Nr. 181 Freitag, den 6. August 1909 23. Jahrgang Hamburger Echo Vernntwortlicher Redakteur: (fernst Köpke in Hamburg. Anzeigen die sechSgelpallene Pelilzeile oder deren Raum 85 ArbeitSinarkt, Bermietungs- und Niamilieiianzeigen 20 4. Anzeigen-Annahme Fehlandstr. II. Erdgeschoß (bis 5 Uhr nachmittags», in den Filialen (bis 4 Uhr nachm.), sowie in allen Annoncen-Bureaux. Platz- u. Tarenvorschriften ohne Verbindlichkeit. Reklamen im redaktionellen Teil werden weder gratis noch gegen Entgelt ausgenommen. Buchhandlung und Buchdruckerei-Kontor: Fehlandstr. 11, Erdgeschoß. ... TaS ^Hamburger Crdio* erscheint täglich, außer MontagS. Abonnenicntspreis (inkl. „Die Nene Welt" und „Die arbeitende Jugend") durch die Post bezogen ohne Bringegeld monatlich K 1,20, vierteljährlich K 3,60; durch die Kolporteure wöchentlich 30 4 srer »ns Haus. Einz. Nr. 6 4. Sonntags-Nummer mit illustr. Beilage »Die Neue Welf 10 4. Kreuzbandsendungen monatlich k 2,70. für dar Ausland monatlich *- 8,50. 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Ein Werber für den „Hansabund" in einer süddeutschen 'stabt wollte einen intelligenten Mitbürger „keilen" (zum Bei - tritt überreden). „Gern!" antwortete dieser, „aber unter einer Bedingung." — „Die wäre?" — „Daß der Hansabund statu - tarisch bestimmt: Kein Mitglied darf den Adelstitel an - nehmen und sich „von" schreiben, wenn ihm derselbe, oder ein Orden, womit er verbunden ist, verliehen wird." — „Eine bagatellhafte Aeußerlichkeit!" meinte der Werber lächelnd. — Nein, versetzte der andere, so lange Bürgerliche sich angenehm gekitzelt fühlen, wenn sie in den Adelsstand „erhoben" werden, wie die Zeitungen lächerlich-schamlos schreiben, so lange auch Männer der Wissenschaft und demokratische Führer, wie z. B. der Schwabe Payer, das „von" als Dekoration ihrem Namen vorsetzen, statt es wie einen Kropf zu verabscheuen, infolange beweisen sie, daß sie noch immer in den Junkern eine Art höheres Wesen er - blicken, und leisten damit deren Anmaßungen Vorschub, billigen, daß ihren Kasteninteressen Rechnung getragen wird auf Kosten der übrigen Bevölkerung, und daß sie den Bürgerlichen vor - gezogen werden, nicht bloß im höfischen Gesellschastswesen, sondern auch im Staatsleben auf verschiedenen Gebieten. So vor allem in der preußischen Verwaltung. Wie stark in dieser das feudale Element dominiert, ganz besonders in der Besetzung der Landratsämter, ist allbekannt und neulich in der „Franks. Ztg." auf Grund eines amtlich zuverlässigen Ouellenwerks in überraschenden Ziffern dargelegt worden. Der Verfasser bemerkte dazu: diese Zustände sind gewiß kraß. Eine gewisse Bevorzugung des preußischen Adels in der Verwaltung hat man ja stets vorausgesetzt und leider nur zu lange still - schweigend toleriert. Aber daß sie ein solches Maß erreicht, haben viele Leute bisher doch nicht gewußt. Dieser Vorherrschaft des junkerlichen Elements in den einfluß - reichen höheren Aemtern ist es hauptsächlich zuzuschreiben, daß Agrarier und Konservative — was so ziemlich eine Tautologie ist — nicht bloß im preußischen Landtag die überwiegende Mehcheit bilden, sondern auch im Reichstag weit stärker vertreten find, als den betteffendenWahlkreisenentspricht. Denn von den Land - räten und ihren Untergebenen wird die Wahlmache aufs ausgiebigste betrieben, und das nicht bloß zur Wahlzeit. Jahraus jahrein sorgen sie dafür mit den bekannten Praftiken, daß von ihren »ejurlen die polnische Aufklärung ferugehallen und Wähler- maffen in Stumpfsinn und reaktionären Gesinnungen erhalten bleiben resp, eingcschüchtert und gefügig seien. Welche tvnoriftische Mittel stehen nicht den höheren und niedrigen Verwaltungs - beamten besonders in ländlichen Gegenden zu Gebote! Rian denke an die sensationellen Enthüllungen des verflossenen Bürger - meisters Schücking von Husum! Durch besagte Wvilegierung des Adels ist die ganze preußische Verwaltung feudalisiert. Daß das Bürgertum das alles mit Gemütsruhe hinnahm aus borniert-seiger Angst vor dem Proletariat, ist sattsam bekannt, wie nicht minder, daß die agrarische Hochschutzzöllnerei von einem Teil der Großkapitalisten unterstützt wurde, um ihrerseits Industrie- zölle zu erhalten. Wolf und Fuchs in der Fabel! Bei alledem ist auch das nicht unwesentlich, daß die Bürgerlichen überhaupt noch den alten Respekt vor dem Adelstitel nicht ausgeschwitzt haben. Weil er selbst vom Klassendünkel gegenüber dem Prole - tarier gebläht ist und auf ihn protzig heruntersieht, schaut der Bürgerliche auch seinerseits insttnktiv hinaus zu dem Aristokraten und wittert in ihm allerlei imponderabile Qualitäten, die ihm beneidenswert scheinen. Vor allem im rückständigen Deutschland, aber auch anderwärts. Der Snobbismus, der danach schleckt, daß er sich an Aristokraten reiben, in ihrem Dunstkreis verweilen kaun, schrieb f. Z. Max Nordau in den „Konventionellen Lügen", ist in allen Ländern zu Hause, auch den demokratischsten. Der Franzose ist stolz auf die Bekanntschaft eines Herzogs oder Marquis, und der Amerikaner, der den „all - mächtigen Dollar" als feinen Gott verehrt, ist entzückt, wenn er feinen Salon mit einem Edelmann „schmücken" kann. Der Mufti- Millionär verheiratet feine Töchter am liebsten mit einem europäischen Aristokraten, auch wenn er mehr Schulden hat, als Haare auf dem Kopse, und nichts aufweisen kann als die windigen Manieren eines „flotten Kavaliers". Ein Sasse, der sich Baron oder Graf nennt und feine Jugend in vornehmen Liederlichkeiten bereits verpulvert hat, besteht in den Augen des Durchschnittsbürgerlichcn immer noch aus besserem Stoff, als der jiigcndkräftige, tüchtige Arbeiter. Lassen sich doch auch die bürgerlichen „Damen" von chren Dienst - boten und Bekannten „Gnädige Frau" titulieren, was den Adels- bauten abgespickt ist, unb bie Romanbichter unb Feuilletonisten, auch der demokratischen Blätter, haben sich längst angewöhnt, diese abgeschmackte Anrede bis zum Ueberdruß zu gebrauchen. Es ist daher so uneben nicht, was der eingangs erwähnte Mann von den Hansabündlern verlangt. Ist es ihnen ernst damit, den Junkern die Gefolgschaft zu kündigen und chren Prärogativen den Krieg zu erklären, so mögen sie das demonstrativ dadurch dokumentieren, daß sie das Adelsprädikat verschmähen und damit bekunden, daß ihr bürgerliches Bewußtsein sich dagegen sträubt, das Attribut dieser Kaste als Dekoration zu tragen! Politische Uebersicht. Ob's wahr ist. Die „B. Z. ant Mittag" will von unterrichteter Seite das Folgende erfahren haben: „Nach dem Diner, das Prinz Heinrich während des Aufent - haltes des deutschen Uebungsgeschwaders in Bilbao der dortigen deutschen Kolonie gegeben hat, wurde fest politisiert Tie Deutschen im Auslande hatten natürlich mit dem höchsten Interesse die Vor - gänge int Reiche während der letzten Jinanzreformlrise verfolgt. Die Mißstimmung über den Ausgang der Kalamität wurde dem Prinzen gegenüber sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, und der Prinz stimmte den Kritikern unumwunden zu. Er sagte u. a.: „Es ist das erste Mal, daß Seine Majestät das „Ich trau mich nicht" gesagt hat. Es ist ihm die Auflösung nahegelegt worden. Und ichhätte auch aufgelö st." So ungefähr — das heißt eigentlich noch etwas schärfer, drückte sich Prinz Heinrich aus. Daß die Konservativen bei Hofe heute unten durch find, ging aus des Prinzen weiteren