Rr. 127. Freitag, den 3. Juni 1N1V. 2L. Jahrganq. Hamburger Echo. Da? »Hamburger ufta» Icrnson. Uebcrsttzung aus bem Schwrbischen von A. Lütjohann. Ein noch unbewußter Wille trieb den Monn, sich in all diesem Furchtbaren doch zu halten uud er stieg hinein in dies Wirrwarr von Leibern und Gliedmaßen. Er fühlte eine zitternde Bewegung unter feinen Füßen und trat ruhig einen Schritt zur Seite. Der, auf dem er soeben gestanden, lag jetzt still und regungslos. Der Manu hockte nieder und tastete an den Toten herum, als ob er einen Lebenden suchen wollte. Eine Hand griff krampfhaft um seinen Ellbogen, und als er sich heftig aufrichtete, blieb etwas aus dem Leichenhaufen an ihm hängen. Gleich darauf hörte er einen dumpfen Fall, nud ermattet von der Änstregung sank der andere wimmernd auf den Leichen seiner Gefährten zusammen. „Wasser!" stöhnte er. „Hier gibt's nur Feuer," antwortete ihm der Mann an seiner Seite. „Wasser!" wimmerte der andere aufs neue. „Feuer . . . Feuer . . . es Brennt überall... da . . . und da ... und hier!" — Der Manu legte seine versengten Hände, mit denen er soeben nach allen Richtungen gewiesen, auf seinen Kopf. , , Den Geretteten packte die Ängst vor diesen Worten und Gebenden und er rutschte auf seinen Ellbogen und Knien nach der linken Seite be? Ganges, wo sich ein schwacher Widerschein deo weiterhin rasenden Feuer? in einigen blanken Kohlenstücken spiegelte. Er brachte sein Gesicht dicht an das des andern. Der flackernde, unsichere Blick der seelenlosen Pupillen erklärte ihm alles. ..Du bist wahnsinnig," keuchte er. Der Mann, der noch immer die Hände auf die Wölbung de: Schädel? hielt, drehte seinen Kops nach dem Laut zu und lächelte. Der andere sah, daß er nicht den Inhalt der Worte begriffen, und die Vermutung, die ihm halb unfreiwillig ent - schlüpft war, mürbe ihm zur Gewißheit. Er begann sich vor seinen eigenen Gebauten zu furchten und vor den Gefahren, welche diese Nachbarschaft möglicherweise mit sich bringen konnte. Eiligst rückte er au< der Nähe des Gefährten. „Feuer! überall Feuer! sagte der Wahnsinnige freundlich, r as brachte dem Verwundeten seine Lage in? Gedächtnis und er brach in laute Klagen aus. .-■eine Beine waren ihm von der Hitze der Erplosion ver - sengt, sein einer Ärm schmerzte ihn stark und sein Hinterkopf tat ihm weh von dem harten Stoß. Er war ein Mann in Johannisburg, der unlängst von den Nationalliberalen den Konservativen abgenommen wurde, ist über die nationallibe - ralen Geschäftsleute der konservativ-agrarische Boykott verhängt worden; ähnliches ist auch schon ander - wärts geschehen. Das alles sind keine zufälligen^ Erscheinungen; hier liegt ein wohldurchdachter Plan vor. Wenn sich die Schlot- und Krautjunker verbunden haben — was man ja jetzt schon als vollendete Tatsache bezeichnen kann —, so wird sich das Zentrum ihnen anschließen, woran nach seiner bis - herigen Haltung nicht mehr gezweifelt werden kann. Dann ist eine neue und mächtige reaktionäre Koalition ge - bildet, wie sie in solchem Umfang und in solcher Geschlossen - heit in Deutschland noch nicht dagewesen — Junkertum, Pfaffentum und Protzentum! Der Hansabund, der neue Bauernbund, und anDere schwächliche politische Gebilde sind kein wesentliches Hemmnis für diese breit daher brausende reaktionäre Strö - mung. Die linksliberale Presse begrüßt diese „Klärung"; aber ihr ist nicht ganz wohl dabei. Wenn sie auch hofft, daß die „Fortschrittliche Volkspartei" nun bald durch die Trümmer der nationalliberalen Partei verstärkt werden wird, so ist