Tienstall, den Z. August 1WH>. Nr. 178. 23. Jahrgang. LanwurgerEcho. $ai< »Hamburger (J-rtjo" erscheint täglich, außer Montags SlboniieiiieiitSpreis linkt. ,,Tie Neue Welt" und ,,Tie arbeitende Jugend") durch die Post bezogen ohne Bringegeld monatlich M. 1,20, vierteljährlich *• 3,60; durch die Kolporteure wöchentlich 30 ftei ins Haus. Einz. Nr. 5 4. SonntagS-Nummer mit illustr. Beilage »Tie Neue Welt" 10 *. Kreuzbandsendungen monatlich A 2,70, für dar Ausland monatlich *- 3.60. Verantwortlicher Redakteur: Kruft Kopke in Hamburg. Redaktion: , , Expedition: Fehlandstraße 11, 1. Stock. •VstlltDHtß ’>*> Fehlandftraße 11, Erdgeschoß. Anzeigen die lechSgespaltene Petitzeile oder deren Raum 36 4. Arbeitsmarkt. Verniietungs- und ^aniiiienauzeigen 20 *. Anzeigen Annahme Fedlandftr. 11. Erdgeschoß lbiS 5 Uhr nachmtttagSl, in den Filialen (bis 4 Uhr uachui.), sowie in allen Annoncen-Bureaux. Platz, u. Tatenvorschrislen ohne Verbindlichkeit. 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Uns geht folgender Aufruf zu: Wieder einmal hat die K o l o n i a l p o I i t i k des Kapi - talismus schwere Startliste hervargerufen. In Marokko sind die europäischen Soldaten in den Kampf mit den Eingebore - nen geraten. In S p a n i e n haben sich die Arbeiter gegen einen Krieg, dessen ganze Lasten auf den ärmsten Teil der Bevölkerung fallen, erhaben. Seit langem hatte übrigens die sazialdemakra- tische Partei die Gefahren einer Situation vorausgesehen, aus der der gegenwärtige Zusammenstoß entsprungen ist. Am 24. August 1907 hat der Internationale Kongreß in Stuttgart mit Einstimmigkeit eine Resolution beschlossen, die die marokkanischen Unternehmungen Frankreichs und Spaniens verurteilte, die ihre Quelle in den finanziellen Spekulationen des Kapitalismus haben, und er hat die bestehende Praxis der Bourgeoisie, die das Blut der Arbeiter zur Erreichung von Gewinnen fließen läßt, ge - geißelt. Derselbe Kongreß hat speziell die Arbeiter Frankreichs und Spaniens aufgefordert, eine kräftige Kampagne zu unter - nehmen, um die Expeditionen nach Marokko zu verhindern, die Europa mit den schlimmsten Konflikten bedroht haben und noch bedrohen können. In Ausführung dieses Beschlusses haben die sozialdemokra - tischen Parteien Frankreichs und Spaniens eine Reihe von Ver - sammlungen organisiert zu dem Zweck, den Frieden zwischen den Nationen aufrecht zu erhalten, und die Regierungen der beiden Länder, die monarchische wie die republikanische, haben darauf geantwortet, indem sie aus Frankreich unsern spanischen De - legierten Pablo Iglesias, und aus Spanien unsern franzö - sischen Albert Wilm ausweisen ließen. Seitdem ist nicht eine Woche verflossen, ohne daß die verantwortlichen Organe unsrer Parteien die direkt interessiert sind, nicht ihre Anschauungen verkündet hätten. Um nur von Spanien zu sprechen, haben Ver - sammlungen gegen den Krieg in allen Städten stattgefunden, wo das Proletariat sich der unglücklichen Kriege auf Cuba und den Philippinen erinnert, in Madrid, in Salamanca, in Leon, in Santander, in Murcia, in Valencia, in Barcelona und noch anderswo. In ihren Artikeln, in ihren Reden, in ihren Prokla - mationen und besonders in dem Manifest vom 28. Juni 1909, unterzeichnet von Pablo Iglesias und Marino Garcia Cortes, lj anen die Mitglieder des nationalen