Hamburger Echo. Das »Hamburger Scho" erschein! täglich, außer Montag?. Ilbonnkmentspreis (inst. „Die Nene Welt") beträgt: durch die Poft bezogen ohne Bringegeld monatlich * 1,20, vierteljährlich A 3,60; durch die Kolporteure wöchentlich 30 * frei ins tzaur. Einzelne Nummer 5 ch. Sonnlags-Nummer mit illustrierter Sonntagsbeilage „Die Neue Welt" 10*. Verantwortlicher Redakteur: Gustav WaberSky in Hamburg. Sonntag, den 1i). September 1905. Anzeigen werden die sechsgespaltene Petit, eile oder deren Raum mit 80 *. für den ArbeitSmarkt, Vermietung?, und Alamilienanzeigen mit 20 * berechnet. Anzeigen-Annahme in der Expedition (bi» 6 llhr Abends), in den Filialen (bi» 4 llhr Nachmittag»), sowie in sämtlichen Annoncen-Bureauj. Redaktion und Expedition: ffchlandstrafte 11 in Hamburg 1. MM Liid-St. Panli bei Carl Lemeutzow, Davidstr. 35. Nord-St. Pa«li, Eimsbüttel, Langeuscldc bei Carl Dreyer, Margaretheustr. 72, Limsbüttel. Hoheluft, Eppendorf, Eroh-Borstel niid Winterhude bei Ernst Großkopf, Lehinweg 51, Eppendorf. Barmbeck, Uhlenhorst bei Theodor Petereit, Vachstr. 12, Bar in b e ck. Lt. Georg, Hohenfelde, Bvrgfelde, Hamm, Horn und Lchisfbeck bei Carl Ortel, Banstr. 26, Borgfelde. Hammerbrook, Rotcnburgsort, Billwärder und Veddel bei Nud. Fuhrmann, Schwabenstr. 33, Hammerbrook. Eilbcck, Waudsbeck und Hinscheufelde bei Franz Krüger, Sternstr. 36, Waudsbeck. Altoua beiFriedrich Ludwig, Bürgerstr. 118, Altona. Ottensen, Bahrcnfcld bei Johannes Heine, Bahrenselderstc. 140, Ottensen. zu handeln bereit sei. Sehr empört über die Drohung mit dem Abzug zur Sozialdemokratie ist die „Dcutsthe Tageszeitung". Als ob diese Drohung nicht auch von den Agrariern wer weiß wie oft ausgestosten wäre! Auch s i e haben die „Revision ihrer monarchi - schen Gesinnung", den Abfall vom Monarchismus, die Teilnahme an den Bestrebungen der „Umsturz - partei" verkündet, wenn die Regierung ihnen nicht zu willen sein wolle. Die „ötöln. Ztg." meint schließlich: „Bei einer solchen volkswirtschaftlich und staatS- politisch höchst gefährlichen Lage drängt sich von selbst die ^rage auf, ob es eines modernen, hochkultivierten Staats,;«bildes würdig und a n - g e m c s s e n ist. daß ein einzelner Mann, dep leitende Ressortminister, in der Lage ist, allein eine solche Lage zu schaffen und sie trotz des übrwwältigcnden Protestes des Volkes znm offen - sichtlichen Schaden des Staatsganzen aufrecht zu er - halten. Bei der dezentralisierten Staatsverfassung Preußens kommt diese BerwaltungsbefugniS den einzelnen Ministern von „Rechtes" wegen zu. Diese Machtvollkommenheit mag auch ihrem einzelnen Restart nützen; wenn sic aber wie hier dem über - wiegenden Jntcreste de» Staatsganzeu zutviberläuft, so ist eine Ausnutzung dieses Rechtes ein poli - tisches Unrecht. Aus volkswirtschaftlichen, recht- lichcn und politisäien Gründen möchten wir deßhalb vor einer Ueberspannungder Bureau, krattschen Rechte einzelner Beamten in unserem konstitutionellen Staats - wesen dringend warnen." Der Geist des Liberalismus wird in der «Köln. Ztg." mal wieder etwas lebendig. Bon Zeit zu Zeit erinnert sie sich, daß ek liberale Grundsätze gibt, mit denen der Unfug und das Unheil der Re - aktion sich unmöglich vereinbaren lasten. Eine Hochflut echter Entrüstung brandet gegen Podbielski an8 allen Kreisen des Volkes. Ei aber läßt wie zum Hohn durch seine offiziösen stsedern der Welt verkünden: er denke nicht i in geringsten a n seinen Rücktritt. Freilich, Ivie sollte ein Minister, der so unumschränkt wie er über wichtige Fragen der Volk'ernährung ent- scheiden kann, Ursache haben, der Bolksentrüstung zu weichen. Das „Berl. Tagebl." meint, die Auslastung der „.stöln. Ztg.", die kaum eine „PrivatMeinung" der - selben sei, laste vermuten, daß „die entente cordiale zwischen Bülow und Podbielski doch einen Knack» belommcn habe." Das beweist jedoch nur, welch un - heilbare Illusionäre unsere Liberalen sind, die