Nr. 31. Sonntag, den 6. Februar 1910. 21. Jahrgang. Mmlinrger Echo Ta» »Hamburger erschau, »»glich, aufttr Moulage, SlbonnementSprrt» (Inti. „Tie Reue Welt" und „Tie arbeitende Jugend") durch die Post bezogen ohne Brlngegeld monatlich X 1.20. vieNeljihrlich X 8,60; durch die Importeure wöchentlich 80 4 frei ine Hau« Linz. Nr. 6 4. Vonntage-Slummer mH illustr. Beilage „Tie Neue Welt- 10 4 Rreuibanblenbungen monatlich A 1,70. für da« Aueland monatlich A 8.50. Verantwortlicher Redakteur: Ernst Köpke In Hamburg Redaktion: Ä AMt 6*, Ä Qß Expedition: Fehlandstraße 11. L Stock. PllMvUrg »O Fehlandstraße 11. »rdgelchoß. Anzeigen die fech«gefpallene Petitzeile oder deren Raum 86 4. Slrbeltömarkt. Vermietung«, und Familienanzeigen 20 4. «nzeigen-Annahme Fehlandftr. 11, Lrdgeschoh (bis 5 Uhr nachmittags:, in den Filialen tbi« 4 llhr nachm ), sowie in allen Annoneen-Bureaux. Platz- u. Taienvorlchriften ohn» Verbindlichkeit. 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Im 2., 3. und 4. Wahlbezirk hat zwischen den Kandidaten der Vereinigten Liberalen und der alten Fraktionen eine Stichwahl stattzufinden, bei der unsere Wähler den Ausschlag geben. Von den Kandidaten der alten Fraktionen gehören Bieber der „Fraktion der Rechten", HarmS und Reuß dem „Linken Zentrum" an. Beide Fraktionen haben vor vier Jahren dem Wahlrechtsraub zuge - stimmt. Diese Tatsache genügt, die Kandidaten entschieden zu bekämpfen. Wenn auch die drei Kan - didaten damals der Bürgerschaft nicht angehörten, so habm sie aber in der Wahlbewegung die Ver - schlechterung des Wahlrechts im vollen Umfange gebilligt. Wir empfehlen daher unseren Parteigenossen und Wählern, am Stichwahltage ein - mütig ihre Stimme für die Kandidaten der Vereinigten Liberalen abzugeben, die für die Beseitigung des Klassenwahlrechts eintreten. DetBorftanö hnsanöesorgmlfafionöer foMemotrntMen Mei hmülllgs. Die preußische „Wahlreform". Der textliche Inhalt der preußischen Wahlrechtsborlage liegt rwch nicht vor, aber die Inhaltsangabe, die am Freitag abend von der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" gebracht, vom Tele - graphen jedoch nicht vollständig übermittelt wurde, läßt diese Vor - lage geradezu als eine Verhöhnung bei in den Volks- Ufa jfen lebenden brennenden Verlangens nach vollberechtigter Teilnahme am StaatSleben er- scheinen. * Was hier den VolkSmassen geboten wird, ist ein Produkt ähn - licher Wahlrechtekünstelei, wie man sie beim Wahlrechts- Umsturz in Hamburg getrieben hat, um die Masse um ihren Rechtsanspruch zu betrügen. Der Grundgedanke ist, daß die Masse auch fernerhin in Preußen rechtlos sein soll, denn sie wird unter allen Umständen politisch einflußlos bleiben, wenn diese Vorlage oder etwas Sehnliches Gesetz werden wird. , Mit dem Einfluß fehlt auch das Recht Was nützt es den Wählermassen, daß man ihnen gnädigst gestattet, ihre Stim - men abzugeben, ihnen aber die Möglichkeit nimmt, Ver - treter ihrer Anschauungen auch nur in einigermaßen entsprechen - der Zahl in daS Parlament zu bringen? Das Wählen ist an sich kein so besonderes Vergnügen, daß man es um seiner selbst willen besonders schätzen kann; es erhält erst Wert, wenn eS die Möglichkeit eröffnet, zu ein. fluhreicher Vertretung zu kommen. Aber als solche kann man es doch nicht gelten lassen, wenn die entfernte Möglich - keit besteht, einige wenige Vertreter zu bekommen, die immer den Predigern in der Wüste gleichen werden. Und selbst diese Möglichkeit erscheint