Ui. Jahraaua. Nr. 28«. Dc>S „•fXimfrMrflCt l^cho" rrscheinl iSglich, auber Montag». $) Ct BboimcmciitSprciS (tnkl. „Dir Rene Welt") beträgt: durch die Post bezogen (Nr. deL Post. atalogS 3273) ohne Bringegeld Uicrklj. X 3,60; durch die Kolportöre wöchcntl. 30 4 frei ht’6 Hau», (fcluitlue giimiincr f> 4- Souutags.Nuunncr mit illustr. SonutagSbeilagc „Die Neue Welt" 10 4- Verantwortlicher Nedaktör: ttzustav WabcrSky in Hamburg. tu omltall, den 7. Dezember 1D03 Anzeigen lutrbnt die sechrgespallenc Petitzeile oder deren Muni» mit 30 4, für den Arbritsmarkt, Permlethung»- und ^ainilienanzeigen mit 20 4 berechnet- Anzeigen-Aunahme in der Expedition (biS 6 Hin Abend»), tn den Filialen (bis 4 Nhr NaichmittagS), sowie in sämmtlichen Anuouceu Büreau». Redaktion und Expedition: Jrhlaudftrah, 11 j« Hamburg K. Lnd Lt. Pauli bei Carl Lementzom, Wilhelminenstr. II,pt Nord-St. Pauli, (s-imsbüttel, Laiigeuselde, bei Earl Dreyer, Margarelheustr. 48, Eimsbüttel. Hvhelust, (»ppeuborf, («rosr-ivoritel und L/'ltlktkU. Winterlinde bei Ernst Großkopf, Lehmweg 5l, Eppendorf. Ülnrmbrf, tthlcuhvrst bei Theodor Petereit, Bachstr. 12. Barmbek. Lt. Ge»r.), Hohenfelde, Vorgselde, Hamm, Horn und Lchiffbek bei Carl Ortel, Baustr. 26, Borgfelde. Hammerbrook, Nvtheuburgöort, Pillwarder und Peddel bei Rud. Fuhrmann, Schivubenstr. 33, Hammerbrook. Eilbek, LLandSbek und Hiuscheufelde bei Fran» itrüger, Sterilstr. 36, Wandsbek, -lltona bei Friedrich Ludwig, Bürgerstr. II8, Altona. Ltteuseu, Pahreuseld bei Johanne» Heine, Erdmannstr. 14, Ottensen. Hterzn drei Beilagen und das illustrirte Unterhaltung s b latt „Die Neue Wel^. Parlamentarische Guillotine. Die Mehrheit der Beutepolitiker im Reichs - tage hat „Blut geleckt" und dürstet nach mehr. Sie schreitet von Gewaltstreich zu Gewaltstreich, und Einer überbietet den Anderen. Erst der Antrag Aichbichler, der den Namensaufruf be - seitigte; dann der Antrag Kardorff, der gegen tausend Zollpositionen znsammenfaßte, um sie mit einem Male im Ramsch durchzudrücken; dann das brutale Niederstimmen der Minderheit, so daß dieselbe verstummen mußte; dann die Ausschließung Singer's von der Sitzung; dann die Entziehung des Wortes bet sozialdemokratischen Rednern und nunmehr auch noch die neueste Umänderung der Geschäftsordnung, die dem Präsidenten eine vollständige Diktatur überträgt und ihm die Befngniß giebt, Debatten über die GeschäftS- ordmmg zu verhindern oder, wenn sie zugelassen, die Redezeit auf fünf Minuten zu beschränken. Daß der Antrag auf die rücksichtsloseste Weise durchgesetzt werden wird, darüber kann kein Zweifel bestehen. Konservative, Nationalliberale und Zentrum nebst Anhängseln ziehen zusammen am Karren der Reaktion. Das Recht, das hier brutal zertreten wird, ist nicht nur ein Recht der Abgeordneten, sondern ein Recht des Volkes; denn indem sich die Abgeordneten jederzeit zur Geschäfts - ordnung melden konnten, waren die Minderheiten davor geschützt, gänzlich mundtodt gemacht zu werden; sie konnten ihre Beschwerden stets an- bringen. Das soll nun anders werden. Die Glocke des Präsidenten schließt jedem Redner, ivelcher bei der Mehrheit „mißliebig" ist, sofort den Mund, sofern nicht der Herr Präsident so gnädig fein und eine Redezeit von fünf Minuten verstatten will. Die Junker lechzen nach der Beute und strecken gierig die Hände darnach aus — sie wollen sich Ehr juruahat^u. tauew ^eht wiLd j>ei Widerstand von einer lerroristrschen Mehrheit ilstonungslo« niedergetrampelt und es kommt ihr nicht darauf an, ob die durch widerrechtliche Be - schlüsse mehrfach gebrochene Geschäftsordnung noch au Haupt und Gliedern