Nr. 265 Freitag, den 12. November 1969 23. Jahrgang LamburgerEcho Vernnlwortlicher Redakteure tarnst Köpke in Hamburg. Anzeigen die IechSge,paltene Petit,eile ober deren Raum R5 *, ArdeltSniarkt. «ermietnngS. und Knmilteimnzeigen $0 *. Anzeigen Slnnnhme Fehlandstr. 11, Erdgeschoß ibi» 5 Uhr nachniittagSs, in den Filialen (bi« 4 Uhr nachni.), sowie in allen Annoncen-Bureaux Platz, u. Tatenvorschristen ohne Verbindlichkeit. Reklamen Im redaktionellen Zeil werden weder gratir noch gegen Entgelt ausgenommen. Buchhandlung und Buchdruckerei-Kontori Fehlandstr. 11. Erdgeschoß. ... Da» »Hamburger @*0* erscheint tSglich. außer Montag». Vbonnen cni.'breis (lnkl. „Tie Neue Welt - und „Tie arbeitende fugend") durch die Poft dejvgen ohne ^rmgegeld monatlich A 1,20, vierteljährlich M 3,60; durch die Kolporteure ivvchentlich 30 Irei ins Haus. Ein,. Nr. 6 *. Eonntags-Slummer mit illuslr. Beilage »Tie Neue Welt- 10 *. Kreuzbandsendungen monatlich a S.70, für das Ausland monatlich A 8.50. 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Die Parteigenossen und Arbeiter machen wir darauf aufmerksam, daß in nächster Woche in allen Stadtteilen, wie auch auf dem Landgebiet Versammlungen stattfinden, in welchen über die Tätigkeit der Sozialdemokratie in der Hamburger Bürgerschaft Bericht erstattet wird. Zahlreicher Besuch ist um so notwendiger, als am Beginn des nächsten Jahres Neuwahlen znr Bürgerschaft erfolgen. Hierzu zwei Beilagen. Die Kampfarbeitsnachweise der Unternehmerverbände. In dem Leitartikel der Nr. 259 unsres Blattes haben wir, ausgehend von dem Plan einer Monopolisierung des Arbeits - nachweises durch den Zechenverband im rheinisch-westfälischen Kohlenrevier, darauf hingewiesen, daß die Fragen, um die es sich dabei handelt, von außerordentlicher Wichtigkeit nicht nur für die Arbeiterklasse, sondern auch für das ganze wirtschaftliche und soziale Leben der Nationen sind.Unter demselben Gesichtspunkt behandelt der Geheime Rat Domi - nicus, Beigeordneter der Stadt Straßburg i. E., in der „Sozialen Praxis" die Notwendigkeit der reichsgesetz - lich c n Regelung des Arbeitsnachweises. Auch er bezeichnet diese Forderung als eine dringliche nationale. In Uebereinstimmung mit der Sozialdemokratie erstrebt er einen reichsgesetzlichen Zwang zur Errichtung öffentlicher Arbeitsnachweise, die eine Konzentration des A r b e i t S m a r k t e s für das ganze Reich unter der einheit - lichen Aufsicht eines Reichsarbeitsamtes bewirken sollen. Zu - treffend widerspricht er der besonders in Norddeutschland noch weit verbreiteten Ansicht, daß ein Eingreifen der öffent - lichen Gewalten nur insoweit erforderlich sei, als die Ab - schaffung der gewerbsmäßigen Vermittlung in Betracht komme. Das unterliegt nun für einen objektiv und logisch urteilenden Sozialpolitiker keinem Zweifel mehr, daß cs des Eingreifens der Reichsgesetzgebung bedarf zum Zwecke de» Arbeilsnachweises übevhaupi, wobei Die Frage der interlokalen Vermittlung nicht zu umgehen ist, in erster Linie aber die Monopolisierung des Arbeits - nachweises durch das Unternehmertum un- möglich gemacht werden muß. Dieser Ueberzeugung wird, leider in Verbindung mit einem schweren Irrtum, noch in einem zweiten W. Z. ge - zeichneten Artikel der „Sozialen Praxis" Ausdruck gegeben. Da heißt es: »Der Plan einer Arbeitsnachweismonopolisierung durch