durch dar spitzfindig ausgeklügelte System einer direkten Wahl mit Beibehaltung der Dreiklassenteilung noch keineswegs als sicher. Die direkte Wahl ist das einzige, was man in der Vorlage allenfalls als Fortschritt gegenüber dem Bestehenden an - sprechen kann. Ein besonderes Zugeständnis an die Massen der bislang einflußlosen Wähler ist sie aber keineswegs. Sie be - seitigt einen Uebelstand, an dem alle Parteien ziemlich gleich, mäßig litten, die Schwierigkeit, Wahlmänner aufzutreiben. Die Beibehaltung der D r e i k l a s s e n t e i I u n g der Wähler bei Einführung direkter Wahlen, wird vermutlich neue erhebliche Wahlschwierigkeiten erzeugen. Man sehe sich nur die komplizierte Feststellung de« Wahlergebnisses an, wie es die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schildert: ganzen Landtagswahlbezirk abgegebenen gültigen Stimmen zu- „Für jede Abteilung gesondert wird die Zahl der im sammengerechnet, und der Anteil jedes Kandida- t e n an den abgegebenen gültigen Stimmen abteilungsweise nach Hundertteilen der Stimmen festgestellt Die so gewonnenen Hunderttetlzahlen aller Stimmen jeder Ab. teilung werden für jeden Kandidaten zusammen - gezählt, ihre Summe wird durch drei geteilt. Ge - wählt ist, Westen durchschnittlicher Stimmenanteil hiernach mehr als fünfzig vom Hundert beträgt" Zur Rechtfertigung diese» verzwickten BerechnungSmoduS sagt die offiziöse Verlautbarung: „Bei diesem Verfahren wird da» gl eiche Gewicht deS Einflusses jeder bet drei Ab. teilungen auf das Gesamtergebnis der Wahl innerhalb des ganzen Landtagswahlbezirkes vollkommener gerechnet als bisher. DaS neue Verfahren hat ferner den wesentlichen Vorzug vor dem bisherigen, daß eS nicht die Stimmen der Minderheiten in den örtlichen Abstimmungsbezirken vom Einfluß auf da» Gesamt - ergebnis ausschaltet, sondern jede Stimme im ganzen Wahlbezirke für die Wahl des Abgeordneten zur Geltung bringt und den Blick der Wähler auf die Interessen deS ganzen Wahlbezirkes hinlenkt. Verhältnisse der engsten ört - lichen Umgebung werden infolgedessen in Zukunft einen gerin - geren Einfluß auf die Stellungnahme der Wähler üben, als es vielfach bei der Wahl der Wahlmänner in den Urwahlbezirken bis - her der Fall gewesen ist. In der U n g e w i ß h e i t d e S W a h l- auSfalleS für den ganzen Wahlbezirk, der nicht mehr, tote eS in vielen Urwahlbezirken jetzt schon mit der Aufstellung der Wahlmannskandidaten der Fall ist, den Wählern erkennbar fest - stehen wird, liegt ein starker Antrieb zu regerer Be - teiligung an der Wahl, deren Belebung vor allem anzu- streben ist. Nicht minder auch in dem nunmehrigen Rechte jedes Wähler-, unmittelbar selbst für den Kandidaten einzutreten, der ihm zum Abgeordneten seine« Landtagswahlbezirkes am geeignet - sten erscheint." Da« kann allenfalls als Rechtfertigung für den Wegfall der Wahlmännerwahlen gelten; aber di« Verewigung bet Einflußlofigkeit bet Wählet britter Klaffe kann badurch auch nicht einmal beschönigt werben. Die bethen oberen Klassen werben auch bei biefem Wahlverfahren die dritte Klasse in der Regel überstimmen und nur ausnahmsweise wird einmal der Kandidat der letzteren, deren Wählerbestand im wesentlichen die Arbeiter bilden, eine Mehrheit bekommen, nämlich nur da, wo ein erheblicher Teil Arbeiterwählet auch in der zweiten Klasse ist E» bleibt also in dieser Hinsicht alles wie eS war. Daran wird auch nichts gebessert durch die neue Erfindung der „Maximietun g", bei der eine Grenze festgelegt