IS. Jahrgang. Nr. 109. KamvurgerEcho Dienstag, Ven 10. Mai 1904 Anzeige« werden die sechsgespaltene Pelitzeile oder deren Raum mit 30 *, für den Arbeitsmarkt, Bermietiings- und ^a»iilienan;eigen mit 20 * b.' .chnet. Anzeigen-Aunahme in der Expedition (bis 6 (Ihr AbeudSs, in den Filialen (bis 4 Uhr Nachmittags), sowie in sämtlichen Annoncen Bureaux, Redaktion und Expedition: Aehlandftraire 11 in Hamburg 1. DaS „Hamburger au8. Einzelne Stummer 6 *. Sonntags,Nummer mit illustrierter Sonntagsbeilage „Die Neue Welt" 10*. Verantwortlicher Redakteur: «»uftav Waberskch in Hamburg. Siid-St. Pan« bei Carl Lemenkom Davidstr 35. Nord-St. Pauli, Eimsbüttel, Laugenfelde bei Carl Dreier, Margaretheustr. 48, CtmSbuttel. Hoheluft, Eppendorf, Grvfs-Vorstcl und Winterhude bei Ernst Grabko!? L-hmwÄ 51, Eppendorf. Baru.bcck, Uhlenhorst bei Theodor Petereit, Bachstr 12 Barmbeck. St. Georg, Hohenfelde, «orgseld- Hamm, Horn und Schiffberk bei Carl ^ rtol yin.fh 96 Nora ielde Hammerbrook, Rotenburasort, Btllwärder und Veddel bei Rud. Fuhrmann, Schwabenstr. 33, Hammerbrook. Eilbeck, WaudSbeck und Hittscheitfelde bei Fr^a n »Kroger ' St'ernstr. 36, W an d kbeck Altoua b7 F r i e d r ich Ludwic;, Burgerstr. 118, Altona. Otteusen, Bahrenseld bet Johannes Heine, Bahreuselderstr. l40, Ottensen. Hierzu eine Beilage. Totalisator-Moral. „Man niub überhaupt nicht zu viel die Moral in den Vordergrund schieben", hat Herr v. Podbielski in der Totalisatordeballe gegen unseren Genossen Singer bemerk! und das ehrliche Bekenntnis des jovialen Ministers verdient Büch- manns „Geflügelten Worten" augereiht zu werden. Hat er nicht rechts Klassensiaat und Moral — wie reimt sich das zusaniiueii? Wenn der Kl assen- sinnt ernsthaft moralisch sein lvolltc, namentlich der borussisch-germanische, müßte er auf der Stelle liqui - dieren, denn wie köuute er dann die vielerlei Ent - rechtungen der Arbeiter überhaupt und speziell der lüudlichen und derjenigen in Staatsbetrieben ver - antworten? Wie den Zolltvucher? Wie die sogar von leiteiiden Staatsmänuern (süddeutschen) als un - gerecht gebraudmarkteu indirekten Steuern? Wie seine bekannte Stelltiug zum Duell? Wie die Züchtung der Heuchelei durch Maßregelung der Ilebcrzeiigungstreiie und Begünstigung streberischer Gesinnutigslosigkeit? Und so weiter. Kein Wunder also, daß ihm das Wort Moral so iinangenehm in die Ohren klingt wie Hamlets Mutter die Rede ihres Sohnes, oder dem König Heinrich IV. der Name Diortimer. Aber deshalb ist ihm — dem Klasseustaat — die Moral keincsivegs Hekuba. Im Gegenteil hat er Grund, sie zu schätzen, denn sie tragt ihm Geld ein, wie dem Wucherer das Wucherverbot, das die Konkurrenz vermindert und die Risikopramie steigert; wie der Kupplerin das Kuppeleiverbot aus gleichem Gruude. Von Papst Leo X. schreibt Heine, er hätte über Luther lächeln müssen, der nicht durchschaute, daß die Papstkirche das Laster keineswegs ernsthaft habe unterdrücken tvollen, ihr sei eS ja um die Ablaßgelder zu tun gewesen; das Laster wurde als Sünde erklärt, damit die Leute dafür berappen. Unter diesem Gesichtspunkt wird auch kein Widerspruch darin gefunden werden dürfen, daß der Staat den Kampf gegen den Alkoholismus unterstützt und doch über den neulich mehrfach kon- ÜatiMetU-Niickgana der Bransteuer betrübt ist: je mehr der Akkoholismus moralisch iu Verruf kommt, desto höhere Steuersätze kann er im Namen der Moral heischen und erhalten. Und genau so ver - halt es sich mit dem Totalisator. Wie kann man nur dem Juukerstaat zutrauen, das; er die Nennen aiifhebt oder einschränkt, diesen nitcit Favoritsport der „Cavaliere" (das Wort kommt ja vom lateinischen