daseius- und Jnteressenkampfes, hat es mit sich gebracht, daß mehr und mehr auch die Mittelklassen, die Hand - werker, die Masse der kleinen Gewerbetreibenden, die Bauern, sich in Klagen ergehen über die „Ty - rannei des Kapitals", die „Versklawung jeder ehrlichen Arbeit durch das Kapital", die „Ver - nichtung aller selbstständigen Existenzen, die nicht auf kapitalistischer Ausbeutung beruhen" rc. Der - artige Klagen kann man tagtäglich in mittelstands - politischen Blättern lesen. Als „Knechte des Groß- uuternehmerthums" bezeichuen sich diejenigen Hand - werker, die für großkapitalistische Betriebe in der Hausindustrie oder sonst wie thätig sind. „Ver- sklawte Geschäftsleute" nennen sich diejenigen selbst - ständigen Gewerbetreibenden, die in Abhängigkeit und Botmäßigkeit von Kartellen, Trusts ober son - stigen großkapitalistischen Organisationen gerathen find. „Wir sind Zinssklawen der Hypotheken - gläubiger", jammern zahllose Hausbesitzer und kleine Laudwirthe. Die Agrarier, die „nothleideuden" Junker, die Großgrundbesitzer erklären, daß sie nicht Sems lind Lust dazu haben, „Sklawen der Börse" zu sein. Und sie verlangen vom Staate, daß er sie befreie von dieser Knechtschaft, daß nicht der Getreidespekulaut einen Theil des von ihnen beanspruchten Profites hinwegnehme. Auch die Stimmen mehren sich, die gegen die Versklawimg der Kunst und Wissenschaft sich richten, während auf der anderen Seite man sich bemüht, die Freiheit der Kunst und Wissenschaft zu ver - nichten. Die Politik der Mittelstandsretter ist in erster Linie darauf gerichtet, die Gewerbefreiheit zu be - seitigen oder wenigstens einzuschränken. Die ödeste Zünftlerei erhebt, begünstigt von einer reaktionären Gesetzgebung, wieder ihr Haupt. Neue Zünfte mit neuen Vorrechten werden geschaffen; um der Gegenwart und der Zukunft, der entwicklungsgesetz - lichen Nothwendigkeit nicht gerecht werden zu müssen, strebt man in's Mittelalter zurück. Man ist dumm und gewissenlos genug, sich aufzulehnen gegen die Freiheit der Entwicklung, ohne welche von Ausgestaltung der menschlichen Freiheit keine Rede sein kann. Insbesondere kann man, wie Lewinstein auch zugiebt, nicht davon sprechen, daß der Robot, die Frohupflichtigkeit, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts verschwunden ist. Er hat nur andere Formen angenommen. Abgesehen davon, daß die Staffe des arbeitenden Volkes dem Kapitalismus frohnpflichtig ist, haben unsere Junker es wohl verstanden, sich zu entschädigen dafür, daß sie auf Leibeigenschaft und Hörigkeit verzichten mußten. Diese Entschädigung ist zu sehen darin, wie sie sich das ganze kousumirende Volk tributpflichtig gemacht haben — in der Zollgesetzgebung, in ben „Liebesgaben", in ber ganzen reaktionären Wirlhschaftspolitik, die durchaus berechnet ist auf den Schmarotzer-Vortheil der Agrarier. Lewinstein berechnet, daß von den preußischen Steuer-zahlern allein dem Agrarierthum jährlich mindestens etwa 340 Millionen Mark dargebracht werden müssen. Zeitgemäß ist namentlich der Hinweis, daß alle Begnustiglmgen der Agrarier schließlich durch Arbeit aufgebracht werden müssen, und daß, wenn man, weit über die offizielle Annahme hinaus, den ortsüblichen Tagelohn mit M,. 