Rr. 289^ 14« Jahrgang. AamvumerEcho. Da» „Hamburger <£dje" erscheint tätlich, äuget Montag». Du AbonuemeutSprciS (iiikl. „Die Neue Welt") beträgt: durch die Post bqogrn (Nr. bc» Post- fatntog» 3334) ohne Bringkgklb vterlcljahrllch M- 3,60; durch dik Rolpotlört tvöchcutl. 30 /ij frei iu'r Hau» Eiiizcluk Nuuuucr 5 4 SonutagS-Nuuuucr mit illustr. SuuutagS-Beitagc „Die Neue Welt" 10 4- Verantwortlicher Ncdaktör: Gustav WabcrSky in Hamburg. Mittwoch, den 12. Dezember 1900. Anzeige« werden die sechSgespaltcne Petitzeile oder deren Raum mit 30 4, für den ArbeitSmarkt, VermiethungS- und Familienauzeigrn mit 20 <4 berechnet. Anzeige» Annahme in der Expedition (bis 6 Nhr Abcitds), in den Filialen, sowie in sämmtlichen Annoncen-Büreaul, Redaktion und Expedition: Große Theaterstraßc 44 in Hamburg. l-ilirtlMi * Nord-St. Pauli, Eimsbüttel, Laugeufclde, Lokstedt und Eidelstedt bei Carl Dreyer, Velle-Alliancestr. 54, pt. (., Eimsbüttel. Hoheluft, Eppendorf, Groh-Borstel, Fuhlsbüttel, Ohlsdorf und 2. HIUU II ♦ Winterhude bei Ernst Großkopf, Lehmweg 51, Eppendorf. Barmbek, llhleuhorst bei Theodor Vetereit, Heitmannstraße 12, Barmbek. St. Georg, Hohenfelde, Borgfclde, Hamm, Horn und Srhiffbek bei Carl Ortel, Vaustr. 26, Hs. 8, 1. Etage, Borgfclde. Hammerbrook, Rothenburgsort, Billwärder und Veddel bei Rud. Fuhrmann, Schmabenstr. 33, Hammerbrook. Eilbek, Waudsbck und Hittschcnfelde bei Franz Krüger, Sternstr. 36, Wandsbek. Ältoua bei Friedrich Ludwig, Bürgerstr. 89, Altona. Otteusen, Bahreufcld, Othmarschen-Blaukenese bei Johannes Heine, Erdmannstr. 14, Ottensen. Hierzu eine Beilage. Die Erklärung des Schatzsekretärs. Freuet euch, deutsche Steuerzahler! Freuet euch über die Weihuachtsbotschaft des Schatzfekre- tärs v. Thiel in nun über die verblüffend schlechte Finanzlage deS Reiches und über die weitere Chiuaforderung von 100 Millionen! Es war eine Variation des Studentenliedes: Was fang’ ich armer Teufel an? Die Gelder sind verzehret; Mein Hab’ und Gut ist all' verthan, Der Beutel ansgeleert. Und daraus folgt der harte Schluß ... Daß ich nette Steuern fordern muß. Denn Anleihen, bereit Verzinsung übrigens auch durch Steuern aufgebracht werden müßten, seien nicht zu eiupfehlen. Ohne eine dauernde Verstärkuug der Reichshauptkasse sei aber nicht mehr auszukomitten, sagte Herr v. Thielmann, lind die ivarmen Köpfe der Khakipolitiker, die immer ver - sicherten, China müsse uns unsere sämmtlichen Kosten vergüten, kühlte er mit dem kalten Wasserstrahl ab: Eine Nückzahluug sei von China nicht zu erwarten. Eine liebliche Weihnachtsbescheerung! Enge» Richter schlug vor, die Einzelstaateu zur Deckung der Fehlbeträge heranznzieheu, wozu das Hanptorgan der Demokratie bemerkt, es märe nicht mehr als billig, wenn man den Einzelstaateu, die zum Theil über erhebliche Ueberschüsse verfügen (man beachte: zum Theil!), einen guten Prozent - satz der Kosten für eine Politik aufbürdete, der ihre Regierungen so bereitwillig zustimmten. Quidquid delirant reges, plectuntur Achivi: „Wenn die Regierungen Böcke schießen, müssen es die Stener- zahlcr büßen," die gar nicht gefragt ivurden, ob ihnen das Chinaabenteuer zusagt. Weiter