Nr. 90. Lienstag, de» 19. April 1910. 24. Jahrgang. Hamburger Echo. Dar .Hainbnrflrr Scho« erscheml t6n»d). aufter MonIaffS SlbvnnemeiilsPrriS (tu». „Tie Neue Welt" unb „Xie arbeitende Iuftend") durch ble Poti bezogen ohne Bringegeld monatlich * 1,20. vierleliährlich * 3.H0; durch die Kolporteure wöchentlich SO * stet in8 fcau«. Ein-, Nr. 6 *. Sonntags-Nummer mit lllustr. Beilage .Tie Nene Welt« io *. Kriuzbandsendungen monatlich * 2.70. für das Ausland monatlich * 8.60. Verantwortlicher Redakteur Ernst Köpke in Hamburg. Redaktion: Exvedition: Jehlandstratz« 11, L Stock. .yQIHÜlirg OO Fehlandftrahe 11. Erdgeschoß. «««einen die sechsgespaltene Petit,eile oder deren Raum 86 4. «rbeitsmarkt. riermietnnnS. und Iaiiiilienanze gen 204 «njrigen.Annahme fteblnnbftr.it, Erdgeichoß (bis 5 lllir nachmittagSl. in den Filialen (bis 4 llbt ttad)iii.), sowie in allen Annoncen»Bureaur. Platz» u. Tatenvorschriften ohn» Verbindlichkeit. 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Die Konsumvereine waren wieder einmal Gegen - stand längerer Debatte in der 62. Reichstagssitzung. Die Klein- gewerbler, speziell die illustren Bäcker, wollen ihnen an den Kragen, wie schon so oft, haben ja auch wirklich deren Besteue - rung durchgesetzt, die nach ihrer Absicht als Erdrosselungssteuer wirken soll, während Genosie S ch ö p f l i n sehr richtig er - klärte, das Vernünftige wäre, die Konsumvereine als gemein - nützige Institute von jeder Steuer zu befreien. Auch das haben jene erreicht, daß in Württemberg Beamte höherer Rangordnung keine Tätigkeit in denselben übernehmen dürfen. Das genügt aber dem Berliner Zentralverband deut - scher Bäckerinnungen nicht, er verlangte in einer Petition ein Generalverbot für Staats- und Reichsbeamte, in Konsumvereinen tätig zu sein, und unter anderm auch eine Beschränkung der Dividende auf 2y 2 pZt., während bekanntlich die „Dividende" der Konsum - vereine kein Profit ist wie die kapitalistische, sondern eine Rückvergütung der den Einkaufspreis übersteigenden Preise, die unvermeidlich sind, weil die Geschäftsspesen sich nicht im voraus bis auf den Pfennig berechnen lasten. Zwei andere Bäcker — vom Zentrum und von der famosen „Wirt - schaftlichen Vereinigung" — verlangten sogar ein Verbot der Mitgliedschaft für alle Beamten; „die Konsumvereine seien Kampforganisationen der Sozialdemo - kratie, daher dürften Beamte nicht hinein"! Es verlohnt sich nicht, hier den erlogenen Vordersatz zu widerlegen. Wirklich eine zeitgemäße Forderung! Alle Lebensmittel steigen im Preise, und nicht zum wenigsten durch die Schuld des Zentrums und seiner Mitreaktionäre; weite Kreise leiden an Unterernährung, und nun sollen die Vorteile der Konsum - vereine auch noch beschnitten und den Beamten ganz entzogen werden! Die bayerische Regierung, die Hörige des Zen - trums, hat denst^auch die Konsumvereine eine unerfreuliche Erscheinung genannt und sich für das Verbot der Staats - beamten, ihnen anzugehören, ausgesprochen. Die Freiheit der Beamten soll auch außerhalb des Dienstes eingeschränkt und ihren Frauen vorgeschrieben werden, wo sie einkaufen dürfen! Der bayerische Eisenbahnminister v. Frauendorfer sagte einmal: Wir find daran, die Gehälter unserer Beamten auf- zubessern. Was ist aber schließlich der Effekt? In kurzer Zeit werden wir infolge der Teuerung wieder in den Beutel greifen muffen! Schon an der ersten Konsumgenoffenschaftsbewegung in Deutschland nahmen die Beamten in starkem Maße teil. Wie das neueste Jahrbuch der Konsumvereine mitteilt, ist die Ent - wicklung derselben in manchen Ländern weit mehr das Werk von Beamten (wegen ihrer geringen Gehälter), als von Industriearbeitern, so namentlich in Holland. Das Geschrei gegen die Mitgliedschaft von Beamten ist alt; es hat aber bisher nicht verhindern können, daß die Zahl der