Komitees der sozialdemo - kratischen Arbeiterpartei eine Paralelle gezogen zwischen der Politik, die man hätte befolgen sollen, und jener, die man be - folgt hat. Anstatt die produktiven Kräfte Spaniens zu ent - wickeln, zu dem Zweck, die oedauerliche periodische Auswanderung, zu der die spanischen Proletarier verurteilt sind, zu beseitigen, am'att den offenilichen Unterricht zu verbessern angesichts des Zustandes, daß 68 pZt. Analphabeten und 50 000 Mönche und Nonnen vorhanden sind, anstatt die öffentlichen Lasten zu ver - mindern in einem Lande, wo das Kultusbudget mehr als 50 Millionen jährlich absorbiert und wo 60 PZt. der Staatseinnah - men für Schiil^enverzinsung und militärische Ausgaben not- tocnüifl sind, hat das Gouvernement des Herrn Maura fortgefah - ren, unter der Aegide der internationalen Finanz eine Aben - teurerpolitik zu betreiben, die um so leichter ist, als das Proletariat mit die Geldsteuer und ganz allein die Blutsteuer trägt. Aber wenn der unglückliche Krieg Spaniens gegen die Vereinigten Staaten auch der Regierung nicht zur Lehre gedient hat, so haben die Proletarier sich geweigert, sich auf Fahrzeugen, die des Geschwaders Roschdjestwenskis würdig sind, einzuschiffen una sich die Haut durchlöchern zu lassen, um die Dividenden irgendwelcher Bergwerksgeselljchaften zu retten. Die Revolte ist gekommen, fast spontan, eine Revolte der Männer und Frauen, der Gatten und Gat - tinnen, der Väter und Mütt er. Und in diesem Lande der parasitischen Priester und Mönche hat die Volkswut nicht nur einen antikapitalistischen und antimilitäristischen, sondern auch antiklerikalen Charakter angenommen. In diesen schweren Er - eignissen haben unsre sozialdemokratischen Freunde ihre Pflicht erfüllt. Die Internationale schuldet ihnen ein Zeichen der Sh«npathie und der Dankbarkeit. Sie haben dem Krieg den Krieg gemacht mit Gefahr ihres Lsbeus, sie haben die Resolution unsres Kongresses zur Ausführung ge - bracht, und darum sind wir solidarisch mit ihrer |12j (Nachdruck verboten» Die sieben Gehenkten. Bon Leonid Andrejew. Autorisierte Uebersetzung von August Scholz. 9. D i e Mauern stürzen ein. Der Unbekannte, der sich Werner nannte, war ein Mensch, den Leben und Kanwf müde gemacht hatten. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er eine starke Liebe für das Leven empfunden sich für Theater, Literatur und geiellichastlicheii Verkehr begeistert hatte; mit einem guten Gedächtnis /und einem Testen eitlen 6c. gabt beherrschte er mehrere europäische sprachen vollkommen und konnte sch leicht für einen Deutschen, emen Franzosen oder Eng. länder ausgeben. Das Deutsche sprach er gewöhnlich mit bapn. idient Akzent, doch konnte er aus Wunsch auch Berliiiisch sprechen wie ein echter eingeborener Berliner. Er klenme sich iVin gut, hatte gute Manieren und war der einzige unter den Genossen, der t" wagen tonnte, wuf den Bällen der großen zu er - scheinen L daß er eine Entlarvung zu befurchten brauchte. Aber chon längst war in seiner Seele, unsichtbar jur die Genossen, eine düstere Menschenvernichtiing gereist, ju war der Ausdruck der Verzweiflung und einer dumpfen ciensmudigleit, die schwer auf ihm lastete. Seiner Anlage nach eher als Dichter, hatte er bisher weder Begeisterung noch Ckstase kennen gelernt und kam sich bisweilen wie em Narr voi, n