nicht zu verkennen, daß mancher liberalen „Mannesseele" bange wird vor einer Koalition, über deren Rücksichtslosigkeit auch nicht die geringsten Zweifel bestehen können. Die Üeberbleibsel der nationalliberalen Partei werden über kurz oder lang im Freisinn aufgehen und werden dort ein gleiches Unheil anrichten, wie es durch die Fusion von 1884 angerichtet worden ist. Durch die Verschmelzung mit den alten Nationalliberalen, welche die agrarische Politik nicht mitmachen wollten, also hoch über den heutigen Nationallibe - ralen standen, wurde die alte Fortschrittspartei korrumpiert und von den wirklich liberalen Prinzipien abgedrängt. Nun wird die Fortschrittliche Volkspartei die nationalliberalen Ele - mente aufsaugen, die bisher eine Gefolgschaft der Agrarier bildeten. Das wird einen interessanten Zersetzungsprozeß geben. Auf die Dauer können sich Großindustrie und Agrariertum allerdings nicht vertragen. Die erstere braucht Steigerung, das letztere Unterbindung des Verkehrswesens. Aber eine zeitlang kann der neugeschaffene reaktionäre Apparat schon funktionieren und er wird es nachhaltig genug tun, um den unvermeidlich folgenden Zusammenbruch um so größer zu machen. Uns kann diese „Klärung" nur willkommen sein, wie alles, was Dazu veitragt, Die llberaje Heuchelei aus Dem politischen Leben mehr unD mehr zu verdrängen. Je weniger polittschc Masken auf dem großen sozialen Kampfplätze er - scheinen, desto besser. Das Erscheinen einer so großen reaktionären Koalition wird Das Volk aufrütteln und dieses wird begreifen, was alles auf dem Spiele steht. Es handelt sich darum, ob wir in v o r - märzliche Zustände zurückgedrängt werden sollen oder nicht. Die Wahlen werden zeigen, welche Stimmung das Volk der neuen reaktionären Koalition entgegenbringt. Erfreut über diese Stimmung werden weder Schlotjunker noch Kraut - junker noch Pfaffen sein. Politische Uebersicht. Die ReichStaaScrsaywahl in LandeSsint-Janer-Bolkenhain. Aus ber am 1. Juni vollzogenen Ersatzwabl für ben ver - storbenen Freisinnigen Dr. Hermes, ber 23 Jahre lang ben Wahlkreis vertreten ‘hatte, ber überhaupt seit 1871 in ben Händen erst ber Nationalliberalen, bann ber Freisinnigen war, sprich: Dieselbe, politische Stimmung, bie sich bei allen Nachw-ahlen seit bem vorigen Sommer, da bem Volke bie neuen e t e u er n bescher! mürben, bemerkbar machte. Es ist ein deutlicher Ruck nach links, ber sich in ben Wahlziffern zeigt. _$er sozialdemokratische Kandidat ist mit seiner stimmenzahl an bie erste stelle gerückt unb kommt mit bem Freisinnigen in Stichwahl. Im einzelnen verteilen sich bie Stimmen mie folgt: Proll (SD.) 6488, Büchtemann (FVp.) 6429, Straffer (K.i 3878 unb Herschel (Z.) 3823 Stimmen. 2 Stim - men zersplittert. Tie Bedeutung des Wahlausfalles zeigt sich sofort, wenn man die 1907 abgegebenen Stimmen zu ben vorstehenden Zahlen in Parallele, stellt. Damals fielen auf den Freisinnigen 5728, den Freikonservativen 5050, den Sozialdemokraten 5019 und für das Zentrum 430- stimmen. In der Stichwahl siegte Hermes mit 9340 gegen 7495 Stimmen für ben Freikonservativen. Die Sozialdemokratie hat also einen Gewinn von 1489 Stimmen, der Freisinn einen solchen von 701 Stimmen zu verzeichnen. Konservative und Zentrum find da - gegen mit erheblichem Verlust aus der Abstimmung her - vorgegangen, erstere haben 1172, letzteres 484 stimmen ver - loren. Das ungefähre Gleichgewicht der stimmen, das bei mehreren Wahler^ zwischen ben vier Parteien beftanb, ist auf - gehoben unb das Schwergewicht der Stimmen erheblich