Nr. 182. Sonnabend, den K. August 1910. 24. Jahrgang. LarntmrgerEcho. Dai „.fciimbnraet (Fd)O* erscheml ««„Nch. auflet Slontag«. lNbonnementsprkiS (intl. „Die Ne«« Welt" und „Die arbeitend« Jugend") durch di, Poft bezogen ohne Bringegeld monatlld) * 1.20. vierteljShrlich * 830; durch die «olporleur, wdchenilich 80 4 frei Ine Haud Lin,. Nr. fi 4. Sonntags-Nummer mit Illustr. Beilage .Die Neue Kielt* 10 4. «reu,dandsendungen monatlich 4 8.70, für das Ausland monatlich A 8,60. Verantwortlicher Redakteur: Ikrnft Nöpke In Hamburg. rNrdaktion: QR Expedition: Sehlandstrab« 1L L Stock. «yaMvlirg «’) Fehlandftrab« 1L Lrbgelchob. rinzeiaen die Famiiienan, in den Filiale' verdindlichk altene Peiiizetle oder deren Raum 86 4. BrdeitSmarkt. Bermietuuab« und 4. ftlNjeigeii.Bniiahme Fehlandftr. ll, Erdgeschoß «bi» 5 Ilhr nachmittag»!, Uhr nachm.), sowie in allen Annoncen-Bureaux. Plah< u. 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Schade, daß der bekannte Nationalökonom, Kathedersozialist und österreichischer Minister a. D. Schäffle unsere neuen Wahlsiege in Württemberg nicht mehr erlebt hat. Denn so eklatant wie da ist das von ihm geprägte Schlagwort vom „antikollektivistischen Bauernschädel" kaum je - mals ad absurdum geführt worden. Nicht nur Kleinbauern, die sich jahraus, jahrein mit Weib und Kindern abrackern müssen um eine oft sogar unterproletarische Existenz, auch nicht wenig Mittelbauern haben sozialdemokratische Stimm - zettel abgegeben und wollten von dem bauernbündlerischen Kandidaten nichts wissen. Die bündlerische Demagogie hat an ihrer Zugkraft beträchtlich eingebüßt, wozu die Freundschaft mit den hinlänglich verrufenen Konservativen nicht wenig bei - getragen haben mochte. Aber komischerweise finden „Ordnungs"blätter einen Trost darin, „daß die Zunahme der Sozialdemokratie gerade in ländlichen Gemeinden auffällig hervorgetreten sei. Das läßt hoffen, daß ihr Anwachsen doch vorübergehend sei und daß bei einer guten politischen Stimmung der Bezirk wieder - gewonnen werden könne"! Man bildet sich ein, die Bauern und ländlichen Arbeiter hätten lediglich „einen Protest gegen die Reichsfinanzreform beabsichtigt, die in das gesamte volks - wirtschaftliche Leben des Reiches schwer eingreift", für die eigentlichen Ziele der Sozialdemokratie hätten sie keinerlei Ver - ständnis und Sympathie. Wir können das Gegenteil bezeugen. Es gibt ein starkes Argument gegen die bestehende Wirtschaftsform — das auf- fallcndcrweise in der Agitation überhaupt ziemlich vernach - lässigt wird — welches auch den schlichten Köpfen einleuchten muß. Schon Lassalle hat es 1864 im „Bastiat Schulze" hervorgehoben, und näher ist es von Friedrich Engels 1877 im „Volksstaat" und dann im „Anti-Dühring" ausgeführt worden. Es ist der Widerspruch zwischen Pro - duktion und Verteilung des Produkts. Während die Produktion der modernen Gesellschaft eine gemein - same, kooperative ist heißt eS bei Las s alle — eine streng ineinander eingreifende gemeinschaftliche Vereinigung vieler zur Hervorbringung desselben Produkts — ist die Verteilung der erzeugten Produkte, die Distribution, keine gemeinsame, sondern eine individuelle, d. h. das Produkt geht nicht nur als Gcgenjluuo, joaiwtU auch seinem Werre nach, in üas persönliche Eigentum des Unternehmers über, der es für seinen alleinigen Gewinn verwertet, sämtliche Arbeiter aber ausbeutet. Diese schon heute bestehende Gemeinsamkeit in der Produktion und dieser äußerste Individualismus in der