Nr. 184. 20. Jahrganq LamburgerEcho. DciS „Hamburger (Tdiu* erscheint täglich, außer Montags. SlbonuementSpreiS (intl. „Tie Nene Welt") beträgt: durch die Post bezogen ohne Bringegeld monatlich * 1,20, vierteljäkrlich * 3,60; durch die rlolporteure wöchentlich 80 A frei ins HauS. Einzelne Nummer 6 A. SonntagS-Nummer mit illustrierter Sonntagsbeilage „Die Neue Welt" 10 4 Berantw örtlicher Redakteur: Gustav WaberSkt, in Hamburg. Freitag, den 10. August 1006. lt * l'trtl'lt rocrtlcn 6ie sechsgespaltene Pelitzeile oder deren Raum mit 30 4 für den -»UlßVllJWl Arbeitsmarkt, Vermietungs- und ^amilienanzeigen mit 20 4 berechnet. Anzeigen-ülniialime in der Expedition (bis 6 Uhr iNdeudS), fit den Filialen (bis 4 Uhr Nachmittags), sowie in sämtlichen Annoncen-Bureaur. Redaktion und Expedition: Fehlandstraste 11 in Hamburg. Kickn: Lüd-Lt. Pauli bei Carl Lementzoiv, Seilerstr. 27,pt. l. 9!ord-Lt. Pauli, Cmiidbüttd, Lauqeufclde bei Carl Dreyer, Margarethenstr. 72, Sinubüttel. Hoheluft, l^ppeudorf, (Vroh-Porstel unb Wittterhude bei Ernst Großkopf, Lelmiweg 51, Eppendorf. Baruibeck, Ilhleuhorst bei Theodor Petereit, Bachstr. 12, Barmbeck. Lt. (Scorg, Hoheufelde, Porgfeldc, Hamm, Horu unb Lchiffbeck bei Carl Ortel, Baustr. 26, Borgfelde. Hamiuerbrook, ftioteuburgSort, Billwärdcr und Peddel bei Rub. Fuhrmann, Schivabenstr. 33, Hammerbrook. (Hilbeck, WaudSbeck mib Hiuscheufelde bei Franz Krüger, Sternstr. 36, Wandsbeck. Altoua bei Friedrich Ludwig, Bnrgerstr. 118, Altona. Otteuseu, Pahrcufeld bei Johannes Heine, Bahrenselderstr. 140, Ottensen. Arbeiter! ßebenft bet für ihr KMitiMcht tämpfciiöcii LWsskOeil unb Stciiibtui«! Hierzu eine Beilage. Die Volksfeinde. Den Reichstagswahlen von 1908 — falls nicht durch irgend eine „Plötzlichkeit" der gegenwärtige Reichstag vorher verschwindet — wird von Seite der bürgerlichen Parteien offenbar eine ganz be - sondere Bedeutung beigelegt. So früh wie diesmal sind diese noch niemals au die Vorarbeiten gegangen. Eifrigst wird für einen allgemeinen Zu - sammenschluß gegen die Sozialdemo - kratie gearbeitet und der famose Reichsverband hat sich schon eine Reihe von Wahlkreisen aus - gesucht, die er durch seine Düuierarbeit der Sozial - demokratie glaubt entreißen zu können. Wenn auch einzelne neunmalweise Preßlakaien der herrschenden Klassen von einem angeblichen Rückgang den Sozial - demokratie faseln, so zeigt doch das ganze Treiben der bürgerlichen Parteien, daß sie von den nächsten Wahlen einen ganz außerordentlichen Er - folg der Sozialdemokratie befürchten. Der Brotwuchermehrheit schlägt das schlechte Gewissen und die Steuerquellenfinder erkennen mit Schrecken, daß die Wähler die neuen Lasten denn doch nicht schafsgednldig hinnehmen, wie man wiederum hoffen zu können geglaubt hat. Ein national- liberaler ReichStagskaudidat plaudert auS über die katzenjämmerliche Stimmung, die sich seiner und seiner Parteigenossen bemächtigt hat. Er meint, die nationalliberalen Abgeordneten hätten für sich und ihre Parteigenossen den VorwnrfderVolks- feindlichkeit auf sich geladen. Diese „Mannes- -seele" hat unbewußt den bedrückten Massen ein Stichwort gegeben, das sich gegen Zentrum, National- liberale und Konservative, gegen Junker, Pfaffen und Bourgeois richtet! Den Natioiialliberaleu ist die Furcht vor dem bei den Wahlen in Aussicht stehenden Volksgericht so heftig in die Glieder gefahren, daß sie sich kaum mehr so doppelzüngig und dreist wie sonst gegen den Vorwurf der Volks - feindlichkeit zu verteidigen und ihren alten Phrasen - schatz hervorzuholen wagen. Pfaffen und Junker werden mit den alten demagogischen Kunststücken operieren. Wie weit diese bei dem Landproletariat unb den katholischen Arbeitern diesmal noch ver - fangen werden, steht dahin; viel Vertrauen scheinen die Herren Demagogen geistlichen und weltlichen Standes selbst nicht mehr