17. Jahrgang. Nr. 249. Hamburger Echo Dns „Hamburger Echo" erscheint täglich, außer Montags. «b-nnemkntSpreis linkt. „Die Reue Welt") beträgt: durch die Post bezogen (Nr. deS Pog. lalalogs 3412) ohne Brmgegeld niertelj. JH3.60; durch die Kolporteure wöchenll. 30 4 frei ins HanS. tzjiizelne Nummer ö Sonntags-Nummer mit illnstr. Sonntagsbeilage „Die Reue Welt" 10 4. Verantwortlicher Nedakteur: Reinhold Stenzel in Hamburg., Sonnabend, den 24. Oktober 1W3. Anzeigen werden die sechsgespaltene Petitzeil« oder deren Naum mit 30 für den ArbettSmarkt, Vermietung»- und Kamiltenanzeigeu mit 20 4 berechnet. Anzetgcn-Rnnahine in der Expedition (bitt •> Uhr Abend»), In den Filialen (bi» 4 Uhr vlachmlttag»), sowie tu sämtlichen «nuoncen-Bureanx. Redaktion und Expedition: Fehlandstrahe 11 in Hamburg 1. Eiid-St. Pauli bei Carl Lementzow, Davidstr. 35. Nord-St. Pauli, Eimsbüttel, Laugenfelde bei Carl Dreyer, Margarethenstr. 48, Eimsbüttel. Hoheluft, Eppcudorf, («roh-Porstel und (ynilllClI ♦ Winterhude bei Ernst Großkopf, Lehmweg 51, Eppendorf. Barmbetk, Uhlenhorst bei Theodor Petereit, Vachstr. 12, Barmbeck. Lt. Georg, Hohenfelde, Porgselde, Hamm, Horn und Schiffbeck bei Carl Ortel, Vaustr. 26, Borgfelde. Hammerbrook, Rothenburgsort, Billwärder und Veddel bei Nud. Fuhrmann, Schwabenstr. 33, Hammerbrook. Eilbcck, Waudsbcck und Hiuscheufelde bei Franz Krüger, Sternstr. 36, Wandsbeck. Altona bei Friedrich Ludwig, Bürgerstr. 118, Altona. Ottensen, Bahrenfeld bei Johannes Heine, Vahrenfelderstr. 140, Ottensen. Unseren Abonnenten teilen wir hierdurch mit, daß die Austräger am Sonntag Morgen die Festschrift 85 Jahre Kampf und Kieg HZL-xxrw, Preis 10 Pfg. bei sich führen. Bestellungen auf die Broschüre Mehring, Meine Rechtfertigung (Preis 25 Pfg ), die in den nächsten Tagen eintrifft, bitten wir sofort aufzugeben. Krsllg miü jiprbilioii bkS „Mllkurgtr Mo". Hierzn eine Beilage. Die sozialistische Hochflut. Ist cs wahr oder ist es nicht wahr, was aus Halle berichtet worden ist, daß nämlich dort geheime Konferenzen, besucht von allen Schattierungen der „oberen Zehntausend", stattgefunden haben, um zu beraten, „in welcher Weise die immer mehr au- schwelleude sozialistische Hochflut einzudämmen sei"? Nun, es kann dementiert werden, womit daun noch nicht gesagt ist, daß es nicht wahr ist. Jedenfalls ist schon die Meldung an sich außerordentlich charakteristisch, denn sie beweist uns, was wir schon längst wußten, daß die Slngst und die Ratlosigkeit in den „höheren Regionen" gegenüber der sozia - listischen Bewegung immer höher steigt. Interessant wäre, wenn sich die Llleldiing bestätigte, die Sache auch insofern, als die verschiedenen Kategorien der oberen Zehntausend sich dabei zusannnengefnnden hätten. Pfaffen und Junker, Hofkavaliere und Jndustrieprotzen, Bureaukraten und Großhändler sollen dabei gewesen sein. Nun, daß überhaupt allerlei geheime Machinationen stattfinden, beweist ja auch die unwidcrlegt gebliebene Meldung von den geheimen Umtrieben „unseres" Herrn Ballin gegen das allgemeine Wahlrecht. Was mag sich zudem alles noch auf gewissen Hintertreppen abspielen, wo man die leitenden StaalsmLuner zu einer Aktion gegen die Sozialdemokratie treiben will! Die Regierungen haben, wie wir jüngst aus Ministerreden entnommen, zur Zeit keine Lnst, gegen die Sozialdemokratie mit Repressivmaßregeln vorzu - gehen. Sie wollen einen solchen Sprung ins Dunkle nicht machen, der unter Umständen die Wirkung haben könnte, daß wirtschaftliche Erschütterungen eintreten würden, die fast einer Krisis gleichkä'mcn. Die Hallesche geheimnisvolle Konferenz scheint uns aber einen anderen Zielpunkt gehabt zu haben, wenn sich bestätigt, daß die „nationale Arbeiterbewegung" dabei ver - treten war. Was ist das für eine „Bewegung"? Die von Herrn Heyl in Worms eingedrillten ualio- nalliberalen Arbeiter werden das