17.  Jahrgang 
Nr.  230 
amburgerEcho 
Freitag,  den  2.  Oktober  1903 
BS 
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Redaktion  und  Expedition:  Fehlandftrast«  11  In  Hamburg  1. 
DaS  „Hamburger  Hch,"  erscheint  täglich,  auher  Montag». 
Abouuemeutspreiö  (iukl.  „Die  Reue  Wett")  beträgt:  durch  die  Post  bezogen  (9lr.  de»  Post, 
latalog»  8412)  ohne  Brt.<gegeld  viertelj.  *.3,60;  durch  die  Kolporteure  wochentl.  30  4  frei  in«  Han». 
Einzelne  Nummer  6  4.  Sonntags-Nummer  mit  illnstr.  Sonntagsbeilage  „Die  Nene  Welt"  10  4. 
Verantwortlicher  Redakteur:  Reinhold  Stenzel  in  Hamburgs 
....  Süd-St.  Pauli  bei  Carl  Lementzow,  Davidstr.  35.  Nord-St.  Pauli,  Eimsbüttel,  Langenfelde  bei  Carl  Dreyer,  Margarethenstr.  48,  Eimsbüttel.  Hoheluft,  ^peudorf,  Eroh-Borstel  und 
FtttüreN.  Wiuterhude  bei  Ernst  Großkopf,  Lehmweg  51,  Eppendorf.  Barmbeck,  Uhlenhorst  bei  Theodor  Petereit,  Bachstr.  12  Barmbeck.  Lt.  Georg,  Hohenfelde,  Borgfelde,  Hamn^  Horn  und 
Skhifsbcck  bei  Carl  Ortel  Baustr  26,  Borqfelde.  Hammerbrook,  Rothenburgsort,  Billwärder  und  Veddel  bei  Nud.  Fuhrmann,  Schwabenstr.  33,  Hammerbrook.  Eitbeck,  Waudsbcck  und  Hmschcufelde  lei 
^ ,rT  6  F  r  an  zK  rüg  er  Sternstr  36^  Wandsbe  ck.  Altona  bei  Friedrich  Ludwig,  Bürgerstr.  118,  Altona.  Ottenseu,  Bahrenfeld  bei  Johannes  Heine,  Bahrcnselderstr.  140,  Ottensen. 
Hierzu  eine  Beilage.  
Die  „reaktiMäre^Sorialdemokratie. 
„Splendid  Isolation!“  In  Pracht-  und  macht -
voller  Isoliertheit,  weder  von  rechts  noch  von  links 
Unterstützung  verlangest»,  der  eigenen  Macht  ver -
trauend,  will  der  preußische  Nationallibera -
lismus  in  den  Wahlkampf  marschieren.  So  ward 
vorigen  Sonntag  auf  dem  Parteitag  in  Han -
nover  beschlossen.  „Der  Starke  ist  am  mächtigsten 
allein."  Ein  heroischer  Geist  ist  in  die  Partei  ge -
fahren  —  den  großen  Worten  nach  —  und  hat  den 
erloschenen  Liberalismus  aus  der  Asche  wieder  zu 
heller  Flamme  aufgeblasen  —  mit  dem  Blasebalg 
der  Phrase.  „Unsere  Aufgabe  ist  es,  den  Rückschritt 
an  jeder  Stelle  und  in  jeder  Form  zu  bekämpfen", 
trompetet  der  Wahlaufruf  in  der  Einleitung. 
Zunächst  also:  Los  von  den  Konservativen, 
die  im  Bunde  mit  dem  Zentrum  das  Reich  mit 
„Rückschritt  und  Rückständigkeit  bedrohen",  wie  es 
weiter  heißt.  „Rückschritt"  zielt  ans  ein  Schul -
gesetz  ä  la  Zedlitz;  „Rückständigkeit"  auf  den 
Kanal.  Die  nuverkürzte  Wiedereinbringuug  der 
Kanalvorlage,  erklärt  der  Wahlaufruf,  müsse  eine 
der  erste»  Forderungen  der  nationalliberalen  Partei 
sein,  ihre  Verwerfung  durch  die  konservativ-klerikale 
Mehrheit  habe  die  wirtschaftliche  Entwicklung  schwer 
geschädigt. 
In  der  Diskussion  machte  der  Reichs-  und  Landtags -
abgeordnete  Wallbrecht  die  sensationelle  Mitteilung, 
daß  seinerzeit  für  den  Kanalban  100  Millionen  aus 
privaten  Mitteln  beisammen  waren,  weitere  200  Mill, 
zu  übernehmen  war  der  verstorbene  Bankdirektor 
Siemens  bereit.  Man  hielt  das  geheim,  weil  man 
die  Intrigue  der  Kaualgegner  fürchtete.  Der  damalige 
Reichskanzler  Hohenlohe  stand  der  Sache  sympathisch 
gegenüber.  Der  Minister  v.  Thielen,  der  Autor  des 
Wortes  „Gebaut  wird  er  doch!"  iiberivies  sie  einer 
Kommission.  Nach  6  Dtonaten  aber  erfolgte  der 
Bescheid,  die  Konzession  zum  Kanalban  werde  nicht 
irteilt,  trotz  der  vorhandenen  Geldmittel.  —  Das  läßt 
lief  blicken! 
^Obgleich  also  die  nationalliberalen  Herren  vom 
trotzen  Kapital  au  dem  Kanalbau  so  großes  Zuleresfr 
hatten,  haben  sie  dennoch  beim  Zolltarif  dieser 
s:lben  konservativ-nltramontanen  Mehrheit  die  Steig -
bügel  gehalten  und  ihre  Machtposition  damit  nicht 
wenig  verstärkt,  statt  sie  zu  schivächcu,  wozu  sie  die 
beste  Gelegenheit  hatten!  —  Und  da  soll  inan  glauben, 
daß  sie  jetzt  ernsthaft  von  ihr  abrücken!  Bei  den 
Wahlen  mag  sein,  da  ein  Kompromiß  mit  den  Kou- 
servativen  nichts  anderes  als  eine  societas  leonina 
für  sie  wäre;  aber  hernach?  Es  wird  kommen  wie 
beim  Ritter  Tannhäuser:  ,,O  Venns,  schöne  Frane 
zart,  Ihr  seid  eine  Teufelinne.  Verlassen  will  ich 
Euch  jetzund,  Leid  schafft  mir  Eure  Minne."  Bald 
«her:  „Der  Ritter  Tannhäuser,  er  wandelt  so  rasch, 
die  Füße,  die  wurden  ihm  wunde.  Er  kam  zurück 
in  den  Venusberg"  —  man  kennt  das  weitere. 
