Nr. SS SMnabenÄ, den 16. April 1910 Anzeigen ble fed)$gefpaltene PelitzeN« oder deren Raum 35 4. Arbeitsmarkt. Bermietnn-s. und „anttlienaiizetgen r0 4. Anzeigen-Aiinahme Fehlandsir. 11. Erdgeschoß Ibis 5 Nhr nachmittags,, *P 6 ‘ n SV*»'*® lbis 4 Uht nach»!.,, ’omit in allen Annoncen.Bureaux. Platz, u. Talenoorschristen oh» Bervlndlichkeli. Rellamen im redaktionellen Itil werden weder gratis noch gegen Entgelt ausgenommen. Buchhandlung und Buchdruckerei.«ontor: Fehlandstr. 11. Erdgeschoß. ... ... , »H"'"I>!lraer Echo« erscheint »glich, außer Montag» AbonnenientSpreis (inkl. „Tie Neue Welt" und „Tie arbeitende Engend") durch die Poft bezogen ohne Bringegeld monatlich K 1,20. viertelsShrlich * 8.60; durch di- Kolporteure wöchentlich SO 4 sret ins Hauß. Einz, Nr. 5 4. SonntagS-Nummer mit illustr. Beilage „®k Neue Welt" 10 4. Nreuzbandsendungen monatlich x 2,70. fllr dar Ausland monatlich * 8,60. t (t A1 Alt ♦ ohne Amandastraße, bei Heinr. Koenen, Annenstr. 17. i-imSbüttel, Langenfelde bei Carl Dreyer, Fruchtallee 42. Hoheluft, Eppendorf, bjroft-Borftel und Winterhude bei Ernst Großkopf, Lehmweg 51. iparmbeck, Uhlenhorst bet Theodor M HHIIlU ^ O Fehlandstraße 11. Erdgeschoß. Berantwoiiücher Redakteur: Ernst Kopke In Hamburg. 24. Jahrgang Hamburger Echo. Hierzu zwei Beilagen. Die Ritter vom Faustrecht. Das Kaleidoskop der Weltgeschichte zeigt recht amüsante Bilder. So erscheint auch das „Recht auf die Straße" im Wechsel der Zeiten in merkwürdiger Wandlung. Lange, aber nicht so lange, um vergessen und ohne Nachwirkungen zu sein, ist cs her, seitdem die „glorreichen Ahnen" der Junker - schaft von heute ein „Recht auf die Straße" ansübten, durch das Staat und Gesellschaft zu den schärfsten Notwehrmaßregeln gezwungen wurden. Jenes „Recht" hieß das F a u st r e ch t. Die edlen „Ritter" von dazumal tummelten sich in Menge auf den Straßen, auf denen sich der Handel Deutschlands aus- brcitete, und sie maßten sich das „Recht" an, die dort ziehenden Kaufleute „nicderzuwerfcn", sie ihrer Waren zu berauben und sie behufs Erpressung von Lösegeld festzuhalten, wie es noch heute die Räuber auf dem Balkan und gelegentlich auch in den Abruzzen tun. Durch Ankündigung einer „Fehde" suchten jene „Ritter" dem Faustrecht einen ritterlichen Anstrich zu geben. Den kaiserlichen Landfrieden mißachteten und brachen sie, solange sie konnten, und die rüstigen Bürger der Städte griffen zur Selbsthilfe und taten die edlen Schnapphähne ohne weiteres am Galgen oder auf dem Block ab. Wenn man hört, mit welchem Stolze die Epigonen dieser Ritter auf ihre Stammbäume und ihre Traditionen pochen, so mutet es merkwürdig an, daß gerade sie diejenigen sind, die dem deutschen Volke das „Recht auf die Straße" am erbittert - sten bestreiten, das die Ahnen doch zum Zwecke gemeiner Räuberei beanspruchten, während das arbeitende Volk in diesem Rechte nur ein Mittel sieht, um Rechte zurückzugewin- nen, deren es auf unrechtmäßigem Wege beraubt worden ist. Und da ist es wiederum interessant, daß in der Weltgeschichte doch mehr „ausgleichende Gerechtigkeit" waltet, als eine durch - aus pessimistische Weltanschauung manchmal zugeben mag. Vom Faustrccht wurde die Welt mit Feuer und Schwert kuriert; das „Recht auf die Straße", wie es das arbeitende Volk begehrt, hat sich in kurzer Frist durchgesetzt, trotzdem es die Junker für ein „Staatsverbrechen" erklärten und die spieß- bürgerlichcit Hasenseelen ihnen mehr oder minder verschämt zunickten. So hat sich der interessante Rollentausch