18. Jahrgang HamvurgerEcho Dienstag den S. Januar 1904. Ksiastil 91 n i 11 fl t ii werden die sechSgcspaltene Pelitzeile oder deren Raum mit 80 4. für den ArbeitSmarkt. Brrmietniigs- und ^omittenniiiflfltii mit 20 4 berechnet. Slnzeiaeii-AmiahMk in der Lxvedilion S <> Nhr Abend»), in den Filialen (dis 4 Uhr Nachmittag»), sowie in sünitlichen Annonce, ^Bureaux. Redaktion und Expedition: Fehlandstrasie 11 in Hamburg 1. Tiid-St. Pauli bei Carl Lementzow, Davidstr. 35. Nord-Et. Pauli, Cimsbiittel, Laugrufclde bei Carl Dreyer, Margarethenstr. 48, Eimsbüttel. Hoheluft, tsppeudorf, Groh-Borstel und Witttcihude bei Ernst Großkopf, Lehmweg 51, Eppeildorf. Barmbcck, Uhleuhorst bei Theodor Petereit, Bachstr. 12, Barmbeck Tt. («corg, Hohenfelde, Porgfelde, Hamm, Horu und Schisfdeck bei Carl Ortel, Baustr. 26, Borgfelde. Hammerbrook, Rothenburgsort, Llillioärder und Veddel bei Rud. Fuhrmann, Schwabenstr. SS, Hammerbrook, b'ilbeik, Wandsbcck lind Hiuscheufelde bei Franz Krüger, Sternstr. 36, Wandsbeck. Slltoua bei Friedrich Ludwig, Bürgerstr. 118, Altona. Otteufeu, Bahrenfeld bei Johannes Heine, Vahrenselderstr. 140, Ottensen. ■■BKaOQBffY'T Das „Hamburger Echo" erscheint tSglich. allster Montags. «bomiemeutSprets (Inti „Die Neue Welt") betrügt: durch die Post bezogen ohne Brlngegeld monatlich *■ 1.20. vierteliährlich * 8,60; durch die Kolporteure wöchentlich 30 4 frei ins Saus. ®inje(ne Rümmer 6 4. SonntagS-Nummer mit illustrierter Sonntagsbeilage „Die Neue Welt" 104. Derantwortlicher Redakteur: Reinhold Ltenzel in Hamburg. WM! Wllchtiilisskii! MM dkl luiUM lüflirr in ClmiWM Hierzu eine Beilage. Vir giiliuiililung dn Sopfllbnimliiüht tu ßutiWcr Lkleuchtuitg. IL Bor einiger Zeit haben lvir ans den besonders beachtenswerten Umstand hingeiviesen, daß der Fort - schritt der Sozialdemokratie bei der lctzlen Wahl eine viel gleichinäßigerc Verteilung über das ganze Reich ausmeist, als früher. Auch Neumaun- Hofer legt auf diesen Umstand Gewicht, denn: einen Rückgang der absoluten Zahl der sozialdemokratischen Stimmen weist diesmal kein einziger Bundes - staat auf, während 1898 Schaumburg-Lippe und Braunschweig und 1893 Schwarzburg-Sonders - hausen, Lippe und Breineu freilich nur ziemlich un- öetiächtliche Rückgänge zeigten. Er hebt diejenigen Kleinstaaten hervor, die sich durch starke Zu - nahme der sozialdemokratischen Stimmenzahlen be - sonders anszeichncn: Oldenburg, die beiden Lippe, Waldeck, Sachsen-Weimar und auch Bramischweig. Verhältnismäßig am geringsten war der Fortschritt in den ältesten Sitzen der Sozialdemokratie unter den Kleinstaaten, den beiden Reuß, wo die absolute Majorität nur knapp erreicht wurde. In Mecklen - burg, wo nach teilweisen Riickschlägen int Jahre 1893 bei der Wahl von 1898 sehr bedeutende Fortschritte zu finden waren, hat sich jetzt eine lang - samere Entwicklung bemerkbar gemacht. Sehr ungleichmäßige Verhältnisse zeigten sich 1898 in Süddentschland. Diesmal ist dort durchweg eine anßeiordentlich starke Zunahme der sozialdemokratischen Stimmen zu verzeichnen, die nach Neumanns Darstelluug in Baden und Hessen 40 und in Bayern und Württemberg gar 50 Prozent übersteigt. Hessen, Baden und Württem - berg weisen überhaupt das ganze letzte Jahrzehnt hindurch außerordentlich große Fortschritte ans. Dagegen war in Bayern der Fortschritt 1898 nur unbedeutend, ihn brachte fast ganz die industrielle Nheiupfalz. Vier bayetische Regierungsbezirke zeigten damals einen Stimmenrückgang, die vier anderen Bezirke einen diesen Rückgang nur luettig über - treffenden Zuwachs, während jetzt in allen acht Bezirken erhebliche Steigerungen eingetreten