Ach,  die  Reize  der  reaktionären  Venns  sind  für 
die  nationalliberalen  Sinne  viel  zu  bestrickend,  als 
daß  sie  sich  von  ihnen  losreißen  könnten,  und  der 
Aufruf  selber  bekundet  das  mit  naiver  Offenherzigkeit. 
Ju  der  Stelle  nämlich,  wo  er  nach  links  Front 
macht,  erklärt  er  die  Sozialdemokratie  für 
eine  rückschrittliche  Partei!  „Der  Kampf  gegen 
diese  in  Wahrheit  rückschrittliche  Partei  bleibt  nach 
wie  vor  unsere  nationale  und  liberale  Pflicht." 
Man  hat  uns  schon  alles  mögliche  Böse  nach -
gesagt,  aber  daß  man  uns  je  einmal  eine  reaktionäre 
Partei  tituliert,  hätten  wir  uns  niemals  tränmen 
lassen.  Und  das  ist  nicht  etwa  die  Biertischkauue- 
gießerei  eines  angesäuselten  Spießers,  sondern  wird 
uns  parteioffiziell  bescheinigt.  Wir  sind  uiederge- 
schmettcrt,  denn  die  einzig  fortschrittliche  Partei  zu 
sein,  war  unser  höchster  Stolz.  Doch:  „Duld'auch 
das  noch,  mein  Herz,  Du  hast  schon  vieles  erduldet!" 
sagt  Odysseus. 
Indessen  „ist  es  auch  Wahnwitz,  hat  eS  doch 
Methode".  Dem,  der  im  Eisenbahueoupö  nach  rück -
wärts  sitzt,  scheint  ja  der  Zug  sich  rückwärts  zu  be -
wegen,  statt  vorwärts.  V0m  In  teressenstandpu  n  kt 
des  Liberalismus  gesehen,  muß  tatsächlich  die 
sozialdemokratische  Bewegung  rückläufig  erscheinen. 
Fallen  wir  doch  dem  rasenden  Galopp  der  kapitalisti -
schen  Plusmacherei  kräftig  in  die  Zügel.  Fordern 
wir  doch  Einschränkung  der  Unternehmeraulokratie, 
gesetzliche  Maßnahmen  zum  Schutz  der  Arbeiter  gegen 
ausbeuterischen  Absolutismus.  Das  haben  die  Herren 
früher  im  Namen  des  liberalen  Prinzips  bekämpft, 
als  freiheitswidrig  („Freiheit,  die  ich  meine"),  was 
oft  genug  unserseits  verhöhnt  wurde,  weshalb  sie 
nun  eine  neue  Formel  dafür  ausgeheckt  haben. 
Reaktionär  sind  wir  auch,  weil  wir  den  einseitigen 
und  kultnrwidrigen  Nationalismus  bekämpfen,  beim 
„fortschrittlich"  ist:  sich  über  alle  anderen  Nationen 
überheben.  Reaktionär  sind  wir,  weil  wir  den 
Militarismus  bekämpfen,  denn  Fortschritt  heißt,  das 
ganze  Reich  in  eine  große  Kaserne  verwandeln  und 
alle  Verhältnisse  mit  Gamaschengeist  infizieren. 
Reaktionär  sind  mir,  weil  wir  billig  Lebensmittel 
für  die  Massen  wollen,  denn  der  Fortschritt 
heischt,  sie  möglichst  verteuern,  um  den  Junkern 
nud  dem  FiSkns  die  Taschen  und  Kassen  zu  füllen. 
Reaktionär  ist  Männerstolz  vor  Königsthronen,  Fort -
schritt  byzantinisches  Schweistvedeln.  Und  vollends 
unser  Endziel:  Ist  es  nicht  der  Gipfel  der  Reaktion, 
nach  einem  gesellschaftlichen  Zustand  zu  streben, 
in  dem  alle,  die  ihre  Arbeitspflicht  erfüllen,  ein  reich -
liches  Auskommen  haben  und  an  sämtlichen  materiellen 
und  idealen  Kulturgütern  teilnehmeu  können,  statt 
daß  der  Fleiß  darbt  und  der  Müssiggang  praßt! 
Ist  es  nicht  verständlich,  daß  ein  Rentier,  der  dem 
lieben  Gott  die  Tage  abstiehlt  und  dabei  ein 
Schlaraffenleben  führt,  in  der  sozialistischen  Gesell -
schaftsform,  die  jedem  Arbeitsfähigen  znmutet,  ettvas 
Nützliches  zu  treiben,  einen  Rückschritt  erblickt! 
Die  Etiketten  vertauschen,  falsche  Etiketten 
auf  Flaschen  kleben,  um  Sudel  als  Nektar  an  den 
Manu  zu  bringen,  ist  nicht  nur  im  Weinhandel 
spitzbübische  Praktik.  Schon  der  alte  Prophet  Jesajah 
stellt  diejenigen  an  den  Pranger,  die  „Licht  Finsternis 
und  Fiuireruis  Licht  nennen",  wie  re  noch  heute 
von  den  Ultramontaneu  mit  Vorliebe  geschieht.  Daß 
ihnen  hierin  die  Nationalliberaleu  ebenbürtig  sind, 
beweisen  sie  mit  der  Charakteristik  der  Sozialdemo -
kratie  als  rückschrittliche  Partei. 
Bon  der  Weltbühne. 
Handelsministcr  itnb  Bergarbeiter.  Der 
preußische  Hanbelsniinister  Möller  hat  bei  seiner  An -
wesenheit  in  S  a  a  r  b  r  ü  ck  e  n  eine  Bergarbelterdeputation 
empfangen  und  in  der  Slnsprache  an  die  Deputation 
u.  a.  gesagt: 
„Ihr  habt  alle  Ursache,  Vertrauen  zu  haben  zu 
der  Behörde,  die  Euch  die  Arbeit  zu  geben  in  der  Lage 
ist.  Niemals  müßt  Ihr  vergehen,  daß  Ihr  nicht 
allein  um  Euer  selb  st  willen  da  seid, 
ebensowenig,  wie  wir  es  sind,  sondern,  daß  wir  alle  da 
sind,  um  unser  StaatSgebilde,  unser  Reich  hochzuhalten, 
daß  alle,  die  in  dem  Reich  leben,  gleichmäßig  beteiligt 
sind  an  den  Wohltaten,  dir  die  Macht  des 
Reiches  ausstrahlt.  Wenn  Ihr  immer  treu  zu 
uns  haltet,  wie  wir  die  Absicht  von  jeher  hatten,  treu 
zu  Euch  zu  halten,  so  wird  es  Euch  und  unS  und 
dem  Deutschen  Reiche  wohlergehen." 