vollzogen; die Schnapphähne von ehedem verlangten ihr „Recht auf die Straße" gegen den Kulturfortschritt und kamen schließlich damit unter die Räder; das arbeitende Volk forderte sein „Recht auf tzie Straße" j ü r den Kulmrforljchritt und hat es erreicht. So sollte cs natürlich nach den Intentionen der Herren Junker nicht gehen. Sie haben offenbar die Tradition vom Fauftrecht noch nicht zu den historischen Akten gelegt. Sie hofften auf das g r o ß e M a s s a k r e, auf welches auch seiner - zeit ihr Idol Bismarck gehofft hatte; sie folgten sogar dabei ganz genau seinem Gedankengang. Die polizeilichen Drangjalierungen, so kalkulierten sie, würden schließlich das Volk aufs äußerste erbittern und c6 würde zum Barrikaden - bau, zum Straßenkampf kommen. Wenn 1848, so kalkulierten sie weiter, das Volk int Straßenkampf gesiegt hatte, so mußte es diesmal schmählich unterliegen gegen die kleinkalibrigen Gewehre und die Schnellfeuergeschütze. In der Tal, der Militarismus hat sich auf solche Fälle gut vorbereitet. Es ist ihm ein leichtes, einen solchen Aufstand zu ersticken. Aber die Kalkulation der Junker war falsch. Sie rechneten nicht damit, daß seit jener Zeit über sechzig Jahre verstrichen sind. Der Militarismus mußte bei dem modernen Wahl - rechtskampfe ausscheiden; er mußte Gewehr bei Fuß zusehen. Und wenn im Verlaufe dieser Wahlrechtsbewegung eine Episode eintreten sollte, in der die schärfsten Mittel von feiten des Volkes angewendet werden müssen, so wird der Militaris - mus dabei doch keine entscheidende Macht bilden. Die Wut über das Ausbleiben des sehnlichst erhofften MassakreS ist in der anderweitig erwähnten Auslassung der „Konservativen Korrespondenz" zum Ausdruck gekommen. [14J (Nachdruck verdaten.) Das Haus Michael Senn. Ein tiroler Koman von Rudolf (Heinz. Franz fühlte, wic er langsam welch wurde und allmählich wieder in seine verliebte Stimmung kam. Wie sie sich int Kreuz - gang vor der Mutter geängstigt hatte und wic sic zu ihm ge - flüchtet warl lind er hatte sie kalt und lieblos diesem Weib wieder ausgcliefert. Wenn er doch nur ein gute» Wort zu ihr gesagt hätte. „Ist das Deine Lieb'?" hatte sie ihn gefragt. Es war abscheulich von ihm, sie so zu behandeln. Franz ging nun voll Reue über seine Handlungsweise ganz aufgeregt durch die Straßen. Nach Hause wollte er nicht. Fetzt nicht. Er mußte noch einmal umkehren, in die Runggadgasse zu dem Haus, wo sic wohnte, um sich zu überzeugen, ob wohl alles in Ordnung sei. Fn seiner aufgeregten Phantasie stellte er sich vor, wie man dos gelievte Mädel, sein Mädel, jetzt mitten in der Rächt auf die Straße jagte. Er stand lange vor dem Haus und lauschte. Gort sei Dank, da war alles still und friedlich. Kein Licht brannte mehr. Lina hatte sich wohl heimlich eingeschlichen, um weiteren Vorwürfen zu entgehen. Jetzt da er vor dem alten, grauen, ;choii etwas bausälligen Haus stand, an dessen Erdgeschoß Feuchtigkeit und Mauer- schwamm emporstieg, wurde er wieder um vieles ruhiger. Er zündete sich eine Zigarette an und schlenderte langsam auf einem kleinen Ilmweg noth dem Domplatz. Als er durch ein enges Seitengasse! ging, das aus den Dom - platz mündete, volle ihn sein alter Freund Christian Thaler ein, der gerade wic gewöhnlich vom Finsterwirt kam. _ Der Buchhalter hatte beim Finsterwirt seinen Stammtisch. Da fanden sich in einer der gemütlichen Stuben ein paar andere alte Mradier zusammen. Der Finsterwirt ist eine der frühesten Gaststätten Brirens. Der etwas auffallende Name stammt von einer