KamvurgerEcho. Das „Hamburger Scho" erscheint täglich, außer Montags. StbonnementSpreis (intl. „Die Neue Welt") beträgt: durch die Post bezogen ohne Bringegeld monatlich A 1,20, vierteljährlich * 3,G0; durch die Kolporteure wöchentlich 80 * frei in? Hau?, Einzelne Nummer 6 4. Sonntngs-Nunnner mit illustrierter Sonntagsbeilage „Die Nene Welt" 104. Verantwortlicher Redakteur: Gnstab Waberski) in Hamburg. Sonnabend, den 29. Oktober 1904. Anzeigen werden die sechsgespaltene Pelitzeile ober deren Raum mit 30 4. für den Slrbeitsmarkt, BermietnngS- und Familienanzeigen mit 20 4 berechnet. Anzeigen Annahme in der Expedition (bis 6 Uhr Abends), in den Filialen (bis 4 Uhr Nachmittags), sowie in sämtlichen Annoncen-Bureaux. Redaktion und Expedition: Ftehlandstrasie 11 in Hamburg 1. Jisidftii: Süd-St. Pauli bei Carl Lementzow, Davidstr. 35. Nord-Lt. Pauli, ^iiusbiittel, Laugcnscldc bei Carl Dreyer, Margarethenftr. 48, ZimSbüttel. Hoheluft, (s-ppciidorf, ttZroh-Borstel und Winterhude bei Crilst Großkopf, Lehnimeg 51, Eppendorf. Barmbcck, Uhlenhorst bei Theodor Petereit, Vachstr. 12, Barmbeck. Lt. Georg, Hohenfelde, Bvrgscldc, Halnm, Horn und Lchiffbcck bei Carl Ortel, Vaustr. 26, Vorqfelde. Hammerbrook, Roteuburgsort, Billwärder und Veddel bei Rud. Fuhrmann, Schwabenstr. 33, Hammerbrook. Eilbcck, WaudSbelt und Hinschcufelde bei Franz Krüger, Sternstr. 36, Wandsbeck. Altona bei Friedrich Ludwig, Vürgerstr. l 18, Altona. Ottensen, Bahrcnscld bei Johannes Heine, Bahrenseldcrstr. 140, Ottensen. Hierzu eine Beilage. Das „liberale" System in Rußland. Der mörderische Angriff russischer Kriegsschiffe auf eine harmlose Fischcrflolte, der sich nur ans Betrunkeilheit oder hochgradiger Nervosität der russi - schen Offiziere erklären läßt, lenkt den Blick wieder auf die inneren Zustände des Zarenreichs. Bei keinem anderen Staate Europas sind die Vorbe- diugungen vorhanden, die zu einem solchen Zwischen - fall führen können. Aber in der russischen „Gesell - schaft" ist längst die Scham zu de» Hunden geflohen. Die Siege der Japaner haben die innersten Schäden bloßgelcgt und die bisher herrschenden Schichten fühlen, daß sie auf einem Vulkan tanzen. Da heißt es: Stach uns die Sintflut ! Man betäubt sich in geräuschvollen Orgien und da ist es auch kein Wunder, wenn russische Offiziere nach dem üblichen Abschiedsgelage in ihrem „Trau" überall das Gespenst japanischer Kriegsschiffe auflauchen sehen. Mit der in Aussicht gestellten „Besserimg" der inuerpolitischeii und administrativen Zustände in Ruß - land scheint es also nichts zu sein. Nach dem Tode des scheußlichen Plehtve wurde bekanntlich der als „liberal" geltende Fürst Slvjatopolk-Mirski an die Spitze der russischen Regierung berufen. Man traute diesem Manne sogar konstitutionelle Gesinnungen zu. Es mag sein, daß er wirklich liberal denkt. Ein liberaler Minister, das will in Rußland viel heißen. Indessen Ivird ihm kein günstiges Prognostikon ge- stellt — auch da jetzt nicht mehr, wo man ihm früher ziigejubelt hat. Der neue Staatsmann hat einige beachtenswerte Versuche zur Besserung gemacht. Plehtve hatte als Chef des russischen Polizcistaats eine unbeschränkte und unverantwortliche Macht in seinen Händen; Fürst Swjatopolk-Rlirski hat die Polizei einem „Gehülfen" unterstellt, der ihm ver - antwortlich ist. Das ist jedenfalls gegenüber dem bisherigen Zustande eine Reform, die für Rußland etwas bedeuten kann, so lauge ein „liberaler" Ministerpräsident vorhanden ist. Der Sitz des Uebels ist freilich nicht bei der Polizei allein zu suchen. Die russischen General- gouverneure und Gouverneure haben eine Macht - stellung, wie sie nur in einem