Distribution, das ist der tiefe Widerspruch, der die bestehende Gesellschaft kenn - zeichnet. Die Produktion, sei hinzugefügt, geschieht bereits kollekti - vistisch (freilich nur innerhalb der einzelnen Betriebe), aber die Verteilung ist es nicht, denn der Unternehmer schiebt den Mehr - wert in die eigene Tasche; wie der Löwe in der Fabel, der mit andern Tieren auf die Jagd geht und diesen von der Beute nur die Knochen zukomi: läßt. „Ich bin der Löwe," so hat er gesprochen, „mir gebühr das Fleisch und euch die Knochen." Hören wir Engels: In der Warenproduktion, wie sie sich im Mittelalter entwickelt hatte, konnte die Frage gar nicht entstehen, wem das Erzeugnis der Arbeit gehören solle. Der einzelne Produzent hatte cs in der Regel aus ihm gehörendem, oft selbst erzeugtem Rohstoff, mit eigenen Arbeitsmitteln und mit eigener Handarbeit oder der seiner Familie hergcstellt. Es brauchte gar nicht erst von ihm angeeignet zu werden, es gehörte ihm ganz von selbst. Das Eigentum der Produkte be - ruhte also auf eigener Arbeit. Selbst wo fremde Hilfe ge - braucht ward, blieb diese in der Regel Nebensache und erhielt häufig außer dem Lohn noch andere Vergütung. Der zünftige Lehrling und Geselle arbeiteten weniger wegen der Kost und des Lohnes, als wegen ihrer Ausbildung zur Meisterschaft. — Da kam nun aber die Konzentration der Produktionsmittel in großen Werkstätten und Manufakturen, ihre Verwandlung in tatsächlich gesellschaftliche Produktionsmittel. Aber diese wur - den behandelt, als wären sie nach wie vor die Produktionsmittel und Produkte einzelner. Hatte bisher der Besitzer der Arbeits - mittel sich das Produkt angeeignet, weil es in der Regel sein eigenes Produkt und fremde Hilfsarbeit die Ausnahme war, so fuhr jetzt der Besitzer der Arbeitsmittel fort, sich das Produkt anzueignen, obwohl eS nicht mehr sein Produkt war, sondern das Produkt fremder Arbeit. So wurden also die nun - mehr gesellschaftlich erzeugten Produkte angeeignet nicht von denen, die sie wirklich erzeugt hatten, sondern von K a p i t a l i - st e n. Produktionsmittel und Produktion sind wesentlich ge - sellschaftlich geworden, werden aber einer Aneignungssorm unterworfen, welche die Privatproduktion einzelner zur Vor - aussetzung hat. In diesem Widerspruch liegt die ganze Kollision der Gegenwart bereits im Keime. Je mehr die neue Produktionsweise auf allen ent - scheidenden Produktionsfeldern und in allen ökonomisch ent - scheidenden Ländern zur Herrschaft kam, und damit die Einzel - produktion bis auf unbedeutende Reste verdrängte, desto greller mußte auch an den Tag treten die Unverträglichkeit von gesellschaftlicher Produktion und kapita- listischer Aneignung. Dieser Widerspruch tritt an den Tag als Gegensatz von Bourgeoisie und Proletariat. Der Sozialismus hebt diesen Widerspruch auf, indem die produzierende Gesellschaft selbst Besitzerin der Produkte wird. Politische Uebersicht. Di« Nachwabl in Frankfurt-Lebus. Die „Kreuzztg." konstatiert, daß jetzt schon die bürger - lichen Parteien entschlossen sind, bei der Stichwahl, auf die sie sicher rechnen, zusammenzugehen. Die Konserdativen bieten damit den Nationalliberalen ihre Unterstützung in aller Form an. Schmerzlich berührt sind sie bloß davon, daß der „Bund der Handwerker" Stimmenthaltung proklamiert hat. Diesem Bund, der eine private Gründung eines gewißen Voigt in Friedenau ist, wird eine Bedeutung beigemcnen, die ihm gar nicht zukommt. Wenn irgendwo eine Nachwahl stattfindet, dann