uralten Wirisgerechtsame. In frühern Zeiten duifte der Gastgeber in diesem Hause nur so lange ausscheiiken, bis der Abend vereindunkelte. Daher hieß man ihn im Poltsmund den Finsterwirt. Tas wurde natürlich längst ab geschosst. Man konnte jetzt beim Finsterwirt auch bis tief in die Aacht hocken. Der Stammtisch deS Christian Thaler war eine recht schweig- same Gesellschaft. Die alten Herren tranken ihr Viertele tiietn rauchten ihre Pfeifen und saßen zumeist, mit ihren eigenen Ge - danken beschäftigt, still da. weiten, daß einer an den andern das Wort richtete. Sie tonnten sich ja schon seit vielen Jahren und hatten sich nicht . Sonderliches mehr zu sagen. Man sah einander regelmäßig, und das genügte. Dem Christian Thaler konnte diese Gesellschaft alter Sonderlinge nur passen. Er wa ja selber alles eher, denn gesprächig. Die Brixner hatten der schweigsamen Tischgesellschaft beim Finsterwirt aber schon seit geraunter Zeit Der „ritterliche" Blutdurst äußert sich dort ganz unverhohlen, denn es heißt dort, die durch die Wahlrechtsdemonstrationen gebrachte Gefahr für die öffentliche Sicherheit könne schließlich nur „init Blut kuriert" werden. Welch ein gefühlvoller Rückfall ins Faustrecht der edlen Ahnen! Natürlich wird jetzt von den Junkern zum Angriss argen die „schwankende Staatsbehörde" geblasen. Nun, wir können nicht in den Verdacht kommen, irgendwelche Verehrung für das gegenwärtige Rcgierungssystem zu empMden. Wir wollen das Verhalten der Regierung auch nicht auf eine urplötzliche Erleuchtung mit nagelneuer Staatsweisheit zurückfuhren. Aber eine Regierung müßte doch vollständig blind und taub sein, wenn sie alle Konsequenzen junkerlichen Uebermures auf sich nehmen wollte. Eine Regierung mag in einem modernen Staate sein, wie sie will — über ein gewisses inneres Ver- antwortlich^keitsgefühl, das von konstitutionellen Formen ganz unabhängig ist, kommt sie nicht hinweg. Daher kam es auch, daß der liebenswürdige Herr von Manteuffel desavouiert wurde, der eine Sammlung angeregt- hatte, um die Schutzleute zu belohnen, weil sie bei den früheren Wahlrechtsdemonstratio - nen so schneidig dreingcsäbelt hatten. Die Regierung hat sich gesagt, daß dies nicht nur die von jener Säbelaffäre Be - troffenen erbittern würde. Herr von Manteuffel glaubt jedenfalls, es sei in Preußen noch alles möglich, was zu jener Zeit möglich war, als sein Vater mit einem Staatsstreiche dem preußischen Volke sein Wahlrecht raubte und ihm das Dreiklassenwahlrecht aufzwang. Wenn die Regierung zu der Ansicht gekommen ist, daß die Zeit der Manteuffeleien vorüber sei, so wollen wir das gern anerkennen. Wir wollen uns aber hüten, aus der Schwenkung in der Haltung der Regierung zu weitgehende Schlüsie zu ziehen. Sic fühlt, daß sie sich einem einmütigen und ent - schlossenen Volkswillen gegenüber befindet, besten Macht lawinenartig wächst, je mehr Widerstand er findet. Zu brechen durch einfache Hartnäckigkeit und Brutalität, wie die Junker es wünschen, ist dieser Wille nicht. Von der weiteren Haltung der Regierung wird der Gang der Dinge wesentlich abhängen. Die englische Vetokomödie. London, 13. April. Die Beratung des englischen Unterhauses über die Reso - lution der Regierung zum Vetorecht des Unterhauses gehl ihrem Ende entgegen. Ueberraschungen sind raum zu erwarten und es ist wohl ziemlich sicher, daß, wie bereits die erste, auck die zweite und die dritte Resolution mit einer Mehrheit von etwas über 100 Stimmen zur Annahme gelangt, da die Iren und die Ar- beiterparteiler