Saarbrücken  ist  das  Revier,  in  dessen  Nachbarschaft 
Stumm  herrschte,  und  da  dürsen  die  Arbeiter  nicht  em -
pfinden,  daß  cs  ein  Unterschied  ist,  ob  sie  bei  Stumm 
ober  beim  preußischen  Staate  in  Arbeit  stehen.  Stumm 
hielt  auch  jedes  Jahr  eine  Rede  und  liebte  es  auch,  die 
Arbeiter  immer  fühlen  zu  lasten,  daß  sie  Knechte  seien. 
Er  nannte  dies  ein  „patriarchalisches  Verhältnis".  So 
redet  auch  Möller.  „Ihr",  „Euch",  das  sind  die  An -
reden  des  Ministers  an  die  Arbeiter,  die  im  Dienste  des -
selben  Staates  stehen,  in  besten  Dienste  auch  er  sttht. 
Warum  redete  er  von  den  Wohltaten  des  Reiches?  Für 
alle  Rechte,  die  das  Reich  bietet,  haben  die  Arbeiter  auch 
Pflichten  zu  erfüllen.  Werden  aber  Rechte  und 
Pflichten  den  einzelnen  Klassen  genau  abgemessen,  dann 
wird  sich  Herausstellen,  daß  bei  den  Arbeitern  die  Pflichten 
und  bei  den  Besitzenden  die  Rechte  überwiegen. 
(Nachdruck  verdaten.) 
Jena  oder  Sedan? 
Roman  von  Franz  Adam  Beyerlein. 
DaS  alles  sprach  der  Greis  mit  einer  rührenden 
Bescheidenheit.  Er  gab  sich  beständig  Mühe,  eine 
militärische  Haltung  cinzunehmen,  und  ließ  keine  der 
üblichen  Respektsanreden  weg,  nicht  anders,  als  wäre 
er  noch  in  seiner  alten  Feldwebeluniform  und  stände 
vor  seinem  gestrengen  Vorgesetzten.  Dabei  rannen 
ihm  Tränen  über  die  gebräunten  und  gefurchten 
Wangen  in  den  schlohweißen  Bar»,  und  wenn  er  sich 
aus  seiner  gebückten  Stellung  aufzurichten  versuchte, 
klirrten  die  Orden  auf  seiner  Brust  leise  aneinander. 
Wegstetten  hatte  wenig  Trost  für  den  alten  Mann. 
Er  sagte  ihm,  wie  dem  <-ohne  von  allen  Seiten, 
von  Offizieren  und  Unteroffizieren,  in  der  Gerichts -
verhandlung  nur  das  allergünstigfte  Zeugnis  aus -
gestellt  worden  sei,  wie  er  als  Batteriechef  sich  gefreut 
habe,  einen  so  tüchtigen  Unteroffizier  für  seine  Batterie 
gewonnen  zu  haben,  und  wie  allerdings  nur  das  Um 
glschick  eines  neu  in  die  Truppe  znrückgetretenen  Offi- 
3wrs  den  unangenehmen  Vorfall  veranlaßt  habe. 
DaS  Antlitz  des  Chausseegeldereinnehmers  ver- 
-larte  sich  bei  den  Lobesworten  des  Hauptmanns  Er 
atmete  auf  Gott  fei  Dank!  Dann  konnte  eS  gar 
nickst  schlimm  werden  mit  dem  Jungen  I  Ein  paar 
Wochen  Arrest  —  damit  war  die  Sache  abgetan 
Aber  Wegstetten  erzählte  weiter  von  dem  übel- 
angebrachten  Trotz  des  Soldaten  und  schließlich  mußte 
er  wohl  oder  übel  dem  Vater  des  Verurteilten  die 
verhängte  Strafe  mitteilen. 
Fünf  Monate  Gefängnis! 
Das  traf  den  Ehaufieegelbereinnehmer  wie  ein 
Schlag.  Er  wanke,  und  der  Hauptmann  mußte  ihn 
stützen. 
Die  Schwäche  ging  bald  vorüber,  und  Friedrich 
August  Vogt  bat  um  Entschuldigung.  Aber  er  hörte 
nicht  mehr  darauf,  was  der  Batteriechef  zur  Begrün -
dung  des  harten  Urteils  ausführte.  Es  war  ihm  ein 
zu  tlaffender,  zu  schreiender  Widerspruch:  hier  das 
Vergehen,  das  geringfügige  Vergehen,  das  ein  so 
guter,  braver  Soldat,  wie  es  sein  Junge  nach  dem 
allgemeinen  Urteil  war,  in  einer  augenblicklichen  Auf- 
wallmig  sich  hatte  zu  schulden  kommen  lasten,  in 
fwallung  noch  dazu,  die  zugestandenermaßen 
erst  da»  „Ungeschick"  des  Vorgesetzten  hecvorgerufen 
hatte  —  und  da  die  ungeheuerlilye  Strafe  von  fünf 
Monaten  Gefängnis  Tiefer  Gegensatz  zwischen  Ver- 
Ichuldung  und  Strafe  wollte  ihm  nicht  in  den  Kopf 
Er  ging  schweigend  neben  Weostetteii  her,  der 
lebhaft  auf  ihn  einredete.  Bor  dem  Tor  des  Gerichts- 
gcbäudes  blieb  er  stehen.  Er  nahm  Stellung  und 
wollte  sich  von  dem  Hauptmann  verabschieden. 
Da  fragte  der  Offizier  noch:  „Vielleicht  wollen 
Sie  Ihren  Sohn  einmal  sprechen?  Ich  will  Ihnen 
gern  die  Erlaubnis  vermitteln." 
Der  Chaustcegeldereinnehmer  antwortete:  „Zu 
Befehl,  Herr  Hauptmann  Wenn  Herr  Hauptmann 
die  Güte  haben  wollten." 
Das  war  rasch  getan.  Wegstetten  wechselte  ein 
paar  Worte  mit  dem  Vorstand  des  Festungsgefäng -
nisses  und  kehrte  mit  dem  Erlaubnisschein  zurück.  Er 
biachte  selbst  den  alten  Mann  bis  zum  Tore  der 
Gcfangenenanftalt, 
„?>ehmen  Sie  es  nicht  allzu  schwer,  Herr  Vogt!" 
sprach  er  beim  Abschied.  „Ihr  Sohn  hat  eine  mensch -
lich  erklärliche  Verfehlung  begangen  und  ist  dafür  sehr 
hart,  aber  gerecht  bestraft  worden.  Ein  ehrlicher 
Soldat  bleibt  er  trotzdem." 
„Zu  Befehl,  Herr  Hauptmann,"  erwiderte  der 
Chauffeegelderelnnehmer. 