den Zechenverband ist natürlich keine plötzliche Eingebung, keine Schöpfung von heut auf morgen, sondern stehr mitten drin in der bedenklichen Strömung, die von den Arbeitsnachweis- tonferenzen der Arbeitgeberverbände seit Jahren geweckt und ver - schärft worden ist: der Arbeitsnachweis soll und muß eine wirk - same Kampfeswaffe in den Händen der Arbeitgeber werden. Das, was früher die Gewerkschaften aus klassen- t ä m p f e r i s ch e r V e r b l e n d u n g a n g e st r e b t haben, will jetzt die Gegenorganisation mit weitestgehender Konsequenz und viel größerem Machtaufwand sich nutzbar machen." Wir haben in unserm eingangs erwähnten Leitartikel nach - gewiesen, daß das Bemühen des Unternehmertums, sich des von ihm beherrschten Nachweises terroristisch gegen die Ar - beiter und deren gewerkschaftliche Organisation zu bedienen, die Arbeitsnachwcisfrage zu einer Machtfrage zu machen, bereits im Jahre 1869 einsetzte, wenige Monate nachdem der Reichstag des Norddeutschen Bundes das Koalitionsrecht der Arbeiter gesetzlich sanktioniert hatte, und als diese kaum an - gefangen hatten, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Wir haben auch auf die Tatsache hingewiesen, daß das int Laufe der Zeit immer stärker hervorgetretene terroristische Vorgehen der Unternehmer dazu geführt hat, daß die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter den Arbeitsnachweis als einen ihnen gebührenden Machtfaktor int Kampf u m den Arbeitsvertrag in Anspruch nahmen. Es war nicht, wie W. Z. in der „Sozialen Praxis" meint, „klassen- kämpferische Verblendung" auf feiten der Gewerk - schaften dabei int Spiele; ihr Anspruch auf den gewerk - schaftlichen Arbeitsnachweis war die notwendige Antwort auf die auf Unterdrückung und Vernichtung der Arbeiterorganisation gerichteten Prätensionen des Unter - nehmertums. Und wir haben auch ein Urteil des Professors Schmöller zitiert, das den gewerkschaftlichen Arbeitsnach - weis ganz objektiv gebührend würdigt. Von feiten der Ge - werkschaften ist niemals grundsätzlich Einspruch erhoben worden gegen die nun länger als ein Vierteljahrhmidert von der sozialdemokratischen Partei erhobene und int Reichstage nachdrücklichst vertretene Forderu^z nach reichs - gesetzlicher Regelung des Arbeitsnachweises. Klassen- kämpferische Verblendung in des Wortes wahrstem Sinne war von Anfang an lediglich beim Unternehmer - tum, das, einen Herren st andpunkt einnehmend, sein Streben immer darauf richtete und noch richtet, ohne Rück - sicht auf Rechtsordnung und Gesetz, die Arbeiter seiner „Autorität", d. h. seiner Willkür zu unterwerfen, ihnen die Organisation und Koalition, den Kampf um bessere Lohn- uud Arbeitsbedingungen unmöglich zu machen. Wir können dem Herrn W. Z. den Irrtum, den er da geäußert hat, aber verzeihen in Rücksicht auf die Entschieden - heit, womit er sich gegen die Kampfarbeitsnach - weise der Arbeitgeberverbände wendet. Solche Arbeitsnachweise bestanden im Anfang dieses Jahres etwa drei Dutzend. In der letzten Zeit aber haben sie zweifellos eine starke Vermehrung erfahren. Besonders charakteristisch sind folgende Tatsachen: Seit dem 1. Oktober 1909 sind in Nürnberg, München und Augsburg vom Verband bayrischer Metall- iiiöuftrteilet errichtete eutjeiu^ Ltuchwcise w Tätigkeit. Sie besorgen ausschließlich die Vermittlung und Einstellung von