immer noch nicht begriffen haben, wie der politische Wind in Deutschland weht. Die Fleischteuerung erkennt auch ein den Konservativen sehr luchestehendes christlich^sozialeS Bbatt, „Das Reich", an. Es verlangt, da die Ertoae- tunfi des Landlwirtschafftsministeis. die Teuerung tverde mit August ondigen, sich mchf erfüllt hat, eine Einschränkung der Grenzsperre. Der Evangelische Arbeiterverein in Leipzig nahm eine iliesolution an, in welcher der Entrüstung über die Parteilichkeit der Reich«- und preußischen Regierung in bet Fleischnotfrage Aus - druck gegeben und sowohl die sächsische Regierung wie die Stadtverwaltung gebeten wird, daß der Rot durch Ovssnung der Grenzen für Schlachtvieh sofort gesteuert wird. In Mannheim nahm der Obermeister der Metzgerinnung, Metzger meister Daniel Groß, Ge - legenheit, ui einer Versammlung über die „Fleisch teuerung" zu sprechen. Groß begeichnete alß Hauptgrund der Kalamität die Unteibmdung der Einfuhr. Die einheimosche Landwirtsch-ist sei nicht rin stände, den Aerbomuh zu decken, was schon darau» sich .ergebe, daß von 70 000 jährlich in Mannheim ge,sckstachteten Schweinen nur 13 000 au» Baden stammten. Wenn Minister Podbielski gesagt habe, die Teuerungsperiode werde in drei bis vier Wochpn zum Abschluß kommen, so könne er dieser Ansicht iticht beitretem. In den nächsten acht Woche« sei an einen Abschlag nicht zu denken. Der Redner wandle sich -egen den Versuch, die Schuld an den hohen Marktpreisen den Händlern in die Schuhe zu schieben. In der Frankfurter Stadtverordneten - versammlung sei behauptet worden, in Sch I e S w i g- Holstein lägen 100 000 Schweine, die «richt ab - geholt würden. Dafür fehle jeder Beweis. Soviel Kapital besäßen die Händler gar «richt, um eine solche Menge vom Markt zu halten. Bei Mißwachs und Hagelschlägen sei die Regierung sofort bereit, bet Landwirtschaft unter die Arme zu greifen, aber bet gegenwärtigen Fleischteuerung, unter der das ge - samte konsumierende Publikum leide, sehe sie mit verschränkten Armen zu. DaS Vertrauen zu der Regierung sei durch ihr Verhalten schwer erschüttert. Der Hinweis auf die Gefahr der Einschleppung von Seuchen, insbesondere der Maul- und Klauenseuche, sei nur ein Wauwau. In Süddeutschland greift die Fleischnot bi» zum Bodensee hinüber. „Ihr entgegeozuwirken ist" Und im Scherz begann ich zu singen: „Wckhlan denn, auf den Feind, iAr Freunde, auf zum Streitei" Sie gingen ans bett Scherz ein und lächelten gleichfalls, nur meine Frau blickte nicht auf: sie wischte gerade die Schälchen mit einem sauberen, gestickten Handtuch aus. Im Kabinett earxrrtete mich der längst bekannte Anblick: die blaue Tchrew. die Lampe mit der grünen Glocke und der kleine Tisch, aufs dom die Wafferkaraffe stand. Sie war von einer leichtem Staubschicht bedeckt. „Gießt anlir doch, bitte, ein Glas Master ein!" sagte ich munter. -Du hast ja eben erst Thee getrunken!" ,-Smt nichts, tut nichts, gießt nur einl Und Du," sagte ich zu meiner Frau, „nimm mal den Jungen und setz' Dich ein Weilchen in das Zimmer da, bitte!" Schlückchen für Schlückchen trank ich mit Behagen das Master — und im anstoßenden Zimmer saß meine Frau mit meinem kleinen Sohne, und ich sah sie nicht. bxrr s recht. Und nun kommt hierher, zu mir. ylber anariun ist denn der junge Mann noch so spät auf?" „Gr freut sich, daß Du zurück bist. Geh doch zum Papa, HeiHchenI' Ader der Kleine begann zu weinen urfb versteckte sich in Mamas Schoß. „Warum weint er denn?" fragte ich verdutzt und sah mich ringsum. „Und warum seid Ihr über - haupt alle . . . so bleich -und so einsilbig, und huscht um mich herum wie die Schatten?" Der Bruder lachte laut auf und sagte: ,L8ir sind dock) nicht einsilbig!" Ui*ö die Schwester sekundierte ihm: „Wie reden doch in ei turnt fort!