sind. Auch in Elsaß-Lothringen hat die sozial - demokratische Stinimenzahl eine nicht unbedeutende Erhöhung erfahren; daß hier „immer noch gewisse Sprünge in der Entwicklung" zu finden sind, er- klätt Neumann aus den ungeklärten politischen Ver - hältnissen, vor allen Dingen aus dem Hineinspielen des Protest-Nlomentes. Er fügt hinzu: „Während in den meisten Wahlkreisen des Reichslandcs an - sehnliche Erhöhungen der sozialdemokratischen Stinimenzahl anftrateu, sind im Wahlkreise Za- beru, in dem das letzte Mal ein beachtenswerter Vorstoß (2944 sozialdemokratische Stimmen) ge - macht worden war, die sozialdemokratischen Stimmen wieder ganz verschwunden." Mülhausen, ein alter Parieisitz, der bereits dreimal hinter - einander den sozialdemokratischen Kandidaten im ersten Wahlgange in den Reichstag schickte, hat den gewaltigen Rückschlag, der bei der — durch be - klagenswerte Verhältnisse herbeigesührten — Ersatz - wahl des Jahres 1900 erfolgte, noch nicht wieder einholen können. In Sachsen, dem „roten" Königreich, hatten die sozialdemokratischen Stimmen schon früher eine gewaltige Zahl erreicht. Trotzdem haben sie sich am 16. Jnni v. I. fast um die Hälfte vermehrt, so daß sie jetzt weit über die Hälfte der abgegebenen Stimmen (441 764 : 750 796) auSmachen und von den 23 sächsischen Kreisen 22 sozialdemokratisch im Steichstage vertreten sind. Nenmann bemerkt, daß die — jetzt reichlich ausgeglichenen - Stimmcn- riickgäuge, die sich 1898 in Sachsen an vielen alten Parteisitzen zeigten, von den Parteigängern lediglich aus di- allzngroße Siegeszuversicht zurückgcsührt wurden. Diese Erklärung ist die allein richtige. Aus unserer eigenen Erfahrnng heraus wissen wir, daß der Fehler, unter sicherer Vor - aussetzung des Sieges cs an energischer Tätigkeit fehlen zu lassen, schon häufiger von Parteigenossen hier und da gemacht worden ist und zu Stiuuuen- rlickgang oder verhältnißmäßig zu geringem Stimmen - zuwachs, ja sogar schon znm Verlust des Man - dats geführt hat. Ans Preußen entfallen „«ch «eumauuS Be - rechnung von dem ZmvachS der abgegebenen Stimmen 1 019 608 und von dem Zttwmhs der sozialdcmo- krntischku Stimmen 501 564. In dem größten Bundesstaat hat die Sozialdemokratie oif c nicht ganz die Hälfte des Stimmenzuwachses in Anspruch geuommen. In sämtlichen preußischen gierungs« bezirken zeigt stch ausnahmslos eine Zunahme der sozialdcmoktatischen Stimmcuzahlen, während bei der 1898er Wahl sechs Bezirke: Marienwerder, KöSlm, Posen, Trier, Aachen und Sigmaringen, Rückgänge aufweisen. Gerade diese Bezirke find diesmal, wie auch der westlich« Judustriebezirk, die Mark und die Stadt Berlin, besonders stark an der Steigerung beteiligt. Die gleichmäßigere Entwicklung der Sozialdemo - kratie bei der letzten Wahl stellt Nenmann aus einer snmmarischen Betrachtung der einzelnen Wahlkreise fest: während 1898 nicht weniger als 120, also fast ei» Drittel aller Wahlkreise, einen, wenn auch meist geringen Rückgang sozialdemokratischer Stimmen gegen die absolute Stinimenzahl von 1893 auf- wiesen, und während bei der Wahl von 1893 die Zahl der Kreise, die hinter der sozialdemokratischen Stimmenzahl von 1900 znriickblieben, auch noch 65 betrug, ist bei der diesjährigen Wahl diese Stimmen- zahl nur in 10 Wahlkreisen znrnckgegaugen, von denen 8 im Osten und 2 im Elsaß liegen. Als gesicherte Sitze der Sozialdemokratie glaubt Ncumaun nur diejenigeu betrachten zn können, in denen mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten sozialistische Wähler sind. * ♦ * Im großen und ganzen zeigt nach den Tabellen Nenmanns, welche eine genaue Vergleichung