nach links verlegt. Tie Parteien des blau-schwarzen Steuer- blocks haben auch bet dieser Wahl schlecht abge- schnitten; die Wähler haben sich den Gegnern der un - seligen „Finanzreform" in starkem Matze zugewendet. Einem Gesamtgewinn für letztere von 2170 stimmen steht beim blau-schwarzen Block ein Verlust von 1656 Stimmen gegenüber. Vom Gewinn hat die Sozialdemokratie am meisten ein - geheimst, weil die Wähler sich mit Recht sagen, daß fie die kon - sequenteste Gegnerin aller volksfeindlichen Steuer und sonstiger reaktionärer Bestrebungen ist. Wie das Ergebnis der Stichwahl iesn wird, läßt sich tm voruas nicht im mindesten abschätzen. Ter grimmige Hatz zchischen Liberalen und schwarz-blauem Block ist gegenwärtig zwar groß, aber größer noch ist der Hatz gegen die Sozialdemo - kratie. Konservative und Zentrumsmänner werden also wohl trotz allem zahlreich dem Freisinntgen ihre Stimme geben. Und der Vorsprung unseres Genossen ist noch zu gering, als daß mit einiger Wahrscheinlichkeit auf dessen Sieg gerechnet werden könnte. Ta müßte schon der Haß gegen den Lcheralismus die Konservativen und die Zentrumsleute veranlassen, sich einiger« matzen vollzählig der Stimmabgabe zu enthalten unb unserseits müßten noch einige Reserven herausgeholt werden. Auf letzteres dürfen wir wohl rechnen und sicher werden unsere Genossen im Wahlkreis in dieser Richtung sich keine Mühe verdrießen lassen. Für die Wablenibaltung auf der andern Seite liegt aber nicht viel Wahrscheinlichkeit vor. Wie dte Gegner gearbeitet haben, wie sie Lug und Trug in ihren Dienst stellen, haben wir schon vor einigen Tagen mit - geteilt. Besonders toll hatte es das Zentrum getrieben. Der Kreis wurde von ihm mit Flugblättern unb Rednern geradezu überschwemmt. Wohl ein Tuyend Flugblätter ist vom Zentrum m Massen verbreitet worden. Jedem einzelnen Stande wurden darin besondere Versprechungen gemacht. In einem Flugblatt „2tn die christlichen Wähler des Wahlkreises" heißt es: „Tie Sozialdemokratie ist der Totengräber des eigentlichen Volkswohles, der Todfeind des Ehristen- tums, der grundsätzlichste unb gefährlichste Gegner der Mon - archie, der Unterm i^ter von Thron und Altar und damit auch der Erzfeiitd unseres Volkes und Vaterlandes." Natürlich hat man auch die „unpolitischen" Krieger- vereine in den Dienst der Wahlagitation gestellt. Ter Kreiskriegerverband für I a n e r , der am Sonntag tagte, forderte seine Mitglieder auf, bei der Reichstagsersatzwabl g an - energiick die Sozialdemokratie zu be - kämpfen. Bei der bekannten .Gedeimhaltung" der Äabl aui dem Lande wird wohl ber :ibl:we Hinanswttr- derjenigen Mit - glieder, die sich gegen den Beschluß vergeben, nicht lange auf sich warten lassen. Aber es hat alles nichts genützt. Der Steuer« und Wahlrechtsblock ist glänzend geschlagen worden und der Sozialdemokratie kommt das Haupwerdtenst daran zu. Ter Wahlkampf in Usedom-Wollin. Im Wahlkreis Ufebom-Wollin. der bürd' ben Tod bei mit einem Luftballon verunglückten fressinnigen Apgeordneten Delbrück verwaist ist, bat der Wablkamvf für die am 9. Juni zu vollziehende Reicbstagsersatzwab. iept mit aber sd-arfe eingesetzt. Unsere Geno'ien batten, wir der stettmer „Volle- böte" beridnei, am letzten Sonnabend und Sonntag eine vinzabl Versamm - lungen unter freiem Himmel unb in sälen einberufen, und zwar in soleben Orten, in betten bisher noch kein iozial- bemokratischer Rebner zu seinen Volksgenossen sprechen konnte. Tas Resultat war ein beispielloser Erfolg auf ber garfjen Linie! ■ Ter „Voss. Ztg." wirb