“ „Ich muß einmal sehen, lote weit das Abendbrot ist," sagte die Mutter und ging hastig hinaus. IÄawiß, Ihr seid so schweigsam," wiederholte ich mit Bestimmtheit. „Seit dem frühen Morgen höre ich nicht ein Wort von Euch, ich allein schwatze immerzu und lache und freue mich. Freut Ihr Euch denn nicht, daß ich zurück bin? Und wavuim weicht Ihr mir nmner mit Euren Blicken aus? Habe ich mich denn so sehr verändert? Es muß tvohl der Fall sein. Ich sehe auch feinen Spiegel. Ihr habt sie wohl fortgenommen? Gebt mir doch mal einen spiegel her!" „Gleich bring' ich ihn," sagte meine Frau; sie kam lange nicht zurück, und den Spiegel brachte schließlich das Stubenmädchen. Ich blickte hinein — und sah dasselbe Gesicht, das ich bereits unterwegs im Waggon und auf den Bahnhöfen gesehen hatte: es war mein altgowohnteS Gesicht, etwas gealtert, aber sonst ganz dasselbe. Sie schienen erwartet zu haben, daß ich vielleicht aufschreien oder in Ohnmacht fallen würde, und um so mehr freuten sie sich, als ich in aller Ruhe fragte: „Ja, was ist denn so ungewöhnlich an meinem Gesicht?" Laut lachend ging die Schwester hinaus, der Bru - der aber sagte in ruhigern, überzeugungsvollem Tone: > ^Ja, Du hast Dich nur wenig verändert. Eine kleine Glatze hast Du bekommen." „Danke dem Herrgott, daß ich wenigstens meinen Kopf behalte»! habe," versetzte ich mit Gleichmut. „Aber wohin .sind sie denn alle ausgerückt? Erft die eine, dann die andere. . . Fahre mich doch ein bißchen durch die Zumner! Ein prächtiger Stuhl — so bequem und völlig geräuschlos! Was hat er ge - kostet? Aufs Geld soll's mir sicherlich nicht an- tommen: ein Paar Beine will ich mir kaufen, bester als . . . ah, da hängt ja auch mein Zweirad!" Es hing an der Wand, noch so gut wie neu, nur daß die Pneumatiks schlaff geivoriden waren. Am Hinterrad haftete noch etwas trockener Schuruh — van dec letzten Radtour, die ich damals, vor dem Ausmarsch, unternommen hatte. D« Bruder schwieg und schob ü>en Stuhl nicht weiter, und ich verstand fein Schweigen und Zögern. „Von unserem Regiment sind nur vier Offiziere am Leben geblieben," sagte ich düster. „Ich habe noch Glück gohabt . . . Lhte -das da —" ich wies aus das Zweirad, „das kannst Du jetzt benutzen, nimm es Dir gleich morgen." „Gut, ich will'S nehmen," sagte der Bruder in ergetbungsvollem Tone. „Ja, Du hattest noch Glück. Die halbe Stadt hat bei uns Trauer. Und die Beine — nun, die -sind . . . schließlich . . ." „Natürlich. Ich bin ja kein Bviefträgerl" Der Bouder blieb plötzlich stellen und fragte: „Sag' mal — wovon zittert eigentlich . . . Dein Kops so?" „Hat nichts zu sagen . . . wirb vergehen, meinte der Doktor." „Und auch Deine Hände zitiern?" „Ja, ja — auch die Hände. Wirb alles vergehen. Fahr mich nm, bitte, ein bißchen, bas Stehen lang - weilt mich." Sie halten mich aus der Stimmung gebracht, diese Leutchen, die mit mir so gar nicht zusrioden schienen. Aber die Freude kehrte wieder ein, als man mir inain Bett bereitete — ein wirkliches Bett, mit wirklichen, weichen Kisten, die auf einer hübschen Bettstelle lagen; ich hatte diese Beitstellc vor vier Jahren, als wir Hochzeit machten, selbst gekauft. Ein reines Laien irrurbe darüber gckdeckt, -dann wurden die Kisten tüchtig aufgefchüttclt und di« Decke umge- schlagen: ich lvar Zeuge dieser feierlichen Zeremonw und die Tränen standen mir in i>en Augen vor Lachen. „Und nun zieh mich aus und bring mich zu Bett!" sagte ich zu meiner Frau. „O, lote ich Mich daraus freueI" ./Sofort, mein Liebert" „Nur rasch, rasch!" ISosort, mein Lieber!" „kha, was ist Dir Denn?” „Sofort, mein Lieber!" Sie stand hinter mir, neben der Waschtoilette, und ick wandte hastig iben Kopf nach ihr um. Und da schale sie plötzlich ans, so sah und laut, tote man sonst nur boot draußen auf dem Schtechtfelde schreit: «WaS ist denn das? Was ist dar?" Und sie stürzte auf mich zu, umarmte mich, tuarf sich vor mir nieder und barg ihren Kopf an meinen verstümmelten Glied maßen, wich schaudernd zurück und schmiegte sich wieder an. wobei sie diese unglück - lichen Stummel mit Küsten bedeckte