Worten jedenfalls mit Deutlich - keit hervor: Kanalvorlage. Reichsfinanzkomodie, noch so'n Ting, dann . . . Aller bösen Dinge sind drei. Bülow ist noch lange nicht kalt gestellt, man wird noch oft seine Hand erkennen. Ein zweites Mal heißfts biegen oder brechen . . . Mit dem Zentrum lebt man auch ferner auf dem Qui vive-Stanbpunlt. Es wäre ja auch eine verteufelt waghalsige Geschichte geworden. „Aber trotz alledem, ich hätte aufgelöst, sonst glaubten die, man dürfe uns alles bieten." Wir überlassen es der bülowitischen Presse, aus dem angeb - lichen: „Ich trau mich nichtI" Schlüsse zu ziehen. Einen Trost müssen ja die Blockliberalen auch haben. Heiteres vo» den neuen Steuer». Die O b e r p o st d i r e k t i o n Berlin hat an die ihr unter - stellten Postämter eine eilige Verfügung ergehen lassen, wonach der voraussichtliche Bedarf an Glüh st rümpfen bis einschließ - lich Dezember d. I. noch vor Inkrafttreten der Steuer anflefdjafft werden soll. Herr Wermuth, der neue Reichsschatzsekretär, wird natür - lich über diese Findigkeit der Reichspost außerordentlich erfreut sein. Man wird aber dann Privatleuten keinen Vorwurf daraus machen dürfen, daß sie sich rasch noch mit größeren Vorräten ver - sorgen, wenn die Retchspost auf diesem Gebiete oahnvrecheno vorangeht. Die Rechnung der Post kann aber auch ein Loch bekommen, denn in einer offiziösen Erklärung in der „Norddeutschen Allge - meinen Zeitung" wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nur die Vorräte steuerfrei sind, die sich im Besitze von Privat - personen befinden. Auf die Auseinandersetzung zwischen den Staatssekretären K r ä t k e und Wermuth kann man sonach gespannt fein. Es ist zu schön, wie der Reichsfiskus (vertreten durch die Post) dem ReichsfiskuS (vertreten durch das Schatzamt) ein Schnippchen zu schlagen versucht, und wie dann schließlich vielleicht noch die ehrsame Zunft der Juristen in der Sache Fiskus gegen Fiskus ihren Broterwerb findet. Die amtliche Preffe wider die Regierung. Wir teilten kürzlich mit, daß die Rede, die der Konservative Führer v. Heydebrand und der Lasa bei der Reichs - finanzreformberatung im Reichstage zur „Rechtfertigung" des Standpunktes seiner Partei gehalten hat, den amtlichen Kreisblättern als Beilage gegeben worden ist. Wie aus Stettin mitgeteilt wird, gehen einzelne Amtsblätter noch weiter. So enthält die Nummer 179 des „Amtlichen Kreisblattes für den Kreis Regenwalde", das in Labes erscheint, einen Leitartikel, der ganz im Sinne des Herrn v. Heyde - brand die Mitarbeit der Konservativen an der gegen den Willen der Regierung zustande gebrachten Finanzreform lobt und mit folgenden stolzen Worten schließt: „Im Lande aber wird man, des sind wir gewiß, bei Fort - dauer der gegenwärtigen Zustände allmählich immer mehr er - kennen, wer sich mehr um des Reiches Wohlfahrt ver - dient gemacht hat: diejenigen, die in schwerer Arbeit und unter Preisgabe wichtiger eigener Interessen für unser Vaterland ein Reformwerk zustande gebracht haben, so _gut sie es eben konnten, oder diejenigen, die jetzt nur Hohn, Spott und Lügen für das haben, was sie früher immer als eine nationale Not - wendigkeit allerersten Ranges zu bezeichnen pflegten." Wenn die Leser dieses demagogischen Humbugs Kaffee, Tee, Bier, Branntwein, Streichhölzer usw. kaufen, werden sie erkennen, wie gut es die Konservativen mit dem Volke gemeint haben. TaS „Geheimnis" der Blocksprengung. Warum die Konservativen im Verein mit Zentrum und Polen den Block sprengten und Bülow stürzten, dar - über äußert sich in der „parteilosen" Ablagerungsstätte, dem „Tag", der bekannte Freiherr von Mirbach sehr deutlich. Er schreibt: „Vor allem ist