Nr. 78. IC. Jahrgang. Freitag, den 4. April 1903 Anzeigen werden die sechsgespalteiie Pelit-eile oder deren Naum mit 30 4, für den Arbeitsmarkt, Vcrmicthnngö- nnd Faniilienanzeigcn mit 20 4 berechnet. Anzeigen -Annahme in der Expedition (bis O Uhr AbendS), in den Filialen (bis 4 Uhr Nachmittags), sowie in sämmtlichen Aimoncen-Bürcau». Redaktion nnd Expedition: Fchlandstratze 11 in Hamburg. i - lih 3-, PnrI Qenicnbow, Seilerstr. 29, Hochprt. Nord-Tt. Pauli, Eimsbüttel, Laugeufelde, bei Carl Dreyer, Margareihenstr. 48, Eimsbüttel. Hoheluft, Eppeudorf, («rotz-Borftel und f ilinlCIK flöhtutiiü bei (Sruft Wrofif opf Lehmmeg 51, Eppendorf. Barmbek, tthleuhorst bei Tbeodor Petereit, Heitmannstr. 12, Barmbek. Tt. Georg, Hoheufelde, Borgfelde, Hamm, Horn und Schusbek K Q.. 1 Ortel Banstr 26 No ralde Hammerbrook, Nothcuburgsort, Billmärder nnd Beddel bei Rttd. Fuhrmann, Schwabenstr. 33, Hammerbrook. Gilbek, rvaudsbek lind Hinfcheuselde bei Franz Krüger, ©tevnstr 3h' Wandsbek Altona bei Friedrich Ludwig, Bürgerstr. 118, Altona. Ottensen, Bahreufeld bei Johannes Heine, Erdmannstr. 14, Ottensen. Flottbek, Othmarschen Blaukeuese bei H. Braunschweig, Nlenstedten Das „.Hamburger Echo" erscheint täglich, ouher Montagr. Der AbouuementSpreiS (inst. „Die Neue Wett') betragt: durch dre Post bezogen (Nr. der Post- katalogs 3273) ohne Bringegeld viertelt M. 3,60; durch du «olport^e wbchentb »0 4 fru m » Hau». Einzelne Nummer 6 4. Sonulags-Nummer mit lüiiflr. «onnIagsbetlagc„D,e Neue Welt 10 4. Verantwortlicher Ncdaktör: Gustav Wabcrskh in Hamburg. Hierzu eine Beilage. Der lange Möller und die Kartelle. Seit längerer Zeit schon rumort es in der „hohen" Politik gegen die Syndikate, die Ringe nnd die Kartelle der Großindustrie. Die Preis - treiberei dieser Gesellschaften schröpft nicht nur die Wolksmassen, sie beginnt auch Staatsinteressen zu beeinträchtigen. Die Preise von Kohle und Eisen sönnen den Regierungen nicht gleichgültig sein. Aber nachdem die Berge gekreißt, kam ein kleines Mäuslein zur Welt. Es war tvohl Niemand so optimistisch, von dem Klassenstaat ein entschiedenes nnd energisches Einschreiten gegen die Kartellwirth - schaft zu erwarten. Von Seiten des Reiches ist nichts geschehen. Dagegen hat das preußische Handelsministerium die Angelegenheit in die Hand genommeii. Daß der lange Moller den Groß- lndnstriellen nicht allzu tvehe thun lviirde, war voransznsehen und die Kartellisten mögen sich be - ruhigt gefühlt haben, als sie vernahmen, daß grade er dazu ausersehen sei, zu nutersncheu, wie weit das Treiben der Kartelle den Gesammtinteressen des deutschen Volkes zuwidcrla'uft. Sollte die Sache überhaupt einen Zweck haben, so niiißte eine gründliche Untersuchung des ganzen Kartellwesens angeorduet tverden. Die Behörden müßten den Auftrag erhalten, die ganze Geschäfts- gebahrmig der Kartelle nnd deren Wirkung klarznlegen. Freiwillig tverden sich die Großindustriellen zu so etwas nicht versteheii; es Ivar also der Zwangsweg anznwcndeii. Darüber wäre wohl außerhalb der engen Interessentenkreise Niemand in Aufregung gerathen. Aber so grimmig ist der Herr Handelsminister Möller nicht. Er veranstaltet nur eine bescheidene „Umfrage"; die Industriellen bleiben dabei ganz unbehelligt und die Herren Regienmgsprnsidenten sollen auf Grund ihrer Akten berichten. Dabei wird grade in Bezug auf die springenden Punkte nichts heranskonnnen, denn die Kartellisten haben doch sicherlich kein Sutereffe daran gehabt, die Re- üi mreGescha; o-gehemmtste ein« zuweiheu. Es wird also illchts bei der Sache her- autzkommeu, oder so wenig, daß ein gesetzgeberisches Vorgehen darauf nicht begründet werden kann. Die Politik der Kartelle, die darauf hiiiaus- läuft, durch Preistreibereien das konsiimireude Publikum noch mehr zu schröpfen als bisher, scheut bekanntlich vor bedenklichen Manövern nicht zurück. Sie sind es, welche die in Deutschland prodiizirteii Waaren an das Ausland billiger absetze», als au das Inland. Dieses in Wahrheit „vaterlandslose" Gebahren hat schon lange Eiitrüstmig hervorgernfeu. Aber was kümmert das die Macher der Kartell - politik, die mir den einen Zweck im Auge haben, möglichst viel Kapitalprofit einznstreichen. Ob das ans Kosten des Staates oder der Aermsten der Armen geschieht, ist ihnen vollkomuteii gleichgültig, wenn mir „das Geld im