darein zu setzen, da die Anklagen gegen die Steuerschröpf- und Brotwucher - mehrheit nachgerade von allen Seiten in Masse er - hoben werden. Die Verzweiflung an einem erfolgreichen Kampfe gegen die Sozialdemokratie hat den bürgerlichen Parteien den grandiosen Gedanken eingeflößt, früher anfstehen zu wolle» als wir. Sie wollen unter - minieren, überraschen, überrumpeln. Wir find in der angenehmen Lage, ihnen in aller Ruhe sagen zu können, daß sie damit auch keine sonderlichen Erfolge erreichen werden. Die Sozialdemokratie bei einem Wahlkampfe zu überrumpeln ist ein Kunst - stück, das heute niemand mehr fertig bringen wird. Zugegeben, daß Bismarck bei den „Angstwahlen" von 1887 eine Ueberrumpelung eines Teiles der Wähler fertig gebracht hat. Aber auch damals ver - ringerten sich mir die Mandate der Sozialdemokratie; die für dieselbe abgegebenen Stimmen stiegen um mehr als 200 000. Der plumpe Kniff Bismarcks ließ sich auch nicht wiederholen und die National - liberalen, denen die „Angstwahleu" von 1887 zu ihrem eigenen Erstaunen 99 Mandate gebracht hatten, behielten 1890 nur 42 davon. Bei Wahlkämpfen ist schlecht etwas vorhersagen, namentlich im einzelnen Falle. Aber wenn man den „Zug der Zeit" überblickt, so läßt sich mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß die nächsten Wahlen eine furchtbare Niederlage der Volks - feinde bringen werden. Alle die Reaktionäre der verschiedensten Schattierungen, Brotwucherer, Steuer- schröpfer, DahlrechtSräiiber, Kolonial- unb Flotten - fexe, Hnrrapatrioten, Scharfmacher, Ausbeuter und wie sonst noch die Träger der Klassenherrschaft in Deutschland zu betiteln sein mögen — sie haben auch die Empfindung von dem, was bevorsteht, nur daß für sie ein Schrecken ist, was uns Freude und Genug - tuung bereiten wird. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie die künftige Mehrheit aussehen wird, wäre vollkommen müßig, aber das darf man an- uebmen: In zwei Jahren werden die Hungerzölle unb die neuen Stenern die Deutschen so weit belehrt haben, daß die alte Brotwucher-Mehrheit endlich gesprengt wird. In den fünf Jahren, die bann feit ben letzten Wahlen verflossen sein werben, ist auf alle Fälle eine neue unb bebeutenbe Zunahme ber industriellen Arbeitskräfte vor sich gegangen. Die rein land - wirtschaftliche Bevölkerung bildet schon lange eine Minderheit, sie wirb noch mehr in bie Minderheit kommen. Die Landwirtschaft kann ihre Arbeits - kräfte nicht vermehren, eher werden dieselben durch den Maschinenbetrieb vermindert. Die außerordentlich starke Bevölkerungsvermehrung in Deutschland aber führt alljährlich der Industrie, dem Handel und den verwandten Betriebs- unb Erwerbszweigeu neue Massen von Arbeitskräften zu, von beiten roieberum ein großer oder der größere Teil sich direkt oder indirekt ber Bewegung ber klassenbewußten Arbeiter anschließt. ■ Diejenigen Arbeiterorganisationen, bie noch unter bem Einfluß bet herrschenden Klassen stehen, sind mißtrauisch geworden, unb wenn sie sich auch äußerlich noch nicht losreißen unb sich selb- ftönbig machen werben, so wird boch ein guter Teil bei den Wahlen den Leuten bie Heeresfolge ver - weigern, bie für neue Zölle unb Steuern bie Stimme in die Wagschale geworfen haben. Ohne Zweifel aber werben auch „christliche" unb ihnen verwandte Arbeitergrnppen den Kandidaten diesmal recht un - bequeme Bedingungen vorlegen, bevor sie ihnen die Stimme geben. Eine ungeheure Mißstimmung hat unser Volk ergriffen und sie ist täglich im Wachsen mit der steigenden Lebensmittelteurung. Sie wächst täglich mit der Fahrkartensteuer, mit ber Biersteuer und anderen Stenern. Sie wächst täglich mit ben Er - scheinungen ber Klassenjustiz und mit den immer peinlicher werbenden Einschränkungen ber persönlichen Freiheiten durch die Maßnahmen der Polizeibehörden. Sie wächst durch das brutale Vorgehen der