geschloffen für sie stimmen werden. Diese Abstimmung wird sicherlich von den liberalen Blättern und Telegraphenagenturen als ein neuer, gewaltiger Sieg im Kampfe der liberalen Regierung gegen die reaktionäre Lord - kammer in die Welt hinausposaunt werden. Es ist hier deshalb wohl am Platze, vor der Ueberschätzung der Bedeutung dieser parlamentarischen Entscheidung zu warnen. Wer sie in ihrem Zusammenhang mit der ganzen Kampagne gegen das Oberhaus richtig zu werten versteht, wird vielmehr einsehen, daß sie in der Wirklichkeit nichts anderes bedeutet, als ein neuer Beweis der tatsächlichen Ohnmacht des englischen Liberalis - mus und eine neue Etappe in dem rasch fortschreitenden Pro - zesse seines Verfalls. Dazu braucht man nicht einmal auf den Vergleich des be- f di-eibenen Inhalts dieser Resolutionen mit den viel weiter- gehenden Forderungen der liberalen Regierungsmajorität unter dem vorigen Ministerium Campbell-Bannerman und sogar unter der jetzigen Regierung Asquiths bis kurz vor den Wahlen einen zu großen Nachdruck zu legen, obwohl schon dieser Vergleich lehrreich genug ist. Damals redete man von nichts weniger als der Abschaffung des Oberhauses als einer gesetzgebenden Körperschaft. Und was sagen jetzt die drei Regie- rungsresolutionen? Die erste, daß dem Oberhause das Recht ge - nommen werden soll, Entscheidungen des Unterhauses in finan - ziellen Angelegenheiten fein Veto entgegenzuslellen. Die zweite, daß das Vetorecht des Oberhauses in andern als finanziellen, also in allen gewöhnlichen gesetzgeberischen Angelegenheiten in der Weise eingeschränkt werden soll, daß in drei nachfolgenden Sessionen vom Oberhause abgelehnte Gesetzentwürfe unter ge - wissen Bedingungen durch die Zustimmung des Unterhauses und des Königs allein Gesetzeskraft erlangen tonnen. Und die dritte, daß die Sessionsdauer des Unterhauses von sieben auf fünf Jahre verkürzt werden soll. Von den drei Resolutionen ist die zweite die wichtigste, da sie fast die ganze gesetzgeberische Tätigkeit des Parlaments berührt, und gerade sie weift dem Oberhause Be - fugnisse zu, die, wie es sogar der konservative Führer Balfour durchaus zutreffend bemerkte, in mancher Hinsicht über die ihm bis jey: tatsächlich zustehenden hinausgehen. Damit eine Vor - lage Gesetz werden könne, muß sie nach der zweiten Resolution nicht nur in drei nachei:: anderfolgenden Sessionen vom Unterhause gebilligt werden, sondern sic muß^ dem Ober- hause mehr als einen Monat vor dem Schluß der Zession über - wiesen toeroen, und es müssen minbeitens zwei Jähre zwischen dem Einbringen der Vorlage und ihrer dritten Annahme im Unterhause verstreichen; und, was noch einschneidender ist, die Entscheidung darüber, welche Vorlagen als finanzieller und welche als legislativer Art zu betrachten sind, wird ganz dem Speaker (sprich: Spiekers, d. h. dem Vorsitzenden des Unterhauses überlegen. Eine derartige Regelung würde in der Praxis darauf hinauslaufen, daß die reaktionäre Mehrheit des Oberhauses, die infolge ihrer durch das Erbrecht bestimmien Zusammensetzung keine Neuwahlen zu fürchten braucht, etwa durck» zwei ober mehr kurz aufeinanberfolgenbe Parlamentsauflösungen mit viel ge - ringerer Schwierigkeit als bisher jebe ihr mißliebige Gesetzes - vorlage vereiteln könnte. Schon ber Inhalt dieser Resolutionen deutet also daraus hin, daß der englische Liberalismus in nichts anderem Fortschritte macht, als in der Bescheidenheit seiner reformatorischen Forderungen, es sei denn, daß man das „Fort- fdireiten" nach der Art der Krebse verstünde. Aber wenn nun auch die Resolutionen etwa verlangen w erden, daß sämtliche edlen Lords des Oberhauses und der K.mig dazu an den höchsten Bäumen von Hüde Park auf- getnüpft werden sollen, so würde damit noch nichts an der Tal - so he geändert sein, daß sie in der Wirklichkeit nicht mehr ver - mögen, als den Lords des Oberhauses selber genehm ist. Und zi -ar aus dem einfachen Grunde, weil sie ohne die Zustimmung des Oberhauses nie Gesetz werden können. Die liberale Re - gierung, die nicht den Mut sand, die finanzielle Obstruktion als Zwangsmittel gegen die Lords anzuwenden, wird es sich da gefallen kaffen müpen, daß ihre Veloresolutionen ebenso kalt - blütig und entschieden vom Oberhause abgelehnt werden, wie im Vorjahre ihr Budget. Ja, es ist höchst wahrscheinlich, daß die" Lords sich nickt einmal die Mühe geben werden, sich um die Resolutionen zu kümmern, sondern daß sie es einfach ablehnen werden, sie zur Beratung zu netten, solange sie nicht von der auf ihnen beruhenden ausführlichen Gesetzesvorlage begleitet sind, die die Regierung in Aussicht gestellt hat. Und wenn es bann bie Konservativen nickt für praktischer halten, burch bas Einbringen von Abänberungsanträgen und ähnliche Ver- schlevvungsmanöver Zeit zur Vorbereitung auf bic Neuwahlen zu gewinnen, so würbe eben bie sofortige Auflösung bes Parlaments unb bie Ausschreibung von Neu - wahlen die unabwendbare Konsequenz fein. Tas Bevorstehcn dieser Krise ruft schon eine wahre Panik in den Reihen der Liberalen hervor, -sie sind jedenfalls zu noch w it'ren Konzessionen und zu einer noch intimeren Annäherung au$ der Bergrätin blieb Christian Thaler stehen, stützte sich auf feinen Spazierstock unb schöpfte tief Atem. „Meinst nit, Franz, es war a bummer Streich?" frug er bann ganz unb gar unvermittelt. „Was meinen Sie eigentlich?" Franz wußte sofort, worauf ber Alte anfpiclte. „Das mit ber Agnes. Sie ist a braves Mädcl!" sagte Christian Thaler mit einer Wärme, die Franz bei dem alten Buchhalter gar nicht gewohnt war. „Wir paffen nit füreinander!" erwiderte Franz kurz. Christian Thaler starrte ihm nun eine Weile zerstreut unb völlig weltverloren ins Gesicht. Dann gab er sich einen Ruck. „Wenn Du Dich nur nit täufch'st!" sagte er fast traurig. Sckäveigend gingen bic beiden durch bie Pfarrgasse über ben Doinplatz heim. Keiner sprach mehr ein Wort. Und doch hätte Christian Thaler noch so gerne unb so viel mit bem Franz geredet. Aber es erging ihm wie in ben Jahren, als bie tote Frau Senn noch eine junge Frau war unb bic Kluft zwischen den Gatien immer breiter und tiefer wurde. Damals hätte er auch reden sollen und hatte die rechten Worte nicht gefunden. So blieb er auch heute ruhig unb schwieg. Wie baiiials. A ch t e Kapite 1. Seit fast einer Staube wartete bie Frau Rafseincr in dem Wohnzimmer beo büdnuürbigeu Herrn Tobias Wieser. Im vollen Staat mit Hut und Jacke sag sie da. Ctcradc so wie sie an Soun- und Festtagen zur Kirche ging. Der hochwürdige- Herr Tobias Wieser war seit Jahren Kooperator an der Stabtofarrc von Briren, ein Freund und Gönner aller Armen and Bedrängten und ein großer Förderer und Wohltäter der Familie Rafseincr. Zu ihm tarn Frau Katharina Rafseincr, wenn sie wieder einmal in ihren Geld - verlegenheiten nickt wo aus unb wo ein wußte unb holte sich roerftätige Hilfe. Frau Raffeiner verstand es. durch Tränen und Schilderungen ihrer verzweifelten Lage das Herz des gutmütigen Kooperators stets zu rühren. Wenn seine eigenen