caballus = Ganl) und allerdings jetzt auch der bürgerlichen Cavaliere des Großgeldsack-, wie das „Jeu" überhaupt und sonstige feudale Amüsements. Der vor noch nicht langer Zeit verstorbene Bostoner liebenswürdige Humorist Oliver Wendel Holmes eifert in seinem 5ostlichen Buche „Break- fast-table Seiles“ („Der Tischdespot" betitelt es ein deutscher Uebcrsetzer) gegen die Einbürgerung der Wettreuneu iu Amerika und sagt: „Wettrennen ist keine republikanische Eiunchtung. Nur sehr reiche Leute können Rennpferde halten, und jedermaim iveiß, daß der Hauptzweck, zu welchem sie gehalten werden, der ist, ein Werkzeug zum Hasardspiel ab- ziigebeu. Wir wollen jetzt auf all das Gerede von Rasse und Schnelligkeit nicht eingehen, wir wissen das alles recht gut; nützlich, ja sehr nützlich, versteht sich — Hut ab vor dem Rasse- Veredler Soundso. Aber ich bleibe dabei, Renn - pferde sind wesentlich Spielgerätschaften, so gut als Roulett-Tische. Ich habe nichl die Ab - sicht, eine Predigt zu halten; aber das behaupte ich, daß Hasardspiel, in dieser Weise im Großen getrieben, nicht in eine Republik taugt. Diese Sucht gefrort zwei Phasen der Gesellschaft an: einmal, einer wurmstichigen wie in reichen Aristokratien, und ivikdernm dem zügellosen Treiben von Glücksrittern, dem Halbbarbarismus einer Zivilisation, die ihren ersten Gärimgsprozeß noch nicht überstanden hat. Pferderennen ist als alleröffentlichste Art von Hasard - spiel ein Auswuchs und mag es sich mit dem und jenem Nutzen noch so sehr beschönigen; die Ver- mummung ist zu durchsichtig, jedermann weiß, was dahinter steckt. Seine Hauptfreunde in Amerika sind die Giltsbesitzer int Süden, ein paar Millionäre im Norden, die ihre Nasen mehr oder weniger tief in Millionen stecken haben, und bann die vielen eigent - lichen Sportsleute, von denen die besten in der Regel Failleuzer sind, während eine nichl zn ver - achtende Klngheitsregel gebietet, ihnen in einem Volks- gebränge nicht zu nahe zu kommen und sich vorzu - sehen, wenn man ihnen in einer dunklen Seitengasse begegnet!" Ende der 60er Jahre machte im preußischen Landtag ein fortschrittlicher Abgeordneter den Vor - schlag, die für Reniipreise in Ansatz gebrachten 50 000 Taler für ländliche Fortbildungsschulen zu verwenden, mit der Begründung: Erst der Bauer, baun das Pferd. Der Minister v. Selchow aber kehrte den Satz um und erklärte die Aus - bildung des Renners für wichtiger als die Fortbildung der Bauern! Und die würdige Mehrheit der „Volksvertreter" stimmte ihm bei und eilffchied sich für die Pferde und gegen die Bauern. Der Geist dieses Ministers ist iu Preußen noch heute lebendig, wenn mich Herr v. Podbielski seiner Zärtlichkeit für Rennpferde in manierlicheren Sätzen Ausdruck verlteh. Wenn man weiß, iua8 für Neberrelzuugsmittel, raffinierte Dressurmethoden und Tricks bei den Renn- sportpserdeil angeweudet werden, damit sie einen Rekord schlagens so luirb man tue Behauptung des Ministers, daß die Rennen uottvendig seien zur Prüfung der Gesundheit dieser Pferde an Lunge und Herz, znm uiinbefteu sehr skeptisch aufnehmen; und llicht minder die Versicherung, die Rennen uiib die Traiiiiernng dazu wären keine arge Tier - quälerei, weil das Pferd seine Freude am Neunen habe! Für die von uns obeü gekemizeichnete Moral- Spezies möchten wir als passeudeu Namen „Totali - sator-Moral" vollchlagen. Bou der Weltbnhne. Rus dem Reichstage. Berlin, den 7. Mai. Wider Erwarten kam es fjeute bei der Erledigung einiger Rechuuitzssache» zu einer kleinen aber grundsätz- l i ch o >i Debatte. Der Abgeordnete Sattler monierte die laxe Praxis der Rechnungskommission, die bei Etals- iiberschreimngen