Nr. 2(>4. Tunntag, den 10. November 1W7. 21. Latzrgang. KamburgerEcho. Tas „Hniiiluirger (V-dio" erschclnl lknlich. ausser Monlaqi. SlbounementSPreiS (infl. „Tie 9iciie toeU") durch die Poft bezoqeu ohne Srinqeqclb monatlich * 1,20, vierteljährlich K 3,60; durch die Kolporteure ivöchenllich 30 * frei ins Haus. Einzelne 'Jiummet 5 Eonntaas-Nummer mit illustrierter SonnlaaSbeilaae „Tic 'Jieue Welt* 10 4. Kreuzbandsendungeu monatlich X 2,70, für das Ausland nioiiatlich A 3.50, Jtedaktion: ( ,ip Erpedition: Fchlandstrabe 1l, I. Stock. HlllNvUr^ > Fehlandstrobc l 1, Erdgeschoß. Verantwortlicher SJiebnfteur finrl Petersson in Camburg. Slnzeinen btc sechsoespaltene Petitzetl« ober bereu Raum Sfi 4. Arbeitjniar't. sReraiietii.i !#• und ffmnilieitniueineit 20 4. Anzeigen Aiiiinhine Fehlandftr. 11. Lrbgelchok (bio 5 U.,r Nach uitt.ifld), in den Filialen (bio t Uhr Nach.n.o sowie in allen Annoneen-Bureanr. Platz, u. Datenvorschriften ohne Aerbindlichkeit. 'Jieflnmeu im rebaktioneilen Teil luerben roeber aratis noch neqeit Entgelt ausgenommen. Auchhanblung unb Auchbruckerei-Koiitor: Fehlanbstr. II. Erbgeschoh. filifllcn: St. Pauli bei Heine. Koenen, Sopbienstr. 44. Eimsbüttel, Langenfelde bei Earl Dreyer, Frnchtallee 42, Eimsbüttel. Hoheluft, Eppendorf, Äroß-Borstel und Winterhude bei Ernst Grosskopf, Lehnuveg 51, Eppendorf. Barmbeck, Uhlenhorst bei Theodor Petereit, Bachstr. 12, Barmbeck. Hohenfelde, Borgfelde, Hamm, Horn, Schiffbeck und Btllwärder bei Carl Lrtcl, Banstr. 26, Borgfelde. Hammerbrook, Notenbnrgsort und Beddel bei Rud. Fuhrmann, Schwaben- straße 33, Hammerbrook. Eilbeck, Wandsbeck, Hinschenfelde und Ost-Barmbeck bei Franz Krüger, Kurze Reihe 34, Wandsbeck. Altona bei Friedr. Ludwig, Bürgerstr. 118. Ottensen, Bahreufeld bei Joh. Heine, Bahrenfelderstr. 129, Otteivcii. Hierzu vier Beilagen und das Illustrierte Unter Haltungsblatt „Die Nene Welt." 3iiiieii5tflMvcrotiiiiftcnnial)lniin^ltonn=0tlcii(cn und Wndsdcck. In den nächsten Tagen sind in zwei der größten städtischen Gemeinden der Provinz Schleswig-Holstein Ergänzungs- und Ersatzwahlen zum Stadt- verordnetenkollegium vorzunehmen, in Altona- Ottensen am 13., 14. und 15. November und in Wandsbeck am 18. und 19. November. Es ist das erste A!al, daß gemäß Bestimmung des Eingemeindevertrages der Stadtteil Ottensen mit Altona (alte Stadt) zusammenwählt. Hier kommen in Betracht acht Biandate, von denen siebe» durch Ergäuznngsivahl und eines durch Ersatzwahl zu vergeben sind. Für Wandsbeck handelt es sich um zwei Ergänzungs - wahlen. In der Provinz Schleswig-Holstein befinden sich zur Zeit 94 Sozialdemokraten in den Gemeindevertretungen, davon einer in Wandsbeck. Völlig unbeteiligt an dieser Vertretung ist bis jetzt leider Altona-Ottensen. Bis zum Jahre 1892 hatte die Sozialdemokratie dieses Koinmnual- wesens sich zu den Stadtverordnetenwahlen völlig passiv verhalten, und zwar in Rücksicht auf das höchst ungerechte Zensuswahlsystem. Schleswig-Holstein hat eine be - sondere Städteordnung. Während in den alten preußischen Provinzen das Dreiklassenmahlsystem besteht, hat man es hier zu tun mit einer gesetzlichen Bestimmung, wonach der Erwerb des Bürger- und Wahlrechts abhängig ist von einem Einkommensbetrag, der (zwischen M. 600 und 1500) im Lokalstatut näher festzusetzen ist. Diese Bestimmung gewährt der Willkür der die Stadtverwaltungen beherrschenden bürger - lichen -(Zemente für die Zensusseststellnng einen weiten Spielraum. Sie hat ihnen in einer ganzen Reihe schlewig- holsteinischer Städte dazu gedient, einen regelrechten Wahlrechtsraub ins Werk zu setzen, indem sie die Mindest - grenze des zur Eintragung in die Bürgerrolle berechtigenden Einkommens von M. 600 auf M. 1200 (M. 12 Staats- einkommensteuer), also bis nahe an die gesetzlich äußerst zulässige Grenze erhöhten, und zwar zu dem mit einer Frivolität ohne gleichen offen ausgesprochenen Zweck, die Wahl von Vertretern der Arbeiterklasse in die Slaütveroröueteukollegien zu verhindern! l! Dies ist auch in Altona geschehen. In Wandsbeck gar hat man das Wahlrecht an den Steuersatz von J*. 