Er  sah  dem  kleinen  Offizier  finster  nach.  Was 
waren  das  alles  für  Redensarten?!  Sollte  das  ein 
Trost  sein,  daß  sein  Junge  wenigstens  kein  ehrloser 
Lump  war?  Er  wußte  am  besten,  was  er  an  seinem 
Ktnde  hatte,  er  kannte  es  am  besten!  Bravheit  und 
Ehrlichkeit,  die  waren  untrennbar  von  dem  Franz. 
Krauchte  ihm  keiner  zu  sagen. 
-  hatten  sie  den  armen  Burschen  nicht  ebenso 
Ür«ng  bestraft,  als  wenn  er  gestohlen  hätte?  Mancher 
Dieb  kam  glwipflicher  weg  als  der  Junge.  Jawohl, 
so  lief  dte  «ache  aus:  sie  hatten  den  Jungen  zu 
lieber  den  >va>i  dcS  Mittellandkiuials  für 
Wahlbüchlein  ausgesprochen. 
.Die  Negierung 
Die  „Voss.  Zig."  folgert  daraus: 
worden  seien.  Gras  Bülow  will  keine  inneren  Krisen, 
Zu  diesin 
Es 
der  Statistik  geschehen  ist;  denn  sie  unter« 
ihn  wegen  einer  Lumperei  fünf  lauge  Monate  ein! 
Ei  zum  Teufel!  Was  hatte  es  dann  für  einen  Zweck, 
ist 
ein« 
sind, 
Bester  wäre  eS  gewesen,  wenn  bet  Minister  über  ble 
Stellung  der  Arbeiter  zum  preußischen  Staat  gesprochen 
hätte,  zumal  der  Staat  aus  den  Erträgnisten  der  Berg -
arbeiter  hohe  Profite  einheimst.  Die  Löhne  in  den 
Staatswerken  sind  niedriger  als  im  Ruhrrevier,  und  die 
Abhängigkeit  ist  größer  als  irgendwo  anders.  Wir  er -
innern  nur  daran,  daß  l f  r  2  vierhundert  Bergarbeiter 
gemaßregelt  wurden  und  fei  wem  dauernd  von  der  Arbeit 
fern  gehalten  werden,  weil  sie  von  dem  gesetzlichen  Recht, 
dem  Koalitionsrecht  Gebrauch  gemacht  hatten. 
Ist  das  Koalitionörecht  eine  Wohltat,  die  das  Reich 
„ausstrahlt",  dann  hatten  die  Arbeiter  das  Recht,  bett 
Minister  zu  fragen,  weshalb  ihnen  eS  verweigert 
wird.  Der  preußische  Staat  macht  gemeinsame  Sache 
mit  den  schlimmsten  Schakfmachern.  Im  Saarrevier 
folgte  die  Bergwerksleitung  den  Befehlen  StummS. 
Will  Möller  mit  dem  Reichsrecht  prahlen,  dann  mag  er 
dafür  sorgen,  daß  die  Arbeiter  der  StaatSwerke  nicht 
länger  Arbeiter  zweiter  Klaffe  sind  Will  der  Staat  das 
nicht,  daun  möge  er  wenigstens  die  Löhne  zahlen,  die 
die  Arbeiter  sich  sonst  durch  das  Koalisiousrecht  erringen 
können.  So  lange  der  Staat  niedrigere  Löhne  zahlt  als 
Privatunternehmer  und  den  Arbeitern  das  Koalitions -
recht  vorenthält,  muß  mau  annehmeu,  daß  die  Arbeiter 
entrechtet  werden,  um  die  Profite  de»  Fiskus  zu  steigern. 
und  somit  kamt  es  sehr  wohl  geschehen,  daß  die  Enk 
lastung  der  Bauern  des  Ostens  von  ihren  schweren  Schub 
lasten  erst  „seinerzeit"  erfolgt. 
in  feiner  Bravheit  und  Ehrlichkeit  nachgelassen  hatte, 
Ivar  eine  Wandlung  in  ihm  vorgegangen.  Der  Junge 
war  ein  williger,  pflichttreuer  Soldat  gewesen,  wie 
es  williger  und  pflichttreuer  -einen  geben  konnte  — 
das  bezeugten  ihm  alle  —  und  trotzdem  sperrten  sie 
einen  Zweck, 
ein  guter  Soldat  zu  sein?  Mit  einem  Male  spürte 
er  keinen  Tropfen  mehr  von  dem  gehorsamen,  respekt- 
haufeu  im  Bochumer  Bezirk,  wo  38  Proz  bezw.  49  Proz. 
der  Bevölkerung  Polen  sind,  Habinghorst  39  Proz., 
Bismarck  40  Proz,  Bulmke  35  Proz.,  Hülben  47  Proz. 
Bezirk  Dortmund)  und  im  Bezirk  Reckliughaufen,  wo 
in  Serien  35  Proz.  und  in  Bottrup  43  Proz.  dem 
Polonium  angehören.  In  den  übrigen  Orlen  dieser  vier 
Judustriebezirke  ist  die  Bevölkerung  durchschnilllich  zu 
einem  Viertel  polnisch.  Unter  den  162  578  Polen,  die 
hier  wohnen,  sind  59  732  Männer,  35  531  Frauen  und 
66  295  Kinder  unter  14  Jahren,  davon  sind  rund 
25  000  schulpflichtig.  <Jm  Bezirk  Gelsenkirchen  sind  z.  B. 
21,9  Proz.  der  Schulkinder  Polen.)  Von  den  162  578 
Polen  (darunter  43  696  Masuren)  sind  über  111  000 
scheiden  sich  durch  Abstammung,  Sprache  und  Religions -
bekenntnis  von  ihnen:  vor  allem  aber  sind  sie  zum 
größten  Teil  gut  preußisch  gesinnt  und  bilden  keine 
eigentliche  Gefahr  für  baS  Deutschtum.  Es  ist  klar,  daß 
bei  einem  so  starken  Bestand  das  Poleutmn  immer  ge -
waltiger  in  das  öffentliche  Leben  cingreift.  In  Kirchen« 
Vorstände  nud  kirchliche  Gemeindevertretungen  sind  sie 
schon  gewählt  und  machen  ihren  Einfluß  gegen  das 
Deutschtum  geltend;  sogar  ein  polnischer  Stadtverord -
neter  (Zentrum)  existiert  in  Castrop.  Dos  polnische  Ver- 
einsweseu  dehnt  sich  ständig  aus:  die  126  Poleuvereiue 
in  Westsalen  zählen  etwa  12  000  Mitglieder;  hierbei  sind 
nicht  mitgezählt  die  Mitglieder  des  staatsfeindlichen 
Polenbuiides,  des  polnischen  Gewerkvereins  und  des  sog. 