er gosscnem Menschcnbllut die Quadratur des Kreises naii jer Feind, dem er im täglichen Kampfe entgegen^ reten Isatte, konnte ihm keine Hochachtung entflogen; « war y»eS’ Abschaum Netz von Dummheit, Verrat und Luge, von scki >■ l. fl und widerlichem Betrug. Das letzte, was l"r »» ~ cjncd Leven ui ihm vernichtet zu haben schien, war die Bese g Spitzels, den er im Auftrage der Organisation geto , aller Mihe hatte er ihn getötet, doch als er iann Ä e X lügnerische, feilt aber ruhige und trotz alledem uutle ti - menschliche Antlitz ,ah, hatte er plötzlich ausgehort, stä, selbst und sein Werk zu achten. Nicht, daß er Rene empfunden ftatte aoer er hörte einfach plötzlich auf, sich zu achten, ward gU Äl» » J* selbst uninteressant, unwichtig und bis fr'er gültig. Aul der Organisation trat er indes als Mensch 1 ' uiycriplitterter Willensricht.ung nicht au? und blub au,. Aktion. Wir verkünden das laut in dem Moment, wo die Reaktion, die sich der Geschichte der Kommune erinnert, versucht, durch ihre tendenziösen Nachrichten und die Zensur die Opser in Verbrecher und die Verbrecher in Opfer umzulügen. Aber unsre Solidarität darf sich nicht darauf beschränken, in Versammlungen unsern Protest gegen die Henker der Arbeiter - klasse zum Ausdruck zu bringen. Männer sind gefallen, Frauen und Kinder sind getötet, Wohnungen sind durch Kanonenschüsie zerstört worden. Wir haben die moralische Pflicht, die Opfer zu unterstützen und unsern Parteigenossen zu helfen, ihre Bewegung auszudehnen. Um zu diesem Zweck zu gelangen, schlagen wir vor, einen Fonds zu bilden, dessen Betrag der spanischen sozialdemo - kratischen Arbeiterpartei überliefert werden soll, die das Geld nach bestem Wissen benutzen wird. Vor einiger Zeit haben unsre Freunde in Madrid beschlossen, eine tägliche Zeitung herauszu - geben, um besser der Verbreitung unsrer Ideen zu dienen. Die belgische Arbeiterpartei, die sich der pekuniären Hilfe erinnerte, die ihr bet ihrem Entstehen durch die deutsche sozialdemokratische Partei geleistet worden ist, hat bereits Listen herausgegeben. Wir hoffen, daß dies Beispiel befolgt wird. So können wir Wunden verbinden, und wir werden der tapferen spanischen Sozialdemokratie die notwendige Munition liefern, um ihre Aktion gegen den Kapitalismus verstärkt weiter zu führen. gez.: Das Exekutivkomitee des internationalen sozialdemokratischen Bureaus. Eduard Anseele. Leon Furnemont. Emile Vandervelde. Der Sekretär: Camille Huhsmans. Rüstungsbeschränkungen. Im englischen Unterhause ist dieser Tage der Antrag eines Radikalen, den Schiffsbanetat herunterzusetzen, mit 280 gegen die ansehnliche Minorität von 98 Stimmen ab - gelehnt worden. Aber in der Debatte wurde von der Negierung abermals ihre Bereitwilligkeit zu einem internationalen Ue be re i n komm e n behufs Begrenzungen der Flotten- rüstungen erklärt. Die deutsche Regierung aber scheint noch immer keine Neigung dafür zu verspüren; sie hat „nun einmal die Anti - pathie", und wenn die Erträgnisse der famosen Reichssinanz- reform verschlungen sind, wird man der Bevölkerung weitere Schröpfköpfe ansetzen, nach dem Grundsatz: Vivat Militaris- HiHk - pefeat p.,palus'. ^Variante: „Es lebe der Milini rismus, mag auch das Volk immer mehr in Bedrängnis kommen!") In einer neuesten Schrift des Marburger Professors Walther