2,50 in Ansatz bringt, zur Aufbringung jener Summe fast 136 Millionen Arbeitstage erforderlich sind, jeder Bürger also von seiner Arbeit jährlich 2,75 Tage, jeder Familienvater durchschnittlich 12,25 Tage opfern muß. So ist, wenn auch nicht in der bis zum Anfänge des 19. Jahrhunderts herrschenden Form, namentlich aber unter Ausdehnung auf die früher nicht dienstpflichtigen und hörigen Schichten ber Bevölkerung der Robot in Preußen wieder aufgelebt. Uebersehen wir auch nicht, wie energisch die reaktionären Elemente beflissen sind, es zu einer wirklichen Freiheit ber Schule und zu wirklicher Glaubens- und Gewisseusfreiheit nicht kommen zu laffen, wie sie all' ihren Einfluß daran setzen, die freie Entwicklung des Volksgeistes zn verhindern, die Volkserziehung zu einer Volks - dressur im Geiste bet Orthodoxie zu machen. Und endlich berücksichtige man alle jene Bestre - bungen, die dahin gehen, das Volk einem ver - hängnisvollen autoritären Größenwahn, der Weltmachtpolitik tributpflichtig zu machen; der Theorie vom persönlichen Regiment, mit dem Freiheit und Recht des Volkes sich nicht vereinbaren lassen, einem neuen Absolutismus, immer mehr praktische Geltung zu verschaffen. So steht es um die Menschenbefreiuug am Ende des neunzehnten Jahrhunderts! Aber es ist keine Ursache, zu verzagen. Der Geist des Menschthums ergreift immer mächtiger die Volks- maffen. Das ist Gewähr dafür, daß das neue Jahrhundert gewaltige Siege dieses Geistes, ein unendlich viel größeres" Stück Men scheu befrein ug sehen wird, als im neunzehnten Jahrhundert voll - zogen werden konnte. Spare man also die Be - zeichnung „Jahrhundert der Menschenbefreinng" mhig für bas kommende Jahrhundert auf. Die Kämpfe in China. Abermals lieyn Depeschen über das Schicksal bn Gesandten in Peking vor, Depeschen, welche sich natürlich direkt wibersprechen. Das Wolffh'che Tclc- graphenbüreau melde: aus Tientsin vom 24. Juli: Heute traf aus Peking vom 15. Juli ein Bote bei einem hiesigen Zollbeamten mit der Meldung ein, die Soldaten des Prinzen Tsching hätten gegen die Truppen des Generals Tung gekämpft und seien geschlagen worden. DieFremden vertheidigten sich in der nörd- lidien Kathedrale, in der Nähe der verbotenen Stadt. — Unter dem 4. Juli schreibt der cnglischeGefandte, daß die Gesandtschaften nnanfhörlich be - schossen würden und 44 Todte und doppelt so viel Verwundete hätten. Die amerikanische, englische, deutsche, russische und französische Gesandtschaft würden noch ge - halten. Der Entsatz sei dringend nothwendig, da die Provisionen nur für vierzehn Tage reichten iinb die chinesische Regierung nichts zum Schutze unternehme. Am 26. Juli traf in Tientsin ein Pferdeknecht des Freiherrn von Ketteler ein, der behauptet, am 9. Juli hätten die Gesandtschaften noch Stand gehalten. „Daily Mail" berichtet, der chinesische Dolmetscher, bergemeldet habe, baß die Mehrzahl der Mit - glieder der Gesandtschaften bei seinem Weggang ans Peking todt, und die Lage bet Ueberieben ben hoffnungslos ge - wesen fei, habe Peking am 8. JuU verlassen. — Die „Morning Post" meldet, Li-Hung-Tschang habe auf eilte vor zwei Tagen an ihn gerichtete Anfrage mit - getheilt, Sir Robert Hart sei noch am Leben. — Was von Li-Hnng-Tschangs Zuversicht