taucht plötzlich der Herr Vorsitzende des „Bundes der Hand - werker" auf und verhandelt mit den Parteien. Bisher stellte er eigene Kandidaten auf, die er zurückzog, wenn sich die Parteien mit ihm geeinigt hatten. Diesmal probiert er es mit der Pro - klamierung der Stimmenthaltung. Er wird aber ganz bestimmt mit sieh reden lasten und dann, je nachdem, die Stimmabgabe für den Konservativen _obet den Nationalliberalen empfehlen. Auf alle Fälle ist die Sozialdemokratie auf ihre eigene Kraft angewiesen. Drost im Unglück. Dem eifrigen Streben der rechtsstehenden Presse, den Nationalliber g l e n klarzumachen, oatz. ihre Verluste bei den Nachwahlen nur ihrem Verhalten bei der Finanzreform zu- zuschreiben sind, tritt jetzt eine Zuschrift aus Sachsen entgegen, die in der „Nationalliberalen Korrespondenz" veröffentlicht wird. Der naiionalliberale „helle" Sachse hat aus den Nachwahlen folgende Lehre gezogen: „Die nationalliberale Partei ging mit dem Fortschritt zusammen in Cannstatt, Eisenach, Landau. In diesen Kreisen stiegen die sozialdemokratischen Stimmen um 21 bezw. 33 bezw. 45 pZt. Die Partei ging mit dem Bunde der Landwirte zusammen tn_ Koburg. Die sozialdemokratischen Stimmen fielen infolgedessen nach der Logik der „Post" — ja, pardon, sie stiegen um — 46,1 pZt.I! Und in Landsberg, einem vorwiegend ländlichen Kreise, den die Konservativen zu verteidi - gen hatten, stiegen sie um 32,4 pZt. Diejenige Prelle, welche fortwährend beteuert, daß die Nationalliberalen ihren Besitzstand gefährdeten, wenn sie mit dem Fortschritt zusammcngingen, hätten doch erst einmal zu beweisen, daß der Besitzstand nicht ge - fährdet wäre, wenn die Nationalliberalen sich mit der Rechten verbündeten." Mit unverhohlener Schadenfreude meint dann der Ver - fasser mit einem Hinweise auf die Nachwahl in Zschoppau-Marien- burg: „Dort kämpft die gesamte Rechte (Konservative, Bund der Landwirte und Reformpartei), um das Mandat des verstorbenen Zimmermann den Parteien der Rechten zu er - halten. Sind diese Gruppen so populär, wie diensteifrige Federn es hinstellen, dann wird ja der Wahltag zu einem glänzenden Sieg der positiv schaffenden Stände über Sozialdemokratie und Liberalismus werden." Geschlagen und vertragen. Was vorauszusehen war, tritt bereits ein. Die National- liberalen fühlen ihre alte Liebe zum reaktionären Block wieder erwachen und suchen Anschluß nach rechts. Einstweilen machen sie das nicht offiziell; aber sie lasten doch den Herren, die auf eigene Faust ein Techtelmechtel beginnen wollen, freien Spielraunu In einer Zentrumsvcrsammlung in Wanne trat der Landtagsabgeordnete Dr. Gruenenbcrg für ein Kom - promiß der Nationalliberalen mi t dem Zentrum Bei der nächsten Reichstagswahl im Wahlkreise Bixhum ein. Die Parole müsse lauten: „Heraus mit den Sozial- demokratenl" Ihm schloß sich Pfarrer Luft-Wanne an. In der Stichwahl müsse das Zentrum den Liberalen und um- ;ekehrt der Liberale den ZentrurnSmann wählen. sicher wird dieses Beispiel in andern Kreisen befolgt werden, biS die Vorarbeit für ein allgemeines Kartell gemacht ist Tie Politik des großen MauIS. In der Hoffnung, vielleicht doch noch so etwas wie eine Hurrabegeiirerung guitanbe zu bringen, treiben einige Gönner, vielleicht auch Intereiienlen bet Panzerplatteninbustrie neuer - dings ein lebhaftes Spiel mit kräftigen Worten. Erst war es ein Mitarbeiter ber „Post", der der Reichsregierung empfahl, nach außen hin Händelsucht zu zeigen, um im Innern den „Patriotismus" zu stärken. Nun kommen berschiebene ander? Blätter mit dem Appell an das „deutsche Sckwert". D>e „All - deutschen Blätter" schreiben über die angebliche schpächliche Hal - tung der deutschen Regierung gegen England: „Die Haltung der deutschen Regierung ist außerrrdentlich zu bedauern, ja unbegreiflich. Wagt sie nicht mehr, der gr.