Nr. 212. 18. Jahrgang LamvurgerEcha Das „Hamburger (frrfjo“ eifdjeint täglich, außer SDlontagä. »lbonneinentSPreis (intl. „Die Neue Welt") beträgt: durch die Post bezogen ohne Dringegeld monatlich M. 1,20, vierteljährlich A 3,60; durch die Kolporteure wöchentlich SO * frei in? HauS. Einzelne Nummer 5 4. SonntagS-Nummer mit illustrierter Sonntagsbeilage „Die Neue Welt" 10*. Verantwortlicher Nedakteur: Gustav Wnbersky in Hamburg. Freitag, Sen 9. September 1904. Anzeigen werden die fechsgespallene Petitzeile oder deren Raum mit 30 *. für den Nrbeitsmarkt, Vermietungs- und Kamilieuanzeigen mit 20 * berechnet. Sluzeigeu-stlunahme in der Expedition (biö 6 llhr Abends), in den Filialen (bid 4 llhr Nachmittags), sowie in sämtlichen Annoncen-Bureaux. Redaktion und Expedition: Fehlandstrafte 11 in Hamburg 1. Walen: Süd St. Pa»li bei Carl Lementzow, Davidstr. 35. Nord-Tt. Panli, Eimsbüttel, Lallgenfclde bei Carl Dreyer, Margarethenslr. 48, Timsbüttel. 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Ein „nlssischer Staatsmann" hat an den Her- ansgcber der „Deutschen Revue" ein Schreiben ge - richtet, das die Anschannugeu der leitenden poli - tischen Kreise in Rußland über die Möglichkeit eines Fricdensschlttsses zwischen Rußland und Japan wiedergebe» soll. Wenn das wirklich der Fall ist, so muß mau sagen, daß der Hochmnt, den diese leitenden politischen Kreise bisher betätigten, sich im Schrecken über die furchtbaren Niederlagen Ruß - lands einfach in Dummheit verwandelt hat. Denn nach diesen Mitteilungen erwarten die leitenden Kreise Rußlands, daß Japan nicht nur die ersten Schritte für den Friedensschluß tut, sondern auch Rußland für den „frevelhaften Friedcnsbmch", den Japan begangen haben soll, Genugtuung ge - währt. So kaun ein Sieger, aber nicht ein Be - siegter sprechen. Dazu wird die Situation Ruß - lands mit der Situation Deutschlands von 1870 verglichen. Dieser Vergleich ist ebenso albern, denn heute tveiß jedermann, daß Deutschland damals nicht „überfallen", sondern daß Napoleon III. durch die diplomatischen Künste Bismarcks gezwungen worden ist, loszuschlagen, bevor er für den aller - dings unvermeidlich gewordenen Krieg genügend gerüstet war. Die Japaner wurden auch durch die russische Diplomatie zum Losschlagen getrieben, allein sie waren so schlau, sich genügend zu rüsten. Wie kam denn die Zwangslage? Als der Doxerkrieg in China das Einschreiten der europäischen Riächte zur Folge hatte und daun Truppen in China einrücktcn, proklamierte bekanntlich Rußland den Grundsatz, daß die Integrität Chinas gewahrt bleiben müsse und keine Rtacht chinesisches Gebiet annektieren dürfe. Die russische Diplomatie sprach noch offene und scharfe Drohungen gegen die Macht aus, die sich unterstehen sollte, diesen Grundsatz zu verletzen. Die Mächte stimmten dieser Erklärung zu und hatten sich damit gegenüber der russischen Arglist die Hände gebunden. Plötzlich besetzte Ruß - land die Mandschurei zum Erstaunen der zivilisierteu Welt, nachdem cs soeben die Integrität Chinas proklamiert hatte. Man wagte diese freche Räuberei um so eher, weil man die Gewißheit hatte, daß Truppen einer europäischen Macht nicht leicht in die Diandschnrei einmarschieren könnten. Die Presse hallte wieder von Protesten, worauf die russische Diplomatie die höhnische Antwort gab, die Mandschurei sei von China als „Geschenk" an Rußland gegeben worden in Anerkennung von dessen Verdiensten nm die Unterdrückung der Boxerunruhen. Dieser Ulk konnte natürlich die Mächte nicht ab - halten, bei Rußland Vorstellungen zu machen. Vor- stellttugcn — bei Rußland! Die russische Regie - rung versprach dann auch, die Mandschurei zu räumen, aber jedermann sagte sich mit Recht, das werde freiwillig niemals geschehen, und so war es auch. Einstweilen wurden dort jene Metzeleien an- gerichtet, mit denen Rußland seine „Kultur" iu andere Länder zn tragen pflegt. DUt