Arbeitern für die dem bayrischen Verband der Metall- industriellen angcschloffenen Werke mit der Maßgabe, daß jede persönliche Einstellung von Arbeitern durch den einzelnen Arbeitgeber ausge- s ch a 11 e t ist. Es ist zutreffend, was Herr W. Z. von diesen Nachweisstellen sagt: sie sind Jnquisitionskammern, in denen alle Arbeiter, die Stellung erhalten wollen, sich unter Vorlegung eines Entlassungsscheines von der letzten Arbeits - stelle einer Prüfung ihrer persönlichen Verhält - nisse unterziehen müffen. Daß diese Prüfung sich ins - besondere auf die Zugehörigkeit der Arbeiter zu einer Organisation, auf ihre Partei st ellung, ihre politische Gesinnung bezieht, darf als feststehend angenommen werden. Genau so verfahren die andern Arbeitsnachweise der Unternehmer, lieber den Stellennachweis des Leipziger Metallindustriellenverbandes haben die Arbeiter erst kürzlich wieder geklagt, daß er auch geheime Mitteilun - gen der Firmen über die von ihnen entlassenen Arbeiter in die Personalakten aufnimmt, so daß die stellungsuchenden Arbeiter schließlich der Willkür des Nachweisvcr Walters aus Gnade und Ungnade preisgegcbcn sind. Aus dem Nachweis des Chemnitzer Baugewerbe- verbandes liegen ähnliche Klagen vor. Dort können ältere Leute überhaupt keine Beschäftigung mehr erhalten, denn: „Nur Leute bis zu 42 Jahren vermittelt der Nachweis". Am 17. Mai dieses Jahres sprach auf der Tagung des mitteleuropäischen Wirtschaftsvereins der Verbandssekretär Dr. v. 51 o j en tin über die eigentliche Natur des Arbeitgeberstellennachweises sich ganz offen da - hin aus: „Seiner Natur nach ist den Arbeitgeberverbänden der Ar ¬ beitsnachweis nur Mittel zum Zweck: Er soll neben Sichtung und Vermittlung des nötigen Ar - beitermaterials vor allem zu einer Kontrolle über streikende, und ausgesperrte Arbeiter dienen, einen Einfluß auf die Lohnfrage gewährleisten und durch alles das die Macht der Unternehmerver - bände stärken." Ja wohl, der „unbotmäßige", der organisierte, ausge - sperrte ober an Streiks beteiligte Arbeiter soll dauernd e r- werbs- und brotlos gemacht werden; die Hunger- peitsche soll ihn „zur Raison bringen", bis er mürbe ge - macht, auf sein Koalitions- und Selbstbestimmungsrecht ver - zichtet und sich der Unternehmerwillkür sklavisch unterwirft. Es ist gewiß kein Zweifel, daß das starke Hervortreten der Gründung von Arbeitsnachweisen durch das Unternehmertum zusammenfällt mit der wirtschaftlichen Krise, mit dem schlechten Geschäftsgang, mit der daraus resultierenden abnormen Massenarbeitslosigkeit. Das ist die günstigste Zeit für die „Sichtung des nötigen Arbeitermate - rial s", für eine „21 uSlese" im Unternehmerinteresse. Die Spekulation der Unternehmerverbände richtet sich dabei in erster Linie natürlich auf die Masse der noch indiffe - renten, der unorganisierten Arbeiter. In diesem Zusammenhänge erst, rücksichtlich des Arbeitsnach - weises und des bei diesem einsetzenden Kampfes gegen die Ar - beiterorganisation, gewinnt die vom Unternehmertum be - wirkte und geförderte Gründung „gelber" Arbeiter - Vereinigungen ihre volle Bedeutung. Gelbe Ge - werkschaften, die geradezu darauf berechnet sind, als Kampforganisationen gegen die freien Gewerkschaften zu wir - ken, und Arbeitsnachweis der Unternehmerve r- »i iikc gehören zu^uM.cu. Hiei'c ^xrhände wollen 'ick unter Ausnutzung der