Nr. 163. Dienstag, den 16. Inti 1967. 21. Jahrgang. Hamburger Echo. Tas „Hamburger Mo* erscheint täglich, außer Montag?. Slbonnementspreis (intl. „Tie Neue Welt") durch die Post bezogen ohne Bringegeld monatlich x 1,20, vierteljährlich x 3,60; durch die Kolporteure wöchentlich 30 4 tret tn? tzau^- Einzelne Nummer 5 4 Sonntags-Nummer mit illustrierter Sonntagsbeilage „Tie Neue Welt" 10 4. Kreuzbandsendungen monatlich x 2.70, sür das Ausland monatlich x 3,50. Redaktion: _ „„ Expedition: Fchlandstraße II, I. Stock. vaillvUrg •>'> Fehlandstraße II, Erdgeschoß. Verantwortlicher Redakteur: Karl Petersson in Hamburg. Anzeigen die sechsgespaltene Petit,eile oder deren Raum 85 4. Rrbeitsmarkt, Vermietung««, und ^amilienanzeigen 20 4. Anzeigen Annabme Fehlandftr. 11. Erdgeschoß (bis 5 Uhr Nachmittags>, in den Filialen lbtS 4 Uhr Nachm.», sowie in allen Annoncen-Bureaux. Platz, u. Datenvorschriften ohne Verbindlichkeit. Reklamen im redaktionellen Teil werden weder gratis noch gegen Entgelt ausgenommen. Buchhandlung und Buchdruckerei-Kontor: Fehlandstr. 11, Erdgeschoß. Filialen: St. Pauli bei Heinr. Koenen, Sophienstr. 44. Eimsbüttel, Langenfelde bei Carl Dreyer, Fruchtallee 42, Eimsbüttel. Hoheluft, Eppendorf, Groß-Borstel und Winterhude bei Ernst Großkopf, Lehmweg 51, Eppendorf. Barmbeck, Uhlenhorst bei Theodor Petereit, Bachstr. 12, Barmbeck. St. Georg, vohenfelde, Borgfelde, Hamm, Horn und Schisfbeck bei Pari Ortel, Baustr. 26, Borgselde. Hammerbrook, Rotenbnrgsort, Billwärder und Bcddel bei Rud. Fuhrmann, Schwabenstr. 33, Hammerbrook. Eilbeck, Wandsbeck, Hinschenfelde und Ost-Barmbeck bei Franz Krüger, Kurze Reihe 34, Wandsbeck. Altona bei Friedr. Ludwig, Bürgerstr. 118. Ottensen, Bahrenfeld bei Joh. Heine, Bahrenselderstr. 129, Ottensen' Hierzu eine Beilage. Der Polizeistaat. Die im Auslande lebenden Deutschen sehen meist das Deutsche Reich in viel vorteilhafterem Lichte, als wir, die wir innerhalb desselben leben; aus der Ferne erscheint ihnen manches gut und zeitgemäß, was es nicht ist, und manche Schattenseiten unserer Zustände bleiben ihnen vollkommen verborgen. Mt besonderem Nachdruck pflegen sie zu betonen, daß der Deutsche im Auslande sich sicherer fühle, seitdem er wisse, daß ein großes und mäch» tiges Staatswesen die schützende Hand über die Interessen seiner Angehörigen halte. Die Großbourgeois der Handelswelt sind heute noch entzückt davon, daß das Deutsche Reich als inter - nationaler Gerichtsvollzieher ausgetreten ist und die Ausstände deutscher Kapitalisten in Hahti eingetrieben hat. Andere deutsche Kapitalisten möchten am liebsten gleich die deutsche Schlachtflotte zu Demonstrattonen benutzen, wenn irgend ein verschuldeter Staat mft der Zinsenzahlung an seine deutschen Gläubiger nicht pünft- lich ist. Graf Caprivi hat diese zudringlichen Leutchen einst gebAjreud herabgestimmt; in neuerer Zeit, nach der Hayti-Affäre, scheint chnen der Kamm aber wieder geschwollen zu fein. Indessen sind die im Ausland lebenden Deutschen nicht lauter Kapitalisten und leicht kann ihnen die Erfahrung beschieden werden, daß die vielgeriihmte Sicherheit, die ihnen durch den Bestand des Deutschen Reiches garantiert sein soll, nur eine trügerische ist. Schon die Isolierung, in welche das Deutsche Reich durch seine verfehlte auswärtige Politik gedrängt worden ist, kann unter Um - ständen diese Sicherheit illusorisch machen. Aber wenn man verlangt, daß die Deutschen im Auslande gut und gerecht behandelt werden, so ist dafür die erste Be- dingung, daß den Ausländem, die sich im Deutschen Reiche zeit- wellig oder ganz niederlassen, die gleiche Behandlung wider- fährt. Da muß man nun konstatieren, daß sich unzweifelhaft ein auffälliger Unterschied bemerkbar macht. In den westlichen Staaten Europas, Spanien vielleicht aus - genommen, kann sich der Polizeigeist