Nr. 287 Donnerstag, den Dezember 1W9. 23. Jahrgang. LamdurgerEcho. SiMti Hierzu zwei Beilagen Klassenrecht und Klassenjustiz. St. Pauli, einschl. Schanzenstr., bei Heinr. Koenen, Sophienstr. 44. Eimsbüttel, Venncnfelbc bei Carl Dreyer, Fruchtallee 42. Hoheluft, Epveudors, «rotz-Borftel und Winterhude bet Ernst Großkopf, Lehmweg 51. Barmbeck, Uhlenhorst bet Theodor * Petereit, Bachstr. 12. Hohenfelde, Borgfclde, Hamm, Horn, Schiffbeck und Biüivärder bei Carl Ortel, Baustr. 2b. Hammerbrook bis Ausschläger Billdeich bet Rud. Fuhrmann, Schwabenstr. 33. Rotenburgsort und Veddel bei Th. Reimer, Lindleystr. 85. ♦ Wilhelmsburg bei Carl C. Diehl, Meyerstr. 12, 1. Et. Kilb eck, Wandsbeck, Hinschenfelde und Vft-Barmbe« bei Fran, Krüger, kurze Reihe 34. Altona bei Friedr. Ludwig, Bürgerstr. 118. Ottensen, «ahrenseld bei Joh. Heine, Bahrenselderstr. 1». Ta« „Hamburger Echo- erscheint ttlglich. außer MontagS. Slbonnementspreis iinkl. „Tie Neue Welt" und „Tie arbeitende Fugend") durch di« Poft bezogen ohne Bringegeld monailich A 1.20. vierteljährlich M 8,60; durch die Kolporteure wöchentlich 80 4 frei ins Haus. Ein,. Nr. 6 *. Sonnlags-Nummer mit illustr. Beilage „Tic Neue Weit' io *. «reu,bandsendungen monatlich x 2,70. für das Ausland monatlich a 3.50. Anzeigen die sechsgelpaltene Peltizetle oder deren Raum 85 4. Ardeitomarkt. Vermiet»««»- und stnittilienauzeigen -20 4. «nzrigeu Annahme Fehlandfti. Il. Erdgeschoß (bi# 5 IIhr nachmtttagss. in den Filialen ibts 4 Uhr nach»«.), sowie in allen Annoncen-Bureaux. Platz, u. Datenvorschriften ob«« verbindltchleil. Reklamen im redaktionellen Teil werden weder gratis noch gegen Entgelt ausgenommen. Buchhandlung und Buchdruckerei-Kvntor: Fehlandstr. 11. Erdgeschoß. Die verbündeten Regierungen haben dem Reichstage den in der letzten Session unerledigt gebliebenen Entwurf eines Gesetzes, betreffend einige Aenderungen des Straf - gesetzbuches wieder vorgelegt. In der Begründung wird hingewiesen auf den inzwischen veröffentlichten Vorentwnrf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, der eine „allgemeine Re - form des materiellen Strafrechts" bringen soll, und es wird gesagt, daß die Lösung dieser Aufgabe „voraussichtlich noch geraume Zeit in Anspruch nehmen wird". Es sei angezeigt, bei diesem Stande der Sache noch mit der Aenderung einzelner Bestimmungen des Strafgesetzbuches vorzu - gehen, um dem praktischen Bedürfnis zu genügen ; das Straf - gesetzbuch enthalte in einzelnen Materien Vorschriften, welche „die Gerichte zu Urteilen nötigen, die das allgemeine Rcchtsbewuhtsein nicht befriedigen und Mißstimmung gegen die Rechtsprechung erregen." Mit der Beseitigung dieser Mißstände dürfe nicht bis zur allgemeinen Reform des Straf - rechts gewartet werden. Wir haben diesen Teilreformentwurf bereits im Anfang dieses Jahres kritisch behandelt. Die vorgcschlagenen Aende - rungen gehen in der Hauptsache dahin: Die Versolgung und Bestrafung des Hausfriedensbruchs soll in Zukunft nur auf Antrag eintreten, also nicht mehr von Amts wegen stattfinden. Die Bestrafung des A r r e st b r u ch s, des Siegelbruchs und der Vereitelung der Zwangs - voll st r e ck u n g soll eine Milderung erfahren. Für Tier - quälerei sind härtere Strafbestimmungen vorgesehen. Den Kindern und anderen wehrlosen Personen will der Entwurf einen besonderen strafrechtlichen Schutz gegen Mißhandlungen gewähren. Die Verfolgung und Bestrafung geringfügiger Dieb st äh le und Unterschlagungen, insbesondere soweit sie aus Not begangen sind, erfährt eine Einschränkung, die unseres Er - achtens nicht weit genug geht. Höchst bedenklich aber sind die neuen Bestimmungen, die der Entwurf zur „Ver - stärkung des Schutzes der Ehre" durch eine Ein - schränkung des Wahrheitsbeweises und durch Erböbung der Geldstrafen und der Buße