ß- britannischen zu sagen, daß sie Plan und Bauzeit aus dem et.;- -.icben Grunde ber nationalen Sicherheit burchführen will, und weil das Deuts«he Reich ein souveränes Staatswesen ist? Was toll man zu einem solchen Mangel an Selbstgefühl und auch zu einer solchen Ungeschicklichkeit sagen? „Wären der Kaiser und der Reichskanzler wirktich bereit, den englischen Wünschen nachzugeben, wenn Reichstag und öffentliche Meinung sich zu einer Aenderung des Flottengesetzee hergäben, jetzt, wo man gerade beginnt die wohltätigen Folgen des Gesetze? für die Wehrkraft zu spüren? Welch ein Zeugnisl War die Antwort aber ein Vorwand, was wir bis auf weiteres noch annehmen wollen (vielleicht eine letzte Leistung des Herrn v. Schoen), so entbehrte sie eben in unglaublichem Matz« des Selbstgefühls und war, wie gesagt, erstaunlich töricht" In ähnlicher Weise arbeitet die „Deutsche Zeitung" auf eine „glorreiche" auswärtige Politik hin, wenn sie sagt: „Bismarck band einst die auseinanderfallenden Ruten der deutschen Parteien und Stämme durch eine glorreiche auswärtige Politik zusammen. Davon sind wir heute ferner als je — es fei denn, daß ba$ deutsche Schwer t aus ber Scheibe fährt und baß wir so zu guter und starker Politik gezwungen werben." Man könnte über die alldeutsche Großmäuligkeit lachen, wenn die Sache nicht eine ernste Seite hätte. Im Ausland, wo man die gänzliche Bedeutungslosigkeit der Alldeutschen nicht kennt, folgert man aus thren Aeußerungen, baß das deutsche Volk kriegslustig sei. Weiter ist auch nicht zu vergessen, daß bas Mittel, durch Veranstaltung auswärtiger Verwicklungen aus inneren Schwierigkeiten berauszulommen, schon vielfach an- gewenbet worden ist, und daß „Staatsmänner" von ber Sorte, wie wir sie haben, gern nach Beispielen handeln. Di« sozialdemokratisch« Fraktion ber bäuerischen Kammer und das Budget. Eine Münchener Devesche des Wolffstben Bureaus sagt beute: Die Kammer ber Abgeordneten nahm bas Finanzgesetz, das die Zustimmung zum ganzen Budget bedeutet, gegen die ~ tim men bet Sozialdemokraten an. ■^*famit haben die bavevischen iozialdemotratiichen Genossen nach dem Beschluß des Nürnberger Parteitages gebandelt. Ein «chtcr FreisinnSmann. Auf dem Sommerfest des liberalen Vereins Remscheid-Süd - west hielt der freisinnige Abgeordnete Eickhoff eine Rede über die gegenwärtige politische Lage. Nachdem er das scheitern des Bülowblocks innig bedauert hatte (natürlichl) wandte er sich dem Nachfolger Bülows zu, von dem er nach dem Bericht ver - schiedener Blätter sagte: „Bülow überließ seinem Nachfolger Bechmann schwere Aufgaben, aber so sympathisch die Gestalt des jetzigen Reichskanzlers ist, und so wenig ich ihn für einen Bureaukraten ober Reaktionär halte, bars doch nicht verschwiegen werden, daß er sich bis jetzi ber Lösung seiner Ausgabe nicht gewachsen gezeigt hat, unb kein Mensch weiß jetzt, wohin bie Reise geht. , Auch bie jüngsten Minifterwechsel haben bar in nichts geändert." Herr v. Bechmann-Hollweg kein Reaktionär! Ter Himmel erhalte Herrn Eickhoff seinen Optimismus! Wie mag sich wohl im Auge dieses echten Fortschrittlers das Bild eines Reaktionärs gestalten, wenn