wird eine Reichs-Einkommen- oder Reichsvermögensstener angeregt, „die wie keine andere geeignet sei, die potenten Kreise für so außergewöhnliche Bediirfttiffe heraintiziehen, tvie sie jetzt vorliegeti". Eben deshalb aber werden die hochpatriotischen „potenten Kreise" von ihr nichts wissen wollen. So oft eine solche vorgeschlagen wurde, so bei der Militärvorlage unter Caprivi, und bei der letzten Flottenvorlage, stieß sie auf den Widerstand der „potenten Kreise". Es kommt allemal wieder darauf hinaus, daß der breite Rücken der Massen herhalten muß, ob ihm auck) längst die Rippen krache». Weim der Stenerqnelle»fi»der des Zentrums, Müller-Fulda, keine neuen indirekten Steuern entdeckt, wird es wohl ans Erhöhung des Zolltarifs hinauslaufen. Das wäre dauu Wasser auf die Mühle der agra - rischen Brotwucherer und ihrer national- liberalen Helfershelfer, die verumthlich auch deshalb sich für Erhöhung der Getreidezölle erklärt haben, weil dieser Schutzzoll (Schmutzzoll wäre richtiger) zugleich als Fiuauzzoll wirkt, dem Fiskus höhere Eiimahmeu znfiihrt und also auch ein Schutzzoll ist für die großen Kassen der Kapitalisten, die er vor Zuschlägen zu den direkten Steuern schützt. „Der Kutscher muß uüchterit fein," sagt ein Sprichwort; er muß nüchtern fein, auch wenn die Passagiere betrunken sind. In dem China- Abenteuer war aber der Kutscher der von der Welt - politik Berauschte. Wir meinen natürlich nicht den alten Hohenlohe, der sozusagen als Hohenloheu- flrin sich davon machte, als Elsa Reichstag kam, „zn befragen und Wissens Sorge zu tragen". — sondern den Macher der Chiuapolitik, Bernhard v. Bülow, der schon in der Mariuedebatte, als die Wirren in China noch fest schliefen, seinen welt - politischen Trank brnitte, der von den Offiziösen, Flotteuprofessoreu und anderen Wassersüchtigen so eifrig verzapft wurde, um die Bevölkerimg gleichfalls trimken zu machen. Die Erklärung des Herrn v. Thielmaim wird wohl eine starke Ernüchterung der Weltpolitiker beimrft haben, schreiben die Blätter. Wird sie daS wirklich? Schwerlich mehr als einen geringen Brnchtheil derselben. Die Fata Morgana, die ihnen goldene Hesperideuäpfel in künftigen Zeiten, nach Beilegung der Wirren, vorspiegelt, schwebt der groß - kapitalistischen Phantasie noch immer vor, wenn auch vielleicht etwas verblaßt. Aber mundus vult decipi, wie Laeisz sagt: „die Weltpolitiker wollen ge - täuscht fei»/' Hinlänglichen Grund zur Erttüchtermtg giebt nicht allein die finanzielle Seite. Die aus China kommenden Berichte über die Unbilden des Landes, moriinter unsere Soldaten zu leiden haben, sind derart, daß sich bei deren Lektüre das Herz zusammenkrampft, auch wenn man nicht an Hyperseiititneiitalität leidet. Der Berichterstatter der „Frankfurter Zeitung" in Tientsin klagt in seinem jüngsten Bericht über die bösen Sandstürme, die Wandel und Verkehr in Stockung bringen, weil die vom Winde mit furcht - barer Gewalt gepeitschten Sandkörnchen in die Augen stechen, daß diese in einem Moment blutunterlaufen und Rase tiiib Mund in wenigen Minuten mit Sand gefüllt sind. Schlimmer noch seien die unberechenbar anftretenben kalten Winde und Regenschauer