wohl kaum sein, denn diese bilden keine „Bewegung" Es können also nur „evangelisch-soziale" ober „national-soziale", möglicherweise auch „christlich-soziale" katholische Arbeuergruppen gewesen sein, die sich dabei haben vertreten lassen. Man will in Berlin die Beratungen fortsetzen. Und was bleiben beim noch für Mittel, bie sozialistische Hochflut zu iiberwinben, wenn man von den AuSnahmemaßregeln, wie „Post", „Hamburger Nachrichten" „Kreuz-Zeitung" und „Neichsbote" zu verlangen pflegen, absieht? Zunächst die Verkürzung und Verkümmerung des allgemeinen Wahl - rechts. Vielfach wird verlangt, daß man sich das österreichische Wahlrecht zum Muster nehmen solle, wie es ja jetzt auch die sächsische Negierung in ihrem Entwurf einer Wahlrechts - „Reform" tut. Nehmen wir den Fall, das Zentrum bräche alle feine feierlichen Versprechungen, das bestehende Reichswahlrccht nicht anlasten lassen zu wollen — was ganz gewiß nicht unmöglich — und die Arbeiter würden ganz ober teilweise des Wahlrechts beraubt. Nun, wir uuterschätzen deu Parlamentarismus so wenig, als wir ihn über - schätzen, allein auch ohne das allgemeine Wahlrecht würde die sozialistische Hochflut unaufhaltsam weiter anschwellen. Dann eiitftiinbe ein Kampf um die Wiedereroberung des Wahlrechts, der das ganze deutsche Volk so lange in Atem erhalten würde, bis das Wahlrecht wieder für dir Arbeiter errungen wäre. Ans diesem Wege kann also das öiivgeifmn resp, das Gemengsel der oberen Zehntausend nicht die Sozialdemokratie „aus eigener Kraft" über - winden, wie ihm die Regiernngeii angeraten haben. Willman es vielleicht mit der Religion versuchen? Nun, da wird man mit seinem Latein gleich von Anfang au zu Ende sein. Denn dies Zeitalter ist ein materialistisches von innen und von außen; die Produkiionssorm und die Jdeenentwicklung stehen da in unaufhörlicher Wechselwirkung. Die Kirchen halten sich nur durch starke äußere Organisation und durch ein starkes Aufgebot von sie stützenden weltlichen Machtmitteln; hätten sie mir ihre Lehren und Dogmen zur Verfügung, so würden sie längst über - wunden sein. Wir glauben also kaum, daß iiinn auf diesem Gebiete noch etwas Besonderes unter« nehmen kaum __ Wenn aber die „nationale Arbeiterbewegung" bei jener Zusammenkunft wirklich vertreten war, so scheint uns die Verinillimg berechtigt, daß bie Vertreter der oberen Zehntausend einmal überlegen wollen, ob sie der sozialistischen Beivegung nicht mit sozialen Reformen den Boden abgraben können. Die Herren Protzen ans Handel, Industrie und Gewerbe werden dazu saure Gesichter gemacht haben; so etwas geht ihnen gar zu sehr gegen den Strich. Aber wenn mau zu der Ueberzeugung kommt, daß nichts anderes mehr einen Erfolg verspricht — wird man doch in diesen für jene Leute gewiß nicht süßen Apfel beißen? Der Fall ist um so kritischer, als mau einige schwache Versuche nach dieser Richtung schon gemacht hat. „Liebet bie 33rüber!" Dies Motto verlieh ber „sozialpolitische" Herr von Bötticher bet Arbeiter - politik derselben Regierung, welche die Arbeiter mit dem Sozialistengesetz bekämpft hat. Bismarck hat mit seiner Sozialreform die Arbeiter nicht gewinnen können, schon weil sie zwar nicht geringfügige, aber im Verhältnis zu den ganzen Zeitfragen immerhin imkrgeorbuete Materien behandelte und umfaßte, abgesehen davon, daß die klassenbewußten Arbeiter für eilte Bismarcksche Politik überhaupt nicht zu ge- lumueii waren, und wenn sie ihnen noch so viele Vorteile geboten hätte. Ans diesem Wege kann man nicht erzielen, was beabsichtigt ist; mit solchen Linsengerichten lassen sich bie Arbeiter ihre Rechte uub Ansprüche nicht abkaufen. Aber setzen wir ben Fall, c5 wären in den be - zeichneten Kreisen doch einmal einige gescheite Ge - danken aufgetancht uub man hätte sich eutschlosseu, den Versuch mit einer wirklichen Reform zu machen, wie es die