Josaphatfonds.  Jeder  zweite  Pole  ist  Mitglied  eines 
polnischen  Vereins,  und  alle  Vereine  haben  nur  ein  Ziel: 
die  Wiederaufrichtung  des  tkönigreichs 
Polen!  Und  dieser  „fromme  Wunsch"  kommt  bei  allen 
polnischen  Festlichkeiten,  die  bei  dem  guten  Verdienst  in 
der  Jndustriegegend  recht  zahlreich  sind,  scharf  zum  Ausdruck. 
„Aus  all  diesen  Angaben  geht  hervor,  daß  die 
polnische  Gefahr  in  Westfalen  auch  nicht 
zu  unterfchätzen  ist,  und  daß  energische  Maßregeln 
ergriffen  werden  müssen,  wenn  das  Deutschtum  in  dieser 
Gegend  nicht  mehr  in  den  Hintergrund  gedrängt  werden 
Thielen  (der  das  Wort  sprach:  „Gebaut  wird  er  doch!") 
eingesetzte  „Kommission"  überhaupt  niemals  zu- 
fauniieiigelreteit  ist. 
Die  „westfälischen"  Pole».  Dem  national- 
liberalen  „Hannoverschen  Courier"  wird  geschrieben: 
„Seit  Jahren  schreibt  man  über  die  Polengefahr 
in  den  Ostmarken,  und  während  beffen  haben  sich  bie 
Polen  in  Westfalen  in  aller  Stille  Schritt  für 
Schritt  ein  neues  Gebiet  erobert.  Macht  man 
Mit  einer  Tpaltnng  der  Frcisiniiigen  Ver- 
eütfflitiifl,  bie  eben  erst  durch  die  Nalionalsozialen  einen 
kleinen  Zuwachs  an  Offizieren  erhallen  hat,  droht  bie 
„Weserzlg  ",  falls  ernstlich  Versuche  eines  Zusammen -
gehens  mit  derSozialdemokratie  bei  den 
L  a  n  d  I  a  g  s  wa  h  le  n  gemacht  werden  sollten.  Das 
zur  freisinnigen  Vereinigung  zählende  Organ  preist  bie 
Politik  des  Richterschen  Flügels,  der  mit  den  Natioual- 
liberalen  zusammen  Wahlgeschäste  zu  machen  sucht, 
und  schreibt  daun: 
„In  der  io  e  i  t  Heineren  Freisinnigen  Vereini -
gung  ist  zwar  hier  und  da  Beifall  für  die  BundeS- 
genoffenschaft  mit  den  Sozialdemokraten  laut  gewordeu, 
daneben  aber  auch  kräftiaerWiderstand.  Wir 
erfahren  aus  verschiedenen  Wahlkreisen,  daß  bie  bärtigen 
Parteifreunde  eine  ebenso  unbeugsame  Abnei -
gung  gegen  den  Gedanken  haben  wie  die  bremischen, 
welch  letztere  zwar  au  der  preußischen  LaudtaaSwahl 
unbeteiligt  sind  und  bie  dieserhalb  gebotene  Zurückhaltung 
beachten,  sich  jeboch  nicht  nehmen  lassen,  bie  Schritte  bc'r 
mit  ihnen  in  Reichstagsangelegenheiten  eng  verbunbenett 
Partei  zu  beurteilen.  Wir  haben  Grund,  die  Weige -
rung  einer  Anzahl  von  Partetgeitoffenfchaften  für 
unabänderlich  zu  halten.  Aus  wie  viele  Wahlkreise 
dies  zutriffl,  missen  wir  nicht  und  tveiß  niemand;  ebenso 
ist  es  unbekannt,  wie  viele  eiitgeaengefetzler  Ansicht  sind. 
Gewiß  ist  aber  eins.  Durchführbar  ist  der  Ge -
danke  des  WahlbündniffeS  mit  bet  Sozialdemokratie 
nur  unter  Spaltung  b  e  r  kleinen  Partei 
bet  Freisinnigen  Vereinigung.  Das  sollten 
selbst  biejenigen  bebenfeit,  bie  ihn  für  richtig  Hallett.  Sie 
wollen  ba8  liberale  Bürgertum  einigen  und  beginnen 
damit,  indem  sie  eine  neue  Spaltung  Hervorrufen. 
Das  GtoS  des  liberalen  Biirgerlums  sammelt  sich  soeben 
zu  einem  gemeinsamen  Wahlkampfe  der  Nationalliberalen 
mit  der  Freisinnigen  Vereinigung;  wer  sich  als  Sonder- 
bündlet  abseits  hält  und  mit  bett  Sozialdemokraten 
und  über  50  000  evangelisch, 
gehören  bie  Masure  11. 
katholisch 
letzteren 
übrigens 
fach  zu 
wie  eS  in 
bebauerlich,  baß  bie  Masuren 
den  Polen  gerechnet  worben 
soll.  Und  ähnlich  wie  im  westfälischen  sieht  eS  auch  im 
rheinischen  Industriegebiet  auS." 
DaS  ist  doch  ein  recht  absurdes  scharfmacherisches 
Gejammer.  Wer  ist  eS  beim,  der  bie  „polnischen  Nieber- 
lassungen"  in  Westfalen  zu  stände  bringt?  DaS  „gut -
gesinnte",  baS  „nationale"  Grubenherren -
tum.  Worin  könnten  bie  energischen  Maßregeln  gegen 
bie  „Polengefahr"  bestehen?  Dime  Zweifel  beult  man 
an  ein  scharfes  polizeiliches  Abwehrregiment,  baS  in 
erster  Linie  die  Unterdrückung  der  freien  Bewegung  der 
Polen  sich  zur  Aufgabe  macht  uiib  —  damit  bet 
polnischen  Opposition  natürlich  nur  Vorschub  leistet 
Mit  welchem  Recht  ruft  man  nach  „energischen 
Maßregeln"  gegen  bie  Polen?  Man  will  sie  ja  gerade 
als  Bürger  des  preußischen  SlaateS  behalten.  Da  soll 
man  ihnen  auch  ihr  Staatsbürgerrecht  lassen.  Aber 
man  will  ihnen  ihre  Nationalität  nehmen,  beschränkt  sie 
in  jeder  Hinsicht  im  Gebrauch  ihrer  Muttersprache  und 
tust  damit  ganz  selbstverständlich  die  Gegenwehr 
hervor.  Die  kleinlichen  Anfeindungen  bet  Polen  vor -
hin  b  e  r  ti  die  Assimilierung  mit  den  Deutschen.  Und 
durch  bie  Bedrängungen  wird  bie  stille  Sehnsucht  nach 
der  Wieberherstelluttg  Polens  mit  genährt  statt  getötet. 