verstümmelt wird. Mit Ausnahme einer kleinen Gruppe, der Freisinnigen Bereinigung, leistet der feige Libera - lismus bet Reaktion Vorspann. Die National- liberalen haben den Antrag auf Errichtung einer parlamentarischen Guillotine gleich mit unter - schrieben. Die Partei der politischen Heuchelei hört weüigstens für einen Augenblick auf, zu heucheln, enb proklamirk die Gemalt gegen die Minderheit. Die Unentwegten, wie Engen Richter, sind der Opposition heimtückischer Weise in den Rücken gefallen, während diese einer grimmigen, tobenden Mehrheit die Stirn bieten mußte. Die „demokratische" Volkspartei aus Schwaben, die Agrarier in ihren Reihen zahlt, hat durch Ab - wesenheit und Gleichgültigkeit die Opposition zu schwächen gesucht. Nun, das wird sich rächen; die Reaktion wird den bürgerlichen Liberalismus bald erreichen, oer sich so feige, unfähig und verrätherisch gezeigt hat. Dann wird man das gewohnte Jammer - geheul hören und die Freisinns-Helden werden der Sozialdemokratie alle Schuld an dem Unheil anfpacken «vollen. Hätten sie mannhaft mit bei Sozialdemokratie Schulter an Schulter gekämpft, so hätte der feindliche Angriff abgeschlagen werden können. So von vorn und im Rücken angegriffen, hatte Vic unbeugsame Opposition, bie' keine 70 Mitglieder zählt, einen schweren Stand. Zu Weihnachten, wenn die Festglocken läuten und wenn es von den Kanzeln tönt. „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohl - gefallen!" soll dem dentschen Volke der Hnngertarif als Festgabe bescheert werden. Ob es dahin koinmen wird — nun, die Veutepolitiker sind voll froher Hoffnung, die sie aus der Feigheit und Gesinnungslosigkeit des Liberalismus geschöpft haben! Wir werben ja sehen, wie bet Gang der Dinge sein wirb! Der Stein der Reaktion ist im Rollen. Er wird nicht stehen bleiben, denn das ist ein histo - risches Gesetz, daß er weiter rollt. Auch in der politischen Bewegung giebt es ein Beharrungs - vermögen. Die von dem Drang nach Beute zu- lammengeschweißte Aiehrheit wird ein Kartell roe en —gegfn die Sozialdemokratie. Ein Kampf beginnt auf der ganzen Linie und von allen Seiten wird zum Angriff gevlasm In diesem Kampfe ivird die Soziald mokratie allein stehen, beim der Niedergang und der Beifall der bürgerlichen Opposition war noch niemals so offenbar wie heute. „Allein?" Nein, nicht allein! Demi mit der Sozialdemokratie, die den Kern der großen sozialen Bewegung unserer Zeit bildet, gehen Millionen von klassenbewußten Arbeiteni. Das ist eine Macht, und keine Gewalt dieser Erde kann sie überwältigen, weiln sie zn- samiilenhalten. Und sie werden zusammenhalten, aneinander geschmiedet durch die eisernen Klam - mern der Nothwendigkeit, der Thatsachen, der gemeliisameii Interessen, des gemeinsamen Eleiids und des gemeiilsanlen Zornes gegen die Ent - rechtung, AuSbenInilg und Unterdrückung, die ihnen widerfährt. Und in dem nun entbrennenden großen Kampfe werden neue Hunderttaufende, neue Millionen zum Klassenbewußtsein erwachen und die soziale Bewegung verstärken, bis sie endlich stark genug ist, um mit ihren Feinden fertig zu werden. Darum sehen wir Allem, was kommen wirb, mit Ruhe entgegen, weit ruhiger als unsere Widersacher, die selbst nicht mehr an ihre Sache glauben und die wohl wissen, daß sie mit ihren Gewaltstreichen nur die Sympathie des Volkes für die Sozialdemokratie verdreifachen. Aber sie wissen eben keinen anderen Weg und so be - treten sie diesen in der Verzweiflung, obschon sie sehen, daß er eine schiefe Ebene hinabführt. Was wollen sie? Nun, die Nationalliberalen stehen noch manchmal unschlüssig da, aber sie werden