Turgot uub Genossen vor 1789 taten, um der drohenden Auflösung der feudalen Gesell - schaft vorznbeugeu! Wahrscheinlich ist das nicht, aber immerhin möglich, beim wen» man bei ben bisherigen Praktiken bleiben und mit denselben „weiterwnrsteln" wollte, dann brauchte man keine geheimen Konferenzen in Halle abznhalten. Nnn, uns würden mit weitgehenden Reformen ganz gewiß keine Sorgen bereitet; wir fürchten gewiß nicht, die Arbeiterbewegung würde sich von den herrschenden Klassen ins Schlepptau nehmen lassen und an Stelle des Klassenbewußtseins sich mit der Milch frommer Untertaneu-Deukungsart begnügen. Nur her mit den Reformen; wir wollen uns freuen, wenn ben ausgebeuteteu uub unterbrächen Mafien bie Ueber» gangszeit zu besseren Zuständen damit erleichtert wird. Her mit Steuererleichterung, Koalitionsrecht, Achtstundentag und allem, was eine siefgreifende Sozialreform ausmacht! Aber bilde man sich nur nicht eilt, bie Arbeiterbewegnng damit zu einem „Endziel" gebracht zu haben. Sie wird darum nicht stille stehen. Wenn eine solche Reform käme oder auch nur in Angriff genommen würde, es würde unseren herrschenden Klassen genau so gehen, wie den Pri - vilegierten vor 1789. Aus dem Papier sähen sie die Zugeständnisse natürlich als nicht bedenklich an; käme aber ein „starker Mann", um diese Zugeständ - nisse zu verwirklichen, ein starker Diann in volks - tümlichem Sinne, so Wiiibeii sie seinem Werke alle möglichen Schwierigkeiten bereiten uub es wo möglich scheitern lassen. Das finb die Möglichkeiten, die sich an bie zur Zeit noch von einem Geheimnis umgebene Hallesche Konferenz anknüpfen lassen. Unsere Stellung zu beuselben ist überall von vornherein gegeben. Viag sein, baß bie ganze Sache die Bedeutung nicht hat, bie ihr von ber Presse bcigelegt wirb; sie kann sich aber zu einer Sache von größerer Bedeutung aus - wachsen. Daß wir einmal in eine Epoche gelangen, in ber das Experimentieren bet henschenben Klassen beginnt, ist nnvermeiblich. Hier werfen koimnenbe Experimente vielleicht schon ihren Schatten voraus. Weun sie recht bald kämen, nm so besser für unS; bie iwiali|uiLÜeu Ideen auf» neue ihre Lebensfähigkeit und Wetbekraft beweisen. Bo» der Weltbühnc. Die antisozialistifchen («elicimkoufeeeitzc», von denen dieser Tage die „Saale-Ztg." zu berichten wußte, haben wirklich ftattgefunden. Das wird gleichzeitig von zwei Seiten bestätigt. Die offiziösen „Berl. Pol. Nachr." schreiben dazu: „Der Ausfall der Neichstagswahlen mit dem be - deutenden Anwachsen der sozialdemokratischen Stint- men hat die Vaterlandsfrcunde weitester Kreise mit Besorgnis erfüllt, und eL ist nur natürlich, wenn eine Anzahl von ihnen das Bedürfnis fühlt, ihre Mei - nung darüber auszutauschen, tvie dem Feinde unserer bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung am ehesten beizukommen sein würde. Ebenso natürlich ist es, wenn eine solche zwanglose Bespre - chung nicht an die große Glocke gehängt und der Oeffentlichkcit nichts darüber gesagt wird, nicht aus dem Grunde, weil man Geheimniskrämerei treiben will, sondern weil eben noch nichts Positives 3 u sagen i ft. Es handelt sich um keinerlei Ueber» raschungen, sondern um einen Versuch, der, wenn er praktische Bedeutung erlangen soll, gerade vor der breitesten Oeffentlichkcit gemacht werden mutz. An - statt solche dem ganzen Ernst unserer innerpolitischen Lage entsprechenden Vorarbeiten zu bekritteln, sollte vielmehr die gesamte nationale Presse es mit Freuden begrühen, wenn aus den bürgerlichen Parteien heraus der Versuch gemacht wird, der Ausbreitung der sozialdemokratischen Pro - paganda einen Damm entgegen zu stellen, ohne von der Regierung zu verlangen, daß sie ihre bei der ganzen parlamentarischen Lage aus - sichtslosen Bemühungen erneuert, der Vergewaltigung der nicht wirklich zur Sozialdemo - kratie gehörenden Arbeiter auf