es das immer rücksichtsloser zutage tretende Verlangen des Liberalismus, für positive Mitarbeit auf dem Gebiete der Reichspolitik in Preußen entschädigt zu werden, das ein weiteres Zusammengehen mit ihm den Konservativen zur Unmöglichkeit machte. Tie Partei roürDe ihre ganze Entwicklung negieren, wollte sie einer Politik Vorschub leisten, die durch die Beseitigung des preußischen Wahlrechts den letzten Damm gegen die Demokratisierung des gesamten deutschen Parlamentarismus einzu- reißen trachtet." Mit diesem Matz gemessen zu werden, hat weder der ehe - malige Blockliberalismus, noch Fürst Bülow verdient. Letzterer hat keinen Zweifel darüber gelassen, dah er weit davon war, eine demokratische Wahlrechtsreform für Preutzcv und damit eine „Demokratisierung des gesamten deut - schen Parlamentarismus" zu wollen. Und die Liberalen hatten bereits lange vor dem Blockkrach keinen Zweifel darüber gelassen, datz sie mit einer „Abschlagszahlung", d. h. mit einer die Herr - schaft der Reaktion nicht antastenden „Reform" des Wahlrechts zufrieden fein würden. Liberaler Ftiiaiizreform-Jammer. Freisinnig« und nationalhoerale Organe uni Agitatoren ge - bärden sich bekanntlich sehr entrüstet über die vom neuen Block be - schlossenen indirekten Steuern. Wir haben diesem Ge - baren gegenüber icbon öfter darauf hingewiesen, datz die block- liberalen Parteien im Antang bereit gewesen sind, mindestens 4 00 Millionen neuer Verbrauchsabgaben zu be - willigen. Jetzt bestätigt das der „freisinnige" Abgeordnete Eick - hoff. In 0er „Barmer Zeitung" tritt er der -Behauptung kon - servativer Blätter und Abgeordneter, als ob die Reichsiinanzreform mit den Liberalen nickt wäre zu edeDigen gewesen, wie folgt ent - gegen: Freisinnige und Nationalliberale haben sich :m Anfang-- stadium der Verhandlungen natürlich Reserve auferiegt. Tat - sächlich aber waren die Freisinnigen noch eher, als die Re - gierung ihre Vorlagen über den Ausbau der Erbsckaftssteuer etn- aebracht hatte, „in ihrer Gesamtheit bereit, das Opfer neuer indirekter steuern z u bringen, weil sie nicht nur den Reicksbedad von 500 Millionen als not - wendig anerkennen mußten, sondern zugleick auch die absolute Un - möglichkeit. wenigstens unter den gegenwärtigen Verhältnissen, vor Augen sahen, diesen Bedarf lediglick auf dem Wege direkter Be - steuerung zu decken. Das ist eine unbestreitbare Tatsacke, an der kein ehrlicher Gegner rütteln sollte". Ter Versuch, die schuld an Dent Scheitern der Reickstinanzreform den Liberalen in die Sckuye zu schieben, sollte, io schließt der Abgeordnete Eickhoif seine Aus- tührungen, endlick aufgegeben werden, denn das sei ein Gebot Der politischen Ehrlichkeit. Die politische Ehrlichkeit erfordert aber auch dah die „Frei - sinnigen" von der Sorte Eickhost '-Siemer. Äovich usw. aufbören, aus der berechtigten Entrüstung des Volkes über die neuen in - direkten Steuern Kapital in ihrem parteipolitischen Interesse zu schlagen. Tes „Freisinns" Zug »ach rechts. Im Scherlfcken „Tag" erörtert der .Freisinniae ribgeorbntte Dr. Eickhoff allerlei „ZukunitSiragen" des Blockliberalismus. Er betrat dabei brünstige Llebessehnsucht nach den National- liberalen: ^)hne die nationalliberale Partei wird der Liberalismus niemals die Mackt erringen kön- nen. Tiefe Erkenntnis bricht fick ertroulidierweiie in immer weiteren Kreisen der freisinnigen Wählerschaft Bahn: dazu hat nicht am wenigsten der verkloyene Wahlkampf beigetragen. Denn wenn er für den Liberalismus überhaupt eine erfreuliche Seite hatte, so ist es sicherlich die, daß zahlreiche Gegensätze, die früher zwüchen den beiden Gruppen bestanden, bans der geschickten Führung Bassermanns