von den hartgesottenen Reaktionären im Zentrum und auf der Rechten geschoben. Sie haben auch nicht begriffen, daß ihre volks- verrätherische Haltung von früher ihre Partei auf den Hund gebracht. Sie sind mit Blindheit ge - schlagen und werden sich ganz verderben. Es wird ihnen gelingen. Die entschlossenen Reaktionäre wollen natürlich nicht beim Umsturz der Geschäftsordnung des Reichstages stehen bleiben. Nachdem sie die Opposition geknebelt, wollen sie weiter gehen. Schon brüllt die Junkerschaft im Lande draußen nach dem Umsturz des Wahlgesetzes, nach Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts. Die Sozialdemokraten müssen aus dem Reichs - tage hinaus! So lautet die Parole. Die Schlot- und Krautjunker wollen mit einigen Bureaukraten und Pfaffen unter sich sein und ihr Schäfchen scheeren, ohne durch die un- gemüthlichen Reden der Sozialdemokraten gestört zu sein. Wir leben in der Aera des parlamen - tarischen Staatsstreichs. Staatsstreiche unter - graben stets den Boden, von dem sie ausgehen. Als Louis Napoleon, zum Entzücken der Reak - tionäre von ganz Europa, seinen Staatsstreich machte und die alte Gesellschaft „rettete", da [ faßte, bet greise Guizot, bet etwas gelernt hatte: I „C’est le triomphe completet defmiüf I du socialisme.*) Dies Wort wurde von Na voleon und seinen Glücksrittern verlacht. Neun - zehn Jahre später war das Reich des glücklichen Staatsstreichlers verschwunden und Henle ist in Frankreich der Sozialismus eine in vielen Dingen vollkommen ausschlaggebende Macht. Wer daraus etwas lernen kann, der mag es thun. Junker, Pfaffen und Bourgeois werden freilich nichts daraus lernen. ♦) Das ist der vollendete und endgültige Triumph des Sozialismus. Bon der Weltbühne. A«S dem Reichstage. Berlin. 5. Dezember. Wie die vulkanischen Eriivltoiten durch Pausen unter - brochen iverbcn, so auch die parlamentarischen. Schon die gestrige Dauersitzung, in der zwischen Beginn und Schluß ein Zeitraum von I3s Stunden lag, mußte für die aktiven Abgeordneten eine Periode der Abspannung bringen. Die Mehrheit ist freilich nicht aktiv, sondern begnügt sich damit, in der Restauration zu sigen tutb sich Jagd- und ähnliche Abenteuer zu erzählen, oder im Zeüuugslesesahl die Zeitungen aus der Heimath zu studiren. schon ein Blick auf die auf den Tischen liegenden Blätter beweist, daß seltene Gäste int Hause anwesend find. Provinzblättcr, die sonst nur dann aus den Fächern genommen werden, wenn sie nach dem Speicher geschafft werden sollen, werden gelesen, denn aus dem heimathlichen Winkelblatt erfährt man doch, wie viel Hasen bei der letzten Treibjagd geschaffen sind, und wüthend flucht der Nimrod aus die Sozialdemokraten, die ihn hinderten, dabei zu sein. Nur so läßt es sich erklären, daß die Wuth der Agrarier und der Zentrumsleute bis zur Siedehitze steigt, wenn sie auch nicht die Reden im Saal anhören. So lange gesprochen wird, ist der Saal leer, und nicht selten, tvenu die seltenen Gäste beim Lesen ihres Leib organs ebeit bei einer Pointe angelangt sind, werden sie von der Klingel, die anzeigt, daß eine Abstimmung smlt- sindet, ausgeschreckt ; sie müssen nach dem Saal laufen und die Karte abgeben, deren Abgabe von den Führern anbefohlen wird. Die heutige Sitzung verlies sehr ruhig. Die Referate über die Positionen der chemischen Industrie wurden er - stattet. Eine Anzahl Anfragen wurden an die Referenten gestellt. Das ist jetzt die Form, in welcher einige Sachen ans der Kommission zur Sprache gebracht werden können. Die sachliche Debatte wird durch die lllkauträge des Hern, Koilfistoi ialraths Stockmann verhindert. Heute wurde