absolutistisch regierten Reiche möglich ist; in diesen fetten Aemtern sitzen die Spitzen jener militärischen Bureaukratie, die Rußland eigentlich regiert. Wenn der neue Staats - mann (Wir die Dauer auch nur einen Hanch einer liberalen Politik beibehalten will, so muß er diese Tyrannen von Generalgouverneuren und Gouverneuren zuin Teufel jagen. Und das wird schwer sein. Aber nicht allein um die Spitzen der Bureaukratie ivird es sich handeln. Unter dem Regime Plehtve sind die Verwaltungsposten mit einer Reihe von Leuten besetzt worden, die ebenso gemeine Subjekte sind, wie Plehtve selber war. Auch dies Gesindel muß fortgejagt werden, wenn es in Rußland besser werden soll. Ob das aber möglich ist, muß mau erst ab - warten, denn es gibt mächtige Gegenstlöiuungen gegen die jetzige Regierung und diese haben besannt« lich die Ernennung des gegenwärtigen leitenden Staatsmannes längere Zeit zn hintertreiben gewußt. So lange die Verwaltung nicht mit eisernem Besen ausgefegt wird, werden wir es eben beim allen bleiben sehen, trotz der schönen Redensarten, die in der liberalen russischen Presse zum besten gegeben worden sind. Auch in bezug auf das Unterrichts- wesen sind die anfänglich gehegten Hoffnungen ge - schwunden. Das Polizeikosakeureginient hat natürlich die wissenschaftlichen Bestrebniigen verkümmert. Daß es in Rußland „Preßfreiheit" geben werde, von der einige Illusionäre sprachen, hat wohl unter den gegenwärtigen Zuständen kein verniinfliger Mensch wirklich erhofft; in der Tat ist keine Neuerung ein- getreten und die „Preßverwaltung" amtiert wie ■■EQHGHHBSBiiMEXHMnaEfiMIKHaabMMBSnsmHMKEBaaiM zuvor. Der Gnadenerlaß des Zaren hat allen Optimismus vollends niedergeschlagen, beim er tarn wesentlich den Spitzbuben zu gute, die während des chinesischen ober japanischen Krieges wegen Untcr- schlcifs ober Betrugs verurteilt oder in Untersuchung gezogen waren. Sie sind vielfach begnadigt oder außer Verfolgung gesetzt worden, während die aus politischen Gründen administrativ nach Sibirien Ver - bannten nach wie vor in dem großen Totetihause schmachten. Daß mit diesem schwächlichen „liberalen" System wenig ober nichts gewonnen ist, liegt auf der Hand. Die Korruption in der Verwaltung bleibt und da - mit ein Hanptquell des Uebels. Bestehen bleibt auch die politische Sklaverei und wer „konspiriert", d. h. politische Agitation unternimmt, wird nach wie vor rechtlos und stets von der Verschickung nach Sibirien bedroht sein. Die Arbeiter, die den Klasseukampf gegen den Kapitalismus führen wollen, müssen „kon - spirieren", denn es gibt kein Vereins- und Versamm- luiigsrecht und ihre Preßorgane müssen in geheimen Druckereien hcrgcstellt tverden. Die russische Arbeiter- beivegimg wird in diesem Winter um so mehr von sich verspüren lassen, als die Berichte über den inter - nationalen Arbeitsmarkt nicht günstig lauten. In den meisten Jndustriebezirken Europas macht sich Arbeilsmangel fühlbar. In Rußland kommen dazu noch die unheilvollen Einwirkungen des Krieges, der den Notstand unter den unaufhörlich revoltierenden Bauern noch gesteigert hat. So hat das „liberale" System schon abgewirt - schaftet, ehe es noch zur Geltung gekommen ist. Viel kräftiger als die papierenen ober geträumten und gleich Seifenblasen zerplatzten „Reformen" des liberalen Systems wirken die Siege der Japaner auch auf die iniierpolitischen Strömungen Rußlands ein. Aber auch wenn jetzt ein Stillstand erfolgen und sich die Situation auf dem Kriegsschauplatz ungünstiger für die Japaner gestalten sollte, so wird darum die auf die Beseitigung des alten Despotis - mus gerichtete Strömung nicht stille stehen. Wer jetzt