wer- den soll, über die hinaus die Steuerlei st ung nicht mehr angerechnet wird. Diese Grenze ist bei JI 5000 Gesamt - steuer gewählt. Von diesem Maximierungssatz werden etwa 13 000 Wähler betroffen; er entspricht einem einkommensteuer- pflichtigen Einkommen von JI 40 000 bi» JI 42 000, da durch - schnittlich in Jt 5000 Gesamtsteuern JI 1415 Staatseinkommen - steuern enthalten sind. Damit will man den „übermäßigen Einfluß der Millionäre ausschalten" und verhindern, daß eine Person ober zwei bie ganze Wählerabteilung bilden. Für die Wählermassen wird dadurch bitterwenig gewonnen; sie bleiben in ihrer ungeheuren Mehrheit in der dritten Klasse. Jetzt sind eS etwa 82 pZt. WaS wäre gewonnen, wenn durch Aufsteigen von einer halben Million Wähler aus der dritten in die zweite Klasse in der dritten „nur" noch 75 pZt. blieben? Dann würden immer noch drei Viertel aller Wähler einflußlos und damit rechtlos sein! Dagegen wird mit dieser Nichtanrechnung der Steuern über M 5000 hinaus den mannigfachen Kränkungen abgeholfen, die die jetzige Klasseneinteilung den Besitzenden zufügt, soweit sie nicht selbst Millionäre ober Milliarbäre sinb, aber im Bereiche solcher ihr Wählerbomizil haben. Dort brücken bie Kapital - magnaten alle» in bie dritte Klasse hinab, was nicht im Einkom - men ziemlich nahe an sie heranreicht. Nach der amtlichen Wahl- statistik gab eS 2300 Urwahlbezirke, in denen die Obergrenze des Einkommens in derdtitten Klasse * 6000 betrug. Da wählen also schon ausgemachte Bourgeois in der dritten Klasse. Und wo so ein Kapitalmammut haust, da können Leute mit noch höheren Einkommen in die dritte Klasse hinabgestoßen werden. Haben doch im Berliner Tiergartenviertel selbst M i n i st e r in der dritten Klasse wählen müssen. DaS ist für Leute, die ihren eigenen Wert nach der Größe ihre» GelbsackeS schätzen, natürlich eine „schwere Kränkung". Unb solchen Schmerzen abzu - helfen, ist in ben Augen der Regierung ein diel nützlichere» be - ginnen als den VolkSmassen endlich ihr Recht zu gewähren. Den VolkSmassen, besonders den Arbeitern wird auch nicht geholfen durch die famosen „neuen Merkmale" für die Bildung der Abteilungen. ES sollen danach abge - schlossene Hochschulbildung, Mitgliedschaft im Reich», und Landtag, ehrenamtliche Tätig, kett in den S e lb st v e r wa l t u ng S b e h ö r d e n unb in den Verwaltungskörperschaften bet höheren Kommunalverbänbe, sowie Off izierSd i e n st im Heer und in der Marine al» Merkmale für da» Aufsteigen angesehen werden. Wähler mit solchen Merkmalen sollen au» der zweiten unb brüten Abteilung bet nächsthöheren zugewiesen werben. Durch diese Bestimmungen werden die Arbeiter und die kleinen Leute in der dritten Klasse noch mehr isoliert als bisher, mehr aber noch durch die weitere Vorschrift, daß der zweiten Abteilung diejenigen nach der Steuerleistung in die dritte Abteilung fallenden Wähler zugewiesen werden, welche mit einem Einkommen von mehr al» JI 1800 zur Staat», einkommensteuer veranlagt sinb unb entweder seit 15 Jahren sich im Besitze der Befähigung für den einjährig, frei- willigen Militärdienst befinden ober feit wenigstens fünf Jahren ununterbrochen bie Berechtigung zur Anstellung im Zivildienst auf Grund wenigsten» zwölfjährigen militä» rischen ober gleichgestellten Dienste» ober bie De. rechtigung zur Anstellung im Jorstdienste besitzen. Also eine Art neuer Unteroffiziersprämie auf dem Gebiet des Wahlrechts, die ihnen freilich erst zuteil werden