und schluchzend ausaief: „O, niete Lieber, Guter! WaS ist denn aus Dir geworden?! Du zählst doch erst 30 Jahre! Du warst jung und schön. £i, wa» ist das. waS ist das? Wie grausam find doch die Menschen! Warum daS? Wer hat einen Nutzen davon? Du mein armer, stiller Junge, mein Lieber, Lieber . . ." Und auf ihr Geschrei tarnen alle herbeigelanfan, die Mutter, d>e Schwester, dieuniderfrau, undstealle weinten und sprachen durcheinander unb warfen sich vor mir zu Boden und weinten so bitterlich. Auf der Tü^chwelle aber stand Der Bruder, bleich, ganz bfeich, und seine Ktenlad« bebte, und er schrie in wimmerndem Tone: werbe bei Erich hier verrückt, ich werbe verrückt!" Und die Mutter kroch um Meinen Rollsessel herum und weinte nicht mehr, sondern röchelte mit noch heiser und schlug mit dem Kopse gegen die Räder deS SestelS. Dort aber, an der Wund, fiaitd da» [aubere Bett mit den ausgefchütteten Kisten und der umgaschlagewen Decke, bass^tde Bett, das ich vor Viet Jahrett genaust hatte — damals als wir Hochzeit machten. Gfortfeeuna folgt.) Hierzu zwei Beilagen und das illustrierte Unterhaltungsblatt „Die Neue Welt". Die Teuerung. Es ist heute vielleicht angebracht, an die Vor - gänge im Reichstage während des Monats De- zeniber 1902 zu erinnern. Damals hatte die sozial - demokratische Fraktion, von einigen wenigen ftei- händlerisch gesinnten bürgerlichen Elementen unter - stützt, alle parlamentarischen Mittel erschöpft, um die agrarischen Ueberzölle nicht zuni Beschluß erheben zu lassen. Die Wirkung dieser „Obstruktion" war eine phänomenale. Während Eugen Richter der sozialdeinokratischen Fraktion meuchlings in den Rücken fiel und fast die gesamte bürgerliche Presse daS gewohnte Nachtwächtergeschrei ob der „Ob - struktion" anstimmte, entschloß sich die agrarisch - reaktionäre Mehrheit zu jenen berüchtigten Gewalt - streichen, durch welche die Geschäftsordnung des Reichstages gebrochen und die Minderheit brutal Niedergedrückt wurde. Als das Werk vollbracht war, erhob fast die gesamte bürgerliche Presse ein Triumphgeschrei darüber, daß es gelungen sei, der >,Anmaßung" und dem „Terrorismus" der sozial - demokratischen Fraktion Schranken zu ziehen und durch Umgestaltung der Geschäftsordnung Aehn- lichem für die Zukunft vorzubeugen. Heute pfeists aus einem anderen Loch. Die Hungerzölle, zu deren Bekämpfung die Sozialdemokratie damals die äußersten parlamen - tarischen Mittel aufbot, sind noch nicht in Kraft getreten, sie sollen erst kommen mit den Handels - verträgen, aber sie werfen ihren Schatten schon voraus. Der agrarische Uebermut hat für eine große Fleischteuerung schon vorher gesorgt, wenn auch die „Ernte", wie der Fürst Bülow im satten Tone der agrarischen Befiiedigung gesprochen hat, in der Hauptsache erst noch kommen soll. Die Fleischteuerung ist da, und auf die ersten Beschwer - den hat die offiziöse Presse oem deutschen Volke zum Hohn eine Statistik geboten, die berechnet hat, daß auf den Kopf jedes Deutschen im Jahr über 50 kg Fleisch kommen. Dieser Hohn ist um so krasser, als jedermann weiß, daß es in Deutschland große Schichten der Bevölkerung gibt, die selten oder fast nie sich den Genuß von Fleisch erlauben können. Während die Arbeiter in Maffenprotesten sich gegen die Fleischteuerung echeben, fängt es nun auch in den bürgerlichen Kreisen an zu rumoren, und namentlich auch da, wo man seinerzeit die ganze Aktion der Sozialdemokraüe gegen das Agrariertum und dessen Beutepolitik als „Massen- fferhetzung" verschrieen hat. Die Herren Fleischer - meister sind natürlich voran. Was sie gegen die Fleischteuerung sagen, ist an sich gewiß durchweg richtig. Aber sie sind nicht die Vertreter der Kon - sumenten; sie haben nur ihr Geschäft im Auge, wenn sie gegen die Agrarier vorgehen. Diese Herren haben schon selber gar oft auf Kosten der Masse die Presse getrieben und würden es den Agrariern gern gleichtun, wenn sie könnten. Wir