Schücking (Bruder des aus seinem Amte hinausgegraulten Husumer Bürgernteisters Lothar): „Die Organisation der Welt" (Leipzig, Alfred Kräner) geht der Autor scharf ins Gericht mit der deutschen Opposition gegen ein solches Abkommen. Tenn auf der ersten Haager Konferenz harte zugestandenermaßen Deutschland bei diesem Widerspruch die Führung. Das war 1899, und der deutsche Militärdelegierte Oberst Groß v. Schwarz - hoff führte aus, wir Deutsche litten durchaus nicht unter unsern R üst ung e n zu Wasser und zu Lande; wir würden immer reicher und trügen immer leichter an dem Kleid unsrer Wehr - fähigkeit. Sic! — diese Protzerei wurde bald Lügen ge - straft, als das Dkedusenhaupt des Reichsdalles in Sicht kam. „Läßt sich überhaupt in einem Staate, in dem annähernd eine Million Menschen infolge schlechter Ernährung und Woh - nung an Tuberkulose leiden, das Geld nicht zweckmäßiger ver - wenden, als daß man Schiffe für je 50 Millionen Mark baut, die, noch nicht fertig geworden, schon wieder von einem größeren Typ überholt sind?" fragt Schücking. Selbst ein Diplomar äußerte während der Konferenz, etz sei kein Wunder, daß die Militärs für Rüstungsbeschränkungen nicht zu haben seien; „es ist, als ob man die Schuster über die Abschaffung der Stiesel beraten ließe". Und die Schwaben sagen, wenn die Flaschner (Klempner) maßgebend wären, müßten alle Häuser Däcber von Blech haben. Auch aus der zweiten Haager Konferenz war es wiederum das Deutsche Reich, das sogar eine bloße Besprechung des Äb- rüstungsproblems vereitelt hat, und Bülow erklärte im Reichs - tage (1907), daß sich Deutschland an einer solchen Erörterung nicht beteiligen würde. Mit ivenigen Ausnahmen haben die bürgerlichen Blätter diesen Standpunkt gebilligt. Der Milita - rismus sitzt den „nationalen" Deutschen so tief in den Knochen, daß man die englische Bereitwilligkeit nur als Intrige gegen Deutschland auffaßt. Ein Schelm traut niemand ehrliche Ab - sichten zu! In unsrer Nr. 78 haben wir di« Absurdität des alten Leib - spruches der Militaristen: Si vis pacem para bellum! i„Willst du Frieden, so rüste zum Kriege!") ins Licht gesetzt und den älteren homerischen Spruch dagegen angeführt: „Tas Eisen ziehet den Mann an", will sagen: die Waffen reizen, sie zu ge- und mißbrauchen, was ja auch die häufigen privaten Mesierstechereien, Schlagringbrutalitäten und Schieße - reien bestätigen. Auch Schücking widerlegt die Borniertheit, istelche in den kolossalen Rüsmngsausgaben eine „Versicherungs - prämie gegen den Krieg" erblickt. Fm Gegenteil. Schon Kant schrieb, nichts sei für die Herstellung einer internationalen Friedensorganisation hinderlicher als das Anwachsen der stehen - den Heere, die bereits Thomas More als „fleischfressende Tiere" bezeichnet hat. „Liegt die Gefahr nicht allzu nahe, daß, wenn man jährlich Milliarden für ein gutes Werkzeug ausgibt, man avch dazu neigt, gegebenenfalls davon Gebrauch zu machen, auch wenn es sich nur um Marokko handelt, ober gar bloß um die Deserteure von Casablanca!'" Eingehender noch und sebr verständig hat Bertha von Suttner in ihrer neuesten Publikation: „Rüstung und Ueber- rfifmng" (Berlin, Hesperus-Verlag) auSgesührt: „Es liegt im Wesen aller Institutionen, daß sie nach und nach von dem ursprünglichen Zwecke, zu dessen Dienst sie eingesetzt worden, unabhängig