nunmehr überbrückt sind und es hoffentlich in Zukunft bleiben werden." Hinweisend auf die Tatsache, daß sich allerdings 'chon vor der Dlockära verschiedene Freisinnige natwnalliberaler gebärde: haben als die NationaUiberalen selbst, meint die „Berliner Volks-Ztg.", man dürfe fick daher nicht wundern, daß die chemische Affinität der Leute mit der angeborenen sozialistertturcht nach rechts strebt. „Daß bei einer Verbindung mit den Nationalliberalen Zelm- tausende von Liberalen endaültig nack links abgestoßen würden, das bekümmert die großen Geister nickt, die das reaktionäre Junkertum mit Hilfe des großkapitaliftiick-fcharrmacherifchen, sich national- liberal drapierenden Unternehmertums besiegen wollen!" ^ie Sorte von „Freffinn", die bei den National- libe'ralen anlangt, wird mit diesen natürlich den Weg zu den Konservativen nehmen. Ta gibt cs dann kein Halten. Wer hält dir liberalen Parteien aus? Auf diese Frage gab der liberale Landtagsabgeordnete Hübsch in seinem Referat über „Die Organisation der Liberalen in Bayern" auf dem sechsten Landesverbandstag m Bamberg kürzlich eine Antwort. Er sagte: „Lassen Sie mich hier einmal ein ernstes Wort redenI Keine einzige Partei leistet so wenig an regelmäßigen Beiträgen wie gerade die liberalen Parteien. Von jeher waren es einzelne mit Glücksgütern gesegnete Partei - freunde, denen man es überließ, bei Mahlzeiten die Kassen zu füllen. Von jedem Mitglied einen Beitrag in einer Höhe zu verlangen, daß damit alle Ausgaben gedeckt werden können, das sucht jeder Vereinsvorstand auf das peinlichste zu vermeiden, weil er glaubt, er könnte dadurch einzelne Mit - glieder verlieren." Und dabei sind es fast durckweg besitzende Leute, die den liberalen Parteien als Mitglieder angeboren. Daß das Aushalten einer Partei durch einzelne Reiche korrum ¬ pierend wirken muß, ist klar. Da findet gar leicht das Wort seine Bestätigung: „Wes Brot ich esse, des Lied ich finge." Päpstliche Autorität und Zentrum. Die „Kölnische Volkszeitung" brachte kürzlich einen polemi - schen Artikel, in dem die Frage aufgeworfen war, ob das Zentrum im Bürgerlichen Gesetzbuch die katho- lische Weltanschauung über die Ehe zu gesetzlicher Geltung habe bringen können, und ferner war ihm der Vorwurf gemacht worden, daß es für ein die Ehescheidung enthaltendes Gesetz gestimmt habe. Von einem in den damaligen Reichstagsverhand - lungen beteiligten Zentrumsabgeordneten gebt dem genannten Blatte eine Darstellung zu, in der es heißt: Es sei zwar dem Zentrum nicht gelungen, „bie weltliche Gesetzgebung in Uebereinstimmung zu bringen mit den Grundsätzen des katholischen kanonischen Eherechts." Aber: „Trotz dieses prinzipiell unbefriedigenden Erfolges hat dann allerdings das Zentrum in der Schluhabstimmung doch für das ganze Bürgerliche Gesetzbuch gestimmt. Aber das ist geschehen, nachdem es vorher wegen dieses Verhaltens der vollständigen Billigung der Höch st en kirchlichen Autorität versichert worden war." Also das Zentrum läßt seine Haltung im Parlament be- stimmen von der Entsckeidung der „höchsten kirchlichen Autorität". Es hat das Bürgerliche Gesetzbuch nach konfessionellen Gesichtspunkten beurteilt und seine Abstimmung von der Erlaubnis des Papstes abhängig gemacht. Damit ist aufs neue bewiesen, daß die „Partei für Wahrheit, Freiheit, Recht", einen konfessionellen Eharakter hat, was Zentrumsmänner und -Organe so oft bestritten haben. Tas Zentrum „klärt auf". Die klerikalen Blätter in der Rheinprovinz sind bereits an der Arbeit, „Aufklärung" über die Haltung des Zentrums zu ver - breiten. Wie diese Aufklärung aussieht, davon nachstehend eine Prvoe. Es wird erzählt, daß die neuen Steuern notwen - d i g geworden sind wegen der Reichstagswahlen im Jahre 1907. Die Mehrheit, die Fürst Bülow Damals zusammenbracht«, hat alles bewilligt, was für Heer, Flotte, Kolonien und Weltpolitik verlangt wurde. Das dicke Ende kam nach: Der ReichsgelDbeutel würbe immer leerer, die Schuldenlast mußte bis zur Unerträglichkeit gesteigert werden, und der Größenwahn sinn nahm ickließlich ein trauriges Ende; wie bei allen Leuten, die über ihre Verhältnisse leben, kam am Schlutz der große Krach. Fürst Bülow g:ng, der Block zerbarst, und die Zentrumspartei mußte schließlich unter Mitwirkung der Kon- servativeii die sacke in die Hand nehmen und für Ordnung sorgen. Tiefe Aufgabe war nickt leicht, galt es doch, Hunderte von Millio - nen Fehlbetrag im Reichshaushalt zu beseitigen unb für bie Til - gung bet in den letzten Jahren aufgehäuften schulden zu sorgen. Hierzu kam der Rückgang im Ertrag der bereits bestehenden Ein - nahmen des Reiches, die unter den schlechten Zeitverhältnissen zu leiden haben. Deshalb müyen jetzt große Opfer gebracht werden, um die schlimmen Folgen der Bülowschen Blockwirtschaft auszu. aleichen', auf die kurze Herrlichkeit folgt der wüste Katzenjammer. Das sind -bie Ursachen der neuen Steuern, bie jetzt alle Vottskreife belasten. Mtt der Kritik des Bewilligungseifers unb des Größenwahns Des Hottentottenblocks hat die Zentrumspresse ganz recht: Der Liberalismus hat gewiß ein nettes Sündenregister. Doch das Zentrum hat zu der Zeit, da es Regierungspartei war, dem Mftftarismus und Marinismus auch gegeben, was er heischte, und so dem großen Krach redlich vorgearbeitet. Daran wird natürlich her" starkgläubige Leser der Zentrumspresse nicht er - innert. Erbfreundliches. Die Petersburger „Borsenzeitung" meldet aus sicherer Quelle, daß zwischen Rußland und Deutschland ein „kleiner Grenzkonflikt" schwebt. Zwischen Soldaten der russischen Grenzwache und einem deutschen Grenzjäger kam es zu einem Zusammenstoß auf deutschem Gebiet, wobei der russische Soldat den Deutschen für einen Pascher hielt und entwaffnete. Die deutsche Regierung bat durch ihren Vertreter in Petersburg den Vorfall zur Kenntnis der russischen Regierung gebracht und gleichzeitig vorgeschlagen, den Fall dem Haager Schieds - gericht zu unterbreiten. Dieser Vorschlag bat aber in Peters - burg feine günstige Ausnahme gefunden. Die Beilegung des „kleinen Zwischenfalles" ist nur eine Frage von wenigen Tagen. Natürlich! Die russische Regierung erklärt, sie habe eine „Untersuchung" eingeleitet, und die deutsche Regierung spricht ihren Dank Dafür aus. Denn daß der Reichskanzler wirkliche Genugtuung verlangt, das gibt's nicht; in Berlin hat man den „Erbfreund" viel zu lieb, um ihm den liebenswürdigen Sport gelegentlicher Exzesse auf deutschem Boden zu verdanken oder gar zu verwehren. Landwirtschaft und Militarismus. Der Württembergischen zweiten Kammer ist ein Dringlichkeitsantrag der Volkspartei zugegangen, in dem die Re - gierung ersucht wird, mit Rücksicht auf die Verzögerung der ganzen Ernte 'sowie auf die durch die Einberufung der bäuerlichen Re - servisten drohende Steigerung der Seutenot eine Verschiebung der bevorstehenden Kaisermanöver eintreten zu lassen. Das Haus bejahte die Dringlichkeit mit Zweidrittelmehrheit. Cb die Regierung diesem Wunscke Nachkommen kann, wird sich ja zeigen. Bisher hat Sanft Militarismus sich um die Bitten des Zivilpacks nicht im geringsten gekümmert, und es wäre merk - würdig, wenn er gerade in Sachen des K a i s e r Manövers sich nachgiebig zeigte. Für die glänzenden Kavallerieattacken sind bock bie Rollen gewiß schon verteilt. [ j-j (Nachdruck verboten» Die sieben Gehenkten. Bon Leonid Andrejew. Autorisierte Ucbcrsctzung von August Scholz. 