wissen die vielen anerkennenswerten Ausnahmen, die es dabei gibt, zu würdigen; indessen wird uns niemand Glauben machen wollen, daß die Fleischerinnungen etwa im Interesse der Fleischkonsumentm ins Leben gerufen worden seien. Aehnlich ist es mit den Hotelbesitzern, die in gar beweglichen Klagen sich ergehen. Aber mit der Lebenshaltung der Masse haben diese Klagen nichts zu tun; die Hotelbesitzer sehen die Sache lediglich vstm Standpunkt des Fremdenverkehrs an. Sie sagen allerdings mit Recht, daß die Fleischteuerung die Hoteliers zwingen werde, die Verpflegung der fremden Gästr teurer ober schlechter zu gestalten; beides aber würde den Fremdenzuzug bedeutend schwächen. Also auch hier lediglich das Geschäft und kein allgemeines Interesse. Wenn Hoteliers I 9 und Fleischcrmeister nicht zufällig selbst unter der Fleischteuerung zu leiden hätten, so würden sie der agrarischen Beutepolitik ruhig zusehen oder sie gar noch fördern, denn was kümmern sich diese Ge - schäftsleute darum, roenn der Volksmasse der Broi- und Fleischkorb noch höher gehängt wird? Die Hoteliers und die Fleischermeister werden sich auch täuschen, wenn sie etwa erwarten, daß den Agrariern gegenüber mit Wehklagen und Jammergeschrei etwas auszurichten wäre. Die Hal - tung des preußischen Landwirtschaftsministers kann jedem, der es noch nötig hat, darüber Aufklärung geben. Die Zeit der Ernte ist den Beute - politikern ja offiziell angekündigt worden; nun sitzen sie im Rohr und schneiden sich Pfeifen, und der deuffche liberale Philister jammert dazu, der - selbe deutsche Philister, der zehnmal lieber bei den Wahlen seine Stimme einem beutegierigen Junker gab, als einem Sozialdemokraten, weil es den reaktionären Demagogen wieder so trefflich gelungen war, diesen liberalen Philister mit dem roten Gespenst zu erschrecken. Wendm wir uns ab von diesem kläglichen Schauspiel, zu dem die Ernsten und würdigen Proteste der Arbeiter in so vorteilhaftem Gegen - satz stehen. Eine sehr ernste Frage hat ein Arzt auf - geworfen, der auf die soeben im Rordoften von Deutschland über die Grenze gedrungene Cholera hiuweist. Zwar wird die Seuche so energisch wie noch niemals bekämpft, und eine größere Ausdeh - nung derselben scheint man momentan nicht be - fürchten zu müssen, aber der Arzt weist darauf hin, daß die gegenwärtige und die kommende Teuerung die ohnehin schon ungenügende und schlechte Volksernährung noch weit mehr ver - schlechtern müssen. Je größer die Unterernäh - rung, desto weniger Widerstandsfähig - keit des Vollskörpers gegen ansteckende Krankheiten und gefährliche Epidemien. Diese Tatsache, die kein verständiger Mensch anzweiftln wird, würde die ganze heutige Agrarpolitik allein schon kulturwidrig und gemeingefährlich er - scheinen lassen. Aber es kommen ja noch tausend aiwere Toisucheii hinzu, die beweisen, daß die Ver - teuerung der notwendigen Lebensmittel ein Volk in seinen innersten Lebensinteresien trifft. Die Agrarier haben dem gegenüber vollkommen taube Ohren. Die dem Verkrachen nahe Junker - kaste, welche diese Bewegung führt und der Gesetz - gebung mit allen Mitteln der Demagogie und der Brutalität ihr „Recht auf Rente" abgetrotzt hat, würde alles mit größter Gemütsruhe im Meer des Elends versinken sehen, wenn ihr nur die Sklaven übrig bleiben, die eissorderlich sind, um für ihren Unterhalt zu arbeiten. Zusammenbruch der In - dustrie, Zerstörung des CxporchandelS, Arbeitslosig - keit und Elend der Massen — alle diese Dinge kümmem, wenn sie kommen sollten oder schon da sind, diese edlen Ritter genau so wenig, als sich ihre Vorfahren um die Entrüstung des Landes gekümmert haben, wenn sie harmlose Bürger auf der Land - straße niedergeworfen, ausgeplündert und bis zur Erlegung eines Lösegeldes in ihre Burgverließe ge - sperrt hatten, abgesehen von schlimmeren Mssetaten. Auch die agrarische Krankheit muß erst ihren Höhepunkt überschreiten, ehe der Gesundungsprozeß