gesetzgebe - rischem Wege ein Ende zu bereiten. Es ist wiederholt, auch vom Regierungstische aus, betont worden, die bürgerlichen Parteien müßten vorerst unter einander einig und entschlofien fein, in den Kamps mit der Sozialdemokratie einzutreten und ihn mit derselben Rücksichtslosigkeit und Hintansetzung der eigenen persönlichen Interessen durchzusühren, ehe regierungsseitig etwas Ersprietzliches geschehen könne. Was in jener Konferenz in Halle besprochen wurde, ist auch uns unbekannt. Die Teilnehmer an derselben sind aber Männer, deren natüonale und politische Gefvnnung dafür bürgt, daß sie mit Ernst und mit dem Vorsatz der Ausdauer an die schwere Arbeit herangetreten [ind.' Zum selben Thema bemerkt die „Kons. Korresp.", offenbar sehr unwirsch darüber, daß der schöne Plan vorzeitig an die Oeffentlichkeit gekommen ist: „In Halle hat vor ungefähr vier Wochen eine „Konferenz" stattgefunden, das stimmt. Vertraulich ind deren Verhandlungen gewesen, oas stimmt also ebenfalls. Aber zu der Versammlung ist durch ein öffentlich bekannt gewordenes und an Tausende von angesehenen nationalgesinnten Männern jeder poli - tischen Richtung und jedes Berufsstandes gerichtel-S Rundschreiben eingeladen worden. Es bandelte sich ..ausgesprochenermatzen" nm die viel diskutierte Gründung einei^ Zentralstelle zulr Bekämpfung der Sozialdemokratie —: das ist das sogenannte Geheimnis dec Hallischen Spürnase Seit Halle haben weder „hie" noch „da", weder öffentlich noch geheim „Konferenzen" statt - gefunden. Dagegen stimmt die Hallesche Nachricht wieder insofern, als — was durchaus kein Geheimnis ist — die Verhandlungen demnächst in Berlin fortgesetzt werden sollen. Alles übrige hat sich die „Saale-Ztg." einfach aus den Fingern ge sogen, um wieder einmal von sich reden zu machen." Eine solche „Zentralstelle zur Bekämpfung der Sozialdemokratie" zu schaffen, war der ehemalige freisinnige Agitator Heinrich Fränkel schon vor den Wahlen bemüht. Vielleicht haben wir es in den Konferenzen mit einer Verschmelzung der Fränkclei und der Giesebrechterei zu tun. Wenn die Be - kämpfung der Sozialdemokratie nach Fränkelschem Wahlmuster geführt wird, dann — kann die Sozial - demokratie sich dazu gratulieren. Da» Soztalistengcfetz - Jnbiläum. Die sozial - demokratische $ reffe hat sich in gebührender Weise am 21. Oktober mit dem vor 25Jahren erlassenen Sozia - listengesetz beschästigt. Auch bürgerliche Blätter stellen Betrachtungen über jenes Verbrechen reaktionärer Staatsgewalt an. Die „Franks. Ztg." bemerkt: „Die Sozialdemokratie hat allerdings Grund, jenes Tages zu gedenken, nicht bloß deshalb, weil durch das Ausnahmegesetz ben deutschen Sozialisten in Summa 700—800 Jahre Gefängnis zu teil wurden, etwa 1000 Personen ausgewiesen worden sind, 1300 Zeitungen und Druckschriften verboten^ uud 350 Vereine und Gewerkschaften aufgelöst wurden usw. — bic Sozial - demokratie hat auch deshalb Veranlassung, des TagcS sich zu erinnern, weil nichts in aller Welt ihr so genützt hatalSdaS Soziali st engesetz. Ans verschiedenen Anlässen ist gerade in den letzten Monaten wieder daran erinnert worden, daß die sozia - listische Bcwegitng ursprünglich in verschiedene Richlttngen geteilt war, die sich aufs heftigste befehdeten, und baß anfangs d t c Richtung die stärkere war, mit welcher der heutige Revisionismus manche Berührnt^gSpunkle hat. Erst als die Verfolgirngen begannen, schlossen sich die gegnerischen Richtungen zu gemeinsamer Abwehr zu- nntnien, und das Sozialistengesetz ist deut Radikalismus im Sozialismus bester Bundesgeitoffe gewesen." ES kommt darauf an, was mau hier unter Radika - lismus versteht. Wie entschieden auch die prinzipielle Konsequenz sich eithuicfelte, sie ist nicht den Spuren der Erscheinung gefolgt, die mau fälschlich als „Radika- lismuS" bezeichnet hat, dm Appell an die Gewalt, das Hin arbeiten