soll, wenn sie seit fünf Jahren in ben Besitz de» Zivilversorgungsscheins sinb. Die Unteroffiziersweisheit soll also doch nicht zu früh zur Gel- tung kommen. Auch die Einjährig« freiwilligen sollen, wenn sie sonst keine Qualitäten für Wahlprivilegien besitzen, fünfzehn Jahre warten müssen, ehe sie sie bekommen. Aber wenn sie »au» dem Schneider" sind, können sie ihr Vorrecht ge - nießen. Jeder, der „etwa» ist" ober sein will, soll e» haben und der „bessere Mittelstand" hat bk Genugtuung, wenigsten» seine Söhne in die zweite Abteilung aufrücken zu sehen. Der A r • beiter, der Handwerker unb sonstige kleine G e» schäftsleute bleiben ewig in der Verdammnis der dritten Klasse, wo sie zwar stimmen dürfen, aber meist ohne Aussicht, daß ihre Stimme Erfolg habe. Mit diesen Aenderungen sind die „Mängel des Systems", die die preußische Regierung für adänderungs- bedürftig halt, erschöpft. DaS Wesentliche, was am pveußi» schen Wahlrecht zu ändern wäre, um eS zu einem Recht zu machen, das seinen Namen verdient, wird völlig unberücksichtigt gelassen. Die Vorlage bringt nicht die geheime Abstimmung, sondern hält — unter Aufwendung der fadenscheinigsten Argu - mente, mit denen die Junker operieren, um sich ihr „Recht auf Terrorismus" zu sichern — an der öffentlichen Ab - stimmung fest Sie rüttelt auch nicht an der ungerechten Wahlkreiseinteilung, obwohl diese derart Überlebt ist, daß sie zum öffentlichen Skandal geworden ist. Aber sie ist ben Herren in Preußen, den Junkern, zum Vorteil, deren Gefilde sich mehr und mehr entvölkern oder doch im Wachs - tum der Bevölkerung nicht entfernt Schritt halten können mit dem Bevölkerungszuwachs der Städte. Um die Macht der Junker zu erhalten, prägt die preußische Regierung ihrer „Wahlrechtsreform" einen ausgesprochen städtefeindlichen Charakter auf. Da» ist immer Junkersitte gewesen, und bk preußische Regierung bekennt sich damit offen und unverhüllt als Vertreterin b er I u n k e r i n t er e sf e n. Die Städte und Jndustriebezirke dürfen nicht zu Einfluß kommen, denn in ihnen dominiert nicht nur das In- buftrie» unb Handelskapital, dem bie Juncker nie - mals „grün" gewesen sind, soweit sie nicht selbst ihre Gelder in Industrie und Handel „arbeiten" lassen — dort dominiert auch daS Proletariat und mit ihm als dessen politische Vertre- terin die Sozialdemokratie. Sie zu hindern, im Staate Einfluß zu gewinnen, ist nicht nur eine, sondern d i e Aufgabe be8 schmählichen Machwerks, dem man euphemistisch den Namen einer „Wahlreform" gegeben hat. Für die Arbeiterklasse ist bkfe „Wahlreform" ein Faustschlag in» Gesicht, der bestimmt ist, alle ihre Hoffnungen, uzertrümmem, die daraus gerichtet sind, endlich al» gleichberechtigter Faktor im Staat« anerkannt zu werden und die Macht zu ge - Winnen, für die eigenen großen Kulturtnteressen selbsttätig eingutoeten. Die Arbeiterklasse Preußens wird sich aber weder ihre Hoffnungen noch den Muk rauben lassen angesichts de- Niedertracht, mit der man ihren Rechtsanspruch niederzutreter versucht. Die Arbeiterklasse hat sich nicht der Illusion hin gegeben, daß die preußische Regierung ihr eine Wahlreform ent gegenbringen werde, die ihrem Verlangen nach der Rechts - gleichheit nur einen kleinen Schritt entgegenkomme. Die Arbeiter wissen, daß auch auf dem Gebiet der Politik kein Baum auf den ersten Hieb fällt, daß es scharfer und voraus - sichtlich langwieriger Kämpfe bedürfen wird, um das volle Recht zu erlangen. Die preußische Vorlage ist