Kasten klingt". Sie suchen die aufgeftapelteu Waaren billig zu exporüren und dadurch für den heimischen Absatz eine Preis - diktatnr — wenn dieser Ausdruck gestattet ist — zu erzielen. Um dies zu erreichen, brauchen sie selbstverständlich eine chinesische Zollmauer, und da der Zolltarif trotz aller sich gegen ihn erhebenden Schwierigkeiten doch immer noch als drohende Wolke am politischen Horizont schwebt, so haben die Gegner der Hochschntzzollpolitik die nahende Gefahr, die eine doppelte ist, wohl erkannt. Zn der enormen Preis - steigerung der landwirthschaftlicheu Erzenguiffe käme dann noch die weitere einer vielleicht noch größeren Steigerung der Preise der industriellen Erzengnisse. Die „Umfrage" des Herrn Möller wird die Gegner des Zolltarifs schwerlich zu beruhigen im Stande sein. Die Kartelle und Syndikate haben einen zwie- schlächtigeu Karakler; sie zeige» sich von einer — sagen wir „idealen" nnd von einer grob-materiellen Seite. Die „ideale" Seite läßt uns erkennen, daß auch in der heutige» kapitalistische» Gesellschaft durch solche Vere'mignngeu gewisse wirthschastliche Vortheile erzielt werden sonnten. Ma» konnte einigermaßen den Bedarf der Gesammtheit bestimmen nnd die tollste» Auswüchse der Ueberprodnktiou verhüten.. Die Krisen würde» dadurch weniger empfindlich. Optimisten meinen sogar, es könnte de» Kartelle» solchergestalt die historische Aufgabe zufalle», die A»arch!e i» der hentigeii Produktion und aus dem Waareumarkt zu beseitigen ober zu mildern und so den Uebergang in eine neue Produktionsweise, die im Wesentlichen aus ben Großbetrieb gegründet sein muß, vorzubereiten. Das wäre zu schon — in Wirklichkeit stellt sich die Sache leider ganz anders dar. Das moderne Kapitalifteiithiini flimmert sich um diese „ideale" Seite der Kartelle gar nicht. In der Haud der großen Unternehmer sind die Kartelle uud Ringe nur eine Art Nachfolger der berüchtigten Aufkaufs- nnd Preissteigerimgsgesellschaften, die in Deutschland vor vierhundert Jahren so großes Un - heil angerichtet haben. Dabei sind allerdings wesent - liche llnterschiede vorhanden. .. . 3 " b f e ‘‘^ re ? i ‘ sle11 DßH Kaisersberg wurden • e f r ,e !’' b,e d->- Handel monopolisirteu, m schärfster Wege gegeißelt. Sie triebe» es aber auch arg, trotzdem sie meist ans ,guie» Christe»" bestanden. Sie brachten de» ganzen Gewürzhandel in ihre Hände, ^imd sie wucherte» mit Brot, Fleisch n»d SBehi. „Sie machen Hunger und Theuerung nnd töbten arme Lens," sagt der erwähnte berühmte Prediger von ihnen. Gradezn ui,glanbliche Gewinne wurden erzielt, aber auch eine miglanbliche Noth verursacht. Und ein anderer Schriftsteller sagt: „Es ist znm Sprichwort geworden, daß die Kaufleute innerhalb der städtischen Manern und in ihren Häusern jetzt ungestraft treiben, was ehemals die Raubritter mit Gefahr ihres Lebens thaten, nämlich die Menschen um ihr Geld berauben." So weit war es damals gekoniinen. Es ist heute nicht so schlimm, aber schlimm genug. Die Reichsgewalt ließ sich zum Einschreiten be - wegen, und zwar zuerst 1512 auf dem Reichstage zu Köln. Dort wurde beschlossen, daß „solche schädliche Hanthierung" fürderhin verboten sei; wer dawider handle, „dessen Hab' und Güter sollen konfiszirt und der Obrigkeit jeglichen Orts ver - fallen sein'. Mit diesem Dekret war nicht viel anzufangen. „Die Geldmacht," bemerkt Johannes Janssen, „war stärker als die Exekutivgewalt des Reichs." Manche einflußreichen Personen in den Städten waren Mit - glieder der Gesellschaften und beteiligten sich an der Ausbeutung des Volkes. Die mobemen Zustände machen vielleicht das Eingreifen des Staates noch schwieriger als es damals war. Der Klassenstaat wird sich kaum zu einem energische» Vorgehen jemals entschließen sönnen. Die Ausbeutmigsgesellschaften von ehedem waren mir möglich auf Grund der damaligen Verkehrs- verhältiiisse. Heute liegt die Sache anders. Wir habe» einen Weltmarkt, der Alles versorgen könnte. Wen» die Syndikate und Kartelle aber nur durch das heutige Hochschichzollsystem in den Stand gesetzt werden können, ihre Preistreiberei zu verwirklichen, nun bau» bekämpfe man nicht nur den Auswuchs dieses Systems, sondern bas System selbst. Wenn bas deutsche Volk sich gegen eine Theuerung schützen will, dann muß das System der Hochschutzzöllnerei, bei totalen Absperrung der Grenzen im