werden und ihr eignes Wachstum, ihre eigne Macht, ihre eigne Lebenserhaltung zum böchsten Ziel seyen. An ihrem Fortbestand hängen so viele Existenzen, so viele Interessen; ihr Äufhören und auch nur ihre Einschränkung würde Karrieren zerstören, oie($ Betriebe ruinieren, liebgewordene Anschauungen und Ideale zertrümmern. Ist es da nicht natürlich, daß solche alte, liesgewurzelte und weitverzweigte, von Glanz und Macht umgebene Institutionen alles abwehren, was sie schwächen konnte, und daß sie instinktiv nur um so eifriger für ihre Er - haltung wirken?" Die Sozialdemokratie weiß, daß die Kriegsgefahr nur mit der Beseitigung der Klassen durch die sozialistische Produk - tionsweise vollständig überwunden werden kann. Aber das hindert sie nicht, unablässig und energisch für Abrüstung Propa - ganda zu machen, und ihre Fraktion ist im Reichstage bei jeder Gelegenbeit dafür eingetreten. Politische Uebersicht. Ter Fuchs, dem die Traube» zu doch hängen. Etliche gute Leutcken innerhalb unsrer Partei, die »staats - männisches" Zalent in sich sichten, pflegen bei jeder passenden ober unpassenden Gelegerchen ihre Begeisterung für einen sozialdemokratisch-liberalen Block lundzurun und werben dafür in der liberalen Presse als »einsichtige Männer" and »praktische Politiker" gefeiert. In der eigenen Partei stoßen diese Apostel .staatsmännischen" Waschlappentiims nur auf taste Abweisung oder lächelndes Achselzucken über ihre unheilbare Idiosynkrasie. Schließlich haben es auch Die Liberalen heraus» gekriegt, daß die paar Eigenbrodler wirklich feinen Einsluß in der fo\ialbemotratn"dien Partei haben, und weil sie nun einsehen, daß die Trauben zu hoch hängen, nennen sie sie sauer. Ein Bei - spiel rür viele. Tie freisinnige „Hartungsche Zeitung" bespricht die cDcntuelie Einigung der drei liberalen Parteien und schreibt: Bleibt als Hauptbedenken das Verhalten zur Sozialdemokratie. Hier kann es für den Libera - lismus keine Schranke und keine Zweideutigkeit, fein Crperimen- tieren und keine ^llusionsvolitik geben. Ter Liberalismus würbe sich selbst und seine Zukunft aufgeben, wenn er sich in seiner Stellungnahme zur Sozialbemokratie nickt treu bleibt. So, wie bie Sozialdemokratie ist, kann es mit ihr keinen Pakt, keinen B a f f e n st i 11 st a n d geben.... Tie unver - söhnliche Gegnerschaft zwischen Liberalismus und Sozialbemokratie iss eine Naturnotweadigkeit, über die kern Reben unb Schreiben, kein Philosophieren und Debattieren hinroeghilft. Tas binbert nicht, daß tni Parlament von Fall zu Fall, wie bei der Reichsnnanzreform. die gesamte Linke sich zu gemeinsamer Abtvehr gegen die Reaktion zusammenschließt. darüber hinaus aber gibt e 8 keine Gemeinschaft zwischen Bürgertum unt> sozialbemokratie. Wenn der Liberalis - mus aufhören sollte, mit derselben Entschiedenheit nach links wie nach rechts zu kämpfen, würbe er eclbftmorb begehen. Aber selbst, wenn die Führer kurzsichtig genug wären, eine solche Parole auszugeben, die Wähler würden ihnen nicht folgen, sie würden sie im Stiche lassen. Die erfreuliche Entwicklung, daß Mittelstand und Bauernstand, daß Handwerk unb Beamtenstand sich wieder dem Liberalismus nähern, wäre im Keime erstickt, wenn der Liberalismus der Sozialdemokratie gegenüber seine Stellung auch nur um Haaresbreite verschieben würbe. Hier also heißt es ein Halt gebieten ben Elementen, bie das Heil des Liberalismus in einer Umarmung bet Sozial - demokratie erblicken " JH 4—5 pro Mille , 4-9 „ . „ 5—10 , . fr-io „ . , 9-10 , , . 