Groß - kapitalisten ht ber Industrie, bie auf jebe selbständige Regung ber Arbeiter gleich mit grausamen AuS- sperruugeu antworten und bnrch ein solches SchreckenS- fijftem bie Organisationen ber Arbeiter zertrümmern wollen. Sie wächst infolge bes brutalen Benehmens ber Junker, deren Uebermut feine Grenzen kennt unb bie das so schwer um fein Dasein ringende Volk bei jeder Gelegenheit verhöhnen. Sie wächst auch nicht znm mindesten durch die Kolouialskandale, bei denen das Volk sieht, für welch ein System es die ungeheuren Summen aufzubriugen hat, bie ber Kolonialetat erforbert. Hnnberttauseude von Kleinbürgern unb Prole - tariern, die durch äußere Umstände verhindert sind, sich der großen Arbeiterbewegung offen anznschließen, werden einen sozialistischen Stimmzettel in bie Urne stecken, in bem Bewußtsein, ihren Drängern baniit boch zu zeigen, baß diese auch nicht können, wie sie wollen. So ist es von uns ganz gewiß keine Ueber- Ijebitng, wenn wir einen abermaligen großen Erfolg für uns erwarten; wir sehen ja die verschiedensten Faktoren vor unseren Augen dafür ziisammenwirken. Die große Arbeiterbewegung ist die einzige Hoffnung von Millionen und Aberuiillioneii Menschen, unb das ist es, was biefe Bewegung unwiberstehlich macht. Denn auch ba, wo bie Arbeiter noch so rück - ständig sind, daß sie glauben, ihnen könne unb werbe von ben herrschenben Klassen geholfen werben, ist biefer Köhlerglaube in raschem Dahinschwiiiben begriffen. Die Ilmliition in Rußland. Russischer Argwohn gegen die deutsche Regierung. Ein Petersburger Korrespondent schreibt dem „Vor - wärts" über die Stimmung des russischen Volkes gegenüber dem offiziellen Deutschland: Die Presse und die öffentliche Meinung börcn nicht aus, von der Einmischung Deutschlands und Ocnerrcich- Ilngarns in die russischen Angelegenheiten zu sprechen. Man darf sich aber wirklich nicht darüber wundern. ES ist schon kein Geheimnis in Rußland, daß, als sich die kaiserliche Dacht „Standard" 15 Tage vor der Auflösung der Reichsduma in die finländischen Scheren begab, sie den Zaren und Trcpow zu einer Zusammenkunft mit Wilhelm II. führte, der aufs entschiedenste empfahl, die revolutionäre Duma aufzulöscn, und daraus hinwies, daß in der Politik Unentschlossenheit das Schlimmste sei. Es wird in cingeweihtcn Kreisen bestimmt versichert, daß die Regierung sich erst nach der Ermunterung und nach Versprechungen Wilhelms II. entschloß, die Duma auszulöscn. Ebenso bestimmt wird behauptet, daß in Peterhof keine wichtige Bestimmung ohne Rat aus Berlin getroffen wird und daß eS unter anderem in der Stille der baltischen Gewäffer empfohlen worden sei, den Belagerungszustand in Polen einzuführen. Der Zar bai auch Knuts . atebm Bestigcruiitzt-.istaud in Polen einführenden Ukas unterzeichnet. Dieser ÜkaS wird streng geheim gehalten, und es ist jetzt dem Warschauer General-Gouverneur Skalon das Recht verliehen, nach seinem Gutdünken den Belagerungszustand zu verhängen. Kürzlich ist einem nahen Verwandten Lkalons von diesem ein Brief zugegangcn, in welchem Skalon schreibt, daß, wenn sich noch 15 Tage in Polen Anfälle auf Züge und dergleichen ereigneten, er den Belagerungszustand ver - hängen müsse. Ter Warschauer Satrap beklagt sich darüber, daß er „diese Sünde (sic!) nicht auf sich nehmen möchte", daß er aber dazu gezwungen wäre. ES ist ferner beschlossen, ganz Rußland in acht Bezirke einzuteilen und an die Spitze eines jeden Bezirkes einen General mit unbegrenzter Vollmacht zu stellen. Es sind auch für diesen Zweck ganz bekannte Scharfrichter, wie Mimt, Orlow (der Baltische), Meller- Sakomelsky, Rennenkampf, Mischtenko u. a., in Aussicht genommen. Es ist nicht schwer zu sagen, wohin diese Politik des Verwüstens und der Unterdrückung des Landes führt, und die „Ruhe", mit welcher sich die Regierung tröstete, beginnt schon zu schwinden. * Will