Zeitalter des Verkehrs, zu Falle gebracht werde». Das ist schon tausend Mal gesagt worden, aber es kann nicht genug gesagt werde». Denn in unseren Tage» wird eine politische Spiegelfechterei getrieben, die leider noch große Bestandtheile des Volkes be - wegt, gegen seine eigensten Interessen zu arbeiten und zu stimmen. Arme Bäuerlein wählen sich ouutm, oie |ui einen Geirewezoll von 10. iüi'art schwärme», und diese Bäuerlein find so thöricht, für sich davon einen Vortheil zu erwarten. Arme Ar - beiter lasse» sich von ben Zeiitrumsdemagoge» nm Gäugelband führen und sich vo» ihnen die ewige Seligkeit versprechen, während die Zentrnnispolitik ihnen „hienieden" das Brot verthenert. Es ist ja schon etwa? besser geworden; da und dort beginnt die richtige Erkenntniß anfzudämmern. Aber es muß noch nm Vieles besser werden, wenn dem drohenden Unheil vorgebengt werden soll. Bvn der Weltbühne. Dem Wahlergebnis in Elbing-Marienburg, wo heute (3. April) die Nachwahl zum Reichstag« an Stelle des Herrn von Puttkamer-Plauth stattfindet, sieht man in konservativen Kreisen mit großer Besorgniß ent - gegen. Die konservative Doppelkandidatnr ist zwar bei Seite geschoben, aber unter den guvernemcntalen Kon - servativen gährt es weiter und der Zwist tritt auch in aller Schärfe an die Oeffentlichkeit. Auf das zorn- mülhige Gebelfer der bündlerischen „Deutschen Tages - zeitung" gegen die Verständigungsbeuiühungen, in welchem sie erklärte, die Regieningen müssten entweder zu der Ueberzeugung fonimen, daß d i e Mehrheit der Zolltarifkommission nicht die Partei - genossen im Lande hinter sich habe, oder sie würden zu der Ausfassung gedrängt, daß weder die ErNänlugm in der Kommission noch der Antrag im Abgeordnetenhause ernst zu nehmen seien, erwidert die konservative „Elbinger Ztg.": „Die „Tageszeitung" hat eine ganz richtige Witte- rung. Die verbündeten Regierungen werden sich längst gesagt haben, daß die konservativen Abgeordneten, die in der Tarifkommissiou durch unvernünftige For - derungen zum Konflikt drängen, die Stimmung der konservativen Wählerschaft nicht richtig zum Ausdruck bringen. Die Re - gierung weiß, daß das radikale Agrarierthum den alten preußischen Konservatismus vollständig inundtodt und seinen Zwecken dienstbar gemacht hat. Sie weiß, daß das konservative Bürgerthum einen Kon - flikt mit der Regierung in der Zollfrage nicht will und schätzt desnugm die Beschlüsse der Konmiisfionsiuehrheir nach ihrem tvahreu Werthe, wenn sie sie unbeachtet läßt. Die Konservativen draußen im Land« wiflen, daß Zollsätze für Getreide von der Höhe, wie sie im Regierung-entwurf vor - geschlagen werden, der Landwirlhschaft eine kräftige Stütze sein, zugleich aber die Enimerung der Handels - verträge nicht verhindern werden. ES entspricht nicht k 0 n s e r v a t i d e n G r u n d s ä tz e,1, i n un - fruchtbarer Negation das Unmögliche mit Gewalt erreichen ,u wollen und wieder und immer wieder gegm die Windmühlen der Regierung anzurenuen, wie es der Don Quixote von der „Kreuz- zeimng" und der Sancho Pansa von der „Deutschen Tageszeitung" zum Schaden der konservativen Sache trotz aller Regierungserklänmgeii immer noch für richtig finden." Eine solche Philippika kurz vor der Wahl von konservativer Seite, >vo als „konservativer" Kandidat der extreine Agrarier v. Oldenburg-Januschau zur Wahl steht, ist ein spr-echendes Zeichen der Situation im Wahl - kreise. Darum auch der gewaltige Zorn der „Kreuzztg." über die Ausstellung eines nalionalliberalen Kandidaten. Offenbar hegt man die nicht unbegründete Besorgniß, daß ein Theil der Konservativen, welcher den bündle - rischen Husarenritten in der Zollfrage keinen Geschmack abgewinnm kann, für den nationalliberalen Kandidaten stimmen wird. Damit wäre für den bündlerischen Kan - didaten jede Aussicht verloren, im ersten Wahlgange zu siegen, wie es seit 1887 stets geschah. Die konservativen Stimmen find von 1887 bis 1898 bereits von 11 409 auf 9348 Stimmen zurückgegangen. Herr v. Puttkamer hatte 1898 nur noch 174 Stimmen Vorsprung vor den übrigen Parteien zusammen. Als nächster folgte ihm der Sozialdemokrat mit 4473 Stimmen, woneben nod) 3034 Zentrums-, 1048 nationalliberale, 591 frei« mutige und 26 polnische Stimmen abgegeben wurden. So ist mit ziemlicher Sicherheit auf eint Stichwahl zu rechnen, an der zum