er- möglicheu, die Eutwicklnug der Sozialdemokratie seit 1871 in den einzelnen Wahlkreisen immer das gleiche Bild: einen stetigen, bald langsameren, bald schnelle - ren Fortschritt, der meist nur vorübergehend durch wenig bedeutende Rückschläge unterbrochen wird. So bei den schon unter dem Zeichen des Sozialisten - gesetzes stehenden Wahlen von 1878, bei denen der infamste und niederträchtigste Terrorismus unter Führung der öffentlichen Geivalten gegen die Sozial - demokratie geübt wurde. Dann wieder bei den Angstwahlen von 1887, wo dieser Terrorismus abermals besonders scharf einsetzte. Stetig verringert hat sich die Zahl der Wahl - kreise, in denen keine sozialdemokratischen Stimmen abgegeben wurde». Bei der Wahl von 1871 be - trug sie (Elsaß-Lothringeu Ivählte damals noch nicht mit) 291. Dann, nachdem die 15 reichsländischen Wahlkreise hinzugekommeu, stellten sich bei den fol - genden Wahlen die Ziffern wie folgt: 1874: 235; 1877: 201; 1878: 207; 1881: 224; 1884: 178; 1887: 140; 1890: 54; 1893: 16; 1898: 12 und 1903: 3 Wahlkreise. Daß die Sozial - demokratie überall Anhänger findet, würdigt Nenmann als eine „bedeutsame Erscheinung, die bei keiner anderen Partei in ähnlicher Weise hervortr itt". Unberührt von ihr sind nur noch einige Kreise im polnischen änßersteu Osten und im ultramontancn äußersten Westen. Die Uebersichilichkeit der Entwicklung der sozial - demokratischen Partei in den Wahlkreisen wird er - höht durch folgende Zusammenstellung. Sozial - demokratische Stimmen wurden abgegeben: 1871 in 91; 1874 in 162; 1877 in 196; 1878 in 190; 1881 in 173; 1884 in 219; 1887 in 257; 1890 in 343; 1893 in 381; 1898 in 385 und 1903 in 394 Wahlkreisen. Bei der Wahl von 1871 machten die sozial - demokratischen Stimmen nur tu 38 Kreisen über 10 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen ans, 1881 schon in 60 und 1903 in 276 Kreisen. Ueber 50 Prozent, also die absolute Mehrheit, hatten im Jahre 1871 nur 2; 1874: 8; 1877; 10; 1878 wieder nur 2; 1881: 0; 1884: 9; 1887: 6; 1890: 20; 1893: 24; 1898: 33 inib 1903: 56 Wahlkreise. Und über 60 Prozent wurden 1871 in 1, 1874 und 1877 in je 2, 1878 und 1881 in keinem, 1884 und 1887 in 1, 1890 in 9, 1893 in 8, 1898 in 10 und 1903 in 14 Wahl - kreisen erreicht. 70 Prozent hat bei den letzten vier Wahlen der 4. Berliner Wahlkreis überschritten, der damit seit 1890 ununterbrochen an der Spitze der Liste steht; bei der 1898er Wahl auch Ham - burg II iinb Altona, das diesmal wieder knapp unter diese Grenze gekommen ist, und zwar infolge des etivas stärkeren Stimmenaufgebots der Gegner. Bei der letzten Wahl hatten auch Berlin IV und Glaucha» diesen Satz überschritten. Im ersten Wahlgange wurden (entsprechend den obigen Ziffern, betreffend die erzielte absolute Stimmenmehrheit) 1871: 2; 1874: 8; 1877: 10; 1878: 2; 1881: 0; 1884: 9; 1887: 6; 1890: 20; 1893: 24; 1898: 32 und 1903: 56 sozialdemokratische Abgeordnete gewählt. Die 3 Stichwahlen des Jahres 1871 gingen sämtlich verloren; von den 11 Stichwahlen des Jahres 1874 wurden 2 und von den 20 Stich - wahlen des Jahres 1877 nur 3 gewonnen. Die drei nächsten Wahlen, die sich unter dem Druck de« Sozialistengesetzes vollzogen, brachten für unsere Partei das Resultat, daß der größte Teil der Fraktion erst in den Stichwahlen gewählt wurde. Besonders auffällig dabei ist, daß die zur Stich - wahl gelangeuden bisher günstigen Kreise meistens verloren gingen, während öfter Kreise erobert wurden, in denen unsere Partei nicht einmal auf eine Stichwahl, geschweige beim aus einen Sieg gerechnet halte. Die Sozialdemokratie gewann: 1878 von 16 Stichwahlen 7 