aus bem Wahlkreis berichtet: „Der B u n d b e r H o n b w e r k e r hat die Kandidatur des Allerwelts- btHierher» Voigt- Friedenau zurückgezogen unb feinen Anhängern bie Abstimmung freigegeben. Der konservative Kan - didat v. Böhlendorf hat fid> nicht dazu verstanden, bie Forde - rungen bei Bundes ber Handwerker zu unterschreiben. Die Agrarier haben eine große Zahl irrer Versammlungen nicht abhalten können; trotz größter Reklame hatten sich in den versdüedenen £ricn keine Zuhörer eingestrichen." bin Reichotagökandidat des Bundes der Landwirte gegen die indirekten Steuern. Im Wahlkreis Friedberg-Büdingen bat der Bund ber Landwirte als seinen Kandidaten den Dr. v. H e l m o 11 aus - gestellt, für den auch Antisemiten unb Zentrum emtreten. Dieser biedere Agrarier bat sich aber auch auf da? ihm vom Bunde der Handwerker vorgelegte Programm verpflichtet, obfck>on es unter andern Forderungen auch Die folgende, int Revers mit d) be - zeichnete Forderung enthält: „Auch verlangen wir in steuerfragen, daß mA Rücksicht auf die große Belastung des Mittelstandes bei Einführung neuer Steuern bie Zustimmung z u Verbrauchs st euern zu b e r f_a g e n unb nur die Besteuerung des Besitzes zu verlangen ist. Sollte bie Erbanfallsteuer wiederum beantragt wer - den, so ist neben dieser auch zugleich eine erhöhte Besteuerung des mobilen Kapitals, wie Wertpapiersteuer usw. zu fordern/ Tas ist nicht bloß ein Wunsch, sondern eine ernst gemeinte Forderung, wie der Schlußpassus zeigt, ber folgenberrnatzen lautet: „Vorstehende Forderungen des „Bundes ber Handwerker" a) unb d) habe icki gelesen und verpflichte mich, für dieselben int Fall meiner Wahl zum Reichstag jederzeit und nach jeder Richtung hin einzutreten. (Unterschrift des Kandidaten.)" Ter Kandidat, der diese Forderungen unterschrieben hat, ist Herr Tr. v. Helmolt, während der nationalliberale Kandidat v. Calker seine Unterschrift versagte, weil er sich nicht binden, sondern seiner freien Ueberzeugung folgen will. Vom naüonalliberalen Wahlkomitee wird natürlich dies Verhalten des Tr. v. Helmolt kritisiert: „Wie der Kandidat des Bundes ber Landwirte, Herr Dr. v. Helmolt, die übernommene Verpflichtung, gegen jede indirekte Steuer zu stimmen, vereinbaren will mit den Anschauungen seines Bundes ber Land - wirte, dessen Vorsitzender, Freiherr v. Wangenheim, die Ausbrin - gung der vollen 500 Millionen durch Bier, Branntwein und Tabak forderte und der das Verlangen des Reichstags nach direkten Besitzsteuern einen Akt sozialer Feigheit nannte, das zu rechtfertigen überlassen wir ben Rebnern des Bunbes der Landwirte, die jetzt in allen Versammlungen die Reichsfinanz - reform mit allen ihren indirekten Steuern zu verteidigen suchen. Uns interessiert besonders eine zweite Verpflichtung des bünd- lerifcben Kandidaten. Durch feine Unterschrift hat sich Herr Dr. v. Helmolt verpflichtet, jederzeit unb nach jeder Richtung für die Erbanfallsteuer einzutreten, falls ein Antrag auf Deren Ein - führung vorliegt! Ter gleiche Kandidat, der nach dem Programm des Bundes Der Landwirte gegen die Erbanfallsteuer stimmen muß, der gleiche Kandidat, ber in allen Wahlversammlungen bis - her gegen bie Erbanfallsteuer gesprochen hat! Wir überlassen bie Beurteilung dieser Tinge der Leffentlichkeit." Dieser Agrariervertreter fehlt im Reichstage noch! Auch andere haben oft genug das Gegenteil von bem getan, was sie versprochen haben. Ter Agrarier von Bübingen bringt es aber fertig, zwei einanber scharf entgegengesetzte Programme zu unter - schreiben. In