beginnen kann. Dann wird es aber hoffentlich rasch und gründlich vor sich gehen, und der Strom der Zeit wird die Reste des Feudalismus hinwegspülen. Hie Revolutionen Rußland. Genosse Kasprzak ist am Freitag Morgen« llhr im Hofe der Zitadelle von Warschau gehängt worden. So meldet lakonisch eine heule eingetroffene Depesche. Der unglückliche Mann, dem das Leben durch nichtswürdige Verleumdung verbittert wurde, der viel schwerer unter der Aechtung durch die P.P.S., die polnische sozialistische Partei litt, als unter der Ver - folgung durch die Polizei diesseits und jenseits der ruMckon Grenze, ist gestorben, ohne von seiner Re- habibittemng etwas evstihren zu haben! Die Henter des Zaren haben schnelle Arbeit gemacht. Todes - urteil auf Bestellung und Erwürgung am Galgen folgten in der Frist von wenigen Tagen aufeinander. Nicht einmal d i e „Rechtsgarantien", die es auch im Zarenreich auf dem Papier gibt, wurden gewahrt. Der Generalgouverneur von Warschau hat, gestützt auf den in Warschau bet» hängten Kriegszustand, d i e Absen- dungder Kassationsklage an die oberste Gerichts! n stanz gegen das Urteil in machen Kasprzak nicht zugelassen und das Todesurteil bestätigt. _ Man hatte es sehr eilig! Warum? Wollte man Seine Durchlaucht, Den Kanzler deS Deutschen Reiches, den Fürsten Bern - hard v. Bülow, nicht in Verlegenheit bringen, ihm, der dem Zarismus so manchen Dienst geleistet, auch eine Gefälligkeit erweisen? Der Reichskanzler hätte nämlich, da Kasprzak ein deutscher Burger iuar, eingreisen müssen, damit er nach den Gesetzen des Landes behandelt werde, in dem er die Straftat beging, und nicht nach Willkür, Ivie es durch die Farce der Kriegsgerichtsverhandlung geschehen ist. Herr Bülow scheint nicht daran ge - dacht zu Haven, daß er im Falle Kasprzak die Würde des Reiches, das seinen Angehörigen Schuh zu leisten hat, wahren mußte. Er ist nock am Freitag, da man von der schon geschehenen Vollstreckung des Todes - urteils nichts wußte und nichts wissen konnte, an seine Pflicht erinnert worden durch folgendes Tele - gramm des Vorstandes der sozialdemo - kratischen Partei Deutschlands: An den Herrn Reichskanzler Fürsten von Bülow Baden-Baden. Am 1. September 1905 wurde in Warschau der preußische Staatsangehörige KaLprzak zum Tode vcr- uiteilt. Gegen das Urteil haben die Verteidiger deS Verurteilten das Rechtsniillel der Kassation eingelegt. Der Kassationshof residiert in Petersburg. Gestützt ans den Kriegszustand in Warschau hat der Herr Gencralgouverncur die Absendung der KaffationSbe- grüitbung inhibiert. Dies Verbot ist eine Ver - weigerung der dem Verurteilten z u- stehenden Rechtsmittel. Die Unterzeichneten ersuchen den Herrn Reichs - kanzler bezw. das Auswärtige Amt in Rücksicht auf die Kürze der Zeit unverzüglich bei der russischen Re - gierung das Verlangen zu stellen, die Vollstreckung des Urteils anszusetzen und dein Verurteilten die ihm zustehenden NechtSmittel angängig zu machen. Ein gleiches Telegramm ist an den Herrn Staats - sekretär des Auswärtigen Amtes abgegaiigen. Um Antwort ersuchen die Mitglieder des Reichs - tages Auer, Gerisch, M l k e u b u h r, P sanu- knch, Singer, Lindens..aste 09 Die Schnelligkeit, die Eilfertigkeit des russischen Henkers hat dem Kanzler des Deutschen Reiches die Er - füllung einer Pflicht, die nicht zu kennen er nach dem Telegramm nicht mehr sagen konnte, erspart. Und Kasprzak mußte sterben. Dem Manne, der für seine Ueberzeugung das Leben geopfert hat, wird die deutsche Sozialdemokratie, deren Angehöriger er war, ein ehrendes Andenken bewahren I In Warschau sind der Hinrichtung N a che- lat e n unmittelbar gefolgt. Am Freitag Abend wurden in der Stadt und der Umgebung drei Polizisten getötet und zwei verwundet. Ueber die Zustände in Warschau berichtet eine Korrespondenz der „Voff. Ztg." vom 6. September: Heute in den Mittagsstunden wurde auf einem riesigen Neubau an der Ecke der Banboilinstraße