der Annexion der Mandschurei war der Krieg zwischen Rußland und Japan mir eine Frage der Zeit geworden. Die europäische Diplomatie zeigte sich damals in ihrer ganzen Schwäche. Sie hätte den Krieg vermeiden können, wenn sie energisch gegen Rußland aufgetreten wäre. Statt dessen scheint in China ein Weltkriechcn vor Rußland stattgefunden zu haben. Oder wußte die europäische Diplomatie in der Tat nicht, daß Rußland nicht genügend ge - rüstet war zn einem Kriege, daß der so fürchterlich aussehende Koloß innerlich verfault war? Da geben die Regierungen große Summen für militärische und politische Kundschafter aus und haben keine In - formationen! Nicht als ob wir dies Kundschafter- system in der bestehenden Form billigten, aber wenn cs einmal besteht, muß es doch auch einen Zweck haben. So scheint cs aber keinen zu haben. Die Mächte ließen die Dinge sich ruhig ent - wickeln und da waren die Japaner gezwungen, loszu- schlagcu. Wir sind keine Verehrer der Politik, welche die herrschenden Klassen Japans treiben, und wir verwerfen diesen Krieg so enlschiedcn wie jeden anderen. Aber wir gönnen dem russischen Zarentum seine Niederlagen. Die Japaner haben, ohne gerade diese Absicht zu verfolgen, den Alp der russischen Reaktion von Europa genommen. Dieser „Hort der Reaktion", wie ihn das offizielle Rußland bisher dn ' llte, erscheint nicht mehr fnrchlcrlich, sondern nur noch lächerlich. Die Japaner haben sich, als sie lüSschtugcn, sogar eine große Reserve aufe'rlegt; sie hätten sich unschätzbare Vorteile verschaffen können, wenn sie früher angegriffen hätten. Aber sie wurden wohl von der europäische» Diplomatie zurückgehalten und diese war über den ersten Angriff bekanntlich fehl bestürzt. Der russisch-japanische Krieg hat aber auch dem rnssischc» und dem europäischen Proletariat große Wortei e gebracht, indem er das offizielle Rußland gcdemiltigt und geschwächt hat. Indessen kann dieser Vorteil nur erhalten bleiben, wenn auch im Friedens - schluß die Demütigung Rußlands zur Tatsache wird. Ob man in den leitenden politischen Kreisen Rußlands auf eilt Einschreiten dieser ober jener Macht ausschließlich zu Gunsten des Zarentums hofft? Diese Hoffnung wird vergeblich sei», denn ein solches Einschreiten würde ohne weiteres den Weltkrieg be - deuten, und vor diesem sich zu hüten, haben alle Mächte allen Grund. Wir haben schon des öfteren dargetan, daß die alte Schule der Diplomatie, in der sich eine Kaste festgesetzt hat, vollkommen überlebt ist. Wann wird man lernen, die russische Kosaken-Diplomatie als das zu nehmen, was sie ist? Wenn der Leiter der auswärtigen deutschen Politik sagen konnte, als man bei der „Pachtimg" von Kiautschou auf die Möglichkeit daraus entspringender internationaler Verwicklungen hinwieS: „Meine Herren, fürchten Sie gar nichts!" so tobt nun sechs Jahre später in der Nachbarschaft von Kiautschou ein Krieg, der schon sehr bedenkliche Situationen herbeigeführt hat, als sich russische Kriegsschiffe in den dortigen Hafen flüchteten. Der damalige Staatssekretär des Aus - wärtigen, Graf Bülow, besaß eben auch damals schon tote heute unbegrenztes Vertrauen in die russische „Freundschaft", die so gefährlich werden kann. Der japanisch-russische Krieg hat wohl auch die Wirkung, daß er in der äußeren Politik der Mächte neue Richtungen vorzeichnet, die sich von den alten ausgetretenen Geleisen entfernen. Nachdem England isoliert worden, hatte die schwere Hand der russischen Diplomatie auf allen Beziehungen der Mächte unter einander gelegen. Dieser Bann ist durch die japanischen Siege gebrochen und das ist ans alle Fälle ein Gewinn. Im übrigen werden die leitenden Kreise in Ruß - land ihren Hochmut noch weiter dämpfen müssen. Ob nun die Wirkungen des Krieges in Rußland selbst eine Katastrophe hcrbeiführen ober nicht — jebenfalls hat man in Rußland zum ersten Mal mit dem Volke rechnen müssen, das sonst nur