1881 22 13 1884 (sämtliche Mandate) von 24 Slichwahlkll 15 1887 18 5 1890 57 15 1893 ff 83 2» 1898 von 98 Stichwahlen 24 1903 „ 118 „ 25 Diese Ziffern beweisen, daß, wie schon erivähnt, für die Sozialdemokratie immer mehr die Haupt- wahlen die entscheidenden werde». Schließlich möge noch ein die absoluten Zahlen sämtlicher Wahle» für das ganze Reich umfassender Vergleich hier Platz finden: Die Zahl der Wahlberechtigten stieg von 7 656 273 im Jahre 1871 auf 12 528 963 im Jahre 1903. Im gleichen Zeitraum flieg die Zahl der abgegebene» gültige» Stimme» von 3 844 803 ans 9 495 762. Letztere Zahl hat sich prozentual weit erheblicher vermehrt, als die der Wahlbe - rechtigten, was hauptsächlich auf das Konto der Sozialdemokratie zu setzen ist. Die Zahl der sozialdemokratische» Stimmen erfuhr folgeiide Steigerung: 1871: 113048= 2,91 pZt. all.abgeg. Stimmen 1874: 350 861= 6,76 „ „ „ 1877: 493 258= 9,13 „ .. „ 1878: 437 158= 7,59 „ „ „ 1881: 311961= 6,12 „ „ „ 1884: 549 990= 9,77 „ „ „ 1887: 763 178 = 10,12 „ „ „ „ 1890: 1427 298 = 19,75 „ „ „ 1893: 1780 989 = 23,21 „ „ „ „ 1898: 2 113 536 = 27,24 „ „ „ 1903: 3010756 = 31,71 „ „ „ Mit diesen Stimmenzahleu steht, das konstatiert Neumann ausdrücklich, die Sozialdemokratie weit - aus an her Spitze aller deutschen Parteien. Bereit? bei der Wahl des Jahres 1890 hatte sie diese» Rang erreicht, indem sie die Zentrumspartei um über 85 oOO Stimmen überholte. Dieser Abstand erweiterte sich 1893 auf 312 000 und bei der Wahl von 1898 ans 658 000 Stimmen. Und jetzt hat sich der Vorsprung vor dem Zentrum auf über 1 100 000 Sfiumieu erhöht. Neumann berechnet, daß auch, luetm man verwandte Gruppen ziisammen- faßt, sie nicht die Stärke der Sozialdemokratie er - reiche». So erhielt die gesamte Rechte (die beiden konservativen mtb die antisemitischen Parteien liebst Bund der Landwirte und Banernbrind) zu - sammen nur 1 787 000 Stimmen. Alle fünf liberalen Parteien znsammengeuomme» repräsen - tieren noch eine weit geringere Sliiumeuzahl als die Sozialdemokratie, nämlich nur 2 242 000. Daß die Sozialdemokratie nicht ihrer Stärke entsprechend im Reichstage vertreten ist, haben wir schon öfter nachgewiese». Hätten wir eine der Verfassung entsprechende Wahlkreis- einteilung, so würde schon daraus sich für uns eine Anzahl Mandate mehr ergeben, so speziell für Hamburg, Berlin und andere Großstädte. Und bestände das Proportionalwahlsystcm, so würde unsere Partei jetzt im Reichstage über 126 statt über 81 Mandate verfügen, während das Zentrum statt 100 nur 78 Mandate hätte. * * ♦ Diese Statistik der Entwicklung der Sozial - demokratie redet eine sehr deutliche, eindringliche und überzeugende Sprache. Sie lehrt für jeden, der des Lernens fähig ist, daß die sogenannte „Umsturzpartei" eine elementare Macht reprä - sentiert, gegen die aus die Dauer kein Sträuben, kein Protestieren, nicht Lüge und nicht Gewalt Hilst — die Macht des in gerechten Prinzipien stetig erstarkenden Volksgeistes! Bon der Weltbühne. Tcr feftflcfaljrcuc Karren, so könnte man den Stand der H and e I sv e r Ira g s v e r h aiid l utt gen wohl mit Recht nennen. Festgesahren ist die Sache zwar nicht jetzt erst, sondern schon bei Nusstellniia des Wucher- tarifs, als man Zollsätze zu Hunderten cinsttzte, die man gar nicht in Kraft treten lassen kann. Diese Sätze wurden elngesetzt, um sie sich abhandeln zu taffen. Nun mlißten aber die ausländischen Unterhändler grandiose Esel sein, wenn sie auf diesen Coup hineinfallen würden. Jeder handelspolitische Anfänger siebt c8 dem Wnchertaris an, daß Deutschland bei defleu Wirksamkeit den gröfewn Schaden baden