schlecht, aber gleichwohl ist sie der erste Stoß, der den Stein ins Rollen bringt. Die Arbeiter werden dafür sorgen, daß er nicht zur Ruhe kommt, bis das von ihnen erstrebte Ziel: da» allgemeine, gleiche, direkte unb geheime Wahlrecht errungen ist. * * • Wie aus Berlin berichtet wirb, ist bie Wahlrechtsvorlage am Sonnabenb im AbgeorbnetenhauS eingegangen. Das Gesetz besteht aus vier Artikeln. Der erste Artikel bestimmt die Aushebung der Artikel 70, 71, 72 unb 74 Absatz 1 der Verfassung. Der zweile S'eite Artikel enthält in 27 Paragraphen bie einzelnen Wär - msten be» Wahlgesetzes, bet britte Artikel besagt, baß der Artikel 115 der Verfassung außer Kraft tritt, und der vierte Artikel endlich enthält die UebergangSbestimmung, wonach bei einzelnen Neuwahlen, die vor der nächsten nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes stattfindenden allgemeinen Wahl erforderlich werden, die bisherigen Vorschriften zur Anwendung kommen. Der Seniorenkonvent des Abgeordneten - hauses beschloß, zu empfehlen, daß am Dienstag und Mittwoch kein« Plenarsitzungen stattfinden unb am Donnerstag in die erste Lesung der Wahlrechtsvorlage ein - getreten wird, ferner die Wahlrechtskommission auS 28 Mit - gliedern bestehen zu lassen unb ihre Wünsche hinsichtlich der An - beraumung der Plenarsitzungen möglichst zu berücksichtigen. Politisch^Ueberstcht. «uS dem Reichstage. Berlin, 4. Februar. Wie sich die Leser erinnern dürften, wurde anläßlich des NovembersturmS 1008 bezüglich des persönlichen Regiments die bestehende Geschäftsordnungskommission des Reichstags auf 28 Mitglieder erhöht mit dem Auftrage, die Geschäftsordnung des Reichstags einer gründlichen Revision zu unterliegen. Die Ses sion wurde geschlossen, ohne daß die Kommission mit ihren Be - ratungen zu Ende gekommen wäre. Gewiyigt durch diese Er - fahrung brachen nun alle Parteien, denen eS Ernst damit ist, die ©efdjäftSorbnung nach freiheitlicher Richtung hin auszubauen, mit dem „Alles oder nichts".Pnnzip und beschrankten sich darauf, zu nächst einmal ihre Kraft auf einen Punkt zu konzentrieren. Das ist Denn nun in der Weise geschehen, daß in dieser Session An - träge gestellt wurden, daS JnterpellationSrecht des Reichstags nach der Richtung hm zu erweitern, daß im Anschluß an die Besprechung von Interpellationen Anträge gestellt und Beschlüsse gefaßt werden können, um den Mißstand zu beseitigen, daß ben JnterpellationS- brtatten immer nur der Erfolg des bekannten Hornberger Schie - ßens sicher ist. In diesem Sinne hat denn auch außer der freisinnigen, der nationalliberalen und des Zentrums, die sozialdemokratische Fraktion ihren Antrag gehalten mit der Erweiterung, der kurzen Fragestellung im Anschluß an Mitteilungen deS Bundesrat-- außerhalb der Tagesordnung eventuell unter Bezugnahme auf wichtige politische Vorgänge. Bei der heutigen zweiten Beratung deS R e i ch S t a g S e t a t 's gelangten denn nun auch diese Anträge zur Erörterung. Als Redner der sozialdemokratisäien Fraktion begründete unser Ge nasse Singer den von unS gestellten Antrag in einer kurzen wirksamen Rede, betonend, daß e» ihm als die Hauptaufgabe des Reichstags erscheine, da? JnterpellationSrecht nach der vom An - träge angedeuteten Richtung zu erweitern, um eS zu einem wirk - lichen Recht zu machen, und ferner das Recht der kurzen Anfragen zu sickern, da der gegenwärtige Zustand ein der gewählten Vor- tretung des deutschen Volkes nicht würdiger sei. Er warnte drin - gend vor einer