bescheidenen Mittel nicht ausreichend waren, dann ließ er sich oft herbei, von einer und der andern ihm befreundeten Familie Hilfe zu erbetteln. Frau Rafseincr wußte, daß sie in ganz Briren keinen zuverlässigeren Gönner besaß, als den Stadtpsarrkooperator Wieser. Auf seine Hilse rechnete sie auch heute mit Bestimmtheit. Er sollte Und mußte ihr helfen. Daher war sie so zeitlick unb in aller Frühe gekommen. Die Wibumhäuserin hatte sie einstweilen in bas Wohn - zimmer bes Kooperators gewiesen: beim Tobias Wieser Hatte noch in ber Pfarrkirche zu tun. Da saß nun Frau Rafseincr schon geraume Zeit in dem großen, behaglichen Raum unb backte nach, wie sie ben Geistlichen am besten für ihre Zwecke gewinnen könnte. Daß sie gleich in aller Frühe zu ihm gekommen war, würbe hoffentlich ben richtigen Einbruck auf ihn nicht verfehlen unb muhte ihm beweisen, in wie großer Not sie sich befand. Eigentlich wurde ihr daß lange Warten schon etwas lästig. So zu sitzen unb nichts zu tun, paßte ihr nicht. Wenn ber Hoch- würdige nur bald kommen würde! Sie sah sich in dem Zimmer um. Da stand alles, wie sie es feit Jahren kannte, auf seinem gewohnten Platz. Der Schreib - tisch neben dem Fenster, mit ben verschiedenen Bildern geistlicher Herren. Dann ber große Bücherkasten mit ben grünen Vor - hängen. Die hübsche rotgepolsterte Garnitur mit ben gehäkelten Schutzbcckckcn. Der ovale polierte Tisch, auf bem ein großes Photographiealbum lag und noch zwei schön gebunbene Er- hauungsbücker. An den Wänden die zwei großen Bilder der Mutter Gottes und ber heiligen Mutter Anna in schweren Golb- ranmen. An ben beiben Fenstern, bic mit hellen Spitzen - vorhängen bekleidet waren, standen Töpfe mit blühenden Blumen. Das verlieh dem Zimmer deß geistlichen Herrn ein ungemein freundliches und wohnliches Aussehen. Hier war alles so hübsch sauber. Kein Stäubchen hätte man entdecken können. Frau Katharina Rafseincr sah auf den weißen, eingestrichenen Fußboden, über den ein langer Laufteppich ge - breitet lag. Der Boden sah entschieden einladender unb appetit - licher aus, wie bei ihr daheim das Nubclbrcti. Sie schwärmte nicht sonderlich für die Hausarbeit. Wenn nur nach außen alles auf ben Glanz Iicrgcrichtet war. Drinnen durfte mau bei ihr keine Nachschau halten. _ Nun wurden feste schritte hörbar, die über bie hölzernen Stiegen ins zweite Stockwerl herauskamen. Frau Rasscincr rückte sich in Positur. Sie hatte auf einem der rotgepolftcrtcn Stühle mit den weiften Schutzbecken Platz genommen und saft mit dem Gesicht gerade ber Tür gegenüber. Herr Tobias Wieser trat rasch ein. Er war eine große, stattliche Erscheinung. An fange: der Vierzig unb von sehr einnehmendem Äeufteren. DaS runde, bartlose Gesicht hatte noch fast etwas Kindliches. Hell- I scheu Budgets und der ganzen damit verbundenen liberalen Akt ton für die verschiedenen Bevölkerungsklaffen Englands ge - wesen ist. Bekanntlich ist in dem Budget neben den Steuern, bie ben Grunbbesitz treffen sotten, auch eine beträchtliche Er - höhung gewisser Lebens- unb Genußmittelsteuern, u. a. auf Spirituosen unb Tabak, vorgesehen. Die birelten Steuern finb natürlich noch nicht in Kraft getreten unb werben es viel - leicht nie; bie Ankünbigung der Steuern auf Spirituosen und Tabak hat jedoch genügt, die Preise dieser Waren gewaltig in bie Höhe zu treiben. Ter Preis des Tabaks steht jetzt genau um so viel höher als im Vorjahre, wie bie Zusatzsteuer beträgt. Der Tabak, ber hier namentlich von den Arbeitern in großen Mengen in Pfeifen geraucht wird, ist nachgerade zum unericbtoinglidjen Luxus geworden; für 1 Kilogramm gewöhnlichen Pfeifentabak muß man jetzt <.