ersten Male in dem Kreise die Sozialdeniokratie b.lheiligt sein wird. Die Augst vor „Zollwahlen" wächst bei den „gemäßigten" Brotwucherern umsomehr, je leichtfertiger die extremen Bündlerorgane mit dem Feuer solcher Wahlen spielen. Einen zitternden Anzstrus stößt die guverne- mental-konservative „Schles Ztg." aus. Sie beschwört die Mehrheit, doch unter allen Umständen den Zolltarif- verhandlungeit ein schnelles Ende zu machen. Sie schreibt: „Wenn die Kommission ihre Arbeiten wieder auf« nimmt, wird ihre erste Pflicht sein, sich über einen modus procedendi zu einigen, der die bisherige fehlerhafte Methode gewiffenhaft vermeidet und direkt auf das Ziel einer Verständigung mit der Regierung, wie sie nach Allem, was tioraiigcgaugen, möglich er - scheinen mag, losgeht. Dabei muß und wird man sich klar darüber sein, daß die Art des Vorgehens so ein - gerichtet werden muß, um das Zustandekommen des Zoll - tarifgesetzes vor dem Schluß bet Legislatur - periode im Juni 1903 sicherzustellen. Die Publizistik des Bundes der Landwirthe ist anderer Meinung. Sie vertritt jetzt unumwunden den Wunsch, daß die Ent - scheidung über alle die schwebenden Zollfragen den Wählern übertragen werde Ist dies auch die Auf - fassung der Vertreter des Bundes int Reichstage, so wird der positiven Mehrheit nur übrig bleiben, sie nicht weiter zu berücksichtigen Mr tuet der festen Ueberzeugung ist, daß Reichstagswahlen unter allen Umständen das dem wahren Interesse der Gesammt - heit entsprechende Ergebniß und damit die Vorbedingung für die zweckmäßigste Lösung aller polisischen und wirch- schaftlichen Fragen liefern, mag ftohgemuth der Even - tualität entgegengeheu, daß die gegenwärtige Zolltarif - vorlage mit Allem, was drum und dran hängt, zum Gegenstände eines Wahlkampfes wird. Alle besounnien Politiker, denen die wüste Demagogie der Reichstags- Wahlkämpfe aus eigener Anschauung bekannt ist, werden sich nicht verhehlen, daß durch die Verwirklichung dieser Eventualität die heute schon genügend verderbliche Aer- luimmg unseres öffentlichen Lebens bis zu ernsthaft ge - fährlicher Höhe gesteigert werden würde Dazu kommt, daß die letzten Monate tvahrlich Anzeichen in Fülle S'rächt haben, nach bene« die heutige Wirth- aftspolitische Mehrheit deS Reichstage» auf nichts weniger als eine in ihrem Sinne befriedigendere Zusammen - setzung des letztere» für b i e n ä ch st e n Wahlen su hoffen Hai. Die Durchschlags - kraft des sinn« und gewissenlosen Brotwuchergeschreis ist nur zu augenfällig erwiesen Die bedenklichsten Seiten unseres Wahlrechts werben burefj diese Parole zit schlimmster Wirksamkeit ausgelöst. Ta gilt cs, daß die zollpolitische Majorität jetzt ohne Säumen zu dem feste» Entschlusse kommt: die Ausgabe der Zoll - reform maß bis zu m Frühjahr 190 3 ge - löst werden, koste eb, was es wollet Man habe und bethätige nur diesen Willen, und die Obstruk - tion luirb das Serfranm auf das ©einigen ihres Unter - nehmens schon halb verloren haben, bevor sie noch au's Werk gehen kann. Der schlimmste Feind einer raschen Erledigung der Reform wäre gegenwärtig Mangel an Selbstvertrauen und an Opfer- muth in den Reihen ihrer Freunde." Ueber die giftigen Seitenhiebe auf das Reichstags - wahlrecht braucht man kein Wort zu verlieren. Aus der ganzen Auslassung spricht offen das bös« Gewissen bet Brotwilcherer, die sich vor b ein Urtheil bes Volke? fürchten. Aber die liebliche Rechnung auf eine „Verständigung" hat ein Loch. Selbst wenn sie gelingt, ist der Zolltarif noch nicht den Fährlichkeiten entrückt. Die schlotternde Angst der Brotwucheip'ippe vor den Wahlen muß für die Linke um so mehr Ansporn sein, den Zolltarif zur Volksabstimmung bei den Wahlen zu bringen. Die Opposition hat davon nichts zu fürchten, aber viel zu gewinnen. Für die „Gegeukonzefsioncu" auf dem Gebiete des Wahlrechts, d. h. für eine Beschränkung des gegenwärtigen Reichstagsivahlrechts etwa durch Be - seitigung der geheimen A v st i in mun g , wie sie die scharfmacherischen Wahlrechtsfeinde fordern als Gegenleistung gegen die Diätenbewillignng, wird sich im Reichstage keine Mehrheit finden. Daß die Linke nicht auf solche Gegendienste eingehen kann und wird, ist selbstverständlich. Aber auch das Z e 111 r u tu ist aus guten Gründen nicht dafür zu haben. ES würbe mit beut Gegentheil den Ast abfägett, auf