16 geknüpft, was ein Einkommen von M. 1350 bis M. 1500 voraussetzt, und damit die äußerste gesetzlich zulässige Grenze erreicht. Dieses schmachvolle, auf die Entrechiung der Massen der arbeitenden Bevölkerung geradezu berechnete System war, wie gesagt, der Grund, weshalb die Sozial - demokratie von Altona-Ottensen sich früher an den Stadt - verordnetenwahlen nicht beteiligte, bis sie, in Verfolg der Verhandlungen und Beschlüße des sozialdemokratischen Partei - tages der Provinz Schleswig-Holstein im Jahre 1891, aus sehr triftigen und gewichtigen Gründen zu der Entscheidung kam, fortan nicht mehr „Gewehr bei Fnß" zuzusehen, wenn Stadtverordnetenmandate zu vergeben sind, sondern an den Wahlen teilzunehmen, durchaus sebständig, völlig un - abhängig von anderen Parteien, mit eigenen Kandidaten auf den Plan zu treten. Sie ging dabei von der richtigen Ueberzeugung aus, daß es eine verkehrte Taktik sei, in Rücksicht auf die Ungerechtigkeit des Wahlsystems und der enormen Schwierigkeiten, die es der Durchbringnng sozial - demokratischer Kandidaten entgegensetzt, auf die Beteiligung an der Wahl zu verzichten. Eine Partei, die ihrem ganzen Wesen, ihren Aufgaben und Bestrebungen, ihrer Bedeutung nach eine Kampfpartei ist und sein muß, soll und darf keinem Kampfe ausweichen, möge der Gegner in noch so starker Position sich befinden. Ungemeine Stärkung erfuhr dieses Argument für die Wahlbeteiligung — dasselbe Argument, dessen gebührende Würdigung die sozialdemokratische Partei ja auch ihre Beteiligung au den preußischen Land - tagsmahlen veranlaßt hat — dadurch, daß die Sozial - demokratie in Altona-Ottensen und Wandsbeck, wie die Resultate der Reichstagswahlen zeigen, die weitaus stärkste politische Partei ist. Seit dem Jahre 1881 vergibt unter ausschlaggebender Mitwirkung der Parteigenossenschaften Altonas und Wandsbecks die Sozialdemokratie das Reichstagsmandat für den 8. schleswig-holsteinischen Wahl - kreis. Und von einer Wahl zur anderen ist ihre Majorität eine absolut und relativ stärkere geworden. Tie erdrückende Mehrheit der Reichstagswähler Altonas, Ottensens und Wandsbecks bekennt sich zur Sozialdemokratie. Im Altonaer Stadtgebiet stimmten bei der letzten Reichstagswahl 22 820 Wähler, mehr als 60pZt. aller abgegebenen Stimmen, in Wandsbeck 4215 Wähler für den Kandidaten der Sozial - demokratie. Und diese die Mehrheit der Eniipohnerschaft umfassende Partei hat bis jetzt in Altona nicht einen einzigen, in Wandsbeck nur einen Vertreter int Stadt - verordnetenkollegium!!! Auf dem Gebiete des allgemeinen politischen Lebens, speziell in Ansehung des Reichsparla - ments, eine stetig fortschreitende und erstarkende, unbezwingbar gewordene Macht, ist die Sozialdemokratie Monas, Ottensens unb Wandsbecks rückständig geblieben auf dem Gebiete der kommunalpolitischen Ver - tretung. Auf die Zusammensetzung der städtischen Ver - waltung hat sie bis jetzt in Altona-Ottensen gar keinen, in Wandsbeck nur einen sehr geringen Einfluß ausgeübt. Wie erklärt sich das? Die leitenden Parteifaktoren trifft keine Schuld. Seitdem die Entscheidung lautete: „Be - teiligung an den Stadtverordnetemvahleu", hat sie es an Mühe und ausdauernder Energie, an Propaganda in Ver - sammlungen unb bürd, Flugschriften wahrlich nicht fehlen lassen, bie für bie sozialbemokratischen Kanbibaturen in Betracht kommenben