und die trostlose» Wasserverhältiiisie, denen einzig und allein zuzuschreiben ist, daß weit über 30 Prozent aller Soldaten an Ruhr, Rheumatisnins oder Fieber er - krankt sind. In Peking stirbt, nach der Aussage eines Offiziers, täglich durchschnittlich ei» Pta»» pro Bataillon. „Rechnen wir, daß jetzt acht Bataillone deutscher Truppen in und um Peking stehen, so würde demnach in 100 Tage» der achte Theil der Truppen, gleich einem ganzen Bataillon, zwar nicht dem tvaffen- tragenben Feinde, aber dem schlimmeren, dem Klima, zum Opfer falle» müssen! Dabei sei mit Sicher - heit anzniiehme», daß die Verluste mit Ein - bruch des Winters wachsen werden." Eine Rache- und Strafexpedition haben wir nach China gesendet. Die Gestraften aber sind — wir selber. Von der Weltdnhne. 8t«d 6cm Reichstage. Berlin, 10. Dezember. Die Stimmung, welche heute, bei Beginn der ersten Bercithuug des Etats, unter 6en_ MchrheitSpartcien herrschte, läßt sich schwer schildeni. rf Gelegenheit, um eine nicht ii .. iS- genrbeitete Rede zu halten. In schön sl n ‘en Sätzen erklärte er, daß er den Ausbruch des Krieges bedaure, und daß es sehr schön wäre, wenn die Sache durch ein Schiedsgericht erledigt werden könnte. Verlaufe die Angelegenheit zu Aller Zufriedenheit, dann können wir schon jetzt die feste und bestimmte Versicherung geben, daß wir uns darüber freuen wollen. Mehr thun können wir nicht. Durch das Wettrüsten sind Situationen ge - schaffen, die leicht zu E-xplosionen und Weltbrändeu führen können. Wäre Krüger nach Berlin gekommen, fo hätte er ihm nur unverbindliche Höflichkeiten sagen können, Höflichkeiten, die Krüger und den Boeren nichts genützt, unk ober vielleicht geschadet haben würden. Durch die schwungvoll vorgetragene Rede waren die Liberalen fast in Verzückung gerathen und nun konnte die Sitzung, die mit der trüben Zukunftsmalerei be - gonnen hatte, vertagt werden. Der neue Reichskanzler repräseutirt nur eine neue Stummer des alten Zickzackkurses. Seine gestrige Rede gegen die Politik der „Intervention" und für die Politik der „Mediation" steht ebenso im Widerspruch zu den früheren Thaten der deutschen aus - wärtigen Politik wie der von ihm ausgestellte „Grundsatz", daß die Politik eines großen Landes in kritischer Stunde nicht von Eingebungen des Gefühls beherrscht werden darf. Grade in der zur Debatte stehenden Transvaal- frage find vor etwa 5 Jahren Eingebungen des Ge - fühls für eine Politik maßgebend gewesen, die dem Anfang einer Intervention in dem Sinne, wie Gras BÜlo w sie aufsaßt, ganz unzweifelbaft sehr ähnlich sehen, lind das war nicht der einzige Fall. Auch gegen - über Japan griff Deutschland gemeinsam mit Rußland und Frankreich in interbenirenber Form ein unb hals dazu, den Javanern die Beute aus ihrem siegreichen Kriege gegen Edina abzujagen, die bann mühelos Ruß - land in den Schooß fiel. Die .Intervention" richtete sich in Ostasien gleichermaßen wie in der Transvaalfrage gegen England. 