schon den Ausbruch einer Revolution in Ruß - land erwartet hat, mußte sich getäuscht sehen. Aber darum können die Wirknngen der ungeheuren Er - eignisse dieses Jahres nicht ausbleiben. Der alte Despotismus rind Absolutismus isst blamiert, ge- beiiiiitigt, in seiner Blöße gezeigt, in seiner inneren Schwäche dem Spotte preisgegeben. Die gegen ihn gerichteten Strömungen sind ungeheuer verstärkt worden. Das wird er schon noch verspüren. Es geht den herrschenden Klassen in Rußland wie es gehen muß; sie können sich von der Korruption, die den Staat zerfrißt, nicht frei machen, auch wenn sie den Willen dazu hätten. Der Liberalismus kann den alten Augiasstall des russischen Despotismus nicht säubern. Das sann nur das russische Volk tun. Und die Zeit ivird auch kommen, ivo dies geschieht. Unsere leitenden politischen Kreise werden auch durch den gegen wehrlose Fischer gerichteten völker - rechtswidrigen Ueberfall seitens der russischen Ostsee - flotte nicht von ihren Sympathien für das „offizielle Rußland" bekehrt werden. So lange das Junkertum bei uns seine Dlachtstellung besitzt, wird es die deutsche Politik immer dahin beeinflussen, daß sie sich der russischen gewissermaßen anschuiiegt und den russischen Uebermnt schalten und walten läßt. Der Geist der „heiligen Allianz" geht da noch immer um. Wenn auch die Schwäche des russischen Kolosses sich so evident geoffenbart hat — unsere Junker sehen in demselben immer noch einen Hort der Reaktion und ihr Bedürfnis, sich an diesen Hort anznlehnen, wird immer dringender, je mehr die demokratischen Staaten des Westens sich znsammenschließen und gemeinsame Ziele verfolgen. Das deutsche Volk, soweit es eine politische Erziehung hinter sich hat, wird mit dem russischen Volke und mit seinem Kampfe gegen den Despotismus sympathisieren, aber nicht mit dem Gespenst der heiligen Allianz. Diese von einer pietistischen Närrin, der Fran von Krüdener, angeregte reaktionäre Verschwörung gegen die Freiheit und Selbständigkeit der Völker winde 1848 von der Revolution zerrissen. Die Völker werden sich nicht an den üerfaiilten russischen Koloß onkoppeln lassen; die Junker mögen das tun, wenn sie es nicht lassen können. Das hält den Lauf der Weltgeschichte ganz gewiß nicht ans und dieser geht dahin, daß der ein - gefrorene alte Despotismus vor dem Hauche der Neuzeit weichen niuß. Von der Weltbnhne. Zur Diätenfrage. Die Zentrums-ParlamentS- korrespondenz brachte vor wenigen Tagen eine Aus- lassnng, ivelche sich mit der Ucberarbcitung des Abg. Dr. Bachem befaßte, die unhaltbaren parlamentarifchen Verhältniffe schilderte und zu ihrer Remedur die Ein - führung von Diäten forderte. Darüber regte die frei» konservative „Post" sich sehr auf. Sie meinte, das Zentrum denke wohl daran, „die Diäten als Belohnung für ein Entgegenkommen in Heeres- nnd Flottenfragen nach Hause zu bringen". Gegen diese „Unterstellung" wehrt sich natürlich luieber Die Zentrums-ParlameMs- korrespondenz. Sie schreibt: „Damit soll offenbar die Negierung abgeschreckt werden: nur keine Diäten; sonst konnte der häßliche Verdacht entstehen, daß dafür die Zustimmung des Zentrums zu Wchrvorlagen erkauft worden fei ober er - kauft werden solle, imd vor einem solchen Verdachte muß die Regieruiig sich doch hüten. Es ist ganz überflüssig, daß die „Post" das Zentrum belehren zu müflen glaubt Das Zentrum ist nie in den Irrtum verfallen, daß für Militär- oder Marinevorlagen Diäten einzulauschen seien. Die zärtliche „Post" braucht sich keine Kops - schmerzen zu machen, daß es „sich selbst in ein altßer- ordentlich ungünstiges Licht stellen würde". Im gründe genommen, sind solche freundliche