11. Wie sie ankamen. Hastig eilten die kleinen Waggons dahin. Mehrere Jahre hindurch hatte Sergej Golontzn, als er mit den Deinigen in dieser Gegend in der Sommerfrische war, dieselbe Eisenbahn benutzt, luar oft zur Tag- und Nachtzeit mit ihr ge - fahren unb kannte sie genau. Und wenn er Die '.lugen schloß, konnte er auch jetzt wohl meinen, daß er nach Hau;e fahre: er hafte sich in der Stadt bei Bekannten verspätet und kehrte mit dem letzten Zuge heim. .... . „Jetzt sind wir bald da," sagte er, die Augen öffnend und durch das vergitterte, dunkle, stumme Fenster hinausblickend. Niemand rührte sich, niemand antwortete ihm: nur Zigeniierchen spie einmal ums andre mit einem Zucken setnen süßen Speickei aus und ließ seine Augen, die Fenster, die 4 ur und die Soldaten abtastend, durch den Waggon flitzen „Es ist falt," sagte Wassili Kaschirin mit steifen Lippen, die tt’irflid) erfroren schienen und seine Worte gepreßt herauskommen ließen. , . . „Ta, nimm das Tuck und leg's um Den Hals," sagte Kowaltsckuk und machte sich besorgt um ihn zu schaffen. »~ 1K ’ Tuch ist sehr warm." .... „Hin den ,f als?" fragte plötzlich Sergej und erickrak über feine eigne Frage. Da aber alle derselbe Gedanke beschäftigte, so achtete niemand auf ihn als ob überhaupt niemand etwas gesagt hätte, ober alle zugleich dasselbe Wort ausgesprochen hätten. . „Tut nichts, Waßja, immer binde es um, es wird Dir warm werden," riet ihm Werner. Dann wandte er sich zu Ja»yvn und fragte mild: „Und Du, mein Lieber, frierst Du nicht? Hm?" „Vielleicht möchte er rauchen, Werner. Vielleicht wollen Sie rauchen, Genosse?" fragte Mußja. „Wir haben Zigaretten." „Ich möchte." . , . „Gib ihm eine Zigarette, Sericycha,' sagte Werner erfreut Aber Sergej hatte bereits die Zigarette hervorgeholt, und alle falben voll Rührung zu, wie Janssons Finger die Zigarette nahmen, wie das Zündholz aufflammte und der blaue Rauch aus Janssons Munde strömte. „Nu, ick danke," sagte Jansson. „Ist schön!" „Wie seltsaml" sagte Sergej. „Was ist seltsam?" versetzte Werner, sich nach ihm um« wendend. „Was ist seltsam?" „Na, da: die Zigarette." Jansson hielt die Zigarette, eine jtang gewöhnliche Zigarette, zwischen seinen ganz gewöhnlichen Fingern^ und schaute bleich, mit Staunen, ja sogar mit einem gewissen schrecken auf sie hin. Und alle richteten ihre Blicke auf das dünne Röllcken, an dessen Ende wie ein sick schlängelndes blaues Band der Rauch hervor- ftrömte, den der Atem des Rauchers zur Seite blies, und beob» achteten, wie die graue Asche an dem glimmenden Ende sich an - setzte. Und dann ging die Zigarette aus. „Sie ist ausgegangen," sagte Tanja. „Ja, sie ist ausgegangen." „Hole sie der Teufel," versetzte Werner mürrisch und blickte unruhig auf Jansson, der die Hand mit der Zigarette wie tot herabhängen ließ. Plötzlich ivanbte sich Zigeunerchen jäh nach Werner um, neigte sich ganz nahe zu ihm hin und flüsterte, die Augen der- drehend, so daß daS Weiße schimmernd hervortrat: „Wie wär's, Herr, wenn wir die Eskortsoldaten . . . Hm? . . . Sollte man's nicht versuchen?" „Hat keinen Zweck," antwortete ihm Werner, gleichfalls im Flüsterton. „Leeren wir den Kelch bis auf die Neige." „Weshalb? Es ist doch vergnügter, wenn man so im Kampfe . . . Hm? Ich ihn, und er mich . . . Ehe matt'? merkst haben sie einen falt gemacht. Als wäre man gar nicht gestorben." „Nein, es hat keinen Zweck," sagte Werner und wandte sich bann zu Jansson: „Warum rauchst Du nicht, mein Lieber?" Janssons verwittertes Gesicht verzog sich plötzlich ganz kläglich, als wenn jemand an einem Faden gezogen hätte, der alle Falten und Fältchen auf einmal