nicht mehr so breft machen, wie anderwärts. In England, wo das Volk stolz ist auf die den Ausländern gewährte Asylffeiheit, kennt man gar nicht die Scherereien mit Legitimationen und Pässen, wie sie anderwärts noch üblich sind; in Frankreich und Italien ist der Polizeistaat zwar noch nicht überwunden, aber er ist doch wesentlich zurückgedrängt. In ungetrübter Pracht besteht er aber in Rußlaiw, in der Türkei und im — Deuffchen Reich. Der deutsche Reichsbürger muß es Wjpüreu, waZ bes, uvA sich die Polizei noch alles heraus- nehmen kann. Und diese ÜDäfere ist nicht etwa in der Abnahme, sondern in der Zunahme begriffen. Was nun die Behandlung von Ausländern anbelangt, so erinnern wir an die unzähligen Ausweisungen, die feit dem Bestand des Deuffchen Reiches über Ausländer verhängt worden sind. Jeder Ausländer, der sich der Polizei „lästig" macht, kann ohne weiteres ausgewiesen werden. Daß die Begründung der „Lästigkeit" der Polizei nicht schwer fällt, braucht nicht besonders bewiesen zu werden. In welchem Umsang im Deuffchen Reich die Ausweiserei von Ausländern betrieben wird, mag durch folgende Ziffern der offiziellen Statistik bewiesen werden: 1903 wurden ausgewiesen 510 Ausländer, darunter 11 Familien mit 37 Personen; 1904 wurden ausgewiesen 565 Ausländer, darunter 8 Familien mit 25 Personen; 1905 wurden ausgewiesen 619 Ausländer, darunter 1 Familie mft 9 Personen. Zu gewissen Zeiten mögen die Ausweisungen weit zahlreicher gewesen sein, namentlich im Anfang der 80er Jahre, Äs Bismarck und Puttkamer die massenhaften Polenausweisungen verhängten und durch ihre Soldschreiber den Reichstag, der sich dem wider - setzte, als „polnischen" Reichstag bezeichnen ließen. Man denke nur an die vielen Ausweisungen in Schleswig-Holstein und in Elsaß-Lothringen! Rußland ausgenommen hat kein anderes Land die Ausländer so massenhaft von s-einem Boden Vertrieben, wie das Deutsche Reich. In neuerer Zeit haben die Ausweisungen noch bedeutend zu - genommen durch das Vorgehen der Polizei gegen die Russen, welche in Deutschland eine Zuflucht gesucht haben. Der Jubel, womit bornierte Spießbürger und unreife Studenten das Vor - gehen der Polizei begrüßten, kann im Auslande nur Erbitterung erregt haben. Mit dem Vorgehen der Nordamerikaner gegen die Einwanderer können diese Ausweisungen nicht verglichen werden. Tie Union erschwert die Einwanderung aus wirtschaftlichen Grimden. So sehr wir das Vorgehen der Union verwersen, so wenig wollen wir vergessen, daß deutsche Behörden seinerzeit alles nach Amerika abschoben, was ihnen unbequem schien. Damit ist der erste Anstoß zu Rlaßregeln der Union gegen die Einwanderung gegeben worden. Die Ausweisungen, wie sie int Deutschen Reich gebräuchlich find, erschweren die Position der Deutschen int Auslande. Sie können Repressalien ausländischer Regierungen Hervorrufen; sie machen aber den Deutschen im Auslande verhaßt, weil man ihn für die Taten seiner einheimischen Polizei veranlworllich macht. Wenn bann eine solche Stimmung irgendwo sich in unangenehmer Weise fühlbar macht, können das unsere dickköpfigen Pawioten gar nicht begreifen. Die Liebedienerei des deutschen PolizeistaÄes gegenüber dem Zarentum ist bekannt. Aber die Russen find es nicht allein, welche unter diesem Polizeistaat zu leiden haben. In Elsaß- Lochringen ist jüngst ein Ausweisungsbefehl an zwei junge Franzosen ergangen. Derselbe lautete einfach: „Auf Befehl der Kreisdirettion haben Sie binnen acht Wochen das Land zu ver - lassen, wenn Sie sich nicht sofort naturalisieren lassen wollen." Ein Elsässer Blatt bemerkt mit Recht: „Was würde wohl die „patriotische" Presse in Deutschland sagen, wenn die 60 000 Deutschen, die in Paris leben, von den französischen Be- Hörden so behandelt würden?" — Gambetta HÄ bekanntlich 1870 alle Deutschen aus Frankreich