sich statt an den Reichskanzler, der allein dem Reichslage verantwortlich ist, an den betreffenden Ressortminister gewendet halte, um die erforderliche Aus - kunft zu erhalten. Sattler begann in der bei ihm be - kannten monotonen Weise, wurde aber im Verlauf seiner Rede immer heftiger und forderte am Schluffe derselben, daß man sich endlich dazu entschließen möchte, dem Reichs - schatzsekretär die Stellung eines dem Reiche verantlvort- lidjen Finanzministers einzuräumen, ähnlich derjenigen, die der preußische Ftnanzminister habe, der nicht über - stimmt werden könnte und somit ein ausschlaggebendes Vetorecht habe. Das Zentrum verabfolgte Herrn Sattler durch den Abgeordneten Gröber, entsprechend seinem sörderalistischen Standpunkte, sofort eine Touche, indem es erklären ließ, daß cs für derartige iinitarische Pläne nicht zu haben sein werde, selbst wenn der Abgeordnete Sattler die Gelegenheit besser wählen und einen dahin - gehenden Antrag stellen würde. In echl national - liberaler Manier knickte Sattler sofort zusammen, ent - schuldigte sich gewissermaßen, daß er sich solch schweres Vergehen habe zu schulden kommen und seinen zentrali - stischen Neigungen habe die Zügel schießen lassen; c5 sei ihm nur darauf angekommen das Unzu - lässige in dem Verhalten der Rechnungskommission scharf herborzuheben. Inzwischen hatte der Bericht - erstatter der Rechnungskommission, der Abgeordnete S ch t ck e r t von der konservativen Partei, erklärt, daß sich die Rechnungskommission an den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes gewandt habe und darauf vom Kolonialdirektor, um dessen Reffort es sich hier gehandelt habe, schriftlich aufgesordert worden sei, sich in solchen Fällen doch direkt an ihn zu wenden. Diese Mittetluug gab unserem Genossen Singer Ver- aulajsung zu einer icharfeu Mrttif der tu der Koloutal- berwaltung herrschende» eigentümlichen etatsrechtlichen Atffchauungen, die in dieser Session schon wiederholt Gegenstand der Erörterungen gewesen find. Schließlich treibe man es noch so weit, daß man den Reichstag an den in Betracht kommenden Dezernenten des be - treffenden Amtes verweise. Der Reichskanzler sei dem Reichstage verantwortlich und Reffortbeamte könnten nur im Auftrage und tot Samen des Reichs - kanzlers Auskunft geben. Geuoffe Singer sprach dann noch feine Verwunderung darüber aus, daß Sattler sich noch entschuldige, wenn er einmal zentralistische Grundsätze im Reichstage vertreten habe; das sei bis heute doch noch nicht verboten. Die bann folgende zweite Beratung der sogenannten kleinen F i n a n z r e f o r m auf Grundlage der Kom- missiousbeschlüffe gab dem Genossen Südekutu zwei - mal Gelegenheit, die Vorlage nicht nur vom finanz - technischen,' sondern auch vom politisch - konstitutionellen Standpunkt kritisch zu belcuchteu. Die A u s s ch e i d u n g der Zölle — insbesoitdere der G e t r e i d e z ö l I e, bereit Ertrag ganz erheblich von dem Eritteausfall beein - flußt wird — und eines Teiles der Verbrauchssteuern aus den U e b e r w e i s u n g s st e u e r n, befreit die Einzelstaateu von den Schwankungen in bett Einnahmen und überträgt diese Schwankungen auf die Einnahmen des Reichs. Dazu kommt, daß das Reich nach § 2 der Vorlage verpflichtet werden soll, eventuelle Ueberschüffe aus der eigenen Wirtschaft nicht ohne weiteres zur Schuldentilgung bezw. zur Verminderung des Anleihe- bedarfS für das nächste EiatSjahr zu verwenden, sondern, daß es zunächst die von den Einzelstaateu durch die tleberweisungen nicht gedeckten Matrikular- beiträge aus diesen eventuellen Ueberfchüffen zu er - statten hat. Durch diese