1896 erklärte der Vorgänger des Grafen Bülow im StaatSfefretariat des Auswärtigen, Frhr. v. Marschall, daß jede Veränderung 'der staatsrechtlichen Stellung Transvaals die deuffchen Rechte schwer beeinträchtige unb daß bak Deutsche Reich sich nicht der Pflicht entziehen könne, diese „legitimen In - teressen" zu schützen. Hätte Graf B ü l o w schon damals den Platz des Staatssekretärs innegehabt, er würde ver - muthlich ebenso gesprochen haben, beim es galt, bas Eingreifen deS Kaisers in die Transvaalfrage durch das berühmt gewordene Telegraimu an den Präsidenten Krüger zu rechtfertigen. Heute haben wir ein deutsch- englisches Abkommen unb heute bebeutet man Krüger höflich, nicht nach Berlin zu kommen, weil ihm bas boch nichts nützen, uns aber schaden könnte. Was vor fünf Jahren von allen Patent - Patriotm bejubelt wurde, das ist heute in den Augen des Grasen Bülow eine D o n q uich o t eri e. Wir haben unS auch in den Tagen der hochge - henden Englandhetze, als die deutschen Dampfer beschlag - nahmt wurden, von der Theilnahme an dieser Hetze ferngehalten unb es vernünftig gehmben, daß die Re - gierung sich nicht von bet Überschäumenbm „patriotischen" i'rregung zu Thorheiten fortreißen ließ, fonbem ben Kopf kühl behielt. Aber bannt ist nicht aus bet Welt geschafft, was vorher geschehm ist. Unb wenn die „Staatsmänner" es verstehen, sofort einzuschwenken, wenn der politische Wind au maßgebender Stelle plötz - lich aus anderer Richtung weht, so dürfen sie sich doch nicht wundern, daß große Dolksmaffen nicht so schnell ihre Auffaffiing änbern und dafür auch gleich „Gründe" bei der Hand haben. Im Uebrigen ist die Bülow’sche Rede so recht geeignet, einmal wieder das U n ft ä t e in unserer Reichspolitik in’s rechte Licht zu rücken. Die Schuld trint unsere Staatsmänner, die entweder nicht die Fähigkeit ober ben Muth haben, den Anforderungen eines großen, konstitutionell fein sollenden Staatswesens gerecht zu werden. Der neue Reichs - kanzler trägt ja selbstverständlich nicht die Verant - wortung für Das, was seine Vorgänger gethan haben Aber bas ist ja eben das Schlimme an ben beutfdjen politischen Zuständen, daß die politische Rich - tung fprungartig wechselt, ohne Rücksicht auf die Volksstimmung und oft ohne Berücksichtigung der wirklichen Interessen des Volkes und des Landes. Bei so sprunghafter Zickzackpolstik, die sich für die wechselnde Stimmung den wechselnden Mann sucht, ist natürlich die einzig m ö g l i ch e Art einer Intervention, wenn sic nicht die Gefahr kriegerischer Verwicklung bringen soll: die gemeinsame Intervention der europäischen Großmächte gegen offenbares Unrecht und eine frivole Vergewaltigungspolitik einer derselben ein Ding der Unmöglichkeit. Tie Chinavorlage wird in diesem Jahre nicht mehr erledigt werden. Wie bereits mitgetheilt, hat die Büdgetkommission sich bis nach Neujahr vertagt, ohne die Vorlage zu Ende berathen zu haben. Rückständig sind noch die Fragen wegen der Gewährung von Pen - sionen, hinsichtlich deren in der Zwischenzeit ein Ge - setzentwurf der Regierung erwartet wird. Fenier find nicht erledigt worden die Anträge des Abg. Richter, -.... ...; ... i cujjuctat»; 'mäßiger Ausgaben beziehen und eine schärfere Kontrole beS Reichstage? kwzw ein Klagerecht deffelben ermöglichen sollen. Endlich ist nicht erledigt worden die vorn Zentrum eingebrachte