und des Warccki-Platzes eine rote Fahne mit revolutionärer Aufschrift ansgepflaiizl. Eine Stunde später wurde der Bau von Militär um - zingelt unb alle dort arbeitenden Männer und Frauen, etwa 150 an Zahl, wurden unter starker Bewachung nach dem Rathanse gebracht. — Sonntag verfertigten etwa 70 oder 80 Knaben int Arbeiterviertel Wola aus einer alten roten Jacke eine Fahne und durchzogen mit ihr, angeblich „revolutionäre" Lieder singend, die Straßen. Sie wurden von dem Polizeiposten mühelos zerstreut. Nachdem dies geschehen war, suchte der Polizeikommiffar des 7. Bezirks die Kinder in ihren Wohnungen auf unb bemühte sich, sic durch Schläge z:i bcranlaffcn, die Urheber des Aufzuges zu nennen. — Eine Anzahl von Kaufleuten unb Fabrikanten hat an die Behörde ein Gesuch um Aufhebung deS Kriegszustandes eiiigcrcidjt, der hemmend auf den Gang der Geschäfte eiiiwirkt. AuS dem russisch - polnischen Jndnstrierevier schreibt man der „Breslauer Zeitung": In dem SoSnowice benachbarten Orte Porombka wurde dieser Tage eine Hllusbesitzerssrau durch die UrteilsvollstreckungSkoimnission der Sozialisten-Partei, dem sogenannten „Oddzial Spiskowo Lojowy“, dafür erschoßen, weil sie ein Mit - glied der Partei bei der Polizei denunziert hatte, eS habe einen Revoltier nebst Patronen in feiner Wohnung. Der Urteilsvollstrccker schoß sie mit den Worten nieder: „To mosz nagroda!“ „Da hast Du den Lohn!" Aus Petersburg, 9. September, wird offiziös gemeldet: Nachdem verschiedenen Naphthaindustrie-Gesell - schaften gestern. Depeschen aus Baku zugegaugeu sind, ist es möglich, die Verluste dieser, der Siaalskaffe und der Wolgarceder annähernd zu bestimmen. Von den dort befindlichm 3800 Fontänen sind sicherlich 3000 ausgebrannt, deren Wiederherstellung 30 Millionen er - fordern , während der Ban neuer Arbeitökasernen, Maschinen tc. die Ausgabe von annähernd 60 Millionen nötig machen würde. Da die Wiederaufitahme deS Betriebes erst nach 6 bis 12 Monaten möglich ist, er - leiden dieJndusttiellen einen Verlust von etwa 86 Millionen, während die Üöolga-Kaspiflotte durch die Einstellung der Kerosin-NaphthatranSporteeinenAuSfallvonlovMillioncn Pud Fracht im Betrage von 7 bis 10 Millionen Rubel zu verzeichnen haben wird. Die der transkaukasischen Bahn drohenden Verluste dürften sich auf etwa 6 Millionen Rubel belaufen. Jnsgesaml erreichen die Verluste durch die Ereignisse in Baku die Höhe von 193,7 Millionen Rubel. Welche Verluste die russischen Industriezweige, die Naphtha als Heizmaterial benutzen, erleiden, entzieht sich natürlich der Beurteilung. Tie Tirekiiouen Petersburger Danken erhielten von ihren Filialen iu Baku solgendcS Telegramm: Trotz dcr proklamierten Waffenruhe bauert das gegenseitige Mißtrauen an; jeden Moment ist der Ausbruch der Lcidenschasten des Pöbels zu erwarten. Neben den feind - lichen Natioiialilatcn entstand ein anderes höchst gefähr - liches Element in den nach Zehnlausenden zählenden arbeitslosen Arbeitern. Die Behörden sind offenbar machtlos. Wir bitten Sie, die Zcntralregierung um den Schutz des Eigentums der Bankfilialen anzugehen. Nichten Sie anch Ihre ernste Aufmerksamkeit darauf, daß dcr Naphchaindustrie bereits ein furchtbarer Schlag zugesügt wurde und die Rndauor der Unruhen die In - dustrie völlig vernichten wird. Aus TifliL, 8. September, kommt folgende offiziöse Depesche: In mehreren Dörfem der Provinz Elisabcthpol wurde d i e B e v ö I k e r ii u g zum Teil niedergeinetzell, zum Teil verjagl. Alle Hauser wurde» geplündert und bann angezündet. Andere Dörfer sind von bewaffnete» Tataren-Baniml umzingelt. Ter Kommaudaiit dcr Truppen in Schuscha telegraphiert: Ruhe unb Sicherheit seien in Schuscha gewährleistet. Wirksame Maßnahmen seien ergriffen, um auch bic Be - völkerung anderer Bezirke zur Ruhe zu bringen. Bon der Weltbühne. Eine Nevifion der monarchischen Gesinnung in den Kreisen der „Gutgesinnten'^ kündigt die „Köln. Ztg." an