dieser klaren Form hat bie politische Charakter - losigkeit sich kaum jemals gezeigt. Eine Kriegserklärung der Pündler an die Nationalliberalen. Der pfälzische Bunb der Landwirte hat anläßlich des Bundesiest^, das am 80. Mai in Niederlustadt abge - halten wurde, eine neue Kriegserklärung an die Nationalliberalen erlassen. Nachdem schon Professor Dr. Binger aus Jena in einem Portrage über bie politische Lage gesagt hatte, die National- liberalen unter,d'ieben sich nur noch wenig von der Sozialdemo - kratie, und ein Zentrumsmann könne einem Bünbler immer noch lieber sein, als ein Nationalliberaler, sprach sich ber pfälzische Bundesrührer, Rcichstagsabgeorbneter Staufer, noch deut - licher aus. Er führte nad) ber „Augsburger Abendzeitung" u. a. aus: „Wenn bie Trennung von den NationaUiberaleii nod’ nid t er - folgt wäre, so müßte sie setzt erfolgen. Die pfälzischen National- liberalen sind sehr weit nach links gegangen, ber rechte Flügel hat nichts mehr zu sagen, unb bie Jungliberalen drücken ganz gewaltig nach links. Den Schluß wirb jedenfalls bie Abschwenkung der Na - tionalliberalen in das sozialdemokratische Lager bilden." Mit dem Absdiwenken ber Nationalliberalen in das sozial - demokratische Lager hat es natürlidi noch gute Wege. Aber schmerz^ sich bekümmert klagt die rednMibcrale „Augsburger Abendzeitung" über die Treulosigkeit ihrer ehemaligen Blockbrüder: „Mit fold’-.n giftigen Verleumdungen hat sich der Bundesgenosse des Zentrums zu arbeiten gewöhnt." Tas Scheitern der vrenßischen Wahlrechtsvorlage macht im neuesten Heft der „Preuß. Jahrbücher" Professor Del- brück zum Gegenstand längerer Betrachtungen, in denen er zunächst die Taktik der Konservativen und deren Beweggründe, aus denen sie bas Scheiter» herbeigeführt haben, erörtert. Seine Meinung geht dahin, daß die Konser - vativen einesteils aus Rücksicht auf das Zentrum die Wäfilreform in ber Fassung bes Herrenhauses abgelebnt hätten, bann aber auch, weil sie ben Nationalliberale >i kein« Gefälligkeiten erweisen wollten, mit Denen voraussichtlich bei ben nächsten Reichstagswahlen ein besonbers scharfer Kampf entbrennen wird. Er glaubt, daß die Position ber Kon - servativen im nächsten Reichstag auf ein Minimum rebujiert werben wirb. „Vermutlich wird bte Fraktion kaum stärker werben, als etwa die ber Polen. Die Sozialdemokraten aber werden vielleicht auf 100 oder 120 Stimmen kommen. Die einen werben sagen: um so nötiger iit es, in Preußen eine ernsthafte Wahlreform durchzuführen. Die andern aber, nämlich die Konservativen, werden rechnen: mittleren Jahren und hatte mancherlei gesehen und erlebt, aber jetzt verlor er vollständig die Fassung. Die Schmerzen trübten sein Denkvermögen, aber mehr als alles peinigte ibn seine Hilf- löschtest, linier dem Druck eines lähmenden Angstgefühls vergaß er feine Umgebung und schrie gell und ohne Selbslbeherrschung weiter, wie ein allein gelassenes Kind. Der Wahnsinnige beugte sich voll Interesse zu ihm nieder und flüsterte geheimnisvoll: „Es brennt." Der Verwundete kam wieder zur Besinnung, als er den Atem eines andern auf feiner Wange spürte. Ein eisiger Schauer schüttelte ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Dann machie er den Versuch, sich zu beruhigen. Er sah ein, wie notwendig es war, sich nicht der Verzweiflung zu überlassen. Hatte er sich nicht vorhin einreden wollen, daß Ruhe und Besinnung das einzige waren, was eine Rettung denkbar machte? Unb batte er nicht alle Veranlassung, dankbar zu sein, wo er mit dem Leben davon gekommen? Ein