Staatsbeamten und Staatsarbeiter in Deutschland mehr be - trägt als eine Million. Rechnet man dazu die der Gemeinden, sv ergeben sich nahezu zwei Millionen. Die Kleinhändler aber sagen: „Die Beamten essen nicht ihr eigenes Brod", sondern werden aus dem Staatssäckel erhalten; daher darf man sie zwingen, auf alles zu verzichten, was irgend einer Gruppe der Steuerzahler wider den Strich geht. Rach Kleinhändlerlogik, sagt das Jahrbuch treffend, ißt nur der sein eigenes Brod, der es andern als Profit abknöpft. Eine ganze Reihe Eingaben von Klein - händlern führt das Jahrbuch auf, worin dieselben ihre Zu - stimmung zur beabsichtigten Erhöhung der Beamtengehälter vom Verzicht der Beamten auf konsumgcnossenschaftlichc Be - teiligung abhängig machen. Sie waren nur bereit, aus dem Säckel der Gesamtheit die notwendig gewordenen Ge - hältererhöhungen zu bewilligen, um Sondervorteile für sich herauszuschlagen. Was soll man aber dazu sagen, daß, wie Genoffe Hilden - brand ausführte, gegen die Konsumvereine dieselben Bäcker- innungen Sturm laufen, die Bezug und Herstellung des Mehles usw. in eigene Regie nehmen, oder die, wie die Stutt - garter Bäckerinnung, eigene Mühlen errichten, um den Zwischenhandel auszuschalten, und den Mittelstand, den ge - werblichen und kaufmännischen, schädigen. Und doch spielen sie und die ihnen befreundeten Parteien sich bei jeder Gelegen - heit als Vie Schützer des Mittelstandes auf! Eine beachtenswerte Leistung des Hansabundes darf hier nicht übergangen werden. Von Kolonialwarenhändlern, Kleinkaufleuten usw. wurde kürzlich eine Interpellation an den Ausschuß des Hansabundes über seine Stellung zu Konsum - vereinen und zum Kleinhandel gerichtet. Eine kitzliche Frage. Der Bund will es ja mit den Kleinhändlern nicht verderben, da er viele Mitglieder aus demselben zählt; sich unzweideutig gegen die Konsumvereine zu erklären, würde aber die Arbeiter- maffen usw. gegen ihn aufbringen. Die Antwort war nicht recht klar, aber laffen wir das „Württembergische Genoffen - schaftsblatt" reden: „Wie man sieht, läßt sich die Direktion des Hansabundes von Gesichtspunkten leiten, die denen des engherzig st en und kleinlich st en Konsum- vereinsgegnertums alle Ehre macht. Richt einmal bei der Beamtenfrage macht die Direktion Halt, indem sie sagt: „In einer Zeit, wo das Geld so sauer verdient werden muß, befinden sich die Beamten in einer außerordentlich bevorzugten Stellung. Sie dürfen die Sicherheit ihrer Stellung nicht be - nutzen, um den Detailhandel am Ort zu ruinieren" — sie deutet auch an, daß in der Einschränkung der Konsumvereine noch weiter gegangen werden soll. Freilich, der Hansabund hat bereits die Erfahrung gemacht, daß seine Werbetätigkeit in Ar - beiterkreisen mit noch so schönen Phrasen — für die Katz' ist." Die Eibezölle. Aus Oesterreich wird uns zu der Sache geschrieben: Der dem deutschen Bundesrate vorliegende Gesetzentwurf, betreffend die Einführung von SchiffahrtS- a b g a b e n , hat in den Kreisen der österreichischen Industriellen und Kaufleute große Beunruhigung hervorgerufen. Man be - fürchtet, daß der Export von Getreide (Gerste!) und Holz sowie die Einfuhr von Futtermitteln (Kleie!) sehr empfindlich ge - schädigt werden würde. Denn auch diese Abgaben für den Beginn in noch so kleinem Ausmaße eingehoben werden sollten, so können sie sich doch in der Zukunft zu einer Maßregel von unabsehbarer Tragiveite gestalten. Denn daß österreichisch« Schiffe bezw. deren Ladung in Deutschland von! diesen Abgaben befreit würden, während deutsche Schiffe abgabepflichtig wären, kann natürlich nicht angenommen werden, zumal eine solche Differenzierung gegen das Elbeschiffahrts-Uebercinkommen ver - stoßen würde. Es ist möglich, daß Preußen durch Kompen - sationen auf einem andern wirtschaftlichen Gebiete Oesterreich