enthält, sowie die vorge- schlagene Veränderung der Fassung des Tatbestandes der Erpressung. Für die Arbeiterschaft ist rück- "sichtlich oes großen Interesses, das sie an ihrer gewerk - schaftlichen Organisation und Koalition und deren Bestrebungen hat, der letzte Punkt des Entwurfs, die Erpressung betreffend, zweifellos der wichtigste. Rach geltendem Recht (§ 253 des Strafgesetzbuches wird wegen Erpressung bestraft, „wer, um sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, einen anderen durch Gewalt oder Drohung zu einer Hand - lung, Duldung oder Unterlassung nötigt." Reben der Ge - fängnisstrafe (nicht unter einem Monat) kann, sofern sie die Dauer von drei Monaten erreicht, auf Verlust der bürger - lichen Ehrenrechte erkannt werden. Mildernde Umstände sind nicht zugelaffen. Seit etwa Mitte der 80er Jahre haben Staatsanwälte und Richter — zuerst sächsische — dem Begriff der Er - pressung eine unerhört willkürliche Ausdehnung gegeben zum Nachteil der Arbeiter und der Arbeiterbewe - gung. Die Rechtsprechung ist, wie man u. a. in Ols - hausens Kommentar zum Strafgesetzbuch nachlesen sann, zu der Annahme gelangt, daß zur Erfüllung des Tatbestandes der Erpressung Drohungen aller Art genügen, auch solche mit einer erlaubten oder an sich nicht unberechtig - ten Handlung, so die Androhung der Verhängung einer Arbeitsein st ellung, einer Platzsperre, eines Boykotts seitens einer nach § 152 der Gewerbe - ordnung gestatteten Koalition von Arbeitern. Nach einigen Reichsgerichtserkenntnissen ist eine auf Bereicherung eines Dritten gerichtete strafbare Msicht selbst dann nicht ausge - schlossen, wenn die Person des Dritten völlig unbestimmt ist. Das Reichsgericht hat solche Absicht angenommen bei Ein - forderung von Beiträgen zur Ansammlung von Streikfonds. Es erscheint dem Reichsgericht dabei ganz gleichgültig, ob der Drohende wie der Bedrohte zu den künftigen Empfängern gehören können ober nicht. Tat - sächlich ist im allgemeinen die Rechtsprechung auf den Ab - weg geraten, als rechtswidrigen Vermögensvarteil jeden an - zusehen, auf dessen Erlangung ein Rechtsanspruch nicht besteht. So ist der Erprestungsparagraph zu einer höchst bös - artigen Waffe gegen die Arbeiterbewegung ge - macht worden; er dient einer schlimmen Klassenjustiz. Lediglich gegen die Arbeiter hat er Anwendung gefunden, nicht auch gegen das die Arbeiter im Lohnkampfe terroristisch mit Aussperrungen, dem System der schwarzen Listen usw. bedrohende und vergewaltigende Unternehmertum. Die Begründung des Entwurfs kann nicht umhin, die von der Rechtsprechung' ganz willkürlich konstruierte Auffassung als eine unhaltbare zu bezeichnen. Es wird da gesagt: „Bei solcher Auslegung muß an sich wegen Erpressung bc straft werden: der Käufer, der mit der Entziehung der Kund- schäft droht, falls ihm nicht die angebotene Ware zu einem von ihm für angemessen gehaltenen Preise verkauft wird, der Mieter, der mit Kündigung droht, falls der von ihm zu hoch be - fundene Mietzins nicht herabgesetzt wird, und der Arbeit - geber oder Arbeiter, der durch Drohung mit Ent - lassung beziehungsweise Arbeitseinstellung die Gegenpartei zu Zugeständnissen hinsichtlich der Lohn- und Arbeitsbedingungen bewegen will. Namentlich die letzt - gedachte Folgerung, die mit der Tendenz der Vorschrift im § 152 der Gewerbeordnung über die Koalitionsfreiheit im Wider - sprüche st e h t, ist geeignet, die Interessen der Arbeitgeber wie der Arbeiter zu verletzen und im Austrage gewerblicher Lohn- kämpfe verbitternd zu wirke». Denn beide Parteien wer - ben dadurch veranlaßt, Ausgleichsverhandlungen zu vermeiden und ohne weiteres zu den Maßregeln der Entlassung oder Ar- beitSniederlegung zu schreiten, weil sie befürchten müssen, daß Aeußerungen, die sich bei Vorverhandlungen aus der Natur der Sache ergeben, als