ans die Gewalt im anarchistischen Weift. Daß gerade auch Bebel, der jetzt von bürgerlichen Blältern frivol als „Apostel des gewaltsamen Umsturzes" verlästert wird, jene Richtnn gen entschieden mit bekämpft hat, bars wohl in Erinnerung gerufen werden. Das leitende Zentriuusorgan, die „Köln. Volks- zeilnng", begründet ihre Ansicht, eS werde zu keiner neuen Ausnahmegesetzgebung komme», mit ebenso dummen wie niederträchtigen Angriffen gegen die Sozialdemokratie: „Deu „Zielbewußten" wäre es am Ende ganz recht, wenn der Pattei mit Hülse eines Sozialistengesetzes wieder mehr revolntiouärer Geist beigebracht würde. Manchmal sieht c5 so ans, als wollten sie ein solches Gesetz provozieren. Nach allem, tvaS man weiß und ber preußische Minister beS Ittnern jüngst in Erfurt bestätigt hat, wird die Negierung sich aber von den Scharfmachern zu tteitcti Gewaltmaßregeln nicht verleiten lassen. Jeden - falls steht fest: Für eine neue Ausnahntegesetz- gebung ist im Reichstage trotz aller HeranSforderungen, ivelche bic Sozialdemokraten in ihrem Ucbenmite sieh zn schulden kommen laffen, keine Mehrheit zu finden. Auch die Sozialdemokratie weiß sehr gut, daß an ein neues Sozialistengesetz im Parlament gar nicht gedacht wird. Wenn sie so tut, als ob eine solche Befürchtung gleichwohl berechligi sei, so tut sie dies lediglich im Interesse der Agitation." Ueber diese lügnerischen Anschuldigungen mit dem Zentrnntsblatt zu streiten, ist wirklich nicht ber Muhe wert. Nur baS Eine wollen wir ihm sagen: e S weiß genau so gut, wie mit eS wissen, baßNuS- nahmegesetze gegen die Sozialdemokratie i n W a h r h e i t A tt s n a h m e g e s e tz e gegen die deutsche Arbeiterklasse sind. Und die „Köln. Volkszeitimg" l ü gl deshalb um so mehr in infamer Weise, wenn sie glauben machen will, die Sozialdemokratie mürbe aus taktischen Gründen ein neues Ausnahmegesetz gern wieder in den Kaus nehmen. Dem 91fid>»tflfle wird, wie die „Voff Ztg." er - fährt, in der bevorstehenden Session eine Vorlage über die Anwendung des B ö r s e n g e s e tz e r zugehen. Zugleich wird eine Aenderung d e S Stempel» gesetzeS beantragt werden, durch welche die Umsatz - steuer auf die Sätze vor deut Gesetz vorn 14. Juni 1000 ermäßigt wird. Das Blatt fügt hinzu: , Ueber die Notwendigkeit dieser Resormeu besteht vollkommenes E i n »e r • stSndniS zwischen den preußischen Instanzen, insbe - sondere dem HandelSutinister und dem Finanzmittister und den Instattzen des Reichs, insbesondere dem Reichs - kanzler uub dem Reichsschahsekretär. Ob bei den neuesten Verbandlungen ber Fittanzminister auch bie Frage der Börfenbefleuerung erörtert worden ist, wiffett wir nicht; bie Wahrscheinlichkeit weicht dafür. WaS da» Börfeti- gesetz anlangt, so weiß man bereits attS ben Verhand - lungen deS BdrsenauSschuffeS im ReichSamt deS Jmtern, die noch immer nicht der Oeffentlichkeit übergeben find, nnd ber Sachverständigett-Kouferenz im HanbelS- minifrrium, über bereit Ergebnisse eine „Registratur" vorliegt, baß über eine Reihe wichtiger Fragen ein Einverständnis zwischen allen Patteiett erreicht ist Dieses EinverstättdniS bezieht sich insbesondere auf das Termingeschäft, ben Differenz- nnd Register- einwand. ES unterliegt keinem Zweifel, baß die Regierung, in der Erkenntnis, daß im Börsengesetz unter dem Hochdruck ber Agrarier schwere Mißgriffe begangen worben sind, zu jeder Aenberung des Gesetzes bereit ist, für bic sich eine Mehrheit im Reichstage findet. Die Regierung gibt z», daß der berechtigte uub nolwenbige Börseuhandel heute biejeniae Freiheit nnd Sicherheit be - sitzt, bereit er im Interesse ber nationalen Wohlsahrt bedarf, und daß dies t^ejeh zu volkswirtschaftlich und moralisch verderblichen Folgen geführt hat." Hinsichtlich der Börsenstenern erinnert die „Boss. Zig " an bie Erklärung beS Herr v. Thielmantt, baß sie ein Schmerzenskind