Massen ber Wähler aufzurütieln unb zur Er - füllung ihrer Pflicht, bas Wahlrecht anszuüben, anzuhalten. Aber ber Erfolg dieser Bemühungen entsprach seither leider nicht den Voraussetzungen, bie sie bestimmten, unb ben Er - wartungen, bie auf sie gerichtet waren. Zwar ist ber Erfolg von Wahl zu Wahl ein besserer geworden. Bei ber letzten Wahl im Jahre 1906, als Altona unb Ottensen noch getrennt wühlten, würben abgegeben am ersten Tage in Altona 327, in Ottensen 313 Stimmen. Letztere blieben nur um 50 Stimmen hinter beiten ber Gegner zurück. Die Höchstzahl ber gegne - rischen Stimmen belief sich im vorigen Jahr auf etwa 900. Wir wollen^ versuchen, eine Erklärung bafür zu geben, weshalb bie Stabtverorbnetenwahleu unter solch überaus geringer Beteiligung nicht nur ber Arbeiterschaft, fonbern auch es Bürgertums sich vollzogen haben. Ein Hatiptgrunb ist barin zu sehen, baß bie burchaus reaktionäre, auf die Souberiutereffen der herrschenden Klasse zugeschnittene Stäbteorönung, in Ansehung ber schlimmen Resultate, bie sie für bas Gemeinwesen gebracht hat, verbientermaßen bie Verachtung ber Masse ber erwerbstätigen Bevölkerung genießt. Aber was man verachten muß, bars man beshalb nicht in feiner praktischen Bebeutung unterschätzen. Das Schlimme ist, baß in ber Verachtung bes Systems sich eine höchst bebenkliche, ja geradezu verhängnisvolle Gleichgültigkeit gegen dasselbe und seine mit dem Interesse des Gemeiuivesens unvereinbaren Wirkungen verbunbeu hat. Diese Gleichgültigkeit, die einer Verzichtleistung auf den Kampf gegen das unheilvolle System gleichkommt, ist oft zum Ausdruck gekommen in den Worten: „Es nützt doch nichts, baß wir wählen. — Das System ist so fest, baß wir es nicht erschüttern unb äitbern können. — Die Herren haben ja boch nun einmal bie Macht" usw. usw. 'Nun, bie „Herren" können sich nichts ihnen günstigeres wünschen, als solch eine verkehrte Teckungsart. Das finb klägliche Anschauungen, oberflächliche Redens - arten, bie wahrlich nicht geeignet find, bie große Unter- lassungssünbe, bereit bie Gleichgültigen burch Wahlenthaltung sich schnlbig machen, zu rechtfertigen. Sie wibersprechen in schärfster Weise besonbers beit Erfahrungen und Erfolgen, welche bie Sozialdemokratie als Kampfpartei auf anderen politischen Gebieten anfzuweisen hat. Daß Massen des Bürgertums, besonders des Klein - bürgertums, bie auf allgemein politischem, so auch auf kommuualpolitischem Gebiete inbifferent unb impotent geworben finb, ist nicht zum verwunbem. Die Herrschaft ber „oberen Zehntauseub", bie Cliquen-, Klüngel- uttb Gevatternwirtschaft im kommunalen Wesen, bie burch besten gesetzliche Regelung weitgebenbfte Begünstigung erfährt, hat auf biefe Bevölkerungsschicht keine aitbere Wirkung haben können. Aber baß auch Massen von Arbeiter», bie sonst in ber freiheitlichen unb fortschrittlichen Bewegung mit an der Spitze stehen, den bösen Ei Misten des reattionären Systems nachgegeben haben und im Punkte der Kommunalpolitik zur Arcudc ihrer Gegner und Bedrücker praktisch teilnahmlos geblieben sind, bas ist eine Erscheinung, welche die schärfste tadelnde Kritik heraus - fordert. Das Zensusivahlsystem kann ihnen nicht zur Ent - schuldigung dienen. Oder welch anderes schlechtes und ungerechtes System hätte für sie in mehr als vierzigjährigem Verlause ber sozialdemokratischen Bewegung jemals den Vorwand abgegeben, es nicht mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen? Weshalb Halt machen gerade vor dem Zeususwahlsystem? Einen ver - nünftigen, stichhaltigen Grund dafür kann niemand vorbringen. Eine bedauernswerter Tor ist jeder, bei - feine Gleichgültigkeit unb Zurückhaltung mit ber von einer forriimpierten bürgerlichen Politik erfundenen