Erpressung verfolgt werden." Wie schon bemerkt, Hal der Erpressungsparagraph mit der hier in Rede stehenden Auffassung noch niemals An- jpenbung gegen Unternehmer gefunden. Tatsäch - lich ist diese Art von Rcchtsaiisfafluna schon in den siebziger Politische Uebersicht. AuS dem Reichstag. Berlin, 7. Dezember. Die heutige Fortsetzung der Kieler Werftinterpella - ri o n war für den Staatssekretär der Marine viel unangenehmer, al-3 gestern der Anfang. War der Staatssekretär sich gestern noch nick» ganz klar darüber, ob er selber bezw. das in seiner Person verkörperte System unter Anklage stehe, so dürfte er dessen heute „voll und ganz" inne geworden sein. Abgesehen von den nichtssagenden kurzen Bemerkungen der Antisemiten La tt mann und Werner, ging der Freisinnige Dr. Struve sehr energisch gegen das „System Tirpitz" vor. Es war entschieden eine schärfere Tonart, als die gestern von seinem Fraktionsgenossen Dr. Leonhard angeschlagene, trotz des flottenbegeisterten Untertons. An einer Reibe von Einzelsällen konstatierte Struve die unverantwortliche Verschwendung von Steuergroschen, die durch das „System Tirpitz" gepflegt werde. Aber nicht allein, daß sich der freisinnige Redner- auf dem Gebiete der Marine als wohlunterrichtet erwies, auch über das gestern von Herrn -ovahn so warm in Schuv genommene Gerichtsverfahren machte er Mitteilungen, die das allergrößte Er- itaunen ivachrufen mußten, --o z. B.. daß der Slaatsamvolt, oer Die Anklage zu vertreten hatte, erst ant Tage vor Beginn der Per- bandlungen den Auftrag dazu erhalten hat. Schnetdend war seine Kritik der in der Werftvcrwaltung zutage tretenden milttärisch- assessoralen Bureaukratie, des Normalismus und Formalismus und ScheiugtiSm'us, wie ec das „System Tirpitz" groß gezogen und entwickelt habe. Fn längeren Ausführungen suchte 3er Staatssekretär die An - klagen des Vorredners zu entkräften, tam aber über den Versuch dazu nicht hinaus und half iich schließlich damit, daß er einen der zahtrsiaien von Dr. Struve als Beispiele für die Verschtvenduiig von Geldern angeführten Fälle als unrichtig bezeichnete und daran die Bemerkung knüpfte, daß daran die Genaingkeit der von Struve angeführten Zahlen ermessen werden könne. Unser Genosse Severing, der darauf das Wort erhielt, beschäftigte sich eingehend mit dem Teil unserer Interpellation, der die Mißbräuche und Mißstände auf den kaiserlichen Werften int allgemeinen treffen sollte. Mit einem sorgfältig bearbeiteten Material rückte er der Marineverwaltung sehr energisch auf den Leib. Er wies aus seiner umfangi-eid^eit Anklageschrift nach, tute durch das infolge Begünstigung der Organisation der Gelben ein« geleitete Spionagesystem ein Keil in den Stamm der qualifi - zierten Arbeiterschaft getrieben werde, um diese möglnlierweise zu korrumpieren. Ehrliche, anständige und vor alleti tüchtige Ar - beiter werden gemaßregelt, um für Gauner und Spitzbuben Platz zu schaffen. Das auf Vernichtung der sogenannten sozialdemo- kratischen Gewerkschaftsorganisationen surch Bevorzugung des geistigen Lumpenproletartats gerichtete Bestreben der Werftleiter in Kiel sowohl wie in Danzig müsse zu einer Verminderung der Leistungsfähigkeit der Arbetterschaft und damit zu einer Ver - schleuderung der Steuergroschen führen. An Stelle des Staatssekretärs antwortete diesmal der -piritus rector des Marineamts, der beim Kaiser in hoher Gunst stehende he inte Adytixalitätsrat Harms, Der int Vollbemußtjein seiner .