aber schon vor 5 Uhr die Vertagung be - antragt. Einige Tage zur Hasenjagd wollen Die Ver - treter der MehrheitSparteien haben. Sie wollen heute Heim - reisen und am Sonnabend mib Montag nicht sitzen. Dienstag soll wieder ein Sttick Geschäftsordnung ver - nichtet werden und dann sollen wieder einige Dauer- fitzungen mit Abstimmen über den Zolltarif auSgesüllt werden. GS wäre eigentlich sehr eiiiiach, wenn man die GeschSstsordnnng dalun abänderte: Jedem Abgeordneten, der nicht Nachweisen kann, daß er au» der Annahme des Tarife» persönlichen L 0 r t h r i I hat, ist da« Reden über den Zolltaris verboten. Der tUntvag Gröber Bassermann, der. wie wir chon gestern belegten, im Reichstag die Diktatur de» Präsidenten proklamiren will, damit dieser de, der Piiiheimfung der Zollbeute hülfreiche Hand leisten föiuic dmrh eine Vergewaltigung d e r M i n d er- V' 1,1 . hon 43 Konservativen, 20 Mitgliedern der . ietchSpartei, W ZentnunSabgeordneten, 44 National- tberalen, Antisemiten und ta Fraktionslosen unter« dtrieben, hat also die Mehrheit schon für sich und eS kaiiit feinem Zweifel unterliegen, daß sie alle Kräfte daran setzen wird, ihn im beschleunigten Tempo durch- zndriicken, um endlich ungehindert von der Opposition den Zollraub in Sicherheit zii bringen Daß der Anirag den P a r I a m e n t a r t S in n S überhaupt u tu bringt und die Willkür der ding» mundtodt zu machen. .Da» ist ohne Weiteres ou8 einem Beispiel zu erkennen. Angenommen, ein Abgeordneter verlange da« Wort zur lsx Heinze, ß 3. Der schneidige Präsident verweigert ihm da» Wort. Er übersieht stetig und beharrlich seine Meldimg Da ver - langt der Abgeordnete da» Wert, um sich zu beschweren. Er kamt dar nur, indem er sich .zur Geschäftsordnung" meldet. Nach dem Antrag Groeber - Bassermann aber wird daS Wort zur Seschästr-rdnung „nur nach freiem Ermessen des Präsidenten" erthellt. Der Präsident er - theilt cS nicht, folglich ist der Abgeordnete mundtodt gemacht. Auf diese Weise tonn der Einzelne wie eine ganze Partei nicht nur für einen Tag, sondern für ein? yanze Session, auch für die ganze LegtSl0 lurperi0de mundtodt gemacht werben. E? braucht nur an der Spitze des Reichstags ein „starker Mann" zu stehen, der nach der Anweisung der ^streuzzig' handelt: „H saut massier la bete“, mcut muß der Bestie den Zaum, den Maulkorb anlegen." An anderer Stelle sagt dasielbc Blatt: „Mit diesem Antrag Gröber-Vaffermaim wird die Axt an die Wurzel deS Parlamentarismus gelegt. Er ist gemeingefährlicher al» Alle«, was bisher im Kampf um den Zolliarif hüb?« oder drüben gesündigt worden ist." Ter „Vorwärts" nennt den Antrag zutreffend die Proklamirimg des parlamentarischen Stand- rechts. „Das ist keine .Revolution, die auch in ihren blutigen Formen die Ehrfurcht vor dem Recht nie - mals verloren hat, das ist die „Politik" deS SchlnderhanneS." (Neu Sell llntfhitj Don eben, wie ihn die ^joUwuchennehrheit im Reichstag bleibt, soll flr“" C $fW*r, MM n Wir, MellsiltlHmiiW (All Mtaiing Protest tri* Rirrötii! Niemand fehle in den zu Diesen Zweck einberufenen Volks-Ver - sammlungen! Üiitiet mit Jett lliiiiliirjleiii! Dir UMM! Gegen die jiiiiinmrifdie Adschlachmng dco Zolltarifs, wie sie mit dem Anträge Kardorff beabsichtigt wird, macht sich in den Reihen der N a t t 0 n a l l i b c r a l e n, soweit dort Habgier und NnterdrüekungSfgnaiiSiuuS noch uichi den Verstand um - nebelt haben, eittschiedeuer Widerspruch geltend, der ja in ^erster Linie ParlameniShclben der Nallonallkbcralen ttifft. Dem KamiuergerichtSrath Dr. Karsten iolgt Pro - fessor M e t g e r, der der nalionalliberalcn Frakttou deS