zu haften ist, mag iolgende Depesche zeigen, welche Reuters Büreau aus Hongkong bringt: Ein Opiumfarmer erhielt ein Telegramm, das besagt, daß Li-Hung-Tschang nicht in der Lage sei, nach Peking weitcrzugchen. Er kehre nach Conion zurück, man erwarte, daß er auf der Rückreise Hongkong besuchen werde. „Daily Expreß" meldet aus Shanghai vom 26. b. M.: Ter englische Konsul erhielt die Nachricht, daß z w e i englische M i s s i 0 n s s r a u e n in Hsiaoi, nördlich von Shanghai, ermordet seien. Admiral Seymour ist in Shanghai eilige« troffen. Es heißt, daß die Kriegsschiffe „Centurion", „Ilndaunleb" und „Dido" in Wusung angekommen sind. In Shanghai liegen bereits die englischen Kriegsschiffe „Daphne", „Alaerity" „Hart" und „Woodeock", das amerikanische „Castine", das holländische „Holland", das französische „Surprise", und die japanischen Schiffe „Takao" und „Akaji". Die „Times" melden aus Tientsin vom 21.Juli: Bezüglich der Streitfrage wegen bet K0 n- troIe bet Eisenbahn ist cs richtig, baß bieselbe sich lediglich auf die Sektionen Tientsin und Peilung beziehen sollte. Oberingeniör Kinder traf mit dem chinesischen General ein Abkommen, bett, ben Schutz der über diese Sektionen biiiausftcgenden Strecke. Falls das Abkommen verletzt werde, ist die Zerstörung ber Linie unveruieiblich. Zwischen T s ch i f 11 und Taku soll schleunigst eine Kabclverhindung geschaffen werden. Aus der Mandschurei wird gemeldet, daß die Chinesen am 23. Juli neuerdings die Avantgarde deS mongolischen Detachements und das Fort Echo angriffen, aber mit großen Verlusten zurückgeschlagen wurden. Am 21. b. M. wurde, um die Beschießung bet russischen Dampfer zu bestrafen, bas chinesische Dorf Wauftchoton verbrannt, und der chinesische dort befindliche Posten beschaffen und Vertrieben. Von ben Chinesen wurden 10 Mann gelobtet und verwundet; die Russen hatten teilten Verlust. Von ber sibirisch-mongolischen Grenze Wirb unterm 22. Juli gemeldet, die Grenze werde durch Wachtposten aus der »osakenbevölkerung bewacht. In ben Bezirken Miitusinsk und Irkutsk sei die Bevölkerung mit Säbeln, Gewehren und Munition versehen worden. Im amutischen Militärkreise wird eine fünfte oftsibirische Echützenbtigade aus dem 17. Schützen- regiment, dem ostsibirischen 3., 8. und 10. Linienbataillon gebildet. Die Truppenkörper werden in drei ostsibirische Regimenter zu zwei Bataillonen iimgewanbclt und 18., 19. und 20. Ostfibirischcs Schützenregiment benannt werden. Nach Berichten aus Socul erhob die koreanische Regierung gegen die Anwesenheit russischer Flücht - linge in Wiju Einspruch, erklärte fich jedoch nach ber Audienz des russischen Vertreters benihigt unter ber Bedingung, daß die Flüchtlinge unverzüglich nach Port Arthur geschafft werden. * „Daily Telegraph" meldet au8 Tokio dorn 26. Juli. Wie berichtet wirb, ist eine japanische Truppen - abthe i l n n g bei Schanhaikwan an Lanb ge - gangen und hat einen großen Sieg errungen. Die französische Regierung hat bie Waffen« ausf uh r nach China unb dessen Nachbar - ländern verboten. — Ein gleiches Verbot ist vom englischen Oberhaus bereits genehmigt. — Auch ber amerikanische Schatzsekretär wies die Zolleinitchmer an ber Pacificküste an, die Ausfuhr von Waffen zu