Resolution, welche aufforbert, in dem Vertrag mit China bie Freiheit ber christlichen Religionsübung anszu- bebingen. Tie Beschlüsse, welche bie Kommission am Montag noch gefaßt hat, können leicht verhängnißvoll werben. Ter Bcstimmnng über bieAnflösnng ber verfassungs- toibrig gebilbeten Truppentheile würbe „nämlich in fol- genber Form angenommen: „Die nach China cnlfaubtcn Truppenkörper, für welche eine gesetzlicheBasiS nicht besteht ober nicht zurnZwecke bauernber ober vorüber - gehender Besetzung chinesischen Gebietes geschaffen wird, sind, sobald sie i h r c A u f g a b c in China erfüllt haben werden, aufzulösen. „Die nach. Deutschland zurückkehrenben Offiziere, Unteroffiziere, .Kapitulanten, Mannschaften unb Beamten ber Expeditionskorps werben, soweit sie nicht sofort in offene etatsmäßige Stellen einrücken können, zunächst überetatSmäßig verpflegt unb rücken beim Freiwerden von etatsmäßigen Stellen in solche ein." Für bie Regierung, bie bas Bebürfniß hat, eine baucrube Kolonialarmee zu schaffen, ist bas grabezu ein Wink, sich nicht zu geuiren unb nur dreist zu fordern; die Mehrheit ist zum Bewilligen bereit Die Widerstands - fähigkeit der bürgerlichen Parteien gegen die immer bedenklicheren Ansprüche der Weltpolitik ist also vollständig gebrochen. In ber Frage ber Kostendeckung hat der Schreck, den der ReichSschatzsekretär den bürgerlichen Politikern eingejagt hat, nur die Wirkung gehabt, daß die 153 Millionen von bet Kommission bewilligt würben, ohne sich ben Kopf barüber zn zerbrechen, was im All - gemeinen ans ber Reichsfinanzwirthschaft bei diesen fort - gesetzten Riesenpumpen werden soll. Es wurde zwar ein neuer Paragraph cingcfügt, wonach Verkaufs - erlöse für entbehrlich werdende Gegenstände (vielleicht für das berühmt gewordene Walderfee’sche ASbest- haus?) und sogar Eimtahmen aus der Veräußerung von Kriegsbeute und ans örtlichen Kontribu - tionen in Anrechnung gebracht werden sollen. Aber das bürste verteufelt wenig cinbriugrn. Auch Ent - schädigungen, welche für bie Kosten ber Expebition ober für allgemeine Benachtheiligimgen beS Reiches ge - zahlt iverben, sollen zur Vermiuberung der Reichsschnld verwendet werben. Das ist jeboch eine Zukunftshoffnung, die selbst dem ReichSschatzsekretär sehr problematisch er - scheint. Müller-Fulda zog seinen Antrag zurück unb forderte erneut eine Schaumwein- unb eine Saccharin« teuer. Genosse Bebel ging mit ber Reichsfinanz - politik im Allgemeinen und mit ber Finanzkuust. des Zentrums im Bcsonberen scharf iu’s Gericht. Er fiihrte ans: Die Ausführungen bes Staatssekretärs Thielnranu über bie ungünstige Finanzlage scheint einen Angst- unb Noth schrei zu bedeuten, der an den Reichstag gerichtet ist und uns sagt: Seid vorsichtig. Dem Drängen au gewißen Stellen nach bestimmten neuen, lotet« chichtigen Unternehmungen vermögen die Regierungsstellen chwcr zu widerstehen. Der Reichstag hat bie Aufgabe, biefeu Widerstand zu leisten. ES ist ganz falsch, ba8 Reichs-Schatzamt wegen ber ungünstigen Finanzlage zu beschulbigen. Der Reichstag allein trägt die Schuld, daß wir rapide dem Bankerott e n t g e g e n g c h c n. In fünf und sechs Jahren