stumm seine Steuer an Gut und Blut entrichtet hat. Alle oppositionellen Strömungen sind mächtig gestärkt worden; die Kugeln der Japaner haben den Thron des alten Absolutismus selbst getroffen. Die Zu - stände im Innern Rußlands können nicht die alten bleiben. Wenn eine Katastrophe ausbleibt, so werden nach dem Frieden die oppositionellen, die reformistischen und revolutionäre» Strömungen mit verdoppelter Macht einsetzen. Die Leute, die zur Zeit die leitenden politischen Kreise in Rußland bilden, sind mit dem Fluch der Lächerlichkeit und Unfähigkeit beladen. Ihre Generale fliehen geschlagen daher, ihre Flotten sind vernichtet. Das alte System muß daran zu gründe gehen. LW-tl ttiib lie Zollpolitik Her deutscher SijioldemMtie. HL Wenn die Sozialdemokratie als berufene Vertreterin der klassenbewußten Arbeiter mit ihrer Interessen sich also nicht zur Schutzzollpolitik bekennen kann, so braucht sie darum noch nicht Vertreterin de» absoluten Freihandels im Sinne der bürgerlichen Manchester- männer zn sein. Sie ist es auch, wie wir schon be - tonten, nie gewesen. Schippel muß sich erst mühsam einige Lesefrüchte zusammensuchen, nm einen Schein- beweis dafür zu erbringen, daß eine dahingehende Strömung in der Partei vorhanden sei. Nur unter dieser Voraussetzung konnte er seine Fechikunststücke üben. Nur über etwas unter den heutigen konkreten zoll- politischen Verhältniffen N n s t n n i g e 5 konnte er das ganze ihm zur Verfügung stehende, nicht geringe Quantum von Hohn und Spott ergießen, wie geschehen. Die Absicht Schippels war offenbar, mit diesem Hohn die Partei zu treffen, wenn er auch nur die Aeuße - rungen einzelner Personen oder Zeitungen für den Zweck herausgriff. Getroffen wird die Partei freilich nicht davon; die Spottpfeile prallen vielmehr auf den Schützen zurück, weil sie gegen eine Doktrin ge - richtet sind, die die deutsche Sozialdemokratie niemals sich zr eigen gemacht hat. Wir haben schon im vorigen Artikel darauf hingc- wiesen, daß die Sozialdemokratie sich zur bürgerlichen Freihandeisdoktrin schon deshalb nicht uneingejchränkt bekennen konnte, weil für deren manchesterlichc Vertreter als erstes Motiv die Verbillizuna der Produktionskosten durch Herabsetzung der Löhne maßgebend war. Auch zu der von den Manchesterniäuucrn dem absoluten Freihandel beigemessenen Wirkung des „guten Beispiels" kann die Sozialdemokratie sich nieht be - kennen. Die Cobden und Genoffen mögen aus ihrer englischen Beurteilimg der Verhältnisse heraus an diese Wirkung des Freihandels vielleicht wirklich geglaubt haben; vielleicht haben sie diesen Glauben auch nur vorgespiegelt, um die widerstrebenden Kreise in ssmgland, das in seiner damaligen wirtschaftlichen Situation den Freihandel brauchte, demselben geneigter zu machen. Bestand der Glaiwe wirklich, so ist er nur ein weiterer Beweis dafür, daß das Manchestertum von den ökono - mischen Kräften und der Macht der wirtschaftlichen Gegen - sätze in den einzelnen Ländern und den einzelnen Staaten gegen einander recht wenig tiefgehende Einsicht hatte. Dar „gute Beispiel" versagt im Kamp! derJuteressen regelmäßig, lind kaum Irgendwie kommen diese Interessengegensätze scharfer zum Ausdruck als in der HandelS- und Zollpoliuk, tu der jeder Staat für feine Angehörigen herauLzuschlagen Intof, was nur irgend zu erreichen ist Die Macht des „guten Beispiels" muß aber um so mehr versagen, alS mil Friedrich Engels anzuerkennen ist, daß in gewissen EntwicklnngSstadien jede» Landes Schutzzölle Zur Hebung her eigenen BolkSwirischast unentbehrlich sind. Da aber noch heute zahlreiche Länder sich iu dieiem Stadium besinoen, in der Zeit, da England zum Frei - handel überging, deren aber noch mehr waren, so mar das Vertrauen auf die Machtj deS guten Beispiels ent - weder geheuchelt oder Illusion. Die deutsche Sozialdemokratie aber denkt realpolitisch genug, um sich solchen Illusionen nicht hinzugebm. Für sie ist die Frage des Freihandels darum nicht die eines Prinzips, bessert Durchführung in allen Staaten unter allen VerhälNiissen mit allen Mitteln zu erstreben ist; sie hat vielmehr anerkannt, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch Zoll - schranken zulässig sein müssen, Voraussetzungen, die wir schon im vorausgegangenen Artikel skizziert haben. Damit wird die Frage „Schutzzoll oder Freihandel?