Nr. 2S3. 19. Jahrgang. LamvurgerEcho. Da» »Hamburger Echo" trfdjeint täglich, außer Montag». «bonnementspreis (intl. „Die 91 ent Welt") beträgt: durch die Post be,og«n ohne Bringegeld monatlich x i.ro, vierteljährlich X 8.60; durch die Kolporteure wächentlich 80 X frei in» tzau». Ein,eine Nummer 5 *. Sonntagr-Nummer mit illustrierter Sonntagibeilage „Die Reue Welt" 10*. Verantwortlicher Redakteur: Gustav Waberskst In Hamburg. Freitag, den 15. Tczcmvcr 1905. An »eigen werden die lechsgespaltene Petitzeil« oder deren Raum mit 30 *. fUt den Arbeitsmartt. Vermietung», und ksamilienanjeigen mit 20 4 berechnet. Anzeigen Annahme In der Expedition (bis v llhr Abends). in den Filialen (bis 4 llhr Nachmittags), sowie in sämtlichen Annoncen-Bureaux. Redaktion und Expedition: Fiehlandstraste 11 in Hamburg 1. Malein Tiid-Tt. Pauli bei Carl Lementzow, Davidstr. 35. Nord-Tt. Pauli, Eimsbüttel, Laugeufelde bei Carl Dreyer, Margarethensir. 72, Eimsbüttel. Hoheluft, Eppendorf, Groh-Vorstel und Winterhude bei Ernst Großkopf, Lehmweg 61, Eppendorf. Barmbeck, Uhlenhorst bet Theodor Petereit, Bachstr. 12, Barmbeck. Tt. Georg, Hohenfelde, Porgfelde, Hamm, Horn unb Tchissbcck bei Carl Ortel, Baustr. 26, Borgfelde. Hammerbrook, Rotenbnrgsort, Billtvärder und Peddel bet Rud. Fuhrmann, Schmabenstr. 33, Hammerbrook. Eilbcck, Wandsbeck und Hiuschenfelde bei Franz Krüger, Sternstr. 36, Wandsbeck. Altona bei Friedrich Ludwig, Bürgerstr. 118, Altona. Ottensen, Bahrenfeld bei Johannes Heine, Bahreuselderstr. 140, Ottensen Hierzu zwei Beilage«. Der gelehrige Posadowsky. Wenn der Graf Posadowsky letzten Diens - tag im Reichstag als Sarastro in der „Zauberflöte" die berühmte Baßarie „In diesen heiligen Hallen" zu intonieren begonnen hätte, er. hätte kaum viel mehr Sensation damit auf allen Seiten des Hauses Hervorrufen können als mit seiner Moralpredigt an die Adresse der bürgerlichen Klassen resp, der bürgerlichen Gesellschaft, der er ihren Materia - lismus und ihren Mangel an sittlichem Ernst vorwarf, was nach dem Zusammenhang nur auf das schäbige und engherzige Verhalten gegen die Arbeiter bezogen werden kann. „Ich glaube, daß mit uuserem wachsende» Wohlstand nicht die Opfer - freudigkeit und die Großherzigkeit in den wirtschaft - lichen Dingen gleichen Schritt gehalten haben, die die besitzenden Klassen haben müßten." Und neben diesem Grund für das Wachstum der Sozialdemokratie führte er den weiteren in seinem Mund« nicht weniger verblüffenden an: „Ich glaube, daß bei unserer Verwaltung auch in den lokalen Jnslauzeu sich mancher kleine Gesichtspunkt aus dem alten Polizeistaat erhalte» hat, der in unsere Zeit nicht mehr hineiupaßt." Was für ein Geist war in die Exzellenz des Polizeistaats gefahren, daß er mit solchen Erz - ketzereien die kapitalistischen und bureaukratischeu Wespennester gegen sich mobil zu machen wagte? Man steht vor einem Rätsel. Im Volke sagt man, wenn jemand eine auffällig bessere Sinnesart als vordem bekundet: „Der lebt nicht mehr lange." Sollte dem Grafen Posadoivskv schivancn, daß seine Tage gezählt seien und der Lncanus ihn demnächst heimsucht? Freilich hat er schon früher einmal einige rollen- ividrige Seiteusprünge dieser Art gemacht — obschon bei weitem nicht so starke wie diesmal — wofür er von stockreaktionären Blättern als gelehriger Schüler der Sozialdemokratie denunziert worden wart Ein politischer Ovid der Gegenwart, der ein „Buch der Verwandlungen "(Metamorphosen) schriebe, ntüßte den österreichische» Ministerpräsidcnte» v. Gautsch, der sich so rasch von einem Gegner des allgemeinen Stimmrechts zu einet» warmen Freund desselben gemausert hat, und den Grafen Posadowsky, der einst beim Scharfmacherverband 12000 Mark für die Zuchthausvorlage schnorren ließ, an die Spitze stellen! Bei beiden aber erklärt sich das Verwandlungs- wunder durch den gleichen Faktor: durch die er - zieherische Wirkung des sozialdemokratischen Proletariats. Die herrschenden Klassen haben zwar die fixe Idee, die man von ihren Wortführern oft zu hören und zu lesen bekommt, sie wären die berufenen Erzieher des arbeitenden Volkes. Wir denken dabei immer oii die Aeußerung einer intelligenten Mutter: „Mehr als daß wir die Kinder erziehen, erziehen die Kinder uns, die Eltern." Das stimmt ja auch. Die Eltern gewöhnlichen Schlags möchten, daß die Kinder in allem ihnen