Bestimmuugen werben die Einzelstaateu so ziemlich von jedem Risiko, daß sich für sie aus der Finanzlage des Reichs ergeben könnte, be - freit. Werden die Emnahmepofftionen im Etat ent - sprechend den zu erwartenden Steigerungen hoch eingestellt, fo bleiben die Matrikularbeiiräge von vornherein so niedig, daß Aussicht vorhanden ist, sie durch die Ueberweisungs- steuern zu decken, und werden die Esttnahnteposttionen niedriger eingestellt als Der zu erwartende Ertrag auS- macht, und dadurch die Einzelstaaten zn höheren Ma- trifnlarbeiträgen herangezogen, so erhalten sie aus bett Ueberschüffen den von ihnen geleisteten höheren Betrag zurückvergütet. Eine derartige finaitzielle Unabhängigkeit der Einzel- staaten vom Reich und umgekehrt hat, insbesondere in einer Zeit, wie der jetzigen, wo das persönliche Regiment in der Reichspolitik so sehr in den Borbergrund tritt und ein Konflikt zwischen Reichstag und Reichsregierung möglicher denn je ist, zumal wenn die Verschiebung in den Machiverhältniffen der Parteien int Reichstage in gleicher Richtung fortschreitet wie bisher, unter Umstäubeit für den Reichstag sehr unangenehme politische Folgen. Deshalb erfolgte von unserer Seite die Erklärung, baß wir die Vorlage nicht mir aus finanz-technischen Gründen, sondern vom konstitutionellen Standpunkt v e r m c r f e n mußten. Da aber die rechte Seite und die Mitte des as dafür waren, wurde die Vorlage nach den Be - en der Bubgeckouwiisfion angenommen. Rach einer kurzen Debatte über eine von der Budget - kommission beantragte Resolution, betreffend Herabsetzung der Maischbottichsteuerrilckvergütting, an der sich unser Geuoffe Wurm beteiligte und in Verfolg bereit die Resolution gegen die Stimmen der Rechten und der Nationalkiberalen angenommen wurde, trat Vertagung ein. Dtc gefleht der preußischen Landarbeiter sollm nun auf „gesetzlichem" Wege noch fester angezogett werden. Das ist der Zweck des Gesetzvitwurfs, betreffend die Erschwerung beS Vertragsbruchs land - wirtschaftlicher Arbeiter und des Ge - st nbcs der dem preußischen Abgeordnetenhause am Sonnabend zugeganaen ist. Sein Inhalt ist folgender: § 1: Mit Geldstrafe bt» zu M. 150 oder mit Hast totrb bestraft: 1. wer Dienstboten (Gesinde) ober landwirtschaftliche Arbeiter, von denen er »eiB oder bei Anwendung bet erforber« lichen Sorgfalt wissen muß, baß sie einem £"Y r ** atkt ' J JI‘^t zur landwirischattlichen Arbeit oder zum Äesindedienst noch verpflichtet find, in Dienst nimmt: a w» in gewinnsüchtiger Absicht für bie unter 1 bezeichneten Arbeitnehmer ein neuer Dienstverhältnis vermittelt, obwohl er weiß oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wiffen muß, daß sie einem anderen Arbeitgeber zur landwirt - schaftlichen Atbeits oder zum Gesiudediinst noch ver - pflichtet find; . 3 wer bie unter 1 bezeichneten Arbeitnehmer verleitet ober zu verleiten übernimmt, wider - rechtlich den Dienst n i ch t a u z u t r e t e n o d e r zuvetlassen. , Im Falle der Ziffer 1 tritt bie Strafverfolgung nur auf Antrag des früheren Arbeitgebers ein. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig. §2: Mit Geldstrafe von X 2 bis 600 und mit Hast wird bestraft, wer, nachdem er auf Grund des § 1 Ziffer 2 ober 3 rechtskräftig verurteilt ist, innerhalb der nächsten drei Jahre abermals eine nach diesen Vorschriften strafbare Handlung begeht. Eine nicht beijutreibenbe Geldstrafe ist in Hast umzuioandelit. § 3; Mit Geldstrafe bis zu .M 150 oder mit Hast wird bestraft, wer die ihm obliegende Verpflichtung zur Ausstellung eineS schriftlichenZeug- niffte bei Beendigung deS Dienstverhältnisses eines Dienstboten ober landwirtschaftlichen Arbeiters in rechts - widriger Absicht nicht erfüllt. 