verhindern, bei ber bie Möglichkeit vor- licge, daß sie von ben Aufständischen in China zum Schaben ber Amerikaner verwendet werden könnten. — 9hir die deutsche Regierung scheint ein Waffen - ausfuhrverbot noch nicht für nöthig zu halten. Die Firma Krupp kann also, wenn sie dazu geneigt ist, ihren profitablen Handel mit China Weiter betreiben. Der „Daily Graphic" zufolge überreizte ber chine - sische Gesandte am 21. Juli dem englischen Aus - wärtigen Amte ein langes Telegramm, dos vom Kaiser von China hcrrührl und um die Vermitt - lung Englands nachsucht. Der Inhalt der Bot - schaft ist ein ähnlicher, wie ber Inhalt bet an bie ame - rikanische unb französische Regierung gerichteten Botschaft. Die englische Regierung hat noch keine Antwort auf bie Botschaft ertheilt; man ist ber Meinung, daß unter ben gegenwärtigen außergewöhnlichen Verhältnissen über ben genauen Ursprung bes Telegramms Zweifel obwalten müssen. Von der Weltbühne. Zu beut neuen FlotteitagitationSnitfug bc8 beutschen Flotten vereine nimmt die „Köln. Volksztg." Stellung. Wie wir dieser Tage mitgethcilt haben, geht der Unfug dahin, daß genannter Verein eS für angemessen hält, seinen Aufruf zur Sammlung von Spenden für bie Verwundeten unb Hinterbliebenen britischer Solbaten zu verquicken mit ber Forderung einer schleunigen erheblichen Vermehrung der deutschen Ruslan dsflotte durch Linien - schiffe und 5k r e u z e r, mit dem Verlangen nach ber schleunigen Schaffung einer Rolonialarmee, von der ein Theil dauernd in Ostasien ftationirt werden müsse, und mit bet Anlegung eines deutschen Kabel - netzes um das ganze Erdenrund sammt Rnlegestati 0 nen für bie Kabel, bie zugleich Flotten- und Kohlen st ationen sein müßten. Das rheinische Zcntrumsblatt bemerkt dazu: „Die Forderung der sofortigen Bewilligung und Jnangriff- nahiue der vom Reichstage gestrichenen SluSlandsschiffe wird offensichtlich mehr ans Feindschaft gegen daS Zentrum erhoben, als auS Ueberzeugung von der Nothwendigkeit dieser Forderung. Selbst ein so flotteuschwärmerisches unb „weltpolitisches" Blast wie die „Tägliche Rundschau" vermag trotz aller herzlichen Ab - neigung gegen bas Zentrum der Sache keinen Geschmack adzugewinnen. Die Regierung habe bas Zugesländiiiß der Streichung nun einmal gemacht, und zwar unter > Verhältnissen, in denen ähnliche Erfahrungen, tute Wir sie jetzt machen müßten, schon vorauSzujehen oder doch allermindestens üi den Kreis ber Berechnungen zu ziehen waren." Mag sein, daß die „Köln. VolkSztg." Recht hat. Aber der seitherigen Flottenpolilik des Zeistruius nach zn urtheilen, ist cs durchaus nicht unwahrscheinlich, daß cS den Forderungen z u st i m m f, wenn — sie an „maßgebender" Stelle erhoben Werden. Immer weiter in'S — Pcrhängnisi. In ber „Teutschen Kolonialzeitung" entwickelt Hermann von Wißmann bie Idee ber Gründung eines kolonial* Heeres, unb zwar eines ständigen, das jeder - zeit zur Verwendung in den Tropen und sonstigen überseeischen Ländern bereit stehen solll Wir ent - nehmen seinen Ausführungen das Folgende: „Für Nordchina ist der deutsche Soldat noch gut verwendbar. Sollten wir auch im Süden zu Lande, wo ja fast ein tropisches Klima ist, 'zum Fechten gezwungen werden, so würden wir wahrscheinlich