* für uns zn einer Frage der Zweck - mäßigkeit, die je nach den Umständen der einzelnen Länder verschieden beantwortet werden kann und werden mutz. Soweit die Sozial - demokratie dafür mitentscheidend ist, muß sie als Ver - treterin der Interessen der Arbeiterklasse ihre Antwort davon abhängig machen, daß durch die Art der Ent - scheidung die allgemeinen Interessen der Arbeiterklasse nicht verletzt, sondern gefördert werden. Eine generelle Entscheidung für alle Länder ist nicht möglich, weil die Verhält - nisse dieser Länder so verschieden gestaltet sind, daß in dem einen schweren Schaden aiinchten würde, was im anderen nützlich ist. Wir haben darum bei der Entscheidung für uns von den Verhältnissen in Deutschland auszugehen. Eins bleibt dabei für die Sozialdemokratie trotzdem so - zusagen als Prinzip bestehen, das ist: dem freien Verkehr unter den Völkern möglichst wenig Schranken aufzuerlegen. DaS uns vorschwebende Ideal bleibt der völlig freie 53 er« kehr. Seine Erfüllung wird es unter der kapitalistischen Jnteressenwirtschast nicht finden können, diese Erfüllung wird einer Zeit vorbehalten bleiben, wo die wirtschaft - lichen und politischen LntereffengegensStze der Rationen im wesentlichen auSgelöscht fein werden, wo die sozialistische Gefellschaftsorganisation die Arbeitsteilung nicht nur innerhalb der Völker, sondern auch unter den Nationen vernünitig geregelt haben wird. Der internationale Charakter der sozialistischen Arbeiterbewegung erfordert es also schon, daß die Sozialdemokrat^ wo immer ihr die Ent - scheidung über Die Zollpolitik mit zufällt, nur aus zwingendster Notwendigkeit Zollschranken zugestehen darf, daß sie aber dort, wo bestehender Zoll- schutz sich infolge der höher eiütoicfelten Leistungsfähigkeit der nationalen Volkswirtschaft als überflüssig und ent - behrlich erwiesen hat, für die Wegräumung der Zollschranken einzutreten hat. In diesem Sinn- muß also die Sozlalbemokratie „frei Han d l e r i s ch" sein. Ihr Handeln muß von einer auf möglichst freien Verkehr gerichteten Tendenz getragen fein. DaS ist auch ganz zweifellos hie Meinung der großen Masse der Parteioenoffen und ihrer bervor- ragendften Vertreter in solchem Maße, daß man sehr wohl von einer Parteimein ung sprechen kann. Schippel setzt sich zu dieser Parteimeinung in den schärfsten Gegensatz, wenn er für den Freihandel nur billige Spoltworte hat, aber alle Gründe für den Schutzzoll und zur Rechtfertigung desselben liebevoll zusammensncht, d. h. für Bestrebungen, die auf das Gegenteil des freien Verkehrs hinauslaufen. Wie über - flüssig die Schippelsch- Polemik gegen den Freihandel als „Prinzip" ist, beweist er übrigens selbst. Nachdem er des Langen und Breiten sein Mütchen an dem „grundsätzlichen" Freihandel und den „grundsätzlichen" Freihändlern gefühlt, sagt er am Schluß seines vierten Artikels: „„GrimdfStzliche" Emischeidungen für ober gegen vielen hier also gar nicht die Rolle, die man ihnen zu- niutet." Wozu dann der Eifer gegen die verhaßten Freihändler? Dieser Eifer bat aber trotzdem seine reale Unter - lage, weil die letztzitierte Aeußerung Schippels nur nach einer Richtung richtig ist. Die „gntndsätzliche" Ent - scheidung nach der Fr ci h a n d e 1 s s e i t e ist heute überall in den maßgebenden bürgerlichen Kreisen und in den Gesetzgebungen der Staaten völlig ausgeschlossen. Die schutzzöllnerische und besonders die agrarzöllnerische Strömung hat überall Boden gefaßt; sie regt sich unter