gehorchen und ihnen möglichst wenig unbequem und lästig sind. Der elterliche Egoismus herrscht iveit mehr vor als gesunde Erziehungspriuzipien. Die Kinder aber haben ihren eigenen Kopf und erzwingen durch Lärmen und Strampeln und Widerspenstigkeit, daß ihrer Natur und ihren Bedürfnissen Rechnung ge - tragen wird. Der soziale Egoismus der herrscheuben Klasse» und ihrer bnrcaukratischeii Geschäftsführer ist »och weit robuster als der elterliche. So lange sich die Massen nicht rühren und wehren, kümmert mau sich oben nicht im mindesten um ihre materiellen und geistigen Bedürsnisse und läßt fie immer tiefer in Not und Elend sinken. Erst wenn sie sich gegen ihre Lage und Atißhandluug auflehnen, und wenn sie die Gewaltlünste zu schänden machen und diese mit verstärkter Wucht des Klassenkampfes be - antworten, wenn die Organisationen immer mehr anschwellen und in imposanter Stärke, Geschlossen - heit und Entschlossenheit ihre Rechte fordern, erst damit wird den Machthabern „der Dippel gebohrt", fangen sie an, die Bedrängnis des Volkes zn be - achten und zu begreife», daß etwas geschehen muß, daß das absolutistische Klasseuregimeut weichen muß, wenn e§ nicht jählings und unter schlimmen Kata - strophen znsammenbrechen soll. So erzieht das Volk die herrschenden Klassen und bringt ihnen Raison bei, macht ihren hartgesottenen Egoismus mürbe und weckt bei den Helleren und Besseren soziales Verständnis unb das soziale Gewissen. Ueber die großartige Wiener Arbeiterdemon- stratiou für das allgemeine Wahlrecht, während zn gleicher Zeit im Abgeordnetenhaus Gautsch seine Wahlrcchtsrcde hielt, leistete sich ein liberales Blatt den frostigen Witz: es gebe Leute, die lieber die Fenster eitischlagen, als daß sie durch die offene Tür eintreten. Daraus sprach der liberale Aerger Über die vom Proletariat bewiesene Kraft und über das kommende Wahlrecht selbst, dem ja die Libe - ralen keineswegs grün sind, wenn sie auch eine freundliche Grimasse dazu schneiden. Denn das Blatt wußte recht wohl den Aufzug der Arbeiter- bataillone in seiner praktischen Wirkung zu würdigen. Auch an dem Grafen Posadowsky hat sich die erzieherische Wirkung des klasseukämpfeuden deutschen Proletariats bewährt. Waö er in seiner Rede Ver - nünftiges vorbrachte, hat er gelernt in der Schule der Sozialdemokratie; direkt wie indirekt in seiner amtlichen Tätigkeit bei der sozialpolitischen Gesetz - gebung, die ja eine Frucht der sozialdemokratischen Bewegung ist. Daß dem so ist, möchten ja die herrschenden Klassen gern verleugnen; sie möchten die schwäch - lichen Zugeständnisse an die arbeitenden Klassen als einen Ausfluß ihrer eigenen, frei gewonnenen Ein - sicht und Güte hinstellen. Dabei verfolgen sie den politischen Zweck, die Arbeiterbewegung als über - flüssig, ja, als schädlich erscheinen zu lassen, weil durch das rücksichtslose Drängen der organisierten Arbeiterschaft der „gute Wille" der noch herrschenden Klassen erschüttert werden könne. Das ist natürlich eitel Spiegelfechterei. Der „gute Wille" ist eben erst ein Produkt des harten Druckes der Arbeiter - klasse. Wäre dieser den Herrschenden nicht so deutlich fühlbar geworden, baun wäre mich ber „gute Wille" nicht vorhanbeu. Den Exzellenzen beS Klasseustaats, bie nicht völlig verbohrt siub unb bie Scheuklappen streng kapitalistischer Auffassung tragen, mag gelegentlich ber richtige Zusammenhang aufdämmeru; bie Arbeiter kennen ihn schon lange. Sie wissen, baß sie auch bie geringsten Zngestänbuisse nur ihrer eigenen straft, bet scharfen Gelteubmachnug ihrer Klasseuinteressen zu banken haben. Unb weil sie bies wissen, werben sie ihre an ben herrscheuben Klassen geübte Er - ziehungsarbeit mit allen Kräften fortsetzen. Von der Weltbnhne. Ans dem Reichstage. Berlin, 13. Dezember. Das war heute eine gewaltige Ueberraschmig, die der Reichsichatzsekretär dem Reichstage vor Eintritt in die Tagesordmuig bereitete, aber keine angenehme. Er kündete nämlich einen neuen und zwar den vierten Nachtragsetat für Südwestafrika an. Die Höhe der Nachforderung beziffert sich auf die Kleinigkeit von 30 Milliönchen. Da die neulich kolportierten Nachrichten von dem bevorstehenden Friedensschluß mit den Hottentotten sich nicht bestätigt haben, sind größere Mittel iür den Transport von Proviant und Munition er - forderlich, wodurch Mehrausgaben entstehen Diese