werden wir nicht mehr aus noch ein wissen. Die 80 Milliouen- Anleihe ist boch nur burch bas China-Abenteuer nöthig geworben, bas burch bie (aufenben Einnahmen nicht bezahlt werben könnte. Es liegt auch in biefer Beziehung ein durchaus verfassungswidriges Ver - fahre uderReichs-Fin anzver waltu ng vor. Aber bie maßgebenben Parteien schließen hier bie Augen, während in Wirklichkeit hier ebenso, wie in den anderen von uns behandelten Fragen, eine Judemnitäts- ertheilung nöthig wäre. Wenn Sie eine Saccharin- und Schaumweinsteuer macheu, fo wäre das ein Tropfen ans dem heißen Stein. Greifen Sie doch zur Brannt - wein-Liebesgabe, zu den Zuckerprämien, da hoben Sie gleich 75 Millionen, welche baS Volk lieber bann an ba8 Reich gezahlt sieht, als an bie privaten Nutznießer. Ferner sinb wir bmchanS bet Meinung, daß, da Entschädigungen von China gar nicht ober nur wenig einkommen, die neuen Summen durch eine besondere Kriegs st euer aufgebracht werden müffen. Diejenigen Kreise müssen getroffen werden, bie sich am lautesten für den Chinazug begeistert haben. Es Es muß eine progressive Einkommensteuer in Verbindung mit einer Vermögenssteuer ge - schaffen werden. Das Reich wird von selbst zur Ein - kommensteuer schließlich greifen müssen, wenn das Ver - sprechen dcS Zentrums verwirklicht werden soll, daß die zu erwartenden höheren Einnahmen anS der Zollgesetz - gebung für Arbeiter-Wohlfahrtszwecke verwendet werden sollen. Ich mache insbesondere die Zentrumspartei verantwortlich für bie ganze gegen - wärtige Finanzwirthschaft. Man kann bei - nahe Respekt bekommen vor den Nationalliberalen. So schlimm haben diese cS denn doch nicht getrieben wie jtgt bas Zentrum; allerbings machen sie jctzi mit dem Zentrum alle diese Uugcheuerlichkeucu mit. Sehr üble folgen werden aus der jetzigen Finanzlage erwachsen beim Abschluß derHandeksverträge. Man wird vcrsnchm, möglichst viel aus Zöllen für baS Reich hcreinzubringen unb Hierburch wirb bie Wirthschafstiche Entwicklung wiederum in hohem Maße gehemmt und damit werben auch bie Reichsfinanzen weiter erschwert." Auch Herr Bachem vom Zentrum gab zu, daß bie Finauzwirthschast immer fehlerhafter werbe unb daß das beliebte Verfahren, Gelder, die für andere Zwecke bewilligt sind, für den Ehinarumuiel zu verwenden, eine eklatante Verfassungsverletzung sei. Aber nach all ben mehr ober minder schönen Reben wurde der § 1 in der Fassung der Regierungsvorlage ange - nommen und über die Tilgung der bewilligten ■H. 15 277 000 nichts beschlossen. Auch ein Antrag Richters, welcher bestimmt wisfcn wollte, daß weitere Koste n der China-Expedition in den folgenden Jahren rechtzeitig auf den Etat zu bringen sind, wurde abgelehnt. Die Mehrheit der Komiuiffion hat offenbar das Bedürfinß, au die Folgen ihres Be- willignngseifers recht wenig erinnert zu werben. Tic Mohrcuwäschc wird fortgesetzt! Die S ee-B cru f s g en o f se n s ch af t hat soeben gegen Raabs Broschüre „Die Nothflagge weht!" eine Vcr- theidiguugsschrift erscheinen lassen, bie wir nächstens ein - gehend besprechen werben. Der famose Brief be8 Rhederhäuptlings LaeiSz mit dem herrlichen Motto: „Mundus vult decipi!