den Arbeitern so ungünstigen wirtschaftlichen Lage ein System zur Entrechtung und Unter - drückung der Arbeiter schaffen, das ganz und gar der Tendenz der berüchtigten „Zuchthausvorlage" zum „Schutz der Arbeitswilligen" entspricht, ja, noch darüber hinausgeht, indem es die absolute Herren - tum s w i l l k ü r an die Stelle der rechtlichen Vertragsfreiheit setzt. Diese Vorlage wollte, wie selbst der ZentrumSabgeord- nete Dr. Lieber erklärte, die Arbeiter der geradezu himmelschreienden Parteilichkeit der Polizei und der Gerichte überantworten. Sie Iras jedoch wenigstens formell in einigen Punkten auch die Arbeitgeber. Das koalierte Unternehmertum kann in seinem Bestreben, die Ar - beiter zu Sklaven seiner Willkür zu machen und ihre Organi - sationen zu zerstören, allerdings nicht Gefängnis und Zucht - haus in Anwendung bringen. Aber es kann, was gewiß nicht minder schlimm ist, die Arbeiter und ihre Ange - hörigen der Qual des Hungers, dem schrecklichen Elend überantworten, sie ganz und gar aus den Fugen des Menschenrechts und der Menschenwürde reißen. Wahrlich, ein Gesetz tut not, das mit besserem Rechte als die einstige Zuchthausvorlage ein „Gesetz zum Schutz der Ar - beitswilligen" genannt werden darf — ein Gesetz, das den Kampfarbeitsnachweisen der Unternehmerverbände ein Ende macht! Politische Uebersicht. Die Arbeit deS Reichstags. Wie gemeldet wird, werden dem Reichstage bei seinem Zu - sammentritt folgende Vorlagen bestimmt zugchcn: Ter deutscki- xortugiesische Handelsvertrag, das Reichsbcamtcnhaftpflichtgcsetz. die neue Strafprozeßordnung und die Novelle zum Strafgesetz - buch. Im Laufe des Dezember sollen dann noch hinzukommen: der Etat, der Entwurf über dao deutsch-englische Handclsprovi- sorium, ein Nachtragsetat zum Militäretat, ein Notgesctz über die Hinausschiebung des Termins des Inkrafttretens der Witwen- und Waisenversicherung, eine Ätovelle zum Talonstcuergesetz. Für die Monate Januar und Februar werden die Entwürfe über die Reichsversicherungsordnung und vielleicht auch das Arbeiiskammer- geseh zur Vorlage gebracht werden, doch stehen Beschlüsse über Art und Zeitpunkt der Einbringung noch aus. Der neue Ricsenpump. Der neue große ReichSpump im Beträge von 542 Millionen, der demnächst in einem Nachtragsetat beschlossen werden soll, obwohl eben durch die „Finauzrefvrm" die „Sanie - rung" der Finanzen bewerkstelligt sein soll, hat natürlich förm - liches Entsetzen erregt, da die ganze Kläglichkeit der Finanzlage dadurch erschreckend beleuchtet wird. Da wird denn durch daS offiziöse Wölfische Bureau folgende Beschwichtigungs - note in die W.elt geschickt: „Gegenüber den Erörterungen, welche sich an die Einbrin - gung des Nachtragsetats im Bundesrat geknüpft haben, wird von zuständiger Seite mitgeteilt, daß dieser Etat keinerlei andre Ansätze enthält als diejenigen, über welche in den Reich- finanzgesetzen Bestimmung getroffen ist. Seine Einbringung war bcreitS im Sommer beim Auseinandergehen deo Reichstages zu - gesagt. Die einzelnen Posten, insbesondere die erhöhten Be - amtenbesoldungen, die rückständigen Mvtri- kularbeiträge und die Fehlbeträge der letzten Jahre sind der Oeffentlichteit seit längerem zahlenmäßig bekannt, namentlich lassen sich auch die ungedeckten Matrikularbciträge für das Rechnungsjahr 1900 schon aus dem Hauptctat dieses Jahres errechnen. Der