überraschende Ankündigung ries auf allen Seiten eine lebhaite Uurube hervor. Dadurch wird sich jedoch die Regierung nicht im mindesten beirren lassen, den be - tretenen Kolonialwcg ivciter zu verfolgen, und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir uns noch auf weitere der - artige Ueberraschnngen gefaßt machen. Die Mehrheit murrt und bewilligt dann. Sodann wurde über das H a n d e l s p r o b i s s r i n m mit England abgestimmt, das mit allen gegen die Stimmen des Grafen R e v e n t l o w und einigen ihm Nahestehenden angenommen wurde, unter Ablehnung seines Antrages auf Beschränkung der Verlängerungs - frist von zwei auf ein Jahr, für den außer einigen Antisemiten noch mehrere Großagrarier von der Nichtttng des Grafen v. Schwerin stimmten. Nachdem dann auch der bulgarische H a u d e l s v e r t r a g gegen die Stimmen der Wirtschasllichen Vereinigung, der Frei - sinnigen Vereinigung und der sozialdemokratischen Fraktion in zweiter Lesung angenommen worden war, begann die Fortsetzung der Etatdebatle. Mit dem Nbg. Gröber gelangte der zweite Redner vom Zentrum zum Wort. Diesem gelang es entschieden besser, zum Fenster hittauszureden als feinem Fraktiotts- kollegen Fritzen. Er markierte die frühere Oppositioits- stelluitg des Zentrums in vorzüglicher Weife. Schade nur, daß es alles nur Schein ist. In Berlin oppositionell (d. h. bis zu einem gewissen Punkt, den zu überschreiten er sich sorgfältig hütet), in Stuttgart im Landtag einer der ärgsten Reaktionäre, wie sein Auftreten bei Gelegenheit der Frage der württembergifchen Veifassungs- und Wahlrechtsreform zur Geitüge bargetan hat. Sehr lange Zeit beschäftigte sich Gröber mit den Erklärungen des Grafen Posadowsky bezüglich des überraschettden Sessionsschlttsfes ’tm Frühjahr und mit der Diätenfrage. Er bewies dem Herrn Staatssekretär aus den Reichstagsakten, daß seine Behanpittngeu über den Absentismus in jüngster Zeit nicht angebracht seien, denn zeitweilig habe es auch in früheren Legislatur - perioden in den 70er Jahren nicht anders auSgesehen. Wenn cs mit scharfen Worten der ZetttruuiSrcduer getan wäre, hätte der Reichstag längst die Diäten für seine Mitglieder durchgedrückt, denn es ist nicht daS erste Mal, daß von dieser, wie auch von anderer Seite die Notwendigkeit der endlichen Lösung dieser Frage mit schlagenden Gründen in kräftigen Worten betont worden ist. Aber die Taten, die Taten! Wen» das Zentrum als die herrschende Partei die Worte seiner Redner zu dieser Frage nur einmal bei einer günstigen Gelegenheit in Taten umsetzen und der Regierung eine dringende Forderung verweigern würde, bis die Diäten bewilligt sind, so wären sie da. Daher kann matt auch bie Tiraden Gröbers in dieser Beziehung ebenso wenig ernst nehmen, wie seine Bemängelungen der Stengelschen Vorschläge zur sogenannten Finanzreform. Er vermied eS sorgfältig, bündige Erklärungen über die Stellimg des Zentrums zu den Stenervorlagen abzugeben; des - halb klang auch feine feierliche Berufung auf § 6 des Flotlengesetzes, wonach die Mittel zur Vermehrung der Flotte nicht durch Steuern aufgebracht werden dürfen, die den Massenkousum belasten, nicht überzeugen. Gleich - wertig waren seine Bemerkntigen zu der Fortführung der Sozialreform: sie waren offenbar nur bestimmt, die ZentrumSschäflein in Arbeiterkreiselt einzulullen. Zur Kolonialpolilik übtstgehend forderte er Auskunft über bie, vom „Hamb. Frembenblatt" veröffentlichte Beschwerde der Aguahäuptlinge in Kamerun, betreffend Amtsüber» schreitniigen des Gouverneurs JeSko v. Putt kam er. Der während der Rede Gröbers erschienene Herr Reichs - kanzler und sein Stellvertreter Graf Posadowsky er - achteten eS nicht für angezeigt, auf die Kapnzinade des Zentriimsredners etwa« zu erwidern; aber der stellvertretende Kolonialbirektor Prinz v. Hohenlohe-Langenburg hielt es doch für geboten, zu erklären, daß Puttkamer aufgeforberl fei, sich über die fragliche Beschwerde zu äußern und alS er per Telegramm mitgeteilt habe, daß die Unterzeichner ber Beschwerbe bis zu 8 Jahren Ge - fängnis verurteilt worden seien, habe man ihn auf ge - seibert, persönlich zu erscheinen und über die ganze Angelegenheit mündlich Bericht zu erstatten. 