«^.inftiflten Person-ichwtt so recht von ocen „eruntet erklärt-, daft spzulldeiitokratisckte Agitatoren auf den tatserlickten Wersten nicht geduldet würden, und wer von „zuständiger stelle" als solcher gekennzeichnet werde, der iverde ohne weiteres entlassen. Daß'diese Erklärung an und für sich, namentlich aoer die brüste Art und Weise, in der sie der Herr Geheimrat, zum Ausdruck brachte, bei den Sozialdemokraten heftigen Widerspruch heroorrtcr, ist selbstverständlich. Dem H-errn wurde später, und zwar nicht nur von sozialdemokratisckier -Seite, bedeutet, daß seine Art, ord- nuitgs- und sachgemäß vorgebrachte Beschwerden abzuMit, eine ent - schieden zu mi^iilligende sei. Dr. Leonhard und Erzberger und später S t r u B e und Genosse Legien warfen dem -olaatssctretär mit guten Gründen vor, daß er ihre Fragen entweder nicht verstanden, oder sich so gestellt habe, als hätte er sie nicht verstanden, und deshalb nur Nebensächlichkeiten beantwortet, aber die Hauptsache unbeant - wortet gelassen bczw. diese zur Nebensache gemacht und sic mit einer vornehmen Geste abgetan habe. Ganz besonders scharf ging Genosse Legien sowohl mit dem Staatssekretär v. Tirpitz als auch mit dem Geheimrat Harms ins Gericht, ihnen die Bedeutung der zwei Millionen Arbeiter utufassenden gewerkschaftlichen Crgnnt- jationen, die als Steuerzahler wesentlich in Betracht zu ziehen ‘eien, vor Augen führend. Er forderte für diese Arbeiter- und Steuerzahler-Masscu denjenigen Respekt vqn den Herren Regie- ruiigsvertretern, auf den sie als Staatsbürger Anspruch zu er - heben berechtigt seien. Er verwies den Herre» sehr ei»dringlich die von ihnen beliebte Art, sich mit nichtssagende» ober, wie es hier mehrfach geschehe», beleidigende» Redensarten oder gar gänzlicher Nichtbeachtung hinwegzusetzen. Daran knüpfte er die Wiederholung seiner Ankündigung auf Einbringung eines An - trages. betreffend Einsetzung einer parlamentarischen Kommission zur Untersuchung aller Mißstände und Mißbräuche in der Marine- verwaltung des »ystemS Tirpitz. Nach einigen kürzen rechtfertigen - den Bemerkungen des Dr. Struve gegen die Ausführungen des Staatssekretärs aur seine Ausführungen wurde die Besprechung der Interpellation geschlossen. Eine längere Diskussion rief »och die Fortsetzung der Be - ratung des portugiesische» Handelsvertrages her - vor. Der Staatssekretär des Innern Dr. D c l b r ü ck und der vom Auswärtigen Amt v. Schoen gaben sich die größtmöglichst Mühe, die von Merkel und heute von dem Freisinnigen G o t h e i n an dem Entwurf geübte Kritik zu entkräften, hatte» aber nur wenig Erfolg und Fanden nur Unterstützung auf der äußersten ultra-agrarischen Seite, repräsentiert durch de» Grafen Kani 1 und den Direktor dcS Bundes der Landwirte, Dr. Diedrich Hahn. In später Abendstunde wurde der Entwurs einer Kom - mission von 28 Mitgliedern überwiesen und die Sitzung nach 8 Uhr geschloffen. Tic Kanzlervcraiitwortlichkeit und die Parteien. Aus den in der vorigen Reicktstagssession nach den stürmischen Rovembertage» von 1908, da auch die bürgerlichen Elemente sich gegen das persönlickw Regiment empörten, eingebrachten Anträgen auf «Schaffung eines Gesetzes über die Verantwortlichkeit des ReicktSkanzlers ist unter dein Druck der Blockpolitik ebenso wenig etwas geworden wie aus dem Versuch, den Einfluß des Reichs tages auf die Politik zu stärken. Jetzt bat auch das Zentrum einen Antrag, betreffend die Verantwortlichkeit des Reichstanzlers, eingebracht. Das entlockt der „Nationalzeitung" einen Stoß - seufzer, der noch nachträglich einen Einblick in das Wesen der liberalen Blockpolitik tun läßt. Das nationalliberale Blatt schreibt: „Jüngst lasen wir in einem Zentrumsblatt eine höhnische Be - merkung darüber, daß die Liberalen nach dieser Richtung nichts Positives zustande gebracht hätten. Wie lag aber doch die Sache in Wirklichkeit? Das Zentrumvereitelte damals jedes Resultat, indem e5 überall radikalere Anträge stellte als die Liberalen. Diese nahmen Rücksicht auf die konser - vativen Blockgenossen und mühten sich vergebens, sie zu annehmbaren Zugeständnissen zu bewegen. Jetzt fällt natürlich solche Rücksicht