Winke doch nur eine Wiederholung des alten Vorwurfes, bas Zentrum treibe „Kithhaitbel". Auch ist es sehr ftaglich, ob gerade die nächste Militärvorlage sich zu einem solchen Geschäfte eignen würde." Abgesehen davon, wird die Zentrumspreffe doch nicht über die Tatsache hinwegtäiischcn können, daß das Zentrum sich auf den parlamentarischen Kuh - handel immer sehr gut verstanden hat. Zentrum nnd Militärvorlagen. Allerlei un - kontrollierbare Gerüchte über den Inhalt der zu er- wartenden neuen Militärvorlage wurden dieser Tage oerbrcUet Unter anderem wurde berichtet, daß eine Erhöhung der Präsenzstärke um 20 000 Mann gefordert werden würde. Da sich eine solche Meh - forberung nicht mit der Erklärung des Kriegsministeis v. Ein e in in der vorigen Reichstagssession in Einklang bringen ließe, wonach die neue Vorlage keine nennens - werten Mehrforderuiigen enthalten sollte, ist in der Z e n t r » m s p r e s s e darauf hingewiesen worden, „daß die Forderung von 20 000 Mann keine Anssicht auf Annahme haben würde, um so weniger, als Abg. Fritzen im Reichstag bereits in der vorigen Reichstagsfession keinen Zweifel darüber gelassen habe, daß das Zentrum für weitgehende Forderungen — und als eine solche mnß die Forberinig von 20 000 Mann anfgefaßtwerden — nicht zu haben fein werde" Wir haben demgegenüber bemerkt, daß nach den mit dem Zentrum gemachten Erfahrungen auf solche oppo - sitionelle Versicherungen der ulframontanen Presse nichts zu geben fei. Jetzt nun wird die Ze n tr umsfraklion des Reichstages offiziös geradezu verhöhnt ob ihres Verhaltens in Militär- und Marine- fragen und die Zertrumspresse wird verspottet ob der völligen BedentlnigSlosigkeit ihrer Stellungnahme zu diesen Forderungen. Die „Berliner Pol. Nachr." schreiben diesbezüglich: „Seit über kehn Jahren wiederholt sich doch stets folgender Wechsel in dem Verhalten des Zentrums z n Heeres- und Flottenfragen: Vor der p a r l a m e n t a r i s ch e ii K a m p a g n e und bis zur ersten Verhandlung von Militär- ober Mariiie- vorlagen spricht sich die Zentrumsprefie regelmäßig scharf gegen jede Steigerung der Leistungei, für Heeres- und Flotten,wecke ans, und diese ablehnenden Aeußerungen nehmen in den mehr demo - kratisch gefärbten Preßorganen des Zentrums regelmäßig einen scharfen, ja leibenschafilicheii Charakter an. B e i der ersten Lesung hält sich nach der bewährten Windthorstschen Taktik die Zeiitrumspartei z>var alle Möglichkeiten sorgfältig offen, aber eS werden zunächst vornehmlich die ZmeifelSgründe gegen die RegiernngS- vorlage betont. Im Verlauf der kommissari - schen Verhandlungen gelangt dann ebenso regel - mäßig daS Zentrum zur A n u a h m c der Regierungs ¬ vorlagen für Heeres- und Jlottenzwecke in der Haupt - sache. Etwas wird dabei ja fast immer abgeändert, und auch in der Form die Vorlage so nmaestaltet, daß sie unverkennbar den Stempel des Z e n t r u m S trägt, aber im wesentlichen gelangt sie doch mit Zustim - mung des Zentrums schließlich zur Annahme. Angesichts dieses regelmäßigen Verlaufs der Zentrumsaktion gegen - über den Militär- und Marineforderungeii, von der bisher auch n i ch t e i n e A n s n a h m e zu verzeichnen war, erscheint es ziemlich müßig, die abfälligen Aeuße - rungen der ZentrumSpresse jetzt, wo noch Wochen bis zum Zusammentritt des Reichstages vergehen, sorgfältig zu registrieren. S i e beweisen vorläufig eben doch nur, daß auch diesmal iv jeder nach dem bewährten Rezepte der letzten zehn Jahre gearbeitet z u werden schein t." Tas ist einmal ein wahrheitsgetreuer Bild im osfiziösen Spiegel: ein elendes Komödienspiel hat das Zentrum bei alten Heeres- und Marinevor - lagen getrieben, woraus wir schon oftmals hingewiesen haben. Die Zentrumspreffe ist ja nun selbstverständlich genötigt, zu der osfiziösen Notiz Stellung zu nehmen. So schreibt die „Köln Volks-Ztg.": „Die „Berl. Polit. Nachr." werden sehr häufig offiziös bedient; im vor - liegenden Falle glauben toir_aber doch nicht, daß man es mit einer Wiedergabe der Stimmung aus maßgebenden Kreisen zu tun hat, denn diese Auslassung setzt in taktischer Beziehung geradezu eine politische Bor - niertheit voraus. Glaubt der Versaffer etwa, das Zentrum für weitgehende Forderungen gewinnen zu können, indem er feiner spottet und ihm den Vorwurf macht, daß es politisch unselbständig, schwächlich und haltlos sei?" Diese Frage läßt mit Sicherheit darauf schließen, daß das Zentrumsblatt doch überzeugt ist von dem offiziösen Charakter der Notiz. ES verübt dann noch folgenden Schwindel: „Das Zentrum hat sich niemals, wie eS in dem er - wähnten Artikel heißt, gegenüber einer Forderung für Heer und Marine a limine ablehnend verhalten, so lange man von dein Inhalte der Forderuiig noch nicht unter - richtet war. Im Gegenteil hat die Zeiitrumspresse stets betont — und daS ist auch in jüngster Zeit wieder der Fall gewesen —, daß man zu den Neuforderungen erst bann Stellung nehmen könne, wenn man authentisch über sie unterrichtet sei, und daß das Maß des zu Be - willigenden bedingt sei durch den Nachweis, den die Regierung hinsichtlich der Notwendigkeit des Geforderten erbringe. Derartige Nachweise werben aber meist nur in der Kommission in vertraulichen Mitteilungen erbracht, und wenn das Zentrum durch solche Nachweise sich in seinem Verhalten bat beeinflussen lassen, so hat es damit eine patriotische Pflicht erfüllt, so daß der Spott der „Berl. Pol. Nachr." ganz und gar nicht angebracht jft." Mehr ar. offenkundiger Verleugnung der offen- kuitdtgcn Wahiheü lunn mau wirklich nicht verlangen. Itnfcr Erbfieund. Zn der answSrN'gen Wochen- rnndschau der.Kreuzzeitung" schreibt Profeffor Schie - mann : „Als ein höchst erfreuliches Ereignis notiern: wir die Tatsache, daß der russische Militärbevollulächligte Oberst Schebeko der Person Kaiser Wilhelms und dem - entsprechend unser Militärbevollmächiigter Major Graf Lamsdorfi der Person Kaiser Nikolaus II. attackiert worden ist. Die freundliche Neutralität, die Deutschland unter Aufrechterhaltung aller durch das Völkerrecht ge - setzten Schranken während beS Krieges im fernen Osten behauptet hat, findet damit einen natürlichen Ausdruck, der wohl zeigt, daß die seit den Tagen Alexanders III. ausgekommene Spannung endgültig beseitigt ist. Auch die öffentliche Meinung Rußlands bat die Tatsache mit Befriedigung ausgenommen, wie sich denn nicht verkennen läßt, daß in dieser Hinsicht ein Um - schwung eingetreten ist." Es giebt noch andere Symptome der in vollstem Maße wiedererwabten Russeufreundlichkeit unserer maß - gebenden Kreise. Man denke au den Königsberger Prozeß! Bei dem „ffenndschastlichen Eiüvernehmeu" zwischen der Reaktion in Berlin und in Petersburg ist für das deutsche Volk noch nie etwas Gutes heraus - gekommen. Unser „Gibfreutib" war immer noch unser Erbunheil. DaS „gebrochene KvnigShrrz". Der GeisteS- zustaiib der „monarchisch gesinnten" Kreise in Sachsen wird immer bedenklicher. Jetzt hat im Dresdener konservativen Verein ein Freiherr und Landrichter namens O' B y r n bei einer Gedächtnisfeier für den verstorbenen König folgendes geleistet: „Die Regierung des babingeftorbenen Königs konnte nur eine traurige Episode der vaterländischen Geschichte werden, traurig durch die namenlose it L e i d e n deS edlen Kranken; traurig durch das lügnerische