ausweisen lassen. Aber wenn man das auch nicht rechtfertigen kann, so geschah es doch immerhin während eines Krieges, der die höchste Erbitterung erreicht hatte, und das ist etwas anderes. Diese Maßregelungen im Elsaß geschehen nun, während in Berlin sich französische und deutsche Diplomaten mit einander über die Möglichkeit einer deuffch-sranzöfischen Annäherung unter - halten. Die Franzosen werden ihr Teil baritber beulen. Diese Erscheinungen sind eben fein Zufall. Das Deutsche Reich ist von einem märkischen Vollblutjunker gegründet worden, der als Staatsmann der alten Schule die verrotteten Anschau - ungen des Äten Bundestags mit herein brachte, so sehr er diesen Bundestag bekämpft hatte. Bismarck mußte einige Konzessionen an die Zeit machen; im übrigen hat er dafür gesorgt, daß der Polizeistaat im Reiche erhalten blieb und der servile und feige Liberalismus, der das hätte verhindern können, ließ es geschehen. Hätte Bismarck gesonnt, wie er wollte, so wären alle die Paß- scherereien der vomiärzlichen Zeit wieder auf gelebt; seine Sehn - sucht darnach tat sich kuiw, als er während des Sozialfftengejeves in Berlin den Paßzwang einftihrte und als er später an der Westgrenze die Reisenden mit dieser Maßregel quälte. Wie das den Deutschen im Auslande besam, darauf wurde nicht die mindeste Rücksicht genommen. Im übrigen besteht in Preußen auch noch das Gesetz vom Jahre 1842, auf Grund dessen, ttotz der Freizügigkeit, auch bestrafte Staatsbürger und Reichsangehörige auf den Schub gebracht werden können. Das „Sicherheitsgefühl" der Deutschen im Auslande kann also nur ein relatives fein. Der Polizeistaat ist eine Schöpfung des Junkertums und wir werden ihn nur mit diesem selbst los werden. Dann erst werden die Beziehungen zu anderen Völkern auch offiziell zeitgemäß geregelt werden können. Politische^teberstcht. Die Blockbrüder unter sich. Die „Frankfurter Zeilung" brachte dieser Tage eine pikante Ge - schichte von einer politischen Unterhaltung zwischen dem Reichskanzler und einigen Mitgliedern der Blockparteien. Als Fürst Bütow dabei einem süddeutschen demokratischen Abgeordneten seine Ideen über die konservativ-liberale Blockpolitik entwickelte, soll ihn der betreffende Abgeordnete mit der Frage unterbrochen haben, welche positive gesetz - geberische Maßnahmen er vorzuschlagen' gedenke. „Ach so," meinte der Reichskanzler, „Sie wollen nicht bloß die Speisekarte sehen, es soll auch bald die Suppe aufgetragen werden." „Ganz richtig, Durch - laucht, die Suppe und dann auch bald das Fleisch." Na, bis zu diesem Schmaus hat es wohl noch gute Wege. Noch ist nicht einmal die Speisekarte festgesetzt und schon umstehen die Block - brüder die Tafel, um, so bald ausgetragen werden sollte, nicht zu kurz zu kommen. Die Liberalen beanspruchen natürlich Bevorzugung. Dafür erteilt ihnen die „Kreuzztg." folgende Zurechtweisung: „Mit der Suppe ist der Liberalismus gewiß nicht zufrieden, und m bezug auf die Fleischspeisen dürste er sich recht gewählt geigen, ja vermutlich eine Kost beanspruchen, die den übrigen Block- genosse», einschließlich den Nationalliberalen, nicht konvenieren würde. Tas ist nach unserem Tasürhalien ein sehr ungeschicktes Verfahren. Der Liberalismus kann unmöglich daran denken, daß es ihm gestattet jan würde, sich allein an die gefüllte Schüssel zu setzen und sie zu leeren, während die anderen, die ja bei der Füllung der Schüssel mitwirken müssen, zusehen könnten' Blockpolitik kann nicht einseitig liberale Politik sein; wer die Sache so aussaßt, täuscht sich." _ Diesen Bemerkungen tritt die „Freisinnige Zeitung" entgegen. Sie schreibt, daß Blockpolitik auch nicht einseitige konservative Politik sein solle. Die Konservativen hätten Jahrzehnte allein an der geiüllten Schüssel gesessen und nicht einmal die Nationalliberalen mit» essen lassen. Das