würde. Nun werden die Agrarier aber uitgemiitlich, daß die Brotwucherci noch gar nicht beginnt. Sie haben int Reichstage eine Interpellation eingebracht und hoffen dadurch wenigstens die Kündigung her alten Verträge zu erzwingen. Die offiziösen Blätter stellen nun schon in Aussicht, daß da« auch nichts nützen werde. Darüber ist nun die „Deutsche Tageszeitung" in heftigen Zorn entbrannt. Sie schreibt: „Auch den Vertretern der verbündeten Regierungen und dem Reichskanzler insbesondere müßte es nach unserer Aitsfaffung sehr angenchut sein, wenn ihm Gelegenheit geboten wird, Aufklärimg sowohl für das Inland als auch für das Ausland zu schaffen. Statt deffen haben wir in einer manchmal offiziös benutzten Korrespondenz vor kurzem lesen müssen, daß „man" sich durch die Interpellation peinlich berührt fühle, da eS doch auf der Hand liege, daß der Kanzler nichts andere« sagen könne, als er bereits gesagt hat. Nun hat er tatsächlich bis jetzt noch nichts oder eigentlich weniger als nichts gesagt. Wenn es richtig wäre, daß er nichts anderes sagen könnte, so würde das entweder auf eine bedauernswerte Schwäche unserer Position Hinweisen ober ober bekunden, daß der itanzler sich nicht das diplomatische Geschick zutrau t, eine derartige Anfrage so zu beantworten, daß die Antwort nach innen befriedigt und nach außen geroiffe viel - leicht recht notwendige Wamuugen erteilt. Beide« können wir nicht annehme». Wir wissen, daß unsere Position in der Angelegenheit der Handelsverträge viel stärker und besser ist als die der anderen Länder: und wir haben bisher Grund gehabt, von dem diplomatischen Ge - schicke des verantwortlichen Vertreters d e r !>! e i ch s p o l i t i k nicht gering i u b c n t e u Deshalb können wir nicht im niinbcfteu glauben, daß der Reichskanzler selbst sich durch die Anfrage peinlich berührt fühle. Jin Gegenteil, wir hegen die Meinung, daß er die gebotene Gelegenheit gern ergreifen werde, um aufflärenb nach der einen, warnend nach der aubereu Seite zu wirken Sollten wir inte in dieser Vermutung täuschen, so würden wir das im Interesse der Handels- vertragsverhaudlnngen, im Iutereffe der Stellung des Reichs und nicht zuletzt im Interesse de S Kanz - lers selbst auf 8 lebhafteste bebauet n." Der Glaube au daL Geschick beS Reichskanzlers hält aber bei Oertel nicht lauge vor, beim halb nach bet hier zitierten Stelle heißt eS: „In bet Presse wirb hier mtb ba angebeutet,, daß der Kanzler entweder die Beantwortung ganz a b l e h u e tt oder sich aus einige allgemeine Redens - arten beschränken werde. Man erinnert dabei au den etwas theatralischen „Auszug" der preußischen 3)11ntfter bei der Beratung deS konservativen Antrags bezüglich beS Zolltarifs im Abgeordnetenhause. Aus den Eifahrungeu, die der preußische Ministerpräsibeut damals gemacht hat, wirb er wohl ersehen haben, daß feilt damaliges Vorgehen nicht sonderlich staats - männisch und geschickt war, und er wird sich wohl hüten, es zu ivieberholen." .Hiernach darf mau anuehmeii, daß die Schtneichelei für den Reichskanzler und ebenso der Glaube au die günstige Position Deutschlands nicht ernst gemeint ist. Gruft gemeint ist nur das Bedauern, beim, wenn der Reichskanzler nicht so tanzt, wie die Agrarier pfeifen, bann fällt er bei den Agrariern in Ungnade. Bei Hofe sind aber die agrarischen Junker eine Großmacht. Was er zu erwarten hat, wenn nicht bald der Wuchertarif in Kraft tritt, wird durch folgende Drohung angebentet: „Eine Ablehnung der Beantwortung würde eine starke und absichtliche Brüskierung der ganzen deutsebkouservativeu Partei be. deuten; beim die Interpellation ist, wie auS