Nachtragsetat dient somit aussäilietzlich dem for - mellen Zweck, eine etatsmäßige Gesamtfeftstellnng jener Beträge herbeizuführen. Ueber den Zeitpunkt und die Art der Begebung des in dem.Nachtragsetat zusammengefaßten Be - darf? wird, wie bereits vor einiger Zeit bemerkt, erst später Ent - schließung getroffen werden." Es wird für die Steuerzahler, die jährlich mehr als 20 Millio - nen neuer Schuldenzinseu zahlen müssen, sehr wenig deruhigeno sein, lurtm ihnen gesagt wird, das sei schon lange betanni, nur habe man noch nicht genau gewußt, tote hoch sich die Summe be - laufen toerde. Man vergegenwärtige sich nur, was das heißt. 1900 hat die Stcngelsche „Finanzreform" 200 Millionen neuer Steuern aus dem Volke herausgepumpt, 1909 die des «chnapsblocks mehr als 100 Millionen. Trotzdem kann man nicht einmal die alte» Verpflichtungen decken, sondern will noch mehr als eine halbe Milliarde zupumpcn, um das größte Loch vorläufig zu stopfen. Vorläufig. Tenn auf die Dauer wird weder die weitere steuerpolitische Auspowerung der Volksmasien, noch werden weitere Riesenpumpe das Finanzelend beseitigen, wenn nicht die Quellen, aus denen die Finanznot entstammt, verstopft werden. Dies unerhörte Wachsen der Ausgaben für Heer und Marine, das ist die Ursache des Finaitzjammers. Hier muß ein Riegel vorgeschoben werden, zunächst der weiteren Vermeh - rung, dann müssen aber diese AuSgal>esummen erheblich ein- geschränkt werden. Das kann ohne „Gefahr" geschehen. Nie mand wird Deutschland überfallen, wenn es selbst nur eine ver- ständige Friedenspolitik treibt. Schiller Hub die Agrarier. Schiller, der jetzt wieder gefeiert worden ist, gehört der deutschen Nation und der Menschheit. Aber unsre Reaktio- n ä r c haben kein erweisliches Recht, dem Genius zu huldigen und ihn für ihre Grundsätze und Zwecke in Anspruch zu nehmen. Und doch scheuen sie sich nicht, das zu tun. So hat auch die erz- reaktionäre „Deutsche Tageszeitung", das Organ des Bundes der Landwirte, dem „großen Sohn der schwäbischen Erde", dem „leisten unter den Heroen unsrer klassischen Zeit" einen ihrer Artikel gewidmet. Darin ist dir Rede von Schillers Freiheits- rdcal, von seiner glühenden Freiheitsliebe, von seinem Eintreten für das Wahre und Schone. Wir möchten nun gerade dem Büiidlerorgan gegenüber daran erinnern, wie energisch Schiller den Stanüpunlt vertrat, daß das menschliche Streben unablässig aufwärts und vor - wärts gehen muß, daß es nicht Halt machen darf vor dem bereits Erreichten. Diese große Lehre bat Schiller vornehmlich in seinem „Menschenfeind" speziell der A r b c i t e r k I a f je ge - geben. Da ist ein reicher, humaner Herrsck»aftsl>esitzer. Er hat die unmenschlichen Lasten der Leibeigenschaft aufgehoben, bereit Fesseln gebrochen, aus seinen Leibeignen freie Menschen gemacht. Schillers „Räuber" im Deutschen Schauspielhaus. Wir sind wieder in der Zeit der Schiller-Feiern. Die Vereine, die Theater, die Schulen, die Zeiumgen, auch die Buch- und die Kunst - händler feiern Schillers 150. Geburtstag. Ein jeder auf seine Art und für seine Zwecke. Die einen nutzen die Konjunktur ans, um Geschäfte zu machen, die andern folgen kulturellen Erwägungen. Auf alle Fällt aber ist es gut, daß von Schiller einmal ivieder mehr gc- sprochen, intensiver über ihn nachgedacht wird, vor allem aber, das; weile Kreise wieder