elenden Phrase von ber „passiven Opposition" rechtfertigen möchte. Durch Untätigkeit, burch Verzichtleistiing auf bie Ausnutzung staatsbürgerlicher unb kommunal- politischer Rechte, mögen sie noch so beschränkt, noch so ungerecht bemessen sein, kann man niemals mit Erfolg propagieren, bemonftrieren unb protestieren. Die Tat ist allemal bie einzig richtige Offenbarung unb Beknnbung bes oppositionellen Geistes, des Strebens nach Freiheit und Gerechtigkeit, nach Be- seitiguitg ungerechter Systeme in Gesellschaft, Staat und Gemeinde. Die einzige Hntschuldigung, die mit gelten lassen für die Maste der Kommunalwähler in Altona-Ottensen unb Wandsbeck rücksichtlich ihrer Zurückhaltung in ber Betätigung auf kommunalpolitischem Gebiet, ist, baß üble Gewöhnung aus falschen Erwägungen heraus sie viele Jahre bin- burch bazu verleitet hat, sich selbst zu unterschätzen, ihrer Stimmabgabe bei ben Stabtverorbneten- wahlen keine Bebeutung beizumessen. Aber dieser Zustand soll und mutz ei» Ende finde». Wenn alle die lich zur Sozialdemokratie bekennenben, kommunalwahlberechtigten Einwohner ber Stäbte Altona- Ottensen unb Wanböbeck ihr Wahlrecht in ben nächsten Tagen ausüben, so ist bamit sehr wohl bie Möglichkeit gegeben, baß Sozialdemokraten als Vertreter ber arbeiteten Klassen in bie Stnbtparlamente gewählt werben. Eine Majorität ist nicht zu erzielen, dafür hat die staatliche Gesetzgebung unb die kommunale Zweckmäßigkeitspolitik der herrschenden bürgerlichen Kreise gesorgt. Aber eine ben be - stehenden ungünstigen Verhältnissen entsprechende Ver - tretung wäre wohl zu erlangen. Wenn Ihr, sozialdemo - kratische und in anderer Richtung eine Reform und Ge - sundung des kommunalen Wesens anstrebenden Arbeiter und Kleingewerbetreibenden von Altona-Ottensen und Wandsbeck ernsthaft wollt, so werdet Ihr diese Vertretung mit ber Wahl von Kandidaten ber Sozialbemokratie bekommen. Die sozialdemokratische Parteileitung hat in Ver - sammlungen unb Flugschriften erschöpfenben Aufschluß darüber gegeben, welche wichtigen Aufgaben sozialdemokratische Ver - treter in ben stäbtischen Körperschaften zu erfüllen haben. ES finb alles in allem Aufgaben, bie bas bemokratische Prinzip in engster Berbinbung mit ben Forberungen ber sozialen Gerechtigkeit, ber Hurnanitätsibee und ben Gesetzen bes Fortschritts vorschreibt. Diesem Prinzip, bie,"en Forberungen, dieser Idee, diesen Gesetzen muß die Kommunalpolitik dienstbar gemacht werden. Das gebietet ber große Zug ber ganzen Kulturentivicklung, dem bie Gemeinbe sich auf bie Dauer nicht verschließen sann. Und dazu kann es nur kommen durch Euch, durch Eure energische Initiative. Sozialdemokratische Stadtverordnete haben in erster Linie, getreu ihrer programmatischen Be - kenntnis, zu erstreben: Anerkennung unb Regelung ber vollen freiheit - lichen Selbstverwaltung ber Gemeinden auf Grund - lage des allgemeinen, gleichen unb direkten Wahl - rechts; gerechte Verteilung der Steuerlasten (so daß es u. a. nicht mehr möglich ist, roie es jetzt in Altona der Fall, daß von einem nicht wahlberechtigten Einkommen von M. 900 bis 1050 ein Zuschlag zur Staatssteuer von AvvpZt., bei einem Einkommen von J*. 