fort — für die Libe- raten. Es wird recht interessant sein, zu erfahren, ob daö Zen trum an den Auffassungen, die es in der vorigen Session so warm und treu betteten hat, unter den ..veränderten Verhältnissen" noch festhalten wird. Dann müßte diesmal ein positives Ergebnis hcrauskommen Fragt sich nur noch, ob man Zeit dazu finden wird etxen antrag mußte das Zentrum wohl anitanbebalber wieder einbringen, aber ebenso „vertritt" es ja auch die Ei», fühtung des Reickistagsivahlreckts tu Preußen. Im Verschleppen unbequemer Angelegenheiten besitzt die Partei eine nicht be - strittene Meisterschaft. Wir find wirtlich neugierig, ob man bi« Pfingsten wieder von dem Zentrumsemtrag etwas boten wird." Tas Zentrum das bekanntlich keineswegs radikal ist, mag in der entschwundenen Blockära sich ein boshaftes Vergnügen daraus gemacht haben, die liberalen Blockleute durch „radikale Anträge rn Verlegenheit zu bringen „Radikal offenbar nur gegenui < i den Ansichten der konservativen Blockgenossen, die von vornherein harauf hinarbeiteten, die Altion zum -scheitern zu bringen. ’> utu Jahren dem „Ordnungs"geiste des Unternehmertums ent - sprungen und von diesem solange propagiert worden, bis die I u st i z sie sich zu eigen machte u n d p r a k t i s ch in Anwendung brachte. Die Rechtsprechung hat also auch in diesem Punkte, wie in manch anderem, sich den Wün - schen und dem Sonderinteresse des Kapitalis - mus entgegen den Interessen der Arbeiter sich d i e n st b a r gemacht. Stellt doch auch die Begrün - dung des Entwurfs ausdrücklich fest, daß die dem § 253 ge - gebene Ausdehnung von dem Gesetzgeber nicht be - absichtigt war! Daö kann auch den Staatsanwälten und Richtern, die sich solcher Auslegung bedienten, ganz gewiß nicht unbekannt gewesen sein. Ueberdem ist cS ihnen oft genug nachgcwiesen worden. Der Entwurf will nun den Tatbestand der Erpressung dein Tatbestände des Betruges gleichstellen. DaS würde allerdings an sich eine Verbesserung sein. Aber der Entwyrf will einer neuen höchst bedenklichen Auffassung geradezu strafrechtliche Sanktion geben. Ter ErpressungSparagrapH soll folgende Fassung erhalten: ..Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechts - widrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das V e r in ö g >> eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Ge - walt oder Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unter - lassung nötigt, wird wegen Erpressung mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft. Der Versuch ist strafbar." In der jetzigen Fassung fehlen die hier gesperrt gedruckten Worte. Mit diesen Worten ist aber wahrlich keine Ein - schränkung des Begriffes „Erpressung" gegeben, sondern eine neue Ausdehnung. Das geht, abgesehen von den Worten „das Vermögen eines anderen beschädigt" klar her - vor aus folgenden Sätzen der Begründung : „Insbesondere wird bei dem Zwange zum Abschluß eines gegenseitigen Vertrages für die Frage, ob eine Vermögens- befchädigung vorliegt, der Wert der beiderseitigen Leistungen in Betracht zu ziehen sein. Dies hat zum Beispiel auf dem Ge - biete des g e w e r b l sich e » L o h n k a i» p f e s zur Folge, daß die seitens eines Arbeitgebers durch Androhung der Entlassung ■ erwirkte Herabsetzung des Arbeitslohnes und umgekehrt, daß die von Arbeitern durch Drohung mit Arbeitseinstellung er - langte Lohnerhöhung nur dann unter dem Gesichtspunkte der Erpressung strafbar werden kann, wenn der auf die Drohungen hin vereinbarte Lohn im Mißver - hältnisse zu dem wahren Werte der Arbeits - leistung steht und die Täter sich dessen bewußt waren." Der Vorentwurf zu einem Deutschen Straf- gejetzbuch stellt sich besonderer Teil der Begründung-, S. 755 flgd.) aus denselben Standpunkt. Offenbar haben die Verfasser der jetzt vorliegenden Novelle sich