und zersetzende Treiben einer gewissenlosen Presfe; traurig durch die Frechheit, mit der die unsaubersten und un - lautersten Elemente ungestraft ihre Stimme erheben durften . . . Wenn aber der königliche Dulder schließlich an gebrochenem Herzen gestorben ist, so tragen die Schuld nicht nur die Hetzer und Wühler, sondern auch die, von denen der König er - warten durste, daß sic offen seine Partei ergreifen und ihn gegen die ungerechten Angriffe verteidigen würden. Wo waren denn die Männer, die sich sonst gern mit ihrer Königstreue brüsten? Wo waren die Männer, die durch Stellung oder Geburt in erster Linie dazu berufen waren, dem Throne und dem König ihre ganze Kraft zu leihen? Warum haben sie geschwiegen? Hatten sie des Heimgegangenen Königs (Eigenart nicht verstanden? Oder beherrschte sie der tvichtigste aller Menschenfehler, die Menschenfurcht?" Das ist nun wieder ganz was SteneS, daß der König am „gebrochenen Herzen" gestorben ist Aus den amt - lichen Mitteilungen, die über des Königs Krankheit verbreitet wurden, hat man lediglich entnehmen können, daß die gewöhnlichen Alterserscheiiinngen, das allmähliche Versagen verschiedener Organe, kurz die Altersschwache den durchaus iiatürlichen Tod herbeigeführt hat. Herr O'Byrn läßt ihn quasi n m g e b r a ch t werden ditrch „Hetzer" und „W ü h l e r", und durch sonst ..monarchisch gesinnte" Leute — die haben dem Könige „das Herz gcbrochen". Der Herr Land - richter stellt also geiviffeti „Stützen des Thrones" ein gar schlimmes Zeugnis aus. Die „Hetzer" und „Wühler" aber brauchen sich den Vorwurf nicht zu Herzen zu nehmen. Sie haben nicht den Berus, Fürsten zu ver - teidigen oder zu trösten Sie haben auch nicht vergessen, daß der verstorbene König aktiv an der Wahl- entrechtung des sächsischen Volkes iei(genommen hat. Zur sächsischen Amtiestlc schreibt unser Dresdener Parteiblatt: „Von der Amnestie sind alle die wegen der Bautzener OffizierSasfäre verur - teilten ZeituitgSredakleure ausge - schlossen worden. Das hat man durch einen knifflich formulierten Satz über die Beleidigung von Ossizieren erreicht, die nur dann von der Amnestie betroffen werden sollen, weint sie in bezug auf den Beruf eines Mitgliedes der bewaffneten Macht geäußert worden sind. ES ge - winnt den Aiischein, als hätte man diese Stelle der Amnestie deshalb so abgefaßt, um die Bestrafungen wegen der Bautzener Affäre von dem Stiaferlaß anS- znschließen. Die Redakteure des „Beobachters" und der „Rimdschau", die gegenwärtig in Bautzen Betrachtungen über die sächsische Preßfreiheit anstellen uub dazu noch etwa vier Monate Muße haben, müffen weiter brummen. Diese Beschränkung der Amnestie verrät, daß bei deren Abfassung im Jusliznünisterium derselbe Geist geherrscht hat, der die sächsische Politik auch sollst anSzeichnet. Im übrigen ist auch die Tatsache charakterlstisch, daß man die wegen Streikvergehen bestraften Arbeiter von der A m n e st i e ausgeschlossen hat. DaS letzte Opfer des Löbtau er Pro - zesses scheint man ebenfalls nicht berücksichtigt zu haben." Der schlimmste Feind. Was ist der schlim - mere ober der schlimmste „innere F e i n d" ? Diese Frage hat von maßgebenden und uniiiaßgeblichen Stellen au8 im Laufe der letzten vier Jahrzehiite eine sehr divergierende Beanlwortuiig erfahren. Fiirst Bis - marck erklärte einmal die „Fortschrittler" für „viel gefährlicher als die Sozialdemo - kratie". Von liberaler Seite ist oft dar Junkertum als der schlimmste Feind bezeichnet worden, während »iiigekehrt der Konservatismus den Liberalismus beschuldigte, der „Inbegriff alles ll it h e i l s" in Staat und Gesellschaft, der „Vater der Sozialdemokratie