Erweiterung der Revision der Geschäftsordnung, wodurch wieder die Gefahr der Verschleppung heraufbeschworen werde. Dem stimmten die Redner der freisinnigen und national- liberalen Fraktion, Dr. M ü 1 l e r-Meiningen und Dr. Junck, zu. Auch R o e r e n vom Zentrum war mit den Vorschlägen Sin - gers einverstanden, nur ist er der Meinung, daß das Ziel gern weiter gesteckt werden könne, denn dah vorigesmal nichts zustande gekommen sei, habe einzig und allein an den Verschleppungs- manötiern der damals noch blocktreuen Liberalen gelegen. Graf Westarp von der Januschauer Fraktion machte staats- und verfassungsrechtliche Bedenken geltend und warnte Zentrum und Liberale, den sozialdemokratischen Lockrufen zu folgen. Die Sozialdemokratie habe 'sich als Ziel das parlamentarische Regi - ment gesteckt und ihr Antrag bewegt sich diesem Ziel zu. Dem widersprachen Gröber vom Zentrum und Kaemof von den Freisinnigen, bie verfassungsrechtliche Bedenken nicht [31] (Nachdruck verboten.) „Soldaten sein schön!" Bilder aus Kaserne und Lazarett. Von Karl Fischer. Seine guten Bekannten konnte er im Standquartier be - grüßen. Sergeant Schneider war einer der ersten, dem er die Hand drückte. Wie Freunde unterhielten sie sich. Der größte Teil der Kompagnie war ihm ziemlich fremd. Einzelne Rekruten hatte er im Lazarett kennen gelernt. Während der Zeit deS Standquartiers hatte er viel mehr freie Stunden als die Frontsoldaten. Wurde früh ausgerückt, marschierte er der Kompagnie nach. Auf dem großen, eigens für das Brigade- und Divisionsmanöver angewiesenen Platze traten sämtliche Sanitätsmannschaften der Kompagnien aus und hielten sich abseits auf, bis das lieben vorüber war. Bei dieser Gelegen - heit kam Volker mit Bornemann zusammen. Der wußte viel Neues zu erzählen von seinem Hauptmann, und was er inzwischen erlebt halte. Hatten die Frontmannschaften nach dem Einrucken noch Appelle, nachmittags Gewehrreinigen, so war Bolter frei bis zum nächsten Ausrücken. Es war ihm sehr angenehm, mit der Kom - pagnie weiter nichts zu schaffen zu haben, als in seiner Eigenschaft als Sanitätsgefreiter. _ . _ . Sergeant Schneider fand sich in seiner freien Seit oft bet Polter ein. Dieselbe Vertraulichkeit hatte sich auch im Bkanover erhalten. Stundenlang blieben sie beieinander und unterhielten sich. Beide hatten keinen Gefallen an dem lauten Wirtshaus- leben. Einzelne Alte der Kompagnie konnten sich Voller gegenüber nicht genug wundern über das veränderte Benehmen des Sergean - ten. Er sei wie umgewandelt, hörte Voller sie sagen. Immer still für sich hielt er sich und sprach kaum ein außerdienstliches Wort mit den andern Unteroffizieren. Früher hatte er immer das große Wort geführt, und feit seiner Wiederkehr aus dem Lazarett war er die Schweigsamkeit selbst. Voller erwähnte dem Sergeanten gegenüber kein Wort davon. Ihre täglichen Gespräcke führten sie weil vom Militärleben weg. Mit tiefer Beschämung gestand sich Sergeant Schneider die häßliche Art seines früheren Verhaltens-, Das Blut stieg ihm ins Gesicht, wenn er an die Behandlung dachte, die er Volker in feinem ersten Jahre hatte zuteil werden lassen. Ein brennendes Gefühl der Beschämung empfand er ihm gegenüber. Voller schien alles vergessen zu haben. Mit keiner Silbe ließ er den Sergeanten merken, was er seinerzeit von ihm ge - halten hatte. Sergeant Schneider fand gar nicht bie Gelegenheit, bie ihm auf der Zunge schwebenden Worte über bie Lippen zu bringen. Ungern ging er von