dem es sitzt. Die klerikale „Germania" erklärt denn auch: „Wenn die D i ä t c n l 0 s i g k e i t sich als Ursache eines unhaltbaren Zustandes herausstellt, dann muß sie a u f g c g c b c n werben auch ohne Kom - pensationen Daß die verlangte Kompensation nicht gewährt wird, dürfte noch jetzt feststehen: das Zentrum wird nie und niminer in eine Aenderung des Wahlrechts ein willigen, und da Freisinn und Sozialdemokraten ebenfalls am heutigen Wahlrecht fest halten, so sann die Aenderung des Wahlrechts nicht er,Wuitgcn werden." Die „Köln. Volksztg." halte vor einigen Tagen geschrieben: „Eine völlige Ablehnuitg der Entschädigungsgelder wird wegen der damit verbundenen Gefahr der Beschliißunfähigkeit der Komuiission der Reichstag dem deutschen Volke gegen - über nicht zu verantworten vermögeii." Hierzu bemerkt die „Germ ": „Wir sind ganz anderer Meinung. Die Wähler find über die Belästigung, die ihnen durch die Diätenlosigkeit.bei Auswahl der Kandidaten erwächst, so ungehalten, daß sie sich gar nicht aufregen werben, wenn zur Erzwingung einer Beseitigung dieses Uebel- standes die Erledigung desZolltarifs etwas verzögert wird." Nicht einmal auf der Rechten finden die Wahtrechts- feinde mit ihrer Konzessioneusehnsucht ungeteilte Gegen - liebe. Die „Deutsche Tageszlg." mißt zwar der öffentlichen Abstimmmig „bedeutsame Vorzüge" bei, bemerkt aber, „daß eine derartige Abänderung des Wahlrechts nicht die mindeste Aussicht hat, vom Reichstage angenommen zu werden. Ein etwaiger dahin- zielender Versuch der verbündeten Regierungen würbe also scheitern und keinen anderen greifbaren Erfolg haben als eine Steigerung der ohnehin herrschenden Verwirrung Wir bleiben bei unserer mehrfach dar - gelegten und begründeten Anschauung, daß man entweder die Tagegelderfrage Überhaupt nicht anschneiden oder allgemein Tagegelber ohne Gegenleistung bewilligen müffe. Jeder andere Versuch, die Frage zu lösen oder mit anderen zu verquicken, ist vollkommen aussichtslos." Offiziöses Geflunker. In der BeschwichfigungS- epistel der „Nordd. Allgem.f Ztg." wegen der drohenden Folgendes Verbots derBorsäurealSFleisch- k 0 n s e r v i r u n g s ui i 11 e l war gesagt, „daß auch der ReichSgesundheitSrath, zu dessen Mitgliedern hervorragende Hygieiniker aus ben verschiebenen Theilen des Reiches gehören, sich für ein solches Verbot aus - gesprochen hat". Von zuverlässigster Seite, d. h. von Mitgliedern deS ReichSgesundheitsraihes selbst, wirb bet „Nationalztg." nun aber mitgetheilt, baß ihnen bie An - gelegenheit niemals zur Begutachtung vor» gelegt worben ist, daß sie von dem Verbot selbst erst durch die Tagespresse Kenntniß erhalten hadm, und daß sie sich, falls man sie befragt hätte, mit aller Entschieden - heit gegen die beschlossene Maßregel ausgesprochen haben würden. Die gegentheilige Behaiiptung der „Nord - deutschen Allgemeinen Zeitung" erscheint um so aus - fallender, als — wie wir hören — noch vor Kurzem ein Mitglied des ReichsgesundheitSralhes dem Staats - sekretär Grafen von Posadowskv gegenüber direkt fein Befremden darüber ausgesprochen hat, daß man diese in der That sehr kompetente Behörde in dieser wichtigen Frage vollständig übergangen habe, und daß die in dem Gutachten bei ReichsgesundheitS- amtes niebergelegten Ansichten in wissenschaftlichen Kreisen burchaus nicht getheilt würden. Es steht demnach fest, daß bie Wissenschaft nicht einig ist über die GesundheitSschäblichkeit der Borsäure. Gleichwohl wird sie offiziell proklamirt — zum Nutzen deS agrarischen Geldbeutels. lieber die Repressalien, die von Seiten der Vereinigten Staaten gegen das deutsche Borsäure- verbot in den AiiSführungSbestimmnngen zum Fleifch- befchaugesetz geplant worden, berichten die amerikanischen Blätter: Das Biiudes-Ackerbau-Departement wird eine Liste solcher ausländischen Produkte zusainmenstellen, welche für die Versendung nach Amerika vermuthlich mit Borar oder Borsäure be - handelt werden. Diese Liste wird vom StaatS- Deparlement ben int Ausland ftationirten Konsuln über - wiesen uiib diese werden inftruirt werben, berartigen Produkten die konsularische Beglaubigung zu verweigern. Der Ackerbaiisekretär Wilson hat sich dahin geäußert, daß, wenngleich Behandlung von Butter und Fleisch- prodnkten mit Borsäure von Autoritäten nicht für schädlich gehalten wirb, so doch