der Zar abdankcn? Anschließend an die Gerüchte, der Zar wünsche ab - zudanken und die Regentschaft den Groß - fürsten Wladimir und NicolauS zu über - tragen, falls die reaktionären Mitglieder des Kabinetts Zugeständnisse an die Revolutionäre verweigern würden, druckt die „Pall Mall Gazette" Auszüge auS einem neulichen Brief der Zarin an ihre englischen Cousinen ab, in dem sie die Befürchtung ausdrückt, das Un - glück möchte Hereinbrechen, bevor sie Rußland verlassen könnten. Sollte das Zarentum fallen, werde die russische kaiserliche Familie nach England übersiedeln. Seit der Ermordung des Großfürsten Sergius lebe die kaiser - liche Familie in fortwährender A n g st. Außer den englischen Dienstboten traue man niemandem im Palast. Als die Zarin jüngst in englischer Sprache mit einer Hofdame über bie Vorbereitungen zu der Darmstädter Reise sprach, fand sich später auf dem Schreibtisch ein Zettel in russischer Sprache mit den Worten: „Ihr werdet Rußland nie verlassen." AuS Petersburg wird berichtet: Bei der Festnahme mehrerer Anarchisten und Revolutionäre wurden Bomben mit stark - wirkenden Sprengstoffen gefunden. Der in Kronstadt verhaftete frühere D e - mutierte bet Reichsbuma Onipko unb zwei Sozialrevolutionäre werben einem Kriegs - gerichte übergeben werben. * Fiuland. Der finische Senat hat an sämtliche Gouverneure bes Laubes den Befehl erteilt, ber „Roten Garde" bekannt zu geben, daß sie nicht länger bestehen dürfe und ihr von jetzt ab jede Betätigung untersagt iei. Ob das Erfolg baden wird, bleibt abzuwarten. Der Chef der „Roten Garde", Kapitän Kock, wird eitrig von der Polizei gesucht. Sämtliche Polizeikammeru sind von HelsingforS aus aufgcfordert worden, nach ihm zu fahnden. Die Bürgerwehr, die „F l e i s ch h a u e r g a r d e", hat ihre Tätigkeit eingestellt, wie sie bekannt gab, weil Militär zur Unterdrückung der Unruhen herangezogen wurde, was durch ihr Eingreifen verhindert werden sollte. Kapitän Kock hat sich in einer Unterredung dahin geäußert, daß der Aufruhr in Sveaborg infolge nicht vorauszusehender Umstände zu früh ausgebrochcn sei. Er selbst habe sich dann verpflichtet gefühlt, den Massenstreik zu proklamieren. Sonst hätten die russischen Revolutionäre denken können, ihre finischen Brüder seien, nachdem sic für ihr eigenes Land, gestützt auf die Revolution in Rtißland, Vorteile erreicht hätten, im stände, Verrat an ihnen zu üben. „Hätte nicht die Bürgerwehr eingegriffen, so halten wir", meinte Kock, „die Stadt bald in unserer Gewalt gehabt, unb das wäre das Zeichen zu einer allgemeinen Erhebung im ganzen russischen Reiche gewesen." — Wie es in dem Bericht, den Stockholms „Social-Democralen" von ber Unterrcbinig gibt, heißt, ist man auch in ganz Finlcmb ber Meinung, baß, wenn die Konstitutionellen sich nicht eingemischt hätten, jetzt Überall die rote Fahne wehen würde. Von der Weltbühne. Podbiclskis Rechtfertigung, bie ber Seherische „Lokai-Auz." imte-nahm, wird allgemein als sehr miß - glückt betrachtet. Die „Germania" z. B. erklärt dazu: „Diese Darlegung bes Herrn Ministers v. Pobbielski erscheint uns weder erschöpfend, noch auch geeignet m sein, als eine volle Rechtfertigung zu dienen. . . . Wir haben früher bereits auf jetzt noch bestehende Verbindungen deS Herrn v. Pobbielski zu der Firma TippelSkirch hingewiesen, z. B. auch auf das Immobilien-Syndikat; aber da - rüber erhalten wir in ber „Darlegung" des „Berliner Lok.