Bethmann-Hollweg keiner ist? Am Ende hält Eickhoff gar den Herrn v. Hevdebrandt für einen Demokraten und ber Januschaüer Junker Oldenburg für «inen fanatischen Vorkämpfer der parlamentarischen Regierung. Kommunale Zweckverbänbe. Wie ber Korrespondenz „Information" mitgeteilt wird, ist den preußischen Cberpräfibenien ein Gesetzentwurf über bie Bildung kommunaler Zweckverbände zur Begutachtung zugeganaen. In dem Entwurf wird durch gesetzliche Bestimmungen die Mög - lichkeit geschaffen, Städte mit Städten zu Zweckverbänden zu vereinigen, während die Möglichkeit einer Vereinigung bisher nur zwischen Stadt unb Saab gegeben war. Ferner soll bas ZweckverbanbSwesen, bas bisher nach ber Sanbgemeinbeorbnung vom 3. Juli 1S91 nur für bie östlichen Provinzen unb ebenso für Schleswig-Holstein unb Hessen-Passau geregelt ist, auch auf alle anbern Provinzen auSgebebnt werben. Dabei soll ber Zwang nur in demjenigen engen Umfange ausgeübt werden, den ihm die Sanbgemeinbeorbnung gegeben bat. Was bie Einbeziehung ber Berliner anbetrifft, so ist sie in den neuen Gesetzentwurf ebenso eingeschlossen worden, toi« in die bisherige ßanbgemelnb«» ordnung von 1891. Nach dieser kann bie Stadtverwaltung tote jede andere Stadt schon heute sowohl im Wege der Freiwilligkest wie des Zwanges mit Landgemeinden und Gutsbezirken zu- fammengelegt werden. In dem neuen Gesetzentwurf sind, nun Bestimmungen enthalten, die Berlin zu den umliegenden Stadt- gemeinden in das gleiche Verhältnis bringen. Ti« Torge bet Prozent-Patrioten. Die „Rheinisch-Westfälische Zeitung" hat in ihrer Donner». tag-Abend-Ausgabe die Nachricht gebracht von angeblich gut unterrichteter Seite, daß im diesjährigen Heeres-Haushalt keiner - lei größere Neubewilligungen gefordert würden. Auch Herr v. T i r p i tz würbe für die Marine keine Wünsche Vorbringen. Diese Nachricht versetzt das Blatt der rheinisch-westfälifchen Großindustriellen in bange Besorgnis. Es sagt in der Freitag- Morgen-Ausgabe: „Es ist uns unfaßlich, wie bei ber Beurtei - lung biefer harten, unabweisbaren Bedürfnisfrage Rücksichten überhaupt geltend gemacht werden können, wie man dringende Hecressorderungen mit Begründung notwendiger Rücksichtnahmen aus die linke Seite des Parlaments und wohl auch das Zentrum zurückstellt. Wir können auch die Regierung nicht klug, geschweige Denn energisch und selbstbewußt nennen, bie ihre Haltung in einer staatlichen Lebensfrage von der Angst vor einer Partei abhängig macht, schon deshalb nicht, weil, einen gewissen Mangel an Energie zu zeigen, eben einfach nicht sehr klug ist Selbst Sie Anhänger ber Regierung müssen an ihr irre werden. Die Geg - ner aber haben nicht nur kampflos einen großen taktischen Erfolg errungen, sondern sie haben auch ein bedenkliches Eingeständnis der Schwäche der Regierung mit ihrer Ueberzeugung in Händen." " Di« Angst. In den „Berliner Neuesten Nachrichten" gibt ein Zollinspektor feine Erfahrungen zum besten, die er über die Wirkung der neuen Steuern gemadbt hat. Er knüpft in seiner Dar - legung an die letzte Reichstagswahl in Cannstatt-Lub- wigsburg an unb sagt, der Abmarsch der Massen in daS sozialdemokratische Lager iei die Quittung auf bie unglückselige Reichsftnanzreform; bann fährt er wörtlich fort: „Ich bin als auSführender Beamter bei der Durchführung ber Reichsfinanz - reform tätig gewesen; ich habe mit vielen Gewerbetreibenben, Kaufleuten usw. verhandelt, bin in Haushaltungen ungebetener Gast gewesen, um bem Fiskus zu seinem Rechte