8 4: Die Ortspolizeibehörbc Hai das einem lanb- wirischasilichen Arbeiter gemäß § 630 des Bürgerlichen Gesetzbuches ausgestellte Zeugnis auf Antrag kosten- und ftenipelfrei zu beglaubigen. Damit soll endlich das lange Sehnen der Agrarier nach einer Verschärfung ihrer Fuchtel erfüllt werden. Schon feit Jahren haben sie bie Regierung mit Anträgen bombardiert, bie bie Bestrafung des Kontraktbruches länblicher Arbeiter im Auge hatten, bezw. bie Bestrafung von Arbeitgebern, welche kontraktbrüchige Arbeiter zum Kontraktbrnch verleiten, forderten. Solche Anträge find in den Jahren 1899 und 1900 im Abgeordnetenhaus zur Verhandlung gelangt. Im Sommer 1902 ist eine Interpellation von agrarischer,Seite eingebracht worden, in der die Regierung gefragt wurde, ob fie bie Absicht habe, alsbald einen Gesetzentwuri einzttbringen gegen den Kontraktbruch im ArbeitSverhöltniffe. Auch in diesem Jahre haben die Konservativen wieder in einem ähnlichen Antrag bie Regierung aufgefordert, noch in dieser Session einen bett Wünschen entsprechenden Gesetzentwurf vorzu- legcn. Das ist nun geschehen und die Junkerkammer wird sich beeilen, die langersehnte Waffe im Kampf gegen die Landarbeiter zum Gesetz zu machen. In der Begründung des Gesetzentwurfs, die uns noch nicht vollständig vorliegt, wird nach ZeitiutgS- mitteitungen die landeSgefetzliche Regelung der Frage für zulässig erklärt, weil es sich nicht um Materien handelt, welche Gegenstand beS Strafgesetzbuches für baS Deutsche, Reich sinb. Aehnliche Gesetze sind neuerlich iu Anhalt, Braunschweig und Reuß j. L gegen dm Kontrakt- I beuch iu ländlichen Arbeiisvechälnitffeu alassen worden. | Es ist aber oarüoei geklagt worden, daß uwiua Erfolg I damit erzielt fei. Diesen Mangel an Erfolg hat man I darauf zurückgeführt, baß analoge Bestimmungen in den Nachbarstaaten fehlen. Diese Motivicrung ist weder richtig noch logisch. DaS Strafgesetzbuch für bas Deutsche Reich kennt zwar keine Koutraktbruchstrafen; frühere Versuche, sie hitieinzu- bringen, sind vom Reichstag abgelehnt worden. Tie Folgen beS Kontraktbruches sind im Bürgerlichen Gesetz - buch geregelt, und zwar dahm, daß der Vertragsverletzer nur zur Schadenersatzleistung verpflichtet ist und daraufhin gerichtlich belangt werden kann. Dieser neueste Versuch einer strafgesetzlicheti Ahndung des konttaktbruchcs steht daher ebenso im Widerspruch mit dem Reichsgesetz, wie ähnliche Versuche in anderen Einzelftaaien Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß nach dem Entwurf die gesetzliche Strafe nicht den Kouiraktbrecher treffen soll, sondern den, der ihn wieder in Beschäftigung nimmt. Um die Bestrafung dieser letzteren ist es natürlich den Agrariern nicht zu tun, beim in ben Zeiten der größten ßeutenot könnte es ihnen ja selbst einmal passieren, daß fie sich in den Schlingen des Gesetzes verstricken. Worauf eS ihnen ankommt, ist eine Hungerkur für Landarbeiter, bie sich unter Verletzung dcS Vertrages dem imerträglichen Joch brutaler Landjunker ober Bauern 'entziehen. Man will kontraktbrüchig gewordenen Laiidarbeitem und Dienst - boten jede Möglichkeit entziehen, ander - weitig Arbeit zu bekomm eit. Das ist der Zweck. Die Arbeiter sollen bis zum Ablauf der ja meist lang - fristigen Arbeitsverträge ihren „Brocherren" auf Gnade ober Ungnade überantwortet fein; fie sollen das Joch geduldig tragen, weil die Zerreißung bet Kette ihnen jebe Arbeitsmöglichkeit abschneiden würde. In früheren Anträgen der Agrarier befand sich wenigstens noch eine Beschränkung der Hunger fr ist; die Jnarbeit- nahme der Kontraktbrüchigen sollte