10-12 . » 5 - Zigarren. 6 . , 7 „ . . 8 „ , • 10 , . 12 , „ • entscheidend. ... . . Unter Berücksichtigung aller nach bet Große unb der Qualität der Zigarren sich naturgemäß ergebenben Ver,chteben- heiten betragt die Mehrbelastung: Zentrum und Tabakwertzoll. AuS Tabakarbeiterkreisen wirb uns geschrieben: Um die Verantwortung für die infolge des vom schwarz- blauen Block beschlossenen Wertzolles eintretenbe Preisverteurung der Zigarren von sich abzuwälzen, versuchen jetzt Zentrum unb Konservative, bie Zwisckenhänbler beim Publikum anzu. schwärzen. So macht momentan eine Notiz der »Germania" durch die Presse bie Runbe (siehe Politisckte Uebersicht des „Hamb. Echo" Nr. 176), in Welcker eine Gegenüberstellung ber Belastung durch bie Steuer unb ber Preiserhöhung im Detailhanbel gegeben wirb. Tie Darstellung der „Germania" ist absolut falsch; nach derselben soll zunäckst die 5 -Zigarre nur mit M 2,84 durch Steuer unb Wertzoll belastet werben. Wenn bie „Germania" eine solche Mit - teilung von einem Fackmann aus Zentrumskreisen erhalten hat, so steht fest, baß dieser sckwarze Geselle seine Kunden bisher schänd- lick betrogen bat. Er hat dann nämlich zu seiner 5 H-Ztgarre nur das Deckblatt von ausländischem Tabak genommen, als Um- blatt unb Einlage aber „Lieb Vaterland" verwandt. Tas Rechenerempel ist sehr einfach: 2 Psd. Sumatra a .H. 2,65= 5,30 Wertzoll 40 pZt. — » 2,12 12 Psd Pfälzer ä 6 4 Mehrsteuer = , —,72 Zusammen... M>. 2,84 Tie Rechnung ist sehr klar — nur schade, baß eine berart zu - sammengestellte Zigarre ungenießbar ist unb ber Raucher mit emem Wicken stinkenden Glimmstengel aus jeder anständigen Gesellichaft l inausgeworfen würde. Nach Ansickt der Herren vom Zentrum — das beweist die Rechnung — ist für die Arbeiter „Lieb Vaterland" gerade gut genug; aber in sehr vielen Zigarrengeschaften ist ^bisher eine ö A-Zigarre, aus rein ausländischem Tabak hergestellt, geführt worden, unb für diese stellt sick die Rechnung bann ganz anders Tie Mehrbelastung beträgt bei Zigarren auS ausländischem Tabak, je nach der Größe ber Zigarre und ber Qualität bes dazu ver - wandten Tabaks .H 4 bis JC 5 pro Mille. Durch diesen P»,s- ausschlag vom Fabrikanten wird bie 5 »Z -Zigarre im Zwiicken- hanbel aber ohne weiteres zur 6 4-Zigarre, da doch kein ver - nünftiger Mensch vom Zwischenhänbler verlangen kann, datz er sick bei seiner 6 ,5-Zigarrc mit einem geringeren Aufschlag be- gnügen soll als lieber; seine Labenmiete lerne Unkosten bleiben dock dieselben. Wenn er bei ber 6 Zigarre in Zukuntt wirklich etwas mehr verdienen sollte, so wird er dafür für die 5 -5-oigarre, die sick ans dem Konsum doch nicht ohne weiteres ausichalten laßt, crhcbOd) mehr bezahlen müssen als bisher — vorausge;etzt nainlick, daß er nickt auf dem Zentrnmsstandpunki steht: für die unbemittelt ten Rancker sei das elendeste Zeug von Tabak gerade gut genug. Sonderbar ist nun, daß, während bei ber 5 •4=3'0 ar J :e nur >>. t --- Belastung ncm « 2,84 e-.ntreten JoH. diese bet ber « JMtaarre ploelict) auf * 11.15 in bie Höhe schnellt uno dann progressiv bis zur 12 H-Zigarre auf « 17,60 steigt. Der Wunsch ist