* 14 vis 18 bezahlen! Das ist bie bis jetzt einzige unb wahrscheinlich bleibenbe Fruchr bes liberalen Budgets für die Arbeiterschaft. Die Steuern auf die Besitzenden aber werden höchst wahrscheinlich, dank der verräterischen Feigheit der ministeriellen Budgethelden, nie Gchey werden. Die Folge der ministeriellen Verschleppungstaktik ist vielmehr, daß ein großer Teil der Einkommensteuer (bie nur bie Einkommen von mehr als c< 3200 im Jahre trifft) vom vorigen Jahre noch nicht cingetrieben worben ist, da die gesetzliche Grundlage dazu fehlt. Damit hängt nun die noch nie dagewesene Gründungsperiode in Gummigeschäften zusammen, die England zurzeit erlebt; die Aktiengesellschaften für den Anbau von Gummipflanzen schießen wie Pilze aus ber Erbe, bie Stimmung in ber Sonboner Börse ist fieberische Hausse, in vielen Kolonialkontorcn arbeiten bie Angestellten mit Nachtschichten. Was ist geschehen? Tie Kapita - listen haben bie_summcn, bie sie zur Bezahlung ber Einkommen - steuer auf bic Seite gelegt hatten, in ben gcrabe eine günstige Wenbung nehmenden Gummigesckäften angelegt unb auf biefc Art eine ganz außerorbentliche Hausse künstlich hervorgerufen, bie zwar nur vorübergehenb ist, aber mittlerweile bock ganz nette Profite abwirft. Ein Witzblatt hat bies burch eine Karikatur illustriert, bic einen John Bull darstellt, ber in ber einen Hand eine unbezahlte Einkommensteuerrcchnung und in ber anbern eine Aktie einer Gummigesellschaft hält unb jubelt: Seine Ein - kommensteuer unb Gummi-Hausse! Es lebe bas Lloyd - George sche Bubget! Natürlich gilt bie Dankbarkeit ber Kapitalistenkreise nicht bem Bubget selber, fonbern ben Konser - vativen, bie seine Annahme verhinbert haben. Deren Stellung wirb baburch ebenso verstärkt wie burch die Ent - täuschung weiter Arbeiterkreise, die von den toiinberbaren Wirkungen des „revolutionären" Budgets bis jetzt nur die Ver - teuerung ihrer Pfeife Tabak zu spüren bekommen haben. Politische Uebersicht. AuS dem Reichstage. Berlin, 14. April. Betreffs der gestern von den Nationallivcralen eingebraducn Interpellation über das Mülheimer Eisenbahnunglück erklärte 2er Unteriraatsietretär ich ter, daß bei Reichskanzler bereit sei, bic Interpellation Ende der nächsten Woche zu beantworten bezw. jeantworten zu lassen. 'sodann wurde die vorgestern abgebrochene Diskussion über ben Entwurf zur Entlastung bes R c i ck s g c r i ch t s fort - gesetzt. Die heutigen Redner stimmten sämtlich mit denen vorn Dienstag insofern völlig überein, daß eine Entlastung des Reickis- gericht-:- im Interesse einer geordneten Rechtspflege notwendig sei. Aber in bezug auf die Mittel unb Wege zur Erreichung dieses Zweckes gehen die Meinungen stark auseinander. Nur insofern herrscht so ziemlich Uebereinstimmung, daß das von der Regierung vorgesehene Disformitätsprinzip, das heißt Ausschluß des Reichsgerichts als Revssionsinstanz bei übereinstimmenden Urteilen der Landgerichte mit denen der Oberlanbesgerickte, fein geeignetes Mittel sei, ben genannten Zweck zu erreichen, weil dadurch bic Gefahr heraufbeschworen wirb, bic Oberlandes- gertetrte in Versuchung zu führen, ihre Urteile mehr, als das bis heute der Fall ist, denen der Landgerichte anzupassen. Unser Genosse Stadthagen hielt die Beschränkung der Revisionen der Staatsanwälte bei Freisprechungen für ein viel geeigneteres Mittel, durch das sicher einige Strafsenate