“ kommt darin allerdings noch nicht zur Erörterung; einstweilen versuchen die Leiter der BerufSgenossenschasi, sich von älteren Sünden zu reinigen. Tie Vertheidigung des LaeiSz übernimmt vorläufig einer seiner Genoffen von der See-Berufsgenoffenschafl Persön - lich, ein Herr Rnd. H. Mever in Papenburg. An die „Köln. Dolks-Ztg." richtet er ein Schreiben, in welchem er ben LaciSz-Brief als harmlos darstellt, fo harmlos wie — die Unfallverhütungsvorschrifteul Herr Meper meint, der Brief kaffe auch eine harmlose (daS LieblingSwort ber Rheber, wie eS scheint!) Auslegung zu, und deswegen, meint er, „muß der Unparteiische meines Erachtens billigerweise anS den Thaten des Verstorbenen folgern, welche Auslegung bie richtige ist, denn „an ihren Werken werbet ihr sie erkennen" — ein zufällig auch recht unglücklich gewählter AuSbruck kann unmöglich als Beweis für die llnehrenhastigkeii eine- Mannes anerkannt werden, der durch seine Thaten den vollen Gegenbeweis der Ehrenhaftigkeit liefert". Die Thaten des Herrn Laeisz? Von krgend- wollte, kam ihr der Anton in den Sinn, unb daß sie ein armes, eheverlasseneS Weib sei, defsen Mann sich als Lump in ber Welt umhertreibe — unb gleich legte es sich wie ein schwarzer Schleier über ihren Frohsinn. Zuweilen, wenn sie ein besonbers gutes Geschäft gemacht unb bie Goldstücke in ihrer Tasche klimperten, faßte sie sich zweifelnd an bie Stirn ober kniff sich in den Arm, ob sie eS denn wirklich sei, bie arme Leine» wcbers-Aimemarie, bie Frau des iDcggelaufenen Flick - schneiders KrapS, die Tochter der blutarmen Wäscherin, die noch vor einem Jahr dem Hungertod in’s Auge ge - blickt hatte. Und es kam wohl auch in der ersten Zeit vor, daß sie ihre Schritte statt nach dem vornehmen, großen Haus auf dem Marktplatz nach dem Heinen Leine- webcrhäuSchen richtete und dann lachend umkehrte. Aber eines TageS fand sie daS alte Heim nicht mehr Por, die Eisenbahnleute hatten es niebergeriffen. * * „Halloh! Wenn ich bis Bergau mitfahr', was kost's?" Der Fuhrmann musterte ben Rufer, bann hielt er an. Er führte keine Kostbarkeiten, bic bes Raubens werth waren, mit sich, nur Steine unb Eifenschienen, sonst hätte er nicht lange mit bem Weiterfahren gefackelt, denn im Bergauer Watb gab's Gesindel, dem nicht zu trauen war. „Steig' auf l" brummte er zwischen bett Zähnen, mit denen er eine Thonpfeife hielt, aus der er mächtige Wolken in die Lust qualmte. „Verdammtes Wetter l" sagte der Fremde, und er mochte es wohl bitter emftnben, da sein Rock bis auf die Haut durchnäßt war. „Seib Ihr au8 Bergau?" fragte er, als er, in eine wollene Decke eingewickelt, neben dem Fuhrmann saß. „Ah na, das grab netl Ich bring blos a Fuhre hin." „Und bekannt seid Ihr dort auch nicht ß" „Ah na, daS grab au netl* Sie saßen Beibe eine ganze Weile schweigenb neben einander. Der Regen klatschte unaufhörlich in ihre Ge - sichter ; der Wald schien kein Ende zu nehmen, so un - geduldig der Fremde auch mit den Füßen klopfte. Die Nacht brach herein, unb immer waren sie noch weit von Bergau. „Die Rösser laffen sich Zeit." „Hm, bie Last ist schwer. A verteufelter Walb in der Nacht!" ließ sich der Fuhrmann vernehmen, schwieg