den ihnen schon längst bekannten Vorentwurf zum Muster genommen. Dieser will, entsprechend der Rechtsprechung des Reichs - gerichts, zum Ausdruck bringen, daß als Erfordernis eines Deliktes der Erpressung „ein Anspruch auf den erstrebten Vermögensvorteil im Rechte nicht besteht." Er bringt eine etwas andere Fassung nebst einer Verschärfung des Er - pressungsparagraphen: „Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten unrechtmäßigen Gewinn zu verschaffen, einem anderen durch Gewalt oder durch Drohung einen Vermögens- Vorteil a b n ö t i g t, wird mit Gefängnis bestraft. Der Ver - such ist strafbar. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthausbiszufüns Jahre n." Es muß denn doch, besonders in der Arbeiterschaft, die schäfste Opposition Hervorrufen, daß die Entscheidung der Frage nach dem wahren Wert der _ Arbeits - leistung für die Feststellung des Begriffes „Erpressung" be - stimmend sein soll. Es handelt sich dabei um erheblich strittige nationalökonomische Fragen: Welches ist der wahre Wert der Arbeitsleistung? Worin begreift er sich? Wer soll ihn fcststellen? Darüber gehen die Meinun - gen so weit auseinander wie die wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter und der Unternehmer und die nationalökonomischcn Lehren. Und solche wirtschaftliche Fragen will man verquicken mit einer strafrechtlichen! Damit droht aus der vorliegenden Novelle und aus dem Strafgesctzbuchvorcnt- wurf den Arbeitern neue ungerechte strafrechtliche Behandlung. Daß auch die Unternehmer von der neuen Rechtsauffaffung tatsächlich betroffen werden, stellen wir in Abrede. Alle Erfahrung spricht da - gegen. Was die Justiz den Arbeitern als strafbares Un - recht anrechnet, das hat sie vielfach als das gute Recht der Unternehmer respektiert. Nur bei den Unternehmern ist vom Vermögen die Rede; die Arbeitskraft des Arbeiters, für die dieser eine möglichst gute Bezahlung zu erreichen bestrebt sein muß, ist kei n Verm ö gcn im Sinne des Rechtes! Und da soll denn der Richter, wenn Arbeiter einmal in der Lage sind, eine besonders hohe Steigerung ihrer Löhne, d. h. besonders hohe Bewertung ihrer Arbeitskraft den Unternehmern gegenüber her - beizuführen, sagen können, da sei der „richtige Ausgleich" zwischen Leistung und Gegenleistung nicht vorhanden, so daß Arbeiter, die unter Androhung des Streiks oder der Sperre ihre Forderungen durchsetzen wollen, als „Erpresser" zu bestrafen sind, nach dem Vorentwurf „in besonders schweren Fallen" sogar mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren! Daß das, was die Novelle und der Vorentwurf Vor - schlägen, zu den ungeheuerlichsten Konsequenzen führen könnte, ja, ganz sicher sichren würde, unterliegt keinem Zweifel. Di e s e „Reform"-Vorschläge mit ihrer Begründung dürfen unter keinen Umständen gesetzliche Sanktion finden. Dagegen muß die Arbeitcrklaffe sich wehren mit aller Kraft und Energie! Wir stellen ihnen die Forderung gegenüber, daß dem § 256 des Strafgesetzbuches eine Bestimmung hinzugcsügt wird, wonach eine Handlung aus § 153 der Ge - werbeordnung, Androhung und Durch - führung von Streiks, Sperren, Boykotts usw. nicht als Erpressung zu betrachten ist. Der Er- pressungsparagraph darf nicht länger eine Waffe gegen die Arbeitcrbeweqnng fein! Die „Rechtsprechung", die ehren- haftc Arbeiter deöhach, weil sie erlaubte Mittel im Kampfe für ihre berechtigten Interessen anwenden, „von Rechts wegen" zu „Erpresser n" stempelt, sie als Verbrecher be - handelt, muß ein Ende nehmen! Redaktion: - , Expedition: JrPandftraße II. I. Stock. •VstlllOlirg •»’» fteblanbfttaftt 11. Erdgeschoß. Verantwortlicher Redakteur . Ernst Köpke in Hamburg. aus sachlichen Gründen, sondern aus Furcht vor dem Schei - tern des Blocks haben sich die Liberalen, wie die „Nationalztg." offen