soll nun nach dem Wunsch des freisinnigen Blattes anders werden: „Tie Konservativen geben sich einer bedenklichen Selbsttäuschung hin, wenn sie annehmen, daß dieser Zustand auch in Zukunst ausrechterbalten bleiben kann. Sie werden sich an den Gedanken gewöhnen muffen, daß das liberale Bürgertum in Stadt und Land, die liberalen Anschauungen, einen Anspruch auf größere Geltung haben, als sie zur Zeit besitzen. D i e Konservativen werden sich auch darein finden müssen, daß die Liberalen diesen Anspruch jetzt voll zur Geltung bringen werden." Das Blatt verlangt der „Kreuzzeitung" gegenüber eine „liberale Richtung in der Gesetzgebung". So setzt es Tag für Tag Streitigkeiten ab in der Presse der Blockparteien; sie stehen unter einer starken politischen Depression; ihre Saaten wollen nicht zur Reise kommen. Unglaubliche Naivität. Seit den schönen Tagen der Blockgründung und seit der Auf - nahme unter die Bülow-Lssiziösen ist die demokratische „Franks. Ztg." zu einem Grad von Naivität gelangt, den man sonst nur bei kindisch gewordenen Greisen antrifft. Allen Ernstes behauptet das Blatt, die Reform des preußischen DreiklassenwahlrechtS komme in Fluß. „Vor einem Jahre noch hat man glauben können, daß eine Reform des preußischen Wahlrechts aus lange Zeit hinaus unmöglich sei. Das ist vorbei, sie wird und muß kommen als eine Konse - quenz der seit den letzten ReichStagSwahlen im Reiche eingeschlagenen Politik." Andere Leute würden fragen, worin sich denn eigentlich die nach den Reichstagswahlen eingeschlagene Politik von der vorher üblichen unterscheide. Aber für echte „Demokraten" genügt es, daß sie als Troßbuben hinter den Junkern herlaufett und die schmutzige Arbeit machen dürfen. Darin erkennen sie „liberale Politik"! Die Koukurrcttzklausel. Bei der Beratung des neuen Handelsgesetzbuches im Reichstage vor nunmehr zehn Jahren ist die sozialdemokra - tische Fraktion bemüht gewesen, die Konkurrenzklausel aus demselben zu beseitigen. Leider vergeblich. Diese ungerechte, Ändluttgsgehülsen und Angestellte der Privatindustrie schwer schädt- iZLfc -öqnnuuung 74 und 75) fattb Ausnahme in das Gesetz, «ehr bald schon trat ihre Ungerechtigkeit und Schädlichkeit offen zu Tage, und immer mehr ist die Konkurrenzklausel-PraxiS ausgeartet. In der neuesten Nummer der „Teutschen Juristeti-Zeitnng" ergreift Juftizrat Dr. I. Schanz dazu das Wort. Er führt aus: „Von Tag zu Tag lebhafter wird der Unmut über die Konkurrenz- klausel, jene Abrede mit Angestellten, die eine Verhinderung oder wenigstens Einschränkung ihrer Konkurrenztätigkeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses zum Gegenstände hat. Das Uebel ist aber auch groß genug. In vielen Fällen raubt die Klausel dem An - gestellten die Möglichkeit weiteren wirtschaftlichen Fortkommens. Was er gelernt hat, wird brach gelegt. In das große Heer proletarischer Existenzen wird er gedrängt. Oft genug gewährt die Klausel, eine Geißel nur für den Angestellten, keinen irgendwie entsprechenden Nutzen dem Arbeitgeber. Selbst bei kärglichem Gehalt werden hohe Vertragsstrafen auf die Verletzung der Klausel gesetzt. So wird der Betrag des doppelten Jahreseinkommens als Strafe in Verträgen großer Warenhäuser nicht nur höheren An - gestellten, Einkäufern und Lagerchess, sondern auch den geringst« bezahlten Gehülfen auferlegt. Solche Verträge namentlich haben gerechten Zorn hervorgerufen, der sich auch im Reichstage Luft machte. Der Staatssekretär des Reichsjustizamtes erklärte dort, die bedenk - lichen Erscheinungen in der Anwendung der Klausel hätten Ver - anlassung zur Erwägung der Frage gegeben, ob nicht eine Aenderung des bestehenden Rechts ein treten solle. Was jetzt Rechtens ist, bedarf unseres Erachtens dringend und bald einer Umgestaltung. Nur zu Gunsten der HandlungS- zehülfen und -Lehrlinge, sowie