ihrer Form und den Unterschriften hervorgeht, nicht von einigen Mitgliedern der Partei, sondern von der gesamten Fraktion als Fraktioussache eingebracht worden. Welche Folgen eine solche Brii Skier iiug haben m ü 6 t e, bas bedarf näherer Darlegung nicht. Das weiß der Kanzler ebenso gut wie wir. Diese Folgen wurden nicht nur auf beut Gebiete der Parteipolitik liegen, sonderii auch in einer überaus empfindlichen und peinlichen Schwächung unserer Position gegenüber dem Auslande bestehen. Mau würde cs nicht Lcgreifen können, wenn der deutsche Reichskanzler, während in den ausländischen Parlameuteu die HaiidelS- LiertragSfrageii ruhig und offen erörtert werden, sich zur Brüskierung einer großen und der Regierung nabe- stehenben Partei entschließen sollte, nur um nirgend« an - zustoßen und die Stimmung draußen nicht zu verderben." DaL Budget verweigern die Junker nicht. Sie haben andere Mittel, wie da« Schicksal Caprivis beweist. Nun wird Graf Bülow wohl auch bald einsehen, daß eS kein besonders schlauer Streich war, als er IVV2 sich bett Junkern in die Arme warf mtb feine Haub dazu bot, durch den Antrag Mnrborff den Gewaltstreich anSführen zu lassen. In der deukwürbigeu Nacht wurde ihm von den Junkern die Hand geschüttelt; sie gratulierten Bülow zu dem Siege, den sie errungen hatten. Nun haben sie den Kanzler in der Hand mtb Oertel hat recht, wenn er den Kanzler bedauert, der es jetzt wagt, etwas anderes als Werkzeug der Agrarier zu sein 6k neu Crimmitschau werden auch die Krautjunker mobil gemacht und so findet sich d,^ö ganze;',ollwucherer- konsortium zusammen. Alle sonstige Feindschaft wird begraben. Tatsächlich ist den Krautjunkern gleichgültig wie die Judustriebarone mit ihren Arbeitern fertig werben, aber die Ausbeuter aller Art glauben doch ein Aits- uahuiegesetz gegen bie Arbeiter nicht entbehren zu können. Da es jedoch an Halbwegs plausiblen Gründen fehlt, so sucht man bie Crimmitschauer Vorgänge so zurecht zu lügen, als sei dort den Unternehmern ein Unrecht zu- gefügt. Schweinbiugs Lüge» werbet: auch in der Kreuz-Zeitung" weiter verbreitet. Im Junkerblatt bat bie Schweinburgiabe folgende» Wortlaut: „Die Vertreter des Großgewerbes lieben cs sehr, andere Leute, und besonders die Konservativen, als Vorspann zu benutzen und sich von ihnen die Kastanien auS dem Feuer holen zu laffen, währcitb sie selbst hübsch im Hintergründe bleiben, um hinterdrein über „agrarische Begehrlichkeit" zu schimpt'eu und jedes Zugeständnis au d i c Landwirtschaft zu verweigern ober int besten Falle gleichgültig zuzu- sehen. Von besonderer Sympathie fiu sie taun also feine Rebe fein Wenn wir gleichwohl der Auffassung zuneige», daß sie im vorlieg.üben Falle dos bessere Recht auf ihrer Seite haben, so hängt das einzig und allein damit zusammen, baß der «nSstanb in Crimmit - schau von ber Sozialdemokratie künstlich angeftiftet worben ist, weil sie einer Machtprobe bedarf und sich dazu vom Standpunkte des „fiat oxperimentum iu corpore vili“ Criminitschau ausgesucht hat. Diesem erzsrivolen, nichtswürdigen Beginnen muß mit vollem Nachdrucke begegnet werden, weil bie Umsturzpartei sonst ihren Zweck, bie terroristische Gin- schüchlerung nicht nur der Arbeiter, sondern auch der Unternehmer, nach und nach vollsiäiidig erreichen würde. Dieser Gesahr gegenüber müssen alle Bedenken schweigen, bars man nicht fragen, ob einem ba& Gesicht deS Herrn Kommerzienraths 3E. gefällt, ober nicht. Hier steht zu viel auf dem Spiel, als daß persönliche l^mpfiudungeu oder theoretische Erwägungen irgend welcher Art störend in den Weg treten dürften." Warum verschweigt das Junkerblatt, daß