einmal rech, nachdrücklich aus Schillers ZLerke selbst hingewiescn werden. Und daS geschieht ja am besten durch die Werke selbst. Von Schillers Dramen werden wir nie zuviel, nie genug bekommen können. Vorausgesetzt, daß sie uns in würdiger Fassung präsentiert werden. Tas ist leider bei den in Hamburg üblichen Aufführungen nicht immer der Fall. Bei den VolkSschlutspiel- Vorstellungen der Patriotischen Gesellschasl in den letzten beiden ^adrett mußte das leider mehrfach konstatiert werden. Es fehlt an Dichtung vor dem Dichter, und es fehlt auch an Achtung vor dem Publikum. Eine rühmliche Ausnahme machte von jeher das Schanlpielhans, daö an Schiller stets mit dem nötigen künstlerischen Ernst herangetreten ist und un8 im Lause seiner Tätigkeit in der Tat eine Reihe ganz hervorragender Schiller-Anfführnngen geboten Hai. Die Schiller» Feier vor vier Jahren beging daS Schauspielhaus durch eine zyklische Aufführung fast aller Dramen Schillers. Nur der „FicSco" fehlte damals. Die „Räuber" waren schon darunter und waren mit Schildkraut als Franz auch schon früher herausgebracht. Wenn das Schauspielhaus diesmal seine Schiller-Feier auf eine neue (Hnftubierung der „Räuber" basierte, so durfte man auf ein besonderes Ereignis rechnen lind darin wurde man bei der Ausführung am Mittwoch, die als Festvorstelltitig für den Verein für Kunst und Wissenschaft stattfand, nicht getäuscht. Es war eine in ihrer Ganzheit glänzende, durch ihr blutwarmes Leben znm inneren Mtterleben zwingende Auffübruno, von der wir wüittchen und hoffen möchten, daß sie auch in die Reihe der Volks- fchauspiele der Patriotischen Gesellschast für die kommende Spielzeit ausgenommen werden möchte. S o bat man feit zwei Jahrzehnten die Räuber" in Hamburg nicht gespielt. Herr v Berger, der die Neueinstudierung des Schauspiels besorgte, bat endlich auch Ham - burg einmal das Original der „Räuber" gebracht. So weit sich das aus den vorhandenen Auszeichnungen über Hamburger Theater fest - stellen läßt, ist von der Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ab bei den Hamburger Ausführungen nie das Original, sondern stete die sog. Mannheimer Bearbeitung benutzt, die mit ihren Strichen, Zutaten und sonstigen Aenderungen in vielfacher Beziebung erheblich hinter dem Original zumckbleibt. Es ist hier nicht der Crt, wo längere ästhetische Betrachtungen darüber angebracht wären. Nur freuen wollen wir uns, daß endlich eine Hamburger Bühne den Mut und den künstle - rischen Ernst fand, das Original zu spielen. Und es gab nicht nur das Original, es gab das ganze Buch. Nur ganz wenig Wörter fielen fort, aber nie ein wesentliches Wort, und nie eine Szene oder auch nur ein Teil einer Scene. Tie Vorstellung dauerte drum freilich auch fünf und eine halbe Stunde. Aber wer hätte trotz dieser langen Zeit auch nur das geringste von der Aufführung missen mögen, und wer hätte bei dieser Ausführung nicht noch gern eine halbe oder eine ganze Stunde länger atrSgehalte» ? ES war wirklich das brausende, stürmende Jugendwerk Schillers, das wir feit unfern Jünglingstagen alle so lieb haben und das wir lieb behalten werden, solange das Blut in unsern Adern pulsiert. Es brauste und stürmte die Jugend durch die Ausführung, das über» schäumende revolutionäre Pathos und das heiße, leidenschastliche Temperament der Jugend. Trotz der Tücke des