preußischen ÄhgeordnetenhauseS angehört. Er schreibt Über „Die Gefahren deS Antrags Kardorff" im „Tag' unter Anderem: „Ebenso schwere Bedenken wie gegen seine Be» r ech ti g u n g erheben sich auch, wenn man die Folgen erwägt, dir auS dem Antrag Kardorff entstehen sännen. In der Vorlage, so wie sie auS der Kommission hervor» gegangen ist. ist eine Reihe von Positionen enthalten, die dringend der Korrektur be - dürfen. weil sie die Jntereffeutcu empfindlich schäbigen, ja unter Umständen bereit Existenz bedrohen. Ich erinnere nur jm den bieluiuftrittentn Quebrachozoll, der im Staube ist, die blühende Lederindustrie in schwere Bedränguiß zu bringen; ferner an den Zoll auf Pflastersteine, d« zahlreichen Städten große Opfer auferlegt, daneben aber auch die Segelfchifffahrt, die schon so hart um ihre Existenz zu ringen hat, auf’fc Neue belastet. Nicht minber anfechtbar ist der Zoll auf Leinsaat, den zu tragm die Oeliuühlen absolut nicht im Stanb« sind, unb der sie daher dem Ruin prriSgebeti würde Hat de>ch auch die Reichs regierung den Beschlüssen der Kommission in zahlreiehen Fällen ein mehr oder minder entschiedenes „Unannehmbar" entgegeugeftritt. ES würd« unrecht sein, wenn man den Kreisen der Interessenten, die durch solehe Zölle geschädigt werden, nicht einmal gestatten wollte, ihre Wünsch« nachdrücklich nur Geltung zu bringen und so vielleicht bett Schaben von sich ab ¬ zuwehren. Aber die Bedeuttmg deS Antrags Kardorff acht weit über seinen nächstliegenden Zweck hinaus. In der Geschäfts Ordnung des Abgeordnetenhauses lautet die fragliche Bestimmung genau so wie in der des Reichstages. Run liegen im preußischen Landtage die Verhältnisse für die liberalen Parteien sehr ungünstig, da die Konscwativen mit dem Zenttum zusammen die große Mehrheit bilden. Durch eine klerikal- konservative Koalition wird daher die Linke bei den Ab st t m in u n g t n total an bie SBanb gedrückt. Sie kaun nur dadurch Einfluß gewinnen, daß sie auf Grund der Verhandlungen die gebildeten Stände, von deren Stimmung der Gang der Politck abhängig ist, aut ihre Seite zu bringen sucht. In der That gelang es ihr ja auch, das SchulausfichtS- gcsetz gegen die Mehrheit int Landtage zu Fall zu bringen. Das mächtige Hülfsmittel der öffent - lichen Rede im Parlament wird der Op - position ganz oder zum Theil entwunden, wenn die Diskussion in der sumutarffchcn Weise, wie eS der Antrag Kardorff will, abgekürzt werden kann. Daß eine klerikal-konservative Mehrheit von einer solchm Bcfugniß unter Umständen Gebrauch machen würde, kann nicht wohl berweiselr werden. — DieS ist wohl auch einer der hauptiächlichstcn Gründe, weshalb man in den Kressen der nationalhbcralen Partei außer - halb deS Reichstages theilweisc mit so großer Lebhaftig - keit gegen bett Antrag Kardorff aufgetreten ist. Der von anderer Seite gemachte Vorschlag, man möchte doch versuchen, ohne den Antrag Äarborff zu einer Ver - ständigung zu gelangen, verdient daher volle Beachtung und würde, wie cS den Anschein hat, auch beim Zcubrum Zustimmung finden. Dann kSnttte durch eine zweck - mäßige Abkürzung her Verhandlung unter Zusammen - fassung solcher Positionen, die materiell ziisammengehören, Ider Boden für eine fachgemäße Diskussion gewonnen werden, und es wäre dadurch den turbulenten Szenen liui Reichstage, btt edcujo unerfreulich als uuaipntBliä) I sind, ein Ende bereuet." I Professor Metger scheint immer noch zu glauben, sboß bie Zollwucktermeb-b ti och für Sernunflgründe zugänglich sei. Da fehlt es aber eben. Sie trampelt ichon mit einer wabren Wollust auf den Rechten der Minderheit herum und macht