der höheren gewerblichen Beamten, der Betriebsbeamten, Werkmeister und Techniker bestehen einige ^Bestimmungen, die gerade die schlimmsten Schäden abschwächen (§§ 74, 75 des Handelsgesetzbuches und 133 f. der Gewerbeordnung). Die gewerblichen Gesellen, Gehülfen und Lehrlinge sind ohne ge - setzlichen Schutz gegen die Klausel. Aus sie alle muß der Schutz aus - gedehnt, alle Dienst- und Arbeitsverträge müssen uuifaßt werden. Und es fragt sich, ob die Klausel für die Regel nicht ganz zu verbieten, daS heißt eine derartige Abrede für nichtig zu erklären ist. Ausnahmsweise ist sie nur so weil beizubehalten, als der Verrat von Geschäfts- und Herstellungsgeheimnissen in Frage steht. Auf alle Fälle dürften, will matt nicht so gründlich vorgehen, wenig - stens bei den Arbeitseinkommen unter M. 2000 Konkurrenzklauseln und Vertragsstrafen nicht zugelassen werden." Dr. Schanz irrt, wenn er meint, daß die HandlungSgehüIfen und gewerblichen höheren Beamten durch die angezogenen Gesetzes- paragravhen genügend geschützt seien. Auch sie werden von der Geißel der Konkurrenzklausel vielfach ausS schwerste betroffen. Gründliche Reform ist dringend geboten. Ausdehnung bet Sozialstatistik. Auf eine Vorstellung hin, die der Soziale Ausschuß der technischen Angestellten beim Statistischen Amt unternommen hat, ist zugesagt worden, daß die NrbeitS-, Lohn- und Lebensverhältnisse der Privatangestellten künftighin in weiterem Umfange ermittelt werden sollen. Im „Reichs-Arbeitsblatt", in dem bisher in der Hauptsache nur die Bewegung der Industriearbeiter registriert wurde, soll auch für die Bewegung der Privatangestellten ein größerer Raum ge. schaffen werden. Als erste größere Arbeit ist eine Uebersicht über die Kassenverhältnisse der Privatangestellten-Organisationen unö über die Zahl der überhaupt organisierten Angestellten in AuS- sicht genommen. Erhebungen über die Haubwerksotganisatton. Offiziös wird geschrieben: „Um zu erkennen, wie die durch die Gewerbeordnungsnovelle von 1897 geschaffene Handwerks - organisation gewirkt hat, wurde vor längerer Zeit eine u m- fassende Erhebung veranstaltet. Ein ausführlicher Frage- bogen wurde an die Innungen, Jnnungsverbände, Handwerks - kammern und die anderen Handwerksorgane versandt und das eingegangene, recht ausgedehnte Material dem kaiserlichen Eta- tistischen Amte zur Bearbeitung übergeben. Die Prüfung, Sich - tung und Zusammenstellung der durch die Erhebung gewonnenen Ergebnisse hat einen geraumen Zeitraum in Anspruch genommen, jetzt nähert sich aber die Arbeit ihrem Ende so, daß in nicht ferner Zeit auf einen Abschluß gerechnet werden bars. Als sicher darf man nach dem jetzigen Stande der Arbeit annehmen, daß die be» treffende Denkschrift dem Reichstage in seinem nächsten Tagungsabschnitt unterbreitet werden wird." Die Arbeiter des Handwerks sind natürlich auch bei dieser Enquete wieder übergangen worden. Und doch kommt gerade ihrem Urteil eine hohe Bedeutung zu. Vertrauensarzt und politisches Jnquisitorium. Der praktische Arzt Dr. Schellenberg, Vertrauensarzt d e r P o st v e r w a 11 u n g in SBieSbaben. hat bei der letzten Reichstags st i ch w a h l für den sozialdemokratischen Kandidaten Leh - mann gestimmt und wohl auch daraus kein Hehl gemacht. Die Ober - postdirektion zu Frankfurt, der daS hinterbracht wurde, hielt eS für angebracht, sich in diese politische Angelegenheit zu mischen. Sie sandte einen höheren Postbeamten zu Dr. Schellenberg, um ihn zur Rede zu stellen. Das Resultat war, so schreibt die „Franks. Ztg.", wie vorauS- zuseben, ein negatives. Dr. Schellenberg hielt es nicht für nötig, seiner Behörde über seine politische Gesinnung Rechenschaft abzulegen. Bald daraus erhielt er die Kündigung seines Vertrages mit der Postverwaltung zum 1. Oktober d. I. Aus seine Anffage nach der Ursache wurde