-Anz." nicht ben geringsten Aufschluß, nicht einmal eine Andeutung von dem Bestehen dieses Syndikats. Daß ihre Exzellenz die Fra u v. PodbielSki eine so tüchtige „Geschäftsfrau" ist, um ihre Teil - nahme an einem so großen Unternehmen ohne jede Beihülse ihres Herrn Gemahls so geschickt kaufmännisch und mit so gutem finanziellen Erfolge zu verwerten, gereicht der Exzellenz gewiß zu großem — Nutzen. Herr v. Pobbielski hat auch wohl — allerbingS erst im Jahre 1900 und nicht schon zu ber Zeit, wo er im Jahre 1897 Minister würbe — die Gütertrennung nicht des - halb eintreten lasten, weil er etwa befürchtete, die ge - schäftlichen Verbindungen feiner Frau könnten vielleicht zu einem Vermögensverfall führen. E s i ft ja auch dafür gesorgt, daß bie Frau v. Pobbielski ihre V e r b inb l i ch ke i I c n im Jahre 1 908 lösen kann und bis dahin läuft ja doch der Monopolvertrag mit der Firma TippelSkirch, der sicheren und großen Gewinn liefert. Diese „Gütertrennung", auf welche Herr v. PodbielSki sich beruft, wird in weilen Kreisen des Volkes doch nicht die günstige Deutung finden, die Herr v. PodbielSki sich davon zu versprechen scheint. Man wird schließlich wohl auch fragen, wie hoch sich denn jetzt der Anteil bezw. der Gewinn ber Frau v. Pobbielski ans ihrer Verbinbung mit der Firma TippelSkirch beläuft." DaS ist bentlich genug. Aber Ehren - Pob hat Nerven wie Schiffstaue. Ihn bringt nichts aus der Ruhe, „so lang baS Gelb im Kasten klingt". In jebcm anbertt Lande wäre dieser Minister längst unmöglich geworden. Aber in Preußen-Deutschland lacht bet ge- schSstskunbige Schweinezüchter unb Vertreter seiner Frau bei ber TippelSkircherei alle Kritiker aus. ES geht rasch vorwärts im Reich der Gottesfurcht und frommen Sitte unter dem Dreigestirn Absolutismus- Kapitalismus-Agrariertum. Vom „Konto K" bis zur Affäre Fischer-Tippelskirch reiht sich Skandal an Skandal, und Panama ist längst übertroffen. Die Einigung der bürgerlichen Parteien zur ReichStagSersatzwahl int Wahlkreise Döbeln ist nach übereinsttminender Mitteilung der „National-Zeitung" und der „Deutschen TageSzettung" zu stände gekommen. „Die Vertreter der konservativen, freisinnigen, national- liberalen, deutschsozialen Reformpartei, sowie der Bund der Landwirte haben den e i n st i m m i g e it Be - schluß gefaßt, den früheren nationalliberalen Abgeordneten von Leipzig-Stadt Prof. Dr. Hasse als gemeinsamen Kandidaten auszustellen. Haste hat die Kandidatur an - genommen." Die „National-Ztg." hofft von diesem ^Zusammen- schließen des gesamten Bürgertums", daß es „nunmehr gelinge, der Sozialdemokratie den Wahlkreis zu ent - reißen". Die „Deutsche TageSzig." hofft das natürlich auch, zumal ihr die Kandidatur Haste ganz sympathisch sei. Aber vorsichtig bemerkt sie, ob diese Kandidatur zweckmäßig, könne erst der Wahltag lehren. Der wird nach unserer Ueberzeugung die büraerlichen Parteien über die Nutzlosigkeit ihres Zusammenschlustes belehren. Zur Immunität der ReichStagSabgcordnetcn. In der Untersuchungssache wegen Verletzung ber Amts - verschwiegenheit, bie gegen einige Beamte deSKolouial» a m t e 5 angestrengt würbe, ist jetzt auch bem Genossen Lededonr eine Vorlabung zur Vernehmung als Zeuge ziigegangen. Da Lebebour fich zur Erholung in der Schweiz aufhält, konnte er ber Vorlabung nicht Folge leisten, hat aber, wie er dem „Vorwärts" mitteilt, dem Untersilchnngsrichter angegeben, an welchen Tagen im September ober im Oktober er zur Vernehmung dis - ponibel sein würde. Anknüpsend daran hat unser Ge- uoffe dem Untersuchungsrichter dann noch folgmdes ge - schrieben : „Gleichzeitig gestatte ich mir aber die folgenden Bemerkungen Ihrer Erwägung anheimzustellen. Mir würde es an sich völlig unerklärlich sein, worin der Anlaß zu meiner Vorladung als Zeuge in einer „Strafsache gegen Goetz und Genosten wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses" zu suchen ist. AuS den Zeitungen habe ich jedoch er - sehen, daß in dieser Sache bet Herr Reichstagsabgeorduete Erzberger als Zeuge vorgeladen und dabei einem Ver - fahren unterworfen wurde, das auch ich als eine Ver - letzung der Abgeordueten-Jmmunität auffaste. ES liegt daher die Vermutung nahe, daß es sich bei der an mich ergangenen Vorladung um einen Versuch handelt, jenes