bet Steuergesetz - gebung seien und baß man 1900 ben Bogen zu straff gespannt habe, man werde wohl mit einzelnen ober allen Sätzen wieder hermtlergehtn müssen. In der Tat sei bie Wirkung des Gesetzes vom 14. Juni 1900 nicht nur für die Börse, sondern auch für die Finanz- verwaltung schädlich gewesen. Der hohe Uinsatzsteinpel legt ganze Zweige deö Börsengeschäfts nahezu lahm. Daher, so meint die „voff. Ztg." sei eS nur begreiflich, baß bie Regierung „ans volkswirtschaftlichen wie an- finanziellen Gründen die Sätze deS ljutsatzsternpelS wieder ermäßigen tvill". Es fei gewiß, daß die Mehrheit deS Reichstages diesen Vorschlägen zustimmeu werbe, trotz bem Zeter nnd Mordio ber Ucberagrarier. Der liberale Geist ist anläßlich der preußi - schen L a ii d t a g S w a h l e u wieder erwacht in ber „Kölnischen Zeiinii g", bie bicfeiu Geiste gegen - über schon so oft ben orbnnngSpoIilischen Exorcismus angeweudet hat. Sie spricht von bem „91 n ck nach links, b er durch die nationalliberalen Reihen geht", von ber „reinlichen Scheidung", bie erfolgen niuß zwischen bem Liberalismus und ber klerikal-konservativen Reaktion. Taun, tineu kühnen Ideen-Schuumg nehmend, läßt sie sich aus: „Die Sorge, hier und da ein neuer Mandat zu erhaschen ober einen gefährdeten Sitz zu halten, mag die Führer beschäftigen; die Krisis, bie gegenwärtig unser politisches Leben tmrchzieht, geht über sie hinweg, sie bringt wie ein gewaltiges Erdbeben von innen heraus, von unten nach oben, unbekümmert um bie Zerstörungen, bie sie an ber Oberfläche anrichtet. Keiner kunstvollen Iiistrnmeiite und keines Seherblicks bedarf es, um zu erkeniten, baß Henle bie Massen in Be - wegung finb, bic Massen ber Unzu - friedenen und Unbefriedigten, bic sich ihre Ideale nicht länger in eine opportunistische Schnstr- brnst einzwäugen lassen wollen. Man mag daS be - dauern oder mit Freuden begrüßen, jedenfalls sollte man vor der Tatsache nicht daS Auge verschließen. Die R c i ch S t a a s w a h l e n haben die Lehre gebracht, wo und wie bie Hüler bet bestehenben Drbmmg einzu- setzen haben. Sie haben gezeigt, baß baS beutfifje Volk eine größere Achtung vor ben Menschenrechten verlangt nicht in der Theorie allein, sondern auch in bet Praxis, daß eS aufge- rSumt wiffen tvill mit ben Klassen- unb StandeS- Vorurteilen unb mehr noch mit dem Sippen- 6] (Nachdruck Derbofen.) Jena oder Sedan? Roman von Franz Adam Beyer lein. Mit einem Male erstarrten ihre Mienen, unb an die Stelle der liberMjioänglidjen Seligkeit trat ein harter, bitterer Ausdruck. „Ich weiß auch," fuhr sie leise fort, „warum Du Von Maric Falkenhcin gelassen hast." Das hastige Wort traf Reimers wie ein Schlag. Er prallte zurück und strebte, von ihr loszukommen. Aber die schlanken Finger hielten seine Hand krampf- l'aff fest, daß sie schmerzte. „Du?" stieß er hervor. „Wie kann das sein?" Hanna war ruhig geblieben. Sie strich ihm ,artlich über das Haar. „Wie sann das fein?" wiederholte sie. „Du Liebster! Wenn eine Frau etwas will, bann erreicht |ic eS auch. Und ich wollte ben Grunb wißen, damals, und ich weiß ihn." Fu bitterer Scham brach der Mann zusammen. Er küßte den Saum ihres Gewandes unb wollte zur Tür. „Vcrzeih'I Verzeih'!!" Aber bie schönen Hände ließen ihn nicht frei, und ganz nahe an seinem Ohr raunte eine zitternde, ge - preßte Stimme: „Bleib', Du Liebster! Denn wir gehören zusammen Ich bin, was Du bist. Wir sind verdammt, eines wie das andere. Bleib'!" Reimers schaute sprachlos zu ihr auf, die Augen zu einer entsetzten Frage weit aufgerissen. Hanna Gropphusen stand aus. Alle Müdigkeit war von ihren Schultern gefallen, hochaufgerichtet ftanb sie da, eine dustere Hoheit im Antlitz. Sie wies nach rückwärts, nach dem Teile der Wohnung, in dem einst ihr Gatte gehaust hatte. „Durch den da," sprach sie anklagend, „bin ich zertreten. Er hat mein Leben