EhamberlainS Fuhntng selbst im freihändlerischen Groß - britannien mit bemerkenswerter Stärke. In Rücksicht aus diese schutzwllnerische Strömung sind die bevor - stehenden Entscheidungen in der Zollsrage aber doch ge - wissermaßen „grundsätzliche"; bei allen maß - gebenden VlehrbettSpart'ien herrscht der „Grundsatz" der Zoll erhöh ung vor. Im „Prinzip" haben die Schuhzöllner schon, waS sie wünschen: ein ausgeprägte? Schutzzollsystem; für sie handelt es sich nur noch darum, ihr Prinzip noch schärfer auS- zuprägen. Die Freihändler dagegen haben gegenwärtig absolut keine AuSfichi, ihr Prinzip zur Geltung zu bringen, ja nicht einmal die Aussicht, Zollermäßigungen zu erreichen; ihre TStiglcit im Sinne ihres Prinzips beschränkt sich im wesentlichen darauf, Zollerhöhungen a b z u w e h r e n. Und doch werden auch sie vor eine prinzipielle Entscheidung gestellt, nämlich ob sie gewissen Zollerhöhungen ihre Zustimmung aus anderen Gründen geben sollen, z. B. um überhaupt zu neuen Handelsverträgen zu kommen. Daraus resultiert ja die heikle Situation des Richter-Freisinns. Er ist zwar den Miuimalzöllen für Getreide feindselig gesonnen, aber bereit, sie zu akzeptieren, um die Handelsverträge unter Dach zu bringen. Die Stellung, die Schippel in dieser Frage ein« nimmt, unterscheidet sich gar nicht so sehr viel von der Eugen Richters, obwohl Schippel so zornig über den speziellen Freihandel, wie er von Richter und den Seinen vertreten wird, herfällt, beide im „Prinzip" also Anti - poden sind. Schippel erklärt rund und nett: „Wer Handelsverträge will, muß unter allen Um - ständen auch Zölle wollen — unter besonderen Umständen auch A g r o r z ö l l e." Was Eugen Richter aus Angst vor dem 6.heitern der Handelsverträge zu - gesteht, das vertritt Schippel „ans Prinzip". Der apodiktische Ausspruch Schippels hat für die Belehrung der Sozialdemokratie nur dann einen Sinn, wenn er besag-m soll: Die Sozialdemokratie tritt fürHandelsveriräge ein (sie hat wenigstens für die Eaprivischen Verträge gestimmt); um mit den anderen schutzzöllnerische» Staaten Handelsverträge schließen zu können, muß man wenigstens zum Abhandeln- lasseu Zölle an der Hand haben; somit kann die Sozial - demokratie nicht absolut gegen Zölle, ja unter be - sonderen Umständen (die wir uns noch näher ansehen werden) sogar nicht einmal gegen Agrarzölle sein. Diese Argumentation hat scheinbar etwas Bestechendes. Sie geht aber leider von der falschen Voraussetzung aus, baß die deutsche Sozialdemokratie 6oiibel5ocritige l um jeden Preis wolle. Da? ist der Sozialdemo - kratie niemals eingefallen und wird ihr niemals ein - fallen. Der klarste Beweis dafür ist die Tatsache, daß schon heute der Beschluß so gut wie feststeht, daß unsere Fraktion gegen den neuen Handelsvertrag mit Ruß - land und gegen andere Handelsverträge stimmen wird, in denen ine Minimalzölle für Getreide ausrecht erhalten werden. Die Handelsverträge können für die Sozial - demokratie niemals Selbstzweck fein, sondern nur Mittel zum Zwecke der Sicherung und Er - leichterung des Verkehrs von Land zu Land. Nur weil die Eaprivischen Handelsverträge eine Reihe wichtiger Zoll erleichterungen, so vor allem für Getreide, brachten, hat die soztaldcmokratische Fraktion ihnen zu gestimmt. Sie stimmte damit nicht „grund - sätzlich" für die verbleibenden Zölle, wahrte vielmehr ihr auf Verkehrserleichterung gerichtetes Prinzip, indem sie den gebotenen Erleichterungen zur Annahme verhalf. Schippel verwendet einen nicht kleinen Teil seiner Darlegungen darauf, um aus der Geschichte der englischen Handelspolitik den Nachweis zu führen, daß ein Land, welches sich „grundsätzlich" zum Freihandel befennt, für den Abschluß von Handelsverträgen den anderen Kontra - henten nichts zu bieten hat. Seine Schilderung, wie das großmöchtige, seegewaltige England nach seinem Ueber« gang zum Freihandel den schntzzöllnerischen Strömungen