'Nunmehr erhielt ein zweiter Schwabe, nämlich ber Senior ber südbeutschen Volksvartei, Paver, das Wort. Auch dieser benutzte die Ausführungen Posadowskys zu scharfen Angriffen auf die Regierung unb ging bann dazu über, unsere ganze, im Zeichen der Nervosität unb aufdringlichen Bielfchwätzerei stehende auswärtige Politik einer absprechenden Kritik zu unterziehen. Er schloß mit der Mahnung, daß sich unsere Diplomatie dadurch ein Verdienst um das Reich erwerben möge, daß sie ein viertel Jahrhundert lang andere Nationen zum Wort kommen laffen möge. Den Schluß machte heute eine gänzlich unbedeutende Rede des sächsischen Antisemiten Zimmermann. Morgen Fortsetzung. Die neueste Solonialaffitee» die gestern im Reichstag von dem Zentrumsabgeordneteti Gröber erwähnt und von dem Kolonialdirektor Prinz zu Hohenlohe-Langenburg in der Haupffache bestätigt wurde, besteht darin, daß einige Kameruner Säuptlinge, die eine Beschwerde gegen den ouberneur v. Puttkamer bei dem Auswärtigen Amte eingereicht haben, auf dessen Anordnung hin in 8 Gefängnis geworfen unb abgeurteilt worden, unb zwar hat der Prozeß mit der Verurteilung ber Angeklagten zu mehrjährigen Ge - fängnisstrafen geenbet. Das „Hamburger Frem - benblatt', bas zuerst biefe Mitteilung brachte, schreibt im Anschlusse daran: „Wir würden dieses unerhörte Vorgehen des Gouverneurs v. Puttkamer nicht für mög - lich halten, wenn uns nicht das Originaltelegramm von Duala vorläge, das die Milt-ilung von der erfolgten Verurteilung enthält und das kaum befördert worden wäre, wenn die Nachricht nicht ben Tatsachen entsprochen haben würbe.' Zu ber jetzigen Behandlung ber Sache bemerkt dasselbe Blatt: „ES ist nun allerdings außerordentlich bequem, auf biefe Weise eine Angelegenheit zu vertuschen, deren öffent - liche Erörterung den amtlichen Kreisen nicht gerade an - genehm ist. Das V e r t u s ch u u g S s y st e m ist eben gerade bei unserer Kolonialku Hörde zu einet lieben Gewohnheit geworden. Tie Oeffeiitlichkeit wurde nie etwas von der Beschwerbeschrift der Kameruner Häupt- littgc erfahren haben, wenn bie Presse sich ber Sache nicht bemächtigt hätte. Monatelang lag sie im Aus - wärtigen Amt, unb erst als bie amtliche Stelle keine Nciguttg zeigte, bie Beschwerdefchrift überhaupt zu be - achten, entschloffen wir uns zur Veröffentlichung. Da erst gab Herr Dr. Slübel bie Erklärung ab, baß bie Angelegenheit strenge untersucht werben würde. S e i t - de tu hörte man aber von ber Untersuchung nicht das Geringste, trotzdem dem AiiSwärligen Amt seit langem besannt war, daß die Kameruner Sou- veruemeutsregieruiig den Unterzeichnern der Beschwerde- schrift den Prozeß mache. Die Nachricht von der Verhaftung der Häuptlinge befindet sich seit vier Wochen in unseren Händen. Wir zögerten mit der Veröffentlichung, weil wir eine amtliche Mitteilung erwarteten. Seit zehn Tagen find wir tm Besitz beS Telegramms aus Duala, das die erfolgte Verurteilung meldet Es ist richtig: wir wffsen noch nichts Näheres über die Gerichtsverhandlung. Aber es darf nicht wiindernehmen, wenn man in der Ocneni- lichkeit das Gefühl hat, daß es sich hier um einen Ueber« griff des Gouverneurs Puttkcunci handle. Man bedenke bie Sachlage: Die ttamrnnte'r wenden sich in einer langen, ausführlich begründeten Beschwerdefchrift ver- traitensvoll an den Reichskanzler unb bett Reichstag. Die Beschwerdefchrift richtet sich gegen Puttkamer und einige feiner Beamten. Die Beschwerdefchrift wird nun an Puttkamer zurückaegeben „zur Berichterstattung". Und ber Gouverneur hat nichts Eiligeres zu tun, als den Befchwerbefübrern ben Prozeß zu machen, sich aus eigener Machtvollkommenheit vom Verklagten zum Kläger zn erheben unb Richter zu fein in feiner eigenen Sache." Das „Frembenblatt" hat mit feiner Kritik voll - kommen recht. Aber — warum kritisiert es nur bei bet Kolonialverwaltung? Warum in bie Ferne schweifen ? Wie war es boch in Hamburg beim Fall Moraht? Wurde da nicht auch derjenige, ber eine Beschwerde, eine Anklage gegen ben Herrn Direktor erhob, inS GesäugniS geworfen, nachbem dieser Herr Direktor die Untersuchung gegen sich selbst geführt und sich selbst unschuldig befunden hatte? Unb war es nicht baS „Hamburger Frembeublatt", daS noch vor wenigen Wochen am tollsten wütete gegen die sozialdemokratischen Bürgerschaftsmitglieder, die gegen Hamburger Beamte Beschwerde erhoben? Das System, das in Kamerun geübt wird, ist echt preußisch-deutsches Gewächs, nur daß es in ben Tropen zu monströsen Formen