aber cingeschiichtert, als fein Begleiter spöttisch sagte: „Die paar Bäum' da?! In Kalifornien haben wir Wälder, mehr alS vierzig Meilen lang. Well I* Wieder ging eS eine Weile weiter, bis sich plötzlich der Wald in eine weite Lichtung öffnete; Stecker unb Wiesen breiteten sich zu beiben Seiten aus. Der Monb stieg auf unb beleuchtete bas blaffe Gesicht beS Mit- fahrenben. ES war ber Aiston, ber Anton KrapS, ber nach zweijähriger Abwesenheit heimkaiii zu feiner Anne - marie. In A. hatte er den Omnibus verpaßt unb sich zu Fuß ausgemacht, bis ihn ber Regen überraschte. Aber nun waren sie halb am Ziel, wie er sich mit einem tiefen Seufzer sagte. Das war nämlich ein Reinfall gewesen, daS Amerika, ein berbammter Reinfall mit Hunger, grober Arbeit, gelbem Fieber und Monate langem Zkrankeuhaus. Dagegen war'S im LeineweberhäuLchen wie im Himmel - reich. Wenn er nur erst wieder b'rin faß, warm unb behaglich bei ber Annemarie, die ganz närrisch vor Freud’ war unb ihn halb tobt büffelte, ja, dann war Alles wieder gut. In der Vorfreude zündete er sich eine Zigarrette an; aber daS rechte Wohlbehagen wollte nicht kommen, obwohl es jetzt zu regnen aufhörte. „Wie spät ist’S jetzt?" fragte er, da ihm feine Uhr — so nahm er sich vor, zu Annemarie zu sagen — gestohlen worden war. Der Fuhrmann schaute ihn mißtrauisch von bet Seite an, ohne bie faustgroß, Silberne vom Großvater her anS der Tiefe seiner Westentasche hervorzuholeu. Man konnte nie wissen „Bald Neune I“ erklärte er bestimmt. „Gleich sein m’r da." Unb richtig, da fing es bereits zu stoßen unb zu holpern an; kleine Häuschen tauchten rechts unb links aus der Dunkelheit auf, matte Lichtstrahlen fielen au8 ben Fenstern, Hunde bellten Allmälig wurden die Häufer größer, Kinder huschten vorbei, die sich noch den letzten Abschiedsklaps versetzten, Gelächter und Plaudern drang aus den geöffneten Hausthüren — sie waren in Bergau. In Bergau! Anton schaute mit großen Augen in die halbe Dunkelheit, seine Mundwinkel zuckten unb das Athmeu würbe ihm verteufelt schwer. „Laßt mich jetzt obsteigen," bat er, und seine Stimme klang heiser. Er brückte dem Mann einen Groschen in bie Hanb unb lief fort, grabeauS bis auf den Markt - platz. Da blieb er stehen unb schaute, ben Hut fest übet daS halbe Gesicht gezogen, daß ihn Niemaub erkennen konnte, seiner Elteni Haus an. Die Mauer, oii bie er sich lehnte, stieß an ber verstorbenen Binderin Haus, ober baran dachte der Anton nicht. Es war ihm so sonderbar, daß dort seine Elteni saßen unb vielleicht von ihm sprachen. Nichts Gnies wahrscheinlich. Unb sieh nun that sich sogar bas Fenster auf. — Schnell zurück' sonst sah man ihn I Der Vater war'S. Die Brille er auf der Glatze sitzen, unb wie früher w.llchie er" sich baran, bie grünen Läden zu schließen, die von innen mst entern Sisenstift befestigt wurden. Vorher schaute er noch "ach dem Htmmel und prophezeite zu morgen gutes Wetter. Unb jetzt — Anton zuckte zusammen — rief eine frostige Frauenstimme, ber Mutter Stimme — unter Taufenden hätte er sie erkannt: „Hat d’ Schwiegertochter no Licht?" „Bewahr',* antwortete der Later, und im die Läden an. Gfortfefrxug fcXgQ