bie BunbeSregierung bie Einfuhr solcher Artikel abwehren müsse, da europäische Re - gierungen in gleicher Weise gegen amerikanische Produkte verfahren. Den Gesundheitsschutz der Arbeiter in den Haseuhaarscheidcreirn und ähnlichen Zubereitungs - anstalten betreffend, hat der preußische Handels- minister an die Regienuigspräsibeiiten folgenden Erlaß gerichtet: „Die Berichte, die mir auf meinen Erlaß vom 4. Januar v. I. über bie Einrichtung und ben Betrieb der Hafenhaarfchneidereien, ber Zubereitiings- anstalten für Hasen- unb Kaninchenfelle und bet Filz- ijutfabrifen erstattet worden sind, lassen es zur Zeit nicht angezeigt erscheinen, die Anforderungen, die zum Schuhe der Gesinidheit bet Arbeitet an diese Betriebe zu stellen sind, einheitlich auf Grund des S 120 e der Gewerbe - ordnung sestzusteNen Ans den im Erlaß datgelegten Gründen ersuche ich Sie jedoch, den Berhältnifsen der Arbeiter in diesen Betrieben fortgesetzt besondere Auf - merksamkeit zuzuwenden und überall da, wo eS sich als nöthig erweist, im Wege der polizeilichen Verfügung die Maßnahmen anorbnen zu lassen, die zur D urchführung der ui den §§ 120a bis 120c bei Gewerbeordnung ent - haltenen Grundsätze erforderlich erscheinen. Dabei luirb bie Anlage des Erlasses vom 4 Januar v. I. vielfach einen brauchbaren Anhalt geben können." Danach wer - den die RegieningSpräsidenten angewiesen, Jeder in seinem Bezirke durch Polizeiverfügungen dafür zu sorgen, daß in den Hafenhaarschneibereien und ähnlichen Zu- beteitungsanstalten diejenigen Borkehtitngen getroffen werden, die erforderlich sind, die Arbeiter „gegen Gefahr für Gesundheit und Leben so weit zu schützen, wie es die Natur des Betriebes mit sich bringt". Die Zwaugsverprenstnug der Polen wird mit neuen Mitteln fortgesetzt WaS vor einiger Zeit, nachdem bie Wreschenet K i nderp tü g elei und ihre Folgen im In- und Auslande berechtigte Empörung erregt, an« gedroht würbe, ist anSgeführt worden Wie anS Wrefchen gemeldet wird, sind bei dem diesjährigen Entlassungs - termine 40 K i n d e r, die sich geweigert haben, den Katechismus in deutscher Sprache auswendig zu lernen, nicht entlassen worden. Bon hakatistischer Seite wurde diese Maßregel schon vor Wochen in Aussicht ge - stellt, was bei der Berathung des Kultusetats dem Land - tagsabgeordneten Roeren Veranlassung gab, die Regierung vor diesem Schritte enistlich zu warnen, da derselbe der Verfassung und dem Gesetze widerspreche, zu ungerechten Härten sühre unb in seinem Erfolge, wie mit Sicherheit vorauszusehen, das Gegentheil von dem bewirke, WaS mit ihm erreicht werben solle. Nach der KabineiSorbre von 1827, die durch Art. 112 der Verfassung ausdrück - lich als verfassungsmäßiges Recht anerkannt ist, sann ein Kind einzig und allein in dem Falle über ben üblichen Eiillassuiigstermin hinaus zwangsweise in der Schule zunickgehalten werben, wenn dasselbe „bie einem vernünftigen Menschen seines Stander nothwendige» Kenntnisse nicht erworben hat". Die zwangsweise Zurückbehaltmtg ist danach nur zulässig, wenn sie zu dem Zwecke geschieht, ein hinter dem all - gemeinen BildungSstand der übrigen Kinder zurück gebliebenes Kind auf diese allgemeine Bildungsstufe zu bringen. In Wreschen aber wurden bie Kinder ohne Rücksicht auf ihre Fähigkeiten und ohne Rücksicht daraus, daß ihr allgemeiner Bildungsgrab vielleicht benjenigen bei meisten entlassenen Kinder noch überragt, lediglich deshalb nicht entlassen, weil sie sich bis zur Stunde ge - weigert habe», aktiv an dem deutschen Religionsunterricht theilzuuehmen An die Stelle der anfänglichen Prügel - st r a f e ist die zwangsweise W e i t e r s ch u l u u g getreten, durch welche die Kinder für ihre Weigerung bestraft und zum Aiisgebeit ihres Widerstandes gezwungen werden sollen. Dadurch erhält die NichtenIIaffimg den Karakler eines Straf- und Zucht mittels, den sie nach Verfaffuiig und Gesetz nicht haben soll, unb schon anS bitfeni Grunde sollte von allen Parteien ohne Rücksicht auf ihre sonstige Stellung zur Polensrage gegen dieses Vorgehen Protest erhoben werben. ES wirb ein Präjudiz geschaffen, das die bedenklichsten Konsequenzen haben saun. Ist die zwangsweise Weiterschulung auch nur in einem Falle erst mal als zulässiges Straf- unb Zucht- mittel anerkannt, dann kann Niemand dafür bürgen, daß die Schulverwaltung nicht