hier der Vater ber Aufstellung; das Zentrum wünscht bet dem Publikum den Eindruck zu erwecken, als bewirke der von ihm so sehr gepriesene Wertzoll eine progressive Steigerung, al- würden bte Besitzenden erheblich höher belastet, als die Arbeiter. Im Interesse ber Wahrheit muß dieser Zentrumslnge mit aller Enischiebenbeit entgegengetreten werben, eue urch- scknitisbelastung bei den bessern Zigarrensorten ist keineswegs so hock, wie bie „Germania" bicS angibt. Durch ben Wertzoll werben bie Zigarrensorten in einer Preislage, nickt wie die „Germania angibt, alle gleichmäßig, sondern' äußerst verschieben belastet. Die Belastung bet einer .[einen 6 unb 7 > - Zigarre ist eventuell viel geringer als bet einer bisherigen großen 5 -Zigarre, nicht nur bie Qualität, sondern auch die Cuamität des zu einer Sorte verwandten Tabaks ist Damit vergleiche man bie Sätze ber „Germania". Bei ber 10 .^-Zigarre soll bie Mehrbelastung < lö,6>> betragen, das ist um mindestens 50 pZt. zu hoch gegriffen. In der Praiis werden im übrigen in Zukunft die bemittelten Rancher, die sich kisten - weise ihre Zigarren von einem Grossisten ober von einem Fabrikanten schicken lassen können, für ihre Zigarren pro Stuck auch nicht mehr bezahlen, als der ärmste Arbeiter, ber in einem Ladengeschäft pro Stück 1 ,5 mehr entrichten muß. Die Tabelle der „Germania" ist nichts weiter als, ein plumper Schwindel — nur zu dem Zweck in die Welt gesetzt, um das Zentrum unb die Agrarier reinzitwaschen und den Wert - zoll sozialpolitisch aufznputzen. . . Das Zentrum hat es dringend nötig, sich bei seinen Wahlern al? „Freund des armen Mannes zu insinuieren; deshalb die so fein ausgeklügelte progressive Tabelle und die Anschwärzung derselbe — nur in seinen Augen nistete sich etwas Kaltes, Grausi - ges ein. Und keinem Menschen sagte er ein Wort. Noch eine seltsame Eigenschaft besaß er: wie es Menschen gibt, die nie im Leben Kopfschmerzen gehabt haben, so wußte er sticht, was Furcht ist. Schwebten die andern in Angst, so ver - urteilte er sie zwar deshalb nicht, doch bezeigte er ihnen auch kein besonderes Stilgefühl — als ob sie eben nur an einer ziemlich verbreiteten Krankheit litten, von ber er selbst nie besallen worden war. Seine Genossen, namentlich Wahsa Kaschirin, jebamerte er; doch war dies ein kaltes, fast offizielles Bedauern, wie es viel - leicht auch diesem und jenem von den Richtern, die Waßja ver - urteilten, nicht fremd war. Werner begriff, daß bte Hinrichtung nicht gleichbedeutend mit dem Tode, sondern etwas andres war — auf jeden Fall indes ivar er entschlossen, sie völlig ruhig, als etwas Nebensächliches, hinzunehmen und bis ans Ende so zu leben, als ob gar nichts ge - schehen weite noch geschehen würde. Nur io konnte er seine völlige Geringschävung gegenüber der Todesstrafe an den Tag legen und bis zuletzt unangetastet seine geistige Freiheit bewahren Auch in ber Gerichtssitzung buchte er — waS selbst die Geiwn'en, bie bock seine falte Furchtlosigkeit und seinen Hochmut sehr wohl kannten, nicht geglauut hätten weder an den Tod noch ans Leben: er faß in sich gekehrt du unb hatte seine ganze Aufmerksamkeit einer schwierigen Schachpartie z»gewandt, die er_im Geiste mit irgend lemand spielte. Er war ein ausgezeichneter Schachspieler, batte vom ersten Tage seiner Hast an sick an diese