Blick zur sseitc zeigte ihm, wie furchtbar die Wirkungen der Erplosion gewesen. Mit einem zweifclsüd ngen Lächeln untersuchte er feinen verletzten Arm. Er war weder gebrochen nodi au-; dem Selens unb das tröstete ihn. Die Schäden an ben Beinen schmerzten Wohl, waren aber nicht eigentlich gefährlich, mtb das harte Aufschlagen mit dem Kopf batte ihn wohl etwas benommen gemacht, aber beeinträchtigte fein Denken und Handeln nicht merklich. Gewiß, er war billigen Kaufs davongekonimen. Nun galt es vor allem die Größe ber Gefahr zu erforschen unb feine Lage zu untersuchen. „Hilf mir auf bie Beine!" wandte er sich an den Wahn - sinnigen. Dieser antwortete mit einem kindlichen Lachen. „Hilf mir, hörst Du!" „Ueverall Feuer . . . überall . . ." Der Verwundete hatte es zu eilig, um sich länger durch die Phantasien eines wahnsinnigen Böenschen aufbalfen zu lassen. Mühsam unb keuchend erhob er sich, und als die Schmerzen in feinen Beinen ihn überwältigen wollten, biß er die Zähne zu» samitten und bezwang sie durch eine Willensanstrengung, bie fein nervöser Zustand möglich machte. Er stolperte einige Schritte vorwärts, trat auf eine Hanb, die fick, weid, und leblos nieder drücken ließ, und taumelte weiter. Der rote Moraensdiein lockte ihn mit seltsamer Macht und dorthin lenkte er feine wankenden Schritte. Der Wahnsinnige ging mit ihm und murmelte: „lleberall Feuer . . . überall . . ." Rest geballten Fäusten unb fest zufanintengebissenen Lippen ging ber Verwundete nach der Biegung. Wie vorhin sein Gefährte stand and, er in stummem Erstaunen. Das Feuer hatte um sich gegriffen. An den Leisten und Vorsprüngen entlang zog es sich burd; den Kohlenstaub, gleich I bünnen, aber unentrinnbaren sSicfenarmcn, bie ber Gltstpoltip nach allen Seiten auSstreckte. Nur noch wenige Meter trennten sie von ber Biegung unb es war nur noch eine Frage von stun - den. bte sie auch die erreicht haben würden. Ihnen nach wälzte sich die schwere Glutmasse, die alles verschlang. Die Hitze vertrieb den Verwundeten bald von seinem Platz. Er batte genug gesehen, um zu wissen, daß es teilt Entrinnen gab durch diesen zwanzig Meter laugen brennenden Cfen. Der Wahnsinnige, der sich neben ihn gestellt hatte, machte ebenfalls lehrt unb ging mit ihm tiefer in bie Grube. „Zehn Prozent Divibende," sagte ber Irre unvermutet unb zeigte auf ben Boden. Der andere sah nieder und bemerkte erst jetzt die drei Vor- leutc, bereit lang ausgestreckten Leibern er instinktiv aus dem Wege gegangen war, als er vorhin an der stelle vorüber ge - kommen. ‘ Er besann std» sofort auf seine Pflicht unb bückte sich nieder, um zu untersuchen, ob sie vielleicht noch lebten. Die beiden älteren waren ohne Leben und schon steif, aber der Bor - mann der dritten Schicht fühlte sich noch weich an und feine Gelenke ließen sich biegen. „Zehn Prozent Dividende," wiederholte der Wahnsinnige unb zeigte auf ihn. Der anbete begriff nicht, was er meinte unb machte eine ungebulbige Bewegung. Im selben Augenblick stand es deutlich vor thut, was eigentlich seinen Gefährten geschehen war. Er batte sich vorhin nicht bie Zeit gelassen, weiter barüber nachzn- benfen, und mit einem Blick, ber Angst unb Neid zugleich aus- drückte, stellte er sich nun bie Frage, ob der Wahnsinnige nicht glücklicher sei als er. Mit unbeholfenen Händen tastete er gleich - zeitig an der linken Seite des Vormanns herum um zu fühlen, ob das Herz noch schlug. Er fühlte nichts mehr, und als er bie verbrannten Kleider entfernte, schlug ihm ein ekelerregender scharfer