Was  bie  Polen  zu  einer  „Gefahr"  für  unsere  nationalen 
Chauvinisten  macht,  ist  eben  die  DtangsalierungSpolitik, 
bie  gegen  sie  geübt  wird. 
eine  Spazierfahrt  durch  das  Industriegebiet  bes  Laubes 
der  „roten  Erde",  so  bemerkt  man,  besonders  in  den 
ländlichen  Gegenden,  vollständig  polnische  Nieder -
lassungen,  und  jede  Stadt  hat  ihr  eigenes  „pol -
nisches  Viertel",  wo  der  polnische  Natioualkult  in  der 
gefährlichsten  Weise  seine  Bluten  treibt.  Bor  etwa 
12  Iahten  ergab  die  Volkszählung  in  Westfalen  eine 
Poleiibevölkerung  von  rund  25  000  Personen.  Die 
Streife  Bochum,  Gelsenkirchen,  Dotlmuud  und  Reckling -
hausen,  die  den  Mittelpuukt  bet  westsälischen  Industrie 
bilden,  weisen  nach  der  iieiiefKn  Volkszählung 
Gebiete  auf,  wo  das  polnische  Element  bis  zu  50  pZt. 
der  Bevölkerung  vertreten  ist.  Während  in  den 
60er  Iahten  in  Westfalen  überhaupt  kein  pol -
nischer  Arbeiter  zu  finden  war,  zählt  die  neueste 
Statistik  162  578  Polen  in  diesen  vier  Industrie- 
zeutren.  In  einzelnen  Ortschaften  ist  das  polnische 
Volk  so  stark  ansässig ,  daß  die  Deutschen  wie 
Fremdlinge  erscheinen  und  sich  zum  Teil  sogar  den 
polnischen  Gewohnheiten  anpasjen.  ^Hier  sind  vot- 
eincr  entehrenden  Strafe  verurteilt  —  warum?  — 
weil  er  zu  viel  Ehrgefühl  im  Serbe  gehabt  hatte!  — 
Er  sckicllte  heftig  an  der  GingangStür  des  We« 
fongenengeöäubeS.  Ein  Eiulaßposten  öffnete  ihm, 
nahm  ihm  die  Besuchserlaubnis  ab  und  führte  ihn 
in  ein  Wartezimmer. 
„Ich  werde  den  Herrn  Hausinspektor  benachrichti -
gen,"  sagte  er  an  der  Tür. 
Der  Ehausseegeldereinnehmer  siand  in  dem  kahlen, 
getünchten  Raume.  Zwer  Nohrstühle  befanden  sich  als 
einziges  Mobiliar  darin  und  —  tiditig!  —  in  der 
Ecke  noch  der  unvermeidliche  Spncknapf.  Das  Fenster 
gino  auf  einen  Hof  hinaus,  der  rings  im  Viereck  von 
hohen  Gebäuden  umgeben  war  Di-  Mauern  ließen 
nur  ein  trübe?  Licht  in  das  Zimmer  fallen;  es  schien, 
als  ob  mich  das  Fenster  des  Warteraums,  das  hoch 
und  breit  war,  klein  und  vergittert  Ivare,  wie  die -
jenigen,  die  wie  halbblinde  Augen  aus  den  kahlen 
Wänden  herausstarrten.  Im  Hofe  kehrte  eine  Anzahl 
von  Häftlingen  das  Pflaster.  Ei'  waren  in  graues 
Zeug  gekleidet  und  hatten  blaue  Schürzen  borge« 
bunden.  Arn  Rande  des  Platzes  patrouillierte  ein 
Posten  auf  und  ab.  Die  Gefangenen  standen  in  einer 
Reihe  und  verrichteten  taktmäßig  ihre  Arbeit.  Die 
lange  Zeile  von  Menschen  nahm  sich  wie  eine  große 
Kehrmaschine  aus. 
Der  Chausseegelbereinnnehmer  trat  vom  Fenster 
zurück.  Er  konnte  den  Anblick  nicht  ertragen.  Fort -
während  mußte  er  dabei  an  seinen  Jungen  denken, 
der  vielleicht  morgen  schon  mit  in  der  Reihe  kehrte. 
Diese  Luft  bedrückte  ihm  die  Brust  —  beinahe  kam 
er  sich  selbst  wie  ein  Gefangener  vor. 
Nun  wurde  bie  Tür  des  Wartezimmers  geöffnet, 
und  der  Hausinspekwr  erschien  auf  der  Schwelle,  ein 
langer,  dürrer  Mensch  mit  einem  leberfarbigen  Gesicht. 
Er  zog  einen  Hornklcmmer  hervor  und  prüfte  den 
Erlaubnisschein.  Von  dem  Papin  wanderten  seine 
Augen  erstaunt  zu  den  Orden  auf  der  Brust  des 
Veteranen  Er  schüttelte  mißbilligend  den  Kopf  und 
gab  zur  Tür  hinaus  einen  Auftrag. 
Kurze  Zeit  daraus  meldete  ein  Grenadier  im 
Oldonnanzanzug:  „Gefreiter  Vogt  zyr  Stelle." 
Keine  politische  Beamte  zu  LandtagS- 
abgeorbneten  zu  wählen,  fotberf  die  agrarisch- 
konservative  „Deutsche  Tageszeitung"  wiederholt  aus: 
„WaS  die  Tätigkeit  des  nächsten  Landtags  anlangt, 
so  birgt  auch  sie  die  Möglichkeit  von  Kouftikten,  selbst 
bann,  wenn  die  Mittellandkanalvorlage,  wie 
augenblicklich  zu  erwarten  ist,  zurückgestellt  werden  sollte. 
Der  bevorstehende  Landtag  wird  sich  voraussichtlich  u.  a. 
mit  der  Schulunterhaltungspflicht  zu  be« 
fassen  haben.  Es  läßt  sich  sehr  wohl  denken,  daß  auf 
diesem  Gebiete  der  Volksvertreter  in  einen  scharfen 
Konflikt  mit  der  Auffassung  b  c  r  StaatS- 
regierung  geraten  sann." 
Die  preußische  Regierung  hat  verschiedentlich  erklären 
lassen,  daß  sie  eine  Neuregelung  der  Schulunlerhalümgs- 
pflicht  beautragku,  über  diese  Ausgabe  jedoch  nicht  hinanS- 
gehen  werde.  Das  Zeutrum  aber  betont  in  seinem  Wahl -
aufrufe,  es  müsse  erwarten,  „daß  die  anderen  mit  dieser 
Frage  in  untrennbarem  Zusammenhänge  stehenden  Fragen 
gleichzeitig  geregelt  werden,  daß  iusbesoiideie  der  kon -
fessionelle  Charakter  unserer  christlichen  Volksschule  in 
Preußen  gesetzlich  festgelegt  wird".  In  dem  gleichen 
Sinne  haben  sich  die  Konservativen  in  ihrem  neuen 
gebt,  verursacht  eine  neue  Spaltung  DaS  muß,  wir 
wiederholen  eS,  selbst  derjenige  anerkennen,  der  den  Ge -
danken  für  richtig  hält." 