eingesteht, zu Schleppenträgern der Konservativen gemacht und damit ihrerseits zum Scheitern beigetragen. Naiv gesiebt das nationalliberale Blatt: Jetzt fällt diese Rücksicht fort! Es nimmt auch an, daß jetzt ein poy tives Ergebnis heraustommen könne, wenn dao Zentrum an seinen Auffassungen festhalte. Das heißt, die Nattonalliberale» hätten für die „radikalen" Anträge des Zentrums stimmen können, wenn sie nicht den Konservativen zuliebe anders ge - bandelt hätte». Wenn de» Nationalliberalen daran liegt, endlich eine Entscheidung in der Frage herbeizusühren, können sie etwaige Verschleppungsabsichten leicht durchkreuzen. Sie brauchen nur die Bemühungen zu unterstützen, den Antrag, wie den das gleiche Thema betreffenden sozialdemokratischen Antrag bald zur Beratung zu bringen. Da wird das Zentrum nicht ausweichc» können, wenn es selbst wollte, wofür aber ein Beweis bisher nicht vorliegt. Tie preußische Wahlrechtsreform. Tas gute Zureden der Konservativen und Agrarier, sich um dao in der vorjährigen preußischen Thronrede gegebene Ver - sprechen einfach nitfit zu kümmern, scheint auf Herrn b. Bethmann Öollweg doch feinen Eindruck gemacht zu haben. Wenn das „L. Tagcbl." nämlich Recht hat, das aus bester Quelle erfahren häbe» will, daß die Vorverhandlungen für d i e preußische Wahlrechtsvorlage tatsächlich vor ihrem tzlbschluh Reben sollen. Der Reichskanzler werde als preußischer Ministerpräsident ioglcitft nach Eröffnung des Landtages die Vorlage eines Wahlrechtsentwurfs für Anfang April im Abgeordneten- hause zusagcn. Das wäre an sich sehr schön. Aber nicht daraus, ob über - haupt eine Wahlrechtsborlage von der Regierung eingebracht wird, kommt es an, sondern darauf, welchen Inhalt sie hat. Mit irgendeiner nutzlosen Herumpfuscherei am Dreiklassenwablsystem, las dessen Wese» und Wirkung unangetastet läßt, würden sich auch die Konservativen befreunden, schon um den Anschein zu erwecken und hinterher sich darauf berufen zu können, daß das gegebene Königswort cingelöst worden sei. Damit ist aber den Volksmassen nicht gedient, die endlich auch den ihnen längst gebührende» Einfluß auf die Gesetzgebung des Staate« gewinne» wollen. Tic Zusage, eine Vorlage zu 'bringen, tut« also nicht. Sic mutz auch wirklich eine ernste Reform bringen. Agrarische Unverfrorenheit. Unter de» gestern mitgeteilten, von der konservative» Reichs- tagc-fraktio» eingebrachten Initiativanträgen befinbet sich auch einer, der eine Abänderung der Gewerbeordnung in dem Sinne verlangt, daß der Arbeiterinnenschutz für Betriebe, die landwirtschaftliche Produkte verarbeiten, wieöei aufgehoben werde. Die .Herre» beantragen zu 1 . Die Beschäftigung von Arbeiterinnen in Molkereien usw. ist während des ganzen Jahres nur für die Zeit von 10 Uhr abends bis 3h Uhr morgens ausgeschlossen; 2 bei Beschäftigung von Arbeiterinnen in diesen Betrieben in zwet Arin::c schick:.'» »raucht von der einfrünbtgtn Arbeits - pause nur eine halbe Stunde im Zusammenhang gewährt gu werden. . .... Und zu § 139: In Meiereien uiw. ban die ununter - brochene Ruhezeit während des ganzen Jahres auf neben Stunden herabgesetzt werde». . ;i Um die ganze Unverschämtheit die,es Antrages zu Bernehen, mutz man wissen, daß hier die tzlbänderung eines Gesetzes verlangt wird da--- erst am 1. Januar 1910 in Kraft treten ,oll. daß also noch keinerlei Erfahrungen bei der Durchführung gemacht iverde» konnten. Es kann auch nicht ein einziger neuer Grund nir die Abänderung ins Feld geführt werden, der nicht auch schon bei der Verabschiedung der Gewerbeordnungsnovelle tm Fruchahr d. I. Vorgelege» hätte. Weil die Großagrarier sich durch dte Be- idiräntung in der Ausbeutung ihrer Lohnftlaven benachteiligt fühlen, deshalb soll der Gesetzgeber zu ihre» Gunsten eine Au«- nähme simulieren. Daß die Beschränkung der