weniger notwendig werden. Im übrigen stimmt er mit den Rednern, die eine Verwährung der Senate fordern, überein, vertritt aber die Ansicht, daß bei der Berufung von Richtern in das Reichs - gericht ein viel größeres Gewicht auf deren wirtschaftliche und sozialpolitische Kenntnisse gelegt werden müsse; namentlich fei eine gründlichere Kenntnis der sozialpolitischen Gesetze erforder - lich, als das bisher der Fall war. Dem stimmte auch Genosse Heine zu, unter Betonung der Notwendigkeit einer stärkeren Heranziehung des Laienelements in der Rechtspflege. Ent - schiedener wandten sich unsere Redner gegen eine Erhöhung de- Klageobjekts unb Verteuerung ber Klagen 'im Zivilverfahren, moburdi eine ganz bebeutenbe Verschlechterung ber RechtSp'legc gcrabe für Arbeiter unb kleine Gesckäftsletite berheigefikhrt blaue, gutmütige Augen schauten etwas verwundert unb fragend in bic Welt. Das bunfclblonbe Haar fiel in leichten Locken über bie hohe faltenlose Stirn. Beim Eintreten tauchte ber Kooperator flüchtig in den klei - nen, zinnernen Wcihbrunnkessel, ber knapp neben ber Tür hing. Dann ging er rasch auf bic Frau zu und reichte ihr die Hand. Frau Katharina Rafseincr hatte sich sogleich, als ber Hochwürdigc in ber Tür erschien, erhoben unb küßte jetzt bic bargebotene Hand ehrfürchtig. Ter Kooperator winkte ihr frcunblich, Platz zu be - halten. „Was ist benn g'schebcn. Frau Rafseincr f" erfunbigte er sich teilnehmend. „Taß Sic schon so zeitlich bei mir find? Ist wer krank bei Ihnen? Ober fehlt's sonst wo? Ohne ein Wort zu sagen, zog bic Raffcincrin ihr Taschentuck hervor unb fing bitterlich tu meinen an. Ter Kooperator hatte auf einem Stuhl neben ihr Platz genommen. Es war nicht daS erste Mal, daß Frau Raffeiner in so trostloser Verfassung zu ihm kam. Dann brauchte sie Gelb. Es stand Wieder einmal die Pfändung vor der Tür. Jedesmal hatte der Kooperator das Acrgjie von der Familie noch abzuwenden gewußt. Im Notfall hatte er noch immer irgend einen Guttätcr gefunden Niemand wußte, für wen der Ko - operator die Hilfe der Nächsten in Anspruch nahm. Die Namen der Bedürstigcn hielt er stets streng geheim. Valentin IRaffcincr hätte ja um Amt und Brot kommen können. Wenn seine Vor gesetzten eine Ahnung gehabt hätten, wie cs eigentlich um ihn stand. So wußte man nur, daß die Rafsoiners Schulden hatten, bie sie von Zeit zu Zeit regelmäßig abzahlten. Kunst, Wissenschaft und Leben. Llcktbildcrvorträqe der Arbcitcrbi'ldungskommisssou. Am Donnerstag, 21. April, abeiidS ki Uhr, beginnt im Höriaal des GewerkschafiShqujeS emZbkluS von Vorträgen über das Leben der R I ü 1 e ES ist insofern eine Neuerung emgetubrt worden, als neben den Lichtbildern auch lebende Pflanzen benutzt werden, um den Hörern eine Anleitung zu biologuchen Beob - achtungen zu gehen. Diese Bortrage sollen spezielle Kenntnine vermitteln, die eine Grundlage für spätere Vorträge mehr allgemeiner Art bilden. Hem« Hamburgischer Musikfreunde. DaS Programm deS volksiümlichen Konzertes am Sonntag in ber Mufikhalle bringt eine fejr geschickte Zusammenstellung von Komponisten für jeden Geschmack. Wagner ist mit dem Meistersinger-Borspiel, Grieg mit der zweiten Peer Gnnt-Suitc bersteten, von Joh. Strauß kommt die Fledermaus Ouvertüre, aus dem Trompeter von Säkkingen eine große Phantasie und von unserem einbeimischen Strauß (FetraS) ein Walzer. Herr Gräfe, ber ausgezeichnete Soloklarinettist, bläst ein Konzert von Weber. Nächstes volkstümliches Konzert: Mittwoch, den 20. April. Tschai- kowSky-Wagner-Abend.