in anderen Staaten total waffenlos gegenüberstand und um die Gewährung nur der Meistbegünstigung förmlich betteln mußte, ist wahrhaft herzerschütternd — für den, der wie Schippel im Schutzzoll das handelspolitische Ideal sieht. Daß Schippel dieses Ideal vertritt, verrät er bei dieser Gelegenheit, vielleicht ganz ungewollt, mit aller Deutlichkeit. Er spricht gegen das Ende feines fünften Artikels von dem Manifest des englischm Premier - ministers Balfour, in welcher dieser Stellung nahm zu den Ehamberlainschen Schutzzollbestrebuiigen, und da ist zu lesen: „DaS Manifest des Premierministers Balfour Über den „insularen Freihandel" bringt hier nur zum Aus - druck , was viele taufende längst klar wußten und abertausende dunkel ahnten: „Junge Länder und alte, reiche Gemeinwesen und arme, Grobstaaten und kleinere Staaten, freie Völker und absolutistisch regierte, alle sind aus den gleichen Gründen dazu getrieben worden, das gleiche ökonomische Ideal (daS protektionistische System) aufzustellen."" Zweifellos rechnet Schippel sich selbst zu den taufenden, die „längst klar wußten", daß bas protek - tionistische System daS ökonomische Ideal ist. Er ist demnach nicht Schutzzöllner auS Not oder au» Zweckmäßigkeitsgründen, sondern ans Prinzip. Der Protektionismus ist sein ökonomisches Ideal; wenn er für die Schutzzölle als Waffe im Kampf um — ge - ring e r e Zölle bei den übrigen Staaten sicht, so dient er damit nur seinem Ideal deS Protektionismus, d. h. der handelspolitischen A b s ch l i e ß u tt g der Nationen gegen einander. Die fraglichen Darlegungen Schippels sollen dazu dienen, die Unmöglichkeit einer generellen Freihandelspolitik nachzuweisen. Unter dieser generellen Freihandelspolitik versteht Schippel aber nicht, was unter dem umsaffenden Ausdruck eigentlich verstandm werden muß: Freihandelspolitik wenn nicht in allen, so doch in den wichtigsten Kulturländern, sondern eine allgemeine Freihandelspolitik in nur einem Lande, hier England. Unter dieser Beschränkung können wir ihm gern zugeben, daß die handelspolitische Situation eines Freihandelslandes, das von lauter hochschutz- zöllnerischen Staaten umgeben ist, unter Umftäirben eine recht schwierige werden kann. Inmitten eines Ringes schutzzöllnerischer Staaten kann sich in der Tat ein einzelner Staat nicht grundsätzlich aller Waffen gegen den zollpolitischen Egoismus seiner Um - gebung begeben; er muß sich, wie wir schon früher dar - legten, wenigstens die Möglichkeit offen halten, bei offen - sichtlicher Schikanierung seines Handels durch das Aus - land eventuell zu denselben Waffen zu greifen, um sich Ruhe zu verschaffen. Ob England heute wirNich in dieser schwierigen Situation ist, wie Schippel ohne weiteres annimmt, und ob daraus die Ehamberlainschen Zoll- pläne resultieren, erscheint uns jedoch noch fraglich. England hat bei seiner Freihandelspolitik ökonomisch noch imitier nicht gar so schlecht abgeschnitten; trotz der Gefahren, die Schippel nicht schwarz genug malen sann, hat Englands Volkswirtschaft seit dem Uebergang zum Freihandel einen großen Aufschwung genommen. So schlechte Rechner waren die Cobden und Genossen nicht, daß sie nicht wußten, waS ihrem Lande frommte, wenn sie sich auch in her Erwartung irrten, daß das englische Beispiel in den Konkurrenzstaaten alsbald Nachahmung finden werde. Immerhin war die allgemeine handelspolitische Strömung in beii folgenden drei Jahrzehnten ans eine A d - s ch w ä ch u n g der Zollschranken gerichtet, so daß die englische Rechnung sich doch nicht als so ganz verfehlt envies. Damals waren auch unsere deutschen Agrarier noch freihändlertjch gesinnt, weil Preußen noch als Ausfuhr staat in Getreide in Frage sann. Erst mit dem Auftreten der überseeischen Konkurrenz trat hierin eine Wandlung ein, die zusammeutraf mit den Nachwehen deS industriellen Krachs der siebziger Jahre, unter denen die wirtschaftlich