gebeüjt. Zur Hebung der bcutscheu Kolonien ist endlich ein Schritt getan worden, der gewiß eine gewaltige Besserung der Verhältniffe herbeisühren wird. Wilhelm II. hat nämlich, wie der „Reichsanzeiger" meldet, beschloffen, den Gouverneuren ber Schutzgebiete in Afrika unb der Südjee für bie Dauer ihres Amts und ihres Aufenthalts anß::halb Europas das Prädikat Exzellenz zu verleihen. Ferner hat er für die Tauer ihrer Lerwendinig im Kolonialdienst als heimischen Rang den Gouverneuren von Deutsch-Ostafrika, Kamerun unb Sübwcstafrika den Rang der Räte erster Klasse, ben Gouverneuren von Togo unb den Schutzgebieten ber Siibsee den Rang der Räte zweiter Klasse verliehen. Dem Gouverneur beS KiaulschougebietS ist für die Dauer seines Amtes und seines Aufenthaltes außerhalb Europas daS Prädikat Exzellenz verlieben. Die „Köln. Zig." findet, daß diese Maßnahme „freudig zu begrüßen" sei. In der Tat! Da lohnt eS sich doch, ungezählte Millionen, die auS dem Schweiß des Volkes stammen, aufzuwenben, wenn man weiß, daß daburch ermöglicht ist, ein halbes Dutzenb „Exzellen - zen" mehr zu ernennen. In ein Wespennest gestochen hak Graf P o - sabowSky mit feinen Aeußerungen in ber DienStags- sitzung des Reichstages über die wachsende Genuß - sucht unb bie mangelnbeOpferfreubigkeit der besitzenden Klassen, die bei ihnen sehleude Großherzigkeit in wirtschaftlichen Dingen. Darin sieht ber Staatssekretär den eigentlichen Grund, warum die bürgerliche Gesellschaft nicht bie Kraft hat, bie Sozial - demokratie zu überwinden. 213a8 es damit in Wirklich - keit auf sich hat, haben wir im Leitartikel der heutigen Nummer eingehender erörtert. Hier interessiert uns nur die Wirkung ber Posabowskyschen Bemerkungen auf bie Vertreter ber KapitalSinlereffen. Da herrscht wegen ber Vorwürfe lodernde Entrüstung. Die unentwegt scharf - macherische „Post" bedient sich deS alten Mittels, jeden, bet bie Wahrheit sagt, zu ben Sozialdemo - kraten zu werfen, waS übrigens für letztere nur rühmlich ist. Die „Post" hält insbesondere den von Posadowsky gezogenen Vergleich der Gegenwart mit der Zeit von 1606 iür ungerechtfertigt unb meint: Damals allerdings war in die gebildeten unb besitzenden Klaffen deS preußischen Volkes eine Er - schlaffung beS Pflichtbewußtseins unb ein Verfall ber Sitten eingerifien, der den preußischen Staat mehr noch alS die Rückständigkeit seines Heerwesens dem französi - schen Eroberer zur leichten Beule werden liefe. DaS preußische unb deutsche Volk ber Jetztzeit aber zeichnet sich in seinen gebildeten Klaffen umgekehrt durch ein hohes Maß von vorwärts strebender Spannkraft und von opferwilligem Patriotismus aus, so daß es mehr als ungerecht ist. diese Schichten unseres Volkes im Vergleich zu denen anderer Nationen herabzusetzen, wie dies Gras PosadowSkv in seiner Rede getan. Damit macht man nur die Geschäfte der Sozial- demokratie auf Kosten von Kaiser und Reich, und daS ist doch gerade nicht die Ausgabe, die deutschen Staatmäniiern von GotteS und Rechts wegen gestellt ist.' ilten werden soll. Aber wiederum war eS sein des en er Ton, der ein gewiffes berechtigtes Unbebag Hervorrufen mußte. Wer wollte Kugnen, daß b Egoismus in ben besitzenden Klassen groß ist unb überwunben werben muß? Wer wollte in Auf eine HiitauSschiebung der Inkraftsetzung deS deutsch - rnssischen Handelsvertrages wird in den Kreisen ber rheinisch - westfälischen Industrie hin- gearbeitet, weil die durch bie Revolution in Rußlanb geschaffenen unsicheren Zustände auch auf wirtschaftlichem Gebiet eine solche Hinausschiebung wünschenswert er - scheinen lassen. Der „Bosi. Ztg." wird diesbezüglich auS indiistriellku Kreisen des RheinlandeS geschrieben: ~ „Die Vorgänge in Rußlanb machen es von Tag zu Tag zweifelhafter, ob es bem russischen Handels- Ministerium gelingen wird, bis zum 1. März 1906 alle Vorbereitungen zu treffen, die für das Inkrafttreten des neuen Vertrages unerläßlich sind. Wenn aber ber Termin etwa um zwei Monate hinauSgeschoben würde, so würde das für bie deutsche Sxporundustrie nur von Vorteil sein. Es ist offenkundig, daß die infolge ber politischen Wirren eingetretenen Verkehrsstörungen beut deutschen Kaufmann das Aus - stichen von Warenbestellttngen in ben verflossenen Monaten ungemein erschwert haben, ebenso wie die russtsch-n Handelshäuser dadurch vielfach verhindert wurden, ihre für Deutschland bestimmten Aufträge rechtzeitig zu er - teilen. 