9500 bis 1 0500 nur 122 pZt. und bei einem Einkommen von M. 100 000 bis 105000 gar nur noch 95 pZt. als Zuschlag zur Staatssteuer erhoben werden!); freiheitlicher, den Anforderungen ber mobernen Kultur entsprechender Ausbau des Schulwesens; humane Ausgestaltung der Armen- und Waisenpflege; energische Wohnungs - fürsorge; eine gerechte unb vernünftige Grunb - und Bodenpolitik, welche ben Gruiib- unb Boben- wucher ausschließt; burchgreifeube kommunale Sozialpolitik. Von ben seitherigen bürgerlichen Vertretern in ber städtischen Verwaltung von Altona-Ottensen und Wandsbeck bat noch nie einer sich zu diesem Programm besannt. Es ist da stets das Sonberintereffe bet ®runbeigcntümer maßgebend gewesen; diesem Interesse haben immer alle Gemeinschaftsinteressen sich unterorbiieii und weichen müssen. Willst du zur Sozialdemokratie dich bekennendes werk - tätiges Volk ber Stäbte Altona-Ottensen unb Wanbsbeck das kommunalpolitische Unwesen sogenannter ordnungs- politischer Elemente noch länger dulden, dich nicht dagegen erheben? Tas wäre eine Schmach für dich! Deshalb: Wahlberechtigte Arbeiter, Kleingewerbetreibende, Beamte, habt Ihr bie heilige Pflicht, am Wahltage Mann für Mann Euer Wahlrecht auszuübeu für die Kandidatc» der Lojialdkmokratie! Kankos Geist. Fn den Vereinigten Staaten von Nordamerika ist eine wirt - schaftliche Erschlaffung eingetreten, und BankoS Geist springt von der Hudsonbai über Den Atlantischen Ozean. Aus der «pcku- lationskrise wurde eine Börsen- und Finanzkrise, und nun drolst die Geldkrise zu einer vcritablcn Produktionskrise sich verdichten zu wollen. Taß es sich nicht mehr um eine bloße Störung des kapitalistischen Kreditsystems, sondern um eine solche der Hndustriespbäre handelt, dafür bringt jeder Tag neue Beweise. Tie augenscheinlichsten sind die massenhaften Entlassungen von Arbeitern an 7 amerikanischen Bahnen und das Rückfluten von A iswanderer nach Europa. Denn — selbstverständlich — Pro- *4j£..itr müssen stets bie ersten Opfer einer Krise sein, sie, die inchts zuzuseyen lmven, trifft ber schlag zuerst. Vorläufig trifft es nur die Arbeiter Nordamerikas. Welche Sicherheit bestellt aber, daß nicht auch die. europäischen Indu - striestaaten in Mitleidenschaft gezogen werden? Tic Rcflei- wirkung der amerikanischen Teroute beschränkt sich weder terri - torial noch Qualitativ, sie äußert sich auch unmittelbar in der Verteurung des Kapitals auf den internationalen Geldmärkten. Und die Geldnot ist cs nicht allein, welche Besorgnisse hervor - ruft, vielmehr ist cs die unverkennbare Abschwächung der .äon- junktur, die Atembeklcmmungcn auch auf dem europäischen Kon - tinent verursacht. Zwar haben die großen Montannnterncll- mungen, wie „Phönix", Laura-Hütte, Harpener, RhcinstallI, Teutsch-Luremburger, sehr befriedigende Ergebnisse veröffent - licht und in ihren Berichten günstige Prognosen gestellt. Trotzdem klingt aus den Tarstcllungcn der Wirtscbaftslagc ein großer Skeptizismus heraus, und während die Situation der Kohlcnindustric als eine glänzende bezeichnet wird, ziehen die Generaldirektoren hinsichtlich der Zukunft der Eisenindustrie die Stirn in Falten. Stock, sind die Werke mit Aufträgen reich versehen, aber der Einlauf an neuen Ordres ist wesentlich schwächer als im Vorjahre und man zehrt eigentlich vom nlten Fett. Gewiß wäre cs übertrieben, von einer unmittelbaren Ge - fahr zu sprechen; die Ausschreibungen der Eiscnbahnverwaltung sind noch nicht aufgarbeitet und werden Hunderte von Millionen Mark den Gewerken ins Verdienen bringen, desgleichen die Sanatbautcn und andere ausländische Arbeiten. Eine große Anzahl von Industriezweigen ist also bis auf weiteres versorgt. Auch darf man die finanzielle Krise nicht mit der Konjunktur derart in Zusammenhang bringen, als ob die eine ohne die andere undenkbar wäre. Es hat Kursstürze gegeben trotz der üppigen Bilaiizabsckilüssc der Aktiengescllschasten und umgekehrt; die kapitalistische Wirtschaft ist zu verwickelt, als daß sie rest - lose Erklärungen zuließe. Ohne Pessimismus kann aber gesagt werden: Vorsicht ist gebotenI Darf man nach dem Verlauf der letzten Krise (1901/2) urteilen, bann ist fein scharfer Abfall der wirtschaftlichen Kurve zu befürchten. Auch gegenwärtig spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich der Abstieg vom Hochgipfel der Konjunktur ohne Unfall vollziehen wird. Lassen es die Unternehmer an der nötigen Vorsicht nicht allzusehr schien, bann wirb man cs sogar nicht einmal nötig haben, ganz inS Tal hinunterzuwan- bern, sonbcrn wirb eine Plateanwanbcrung ausfüllrcn können. Die Verhältnisse gellen keinen Grunb zur Verzweiflung. We - nigstens gilt bies für bie große Jnbustrie. Unleugbar finb die Rohstoffpreise enorm gestiegen. Tic Kartelle und sonstigen Derdänbe haben bie Schraube mit aller Kraft angezogen, und was bie heimischen Kapitalsmagnaten nicht zuwege brachten oder übrig lassen mußten, besorgten die ausläirdiichcn Trust- Herren. Kohle und Metalle erklommen eine unheimliche Hohe. Aber bie Inbustrie war kräftig genug, bie Steile zu überwin - den. Nur kleinere Betriebe mutzten sich Einschränkungen auf - erlegen und konnten mit den großen Konkurrenten nicht Schritt halten. Aber ist das in Zeiten wirtschaftlicher Flauheit anders? Was nützen niedrige Rollstoffpreise, wenn der Bedarf allgemein iiachgelasscii hat? Wichtig ist die Nachfrage, der Gcldftand und. die technische Leistungsfähigkeit der Betriebe. Was die Nachfrage anbclangt, so ist dieselbe (wie erwähnt) noch gut. Die allmähliche Ermattung des Bedarfes ist noch nicht weit vorgeschritten, ihre Nachteile werden zum Teile sicher - lich durch die Verbilligung von Eifen und anderen Metallen kompensiert werden. Der Geldstano ist zwar knapp, aber die Erhöhung des Diskonts der Reichsbank und der Privatbanken ist, solange bie Intensität ber Beschäftigung anbauert, zu ber- schmerzen. Unb bie technische Leistungsfähigkeit, insbcsonbere ber gemischten Betriebe, ist eine solche, oaß sie bic Konkurrenz- sähigkeit gegenüber bem AuSlanbe ganz beträchtlich steigert. Kombinierte Werke (Hochöfen mit eigener Kokerei und Walz - werk) erzielen vor getrennt arbeitenden Unternehmungen enorme Produktionsvorteile, die auf 13,56 Mark für die Tonne Roh - stahl ober 15 Mark für bie Tonne Fertigeifen geschätzt werden. Natürlich bekommen bic isolierten Walzwerke ben Druck zu spüren; aber sie haben ihn bis jetzt auSgehalten. Sollten ihre Kräfte nachlasien, werben sie bei den Betriebskombinationen An- lellnung suchen. Tic fortschreitende Zentralisation ist nicht auf - zuhalten, die großen Werke drängen zur Ausgestaltung und verwandeln sich mehr und mehr in Fertigindustrien, die den Be - wegungsraum der reinen Werke einengen. 1907 wies der Stahl» werköverband eine (Scfamtbetciligung von 11 871 607 Tonnen argen 8 195 950 im Jahre 1904) auf, und von den sogenannten" 8-Erzeugnissen entfallen aus bic reinen Walzwerke %, auf den Verband %. So tote zwischen Hochoscngicßcreicn und reinen Eisengießereien entwickelt sich auch ein Gegensatz zwischen den isolierten Walzwerken und den gemischten Betrieben. Sehr charakteristisch für die gegenwärtige Periode ist diese Konzentration des Kapitals deshalb, weil sie die Erzeugung nicht hlvtz steigerte, sondern auch regulierte, indem sie einem allzu- larken Wachstum entgegenarbeitete und so die Gefahr der Ueber» Produktion abfchwächtc. Tic Leiter ber Rohstoffvcrbändc sind in diesem Punkte etwas klüger geworben und haben ihrer Be» gierbe einigermaßen Zügel auferlegt. Vielleicht, ja sicher, ge - schah dies nicht ganz freiwillig. Denn außer dem älteren Uebel ber Knappheit an Rohprobukten machte sich insbesondere der Mangel an Arbeitskräften fühlbar. Ist eS doch die ganze Zeit ber eine ständige Klage her Unternehmer in bei Industrie «von der Landwirtschaft gar nicht zu rcdenl) gewesen, daß sie dem Ausdchnungsbedürfniy'e der Produltion nicht ae- nügcnb Rechnung tragen konnten. Ja, der Arlleitermangel hat diesmal direkt zu Betriebseinfchränkungett