Objekts, mit der bis - weilen wohl sehr zu rechnen war, hatte Herr von Berger vor allem die Räuberszene mit dieser stürmenden, jubelnden Jugend gefüllt. Ein Glanzstück war die dritte Szene des zweiten Akts, wo nach dem Bleisternreich der Errettung Rollers die ganze Bande hereinstürzt in die Talschlucht, die als Schluvnvuilel bunt. Hei, wie das da heran- fttirzt und prasselt, springt und sich überstürzt! Immer wilder und toller und sturiiuscher braust es daher, und in heißer Leidenschast ver - nimmt die Bande die glutenreiche Erzählung von Rollers Besreinng. Auch die andern Räuberszenen waren von dieser lebenssrohen Leidenschaft durchzittert und wirkten faszinierend in das Publikum hinein, 'Jliir das Räuberlied in der fünften Szene des vierten Aktes Hang noch etwas nach der traditionellen Liedertaselei, in der dieser an sich so wirkungsvolle Sang bisher erstickt wurde. Etwas weniger Harmonie, das r aber mehr Temperament. Es ist getvtß zu verstehen, daß man hier nich Reinhardts glänzende Attsgestaltttng' dieser Szene kopieren möcht,. A er cm wenig ungestümer hätte daS Lied schon de» rauhen Räuverkch e.t entfliehen können. Immerhin freilich klang eS schon ganz anders, als mau eS hier sonst zu hören gewohnt war. Schiller hat in feiner dichterischen Genialität vielleicht tnstinkliv in den von Ihrilchen Stimmungen gefüllten Szenen, die er auf die Räuber- szenen und auf die, in denen die ganze Schemaligkeit Franzens vor uns ge - staltet wird, folgen liefe, ein wundervolles Gegengewicht gegen die Rau - heiten und Brutalitäten der andern Szenen geschaffen. Sehr zu Un - recht bleiben diese lyrischen Stellen fast immer fort. Herr von Berger hatte sie alle bcibehalten. Und die Wirkung war aufeerordentlich. Dafe auch schöne Bühnenbilder für die vielen verschiedenartigen Vorgänge geschaffen waren, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Es steckte auch in ihnen die Stimmung der Dichtung. Sehr viel Schönes und Eigenartiges bot die Darstellung. Geb - hardts Karl Moor ist höchsten Lobes wert. Er fand den rechten Ton für den Menschen und für den Räuber, für bett Hauptmann der Bande und für den Mann der Vergeltung, der sich vermifet, die ganze Welt auf den Kops zu stellen. Und vor allem war Jugend in der Gestalt. AnS der Amalia holte Frl. E g e n o l f alles heraus, daS (ine geschmackvolle, talentierte Künstlerin auS dieser Schöpsung Schillers herausholen kann. Eine ausgezeichnete Leistung war der alte Moor Herrn Nhils. Vor allem in den ersten Akten hob Herr Nhil die Gestalt über den traditionellen Jammergreis hinaus, mit dem man sich allmählich abgefunbeu Hai. Ungemein reiz - voll war rtr ei bemann 8 Franz. Er blieb ber Schillerschen Eharakteristik nichts schuldig, keine Roheit, keine Gemeinheit, keine Brutalität, und erklärte doch auch nach Möglichkeit das Werden dieses Unmaßes von Abscheulichkeit. Virtuos war bas Spiel in den letzten Akten. Aufeerordentlich wirkungsvoll die Szene mit Pastor Moser. Diese vier Hauptdarsteller würben am Schluß ber Vorstellung im Verein mit bem Baron Berger immer wieber stürmisch gerufen und jubelnd gefeiert. Gerufe» wurde auch Herr Otto Er kam nicht. l’lDcr verdient hatte er den HerauLrnf. In letzter Minute sozusagen hatte er den Schweizer übernommen. Und er brachte ihn prachtvoll, kernig und wuchtig. Auch von den andern Mitwirkenden wäre manches