in Crimmit - schau die Weber ausgesperrt sind? Ist der Aus - druck, „erzfrivoleS, nichtswürdiges Beginnen" zuirefieud, baun trifft e8 bk Unter neunter Wie wollen die Krautjunker die Fabrikanten unterstützen'< Etwa durch Selbfammeln? Oder wollen die Junker mit ihren Frauen und Töchtern nach Crimmitschau gehen und arbeiten? Beide Zumutungen sind gleich lächerlich. Die Junker sind einig mit Schweinburg und Konsorten iu dem Schreien nach Ausnahmegesetzen und da momentan nirgend sonst »roße Arbeiterkäinpfe im gange sind, so wirb Crimmitschau als Vorwand gebrauch Tatsächlich gibt der Wucherkartf den Anlaß, nach Ausnahme- gesehen zu schreien. Wie zu Bismarcks Zollvolstik das Sozialistengesetz gehört, so gehört zum Wucher- toris das ZiichlhauSgesetz. Seil 1890 haben die Junker immer nach AiiSnohinegesetzeit geschrien und jedes Tagesereignis dafür auSzuitutzeu versucht. AIS in Frankreich der Präsident von einem Italiener ermordet wurde, sollte in Deutschlaub das Umsturz- gesetz ersoffen werden. Für daS ZuchtbauSgesetz mußten die Polizeibehörden in ganz Deutschland ihre Phantasie nuftrengen, um daS „Material" zu dichten. Wären die Crimmitschauer Weber nicht ansgefperrt, ober würben bie Aiisgesperrten nicht von den Arbeitern unter - stützt, baun würbe bie „Kreuz-Zeitung" boch nach AteS- nahmegesetzeu schreien, weil es bett Junkern barmn zu tun ist, bie Massen auSzitplündern. Vereinigt sich aber der Zentralverband deutscher Industrieller mit den Kraut- junkern, um den Webern in Crimmitschau eine Nieder - lage zu bereiten, baun müssen bie Arbeiter teil hinge« worfelten Handschuh ausnehmen und einmal den Kamps als da« aitsehen, alS was er von den Gegnern bingcfielll wird. Dann Wirb ein Sieg der Ausgesperrten gleich sein mit einer Niederlage bet Schlot- mtb Krauljunker. Int Wahlkreise Eschwege Lchmnlknlden wirb demnächst eine Ersatzwahl zum Reichstage stattfiuben müssen, da bei im Juni v. I. gewählte, zur Freisinnigen VolkIPartei zählende Vertreter Seyboth durch die wegen W e ch s e l f ä l s ch u tt g erfolgte Verurteilung zu Ij Jahren Gefängnis und fünf Jahren Ehrverlust des Mandats verlustig geht, sobald bad Urteil rechtskräftig wirb. Der Stiel« hat einen vielfachen Wechsel in der Vertretung bind)» gemacht. Von 1871—84 war er nationalliberal, von 1884—»0 freikonservativ, von 1890 93 freisinnig, von 1893—98 antisemitisch (erst Leuß, bann Pfarrer JSkraut), von 1898—1903 wiebet freikonservativ vertreten. Bei der letzten Wahl erhielten dann in der Stichwahl wieder bie Freisinnigen den Sieg, obwohl sie mit 4346 Stimmen in der Hauptwahl erst an zweiter Stelle stauben. Die größte Stimmenzahl von 6485 hatte der sozial - demokratische Kandidat Hugo erhallen. Außerbeut waren für die Reichspartei (freikonservativ) 3812, für bie Antisemiten 3309 Stimmen abgegeben. In der Stich - wahl erhielt Seyboth 10348, unser Genosse 7039 Stimmen. Reichspartkiler und Antif entilem haben also zu fünf Sechstel» für bett Freisinnigen gestimmt. Nach dem Malheur mit ihrem Kandidaten werden sie bei dem bevorstehenden Wahlkampfe einen um so schwereren Stand haben. Tic ttiiiforin-Frage in Prcnstcii Tentschiond erfährt eine neue Verschärfung. Au» militärische» Kreisen wirb der „National-Ztg." mitgeteilt, daß zum 27. Januar abermals fine einschneidende Unif ormäitbetuitg in Aussicht steht. CS wirb von einer Wieberabschaffung ber neuen Litewka, aber auch von einer großen Neueinsührung gesprochen. Cbenfalls von militärischer Seite wirb bet kon - servativen „Schics. Ztg." mitgeteilt, daß die kurz vor Weihnachten aubesohleite Aenderung an den Osfizier»- paletotS etwa die