9inn hoben zwar die letzten Lüochen durch größere Bestellungen einen gewissen Ausgleich für biete ber deutschen Exportindustrie sehr fühlbar geworbenen Absatz - stockungen gebracht, auch darf man mit Sicherheit er= marten ball diese reaere Nachfrage auch in den kommenden — , Monaten noch andauern wird, weil einmal bie gänzlich adstriche unb sodann wurden dl« 32} Millionen für bal geräumten Lager zu gröfeeren Warenbestellungen geradezu Mililärbepartement bewilligt. für ihr Sekretariat. Ein viSchen Debatte gab es beim Militärdepartement. Der Tessiner Manzoni, der sich den beiden So» zialdemokrateit nicht angefchloffeu hat, bekämpfte bie FestungsauSgaben, bet Solothurner Vigier unb ber Kriegsminister Msilier berührten bie antimilitaristische Strömung, unser Genosse Dr. B r ü ft I e i n kon - statierte, baß bamit bie sozialdemokratische Partei als solche nichts zu tun habe, baß aber immerhin in weiten «olkskreisen Abneigung und Mißmut gegen bie Militär- lauen bestehe. Es folgten einig, kleine Renommier- nötigen unb fobann ber bemnächstige Ablauf deS alten Vertrages mit seinen günstigeren Tarifsätzen die russische GeschättsweU veranlassen wirb, sich für längere Zeit, als eS sonst üblich ist, mit Waren zu ver - sehen. Eben beshalb aber wirb bie Lage bet deutschen Erporteure in ben nächsten Monaten voraus - sichtlich eine recht schwierige werden. Schon jetzt ergibt sich in vielen Fällen bie absolute Unmöglichkeit, bie Waren so rechtzeitig zu liefern, daß sie an der russischen Zollgrenze noch zu ben bisherigen Tarifsätzen verzollt werden sönnen. Unter sw großen unserem russischen Export broheuben Gefahren haben sich daher mehrere Korporatlonen au» den Kreisen ber bergisch-märkischen Sleineifeninbuftrit, bie beim russischen Export ganz wesentlich beteiligt ist, mit bet Bitte an ben Reichskanzler gewandt, bie russische Regierung zu veranlaffen, ben Termin bes Ablaufes bes bestehenben HaiibelS- bertrageB biS zum 1. Juni 1906 zu ver - schieben.' Der Wunsch bet Industriellen, daß man auf die Verhältniffe Rußlands Rücksicht nehme, ist durchaus berechtigt Aber bie Regierung Wirb kaum bereit fein, ihn zu erfüllen, benn baS Wäre saunt anbers möglich, als daß das Inkrafttreten sämtlicher Handelsverträge enffprechend verschoben würbe, weil ja alle neuen Handels - verträge höhere Zollsätze als die alten enthalten, sämtliche VertragSstaaten aber bie Meistbegünstigung ge - nieß en, so dafe bie Verlängerung bet Gültigkeitsdauer ber jetzigen niebtigeren Zollsätze gegenüber Rußlanb auch für bie anberen Staaten in Straft treten würbe. DaS wäre nun freilich kein Unglück. Im Gegenteil, bie beutschen Arbeiter könnten nur wünschen, baß bie neuen Hanbelsverträge nie genehmigt worben wären, weil fie bie hanbelspolitischen Beziehungen erheblich verschlechtern. Aber die Agrarier brennen darauf, daß sie in bie Lage kommen, bie langersehnte Zollwucherbeute einheimsen zu können. Unb in ihren Banben liegt ja heute bie Regie - rung ganz unb gar. Deshalb werben auch bie Wünjche ber rheinischen Industriellen ebenso wenig erfüllt werben, wie bie Interessen ber Jnbufttie überhaupt in ben Hanbels- berträgen genügenbe Berücksichtigung erfahren haben. Die Bergleute tm Rnhrrcvier haben bei den Wahlen zum Berggewerbegericht die richtig« Antwort gegeben auf ben Schwindel ber Wahlen zu ben Arbeiterausschüssen. Der „alte* Bergarbeiterverbanb errang 51 ber Beisitzer, bet Gewerkverein 6, bie Pole» unb bie Zechenpattei je einen. Hechte, bie insbesonbete unsere Genossen Greulich unb Dr. Studer waren, wieder hergestellt. Ruhig unb still erledigte bie aus 165 gulbürgerlichei^Politikern bestehende Nationalratsmajoritäl in wenigen Sitzungen daS relativ große Millionenbudqet mit 121 19u000 Fr. Einnahmen mW 123815000Fr. Ausgaben,durch bieben vielen bürger - lichen Interessen allseitig befriedigend Rechnung getragen ist Der ganze Verwaltungs- und Gesetzgebungsapparat ist aus - schließlich auf bie bürgerlichen Interessen zugeschnitten unb er funktioniert so vorzüglich, man sann sagen automatisch, daß hierin bas liefe Geheimnis für bie Schweigsamkeit ber Herren liegt. Wozu sollen sie unter solchen Um - ständen lange teben? Der Bundesrat ist ber Ber- waltuiigSrat, ber seinen bürgerlichen Auftraggebern mög - lichst viele Vorteile zuzuwendeii