den ganzen Parlamen - tarismus zur Karrikatur. Sie overirt nur noch mit der Zahl ihrer Stimmen. Vernunft und AnftandSgefühl Haden sie völlig verlassen. Ueber die Kündigung der Handelsverträge gehen gegenwärtig allerlei unkontrolirbare Gerüchte um. In Reichstagskreisen wurde am Freitag nach der „Volls- Ztg." erzählt, daß die Verhandlungen über neue HanbclSverträge schon so weit fortge - schritten seien, baß die meisten alten noch im Laufe dieses Jahres gekündigt werden könnten. Einer sei bereits gekündigt, unb der mit Oesterreich-Ungarn werde in aller Kürze ge - kündigt werden. Wahrscheinlich werde ein neuer russischer Handelsvertrag noch tut Lause dieser Session dem Reichstage vorgelegt wcrdkn. Diese Nachricht erscheint uns zweifellos unrichtig zu sein. Die Regierung müßte die Schwierigkeit ihrer Position in solchem Falle vollständig ücrftniieu, wenn sic vor Erledigung des Zolltariss die Handelsverträge kündigen wollte. Sie würbe sich damit bei: Zollwucherern auf Gnade oder Ungnade auittefent Aber die Kündigung soll nach der gestern milgetbeilten Auslassung ves ,.Bcrl. Tagebl." von der Gegenseite ausgehen, weshalb die Regieri.ua den Führer,i der Mehrheitspartciru er - klärt habe, daß daS Zolltarifgesetz ncbstZoll- t a r i f unter allen Umstand n bis z u m 23. Dezember, also nock vor Weihuachten. in britter ßefung vcrabschicbet sein mässe. Auch bas scheint mt5 unzutreffend und nur darauf berechnet zu sein, den liberalen Theil der Opposition schwach zu machen. Besonders Oesterreich-Ungarn toird sich hüten, den Vertrag mit Deutschland früher zu kün- t igen. ehe die deutsche Regierung verhandlungsiähig ist. UebngenS sind Oesterreich und Ungarn selbst unterein - ander noch nicht einig. Ter „nute Ton" im Parlament wirb ucfflich von dem itationaUibcrakn Placke rcpräseutirt. Eine Szene, die im Trubel der letzten Tage weniger beachtet wurde, verdient für die Zukunst genauer ausgezeichnet zu werden. Unser Genosse Heine batte seine Rede gegen den Abg. Stockmann eben beendet, al» Herr Placke auf« stand und die Worte: „Kanu in a n dem Kerl nicht ein Paar hinhauen?" rief. Der Abg. Dr P a ch n i ck e hörte diese Aenßernng, drehte sich empört um und sagte: „Ein solcher Ruf wird aus der natioiialliberalen Partei lauf. Es ist empörend!" Auch der Abg Rösicke-Deffan war Ohrenzcuge der Aeußerung. Auch er wandte sich zu Herrn Placke und rief ihm laut zu: „Herr Placke, so weit sind wir glücklicherweise im Deutschen Reichstag noch nicht." Herr Placke versuchte Hernt Rösickc gegenüber eine unglücklich« Entschuldigung. Er meinte: „Ihnen würde ich ja am allerwenigsten so etwas anbieten " Der Vorfall wurde auf der äußersten Linken bemerkt und die Mitglieder bet Freisinnigen Vereinigung wurdet, um nähere Auskunft gebeten. Es entstand begreiflicherweise große Erregung und cs wäre vielleicht zu bedanerlichen 'AuSdriichen der Leidenschaft gekommen, tvenu Herr Placke cs nicht vorgezogen hätte, schien,ttgst den Saal zu ver - lassen. Nach einer ganzen Weile trat Herr Placke, wie erzählt wird, au den Abg v. Vollmar heran unb stellte sich ihm mit den Worten vor: „Mein Name ist Placke. Ich steheJhnen jeberzeit zur Verfügung." Nbg. v. Vollmar nahm diese Eröffnung mit gutem Humor zur Kenntniß, ohne Neigung zur Kartellträgerei zu bekunden. Tl« SkaUerziehituft bricht nicht nur bet oen Junkern, sondern auch bei ihren geworbenen jouritaliftisiben Landsknechten durch. Sie dokumcntirt sich in der Sprache wie auch in der Wahl der Berglciche, bie freut Stall und dem Stallleben entnommen sind. So schreibt heute die „Köln. Ztg" in einem Artikel zur Befürwortung deS neuen