Verfahren aufs Geratewohl auch auf andere ReichStagS- abgeorbnete auszudehnen, die koloniale Angelegenheiten int Reichstage behandeln. Ich halte eS deshalb für zweckmäßig, um Ihnen und mir selbst eine überflüssige Blühe zu ersparen, von vornherein zu erklären, daß ich es gnmdsätzlich ablehnen würde, mich überhaupt auf eine Vernehmung einzulasten, bie sich auf die Wahrnehmung meines Mandats als Reichstagsabgeordneter bezieht, da ich durch jedwede Konnivenz gegen eine solche Zumutung meine Pflicht gegenüber dem Reichstage, besten Im - munität jeder einzelne Abgeordnete zu wahren hat, gröb - lich verletzen würde." Dio PrrfaffungSwidrigkett ber Fahrkarten- stener stellt die „Vvst. Ztg." fest. In der deutschen Reichsverfastung versprach der Artikel 45: Das Reich „wird namentlich dahin wirken, daß die möglichste Gleich - mäßigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt werde". Trotzdem hat man nun gerade von Reichs wegen eine Tariferhöhung vorgenommen; ber Verfassung-artikel aber bleibt auch nach dieser loyalen Berücksichtigung unverändert bestehen. Selbst der kon - servative Abgeordnete Diettich sand im Reichstag ein solches Vorgehen illoyal und bedenklich. Die spitzfindige Sophisterei, hier liege keine Tariferhöhung, sondern nur eine Steuer oder ein Stempel auf bie Fahrkarte vor, ist hinfällig, denn die Fahrkarte ist ein Objekt int Herstellungs - werte von etwa 0,3 bis 0,5 4, und daraus einen Reichs - stempel von M>. 8, d. h. vom ItiOOfadjen Werle anzusetzen, wäre sinnlos. Die Fahrkartensteuer ist ein Tarifzuschlag, eine Tariferhöhung, verschieden abgefiuft nach dem Fahr - preise, folglich auch keine Steuer auf die Fahrkarte als solche, die ihren Material- und Kartenwert je nach dem Fahrpreise durchaus nicht ändert. Deshalb iß die Fahrkartensteuer verfassungswidrig. Das Reich hat eine Fahrkartensteuer, amtlich Reichöstempel genannt, eingeführt, in Wirklichkeit aber eine Tarif - erhöhung vorgenommen. Welchen inneren Grund sann man dafür, außer der PluSmacherei, anführen? Für die vorliegende Steuer in der jetzigen Form gar keinen. [8J (Nachdruck verboten.) Hans im Glücke. Roman von Henrik Pontoppidan, Uebersetzerin Mathilde Mann. 2. Kapitel. Einer von den bekanntesten unb geartetsten Bewohnern von Nyboder zu ber Zeit, von der hier bie Rede ist, war ber alte, pensionierte Oberboots - mann Olufsen in ber Mclissenstratzc. Jeden Vor - mittag, wenn bie Turmuhr ber St. Paulskirche elf schlug, konnte man seine hohe, magere, ein wenig gebeugte Gestalt aus ber niedrigen Türe des kleinen, zweistöckigen Hauses treten sehen, dessen obere Wohnung er bewohnte, unb einen Augenblick blieb er auf dem Bürgersteig stehen, um auf «eemannsart zu den Wolken emporzttsehen und den Blick über die Dachfirste wie über die Takelage eines Schiffes laufen zu lassen. Er trug einen etwas verschossenen Ueberrock, in dessen Knopfloch man ein breites Dannebrogband sah. Aus dem weißen Kops hatte et einen grauen Zylinderhut, und an her linken Hand, mit der er sich auf seinen Regenschirm stützte, einen alten, schrumpeligen Glaeehandschuh. Den rechten Arm auf den Rücken gelegt, trippelte er bann langsam unb vorsichtig bie unebene Fliesen - reihe entlang. Gleichzeitig ward feine Frau in dem Spion oben vor dem Fenster sichtbar, von wo aus sie ihn mit den Blicken verfolgte, bis er glücklich über den tiefen Rinnstein an der Ecke der Elenntier- sttaße gelangt war. In einer gclbgcblümten Nacht - jacke und mit einer Papillote aus Zeitungspapier vor jedem Ohr stand sie da oben und genoß den An - blick seiner wohlgepflegten Person mit einer stolzen Selbstzufriedenheit, als fei er ganz und gar ihr eigenes Werk. In dem Augenblick, wo der Oberbootsmann an der Nyboder Wache mit bem hohen Galgen, an dem die Alarmglocke hing, borübertam, nahm er den Regenschirm in. ^'Erachte Hand, unt mit der liirfcx grüßen