ihm angedeutet, daß seine Abstimmung Veranlassung dazu gewesen sei. Wie weiter berichtet wird, leitete die ärztliche Bezirks - vertragskommission sofort die nötigen Schritte ein, um die Folgerungen aus diesem Vorgehen der Postbehörde zu ziehen. Ver - handlungen der Postdirektion mit anderen Aerzten in Wiesbaden zwecks Uebernahme der gekündigten Stellung scheiterten an dem ableh - nenden Verhalten der Aerzte, die sich erfreulicherweise mit Dr. Schellen - berg solidarisch erklärten. Der Leipziger Aerzteverband wird nunmehr die Stellung des Wiesbadener PostarzteS sperren. Aus die weitere Entwicklung der Angelegenheit darf man wohl gespannt sein. Die deutschen Aerzte stehen hier vor der grundsätzlich hochwichtigen Frage, ob sie zugleich ihre p o l i t i s ch e F r e i h e i t opfern wollen, wenn sie für ihre ärztlichen Dienste von Behörden sich bezahlen lassen. Wilhelm II. für die Expropriation. Wilhelm II. hat, wie daS Berliner Polenblatt „Dziennik Berlinski" mitteilt, der neuen Ostmarkenvorlage seine Zustimmung erteilt. Sie soll angeblich der Enteignung polnischen Grundbesitzes, selbst unter Nichtberücksichtigung bet hypothekarisch erworbenen Rechte, dienen. Dem früheren Oberpräsidenten von Schlesien, Reichstagsabgeordncten Fürsten Hatzfeld, soll c8 gelungen sein, die letzten Bedenken des Kaisers zu zer - streuen, so daß die Vorlage noch in diesem Jahre an das Parlament gelangen wird. Auf die Vorlage selbst, auf ihre Begründung und auf ihre Auf - nahme im preußischen Klaffenparlament darf man wohl gespannt sein. Wird der Grundsatz anerkannt, daß aus rein politischen Gründen das Eigentumsrecht ohne weiteres aufgehoben werden kann, so wird prinzipiell auch nichts mehr gegen die Expropriation zu sozialen Zwecken eingewendet werden tonnen. Uns soll es schon recht fein. Die Kamarilla in Sachsen. Zu den in letzter Nummer u. Bl. mitgeteilten Auslassungen des LegationSrats v. Nostitz-Wallwitz über das Vorhandensein einer Nebenregierung in Sachsen erfahren die konservativen „Dresdener Nachrichten" aus zuverlässiger Quelle, wie sie erklären, folgendes: „Diese Aeußerungen eines hohen Regierungsbeamten werden zu einem Nachspiel in der Zweiten Kammer führen. Sofort 1] (Nachdruck verboten.) Wie Anne Bäbi haushielt. Von Jeremias Gotthelf. Drittes Kapitel. Wie Jakobli eine Krankheit kriegt und eine Jungfer ein Doktor wird. Als sie heimkamen, stand Hansli noch an demselben Fleck, wo er gestanden, als sie ihn verließen. Es war zweifelhaft, ob et ihn je verlassen oder zufällig wieder auf denselben zu stehen ge - kommen war. „Guten Abend, Vater," sagte Anne Bäbi ganz vergnügt, „nicht wahr, wir sind rechtzeitig wieder da." Und sogleich wollte sie zu erzählen beginnen über ihren Flachs und ihre Bäume und über anderer Leute Flachs und Bäume. Da sagte Hansli: „I Jakobli, was fehlt Dir, Du bist ja ganz weiß und zitterst wie Espenlaub?" „Es friert mich, Vater," sagte Jakobli, „und mir ist furchtbar übel, wenn ich nur erst im Bett wäre." Da sah auch Anne Bäbi ihn an und erschrak gewaltig: „Aber Herr Jeses, Junge, wie siehst Du aus! Warum sagst Du das nicht, und läßt mich ruhig nach dem Längacker gehen?" „Mutter, ich habe es Dir ja gesagt, es ist mir schon ein paar Tage so wunderlich gewesen." „Nein, nichts hast Du mir gesagt, nur so etwas hingemurmelt hast Du, und ich habe nicht geglaubt, daß es Dir ernst märe. Warum sagst Du nicht, daß es Dir ernst sei? Geh jetzt nur schnell in8 Bett, ich will feuern und Dir was Warmes machen." „Aber IDiutter," sagte Hansli, „wenn Dir der Junge sagt, es fei ihm nicht wohl, warum kommst Du dann nicht mit ihm nach Haus; das war doch unrecht von Dir." „Ich soll jetzt wohl noch gnr schuld daran sein?" sagte Anne Babi. „Warum kommst Du nicht niitl Du hättest es gemerkt, baff ihm was fehle. So komm mir nur ja nicht; aber ich soll immer