Geruck, entgegen, ber ibn veranlaßte, von seinem Vor - haben abzusteben. Er schüttelte ben Kops, ridxtcte sich wieder auf und ging weiter. Bei den Leichenhaufen lauschte er nach einem Laut von einem Lebenden. „Ich ersticke," flüsterte der Wahnsinnige neben ihm und wies auf eine Gruppe von wohl zehn Leisten, die neben- und überein - ander gefallen waren. Dem Verwundeten kam der ©ebanfe, daß auch ber Wahn - sinnige schwer verletzt war und vermutlich bald sterben mußte, nud eine unklare Angst vor dem plötzlichen Alleingelasseiiwerden in diesem Dunkel packte ihn jählings. Der Druck, der ihm den Kops benommen batte, mich in derselben Minute unb er iah deutlich, wie alles zugegangeii war — die Explosion, die die Leiste in einen Haufen zusammengeworfen, unb den Strom von Kohlenoxyd, der durch den Crt gebraust war und ihnen den Tod gebracht hatte; für die meisten ben augenblicklichen Tod, für andere ein sterben nach namenloser Qual. „Komm!" keuchte er heiser unb floh tiefer in die Grube. Der Wahnsinnige gehorchte ihm willig und lief ohne merk - bare Anstrengung neben ihm her. Eine Weile ging die kopflose Flucht weiter ins Dunkel hinein, bann strauchelte der Verwundete und fiel zu Boden. Mit feinen Händen befühlte er ben Gegenstand, aui Dem er lag, unb merkte, daß es ein Mensch war, ber sich noch rührte. „Wer bist Tu?" fragte er atemlos. „Laß mich in Frieben sterben!" antwortete eine halberloschene Stimme. Der Verwundete tranb eilig auf. Dieser Unbekannte, der hier im Dunkel lag, war einer. Der sich schon zur Hälfte frei« gemacht hatte unb mit iioisdwr Ruhe ober vielleicht mit bitterm Trotz das Unvermeidliche erwartete War es nicht wahrscheinlich, daß auch ihm nichts anderes übrigbleiben würde? Aber dieser Gedanke toar kaum in seinem Gehirn geboren, als er auch schon von einem andern, stärkeren verdrängt wurde. Er wollte leben, wollte einen Weg zur Rettung finden, mußte ihn finden . . . „Wer bist Du?" fragte er scheu. „Was geht's Dich an? Ich habe beide Beine gebrochen ui:D kann midi nicht von der Stelle bewegen. Willst Du mir einen Dienst tun, so leg’ mich ein wenig aus bem Wege, falls noch mehr Leute kommen." Der Verwundete bückte sich nieder, um ihm seinen Willen zu tun. Stöhnend machte er den Versuch, ben Unbekannten zur Seite zu schleppen, aber er mußte sich bald sagen, daß 'eine Kräfte allein nicht ausreichten. „So hilf mir doch!" wandte er sich ungeduldig an Den Irren. „Laß mich in Frieden sterben!“ antwortete Dieser aus D., Entfernung, indem er die stimme ^des Unbekannten nadiahmte. Den Verwundeten überlief ein schauer. „Schweig!" zischte er. Dann rief er zornig ms a.unkel hinein: „Du darfst nicht so reden!" „Von was soll man sonst reden? kam es herb von dem 11 n. bekannten. „ Der Verwundete blickte um stch unb entdeckte dabei einen schwachen, kaum sichtbaren Schein weit hinten im Crt. Eine sehinbc stand er unschlüssig; war er beim nicht von jener Seite getont men? Aber in der Verwirrung über alles, was er soeben erlebt hatte, verlor er aufs neue die Fassung. Im Dunkel wohnten der Sdtrecken und das Grauen, aber dort hinten war Licht. Cbne über seine Handlung nachzudenken, eilte er bem Hellen Punkt zu. Bald fühlte er, wie er auf weiche Körper trat unb wie seine Füße sich in den Gliedmaßen ber Toten verfingen, unb er blieb atemlos stehen. Und jetzt sah er. Der helle Punkt war bei der Biegung: er war der Morgenröte des Todes cntgegcngelaufci:. Weit dahinten, von wo er gekommen war. Hatte es auogefefen wie der Knopf einer Stecknadel, jetzt war es Handbreit. Das