dreißigste größere A e n d e r u n g seit Ende der 80er Jahre ist. In den letzten 16 Jahren habe jeder Offizier für Uniform- änberungenM r>83 anszugedeu gehabt. Die „Schief. Ztg." meint, der Verfasser dieser Zuschrift habe seine An - sätze sehr niedrig gegriffen und er hätte seine Auszählung noch wesentlich erweitern können. Eine Zusamnien- stellnng aller leit 1859 ergangenen Bestimmungen be - züglich der Bekleibuug unb Ausrüstung würde zeigen, baß unter der Regierung Kaiser Wilhelms 1. nicht halb so viel Neuerungen — und zwar durchweg Verbeffernngen — angeorbnet Worden sind als seitdem." Der dem Offizierkorps in solcher Weise aitfge« jWitngeiic unb v ö 11 i g e u t b e h r 1 i ch e 'M e h r a n f - w a n b ist ein sehr erheblicher ; er beläuft stell für das fast 25 000 Köpfe zählende Korps auf etwa 15 Mik honen. In der Zuschrift au die „National-Zeilung" heißt es: „Cs wird fortwährend bie Abstellung b e 8 X! u ;■ ii 6 in Armeekreisen von allen der Armee nahestehenden Personen gefordert; anstatt dessen werden tiuauSgesetzl neue kostspielige Abäudernngen eingeführt und die Offiziere ohne Unterlaß zu neuen Ausgaben gedrängt. Rrft in allerletzter Zeit hat der verdieufivolle fomiunubicrcnbe General Freiherr von der Goltz iu Stöiiigeberg warnend seine Stimme gegen diese alle Armeekreise beuuruhigenbeujinb verstimmende» Kleiber- Neuerungen erhoben, wie man steht, völlig umsonst k Mau scheint an bett leitenden unb verantwortlichen Stellen keine Ahnung von dem Einbrnck zu haben, den diese Neuerungen in der Armee Hervorrufen ober aber die - selben geflissentlich übersehen z» wollen. Jeder Mensch weiß, baß diese ewigen itleibcrberäuberitngen mit große» Kastei: berbnnbeu sind, baß infolge unserer WitterungS- einflüffe die Achselstücke fortwährend erneuert werben müssen usw. Und waS soll das Ausland von uni denken, baß wir unausgesetzt mit solchen Aeiißerlichkeiten beschäftigt sind!" Ans den zahlreichen Kundgebungen, die speziell durch die lÄuführuug deS neuen Paletots veranlaßt worden sind, fri noch folgende Zuschrift von „einem Vater von drei Offizieren, dem Träger eines in Berlin wie Stutt - gart wohlbekannten Namens", au den „Schwöb Merkur" erwähnt: „CS war unb ist die höchste Zeit, daß nicht von Bebel unb Genossen, sondern von feiten derer, welche stets iui Reichstage, in Versammlungen in der Presse für die Armee unb ihre bewährten E tit i i ch tu u g«it eingetreten Hub auf die vielfache» Schäden, die im Lause der letzl.n Jahre sich gesteigert habe», offen und freimütig aufmerksam gewacht wird. ES wirb Ausgabe beS Reichstages sein, bei Be- williguna ber Mittel für bie Armee diesen berechtigten Klagen Geltung zu verschaffen. ES ist geradezu unbe - greiflich, daß von be» erfahrenen Männern, welche die Umgebung de« Kaisers bilden, keiner de» Mut zu haben scheint, d e in Kaiser j u sagen daß, wenn dem in der KabinettSordre ausgesprochenen kaiserlichen Willen entsprochen werben soll, riwt fast jeben Monat eine Uiiifoimäitberung besohl'» werben bars, die meist nicht ohne weitere« ;u rechtfertigen ist denn unter den 32, jetzt 33 Aenderungen in den letzte» Jahren finbeit sich nur wenige entschiedene Ver- befferungen .... Cs ist Pflicht aller wahren Patrioten, unb in erster Linie ber berufenen Ratgeber be« Kaiser«, dafür Sorge zu tragen, daß den geschilderten Mängeln ein Cade gemacht wirb, die eine viel größere Wiß» stlmmnng in Weiten und de» besten Kreise.i zur Folge haben, a!8 man au maßgebender Stelle weiß." EU bemerkt schließlich i ,1?» sä herbotgehoben, daß keineswegs nur die OffizierSkretje an diesen Fragen direkt und bringend interessiert fi»8^