Zum  Schluß  wird  ein  Wahlbündnis  mit  der 
Sozialdemokratie  als  bie  Besiegelung  b  e» 
Unterganges  der  Freisinnigen  Vereinigung  be -
zeichnet.  ES  wird  da  etwas  bekämpft,  was  gar  mchl 
in  Frage  steht,  beim  von  einem  eigentlichen  Wahlbündnis 
ist  keine  Rede.  ES  handelt  sich  nur  darum,  daß  die 
Freisinnigen  eventuell  die  sozialdemokratischen  Kandidaten 
gegen  die  Reaktionäre  unterstützen,  wofür  den 
Freisinnigen  von  sozialdemokratischer  Seite  die  gleiche 
Hülse  zu  teil  werden  würde  Daß  man  eS  ander»  dar -
stellt,  kann  nur  den  Zweck  haben,  die  Feigheit  der  frei -
sinnigen  Spießbürger  zu  bemänteln,  die  fürchten,  geschäft -
lich  Schaden  zu  leiden,  wenn  sie  für  einen  Sozialdemo -
kraten  stimmen,  die  aber  auch  von  so  ausgeprägter 
K  l  a  s  s  e  u  f  e  i  u  d  s  ch  a  s  t  gegen  bie  Arbeiter  beseelt 
sind,  daß  sie  lieber  die  geschworensten  Fiiude 
des  Liberalismus  wählen,  als  der  Sozialdemo- 
kraiie  bie  geringste  Hülfe  leisten 
toegen  bete  Zehiistuubeutag  für  weibliche  Ar -
beiter  Hal  sich  der  Z  e  n  t  r  a  l  v  e  r  b  a  u  d  deutscher 
Industrieller  erklärt.  Die  Tatsache  ist  so  selbst -
verständlich,  daß  wir  davon  gewiß  keine  Notiz  genommen 
hätten,  beim  bicfet  Verband  ist  gegen  jede  Maßregel  zu 
Gunsten  der  Arbeiter.  Was  uns  veranlaßt,  eS  unseren 
Lesern  mitziiteileii,  ist  die  Begründung  der  Gegnerschaft. 
Die  „Köln.  Ztg."  berichtet  hierüber: 
„Den  Schluß  der  Verhaudluiigen  bildete  eilte  8(118» 
spräche  über  bie  zehnstündige  Arbeitszeit  bet 
Arbeiterinnen,  worüber  Bueck  berichtete.  Die 
Versammlung  war  barin  einig,  daß  eine  obli -
gatorische  Herabsetzung  der  Arbeitszeit 
für  Arbeitgeber  wie  Arbeitnehmer  der  industriellen 
Betriebe  bie  schwerste  Schädigung  mit  sich  bringen 
und  vor  allem  auch,  wie  Abg.  Dr.  Beumer  hervorhob, 
die  Landwirtschaft  auf  3  ungünstigste 
beeinflussen  würde,  da  eine  derartige  gesetzliche 
Maßregel  die  Landflucht  erheblich  vermehren 
und  auch  in  den  Kreisen  der  landwirtschaftlichen  Ar -
beiter  und  Arbeiterinnen  Bestrebungen  nach  Herabsetzung 
der  Arbfilszeit  befördern  werde." 
Also  die  Landflucht  der  Arbeiterinnen  würde  ver -
mehrt  und  das  Drängen  auf  Herabsetzung  der  Arbeits -
zeit  würde  auch  ans  dem  Lande  um  sich  greifen.  Wenn 
aber,  wie  Bueck  behauptet,  die  Arbeiter  durch  die  Herab- 
fehnng  der  Arbeitszeit  „geschädigt"  werden,  wie  kann 
dann  die  Landflucht  und  das  Streben  nach  gleichen 
Zielen  um  sich  greifen  ?  Sollten  die  Mädchen  vom 
Lande  solche  Diilderuaturen  sein,  daß  sie  mit  ihren 
Schwestern  in  der  Industrie  gemeinsame»  Leid  tragen 
wollen?  sperr  Beumer  erkennt  den  Nutzen,  den  die 
Industriearbeiter  haben,  und  sucht  nun  die  Agrarier  mobil 
zu  machen.  Der  Hinweis  auf  die  Landwirtschaft  kommt 
immer,  wenn  Serniinflgrünbe  fehlen. 
Dic  LandtagSersatzluahle»  in  Anhalt,  über 
bereit  Resultat  wir  schon  gestern  berichteten,  Hal  für  bie 
„Lassen  Sie  ihn  eint"  befahl  ber  Inspektor. 
Daun  wandte  er  sich  um  und  schaute  zum  Fenster 
hinaus. 
Franz  Vogt  ging  ruhig  auf  den  Vater  zu.  Er 
sah  thut  mit  einem  freien,  offenen  Blick  in  die 
Augen. 
„Guten  Tag,  Vater!"  sagte  er  einfach. 
Der  Chausseegeldcreiitnehmer  griff  mit  beiden 
Händen  nach  der  Rechten  des  Sohnes  und  drückte  sie 
lange  und  innig.  Dabei  traten  ihm  Tränen  in  die 
Augen,  und  er  sah  ben  Sohn  nur  wie  burch  einen 
Schleier.  Gottlob  trug  der  Junge  noch  seinen 
Artilleristenrock.  Es  blieb  bem  alten  Mann  erspart, 
ihn  in  ber  grauen  Gefängnistracht  zu  erblicken. 
Da  der  Vater  schwieg,  begann  ber  Sohn  zu 
reden.  Er  erzählte  in  seiner  schlichten,  treuherzigen 
Art,  wie  diese  unglückselige  Geschichte  sich  abgespielt 
hatte,  er  schilderte  getreu,  was  zu  feinen  Gunsten 
sprach,  aber  er  gab  auch  ohne  weiteres  feine 
Schuld  zu. 
„Weißt  Du  schon,  Vater,"  schloß  er,  „wozu  ich 
verurteilt  bin?" 
Der  Chausseegeldereinnehmer  nickte 
Franz  blickte  bekümmert  zu  Boden  und  fuhr  leise 
fort:  „Es  scheint  mir  sehr  hart,  Vater." 
Er  spürte  einen  heftigen  Druck  der  Hand  und 
sah  den  Vater  wiederum  bejahend  den  Kops  neigen. 