zu verhelfen. Ich muß sagen, mir ist'«in Mißbehagen, eine Ver - ärgerung über die neuen Steuern entgegengetreten,, daß ich mich fragte, gibt es denn überhaupt noch zufriedene Menscben? Es gab nur ein Urteil: Diese Reform wird sich dereinst rächenI Tie armen Leute, der Kleinkaufmann, der kleine Gewerbetreibende werden demnächst mit dem sozialdemokratischen Stimmzettel oirittieren. Ein Kaufmann sagte mir, wenn die Erbanfallsteuer gekommen wäre, so wäre alles gut gewesen; man hätte die kleinen drückenden Steuern nicht nötig gehabt. Daß bie Regierung aber Ja sagt zu Steuern, tote die Zündholzsteuer, das wird sich schwer räcken! Hunderte von ähnlichen Aeußerungen habe ich in Stabt und Land gehört, unb ber eine sagt es bem andern, es geht und '-Weicht wie ein Gist durch die Massen. Di« Wirkung zeigt sich. Es kommt viellc.ch. noch schkirnrncr. . . Ter Zollinspektor rät dann den Parteien, die die Finanz, resorm gemacht haben, Einkchr zu halten und sich mit den andern Parteien wieder zu vertragen; denn er sieht schon auf den Trümmern ber bürgerlichen Parteien „bie roten Jakobiner" stehen. Taß sich die hürgerlichen Parteien, soweit es auf ihre Führer ankommt, sehr gern wieder „vertragen" möchten, steht außer Zweifel; nur die Wähler sind über das „Vertragen" mit Pfaffen unb Junkern, die ihnen die Steuern besckert, anderer Meinung, und um dieser recht kräftigen Ausdruck zu geben, stimmen sie lieber gleich für Sie Sozialdemokraten, von denen sie wissen, daß sie sich nicht vertragen werden. Reform des PatentgefetzeS. Im nächsten Herbst soll ein vorläufiger Entwurf für ein neues Patentgesetz vom Reicksamt des Innern veröffentlicht werden, um allen an bet Frage beteiligten Kressen Gelegenheit zu geben, burch eine ausgiebige Kritik ihre Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Die Grunbzüge für diesen Vor- enitourf sind fertiggestellt, nachdem in den letzten beiden Monaten kommissarische Beratungen ztosschen den beteiligten Reichsämtern und preußischen Ministerien stattgefunden hatten, denen wieder- holte Konrerenzen mit Sachverständigen auS den interessierten Kreisen voraufgegangen waren. Es wird fick bei dem kommen - den Entwurf in erster Linie um eine Umgestaltung des Ver- fahrens, besonders in bezug auf die Fristen und Gebühren, sowie auf die Wahrung der Srsinberrechte der Angestellten handeln. Der französische Gewerkschaftskongreß. Jr. Paris, 4. August. Wie anläßlich des letzten Gewerk- schaftskongesses hat das Komitee der Konföderation auck diesmal wieder beschlossen, eine Umfrage an die angeschlossenen Verbände und Arbeitsbörsen über die Tagesordnung des nächsten Gewerk- schaftskongresses zu richten. Die vier Fragen, die die meisten Stimmen erhalten, sollten in der Behandlung den Vorrang haben vor den andern Anträgen. Die Umfrage bat folgendes Resultat ergeben: Als 1. Punkt der Tagesordnung wird die Altersversicherung fungieren. Es folgert bann die Ber- kürzung ber Arbeitszeit, der kollektive ArbeitS- [5] (Nachdruck verdaten. Auf dem Altenteil. Erzählung von Jepp Aakjär. Autorisierte Uebersetzung aus dem Dänischen. Es waren heute im allgemeinen alte, schäbige Subjekte, zer - lumpte Lanbstraßeneristenzen, bie ber Durst binetngefübrt hatte. Ober überflüssige Althäusler wie Jens Christian, die es satt hatten, an bem Eckpfosten des Hauses zu stehen, wahrenb auf den Wiesen bie Sensen Hangen unb alle Haube geschäftig im Heu arbeiteten. ... . Sie schwatzten und schnapsten und handelten miteinander um