zu können, falls jemand von der Wachtmann- fchaft ihm militärische Ehren erzeigen sollte — etwas worauf er großen Wert legte und was er fich immer ganz genau merkte. Dann bog er in die Kamelstraße ein unb nahm die Richtung nach dem Amalienborger Schloßplatz, wo er sich täglich zu dem Glockenschlag einfand, an dem die Wachtparade auf - zog. Wenn er die Musik eine zeitlang angehört hatte, ging er zurück über die Große Königsstrahe und durch die Bürgerftrahe und weiter in die Stadt hinein. Hier, wo er sich außerhalb seines ehemaligen Machtgebietes befand, wo ihn niemand als Ober- beotSmann, Olufsen kannte, ber ben Dannebrogorden au? bes Königs eigener Hand erhalten hatte, kurz, wo er ein ganz gewöhnlicher Spaziergänger war, dem die Leute ungestraft gegen den Ellenbogen rennen konnten — hier sank er unwillkürlich ein wenig mehr in Rücken und in den Knien zusammen, während er etwas ängstlich auf seinen schmerzenden Füßen zwischen den eilig vorüberstürzenden Menschen hahinhumpelte. Weiter al? bis an die Kaufmacher- straße ging er niemals. Was jenseits dieser Straße lag, war für ihn nicht das richtige Kopenhagen, sondern eine Art Vorstadt, die so abgelegen war, daß er nicht begreifen konnte, wie jemand dort wohnen wollte. Die Adel- und die Bürgerstraße waren in seinen Augen die Hauptadern der Stadt: und im übrigen war eS die Gegend um bie Grünestrahe, die Schwärzc- straße unb die Regenstrahe zusammen mit der Zoll- bnde unb dem Werder, die seine Welt bildeten. Wenn er stuf seinem Spaziergang bis zu dem letzten Bürstenbinder in der Antonigasie gelangt oder in Mamsell Jordans Leihbibliothek in der Schinder- straße gewesen war, um ein Buch für seine Frau umzutauscheii, kehrte er um unb ging nach Hause. Gewöhnlich währte es jedoch noch ein paar Stunden, bis er wieder in der Melissenstraße an - langte. 69 war nämlich seine Angewohnheit, fich an alle Stxahenecken zu stellen, um ine hier zu- sammenflietzenden Ströme von Menschen und Wagen zu beobachten. Ilameiitlich hatte er trotz seiner 80 Jahre und seiner Leckaugen einen weitsckmuenden Blick für alle Dienstmädchen und namentlich für solche, die mit bloßen Armen gingen. Geschah es, daß eine von ihnen im Vorübergehen dicht an ihm vorbeistrich, so flüsterte er ihr irgend eine Liebes - erklärung zu und eilte dann, gesenkten Hauptes, kichernd davon. Hierzu kam noch, daß er notwendigerweise auch noch einen Augenblick vor den Ladenfenstern stehen bleiben mußte, um die ausgestellten Waren zu be - trachten und sich die Preise einzuprägen, von den llnterbekleidungsgegeiiständen des Wollwarenhänd - lers an bis zu den Diamantgeschmeiden des Gold - schmieds — nicht weil er die Absicht gehabt hätte, gelegentlich einen Einkauf von diesen Dingen zu machen (daran war er schon allein durch den Ilm- stand verhindert, ^aß seine Frau, die seine Schwäche für das weibliche Geschlecht kannte, ihm niemals den Verkehr mit Geld anvertraute), aber mit seinen leeren Taschen gewährte es ihm eine Befriedigung, in die Läden zu gehen unb sich an der Höflichkeit der Geschäftsleute zu weiden, sich die verschiedenen Waren vorlegen zu lassen, nach dem Preise der kost - barsten zu fragen und dann mit dem Bescheid weiter - zuhumpeln, daß er „von sich hören lassen werde". Den Nachmittag verbrachte der Oberbootsmann daheim in seiner Wohnstube — „dem Saal", wie dieser Raum in der Nyboder Svrache hieß — einem kajütenähnlichen, niedrigen Zimmer mit einer Reihe kleiner Fenster nach der Straße hinaus. Hier saß er in Hemdsärmeln, die Mütze auf dem Kops, an einem der Fenster unb beobachtete stundenlang die Scharen halbzahmer^Kräben draußen aus den An- lagen, die auf dem Dachfirst der gegenüberliegenden Häiuser krächzten ober unten auf dem Pflaster um die Kehrichteimer, die zu dieser Zeit des Tages noch vor allen Türen der stillen, leeren Straßen aufge- stellt standen, Krieg