alS seine heiligste Auf - gabe betrachtet unb sie auch erfüllt und so wie^ Schiller- Mädchen aus ber Fremde jedem Gliede des Bürgertum- eine schöne und nützliche Gabe spendet. Gar nicht ein - gerichtet ist aber dieser bürgerlich - kapitalistische Ver» ivaltiiugs- und Gesetzgebungsapparat aus die Arbeiter- interessen unb baruiii bie Nolwenbigkeit für die Arbeiter- vertreter, oft lange und viel zu reden. So erhalten z. B von den 123 Millionen Ausgaben die Bauern 3j Mill. Subventionen unb bie Arbeiter 25 OOJ FrkS. Di« agrarische „Deutsche Tageszeitung" benutzt bie Gelegenheit, bem „Magister bes Reichstage-" fein ganze- Sündenregister vorzuhalten. Sie kann e- bem Grafen Posadowsky nicht vergessen, daß er sich mehrfach im Reichstage mit besonderer Schärfe gegen agrarische Redner leroanbt habe, während er auch der äußersten Linken immer „sachliche- Wohlwollen' entgegengebracht habe. Besonder- ist eS die Art, w ie Posadowsky etwas agt, waS bem Agrarierblatt nicht gefällt. Zu bett hier in Frage stehenben Aeußerungen bemerkt eS: „Zum Schluffe feiner gestrigen Rede richtete ber Staat-sekretär beS Innern eine Mahnung an ben Reichs - tag unb an ba- Volk, bereu sachliche Berechtigung nicht Abrebe stellen, baß unser Volk einer sitiUchen unb seelischen Erneuerung bebarf? DaS finb selbstverstänbliche @ebansen — Gedanken, bie man hegt, aber gerade des - halb, weil fie selbstverständlich sind, nur ausspricht, wenn ein besonderer Anlaß dazu vorliegt. Unsere- Erachtens lag aber jetzt für einen Staatsmann kein besonderer Anlaß vor. Man kann sehr zweifelhaft sein, ob eS zweckmäßig war, solche Gedanken gerade jetzt mit bewußter Absichtlichkeit in ben Vordergrund zn rücken, wo die Sozialdemokratie offen sagt, die bürgerliche Gesellschaft müsse, sie möge sich wanbelr wie sie wolle, bet« nichtei, bie gegenwärtige StaatSregierung müsse, nach Befinben mitGewaltmitteln, umgestürzt werben. Die Gefahr liegt ungemein nahe, baß bi: Sozialbe uiokratie au8 ben an sich berechtigten Gebauten Konsequenzen zieht, bie von bem Rcbner selbstverständlich nicht gewollt wurden, für den unmittelbar bevorstehenden Kampf aber sehr be - denklich sein können.' Die „Deutsche Tageszig." gehört ja seit langem zu ben skrupellosesten Scharfmacherblättern; ihr kommt es webet auf eine hanbvoll Lügen noch auf ein erkleckliches Quantum Blödsinn an, Wenn es gilt, bie Sozialdemo - krane zu verunglimpfen. Seit in Rußland die Revolution ihren Weg schreitet unb bie deutsche Sozialdemokratie telu Hehl daraus macht, daß sie der russischen Revolution ben grünblichsten Erfolg Wünscht, ist da- Agrarierblatt ganz toll geworben unb probuziert fast täglich ben hellsten Unsinn. So auch in obigem in bezug auf bie Wanb- lungen bet bürgerlichen Gesellschaft unb bie Stellung ber Sozialdemokratie dazu. Die Wut, die durch die Zeilen zittert, zeigt aber, daß Gras Posadowsty tatsächlich, wie daS Agrarierblatt sich auSdrückt, bei den Besitzenden „in- Fettnäpfchen getreten* hat. Agrarisch« Interesse» tm preußischen Schut» gesetzentwnrf. In Preußen-Deutschland können allem Änscheiit« nach heutzutage überhaupt keine Gesetze mehr gemacht werden, ohne daß für bie Agrarier befonbere Vergünstigungen geschaffen werben, bie entweber in baren Einnahmen, in finanzieller Entlastung ober in der Stärkung ihres Einfluffcs bestehen. Die Schulgesetz- vorlage bietet ben Agrariern solche Vorteile gleich nach mehreren Richtungen. Sie schützt ben Grundbesitz vor „übermäßiger Belastung" burch die Schulkosten unb gibt auf bem Laube zugleich ben Gutsbesitzern das Herrenrecht in ber Schule. Die Vorlage nimmt als Maßstab für bie Berechnung der zu verteilenden Schullast die Einkommensteuer, einschließlich aller fingierten Normalsteuersätze unb bie vom Staal« veranlagten Realsteuern, einschließlich ber Betriebssteucr. Diese Steuern kommen voll zur Anrechnung, bie (3 r u n b ft e u c r bagegen nur z u t Hälfte. Die Vorlage gibt biefe finanzielle Begünstigung bes Grunb- besitzeS offen zu. Sie sagt: „Es ist inbeß eine über» mäfeige (!) Belastung des Grundbesitzes durch die ge - ringere Heranziehung ber Grunbsteuer bermieben.' Da bie Grunbbcsitzer sich famos barauf verstehen, ä la WangenheiN - ihr Einkommen wegznrechnen, so werden fie von den Schullasten nicht allzuviel zu tragen haben. Dafür wird, wie gesagt, das Herrenrecht ber Guts - besitzer über