zu einer Aenderung des bezüglichen Staatsvertrages zu bestimmen versuchen wird. Der Schade würde dadurch nicht geringer werden, und in die Erklärung der österreichischen Regierung, daß sie sich gegenüber Vorschlägen zur Abänderung des Status quo der Ab - gabenfreiheit auf der Elbe grundsätzlich ablehnend Verhalten werde, setzen die österreichischen Kaufleute und Unternehmer nicht allzu großes Vertrauen. Zwar hat das österreichische Ab - geordnetenhaus in seiner Sitzung vom 4. März einstimmig einen tschechischen Dringlichkeitsantrag angenommen, nachdem schon int Februar die Sozialdemokraten einen gleichlautenden Antrag eingebracht hatten, wonach die Regierung dem preußischen Vor- schlage entschiedene Weigerung entgegensetzen solle; der HandelS- minister gab auck die bündigsten Versicherungen ab. Allein man weiß ja aus Erfahrung, was Ministerworte zu bedeuten haben; die österreichische Handelswelt macht sich deshalb auf daS ärgste gefaßt und hegt nur noch geringe Hoffnung, daß daS Attentat auf die österreichifchc Produktion sich werde abwendcn lassen. Nachdem es Preußen gelungen ist, den anfänglichen Wider - stand Bayerns, Württembergs und der niederrheinischen Kreise durch allerlei Zusicherungen von Kanalbauten und Strom- rcgulierungen zu beheben, wird es ihm wohl glücken, auch noch die übrigen oppositionellen Mittelstaaten durch wirtschaftliche Zugeständnisse für seine Gesetzesvorlage zu gewinnen. Hat es sich erst der Zustimmung der Bundesstaaten versichert, wird sich Holland nicht ernstlich widersetzen können. Na, und Oesterreich- Ungarn ist nicht wegen der Zähigkeit seiner Staatsmänner bc- rühmt, zumal die Berliner Regierung ganz gut weiß, wo die Achillesferse des liebwerten Bundesgenossen sich befindet, und mancherlei Mittel besitzt, um auch diesen zu sich hcrüberzuziehen. So wie Deutschlands Zoll- und Handelspolitik für Oesterreich. Ungarn seit Jahrzehnten maßgebend ist, ebenso ist ganz gut die Möglichkeit denkbar, daß es sich auch in dieser Frage beeinflussen lassen werde, insbesondere dann, wenn die preußische Regierung ihm dafür gleichfalls Entschädigungen zu bieten in der Lage sein und Leslerreich-Ungarn es erleichtern wird, seinen Vorteil zu wahren. Um welche Jnleresien es sich — soweit Oesterreich allein in Betracht kommt — zunächst handelt, laßt sich mit einigen Sägen dartun. Vor allem würde das große nordböbmische Industrie - gebiet in Mitleidenschaft gezogen werden. Tie an der Elbe gelegenen Städte Tetschen und Bodenbach haben ihren Aus- schwung in allererster Linie der Elbeschifsahrt zu verdanken. Für die weitere Entwicklung dieser beiden Industriestädte und des ganzen Gebietes wäre die Einführung der Abgaben von nahezu katastrophaler Bedeutung. Ist doch der Gesamtgüterverkehi auf der Elbe in der Zeit von 1875 bis 1900 von y t auf mehr als 1% Milliarden Tonnenkilometer gewachsen, eine Entwicklung, wie sie keiner der übrigen Hauptftröme zu verzeichnen bat. Dieser riesige Verkehr würde durch die Einhebung von Schiff - fahrtsabgaben auf der Elbe — die nichts anderes als Zölle sind — eine bedeutende Einbuße erleiden, der jeyt billige Wasierweg würde sich wesentlich verteuern und sein Wert illusorisch werden. Es wird berechnet, daß ein Fahrzeug, welches zehnmal im Jahre den Weg nach Deutschland und zurück machen würde und 3800 Kilometer zurücklegt, bei 600 Tonnen Gehalt sowie einer Be - ladung bis zu 75 pZt. jährlich an Abgaben einen Betrag von 1360 Kronen — 1140 Mark zu entrichten hätte. Danach läßt sich ermessen, welchen Schaden da? Vorgehen Preußens der Schiff- bauindustrie an der Elbe zufügen müßte. Eine große Anzahl Kahnbesitzer wäre dem Ruin preisgegeben, die Obstbauzucht des Elbetals würde die Exportmöglichkeit verlieren, desgleichen die Ausfuhr von Hopsen, Gerste und Bier unterbunden werden. Und nicht bloß