und des Anarchismus" und deshalb die „eigentliche politische und soziale Grund- gefahr" zu fein. Es gab eine Zeit, die des „Shiltur* kampscs", da tat die Regierung uub ihr politische- Mamelukentum de» U 11 r a m o n t a u i 8 ni u 6 als den .schlimmsten inneren Fein d", der „llneudlich viel gefährlicher al8 die Sozialdemokratie", in Acht und Bann. Längst hat in den maßgebenden Krisen die e n 1- gegen gesetzte Ansicht Platz gegriffen und daS Zentrum darf sich rühmen, als regierende Partei eine Stütze der Ordnntigspolitik gegen den „schlimmsten Feind", die Sozialdemokratie, zu sein. Dieser Tage nun sprach in Worms Graf Hoensbroech in einer Versammlung des Evangelischen Bulides vor etwa 1300 Personen über „religiöses und politisches Papst- tllln". Der Redner empfahl als Abwehrmittel gegen den Ultramontanismns die Einigkeit aller Gegner und betonte besonders, daß die in der Sozialdem o- kratie vertretene Arbeiterbewegung eine Kultur- bewegung und darum nicht als großes Gespenst zu fürchten sei. Weit schlimmer sei bet Ultra- rnontaitim u s. Die volle uub iniverzerrle Wahrheit ist: die Sozial- [1] (Nachdruck verboten.» Markt. Eine Fischergeschichte von Fritz Stavenhagen. Das toeiie SckMfmeer, das vc»m Deich bis nahe «u die Fahrrinne des Strome» reichte, hatte wleider mal Manneshoh« erreicht. Die Halme blitzten in bar Sonne und ein hermlickies Flüstern schwebte mit dem lelichtcn Wurde über bam Wasser. Der kleine Hafen lag geidrängt voller Fffchcr- fahrzLirge, Kutter, Ewer und Jollen. Die weit-- mafriiigen Netze waren zwischen den Masten und sktanten znan Trocknen aiifgehißt und niemand schien sich an Borld zu befinden: denn cs war Markt in begn Fischerdorf. Die langgezogenen Orgeltöne von den .Karnsfels nab die schrille Blechmusik eines Hnndetheater» scholl herüiber; aber die curfspriheirden Wellen verschlan - gen diese Stimnien, uenb weiterhin auf der kleinen Insel war es still. Die Insel bildet« einen einzigen Werftplatz mit frier Helgen. Auf zweien lagen schwerfällige Ewer, und auf dein einen ein schlanker Fifcherkntter. AVer kein rastloses Hämmern und Hobeln war hörbar, feine tönenden Ambohschläge drangen aus der Schmiede hervor. Alles wie auSgestorben. Nur der bald stärker, bald schwächer wehend« Oftwind spielte am Boden und auf den schtviinkenden Gerüsten um die Fahr- geuge mit zusammengerollten Spänen, die gleich kleinen Xougctu vor ihm herrollten. Um diese Einrede des niedrigsten Wafferstandes feg eitern nur wenige Schiffe auf dem breiten. 'Pie- geladen lklbstrom weil draußen. ?lus dem kleinen Hafen — non den Schiffern kurzweg „Loch" gc- uannt war das Wasser meist heraus. Eine Menge graufa„djgee J„feln und Jnfelciien lagen frei, öte das schmutzige Gruudwasjcr umspülte, alS sie ui sich hinabziehen. ...... . . n * en to* 1 * leeren Helgen, im Schatten SXs S ( “? r .”“•«««« hinansragenden Weide tawb Plötzlich eine scheltende Mädchen stimme laut: „Nee, nee, Hinnick — lat tni fiffveeben — Du. . . .1" Darm schaukelte eine Jolle unter den Über - hänge »den Ztvoigen hervor. Das Wasser spritzte auf: ein kräftiges, hellhaariges Mädchen plätsck>erte mit beut schwereicheneu Meinen am Gatt des kleinen Bootes, sie versuclste eifrigst zu toriggen, brachte es aber nicht fertig. Ihren Zweck hatte sie dennoch erreicht: aus dem dunklen Blätterversteck ins Sonnenlicht zu kommen. Sie zog den Riemen ein, warf ihn polternd über die Sitze nnd ließ sich baiut selbst trotzig nieder. , »Du büst tau nnnasch hüt. Watt mag Di blot in ’e Kron trocken fien? — Wär ick bloß nich mit Di rumfohrtl" »Ah Watt, unnaschl" warf der junge F i sicher- A'wcht dagegen ein: „Dat feggt ji Friigenslüt