„Ich  hätte  es  mir  selbst  zuzuschreiben,  sagte  ber 
Unteroffizier."  rebete  der  Gefangene  weiter.  „Sie 
haben  mist'  gefragt,  ob  ich  bie  Sache  bereute.  Da 
hab'  ich  „nein"  geantwortet.  Das  wäre  dumm  ge- 
icefen,  meinte  der  Unteroffizier.  Aber  ich  konnte  nicht 
anders.  Und  ich  würbe  auch  jetzt  wieder  „nein"  ant -
worten  müssen." 
Da  tat  der  Thausseegeldereinnehmer  zum  ersten 
Male  den  Mund  auf,  seitdem  ber  Sohn  in  bas  Zimmer 
getreten  Ivar. 
„Recht  hast  Du!"  sagte  er  laut  und  scharf,  so 
baß  der  Inspektor  am  Fenster  ein  wenig  zusammen- 
zuckte  und  sich  räusperte. 
Nachdem  er  fein  Kind  wiedergesehen  hatte,  diesen 
brMn,  ehrlichen  Jungen,  der  ganz  gewiß  nirgend» 
voller.  Solbatenblut  des  alten  Feldwebels  in  seinen 
Adern,  jetzt  war  er  nur  mehr  ganz  ein  Bauer,  der 
mit  seinem  harten  jiops  auf  bem  besteht,  wcM  er 
für  recht  ersannt  hat,  ein  Bauer,  der  sich  mit  blinder 
Hartnäckigkeit  gegen  jeden  Einwand  verschliesst  und 
mit  ber  ganzen  Person  für  feine  Ueberzeugung 
einritt. 
„Recht  hast  Du!"  sagte  er  uochinalS.  „Und 
Recht  hast  Tu  gehabt!" 
Der  Sohu  joat  einsichtsvoller  als  ber  Vater, 
obwohl  ihn  die  Strafe  traf. 
„Das  ist  Dein  Ernst  nicht,  Vater,"  erwiderte 
er,  „ich  weiß,  daß  ich  schuldig  bin.  Aber  so,  daß 
die  Strafe  so  hart  würde,  doch  nicht.  Ich  kann  ja 
auch  appellieren." 
Der  Ehausseegeldereinnehmer  lachte  leise  auf. 
„Daß  Du  ein  Dummkopf  wärst!"  »ersetzte  er. 
„Daß  sie  Dir  noch  mehr  auf  brennen!  Nein,  Junge, 
wenn  Du  auf  mich  hören  willst,  laß  das,  das 
Appellieren!  Wenn  sie  Dir  unrecht  gekommen  sind, 
bann  trag’  bie  Ungerechtigkeit  mit  Stolz  —  auch 
biefe  Zeit  geht  vorüber  I  Aber  bettle  nicht  um  Ge -
rechtigkeit  r 
Franz  Vogt  senkte  traurig  ben  Kopf.  Er  hatte 
gehofft,  das  Oberkricgsgericht  würde  feine  Strafe 
ermäßigen,  aber  was  ihm  der  Baker  riet,  das  mußte 
schon  das  Rechte  fein. 
Der  Inspektor  am  Fenster  drehte  sich  herum, 
Die  Besuchszeit  war  abgelaufen. 
Roch  einmal  umfaßte  der  Sohn  bte  ehrwürdige 
Erscheinung  des  Vaters  mit  einem  liebevollen  Blicke, 
Dortsitzcmg  folgt.) 
Privatrcchiinng  hat  der  iiatioiiallibcrale  Abgeordnete 
Baurat  Wallbrecht  in  Hannover  bei  Gelegenheit  be» 
nationalliberalen  DelcgiertentageS  bemerkenswerte  Mit -
teilungen  gemacht,  wie  folgt:  AIS  im  Jahre  1899 
ber  Kanal  abgelehnt  wurde,  traten  die  Kaualiutereffcnten 
zusammen  und  sagten  sich:  mir  müssen  einfach  den  Kanal 
selbst  bauen,  wenn  bie  Regierung  bic  Konzession  erteilt. 
Wir  kamen  nach  Ausstellung  einer  RentabilitälSberechnimg 
zu  dem  Resultat,  daß  der  Kanal  auS  Privatmitteln  zu 
bauen  ist.  Oberbaudirektor  Franziu»  -  Bremen  und 
Keueraldirektor  Bellüigrath-DreSden  gingen  über  unsere 
Rentabilitätsberechnung  sogar  noch  hinaus.  ES  ist 
mir  damals  gelungen,  von  den  Inter -
essenten  100  Millionen  aufzubringen, 
die  übrigen  200  war  der  verstorbene 
Herr  v.  Siemens  zu  übernehmen  bereit. 
Der  Plan  wurde  den  Ministern  und  dem  Fürsten 
Hohelohe  vorgelegt.  Herr  v.  Thielen  stand  der 
Sache  kühl  gegenüber,  Miquel  war  heute  dafür, 
morgen  dagegen  und  nur  Reichskanzler  Fürst 
Hohenlohe  war  ein  entschiedener  Freund  des  Projekts. 
Wir  wollten  bie  Konzession  nur  für  den  Fall,  baß  der 
Kanal  wieder  abgelehnt  würde.  Die  Berhandlniigen 
wurden  aber  durch  Thielen  in  die  Länge  ge -
zogen;  et  sagte,  er  habe  bie  Sache  einer  Kommission 
zur  Prüfung  überwiesen.  Nachdem  ich  fünfmal  in  sechs 
Monaten  bei  ihm  war,  erhielt  ich  bie  Nachricht,  bie  Re -
gierung  wolle  bie  Konzession  nicht  erteilen, 
voiuncveu  Oücwonnveuen  anvanen  lotet  ।*•«**•  „inzwiichen  wat  auch  Hohenlohe  au»  dem  Ante  gt  - 
herrschend  -  poInfi  ch.  RerkcuMädrn  schilder  TrachteuZ  wird  also  den  Konflikt  haben,  fall»  sie  nicht  vorzieht,!schieden,  und  der  jetzige  ReichSkauzlet  brachte  der  Auge- 
Svrache  Vereine  und  ^mniaen  larzl  ta»  „P  °l«n-  ihren  Gesetzentwurf  zutückzustellen.  Eine  offiziöse  Kund-  legcnheit  ansch-rucud  lein  Interesse  entgegen;  ich  habe 
, £iül  .  „  tu  en  -üau  idmuau  uiib  idoifi-  gcbuug  oetuet«  auch  bucuS  geperu  an,  die  Sach«  steht  wenigsten»  von  ihm  nicht  einmal  eme  Antwort  bekommen, 
bauseu  im  Boebu»  et  Bezirk  wo  38  Pro?  bezw.  49  Proz.  "och  in  weitem  Felde,  da  erst  die  Vorbereitungen  beendet  Nachher  habe  ich  auch  er  fahren,  daß  die  von  Herrn  von