ebenso wie politisch stets prinzipienlose deutsche Bourgeoisie, von der manche Gruppen 'schon das frühere Schwinden der Schutzzölle tränenden AugeS gesehen hatten, vollständig wieder in das schutzzöllnerische Fahrwasser geriet. DaS deutsche Beispiel der von Bismarck 1879 eingeleiteten neuen Schutzzollpolitik hat dann, abgesehen von England, überall Nachahmung gefunden und die Schutzzollmauern find immer höher emvorgewachsen. Die neue Zolltarifkcuupagne tu Deutschland, die in den noch in den GednrtSwehen liegen - den Handelsverträgen ihren Abschluß finden soll, hat zur nächsten Folge gehabt, daß auch die anderen Staaten ihre zollpolitischen „Waffen" vermehrt haben, und das Endresultat wird eine allgemeine Erhöhung der Zölle sein. Die ganze Handelsvertrags - politik ist durch die jetzt noch schwebende Zollkan.pagne in ihr @ eg ent eil verkehrt worden. Während Handels - verträge früher als Mittel zur Ermäßigung der Zölle galten, ist die jetzige auf den Abschluß neuer Handelsverträge gerichtete Aktion in der offen bekannten Absicht cingelertct worden, eine allgemeine Erhöhung der Zölle herbeiziiführen. Vernunft wird Unsinn! AuS dieser Tatsache würde sich — wenn es nicht sonst schon feüftänbe — ergeben, daß die Sozialdemo - kratie nicht unbedingt für Handelsverträge eintreten kann. Sie wird sich jeden Handelsvertrag erst sehr genau ansehen müssen und unweigerlich jeben Vertrag ablehnen müssen, der statt der Verkehrserleichterung eine Verkehrserschwerung bringt und damit diese Art der „HandelSvertragöpolitik" völlig ad absurdum führt Der Gegensatz, den Schippel in seinen Dar - legungen konstruiert: Handelsverträge ober Freihandel? ist darum auch ein ganz falscher. In der zollpolitischen Praxis der Gegenwart — und mit der haben wir allein zu rechnen — steht die Frage nur so: Erhöhung oder Ermäßigung der Zölle? ja eigentlich noch eingeschränkter: Haben mir die angestrebten Zoll- erhöhungen abzu wehren oder nicht? Selbst wenn zugegeben tverden muß, daß ein einzelner Staat inmitten einer völlig schntzzöllnerischen Umgebung sich nicht von allen zollpolitischen Waffen entblößen sann, wenn er sich bequemen innß, ans die Schutzzollwirsschaft seiner Nachbani Rücksicht zu nehmen, so darf er doch nicht aus der Not eine Tugend machen, wie Schippel cs macht. Aber Schippel selbst dürfte säum die Kühnheit besitzen, zu behaupten, daß Deutschlands bis - herige z o l l p o l i t i s ch e Rüstung nicht Waffen genug geboten habe, um bet Handelsvertragsverhand - lungen ausreichende Zugeständnisse für den deutschen Handel zu erreichen. Um diesen Kernpunkt der Frage ist Schippel wohlweislich vorsichtig herumgegangen. Mit Nein kann er nicht antworten, denn dem roiberstreiten die ganzen Erfahrungen, die mit den Eaprivischen Handelsverträgen gemacht sind; mit Ja darf er nicht antworten, denn bann fällt baS ganze Schippelsche Plaidoyer für Schutz - zölle in seiner praktischen Anwendung auf die deutschen Verhältnisse in sich zusammen. Unsere Zollpolitik ist gegenwärtig völlig beherrscht von der Tendenz auf immer weitere Erhöhung der Zölle. Wer in solchem Moment für die Zölle als Waffen zur Er- ringung von — Erleichterungen im Handels - verkehr eintritt, bet muß wenigstens beweisen, daß die bisherigen Waffen nicht auSreichen, sonst macht ct sich mit seiner Argumentation unsterblich lächerlich. Faßt man die gegenwärtige Situa - tion in Deutschland ins Auge, so muß sogar schon der Versuch, solchen Beweis^ anzutreten, lächerlich erscheinen, denn wenn man Waffen zur Er - reichung einer bestimmten Zweckes fordert, bann muß doch derjenige, der die Waffen führen soll, den Zweck wenigstens wollen. Nach Schippel sollen die Zollwaffen zur Erkämpsung von Zollerleichte - rungen dienen. Glaubt Schippel i el bst ernsthaft, baß die N c i ch s r e g i e t u n g solche Erleichterungen wirk- l i ch will und daß sie zu d e m Zwecke die Zollrüstung zu