nur strafbar fein, wenn sie vor Ablauf von biet Wochen nach der unrecht - mäßigen Lösung des ArbeitSverhälMiffeS erfolgte. Der Gesetzentwurf dagegen setzt keine Frist; der durch Gesetz erzwungene Bopkott der Vertrags- brüchigen soll also von unbefdjränfter Sauer fein. Das ist eine Strafe, die noch weit über die der unselig eingescharrten Zuchthausvorlage hittauSgehl. Der „sozialpolitische" Geist bet preußischen Bureaukratie, die solche Entwürfe ins Werk setzt, wird dadurch treffend gekennzeichnet. .... „ , Die ganze Ungeheuerlichkeit beS Gesetzentwurfes wirb erst bann völlig flat, wenn man erwägt, was in Preußen in bezug auf bie Behandlung landwirtschaftlicher Arbeiter und Dienstboten als nach dem „Recht" und nach der „Rechtsprechung" als zulässig gilt. Selbst brutale Mißhandlungen sind von Gerichtm als ungenügender Gtiutd zur Lösung eine* Dienst - verhältnisses bezeichnet worden Bäumt sich infolge solcher Behandlung in dem Mißhandelten das Menschcn- gefühl auf und er schältest baS Joch „wiederrechtlich" ab, so soll er durch langanbauernbe Hungerkur von der Vortrefklichkeit preußischer StaatS- eiurichtuitgen überzeugt werden. Aber in bezug auf bie Wirkung deS Gesetzes wenn eS Gesetz wirb, woran nach bem Charakter beS Dreiklasieu- parlamentS nicht zu zweifeln ist, wirb man sich täuschen. Wenn in ben Staaten, bie mit solch schändlicher Klaffen- gesetzgebung vorausgegangen sind, über mangelnden I Erfolg geklagt wird, so sollte logischerwetse daraus geschloffm werden, baß solche Gesetze überhaupt ben von ihnen erhofften Erfolg nicht Haden können. Die Lanb- arbeiier werden sich wohl etwas mehr vor beut Kontrakt- bruch hüten ■ aber fie werden so schnell wie möglich dieser Ausmchmebehanbluiig und der Hölle der Rechtlosigkeit zu entrinnen versuchen. Die Abroanderung vom Lande wird dadurch gewaltigen Anstoß erhalten. Im übrigen aber werden durch solche Gesetze den flanbarbeitem bie Augen über ben Charakter ihrer „Brotherren" unb ihrer klaffenstaatlichen Vertreter geöffnet. Sie werden erteilten lernen, daß für sie nur bei der Sozial - demokratie Heil erblüht. Der nun auch im größten dcuucheu Staate gemachte Versuch, bie Landarbester noch unter schärferes Ausnahme- recht als bisher iu Men, legt übrigens dem Reichs - tage die Pflicht auf, gegen diesen Einbruch in die Gesetzgebuugsi echte beS Reiches entschieden Einspruch zn erheben . Ter Reichsverbaud znr Bekämpfung der Sozialdemotrati«, soll nach „vorläufiger Anzeige" heute, Montag, in Berlin gegründet werden. Der Entwurf deS Statuts sagt über den Zweck: Ter Reichsverband gegen bie Sozialdemokratie hat die Bestimmung, alle in Treue zu Kaiser und Reich stehenden Teutschen ohne Unterschied ihrer religiösen und politischen Stellung znm Kampfe gegen die antimonarchische n Bestrebungen b er Sozialbemokratie zu einigen. Er erkennt eS insbesondere als seine Aufgabe, zu diesem Behufe, unter voller Anerkennung der berechtigten Bestrebungen der Arbeiter auf Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage: 1. an hierzu geeigneten Orten feste Organisa - tionen gegen die Sozialdemokratie zu schaffen ; 2. der auf den Umsturz der bestehenden Staats- und Ge - sellschaftsordnung gerichteten Tätigkeu der Sozialdemo- tratie durch Wort und Schrift entgegenzutreten; 3. bei Wahlen aller Art in den durch die Sozialdemo - kratie gefährdeten Bezirken und Orten auf cm gemein - sames Vorgehen aller bürgerlichen Parteien hiuzuwirken; 4. den durch sozialdemokratischen Terrorismus bebräugteii Arbeitern unb Gewerbe - treibenden nach Möglichkeit Hülfe zu gewährm; 5. zwischen allen gleiche und ähnliche Ziele verfolgenden Vereinigungm und