Voller weg, wenn her Dienst rief. Diese stillen Unlerhallungsstunben blieben Geheimnis vor den anbern. Keiner in der Kompagnie wußte bavon. Da Bolter als einzelner bei einer armen Bauernwitwe im Quartier war, konnte Sergeant Schneider zu ihm kommen, wann er wollte, sie tourten nie gestört. Während des Dienstes merkte man keinem von beiden an, in welch naher Beziehung sie standen. Die drei Wochen des Standquartiers vergingen schnell. DaS Korpsmanöver nahm seinen Anfang. Die Märsche und Anstrengungen der Soldaten wurden von Tag zu Tag größer, und damit auch bie Zahl ber Fußkranken, bie Voller viel Arbeit brachten. Die für Sergeant Schneider so schönen Mußestunden mit Voller waren nun vorbei. Nur flüchtig konnten sie sich sprechen. Fast jeden Abend ging es in ein anderes Quartier. Drückende Spälsommerhitze lastete am Tag schwer auf ben langen Marschkolonnen. Fast täglich kauten QhnmachlSanfälle vor. Da gab es Arbeit für die Sanitätsmannschaften. Bolter tat feine Schuldigkeit. Auf den Heimmärschen in die nächsten Quartiere blieb er oft weit hinter bet Truppe bei ben zurückgebliebenen marschunfähig Gewordenen. Sobald er im Quartier angeh)ntmen, war seine Tätigkeit noch nicht zu Ende. Außer der vom Bataillon festgesetzten Verbandzeil wurde er von vielen Kameraden feiner Kompagnie ausgesucht, bie für ihre kleinen Fußwunden ein Pflaster ober einen Verbanb wollten. Mit der Zeit halten ihn alle wegen seiner FreunbNchkeit, auch den Rekruten gegenüber, gern. Im Quartierorte, auf dem Biwakplatz oder während einer Marsch- oder Gefechtspause war immer ein Kameradenkreis um ihn versammelt, ben er unter- 23ie bie Tage vergingenI Immer größer tourten die An - forderungen, die an die Mannschaft gestellt wurdenI Auf den leisten großen Marschen wurde bie Allgemeinstimmung immer gebrückter. und fröhlicher ging's in ben Quariierorten zu. In den Wirtshäusern wurden allen Verboten zum Trotz muntere Reiervelieder angtstimmt Die Rekruten mußten mit- singen, ob sie nun wollten oder nicht. Freud.- beherrschte alle. In ausgelassener Weise jubelten bie Alten über bas baldige Ende ihrer Dienstzeit, unb bie eingezogenen Reservisten gaben beim Sieb ben Ton an. Ob in der Kaserne al» Krummbock ober Schlimmschütze verschrien, ob Gefreiter, ber ben Korporalschafts, führer vertritt, ob Hauptmannsbursche — im überfüllten Wirts- haus beim Bier waren alle gleichl Da tourte kein Organ geschont. Die schönsten ©olbatenlieber wurden herausgeschmettert, daß den Wirten die Ohren schmerzten. Unb trotz allen Lärms wurden manchem dke Augen feucht. In einer stillen, dem Kaffengetriebe fernliegenben kleinen Schenke sah Bolter am vorletzten Manöverlag mit einigen be- kannten Kameraden feiner unb anberer Compagnien. Der Zu - fall hatte es gefügt, baß er auf dem Weg ins Wirtshaus Borne- mann traf, ber sich ihm anschloß. Bornemann strahlte. Sein sonnenverbranntes Gesicht glänzte vor Wonne. Seine Feldmütze saß ihm ganz auf dem einen Ohr, so bah sie jederzeit herunlerzurukschen drohte. „Ich habe Dich den ganzen Abend gesucht, Volteri" sagte er, als er neben ihm saß. „Den letzten Manöverabend wollte ich noch in Deiner Gesellschaft verbringen. Morgen abend beim Ab - fahren kommen wir doch nicht zusammen. Wie gehUs, alter Kollege? Seit vier Tagen habe ich Dich nicht gesehen!" „Du siehst jal ich freue mich auch mit, daß es nun bald zu Ende ist." „Mensch, ich werde vor Freude noch blödsinnigI Kollegen!" rief er den andern zu. „Sauft zu! Eine Runde bezahle