Böhmen, die ganzen Sudetenländer, sogar Galizien würden darunter leiden, die Ausfuhr von Produkten der österreichischen Landwirtschaft und Industrie erschwert und die Einfuhr wichtiger Rohstoffe behindert. Wie wichtig der Elbe- verkehr für Oesterreich ist, erhellt auch aus der Tatsache, daß er ungefähr zehnmal so groß ist wie der Verkehr auf der Donau und etwa doppelt so groß wie der Verkehr im Hafen von Triest — und dies, obgleich er zeitweise infolge der Eis- und Wasierver- hältnisse eine Unterbrechung erfährt und ausseyen muß. So will das verbündete Deutschland Lesierteich-Ungam be- handclnl Nicht allein, daß die Produktion und der Konsum des deutschen Volkes eine neue Belastung erhalten soll, auch dem öster - reichischen Konsum und Export will es eine schwere Belastung auferlegen. Es ist nur zu begreiflich, daß die deutschfeindlichen Slawen die Angelegenheit zu einer kleinen Hetze wider das Teutsche Reich benutzen. Man verweist darauf, daß in den Flitterwochen des Teutschen Reiches dic^ Abgabenfreibeit auf den deutschen Flüßen durch die Reichsversanung gewährleistet werde. Damals habe man dieselbe als eine der größten Errungenschaften des internationalen VerkebrS, als eine der segensreichsten Er - gebnisse der vollzogenen Einheit gepriesen. Und noch in der aDerjüngsten Zeit bezeichnete eine von den Regierungen Sachsens unv Buocns dem Bundesrate zum preußischen G:segentwürfe, betreffend die Wiedereinführung von Sebiffabtt5a8gabcn. über - reichte Denkschrift die Abgabenfreiheit der deutschen Ströme als „ein Wahrzeichen der deutschen Einheit, als ein Bollwerk des guten Einvernehmens zwischen den deutschen Bundesstaaten". Dieses Bollwerk soll jetzt fallen, ungeachtet in der zitierten Denk - schrift die Befürchtung ausgesprochen wird, daß „hierdurch weite Kreise Deutschlands wirtschaftlich geschädigt, der föderative Cha - rakter des Reiches angetastet, die Eintracht unter den deutschen Bundesstaaten gestört und das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit der Verfasiung erschüttert würde." Angesichts solcher Aeußerungen treuer Bundesgenossen gegen - über dem führenden Staate Deutschlands fragt der gleichfalls wirtschaftlich bedrohte Nachbar: Was ist daS legte Ziel, was die eigentliche Triebfeder dieser von der preußischen Regierung seit fünf Jahren mit so viel Energie geführten Aktion? Tie Schiff - fahrtsabgaben sollen zur angemeyenen Verzinsung und Tilgung der zur Verbesierung der Stromläufe über das ..natürliche" Maß hinaus gemachten Aufwendungen dienen. So lautet wenigstenö die offiziöse Begründung. Aber man erinnert sich, daß — als im Jahre 1903 die Angelegenheit zur öffentlichen Diskussion ge - stellt wurde — die Notwendigkeit der Abgaben ihre Begründung damit erhielt, daß die Binnenschiffahrt im Teutschen Reiche den preußischen Eisenbahnen eine unerwünschte Konkurrenz bereite unb die Einfuhr ausländischen Getreides sowie fremder Jndustrieprodukre fördere, daß weiter die preu - ßischen Agrarier dem Kanalgesege vom Jahre 1905 nur zustimmten, weil sie hoftten, durch Aufnahme des Abgabenpara- giaphen die Konkurrenz des argentinischen Weizens zu erschweren. Offen erklärten damals die Junker und die, ihnen nahestehenden Kreise, daß sie möglichst hohe Schiffahrtsabgaben für ausländisches Getreide und für die D u r ch ' u h r d e s öster - reichischen Zuckers wünschen, und sie erblickten in der Ein- führiftig der geplanten Abgaben eine Ergänzung des be - stehenden Schutzzollsystems. Mit Recht! Denn daß die SchiffabrtSabgaben tatsächlich den Charafter eines Zolles erbalten können, ist durch ihre Abstufung nach Warengattungen gewisiermaßen vorbereitet, und eS besteht deshalb in Oesterreich nicht ohne Grund die Befürchtung, daß diese Abgaben zu einer Umgehung des Zoll- und HandelSbündnisses führen können. Diese Annahme