schuld sein an allem, das geht gar nicht anders mehr." Hansli versäumte seine Anne Bäbi nicht länger mit Reden; er ging ins Haus und fütterte die Kühe. Dann sah er nach Ja- kobli, der schon im Bett lag und schlotterte, daß ihm die Zähne klapperten und die Bettstelle bebte. "Bald darauf kam auch Anne Bäbi mit einer Tasse Kaffee und nicht lange danach Mädi mit einem Eierknwen Nachdem Jnne Bäbi etwas in die Untertasse geschüttet, gepustet und pro - biert hatte, trat sie zum Bett, und Jakobli sollte nehmen, das werde ihn schon Wärmen, sagte sie. Aber Jakobli konnte sich nickt aufrecht halten und die Tasse nicht zum Munde bringen mit seinen fliegenden Händen. Hansli und Mädi, die helfen wollten und auch nichts dabei macken konnten, wurden bitterlich von Anne Bäbi ausgezankt; es scheine ihr, sagte sie, sie machten expreß ihr zum Tort alles verkehrt. So hässig hatte man sie noch nie gesehen; sie gab sogar der Katze einen Stups mit dem Fuße, ba sie zusehen kam, warum die ganze Haushaltung sich in der kleinen Stube versammle und wo der Eierkuchen bleibe. Die Nacht über duldete sie niemand bei Jakobli, sondern jagte mit Schnauzen alle ins Bett. Es sollte keiner sehen, wie ihr zu Mute war. Nm anderen Tage kam eine Nachbarin, die von Jakoblis Krankheit gehört hatte. Als sie ihn sah, schrie sie: „Herr Jeses, das sind ja die Blattern!" „I, was Du nicht sagst, Mareili," antwortete Anne Bäbi, „das kann ja gar nicht fein; wie sollte der zu Blattern kommen? Er ist ja nirgends hingewesen, und kein anderer Mensch hat sie." „Jä, einer hat sie immer zuerst. Habt Ihr ihn denn nicht impfen lassen?" „Nein," sagte HanSli, „das haben wir nicht, das war in unserm Hanse nicht bräucklich, der Vater hass nicht getan und der Großvater auch nicht, und doch ist keiner von uns an den Blattern gestorben." „Ich hätte nichts dagegen gehabt," meinte Anne Bäbi, „Ijat doch meiner Schwester Schwager Bruders Sohn alle seine Kinder impfen lassen; da wußte ich nicht, weshalb ich hätte dagegen sein sollen. Aber nein, das werden die rechten Blattern nicht sein. Ich wüßte nicht, womit wir das verdient hätten. Ack Jakobli, wenn Du nur wieder besser wirst, so mag es fein, was es will. Die Blattern sind's aber gewiß nicht. So ungerecht wird denn dock unser Herrgott nicht geworden fein, daß er uns so strafen sollte, wo wir niemand was zuleide getan. „He," sagte Mädi, „zu verwundern wär's nicht, wenn unser Herrgott schlechter würde, wird doch die Welt auch alle Tage schlimmer." Irgend etwas müsse geschehen, sagte Hansli, Wagensalbe sei sehr heilsam; wenn er wüßte, daß es gut täte, wolle er davon zu - recht machen. Mädi schlug vor, sie wollten den Doktor holen. Wenn es schon nichts helfe, so brauche man fick dann doch kein Gewissen zu machen. cS möge neben, wie es wolle. Diese Nnstcht drang durch, und der Doktor kam. Er gab ihnen Verhaltungsmaßregeln, aber keine Medizin. Der wisse doch aller Himmelswelt nichts, sagte Mädi, nicht einmal ein kleines Gläschen Medizin habe er verschrieben; so könne sie auch doktern. Aber irgend etwas müsse gemacht werden, so könne man die Sache nicht gehen lassen. Und da Jakoblis Ge - sicht so recht verschwollen war, so fing sie dabei an zu doktern und salbte ihm alle halbe Stunde das Gesicht schön ein. Das rühmten die Nachbarinnen, die Krankenbesuche machten, gar sehr, und jede wußte ein apartes Mittel, mit dem gut salben märe, Rahm und süße Butter, Augensalbe und Baumöl. Das alles probierte Mädi an Jakoblis Gesicht bei Tag und bei Nacht. Sie wolle doch sehen, sagte sie, ob das alles nicht helfe; unter so vielen schönen Sachen werde denn doch eins das rechte sein. Die Blattern am Leibe fingen an einzutrocknen, aber daS Gesicht wollte und wollte nicht besser werden. Da setzte Anne Bäbi es durch, daß der Doktor wieder gerufen wurde. Wenn man zu ihr kein Zutrauen hätte, sagte Mädi, so wolle sie nichts mehr damit zu tun haben. Vielleicht solle sie noch schuld fein, wenn's nicht gut komme. Das Beste werde sein, sie sehe sich bei Gelegenheit um nach einem andern Platze. Der Doktor kam, und sobald er den Armen sah, erschrak er und sagte: „Was, zum Donnerwetter, habt Ihr da gemacht? Habe ich nicht gesagt, Ihr solltet nichts machen und ruhig warten, bis die Blattern abtrocknen? Der kommt um die Augen. Wer hat da gequacffalbert?