ich! Gestern habe ich von dabeirn mein letzte» Manövergeld belommenl" Ein allgemeines Jubelgeheul ertönte als Dank auf solch ein Anerbieten. Schnell wurden bie auf bem Tisch stehenben Gläser ausgelrunken. „Aber Voller, sei boch ein bißchen fideler I Denk doch, noch einen Tag!" „Laß nur, Bornemannl Ich freue mich auck so mit Euch." „Prost!" ertönte e» im ChoruS. „Auf Dein Wohl, Du Lazarellbummlerl" „Prost, Ihr Tipvelbrüder!" rief Bornemann zurück. — „Wollt Ihr meine neueste Geschichte hören?" „Du hast wohl gestern Schnaps in Deiner Feldflasche gehabt?" lachte Beck von Vollers Kompagnie.^ „Das fehlte gerade noch! Ihr könnt froh fein, wenn ich Euch Wasser nachschleppe. Nee — aber mit meinem Leutnant! Dem habe ich es beigebracht. Mein Leutnant kann mich nämlich nicht leiden. Schon vom vorigen Jahr her. Bis vor drei Tagen habe ich doch keinen Appell mitgemachl. Ich werde mich hinstellen als Sanilälsgefreiler unb meine Brocken begaffen lassen. Vorgestern, mitten auf dem Marsch, kriegt mein Leutnant feine Laune. Wie er eine Weile nach dem Gefecht hinter mir hergelippelt ist, fängt er mit einem Male an: Mein Anzug sei furchtbar unsauber, meinen Verbandkasten hätte ich überhaupt noch nie geputzt, unb meine Labeslasche sähe au», als ob ich sie drei Tage im Schlamme rumgetoälzt hätte!" „Das war aber ein Schreck für Dich!" rief einer lachend. „Nee, mein LieberI So leicht lassen wir un8 nicht bang, machen! — Also kurz und gut, er sagte, ich solle von jetzt ab die Appelle milmachen. Ich sagte ihm daraus, daß meine Sanität- ausrüstung bem Bataillon gehört unb daß der Assistenzarzt bec Bataillons mein biretter Vorgesetzter ist. Kollegen! Da hättet Ihr den mal sehen sollen. Wie er Feuer spuckte. Ich dachte, ■; wollte mich mitten auf ber Straße vergiften. Natürlich war ick beim Appell am Nachmittag nicht erschienen. Wie ich mich beim nächsten Antreten rauSrebete, ich hätte Sanitätsbienft gehat wollte er mich dem Hauptmann melden. Na gut! — Geste,> abend auf bem Bitoakvlatz — schon ziemlich spät — ich war schon unters Zell gekrochen unb wollte ein bißchen daxen — da rief c, mich: Gefreiter Bornemann! Ich lag gar nicht weit von ihiii unb dachte mir, ruf du nur noch eine Weile. Es konnte mich kein Mensch sehen, so dunkel war cs. Bier-, fünfmal rief er. Dann schickte er ein paar Kerle, mich zu suchen. Na — ick dachte will boch enblich mal hören, wa» er auf dem Herzen hat. Ich tat so, al» wenn ich von weitem bergerannt käme, und meldete midi bei ihm atemlos. Wo stecken Sie denn? brüllte er mich an. Ick habe mir schon die Kehle wundgeschrien l — Ick habe nichts gehör: antwortete ich ihm so aufrichtig, wie ich nur konnte. — Na, c machte gute Miene zum bösen Spiel. — Kommen Sie mal mit Ihrem Pflasterkasten dort in die Scheune, sagte er bann leise. Sie müssen mir meine Füße verbinde,i. Er hatte stck also wund gelaufen! Na warte, backte ich mir, jefet sollst bu mal bie Appell geschickte büßen. Aul jeder Fußsohle hatte et eine talergroß.' Wasserblase. Ich bitzeste ibm nun mit meiner Schere an den Füßen herum, daß er auietfefite vor Vergnügen. Dann fuhr ich ein paarmal beim Ausschneiden der Haut daneben, daß er zu - sammenzuckte wie bei einer Elektrisiermaschine. Ick konnte mir’«- Lachen kaum verbeißen. Dann strich ich ihm recht dick frische Kollodium auf die Stellen, wo _bie Blasen Waren. Er sonnte nicht reden, so fest biß er vor -schmerz bie Zäkrne zusammen." „Tas ist recht!" riefen einige. Alle» lochte >3ortfe»tna felatu