zertrümmert, daß ich 619 — was ich bin." Sie blickte zu dem knieenden Manne nieder, und plötzlich wich bet wilde Haß und die starre Strenge aus ihren Zügen. „Und jetzt," — fuhr sie milde fort, „wie es sich jetzt gefügt hat, jetzt könnte ich ihn fast segnen, daß er's getan hat." Eine herbe, ironische Bitterkeit mischte sich in ihre Stimme: „Uebrigens hat er als galanter Mann Ab - schied von mir genommen. Er ist in Paris, will ganz Maler werden." Dann aber floß von neuem die Klage von den Lippen, eine jahrelang auf dem Herzen getragene Beichte, die sie mit einer erhabenen Offenheit ablegte. „Siehst Du, Lieber," sprach sie, „als er mich damals zur Frau nahm, oa war es wie ein Taumel über mich gekommen. Wir lebten in einem immer - währenden tollen Rausche. Die Stunden, in denen wir nicht beieinander waren, verwünschten wir, und es gab damals nichts, um das er mich vergebens ge beten hätte Er setzte meine Sohle auf feinen ge - beugten Racken und hieß mich Königin, Göttin. Nnd ich schentte ihm meine Schönheit." Sie trug bas Haupt wie eine Herrscherin, und ein strahlendes Lächeln des Stolzes schürzte ihre Lippen. „Ich war eine Verschwenderin," fuhr sie fort, „hüllenlos habe ich vor ihm getanzt, und da unten im ©arten ließ er ein Zelt bauen. Die Menschen haben niemals gewußt, wozu das Leinengerüst diente. Da habe ich nackend auf seiner irischen Goldfuchsstute „Lady Godiva" gesessen. Unb er sank weinend auf die Kniee und betete mich an. Er wünschte sich tausend Augen, um die doppelte Schönheit zu trinken, meine unb die des edlen Tieres, und et gelobte, nicht zu mutten, wenn seine Augen mit Nacht geschlagen würden, nachdem er uns gesehen hatte." Sie^ hielt einen Augenblick inne. Die ewige Macht der Schönheit leuchtete als eine unsichtbare Krone um thre Stirn. Dann neigte sie den Kopf, und ihre Rede klang gedampft. „Das alles hab' ich ihm geschenkt. Ich war nicht geizig. Danach aber kamen bie Tage, in benen ich meine Freigebigkeit bereute. Ich litt, als er sich von mir wandte, aber Eifersucht kannte ich nicht. Vielleicht war es meine Schuld, daß ich nicht sogleich meinen ganzen Stolz wiederfand. Aber durch seine Liebe hatte er mich gelehrt, daß es schmerzlich ist, bie Liebe zu missen.“ Sie schwieg. Ihre Züge erstarrten, und in ihre glatte Stirn grub sich eine tiefe Furche. „Unb dann," sprach sie weiter, — „bann war der Augenblick der schrecklichjteii Erkenntnis da. Ich weiß nicht, wie ich mich geberbet habe. Ich war wie von einem Blitzstrahl erschlagen, ich war zertrümmert. Ich wollte fort von ihm. Aber oas gaben sie baheim nicht zu, und ich — ich konnte ihnen ja nicht sagen, waS er mir getan gatte. Willenlos habe ich mit mir tun lassen, was man mich h>ch. Ich lag wie eine Tote, ebne Bewegung unb ohne Empfindung, und bann wieder tobte ich und mußte ängstlich bewacht werben. Und er — er krönte seine Tat dadurch, daß er sich mir von neuem näherte. Ich war ihm eine Andere, Begehrenswertere geworden. Aber ich spie ,hm ins Gesicht. Er bettelte und flehte, kriechend und auf den Knieen. Ich schlug ihm in die Augen und trat mit dem Fuße »ach ihm.“ Sie fühtte die krampfhaft geballten Fäuste an die Stirn und schüttelte sie wider einen Unsichtbaren. In ihren Augen blitzte der glühende Haß, und ihr Atem ging keuchend. Nun löste sich die unnatürlich gespannte Haltung. Sie glitt sacht auf das Ruhebett und beugte sich zu bem Geliebten hinab, der fein Antlitz in ber Seide ihres Gewandes barg. „Liebster,“ flüsterte sie mit unendlich sanfter Stimme, „damals, gerade als ich von meinem Wahn - sinn genesen war, kamst Du zurück. Als ich Dich wiedersah, hier in diesem Zimmer, da ahnte ich. daß wir zusammen gehörten, und ich meinte, Du könntest nicht anders fühlen als ich." Reimers blickte zu ihr auf unb ergriff zaghaft ihre Hand. „Jetzt weiß ich," sprach er, „daß ich Dich schon damals liebte, und