in Bewegung setzte. Und wie im Traume begann Jansson zu meinen, tränenlos, mit trockener, verstellt klingender Stimme: „Ich mag nicht rauchen. Ach—ha! Ach—hal Ach—ha! Mich darf man nicht aufhängen. Ach—ha! Ach—ha! Ach—ha!" Sogleich machten die andern sich mit ihm zu schaffen, -tanja Kowaltschuk, die reichliche Tränen vergoß, streichelte seinen Aermel und schob die herabhängenden Klappen der Pelzmütze zurecht. „Mein Lieber, Guter, so weine doch nicht — mein armer, unglücklicher Junge!" Mußja blickte zur Seite. Zigeunerchen fing ihren Blick auf und verzog sein Gefickt zu einem Grinsen. „Ist doch 'n komiscker Herr! Trinkt Tee — und friert im Leibe," sagte er mit kurzem, höhnischem Lachen. Aber fein eignes Gesicht war dabei sckumrzblau angelaufen wie Gußeisen, und seine großen gelben Zähne grinsten. Plötzlich erzitterten die kleinen Waggons, unb der Zug fuhr merklich langsamer. Alle, außer Jansson und Kaschirin, erhoben sich rasch und setzten sich ebenso rasch wieder. „Die Station," sagte Sergej. Das Atmen wurde ihnen schwer — wie wenn mit einem Male alle Luft aus dem Waggon ausgepumpt wäre. Das Herz wurde größer unb wollte die Brust zersprengen, legte sich gleichsam vor bie Luftröhre, pochte wie im Wahnsinn und fckrie wie vor Entsetzen mit seiner blutig-vollen Stimme. Unb bie Augen starrten »lieber auf ben bebenben Fußboden, und die Obren horchten, wie die Räder immer langsamer rollten, und dann schleiften und wieder rollten — und plötzlich stillstanden. Der Zug hatte Halt gemacht. Unb nun folgte ber Traum. Nicht, baß er gar so grausig gewesen wäre, aber etwas Gespenstisches, Ohnmächtige?, Fremdes lag darin: der Träumende selbst blieb dabei gleichsam beiseite, und nur sein Gespenst schritt körperlos dahin, sprach tonlos, ging geräuschlos, litt, ohne zu leiden. Im Traume verließen sie den Waggon, stellten sich paarweise auf, sogen die köstlich frische, frühlingswarme Waldluft ein. Im Traume widersetzte sich Jansson stumpf und kraftlos, und schweigend zogen sie ihn aus dem Waggon heraus. Sie schritten die Stufen hinab. „Gehen wir zu Fuß?" fragte jemand fast heiter. „Es ist nicht weit von hier," antwortete ein zweiter jemand, ebenso heiter. Dann schritten sie, eine große, schwarze, schweigsame Schar, auf dem schleckt instand gehaltenen, aufgeweichten, ^nassen Wege durch den Wald dahin. Vom Walde her, von den schneemanen, wehte ein frischer, kräftiger Luftzug; der Fuß glitt aus, blieb bisweilen int Schnee stecken, und die Hände griffen unwillkürlich nach dem zunächst schreitenden Genossen; iwb schwer und laut keuchend marschierten in dem noch kompakten Schnee auf dem Mittelweg die eskortierenden Soldaten dahin. „Nicht mal den Weg konnten sie sauber machen," ließ eine ärgerliche Stimme sich vernehmen. „Da kann man nun los - stiefeln durch den tiefen SchneeI" „Man hat ihn gesäubert. Euer Wohlgeboren," sagte irgend jemand schuldbewußt, wie zur Rechtfertigung, „aber das Tau- wetter kam, unb da war nichts zu machen." Das Bewußtsein kehrte wieder, doch nur unvollständig, stoß - weise, in seltsamen Fetzen. So zuckte es plötzlich, wie zur Be - stätigung des Gehörten, klar und scharf durch das Hirn: „In der Tat — nicht mal den Weg konnten sie sauber machen l" Dann erlosch wieder alles, und nur die Geruchsempfindungen blieben: dieser unerträglich scharfe Duft des Waldes, der Frühlingsluft, des scknnolzenden Schnees. Dann erschien wieder alles ungewöhnlich hell: der Wald, und die Nacht, und der Weg, und die Tatsache, dah man sie sogleich, in der nächsten Minute, aufhängen wird. Im Flüsterton huschte das abgerissene Ge - spräch ins Ohr: „Es ist gleich vier Uhr." „Ich sagte es ja: wir fahren zu früh ab.“