Parste gemacht unb spielte ohne Unterbrechung daran weiter, lind auch das Urteil, das den Tod durch den Strang über ihn verhängte, verrückte nicht eine Figur auf seinem unsichtbaren Schachbrett. Selbst der Umstand, daß er voraussichtlich die Partie über - haupt nicht beenden würde, machte auf ujn leinen Eindruck; den Morgen des letzten Tages, der ihm auf Erden noch übrig blieb, begann er damit, daß er einen nicht ganz gelungenen Zug vom Tage vorher verbesserte. Die herabgesiinkeiien Hände zwischen ben Knien haltend, saß er lange unbeweglich da; dann erhob er sick und begann umherzugeyen unb nachzudenken. Er batte einen eigenartigen (Slang: den oberen Teil des Rumpses neigte er ein wenig vor unb setzte die Absätze fest und bestimmt auf die Erbe auf - selbst in trockener Erde hinterließen seine Schritte eine tiefe, deutlich wahrnehmbare Spur. Leise, nur mit dem Atem, pfiff er eine einfache italienische Arie — das half ihm beim Denken. Die Sache ging indes diesmal nicht recht von Italien. Zn der unangenehmen Empfindung, daß er irgend eilten groben, ja viel - leicht sogar recht groben Fehle: gemacht Jabe, ging er mehrmals in öen Zügen weit zurück und prüfte das Spiel fast von rinsang an nach. Er konnte den Fehler nickt finden, aber bas Gefühl, daß er einen Fehler begangen, verließ ibn nicht nur nicht, sondern ward vielmehr immer stärker und peinlicher. Und plötzlich tauchte ein unerwarteter, rür ihn sogar beleidigender Gedanke in ihm aui: liegt der Fehler vielleicht gar darin, daß er durch das Schachspiel seine Aufmerksamkeit von ber Hinrichtung ablenken, sich baburch gegen die Todesfurcht seien will, die angeblich jeden zum Tobe Verurteilten befällt? „Nicht bock, weshalb?" beantwortete er kühl die gestellte Frage unb floppte ruhig das unsichtbare Sckackbrett zu. Und^mit der - selben konzentrierten Autmerksauikeit, mit der er das -spiel ber folgt hatte, suchte er, als wenn er in einem strengen Examen die Fragen der Eraininatoren beantwortet, sich von der ganzen furchtbaren Trostlosigkeit seiner Lage Rechnung zu geben: er unterwarf seine Zelle einer eingehenden Besichtigung, suchte dabei möglichst keinen Gegenstand außer acht zu lassen, zählte die Stunden, die ihm noch bis zur Hinrichtung blieben, malte sich ein annähernd zutreffendes Bild von der Hinrichtung selbst aus und zuckte die Achseln. .Nun?" antwortete er gleichsam irgend jemandem mit einer Halbfrage, „das ist also alles? Wo bleibt da die Furcht?" Von Furcht war in der Tat bei ihm nicht die Rede. Ja, er empfand nicht nur keine Furcht, sondern sogar etwas, das der Furcht entgegengesetzt war -- nämlich eine wenn mich un - bestimmte, so docki große, kühne Frcube. Und bet Fehler, den er noch immer nicht herausgeiunben hatte, rief nicht mehr Seiger oder Reizbarkeit in ihm hervor, sondern svrack gleichfalls laut von etwas Unerwartetem. Gutem: als wenn ein naher, teurer Freund, den er für tot gehalten, plötzlich frisch und gesund vor ihn hingetreten wäre und ihn angelackt hätte. Wieder zuckte Werner bie Achseln und befühlte seinen Puls: sein Herz schlug zwar schneller als sonst, doch war der Puls von einer ganz besonderen klangvollen klärte. Noch einmal be - trachtete er eingehend, wie ein Neuling, ber zum erstenmal tm Gefängnis sitzt/ die Wände, die Riegel, den ant Fußboden fest- geschraubten