er - scheint um so mehr berechtigt, als ein Entwurf des Abgabentarifes rücksichtlich des Rhein-, Main- und NeckarsluffeS folgende Be - stimmung enthält: „Abgabenfrei sollen bleiben Güter, welche im Turchfuhrverkehr über oberrheinische oder andere süddeutsche Häfen von und nach Oesterreich, der Schweiz, Italien und Frank - reich befördert werden." Tie Berliner „Korrespondenz gegen Schisfahrtsabgaben" knüpft daran folgende Bemerkungen: „Die Absicht, die sich hinter diesen Paragraphen verbirgt, ist leicht zu erraten. Es ist eine Liebesgabe, die "ben Holländern hingehalten wird, um sich damit zur Ausgebung ihres Wider - standes gegen die preußischen Abgabenpläne zu veranlassen. Es ist klar, daß Oesterreich, was ihm auf dem Rheine unerbeten unb ohne weiteres zugeftanben wirb, auch für bic Elbe ber langt, unb so würbe es denn auch heißen müßen, daß Güter, die im Durchfuhrverkehr auf ber Elbe von und nach Oesterreich be - fördert werden, abgabenfrei bleiben.“ Es sann also fein Zweifel darüber wallen, daß bic SchiffahrtSabgaben ben Charakter von Zöllen haben, unb im Hinblick barauf erscheint bic Einführung solcher Abgaben auf Güter, bie nicht bloß im Durchgangsverkehr aus Oesterreich in das Teutsche Reich gelangen oder umgekehrt, nicht nur als eine Verletzung der rücksichtlich der Elbe be - stehenden Staatsverträge, sondern auch des Handels- und Zollvertrages zwischen Deutschland und Oester - reich-Ungarn. Preußen leitet mit den angeftrebten Abgaben, in deren Hintergrund dos staatliche Schleppbahnrnonopol droht, eine neue folgenschwere Verkebrspolitik ein, welche als letztes Ziel den Eisen bahn- und Schiffsverkehr dem Einflüsse der einzelnen Bundes - staaten ganz entziehen und seiner Handels- und Zollpolitik dienst - bar machen will. Es ist klar, daß eine solche Politik für Oester - reichs Volkswirtschaft gefährlich ist; sie bedroht aber auch die wirtschaftlichen Interessen des deutschen Volkes. Tic SchiffabrtSabgaben. gegen deren völkerrechtliche Zu - lässigkeit sich auch Profesior A r n d t in der Zeitschrift für „Völker recht" ausgesprochen hat, stellen ökonomisch wie politisch^ ein Problem dar, an dem die gesamte industriell tätige Volksklafle — nicht zuletzt bie Arbeiterschaft — stark interessiert ist. Gelingt es der agrarischen Regierung, ihre Absicht zu verwirklichen, dann wird dies der Anfang einer Bewegung sein, an der sich alle Staaten mit schiffbaren Flüssen, vor allem die Tonaustaaten, bc teiligen werden, und die ungefähr ähnliche Wirkungen zeitigen wird, wie die von Preußen-Deutschland in den 70er Jahren inaugurierte HandelS und Zollpolitik. Die weiteren Folgen dieses kapitalistischen Imperialismus, der allen Verkehr zu - ungunsten der Industrie und der konsumierenden Bevölkerung — im Interesse d e s FiSkuS und der Agrarier schuriegeln möchte, werden nicht ausbleiben, und di« sozialen Umwälzungen mächtig fördern. S. K. Politische Uebersicht. AuS dem Reichstag. Berlin, 16. April. Seit Jahren haben eine große Anzahl von Kommunen petitioniert um die Möglichkeit, innerhalb ihrer Gemeinde be - stehende Reichs betriebe zu den KommunallMien mit beranziehen zu können. Bisher immer vergeblich. Endlich hat sich denn nun doch die Regierung veranlaßt gesehen, diesen durchaus berechtigten Forderungen Rechnung zu tragen, unb einen Reichsbesteuerungs gesetzentwurf auSgearbeitet, wonach das Reich zu Steuern für die Benutzung von im öffentlichen Interesse unterhaltenen Per anstaltungen in den Bundesstaaten und Gemeinden zu Grund und Gewerbesteuern herangezogen werden kann. Leider ist dar - ben Gemeinben in dem Entwurf zugestanben« Recht durchaus unzulänglich unb burcki verschiedene Vorbehalte sehr beschränkt, und eS gehört schon ein hoher Grad von Regierungsfreundlichkeft dazu, dem Entwürfe mit der Befriedigung zuzummmen, wie sie