Veranstaltungen einen festen Zu - sammenhang herzustellen. Der Sitz des Reichsverbandes ist Berlin. Der Jahresbeitrag der Mitglieder soll mindestens M I be - tragen. Wer eine einmalige Zahlung von miubefteuS M. 100 leistet, erwirbt die Eigenschaft eines stiftenden, außer- ordentlicheu MtgliedeS. Als Organe des ReichsverbandeS sinb vorgesehen der Vorstand (sieben Mitglieder), der Ausschuß (25 Mitglieder) und die mindestens einmal im Jahre tagende Generalversammlung. Für einzelne Länder, Provinzen und Bezirke sollen „Verhandlungsdelegierte" bestellt toerben, beten hauptsächlichste Tätigtet auf pro - pagandistischem Gebiete liegen soll. Die Haupfforge der ReichsvetbaubSgrünber wird zunächst fein, eine Anzahl von Prologes alS „Verhand- [ungSbelegierte", b. h. als bezahlte Agitatoren unterzu- bringen. Der Versuch, durch solche Berufsredner die Sozialdemokratie zu vernichten, ist schon mehrmals ge - macht worden; wir erinnern nur an den Reiseprediger Fränkel, der es aber nachher — wohl wegen cmtzge- btiebener Subfidien — vorzog, unter dem Ramen Bürger ein eigenes Sozialifienbekänipsimgsgeschäft zu etablieren. Jedenfalls kann bie Sozialdemokratie mit großer Ruhe ben Taten des „ReichSverbcmdeS" eittgegmsehen. Tic Rcichstagscrfatzwahl für ben Wahlkreis Straßburg-La nb. Die infolge bet Ungültigkeits - erklärung bet Wahl Blumenthals erforderlich geworden, ist auf den 21. Mai angesetzt worden. Auch hier zeigt man große Eile, um die Nachwahl noch unter I bet Geltung bet alten Wählerlisten vollziehen zu lassen. 1 Bei bet Hauptwahl erhielt Blumenthal, der ßaubibat btt Elsaß-lothringischen Volkspatlei 632d, Der Kandidat der Elsaßlothrnigischen Landespartei 8304, bet sozialbenw- fratifdje Kandidat 3097 Stimmen. In der Stichwahl siegte Bkumenthak mit 9442 über 9062 Stimmen Man rechnet offenbar auch fiter auf ben Abgang von Stimmen tüt die Linksparteien, um bas Mandat bem weiter rechts stehenben Kanbibalen zu gewinnen. Die Soffuuugeu der Liberale» auf Reform bet Börsen gesetzgebung werden iu der agrarischen „Deutschen Tagesztg." arg verspottet. Das Organ Oertels schreibt unter der Stichmarke Hoffen unb Harren . . .*: „Die „Ncttionalztg." ist erfreut, Mitteilen zu können, baß nach ben gestrigen Verhandlungen in der Börsen - gesetzkommission bei beten Mitgliedern die Ansicht über - wiege, baß eine Verständigung möglich sei und ein b t a u ch b a r e S G e s e tz aus der Kommission hetvotgehen werbe. Wir glauben doch einer Pflicht der Menschenfreundlichkeit zu genügen, wenn wir der „Nalioualztg." raten, nicht allzu Hoff - nu n g S s e l i g zu fein. Daß in der Kommission aus bem Gesetz etwas werden wird, ist zwar nicht wahr - scheinlich, aber möglich; unb daß das eventuell Ge - wordene bie .Nationalztg." einigermaßen befriedigen könnte, ist nicht vollkommen anSgeschloffen. Aber ob und wann das Plenum wieder an die Beratung herautteten, und ob und wie baS Gesetz aus bem Plenum her auskommeu werde, das ist eine Frage, bereu Beantwortung wir nnS versagen möchten. Jebenfalls wirb noch viel Waffer ins Meer und auch in den Frendenkelch der „Nationalztg." ge - langen, ehe daS Gesetz alle drohenden Klippen um - schifft hat." Die börfenfeiitblidjen Agrarier fühlen sich; sie wiffen, daß sie mit bem Zenirunt zusammen jede vernünftige Resotm hindern können. Daher die Spottluft. Eine bewegliche Klage übet das Finanz- Verhältnis zwischen dem Reich und den Einzelstaaten stimmte der sächsische Finanz- m t n i st e r D r. Rüger bei Beratung des Eijettbahn- etatS im sächsischen Landtage wieder an. Er sagte da u. a.: Ich bin ganz damit einverstanden, daß der Eisenvahnbau nicht zum Stillstand