Anschlages auf die Redefreiheit im Parlament: „WaS hilft e«, wenn man den, Hunde den Schwanz stückweise odsch,leidet Er sch r «i t a rad e s 0 l a u t, al» wenn man das ganze Ende mit einem kräftigen Schnitt ab trennt, unb mehr als fcbreieu samt er über» Haupt nicht. . . Einen raschen Schluß wird man im Lande besser verstehen, als daß der Reichstag sich an- baumib von brit Sozialdemokraten an der Nase hettim- zieheu läßt, als wäre er ein Tanzbär, der auf da» Kommando seines Herrn seine Sprünge aussühren muß." Wirklich geschmackvoll! Aber btt im Stall erzogenen Dürichen beschweren sich Über den Ton, den die Soztal- btmohattn cuischlagen. Als getreuer Eckart sucht sich caS nie um eine neue Heuchelei, nie um eine neue Maske verlegene Zcuu.uu attszuspielcn, indem es deut Volke zuruft, ei solle um Gotteswillett still halten und sich ruhig beraube« lassen, denn wenn es sich wehre, bann würben die Scharfmacher herbeiessett und die machteu baun un - fehlbar beut letzten Rest von Bolksrcchteii den Garatts. So heißt es in der „Köln. BolkS-Ztg.": „Daß das gesammt« S ch a r f m a ch e r t h u m mit wahreni Behagen beut jetzigen Treiben zusicht uud nur darauf wartet, daß cs noch ärger w cben möge, damit alSdmin wieder mitGewalt gegen bis 2 oziol- demokraten vorgegangen werde, scheinen die Führer der Sozialdcmokratie gar nicht zu merken. Oder fühlen sie sich schon so Herr der Lage, daß sie sich stolz bariibtr hiuwegsctzeu zu können glauben? DaS wäre eine Verblendung, wie sie kaum scinalS erlebt worden ist. Jeder, der offene Augen bat, sieht doch, wie da» Scharsmacherthuu! am Werke ist unb Propaganda macht. Wir werden ihm niemals Unterstützung leihen, trotz Allem, was die Sozialbemokratie auch gegen da» Zentrum gesündigt hat. Aber sind die Genossen denn io sicher, daß die Scharfmacher iiiemais da» Heft in die Hände bekommen werden? Wir find eS nicht uud müßten sagen, daß die Sozialdemokraten selbst schuld wären, wenn ganz empfindliche ZivangSmaßregeln gege» sie ergriffen würden. Die freche HerauStardctung all« bürgerlichen Elemente, die sie sich jetzt leisten zu könne» glauben, übersteigt so alles vernünftige Maß, daß max sich übet eine kräftige Reaktion dagegen nicht wunder» dürste." Die alte Spitzbubcutuahniing: „Laß Dir von mir die Uhr abnehmen unb schreie nicht, denn sonst kommt ein anderer Wegelagerer und nimmt Dir auch noch da» Tascheuiucsser weg!" Daß daS Scharfmacherthum im Bunde mit den Broiwuchercrn einen neuen Angriff mache» wird, wissen wir ohnehin. Durch die bleehmie Red«» lrompetc ist bereits zum Saanneln geblasen und ba» Kriegsgcheul ertönt aus allen Ecken unb Enden. Des - wegen werden wir uns aber doch nicht ruhig Plunder» laßen. Selbst die Hörige« rebcUircn! Der V. .stand deS Nationalliberalen Vereins in Hildes - heim bedauert in öffentlicher Erklärung bie Unterzrich« tauig ve» Lutiages-Kardoris durch BitFraiiiou. Ilm das Wagnis; der Hildesheimer Rutionaltiberale» richtig würdigen zu kömien, viuß mau sich vor Augen halten, daß grabe tu der Provinz Hannover die Natiouak- lifreralen zuerst und am gründlichsten unter die Bot - mäßigkeit deS Bundes der Landwirthe gebracht worden find' Nun aber wagen sogar diese Hörigen einen Protest! Wilhelm II. als Kämpfer gegen die Sozial - demokratie ist zum zweiten Mal binnen weniger Tage vor die OeffenUichkeit getreten, beide Mal in Bahn - hofSrcden. Wie er in Essen mit dem patriarchalisch anmiithenden „Ihr" und „Euch" bie Kruppssche» Arbeiter anffordertk, gegen die Sozialdemokratie Front zu machen, so hat er am Freitag im BreS lauer Bahnhof eine Arbeiterbepiltatioii augcredet und in denkbar