ich wußte, daß wir e i n Schicksal haben würden Aber ich wehrte mich dagegen, weil icki mich vor Deinem Unglück fürchtete." Haima schüttelte leicht den Kopf. „Lieber," bat sie, „sprich nicht von Unglück! Liebe ich Dich nicht, und liebst Du mich nicht? Sind wir nicht glücklich?" Und sie neigte ihre Lippen zu seinem Munde unb küßte ihn lange „Ich wußte ja nicht ein und aus in meinen schlimmen Zweifeln," fuhr sie fort. „WaS sonnte ich Dir fein? Unrein unb zertretenI Aber es war nur eine große Sehnsucht in mtt — Du solltest mich lieb haben. Unb was war ber trunkene Rausch meiner Mäbchentorheit gegen bas Glück, als ich gewiß wurde, daß Du mich liebst? Damals, Liebster, hätte eS nichts gegeben, worum Du mich vergebens gebeten hättest O. tote war ich glücklich!' Sie lächelte sanft vor sich hin, in eine zarte Erinnerung versunken. Reimers fühlte, toie ihre leichte Hand schmeichelnd sein Haar liebkoste. Er er - griff diese schöne Hand und berührte sie ehrfurchtsvoll mit feinen Lippen. „Ja, toie war ich glücklich!" wiederholte Hayna mit einem Seufzer. „Hinterdrein freilich blieb mir der Sturz aus meinen seligen Himmeln nicht er - spart. Da lernte ich die Eifersucht kennen, und ich habe Marie Falkenhein gehaßt, aus vollem Herzens - gründe gehaßt. Siehst Du, Lieber, das tut sehr weh, wenn man ertragen muß, wie der Geliebte über einen toegfdjaut nach einer anderen. Besinnst Du Dich noch auf ben Abend, als ihr zu Klares Geburts - tag in FalkeiiheiuS Laube faßt? Da war ich nicht mehr da für Dich. Ich hätte vor Dir fnieen mögen und Dich bitten mögen: siehst Du mich denn nicht mehr? Aber Du hattest nur Augen für Mariechen, und als ich in bie Nacht hineinfuhr, standet Ihr nebeneinander an der Brüstung, wie ein Brautpaar. Das Glück leuchtete aus Euren Augeu. Auch aus Deinen, Liebster!" NeimerS küßte die Hand der angebeteten Frau. „Verzeih'!“ schluchzte er. Verzeih', Du Liebst,, Acrmstel ES zog ja meine Augen zu Dir hin, aber ich wendete sie gewaltsam zu Mariechen. Jetzt weiß ich, daß ich auch damals nur Dich liebte. Im Traume und selbst im Halbwachen, ivenn ich mich gehen ließ, warst Du es nur, nach ber ich mich sehnte Liebste, Aermste, verzeih'!" Hanna schüttelte leise den Kops und sah ihm liebreich in bie sichenden Augen. „Sei gut!" flüsterte sie. „Es war ja auch un - recht von mir, unb ich verwanb es ja auch. In der Nacht, nachbem ich Euch sc gesehen hatte, hab' ich's mit mir ausgetragen. Ich habe eiiigesehen, daß cs häßlicher Egoismus von mir war, Dir Dein Glück zu mißgönnen, und daß ich Dich ganz anders, selbstloser, lieben müßte. Aber, das darfst Du mir glauben, fchloer ist es mir gefallen. Bo» da an gewann ich Marieckien Falkenhein lieb; es war, alS ob ich Du toäre, ich trug ein ganz unsinniges Ver - langen nach ihr, heißer wahrscheinlich al« Du je - mals. Was Du klug und liebenswert an meinem Denken und Reden fandest. daS hätte ich ihr ein - geben mögen, und was mir von meiner Schönheit geblieben war, das hätte ich ihr schenken mögen, und vor allem hätte ich ihr baS Feuer meiner großen Liebe in die Adern gießen mögen, damit Du ganz beglückt und entzückt würdest. Ich selbst hätte Dir die Braut geschmückt unb zugeführt, unb ich hätte gewacht, daß nichts Profanes Euch Glück!ick:e weckte.“ Inniger umschlangen die Arme der Frau ben Hals deö Geliebten, und ihre Worte jagten sich hastiger. „Mit einem Male war alles anders, verwandelt, unb ich war es nicht weniger. Ich konnte nicht traurig fein, wenn ich Mariechens verweinte Augen sah. Ich ahnte, daß etwas Schreckliches geschehen war, aber ich tappte im Finstern, biS ich aus dem guten Andreae die Wahrheit herauSlocktt. Da hab' ich geweint vor Schmers weil Dein Lebensglück zerstört test, und ich habe getoetnt vor Freude, toetl Du nun ganz mein geworden warst. Nun bist Du doch mein?“ NeimerS riß die angebde Frau stürmisch an sich.