kommen bars; wir werden aber jenen Wünschen erst bann gerecht werbe» können, wenn das unhaltbar geworbene finanzielle Ver - hältnis Sachfe it S zu in Reiche ein anderes geworden ist. Wenn wir vom Reiche immer wieder mit Millionen belastet werden muffen wir entweder die direkten Steuern erhöhen ober Schulden machen, um die Mattikularbeiträge aufzubringen. Ich würde es aber für völlig verkehrt halten, leern der sächsische Staat Schulden machen müßte, um für die Schulden des Reiches aufkommen zu können. Wollen wir keinen dieser Wege befreiten, bann bleibe nur übrig, die Kultur- a uf gaben zu Gunsten der Matrikularbeiiräge zurück- zustellen. Wir werden also erst, wenn es gelungen ist, ein erträgliches finanzielles Verhältnis mit dem Reiche herznstellen, bie Wünsche auf den Ausbau unseres Eisen - bahnnetzes befriedigen kö inen. Die einzelstaatlichm Finanzminifter werden erst durch bie Rot dazu gebracht werden müssen, sich der stetigen Bermehrung der ReichSauSgaben für Heer unb Flotte energisch zu wibersetzen. Der Kampf zwischen den Aerzten und der Ortskrankenkasse in Leipzig ist beendet Jubelnd verkündet bie bürgerliche Presse, daß der Aerztrstreil mit beut Siege der Aerzte geendet habe. Richt aus eigener Straft haben sie den Sieg errungen, sondern a la itoln durch das Eingreifen der Auf - sichtsbehörde, die ihren früheren Seandpuntt plötzlich berlaffen und eigenmächtig in die Verwal - tung einbegriffen hat, indem sie mit den der Klasse ■bie Arbeit weigernden Aerzten Verträge schloß, in welchen die HanptforLierimgen der Aerzte erfüllt wer - den. Die Kreishauptmannschaft hat damit einen Weg betreten, den Minister v. Metzsch im Landtage für ungangbar erklärt hat Sie hat das Selbst- verwaltungSrecht der Kasse konfis - ziert und auf Grund bti § 56a des Krankenver- stchrrmigrgefch-S B-rtr-L ttttt r-- untecleo ent 3 —400 000 höher zu stehen kommen. DaS wird für bie Kaffe eine unerträgliche Belastung fein, bie um so schlimmer ist, als bie Mtglieder ihr nicht entrinnen können. Der ungeheure Schaden hätte vermiede!! werden können, wenn man der Kaffe die nötige Zeit gelaffen hätte, die von der Aufsichtsbehörde gestellten Bedinguiigen bezüglich der Zahl der anzustellenden Aerzte zu erfüllen. Da die ärztliche Behandlung schon so wie so gut funktio - nierte, drängte die Sache gar nicht. Aber man wollte nicht die nötige Zeit lassen, beim baS würde die Niederlage der zum Zwecke ihrer eigenen Bereiche - rung rücksichtslos vorgehendeu Aerzte besiedelt haben KI a s s e n g e n o s s e n der Herrschenden dürfen aber nach klaffenstaatlicher Moral gegenüber Arbeitern keine Niederlage erleiden. Darum durften hi diesem Falle die Streikenben sich so tief eingreifender Hülfe der Behörde erfreuen. Für eine« „großen Krieg" iu Siibwcstofr'.U macht die „Krenz-Zeilung" Propaganda. WaS jetzt an Truppen bereits hingeschickt oder zum Nachschub bestimmt ist, genügt dem Junkerblatt bei weitem nicht. Offenbar braucht man in ben Kreisen deS preußischen Abels für bie Herren Söhne Gelegenheit, sich „auSzuzeichnen", um rascher atmneieren zu können, unb barmn muß ein möglichst zahlreiches Heer nach ber Sanbwüste geschickt werben. Darum wird nach einer bestimmten Stelle hin sehr deutlich gewinkt: „Wen» daS Gerücht auf Wahrheit beruht, Se. Mas ber Kaffer habe von Anfang au eine bedeutende Truppen - macht aufbieten wollen, so ist <• sehr zu bedauern, daß stirzsichtige Sparsamkeit und bureauiratische Gewohn- htm großes«*ten Plane entgegenwirkten. . . . . Wenn die Politik nicht von großen Gesichtspunkten auSgeht und hohe, weitgesteckte Ziele verfolgt, wenn fie sich von den Tagesereigniffen lenken läßt und