jüin- nterS, un nächsten fönt ji nich ’naug kriegen." Er saß auf der vordersten Ducht, spielte mit den Händen in der kühlen Flut und such lauernd zu ihr biniilber. „Do Du man recht as son'n Ziei-popp; hast be Welt ok wich gliks kennt, aS karn'n büst." Sic hörte nickst auf ihn und sckstvieg. Die fitxrute luie abwesend nach .den, breiten Stram hinüber, wo mit lautem Getut ein Fisck>dampfet aufkam. Eine schtvüle lltzolke lag zwischen ihnen, feiner wagte sie zu diirckstireckten. Die melamcholifck-en Tone der großen itoruffelorgcl klangen wieder deut - lich herüber: „DaS Mee—e—«r erglä—nzte weit hinaus Im letzten A—abendsckienre — —* Hivuick sah sich unruhig um: er suchte nach einer Ablenkung. Da, wie er nach vorn sah, veränderte ein breites Lächeln sein braunes Gesicht: er bemerkte, daß eben Fink eiiigctivkii war und das Boot langsam dem weiten itub hohen Schilfmeer entgegentuieb Da packle ihn der Mutwille, schnell sprang er auf und tat mit dem Riemen ein paar kräftige Stoße auf den Grund. Schurrend und fnirfrlienb schoß da? Boot in das auSeinc Baud'. — Un blot, Wil ick fein’n rickstigen Buder heww. — Wat samt ick denn dafür, bat mien Stoestern ehr Bader all twei Johr verdrunken miet, as ick karn'n bün? — Aber barünncr möt ick nu jünnncr» lieben — ick dörs ««ich to Mark — ick dörf nich up'n Danzböhn — nri dürft se all slahn un triezen so vcel as s' wühlt ... un Du — Du dcist bat nu ok . . Sie weinte still vor sich hin. „Ah, Watt ofl Lat bat Plinsen man nah. Jerst wußt Du nich, «tu will ick nicht" Er stieß zugleich kräftig auf den Grund und brachte endlich den Kahn *) Tietd, lang gesprochen: Tiede; zum Unter« 'chkied von: Tiet, kurz: Zeit. **) nach buten: nach draußen, in die Nordsee zum Fischeir. los; schaufelnd trieb dieser dem Strom ein Stück - chen entgegen. „Du säst aber nich so mit mi fien, Hinnickl" Sie erhob sich entschloffen unt> ging zu ihm. „Du säst irich so mit mi ficnl — As ick hürt heww. Du barst ok fein’n Bader inti) fein Mwdder, dnnn har ick Di feiln, dünn toter im't, as härten toi toiam. Un ick will Di ja ok jünuner Icito hebb'n, Hinnick. — Kiek male in 8, all de aniiern hebbt ehr Oellern, too f to seggen fön': Brider, ick) rnuch man in ’e Stolt gähn, un he sofft ein' neies Tüg; ober Mudder; ick heww Lieivwehdag, un »e gatub Mubdor packt ein' int Bett und loggt ein' Herten Tellern upt Liew. — Wie beiden kön n bat nümS seggen, denn mien Mudder steilst mi alle Weihdag mit 'n Knüvpel nt. Süh, wi beiden härt tuqani'n, wi nuten uns eirtanner biesiahn." Hinnick hatte den Stiemen in die öiaffel atm ©att ber Jolle gelegt uub wriggte mit großer Kraft- anstrengung, beim der Strom Minde mit jeder Minute starker. Nur langsam kam aas Boot dem Lande näher, „Dat is ja nu all egal. Ick fett Di bie ’t Stack as, beim geihst Du nah Hus un sanderst bt ©toten." „Aber ick kam naher ivoder; nich? Du llliwwst doch an Burb? — Hinnick, ick saut ganz gewiß toebetv wenn t schummern ward. — Sali ick bat?" Sie fragte ihn weich und heimlich, mit der bangen Hoffnung auf ein einziges gutes Wort zum Sckstnh. Er suhlte ihre hciße Hand in seinem Nacken, kounte sich wohl denken, warum ihre Finger so schmeichlerisch in seinem Nackenhaar spielten — aber er stoang sich zur Kälte. „Mi.'ntwegen. — Ick will nahher mal ttp ’a Salou fiesen." „Noel" Sie schrie es und ihre Hand packte fest zu „Nee, Hinnick, gah nich dorhen; Hinnick . . . ober 'bo, Witt Du Willi I" Sie harte sich besg»nx^ ait8 ihrem Blick sprach eine brbe Entschlossenheit. Sckstver ließ sie sich auf den Sitz nieberfallen und sah mit zornig ziffwmmengezogenen Brauen übet das hundertfältig aufblitzende Waffer. (gortseiung folgt)