führten. Hin unb wieder zog fich eine förmliche Haut über feine verblichenen Augen, der Kopf sank dann langsam auf bie Brust und der Mund rundete sich. „Nun sitzt Du wieder da und kochst Erbsen, Vater!" sagte seine Frau, auf ein eigenartiges Brummen anspielend, das ber Oberbootsmann von sich gab, wenn der «chlaf im Begriff war, ihn zu übermannen. Sie hatte ihren festen Nachmittags- platz auf einem niedrigen Stuhl an dem Ofen, wo sie saß und strickte, indem sie gleichzeitig in einem zerlumpten Roman las, den sie vor sich auf ben Knien liegen hatte, und dessen Blätter sie mit dem Ellenbogen umwendete, um ihre Strickerei nicht zu unterbrechen. In dem Nebenzimmer nach dem Hofe hinaus, zu bem bie Türe offen ftanb, pflegte ein junges, blondes Mädchen, die Pflegetochter Trine, zu sitzen und zu nähen. Ta drinnen im Fenster stand ein Bauer mit einem Kanarienvogel, der au seinem Stock hüpfte. Madam Olufsen war beinahe ebenso groß wie ihr Mann, hatte dazu eine Gestalt wie ein Garde- kavalierist, ja sogar eine Andeutung von einem grauen Schnurrbart auf der Oberlippe. Wenn sie am Vormittag in ihrer großgeblümten Nachtjacke unb ihren Papilloten aus Zeitungspapier umher- ging, war sie nicht anziehend: wenn sie aber nach Tische das Schnürleibchen und ihr schwarzes Merino- kleid angezogen und ihren halbkahjen scheitel unter einer beränberten Haube verborgen hatte, aus der jetzt sorgfältig geordnete Löckchen an den Schläfen hervorgucillen, und sich beinahe kokett von den völlig verblühten Wangen abhoben, so konnte man sehr wohl verstehen, was sich die Bewohner von Nyboder von ihrer einstmaligen Herrlichkeit erzählten. Es war überhaupt ein schönes Paar gewesen, sie und der Oberbootsmann. Und auch ein glückliches Paar Ivar es gewesen. Wenn auch der Oberbootsmann das sechste Gebot nicht immer ganz strenge gehalten hatte, so war dafür die Madam um so treuer für sie beide gewesen, obwohl es ihr in ihren jungen Jahren nicht an Versuchern gefehlt hatte. Wenn man dem Gerücht Glauben schenken konnte, so hatte sogar einer der Prinzen des Hofes, der immer auf :Haub nach jungen Nyboderfrauen ausging, deren Männer sich auf der großen Reise befanden, ihr eines Abends an der Ecke der Hafen- straße aufgelauert und ihr, nadjbem er sich ihr zu er - kennen gegeben, ein galantes Anerbieten gemacht. Sie hatte einen Knicks gemacht unb die Augen nie - dergeschlagen und war ihm dann schweigend in eine der dunklen, einsamen Alleen hinter dem Wall ge - folgt. Aber hier in der Einsamkeit hatte sie plötzlich die kleine, welke Hoheit übers Knie gelegt unb ihm aus Leibeskräften eine Tracht Prügel verabfolgt, die nicht die erste Züchtigung war, die ihm eine gekränkte Nyboderfrau hatte zu teil werden lassen, sicher aber die kräftigste. Das mitbürgerliche Ansehen, dessen sich die? alternde Ehepaar erfreute, war also alten Datums, und ihr Haus war noch immer ein beliebter Sammelplatz für verschiedene von den Standes - personen Nyboders. In nicht vielen Nyboderhäusern entfaltete sich eine Geselligkeit wie bei den beiden Alten in der Meliffenstraße. Außer den gewöhn- lieben Kirchenfesten unb den sogenannten Buß- und Bettagen, bie überall in ber Ehristenheit mit fetten Speisen unb warmem Punsch festlich begangen werden, feierten sie eine unendliche Reihe von Familien- ereign nfen und jährlich wiederkehrenden Gedenktagen privater Natur. Da war zum Beispiel der Jahres - tag von des Kanarienvogels Peters Einverleibung in die Familie; da war bas Erinnerungsfest für die große Zehe des Oberbootsmannes, die einmal vor vielen Jahren wegen Knochenfraßes abgenommen war. Vor allen Dingen aber ioar da Madam Olufsens Schröpftag, ber bei Herannahen bes Früh- lings etnttaf, wenn Wärme in bie Luft kam, und ber durch ein Schokoladenfrühstück für den die Operation ausführeuden Barbier cingeleitet wurde. G?ortf«6ung folgt.)