bie Landschulen konstituiert. In ben Guts - bezirken, bie einen eigenen Schulverbaub hüben, soll ber Gutsherr Träger ber Schullasten sein. Wenn ber Gitts- bezirk nicht vollständig in seinem Eigentum sich befindet, so sind auf feinen Antrag bie Schullasten unter bie Ein - wohner deS Gutsbeztrkes zu verteilen unb ein Statut bafür anfzustellen, das auf Antrag des Gutsherrn aber wiederum aufzuhebeu ist. In Gutsbezirken, in denen eine Verteilung der Lasten auf die Einwohner nicht statt- gesunden Hay soll dem Gutsherrn die Ver - waltung der gesamten äußeren VolkS- fchulangelegenheiten persönlich zu- stehen. Er ernennt in diesem Falle auch die Mitglieder des Schulvorstandes, unb falls der Gutsbezirk einem Gesamlschulverbande angegliedert ist, steht es ihm frei, eine den Leistungen entsprechende Anzahl von Vertretern zur Abgabe seiner Stimmen selbständig zu ernennen. Damit bie cintretenbe Nen- delastnng den Gutsherren nicht zu fühlbar wirb, sollen in ben Etat 3 Millionen Mark eingestellt unb als SlaatSzuschüsse überwiesen werden, und in ber Be - gründung des Entwurfs wird ausgeführt, haß bie Zurückziehung dieser Zuschüsse in Zukunft nur noch in außergewöhnlichen Fällen stattfinben solle. Die Guts - herren sind also gegen eine spätere stärkere Belastung damit einigermaßen geschützt. Minimalen materiellen Leistungen steht also ein dominierender Einfluß auf die Schule gegenüber. So wirb bie „Schule der Zukunft" von dem guten Willen und bem Verständnis von CAiengrafen unb Agrariern ähnlichen Kalibers abhängen. Und das nennt man in Preußen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Zivilisation I In der zweiten Kammer deS badischen Land - tages, bie am Mittwoch ihre erst« Sitzung abhielt, wurden von den Sozialdemokraten Interpellationen eingebracht über bie Fleischnot, über bie Stellung ber Regierung zu ben geplanten Reichs st euern unb über die Arbeiterkammern. — Bon Muser unb Genossen (Volkspartei) würbe der Antrag eingebracht: Die Regierung zu ersuchen, eine Vorlage zu machen, wo - durch die Ruhezeit für alle Eisenbahn- bediensteten, Beamten sowie Arbeiter ge - setzlich festgelegt wird nach den Normen in der Schweiz, ohne daß eine Reduzierung deS Einkommens eintritt; ferner 1. für die Arbeiter in staatlichen Be - trieben unb die nicht etatSmäßigen Bediensteten eint sofortige nahmhafte Erhöhung ihrer Bezüge herbei - zuführen; 2. die mehrfach zugefagte und aOfeitig als notwendig anerkannte Revision deS Gehaltstarifs ohne Verzug in Angriff zu nehmen unb mit Beschleunigung durchzusühren. — Die Sozialbe mokraten haben ferner ben Antrag eingebracht, bie Regierung um folgenb« Gesetzentwürfe zu ersuchen : 1. bett, eine TeurungS- zulage vom 1. Januar 1906 für bie unteren unb mittleren Beamten, sowie auch für bie Volksschnllehrer, 2. einen Gesetzentwurf, betr. Festsetzung ber G e m«i n b e w a h l«n auf einen gesetzlichen Ruhetag unb größere Sicherung des Wahl- geheimniffes, 3. einen Gesetzentwurf über bie Ueber« tragung ber Rechtsbefugnisse der Bürgermeisterämter an bie' Amtsgerichte und einen Gesetzentwurf über Aus - hebung der Fleischakztse. — Ein Antrag, unterschrieben von allen Parteien, geht dahin, für Arbeiter im Staatsbetriebe und für Angestellte eine namhaft« Erhöhung ihrer Bezüge und eine Gehaltserhöhung ber Volksschullehrer eintreten zu lassen. r. Aus der schweizerischen BitndeSversamm- tuiifl. Die Nachäffung der schlechten Beispiele deS Aus - landes durch bie schweizerischen bürgerlichen Politiker erstreckt sich nun auch schon auf daS schneidige Säbel - raffeln in ber „Thronrede". So gebrauchte ber ben Nationalrat mit einer Ansprache eröffnenbe Alterspräsident Dr. Bühler bie alberne Rcbewendung: „N u r mit geschliffenem Schwert an der Seite kann baS Schweizervolk als „noli me tangere“, im Vertrauen auf bie Vorsehung, ber Zukunft mit Zuversicht entgegen» sehen." Diese „Vorsehung" verdient kein Vertrauen, wenn sie daS „scharf geschliffene Schwert" notwendig macht unb wenn eS auf dieses allein anfommt, bann ist bie „Vorsehung" völlig entbehrlich. Der scharfmacherische Seelenerguß leidet an unheilbarer logischer Schwäche. Aber abgesehen davon ist solche bramarbasierende Scharf - macherei von schweizerischen Politikern einfach lächerlich. Da die Sozialdemokraten bis auf zwei aus bem Nationalrat eliminiert finb, ist der Karpfenteich ohne die