Dr. B r u n it c t m a n n namens der ReichSparteiler unb ber Konservative Freiherr v. Richthofen zum Ausdruck brachten. Mit dem Grundprinzip ist auch das Zentrum einverstanden, wie Gröber erklärte, nur daß dieser Redner gewiss« bartifulariitifdiv Bedenken in bezug auf die'Souveränität der Sinzelstaalen gelten! machte und die, wie in manchem andern Gesetz, auch in dieser Vorlage wieder enthaltene stiefmütterliche Behandlung der Reichs lande 'bedauerte. Gegen die staatsrechtlichen Bedenken Gröber-: machte der Sebatzsekretär Wermuth geltend, daß dic Zu ständigkeit des Reiche- in dieser Beziehung durchaus nicht in Zweiftl gezogen werden könne, und was- die ReichSIand- an belang«, so babe man biete gerade ganz besonders gut bedacht, indem man ihnen 5 pZt. der Ueberschüsse der Reichsbahnen, mindestens aber « 200 000, überwiesen habe. Dementgegen machte unser Genosie Emmel geltend, daß dies« « 200 000 bei weitem den Aue-all nicht decken, den eine ganze Anzabl Ge meinben in Elsaß-Lothringen durch die Aufhebung bc? Oktrois an ben ReichSbeirieben c bleiben, so zum Beispiel Straßburg, [16] (Nachdruck d erboten.) Das ftaus Michael Senn. ein Ulroler Koman von Rudolf öreinz. Neuntes Kapitel. Am Abend des gleichen Tages, kurz vor Ladenschluß, betrat ber hochwürdige Herr Tobias Wieser daS Geschäftslokal des Michael Senn. Die Zirnhöld Anna war schon fortgegangen. In dem Geschäft war niemand mehr als Michael Senn und Christian Thaler. Der alte Buchhalter saß wie immer mit weft vorgcbeugtem Kopf und schrieb in dem vor ihm liegenden Hauptbuch. Eine kleine Steh - lampe mit grünem Schirm stand vor ihm auf dem Pult. Der grüne, matte Schimmer des Lichtes ließ das runzlige Gesicht des Buchhalters nur noch älter und verfallener erscheinen. In dem Laben selbst hingen zwei große Petroleumlampen mit Hellen Rundbrennern. Ein breiter Schein ging von ihnen aus. Die Gegenstände im Laben, die Rosenkränze und Kruzifixe, die kleinen unb größeren Statuen ber Heiligen erhielten durch daS satte Licht der Lampen mehr Glanz als bei Tag, wo es viel dämm- riger in dem Laden war. Selbst die Bücher, die in den Regalen standen bekamen etwas ab von diesem Glanz. Die Gebetbücher auf dem Ladentisch mit ben verschiedenfarbigen (Samteinbänbcn ober ben weißen Elsenbeinbeckeln und dem goldenen, silbernen oder roten Buchschnitt sahen völlig vornehm aus. Das Licht ber großen Lam - pen fiel ungeschmälert auf diese Herrlichkeiten und verlieh dem Laden ein eigentümliches, beinahe festliches Gepräge. Beim Eintreten des Geistlickien ,ah Christtai, Thaler ftuchtig auf unb grüßte stumm mit einem leichten Neigen des Kopfes. Michael Senn ging dem Hochwürden entgegen und bot ihm die $ anb „ait$ einmal bei mir, Herr KooperatorI" fapte er freundlich. Er hatte, wie immer an Wochentagen, wenn er ,m Geschäft war, seinen hellgrauen Lodenrock und die bunlgestickte Hciusmutze auf dem Kopf. Das verlieh ihm eüvas Ehvtviirdigc-s. Dem Geistlichen fiel, als Michael Senn so vor ihm stanid, unmittelbar icr vergleich ein, bah ber alte Senn bem Nährvater Josef ähnlich sehe, wie man ihn auf ben Heiligenbildern bargestellt findet. „Ja. Guten Abend, Herr Senn!“ erwiderte der Kooperator etwas verlegen. Dann sah er sich im Laden um, als ob er etwa- suchen würde. „Sie machen schon Feierabend?" „Ja. Bald. WaS steht zu Diensten?" erkundigte sich Michael Senn. „Ja. So —* Der Kooperator räusperte sich verlegen unb machte eine kleine Pause. Dann sagte er: »Ich möcht gern ein paar Bett' ganz privater Natur mit Ihnen reden. Herr <-enn. „Mit mir? Der alte Senn sah seinen Besucher etwas ver- tvuntdert an. „Darf ich bitten?" Er ging mit festen Schritten voraus und öffnete die schmale Seitcntür, die sich in der Näh« des Schreibpultes befand, wo Christian Thaler saß. Der Kooperator und Michael Senn mußten sich bücken, um