für den Fall, daß die Regierung nicht baldigst ernsthafte Maßnahmen trifft, um der Herr- schcndcn Flcischnot zu begegnen. Das rheinische Kapitalistenblatt weist darauf hin, daß Tausende von Menschen in Hunderten von Versammlungen, über die in spaltenlanger Rechcnfolge täglich die Blätter berichten, mit den triftigsten Gründen unb mit ben schlagenbsten tatsächlichen Beispielen ben Beweis geführt haben, baß zur Zeit in ganz Deutschlanb eine unerhörte Fleisch teuerung und eine noch nicht dagewesene Fleisch- not herrscht. Dann führt sie weiter aus: „Dieser Zxistanb hat einmal schwere volkswirtschaft - liche Folgen: nicht allein ist eine Unter- ernährn it g breitester Volksschichten die nachgewiesene, tief bedauerliche Begleiterscheinung der Teuerung auf konstituierender Seite, sonder» auch auf der Seite der Händler sind zahllose Existeiiz- vernichtuiigen — »ach zuverlässigen Mitteilungen in Köln allein 30 — zu behagen. Fürdas Staats ganze jedoch noch schädlicher sind die sta - tistisch nicht nachweisbaren, unübersehbaren ibellen politischen Folgen. Eine fast ständig wiederkehrende Redewendung in ben großen politischen Interessenten- und Maffenversarnntlungen lautet: Wir sind zwar bisher stets getreue Staats - bürger gewesen; aber wenn diese Staats- regicrutig, der tu i r bisher gegen bie umstürzlerische Demokratie gebient habe», uns int Stich läßt, wenn die Not zum Himmel schreit, ja, wenn Scherze die einzige Antwort des verantwort - lichen Ministers sind, dann sehen wir uns zu einer Revision unserer staats» freundlichen Gesinnung gezwungen unb suchen ben Schutz unserer Inler- essen dort, wowir ihn finden —bei der Sozialdemokratie. Wer Augen hat zu sehen, erkennt zur Zeit ben Eifer bet Sozialbemokratie, sich die überall herrschcnbe unwillige Erregung nutzbar zu machen; er erkennt aber auch, baß dieser Eifer an zahlreichen Stellen großen Erfolg hat. Immer ist politische Mißstimmung der beste Dünger für ben Weizen bet Sozialbemo - kratie." Es kann keinem Zweifel unterliegen, baß bie von der „Köln. Ztg." gefürchtete Wirkung her beharr - lichen Weigerung bet Regierung, das Nötige zur Milderung der Not zu tun, unausbleiblich ist. Bei der Gelegenheit fei übrigens daran erinnert, baß bie „Köln. Ztg." schon früher ber Regierung mit einer Revision ber monarchischen Gesinnung gedroht hat, falls sie nicht nach dem Willen ber Großkapitalisten 7] (Nachdruck verboten.) Das rote Lachen. Von Leonib Rnbrejew. Fragmente einer aufgesunbenen Handschrist. Einzige Uebertragung aus dem Russischen von L»,uli tchoh Siebtes Fragment. ... Es war ruchlos, es war ungesetzlich. Das tote Kreuz wivd von ber ganzen Vielt als etwas Heiliges respektiert, unb sie sahen, daß nicht ein Mi - litärzug, sondern ein Zug mit hülfkqsen Verwundeten daherkmu, und sie hätten darauf aufmerksam machen nrüffen, daß dort eine Mine gelegt war. Die armen Lernte, sie hatten schon von der Heimat geträumt... Achtes Fragment. . . . Ein Samowar! Ein richtiger Samowar, aus dem der Dampf aufsteigt wie aus einer Lokomotive. Unld dieselben Schälchen, ciußen Mau ainb innen weiß — dieselben niedlichen Schälchen, die man uns da - mals yu unserer Hochzeit geschenkt hat. Die Schwester meiner Fran, eine treffliche, gutherzige Pegson, hatte sie geschenkt. „Sind sie wirklich noch alle ganz?" fragte ich zweifelnd, während ich mit dem zierlichen silbernen Theelöffel in meinem Glase rührte. „Eins ist zerschlagen," sagte meine Fron oben« hin; sie hatte den eben geöffneten Hahn des Samo - wars in der Hand, au5 Denn daS heiße Wasser klar und rasch heovorqitoll. Ich lachte aus. „Was gibt's denn?" fragte mein Bruder. „Nichts weiter," antwortete ich. „Na«n könntet Ihr mich noch einmal in mein Kabinetichon fcchren. Laßt es Euch nicht verdrießen, tut's dem tapferen Helden guliebel Ihr hab genug gefaulenzt, wäh - rend ich fort war — jetzt heißt es sich rühren I Ich perde Euch ftrttff cm die Kandare nehmen I"