geführt, wenn man den Industriellen glauben darf, und wenn das vielleicht auch eine Uebertreibung ist, so kann man in dem starken Slrbcitermangcl jedenfalls ein Moment erblicken, daß die allzu starke Ueber» Produktion hintangehalten bat. Inwieweit der Einfluß der Ge - werkschaften sich in dieser Richtung geltend machte, entzieht sich der Beurtcililng. Die Tcrtilbranchc z. B. mit ihren schlechten Lohnen dankt es wahrscheinlich mehr, als man glauben möchte, ber sonst so verpönten Unzufriebenheit ihrer gewiß geduldigen Sklaven, daß sie vor einem Uebermaß in ber Erzeugung be - wahrt würbe, obzwar sie bic Konjunktur gewiß nach allen Regeln ber kapitalistischen Kunst ausnutzte. Denn bic ziemlich starke Abwanbcrung von Arbeitern aus ber Textil- in bic besser zall- lenbe Metallinbustrie mußte eine Verlangsamung des Produk - tionsprozesses in der ersteren zur Folge haben, die vielleicht nicht dem momentanen Prositbebürfnisse ber Unternehmer, wohl aber ber Textilbranche als solcher zuträglich war. Alle biefe Momente haben einer besonderen Ucberproduktion entgegengewirtt und die Erfahrung bestätigt, baß eine Organi - sation der Industrie — und nicht bloß des Kapitals, sondern ganz besonders auch der Arbeit — im höchsten Interesse der Pro» duktion gelegen ist, und daß diejenigen Unternehmer, welche bic 'gewerkschaftliche Organisation ber Arbeiter befehden, zugleich auch die größten Feinde ihrer eigenen Klasic finb, wie über- Haupt eine rabitalc Sozialpolitik zu den Wirksamsten Gegenge - wichten gegen Ueberprobuktion unb Krise gehört. — Die bochwohlweifc Spitzfindigkeit bürgerlicher National - ökonomen bat ivicberholt bie Frage aufgeworfen. Warum bie norbamerikanischen Arbeiter noch nicht in ihrer Masse Sozia- listen seien, unb hat damit den einheimischen Sozialdemokraten ein unlösbares Sphinrrätsel aufzugeben geglaubt. Vielleicht beantworten bie Gelehrten Sombartc einmal bic Frage, weshalb heute die Krisen in Nordamerika viel größere Dimensionen unb heftigere Formen annehmen als in England und auf dem euro - päischen Festland? Es ist nicht unmöglich, daß sie dann die Ausbildung der Arbeiterverbände als das pro - bateste Mittel zur Hebung unb Verlängerung inbuftricHcr Prosperität anerkennen unb sogar zngeben, baß das beste Gegen - gift gegen ben Kapitalismus unb seine Auswüchse — der iso- zialismuS ist. S. K. Politische Uebersicht. Dernburgs Kolonialpläne. Dernburg hat, wie schon vor einer Woche berichtet, vor seiner Avresic aue ben gesegneten Kolonialgesilöen Ostafrilas allerlei über seine nach seiner Heimlunft zu oerwirtlichenden Absichten verlauten lassen. Siner seiner Zuhörer.Hai darüber einigermaßen ausführlich an bic „Breslauer Ztg.' berichtet. Wir entnehmen den Mitteilungen folgenbcs: „Tas nächste, womit Dernburg dem Reichstage kommen wird, dürfte luohl eine Forderung von 100 Millionen für eine Bahn von der Küste nach Taborn und von dort an den Tanganjika-Sec sein. Vielleicht wird er bie Summe in zwei ober brei Raten forbern, aber fordern Wird er sic auf alle Fälle, denn er erklärt mit Recht, daß ohne Bahnen ein Empor blühen und eine Sanierung der Ko - lonie ausgeschlossen ist. Er möchte später nach der Fertigstellung der Bahn die Hauptstadt D e u t s ch - O st - afrikas liach Ta bora verlegen,_ein Ort, der bedeutend gesünder als Dar-cS-Salaam ist. (sein Stede upferb scheint die B a u iii W o 1 1 p f 1 a n z u ng zu sein. Diese in einem großen Maßstabe zu treiben, halte ich für ausgeschlossen. Die sogenannten Baumwollexpcrten und Finanzgrotzen haben sich aus dem Staube gemacht und erklärten, daß weder das Klima noch das Land zum Baum - wollbau geeignet fei. Aber Dernburgs Idee ist, dem Eingeborenen langsam durch europäische Wanderlehrer bei - zubringen, wie man Baumwollbau rationell betreibt, und daß der Eingeborcnc dann feine Erzeugnisse und seine Ernte an die Europäer verkaufen soll. . . . Dernburg äußerte wiederholt als sein Programm, man müsse vor allem darauf bedacht fein, baß ber Eingeborene eine Verbesserung seines Loses unter kaiserlicher Herrschaft sehe, auf baß er ein treuer, deutscher Untertan werde. Ganz human, und klingt sicherlich auch sehr schon, aber bloß bazu gibt ber Deutsche nicht sein gutes Gelb her. Vom kaufmännischen Standpunkte soll eine Kolonie ein Absatzgebiet sein und gleichzeitig eine Bezugsquelle für Produkte, bic man sonst im AuSlanbe kaufen müßte. Vom naionalökonomischen unb sozialen Stanbpunkte aus soll eine Kolonie ein Ausnahme gebiet für überschüssige Arbeitskraft unb überschüssige Kapitalien fein." Der Urheber biefer Mitteilungen, der augenscheinlich von den Verhältnissen Ostafrikas etwas versteht, ist also wie andere Sachverständige auch der Meinung, daß es mit der Baumwoll - kultur in Ostafrika nichts werden wird. Aber Dernburg hat fein „Steckenpferd" und da darf cs dem deutschen Volke nicht daraus ankommcn, 100 Millionen dafür herzugeben, daß er es reiten kann. Die „Finanzgröhcn", die sich aus dem Staube gemacht haben, weil cS mit dem Gcldvcrdienen brühen nicht so flott geht, Wie sic wünschen, sind aber noch weniger geneigt, i h r eigene; Geld zu riskieren, nur um die Eingeborenen kulturell zu heben und sie zu „treuen deutschen Untertanen" zu machen. Dafür gibt der „gute Deutsche" fein Geld nicht her. Die Kolonien sollen Geld bringen, viel Geld, wenigstens für ben Privaten Säckel. Darum wollen bic Herren möglichst unbegrenzte A u s b e u t u n g s f r e i h e i t. Es ist ihnen ja schon unbequem genug, baß sie zu Hause nicht mehr mit ben Arbeitern ganz so umspringen können, wie sie möchten: soll die „Humanität" noch gar auf die Kolonien übertragen werden, so geht den Geldmachern alle Wahre Freude daran verloren. Selbstverständlich haben sic nichts dagegen, daß das Reich dort neue Millionen hinwirft, um ihnen Gelegenheit zu geben, dort Geld zu verdienen. Und obwohl voraussichtlich das Geld so ziemlich als weggctoorfc« an - gesehen werden kann, werden bic lieben SBlodfrcunbe, ba cs ihre Pflicht ist, „nationale" Fragen zu lösen, sich nicht lange nötigen lassen unb das Geld ber Steuerzahler für Zwecke bewilligen, für welche ihnen i h r eigenes Gelb „zu gut" ist. Ueber hundert Millionen Defizit im neuen RcichSctat. Wie bie „Voss. Zig." hört, wird der Deckungsbedarf des Reiches im neuen Etat auf weit über hundert Millionen zu veranschlagen fein, wenn die Mittel, die zur Ausbesserung der Beamtengehälter dienen sollen, in diese Summe hineingerechnet werden. Die Vorlagen, welche zur Deckung des Mehrbedarfs dienen sollen, werden erst später als der Etat an den Reichstag gelangen, dessen Durchberatung seitens des Bundesrats jetzt begonnen hat. Wie viel die Reichsfinanzkünstler im nächsten Jahre nus- geben wollen, wissen sie also schon, woher sie dsts Geld dazu nehmen sollen, aber noch nicht. Den Privatmann, der so wirt - schaften wollte, würde man als böswilligen Bankrotteur behandeln. Aber die staatlichen Finanzmänncr haben ja daS „große Reser - voir" der Taschen dcö Volkes hinter sich, in die sie beliebig oft unb beliebig tiefe Eingriffe glauben machen zu können. Hbei auch sie sind iiicht unerschöpflich unb die Erfahrung lehrt, daß eS für jede indirekte Besteuerung eine Grenze gibt, bei deren Ueberfdjreitung die Rechnung ber Staatsmänner sich als falsch erweist, indem btc übermätztg starke Belastung schließlich einen Stüdga ng be6 Verbrauchs erzeugt, der zur Folge haben kann, daß ber Ertrag der Höheren Steuer cm gerin - gerer ijt als vorher.