späterhin dieselbe Maßnahme aus ganz anderen Gründen als Strafe anzuweudeu für zweckmäßig hält. Man scheint daS auch empfunden zu haben, denn. Wie anS Wrefchen gemeldet wird, ist die Nichtenllasfung damit begründet, daß die .Kinder wegen ihrer Weigerung, im Religionsunterricht brutto zu ant - worten, nicht ben Nachweis geliefert hätten, daß sie in diesem Hauptsache Genügendes leisten: auch sei ihnen Wegen der damit verbundenen Renitenz bie zur Entlassung nöthige moralische Reife abzufprechen. Hub was wirb bies neue Strafmittel nützen? Gar nichts I Abgesehen von ber gesetzlichen Unzulässigkeit der Maßregel wird sie doch einmal ihr Ende finden; die Knaben werden militärpflichtig, bie Mädchen verheiralhen sich. Dann hört doch bie Strafschulzeit von selbst auf. Die moralische Wirkung aber ist bie denkbar schlimmste. Die Schule kann nicht mehr als Erziehungs- a n ft a 11 betrachtet werden, sie wird in ben Augen ber Polen zum Zuchthaus unb der Lehrer zum Schergen begrabirt. Auch im Erfolg wirb sich das neue Berpreußungs- mittel ben bisher angewendeten würdig zur Seite stellm. Mit Recht weisen die ZentrumSblättcr bereits auf daS Fiasko ber preußischen Polenpolitik hin unb sagen: „Am längsten in Uebung ist der Kampf gegen bie polnische Sprache in ber Schule, in ber Justiz und in der Verwaltung. Erfolg: Ausdehnung der groß- polnischen Agitation auf Bevölkerungsklassen unb LanbeS- theile, in bencii sie bis dahin nicht hatte Boden gewinnen können unb ohne die antipolnischen Maßregeln Wohl auch heute noch nicht gesunben hätte. Kein einziger Pole ist durch diese Dlaßregeln seiner Rationalität eiitfrembet unb zum Gebrauche ber deutschen Sprache bewogen worden. Wohl aber haben Tausende, denen ihr Poleuthum kaum noch zum Bewußtsein kam, unb bie das Deutsche gern lernten unb sprachen, angefangeii, sich als Polen zu fühlen, die polnische Sprache zu pflegen und das Deutsche nur soweit aufzunehmen und zu gebrauchen, als sie dazu gezwungen wurden. Des gesummten Poleuthums aber hat sich eine immer mehr anwachsende Unzufriedenheit uud Erbitteriiug bemächtigt. „Mau Hai weiter den A« si e d lu n g S s 0 u d S gegründet, um die polnischen Besitzer auszukaiifen unb deutsche Kolonisten an ihre Stelle zu setzen. Erfolg: Eine im Verhältniß lächerlicli geringe Anzahl von Kolonisten, die finanzielle und wirthschastliche Hebung ber ,anS- gefauften" Polen unb schließlich eine erbitterte Rivalität der beiitfdjen Besitzer untereinanber, bie Alle von ben Millionen beS Ansiedlungsfonbs profitiren wollen unb gegen die unglückselige Ansiedlungskomtuission bittere Anklagen wegen Vetternwirthschaft, Ueberbezahlung der Güter besonders protegirter Besitzer u. s. w. schlendern, wenn sie ihre Besitzungen nicht zu deut erhofften Preise anlaufen will „Nachdem man allmälig doch gemerkt hat, daß das Polenthum finanziell unb wirthtoaftlto einen un - angenehmen Aufschwung nahm, heißt bie Parole: Wirthschastliche nnd soziale Hebung de» D e u t s ch t h n m S. Betrachten wir die Erfolge. Es ist kaum ein Anfang mit den Maßnahmen zu dieser Hebung gemacht, ba erhebt sich ein Heidenlärm dagegen bei ben Deutschen. Unter ber Aegide der AnsiedlungS- fommiffion find deutsche Kaufhäuser ober Lagerhäuser theils bereits errichtet worben, theils geplant. DaS Gleiche erleben wir mit ben brutschen Bereinshäusern, bie, mit Hülfe von Staatsmitteln errichtet, ein Sammel- unb Bereinignitgs- punkt für die Deutschen in ben Städten werben sollen. Erfolg: Alle deutschen Wirthe, Weinhändler, Easätiers, Hotelbesitzer u. f. W ringen verzweifelt die Hände uud überschütten die Zeitungen mit Jcuninerbriefen, daß sie durch diese Konkurrenz nm ihr bischen mühsamen Ver - dienst gebracht uud zu Grunde gerichtet würden. Daß die Polen sich über die deutschen Kauf- unb VereinS- (jäiifcr beklagten, hört man nicht Ohne Zweifel wissen sie, baß die Häuser ihnen Vortheil bringen, indem sie die Polen noch mehr als bisher aiitrciben, nur bei ihren StammeSgeuossen zu kaufen, zu logireii 11. f. lu. Und zu alledem noch die famose Wirkung ber VereinShäuser für ben „Zusammenschluß" aller Deutschen. Was erleben wir in Posen? Das deutsche VereinshauS sollte zwei (Eingänge erhalten zur Benutzung für die verschiedenen Staude, einen für die „Herrschaften", also vorzuaSmeise bie Beamten, einen für den „Pöbel". Natürlich herrscht