stärken bemüht war? Schippel hat offenbar die Schwäche seiner Position gegenüber den konkreten deutschen Berhättnisseii selbst gefühlt. Darum konstruiert er sich den „prinzipiellen Freihandel" als Gegner, um feine „Unmöglichkeit" bar« zutun. Daß England den Freihandel länger als ein halbes Jahrhundert ertragen hat, läßt diese „Unmöglich - keit" schon in ganz merkwürdigem Licht erscheinen, zumal England isoliert den konjeauenten Schnitt in feine frühere Handelspolitik vollzog und sich so lange all Freihandelsoase in schutzzöllnerischer Umgebung hielt. Wollte Schippel die „Unmöglichkeit" deS generellen Freihandels wirklich beweisen, bann mußte der Beweis dahin gehen, daß ein wenigstens alle wichtigsten Kulturländer umfassendes System der HauSels- sreiheit unhaltbar fein würbe. Den Beweis ist er schuldig geblieben und wird ihn auch ferner schuldig bleiben. Von der Weltvühne. Das Gespenst der ständischen Vertretung aic Stelle eines aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Reichstages spukt abermals wieder Dal Organ der sächsischen Regierung, das „Dresdener Journal", veröffentlicht, aUerbingS in feinem nichtamtlich n Teile, einen Artikel, iu dem es die lNogdeburger Haiibwerker- iagung sehr eingehend und wohlwollend behandelt und zu folgendem Ergebnisse seiner Betrachtung gelangt; „Mit der Begründung der neuen Mittclstailbsver- einigung ist die Organisierung ber beutfdjen Berufsstände um einen erheblichen Schritt vorwärt» gcfoinmen, und zu diesem Ergebnis sann man die deutschen Handwerker nur beglückwünschen, nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch aus Gründen des allgemeinen StaatS- wohls. Ist es doch nur eine Frage der Zeit, daß die b e r u f S st a n d i s ch e Organisation des deutschen Volkes alich die Grundlage für seine politische Vertretung bilbcu wird." Daß die sächsischen Geheimräte mit den Zünftlern sympathisieren, begreifen wir wohl; hängt doch vciden Meitschenkategorien daS Zöpfchen hinten und haben doch beide, je in ihrer Art, eine Schwärmerei fürs Mittel - alterliche. Aber vom Gedanken zur Tot ist noch ein weiter Weg — namentlich wetut man sich der eigenen Impotenz so wohl bewußt ist. Ueber anittichc Journalistik veröffentlicht einer, bei sie fennen kann, nämlich ein früherer Kreis- blattrcbalteur, in der „Frankfurter Zeitung" bemerkenswerte Angaben. Er schreibt: Lange Jahve hatte ich in einem Westdeutschen Kreisstädtchen das mitunter recht zweifelhafte Ver - gnügen. die Weih« der regierungSfrolnmen Dettkari in vollen Zügen zu genießem Als Redolteur des anitLid)cn Kretsblattes und seines hochgeborenen Ge» fneier», eines Junlers von reinster Agrarsarde, dessen persönliches Können sich nlierdings weit mehr auf dem Gebiete (eurer itartoffelfelber und Jagdgrunde, als auf dem monotonen Amtszimmer des Kreis- Hanses bewährte, harte man mich so nach und nach zu cljnoin willenlosen Werkzeuge l w lid- rätlicher Willkür gepreßt. Bande vom Um - fange eines Kvnversatwnslexilons lönnte ich schrei- ben, wollte rch all jene Welshett hwr aufdecken, die cm System geschaffen, das man „amtliche In - fo r in a 11 o n e n" nennt." W'e man das große Publkum irrezuführen sucht, und was man in diesem Bestreben einem Krcisblatt- reüalrcur alles zumutet, davon einig« Beispiele: Es war die Zeit bet Reichstag» wählen, die Sozialdemokratie hart« einen Erfolg er - rungen, der die reichs- und bibettreueii Thron- uni Altarslützen ans allen Himmeln fallen liefe Während alle Welt betonte, wie trefflich das herrscheirde Re. giernugssystem an dem Erfolge der Roten nritgear« beitet, gingen die „Stützen" vor bet Oeffenilichkeit mit hohler Phrasendrescherei über den Rem fall hin- lveg. Innerlich jedoch irmante es die Herren furcht - bar. Schließlich kam man auf i> Gedanken, daß doch irgend jemand an dem betrübenden Ergebnis Schuld tragen müsse. Endlich hatte man den .Prügelisabcv gejwäeö. Er nannte sich da-