Frauenarbeit, wie sie die neue Gewerbeordnungsnovelle borschreibt, auf inter - nationalen Abmachungen beruht, fümmert die um Richthofen-Damsdorf und v. O l d e n d u r g - I a - n u schau nicht das geringste, lieber lolche Kleinigkeiten setzen sie jid} bintveß, fobulb ihr Profit bebtest eridicint. Konservative und Rationalliberale. ^as Crgan der preußischen Junker, die „Kreuzztg. . Hai jüngst den Nationalliberalen gedroht, ihnen die Stichwahlunter- iiützung gegenüber der Sozialdemokratie zu entziehen. Tas jei .einfach eine Forderung nationaler Politik, feit dte Liberalen aller Richtungen sich in den Parlamenten mit den soz t a I de m o- traten zusammentun und uns damit di« Pflicht auf- erlegen, für die überzeugten Gegner der antintonarduicben, christentumsfeindlichen, von Juden geleiteten Sozialdemokratie Panier aufzuwerfen. . Wenn die Nationalliberalen die Unter irützung der Konservativen wünschen, mögen ne mit ihren An- liegen kommen, und wo es im Interesse der «ad* gerechtfertigt erscheint, wird ihnen die Unterstützung nicht vertagt werden: aber dm Nationalliberalen aufzufuchen und ihnen gar Htlse -egen ihre Freunde vom Großblock angubieten, liegt kein Anlaß vor". n _ Tie „Rationall. Korrespondenz", das osNzielle Organ der Nationalliberalen, antwortet darauf zunächst mit bei he» dem ^vott: „Die „Krenzzeitung" ist böte. Nachdem sie in den letzte» Wochen zumeist den Frieden unter den Parteien auf tanftei Leier Präludiert hat, hat sie am letzten Sonntag nnebet: bar- -Ihneiischwert in die Hand genommen, um aus Gott und Zeder- ■nanu loszuschlagen. . . Die „Rückkehr zum Block sei für dte Rechte ganz nnrnöglichl Aber, verehrte Herren, wer spricht denn bei uns überhaupt noch vom Block? War» nicht vielmehr ,'.c „Kreuzztg.". die in den letzten Wochen immer wieder tur neue Bündnisse zwischen links und rechts geworben. Und den Naftona - iocralen würde möglicherweise demnächst offiziell mitgeteili werden, daß sie auf die Sticbwahlunterstudung der Konservati^n argen die Sozialdemokratie künftighin nicht zu rechnen hätte». Auw diese Drohung — wir bekennen offen — schreckt uns nicht. Zunächst ist es bis zu de» nächste» Wahle» noch eine ganje ^eile hin und es wäre entsetzlich, wenn die Konservativen zwei volle Tabre in dieser höchst unnormalen, überhitzten Geinutsveriassung verharre» sollten. Im übrigen aber könnte man es daraus an- komme» lassen. Wir fürchten: auch von de» konservaiiven Herr- schasien würde, wenn die Liberalen dann Reziprozität übten, eine ganje Anzahl nitfit mehr auf stolzen Rossen gesehen werden. Ja wennl Aber das nationalliberale Organ bofti auf tue lindernde Wirkung der Zeit. Und mit Recht SW »le Wahlen herankommen, werden die gegenwärtig so Tr '” bh ^!\ " rl * bcr wieder vertragen. Denn beide Parteien sind, mögen fte auch n einzelnen Fragen noch so sehr bifterteren. bo* ni emem einig: daß die A r b e i t e r k la s s e m ihrem pohhttben Einfluß niedrige halten werden muß. Noch eine Ersatzwahl zum Reichstag. Einer Reihe von Mandatsniederlegungen feiten» pol - nischer Abgeordneter soll dne weitere folgen Stach ber Scklcs Zia "will der Pole v. « a tz - I a w o r s k, der Ungültig- kcitoerkiärung seines Mandats zuvorkommen und , ein M an d a t nie her legen, wahrscheinlich noch vor Weihnatfiten. Er ui 1908 mit 84Iß gegen 7953 Stimmen gewählt worden, bic: auf bei. Freikonservativen Holy fielen. Austerdem wurde» 7-.> ,ozialbemo. Irakische Stimmen abgegeben. Die Sntschiidignng der Dabakarbriter. Der preußische Ai n a nz m i n t ft e r hat bie '.‘tui führungsbestimmunge» über die Unterstützung geschäoigter Laba, arbeit«, die an die Stelle der vorläufigen Anordnungen meicr ?Irt treten, den Lberzolldirektioneii mit einem Begleitschreiben zngestcllf, in dem es heißt: „Den neuen Bestimmungen ist im allgemeinen nur Wirkung