schärffter Form zum Kampf gegen die „Agitatoren" aufgerufen. Wir haben den Wortlaut der Rede nach der offiziöse» Wolsfischen Depesche bereits mitgetbeilt. Hense habe» wir also lediglich unsere Kritik der Rede w geben. Zu biefem Zweck wird eS nöthig sein, die Red- Wilhelms n. in ihre einzelnen Theile zu zerlegen. S^ilhclm II. drückte seine Freude darüber auS, baß die Breslauer Arbeiter sich entschlossen hätten, zu ihm, „ihrem König und Landi-svater", zu kommen. Swon hier besstidet sich der Redite» in einem antictllenSe» Irrthum. Die Arbeiter haben sich nicht enffchlofiet^ zu ihm zu kommen: sie find zu ihm geschickt worden, und zwar foriuell von einer Anzahl ihrer Kollegen, ttt Wirklichkeit aber von ein paar Unternehmern, wclctu die materielle Abhängigkeit der in ihren Betrieben beschäftigten Arbeiter oazn mißbrauchten, einen tnrt- rüsiungsnimmel A la Essen zu inszenircn und späterhin das Reichsoberbaupt durch die „Deputation" zu tätlichen Es kann zugegebtu werden, daß c» in BreStaa noch vereinzelte Arbeiter gehen mag, die that - sächlich nicht Sozialdemokraten find; et ist auch anzii- nchmen, daß die Devniaiion sich aus solch seltene» Exemplaren zusammensetzle; aber Die Arbeiter Breslaus oder auch nur einen namhaften Theil derselben zu vertreten, das können die Leute nicht behaupten, ehrlicher Wesse nicht. Ma» pflegt in Arbritcrkreisen solche Leute, die sich von de» Unteruehuicrn im Scharsmacherintcreffe benutzen lassen, mit Ausdrücken zu bezeichnen, die wir hier nicht wie ver - geben wollen. Daß Wilhelm II. über bie Rcgieküiist«, Die bei laichen Borstelluiigen ««geordnet werde«, von seine« Rathgebern «ich! ichs« laute unterrichtet worbe» ist, zeigt die Qualität dieser Männer. Nin: hat Wilhelm 11. gemeint, die Breslauer Ar - beiter hätten ihm durch ihr Erscheinen re. „das -Uid>atkai eines selige» Freundes Krupp vorwurfsfrei wahren helfen." Mit Verlaub: Dos konnte diese Deputofion ja gar nicht! Wer von den Breslauer Kaiserbegrüßer« ist denn auf Capri gewesen, welcher sann Zeugniß bafür oblegen, daß die über Knipp ausgestellten Behauptung« unwahr find? Vorläufig schwebt in der «ruppaffärt »och die gerichtliche Uiitetsuchuilg uud ehe dies« uh» geschlossen ist, unterbleibt eine Stellungnahme mr aber gegen >brnpp besser. Leute, die Knipp in ihrem Leb« noch nie gesehen Haden, sönnen nicht «IS L«mu>id«zcuft» in ihn dienen. Daß die Kruppaffäre Wilhelm H »och immer sehr beschäftigt, erklärt sich auS bett ctigm Beziehungen be» KauoueusabriktMt« und WerftbefitzerS zu dem Repräsen - tanten seines Hauptabnehmcr«, deS Reiche«. Aber vast eine ArcSIaner Arbettcidcpumnon irgniwit für Krupp» Unantastbarkeit vollgültiges Zeugniß ablcgen könnte, ist liuSgcschlosieri Doch das t|t tu nur du Etulettung der Red«. Wichtiger ist schon die Bthanptuiig Wilhelms II.: Eiic: Stand ist stet« Segniftaiu «eine» eiu- qehcnden Interesses mit meiner Fürsorge ge - west«, den« mit Stolz konnte ich im Auslande tx» obochic«, wie der deutsche Arbeiter vor allen aitbete» angesehen wird und mit Recht. Ihr dürft fi.udig an Eure Brust schlagen und (xur.i Arbeit und Eures Stanbe# froh fein Durch die herrliche Bosschast de» großen Kaisers Wilhelm L emgeleitct, ist von mit iw soziale Gesetzgebung uxitergesühri mord«, durch die für die Arbeiter ein. gesicherte, gute Existenz - bedingung geschaffen worden ist bi» in S Alter hinein unter Auferlegung von oft bedeutend«« Opfern für die Arbeitgeber Und unser Deitsschl-tud ist da? einzige Land in dem bie Gesetzgebung in hohem Maße zu» Wohle der arbeiteudeu Klassen fortentwickelt ist. ES ist einmal da« Wort anSaeivrocheu worden die