auch Truppen z u H ü l f e nehmen müssen, bie tropischen KIimaten entnommen f inb. ,,Da aber biefe Truppen nur von einem weißen Personal ausgebildet und geführt werden sollten, so Wirb man, wenn man plötzlich unsere Koloniattruppen zu vermehren gezwungen ist, auch bafür Sorge tragen muffen, ein Führer- unb AusbildungSpersonal zu orga- niftren, bas man stets zur Hand hat: uud dies läßt sich sehr gut mit der Ausbildung einer europäischen Truppe für Verwendung in fremden Ländern ber - einigen. ,.?(n Mcnschcnmalerial für eine solche deutsche Stammtruppe werde es nicht fehlen. Zahlreiche Deutsche dienten in ber englischen Armee und in der französischen Fremdenlegion; in jedem Kriege, der auf dem Erdball auSgefochten werde, finde man sie in den Reihen fremder .Kolonialmippen. Als unbedingt erforderlich bezeichnet cs ber Verfasser, daß die Truppe in ihrer Löhnung und Verpflegung so gestellt wird, wie es durchaus nöthig ist, ähnlich der englischen Armee. „Schon die Stammtruppe in der Heimath muß sehr viel bester gelohnt werden als unsere Armee ; Wirb sie doch zum größten Theile aus schon gebienten Leuten bc- ftebeib bie sich auf längere Zeit, und nachdem sie schon ihre Pflicht dem Vaterland gegenüber erfüllt haben, zum Kriegsdienst melden. Für sie wird ber Kriegsbien st dann ein Bernt, ein Geschäft, das sie er- nähren muß, unb bei dem sie auch für ihr spätere» Leben gesichert Werben müssen." Wißmann meint, was auch den Eindruck starker Naivetät macht, „daß wir neben einer starken Marine auch einer Truppe bedürfen, bie überall aus bet SB eit, wo beutsche Interessen aus bem Spiele stehen unb bas ist fast in jedem Winkel unserer Erde ber Fall, verwendet werden kann". . „ H^rttche Aussichten l Der Kolonial-KrieaSdienst foU als Geschäft, da- feinen Manu ernährt be - trieben weiden, unb zwar „in fast allen Winkeln K 'li lreiftchi auch nur eine Konsequenz bet Wcttmachtpofttik, aber eine seht schlimmeI Den „kmibcsverräthcrischcn" Werftarbeitern "KHa mbutg rc. läßt auch die n 11ram0nf ane 0 l n. VolkS-Zt g." eine Vertheidigung an« gedeihen. Nachdem sie den Sachverhalt mitgetheilt, schreibt sie: „Offenbar sollten durch bie Vermehrung bet Zahl ber Arbeitslosen die Mittel zu ihrer Unterstützung desto schneller erschöpft und so die Ausständigen zur Unter- werfnng genöthigt werden. Bedeutete doch die Maßregelung allein für die Werft von Blohm u. Voß einen wöchentlichen Lohnausfall von jft 40000 Natürlich erreichte man zunächst das Gegentheil. Man erbitterte die gefammte Arbeiterschaft und stärkte bie noch beschäf- tigten Arbeiter in dem Entschlusse, keine Streikarbeit zu verrichten Jedenfalls müssen Wir ben in bet Ans- I p e r r u n g Tansenber von Arbeitern, bie zumeist noch Famiftendäter sein sollen, liegenden Terrorismus ebenso entschieden verurthellen, wie wir den Terrorismus berurtheilen, wenn et von Arbeitern geübt wird „Daß die sozialdemokratische Presse höchst entrüstet ist über d,e staatliche Werstverwaltung, die dar „Ham - burger Protzenthum" in seinem „Uebermuf^e" unterstütze, k«. I? t bo" selb st. Im Großen und Ganzen durfte biefe Entrüstung auch beut Gefühle ber Mehrheit • C entsprechen. Den erwähnten vier Arbeitern in Wilhelmshaven sollen von einem Bauralh Vorwürfe