darüber große Erbitterung, nicht etwa bei den Polen, sondern bei den Deutschen. So etwas nennt man baun „Zusammenschluß deS TeutschthumS". „Also Mißerfolge dis zur Lächerlichkeit haben bk Maßnahmen gegen die Polen bisher aufzuweisen. Wie lange mag es wohl noch dauern, bis man einsieht, daß man auf falschem Wege ist?" Zur preußischen ivrrrinsgoseh-Praxis hat ba» Kammergerrcht al» oberste LandeSiiistauz eine be - deutsame Entscheidung gefällt, indem eS entschieden hat, daß ein Verein nicht verpflichtet ist, die Zusammen - setzung deS neu gewählten Vereinsvor- standes bet Polizei mitz 111heilen. Der Arbeiter Babe in F r i e d r i ch s 0 r t war von bet Polizeibehörde in seiner Eigenschaft als Vorsitzender deS Teutschen Werstarheiterverbanbes, Abtheilung FtiebrichS- ort, aufgeforbert worben, binnen drei Tagen den neu- gewählten Vorstand anzuzeigen. B. weigerte sich dessen, ba er sich nach § 2 beS VereinsgesctzeS hierzu nicht für verpflichtet erachtete. Die Polizeidchötbe veranlaßte in Folge dieser Weigerung den Erlaß eines Strafbefehls gegen Bade. Auf den von demselben erhobenen Ein- svruch erkannte das Schöffengericht zu Kiel auf Frei- svrechung des Angeklagten, da eine anderweite Zusammen - setzung des Vorstandes keine Aenderung im Mitglieder - bestände des Verein- darstelle. Die von der Staatsanwalt - schaft eingelegte Berufung wurde von der zweiten Straf» kainmer des Landgerichts zu Kiel verworfen. Dabei beruhigte sich die Staatsanwaltschaft nicht, sondern rief daS höchste Gericht an. Der Oberstaatsanwalt beantragte Aus - hebung des angefochtenen Urtheils unb Zurückverweisung der Sache in die Borinstanz : beim, so führte er aus, die Polizei habe ein begreifliches Interesse, übn bie Zusammensetzung bet VorstanbeS unterrichtet zu fein, unb eS müsse ihr deshalb bie verlangte Auskunft ertheilt werden. Der Strafsenat bes Kammergerichts wies die staatsauwaltliche Revision zurück nnd legte bet Staats - kasse auch die Kosten der Vertheidigung auf. Nach § 2 des VereinSgesetzeS bestehe für den Vereinsvorstand nur die Pflicht, Statuten sowie Mtgsieberverzeichniß eiuzu- reichen und daraus bezügliche Auskunft zu ertheilen. Wolle die Polizei die Zusammensetzung des Vor - st a n b e s erfahren, so müsse sie sich auf andere Weise Keuntniß davon verschaffen. Die Hülfe des Vorstandes fei hierzu durch daS Gesetz nicht erzwingbar. In offener Auflehnung gegen die ReichS- nesettc befinden sich die Verwaltungsbehörden unb der Verwaltungsgerichtshof in Braunschweig. Dem „Hann. Cour." wird anS Braunschweig berichtet: „Der Verwaltungsgerichtshof hat am 2. d. M ent - schieden, daßArbeiterverbände Lersicherungs- anft a11en im Sinne des Gesetzes seien. Das 3taat8iiunifterium hatte verfügt, daß der Deutsche T a b a l a r b e i l e r b e r b a u b i n SB r e m e n, der hier mehrere Zahlstellen besitzt, zu ben genehmigungspflichtigen Versicherungsanstalten gehöre. Die Polizei hatte nun dem Verbände eine Frist zur Nachfuchnng dieser Ge - nehmigung gegeben unb als er biefelbe hatte verstreichen lassen, der hiesigen Zahlstelle ben ferneren Geschäfts - betrieb untersagt unb da» Vermögen mit Be - schlag belegt. In gleicher Weise wurde auch an anderen Orten des HerzogthumS gegen den Verband vorgegaugen, so u. A. von der Kreisdirektion Wolfen - büttel. Die gegen diese vom Verbände gerichtete Klage wurde heute kostenpflichtig abgewiesen." Hier liegt also ein offener Verstoß gegen Abs. 2 deS 8 1 des Gesetzes über die privaten Versicherungen vor. Dieser Absatz lautet: „AIS Verficherungsunter- nehmniigeu ün Sinne diese» Gesetze» sind solche Per- fonenbereintgungen nicht anzusehen, die ihren Mit - gliedern Unterstntzung gewähren, ohne ihnen einen Rechts - anspruch daraus einzuräiimen." Eine solche Perjonenvereiuiguug ist der Tabakarbeiter- verein, denn sowohl im Statut ist eine solche Bestimmung enthalten, wie auch im Mitgliedsbuch jedes Mitglied zu untertoreiben hat, daß die Mitglieder keine Rechts - ansprüche haben. 9tun haben die Braunschweigische» Behörden ihren Feldzug gegen die Gewerkschaften schon vor dem 1. Januar d. I. begonnen. Das war der Grund, weshalb die Reichsbehörden nicht eiiigtdfen konnten. Nun ist aber das Reichsgesetz in Kraft ge. treten, und ba Reichsrecht Landesgesetz bricht, sind all« entgegenstehendm Landesgesetze unb Verordnungen be«