“ „He," sagte Mädi, „wenn eS ihm so brannte, so habe ich ihn eingeschmiert. Etwas mußte doch getan werden, cd ist unser Lebtag nicht erhört worden, daß man einen so daliegen läßt, wie ein Unvernünftiges." „Du bist ein dummes Frauenzimmer, und wenn er blind wird, so bist Du schuld." „Ich habe doch gedacht, daß es so kämmen würde," sagte Madi und ging davon. „Als der Affe nicht wußte, was zu machen sei, habe ick ihm das Leben gerettet, und nun will der noch tommen und befehlen und mich auseseln. DaS Beste ist, ich gehe auf der Stelle fort; es dauert mich nur Jakobli, der Hund bringt ihn gewiß noch um." „Es ist Dein Kind, Frau," sagte der Doktor zu Anne Bäbi, „da mufft Du ihn auch selber abwarten. Ich will probieren, was möglick ist, aber Ihr mußt mir gehorchen und nicht auf jede afir Fran hören, sonst will ich lieber mit allem nichts zu tun haben." Anne Bäbi versprach das Beste und hielt den Doktor um tausend Gotteswillen an, er solle doch machen, was er könne, und sollte es hundert Taler kosten, es reute sie kein Geld. Kaum war der Doktor fort, so kam die Mädi im Sonntags - staat daher. Sie wolle jetzt gehen, da sie ja doch nur im Wege sei. Noch einmal wollte sie Jakobli ansehen und bann wohl ihr Lebtag nicht mehr. „Laß die dummen Redensarten," sagte Anne Bäbi, „Dir sagt ja niemand etwas; tu die «chweinekartosfeln übers Feuer." Ach, Jakobli, mein Jakobli, wirst Du auch nicht blind?" „O, Jakobli, das hätte ich nie geglaubt," jammerte Mädi, „baff wir so auseinanber kämen. Wenn Du sterben mufft, soll ich bie Schulb haben, unb ich habe Dich boch gepflegt wie keine Mutter ihr Kinb. O, Jakobli, es zerreißt mir baS Herz, wenn ich Dich nicht mehr sehe, leb wohl." Ta sie jeboch nicht zum Bette konnte, weil Anne Bäbi ihr im Wege staub, sagte Mädi: „Jakobli, wenn ich die Schweine- fartoffeln auf dem Feuer habe, so komme ich noch einmal wieder; es wird dann wohl noch einen Augenblick Platz für mich an Deinem Bette sein." Hansli ging hinter Mädi her in die Küche, zündete seine Pfeife am Herdfeuer an und sagte: „Mädi, sei nicht böse; was der Doktor gesagt hat, haben wir nicht gesagt, und Anne Bäbi ist die Mutter." » „He ja," sagte Mädi, «aber eS ärgert einen, wenn man getan hat, was man konnte, und man kommt einem so, und Anne Bäbi hat auch kein Wörtchen gesagt, baff ich bie Sache recht ge- madit habe. Wenn s nun nicht gut kommt, soll ich boch an allem schulb fein." Hansli gab keine Antwort auf biese Rebe, aber Mäbi zog die Sonntagskleiber toieber aus unb kochte nicht bloff für bi« Schweine, sondern auch für die Haushaltung. Als sie aber Abends mit Sami allein war, sagte sie, das Dienen hätte sie nachgerade satt. Da könne man sich sein Leb- tag quälen für andere Leute unb niemand sage einem Dank. Die besten Musterleutc wären noch nicht einen halben Birnenstiel inert. Wenn Jakobli nicht wäre, sie bliebe keine Stunbe länger im Hause, unb wenn ihr sich gerade sonst etwas Schickliche» zeige, so würbe sie sich nicht lauge besinnen. Sami ertoiberte nicht viel barauf, aber bei sich selbst backte er: „Lege Du mir Fallen, so oft Tu willst, ich gehe Dir boch nicht hinein. Du bist mir denn doch zu häffli» unb zu kratzbürstig. Wenn eS mir hier nicht mehr gelallt, so kann ich gehen. Wäre ich aber an Dir behangen, so mußte ich hängen, bi» der Tod mich ablöste, unb bas tonnte mir zu fange bauern."