hindurch zu kommen. Sie waren beide große, stattliche Männer. Michael Senn kräftig und sehnig. Ein Tiroler vom alten Schrot und Korn. Ungebeugt durch die Last der Jabre, gesund, zäh und frisch wie die Fichten seiner Bergheimat, Tobias Wieser war auch kräftig unb stark. Nur zeigten sich bei ihm schon die Spuren einer ungesunden Korpulenz. AIS bie bethen an Christian Thäler vorübergingen, richtete dieser seine hellen, glanzlosen Augen einen Moment fest unb forschend auf den Priester. Er dachte daran, wie vor vielen Jabren auch einmal ein Priester von Michael Senn geleitet durch diese schmale Tür ging, von ber man hinauf in bie Wohnung der Familie Senn kam. ES war ein Greis mit sielberweißen Haaren gewesen. Der hatte wegen der Frau Senn mit ihrem Gatten zu sprechen gehabt. Nachdem die beiden Männer im ersten Stockwerk des Hauses angelangt waren, ließ Mickwel Senn den Geistlichen in eines der Zimmer treten, deren Tür auf den großen, breiten Korridor mün - deten. Es war ein weiter, behaglicher Raum. An den Wänden hingen alte dunkle Bilder, die biblische Szenen darstellten. Alt und ehrwürdig sab jedes einzelne Möbelstück aus. Der schwere, eichen«, runde Tisch in der Mitte deS Zimmers, die kunstvoll ge - schnitzten Stühle, die hohen dunklen Schränke und bie langen Truhen. Vom Heberboden herab hing ein großer, schwerer Luster mit vielen Kerzen. Dieser Luster stand nur sehr selten in Ver - wendung. Höchstens zu irgendeiner festlichen Gelegenheit im Hause Senn. Vcichael <&cnn batte ihn das letztemal anzünden lassen, als er unb seine Gattin ihre silberne Hochzeit feierten. In aller Stille hatten sie sie gefeiert. Nur ein paar nahe Per- wandte waren eingeladen und dazu die Bergrätin mit ihren Töch - tern und der alte Thaler, c-onst war niemand dabei gewesen. Für gewöhnlich brannte eine Stehlampe in diesem Zimmer, die mit dem hellen, glänzenden, hoben Fiiß und dem KugeUchirm aus Milch - glas zu der übrigen Einrichtung gar nicht paßte. Auck heute brannte die Lampe auf dem Tisch. Michael Senn lud mit einer Handbewegung den Hochwürdigen ein, Platz zu nehmen. Die Hausmütze hatte er beim Eintritt ins Zimmer achtlos auf eine Truhe geworfen. Nun saß er auf einem ber hohen, geschnitzten Holzstühle feinem Gaste gegenüber. Sein Gesicht hatte toi eher den strengen, harten Ausdruck an - genommen, den es meistens besah. Die Falten an ber Nasen - wurzel vertieften sich. Er mochte ahnen, daß der Besuch bt8 Kooperators mit etwa? Unangenehmem zusammenhing. Herr Tobias Wieser saß da, den Hut vor sich auf ben Tisch gelegt, und suchte nach den geeigneten Worten, feine Unterredung zu beginnen. „Ich bin gekommen, Herr Senn -" fing er nun zögernd an. Mit einem erwartungsvollen Blick sah Micha«! Senn auf ben Hochwürbigen. Er sprach kein Don. Dann legte er beide Arme leicht auf den Tisch unb wartete ruhig auf daS, was ber anbere ihm zu sagen haben würbe. „ES in mir peinlich Herr Senn, darüber zu reden — begann bet Kooperator neuerdings. Michael Senn sagte noch immer fein Wort, sondern ver. harrte ruhig in seiner Stellung. . „Ich spreche zu Ihnen nur au? Pflichtgnuhl, Herr Senn. Sie können'.-, mir glauben!" versicherte ihm der Pneiter. „ES in nicht meine Art, mich in Familienverhältnisse einzumiscben —" Jetzt toarr Mick-ael Senn einen raschen, fast feindseligen Blick auf ben Geistlichen. „ES handelt fick hier in dieser Angelegenheit um die Gbre eines unbcfcbo'tenen Mädchen? —" sprach ber Kooperator nach einer kleinen Pause. „Ihr Herr Solin bat im jugendlichen Leicht- sinn bie Ehre und Unschuld eine? Mabcben? —" „Mein Sohn?" Der alte Senn richtete sich au? seiner nach, lässigen Stellung auf. Cianz aufrecht und stramm saß er nun da. „Ja. Ter junge 'Senn!" bestätigte der Priester. „Er wurde gestern abend zu später Stunde im Kreuzgang von ber Mutter be? Mädchens- ‘ betroffen. Ganz Briren spricht bereit? davon. Seit Monaten schon soll das- Verhältnis bestehen —" fuhr Tobias Dieser fort. Michael Senn schaute dem Priester fest und offen in bic Augen. Keine Miene in feinem gebräunten Gesicht verriet, was er jetzt backte ober enu’fanb. „Die heißt das- Mädel?" frug er. Seine tiefe Stimme klang ruhig unb gleichgültig. „Die Karoline Rafseiner ist'?!" Mickxrel Senn hatte wohl feinen andern Namen erwartet. Er zeigte wenigstens nicht, daß er irgendwie überrascht worben fei. „Sol" sagte er einfach. „ES ist natürlich ein großer Skandal. Das können Sie sich denken, Herr Sennl" fuhr der Kooperator fort. „Die Mutter des Mädst-enS soll ein« Szene gemacht haben. Ek war auch noch eine andere Augenzeugin dabei. Der Herr Senn und das Mädchen sollen in verfänglicher Situation vor ber Lourdeskapelle erwischt worden sein." Nun stand Michael Senn auf. Schwer und wuchtig. „Ick werde meinen Sohn rufen lassen!“ sagte er einfach. Sein gebräunte? Gesiebt trat bunteirot geworden. Michael Senn schritt zur Tür und öffnete sie. „Moibll" rief er der alten Magd hinaus. „Sagen's dem jungen Herrn, er soll zu mir kommen!" „Ion!" ertönte eine weibliche Stimme vorn andern Ende de? Korridors. ES dauerte nicht lange, bis Franz in? Zimmer trat. Er wußte sofort, um wak cf sich handelte, al» er den Kooperator bet seinem Vater sah. In ,ein hübsa;es Gepäst schoß eine jäpe Röt«. Mit einer leichten Verbeugung grüßte er. Michael Senn schritt langsam auf den Sohn zu, nahm ihn bei ber Hand unb führte ihn zu bem Platz neben bem Geistlichen. „So, Herr Kooperator, ba ist er selber. Jetzt reden s mit ihm!" sagte er einfach. Ein peinliche?, tief verlegenes Schweigen trat ein. Msthael Senn stand in feiner ganzen wuchtigen Große neben bem Sohn, als ob er ihn schützen wollte. Kein zorniges Wort, nickt einmal efn zorniger Blick traf ben jungen Mann. Franz Senn sah in großer Verlegenheit zu Boben. Er er schien neben bem Vater noch kleiner als sonst. Franz hatte sich nicht niebergesetzt. Der Geistlicke erhob sich nun auck von feinen: Stuhl unb stand den beiden Senn» gegenüber. Es war dem Hockwürbigen entschieden ungemütlick. Er kam sich jetzt gewister maßen al? Richter vor. Und er wollte doch nur als Vermittler kommen. Nervös- zupfte er an dem mit violetten Glasperlen gestickten Kragen seines Talars. „Ich bin gekommen — Sic wissen — der Vorgang gestern abend im Kreuzgang —" begann er nun. ... .Ja. Ich weiß —" sagte ber junge Bursche, ohne auszusehen. „Das Mädchen ist schwer kompromittiert!" sprach der Priester ernst. ~ „Diese Mutter — diese Frau —" sagte Franz gereizt. „Zu WaS hat sie denn so einen Skandal g'macht c" „Es kann keiner Mutter gleichgültig sein, wenn ihr Kind in Schande kommt!" erwiderte der Kooperator sehr ernii. „Ich hab' mit der Lina fein näheres Verhältnis g habl!^ sagte Franz und sah dem Hockwürdigen das erstemal osten um ehrlich ins Auge. „ „Die Frau Rafseiner behauptet - „Dann lügt fiel" rief Franz erregt. , ■ „Warum hast Du mit ber Lina angcbanbelt. frug letzt Michael Senn. Langsam, Wort für Wort betonend, aber ohn. jede Gereiztheit. Franz wandte sich gegen den Vater. Ganz ,o. wie in früheren Jahren, al» er noch cm Kind war unb bem Tatet Red' und Antwort stehen mußte. „ „Ich hab' die Lina getroffen, weil — „Warum?" frug Mickael Senn über eine Weile, ba §ranz mit ber Antwort zögerte. ,<^ch hab' sie gern gbabt! erklärte Franz. "iinb setzt?" fragte Tobias Wieser. 'Ich hab sie noch gern!" sprach Franz einfach. Tobias Wieser atmete auf. Michael Senn regle sich nicht. Starr und unbewiglich ftanb er neben bem Sohn. „Darum heiraten Si« sie bann nicht und geben ihr Ehr' unb Namen toieber?" frug ber Geistlich« ernst „Weil — weil —' Franz stockte. „Ich kann über ihre Leut nit hinauskommen!" stieß er bann gequält hervor. ®ortfe»utta so tau