Gute zu sagen. Es soll geschehen nach der ersten Wiederholung. Nur von dem grandiosen Spiegelberg M o ii t o r 8 noch ein Wort. Die Figur kommt der Eigenart des Künstlers außerordentlich entgegen. Aber er holte auch alles ans ihr heraus; im Sprechen und Spiel, auch im stummen Spiel eine Meisterleistung, deren sich alle erfreuten. Kunst, Wissenschaft und Leben. »katurwifsenschaftliche Vorträge im (SewerkschastShause. Am letzten Montag würben die Wanderung der Baustoffe in ber Pflanze und die A t m n n g d e r P f l a n z e behandelt. Al« vorläufiges Produkt ber Assimilation ist die Stärke anzusehen, bic wegen ihrer Zusammensetzung au8 Kohlenstoff, Wasserstoff unb Sauerstoff zur Gruppe ber Kohlehybraie gehört. Infolge chemischer Vorgänge, die jeboch größtenteils noch lange nicht geklärt sinb, kann aus 'ihr eine große Zahl anbrer Körper hervorgehen. So kann sic sich in anbre Kohlebndrate utnwattbeltt. z. B. in Zellstoff unb in ßucker. Durch Aufnahme mineralischer Nährstoffe, vor allem Stick - stoff unb Schwefel, bilden sich die Eiweißverbinduttgen. Auch Fette, Lele, Tuftstoffe, Nektar (Honigs entstehen durch solche Umwandlungen. Die Wanderung der Bau- und Verbrauchsstoffe an die Orte ihres Verbrauches vollzieht sich teils von Zelle zu Zelle durch die Zellwand hindurch (lösliche Stoffe) ober in befonbern LeitungSbahnen, bett Stebzellen bet Gefäßbündel. AIS solche Leitungsbahnen sind auch die Milchröhren mancher Pflaitzen (z. B. Wolfsmilch, Schöllkrattt) an- zttsehen. Jntereffant ist auch die Ausspeicherung von Nahrung in be - sondern Speicherorganen, so in den Zwiebelblättern, in den Knollen (Kartoffel, Knabenkraut), in den Keimblättern oder einem besondern Nähr- gewebe der Samen. — Neben den ausbauenden Vorgängen in bet Pflanze laufen beftänbig zetstötenbe Vorgänge her. Es findet fortwährenb durch den Einfluß des Sauerstoffes bet Luft ein Zerfall der Kohlehydrate statt, also eine Verbrennung. Diese Atmung zerstört, was die Assimilation geichaffen. Infolgedessen atmen alle Pflanzen fortwährend Kohlen - säure aut, wie man durch einfache Versuche nachweisen kann. Auch eine Wärmeerzeugung findet dabei statt, bei keimenden Erbsen 2° E., in den Blüten der Victoria regia 15 0 E. Durch die Verbrennung werden jene Kräfte frei, die die Lebensvorgänge in der Pflanze ans- löseti und die deshalb vielleicht als Lebenskräfte zu bezeichnen find. Am kommenden Dlontag folgt der letzte Vortrag in diesem Zyklus. Er wird sich mit jenen interessanten Pflanzen beschäftigen, die in ihrer Ernährungsweise eine Ausnahme von ber bisher gefchilberten nor - malen Art machen. Karten i 10 aj sinb an den bekannten Stellen sowie abends am Eingänge zu erhalten. Bücher und Schriften. Bon der „‘Neuen Zeit- (Slititgait, Paul Singer) ist das 7. heil der L8.Jahrgangr erschienen. Inhalt: Tie öffentliche Meinung. — Tie Wahlen in Baden Bon E «. Lehmann. - Tie LandtagSwahlen in Sachsen. Bon tzermann Aleißner. - Tie politische Situation in den Bereinigten Staaten und die Sozialistische Panel. Von L. B. Boudin (Jtero Porls. — Technisch» wirtschaftliche Rundschau. Bon Rich. Woldt. — Literar sche Rundschau: 'Jiauttcu«. Jah» buch für Teutschland» öeeinteressen. «on »a l Radek. — Notizen: Nochmals die Civio Federation. — Zeit» schriftenschau. Tie „9leue Zett" erscheint wöchentlich einmal und ist durch alle Buch, lianblun ;