Kleinigkeiten unb reichten ihren Kautabak herum. Ein anftänbiger Torfstecher mittleren Alters war auch hinein- geraten. Er ließ an biesem Tage ben Spaten ruhen unb feierte seinen blauen Montag hier bei Jep Anbersen, ohne taß ihm für die Getränke bisher etwas abverlangt worben war. Er wollte alle Augenblicke vor Lachen gerabezu umkommen. Der Branntwein war ihm so ungewohnt, baß er sich fast wie ein Mitglieb bes Himmelreichs erschien. Morgen wurde er wieder in dem alten Moorloch herumwaten müssen, aber heute Iuchul Heute war er ein Mensch wie alle andern. Er war froh — und frei, den Teufel auch. Christine Bjarie hatte keine Ahnung von der ganzen We« schichte; sie glaubte, daS Frauenzimmer, daß er wie gewöhnlich im Moor stünde und zierlich eine Reihe Torf nach der andern auf den Erdboden legte — ja, haste nicht gesehn I Er hatte eben einen größeren Handel mit dem Wirt erledigt; für eine Tonne Saatkartoffeln hatte er eine alte Wanduhr be- iommen. „ „ ., . Alle Augenblicke ging er an die Uhr heran, klopfte mit bem Knöchel an das wurmstichige Gehäuse unb legte bann ba« Ohr an, als wolle er auSfiiibig machen, ob jeinanb zu House ,et. Unb jedesmal schlug er vor Entzücken über diesen Einfall beinahe lang hin. In der Gesellschaft war auch ein Viehtreiber, ein Nicht so wenig großschnauziges kleines Männchen, das als Zeichen seiner Würde eine schwere Peitschenschnur um ben Aermel getotaelt hatte, während er den Peitschenstiel auf ben Fußboden letzte. Es Waren verschiedene anzügliche unb boshafte Witze über das gottlos lange Haar des Treibers gemacht worden, unb einer aus oer Gesellschaft hatte verlauten lassen, baß er bic Kunst des HaarschneibenS ganz ausgezeichnet verstünbe. Die Aussicht, den Schopf gratis loszuwerben, war für unsern Viehtreiber allzu verlockenb. Balb saß er anbacktsvoll auf einem Stuhl mitten im Zimmer, bie Hand auf ben Peiiscken- stiel gestützt, währenb ber improvisierte Haarschneiber seine schere schliss, einen kräftigen Schluck aus dem Glas nahm und bann mit einem kühnen Schnitt in bie Perrücke hineinfuhr. Die eine Seite bes Kopfes war geschoren, als plötzlich ber Treiber ein Wilbes Gebrüll hören ließ; man entdeckte bald, daß der ungeübte Haarkünstler dem armen Teufel ein Stück vorn Ohr abgeschnitten hatte. Die Prozedur wurde nun unterbrochen, während das rote Blut ihm bie Weste hinabsickerte. Im nächsten Moment staub ber kleine Biebtreiber zäh ne- kiiirschenb vor bem Haarkünstler. Er belegte ibn mit vielen starken unb anregenden Ausdrücken, die auf den Haarkünstler einen peinlichen Eindruck zu machen nicht verfeblteii. Und obwohl sie selten und von sonderbaren Orten bergeholt Waren, schienen sie dem tief gekränkten Inhaber des Peitschenstiels doch vertraut und lieb zri sein. Sie bewirkten zunächst, daß die beiden in ein Wildes Hand- dpicnge hineingerieten Der Haarkünstler wehrte sich mit ber Schere unb griff in bie Perrücke des Kleinen hinab - boshafter - weise gerabe an ber Seite, wo noch genug zum Anfassen vor- baiiben war. Der Viehtreiber rollte die Augen, umklammerte seinen Peitschenstiel unb schwor einen schwefligen Eib, bah er ben andern fo_ platt Wie ein Ztoeipfennigstück schlagen wolle Die Schnur sauste wie eine Fangleine über bie Köpfe der ganzen Gesellschaft hinweg und traf mit gleicher Vorurteils - losigkeit so Freund wie Feind. Tassen, Messer, Kaffeegeschirr unb anderes Hausgerät, bas an ben Balken ber Decke angebracht War, stürzte vor dem Berserkergang ber Schnur entsetzt zu Boden, bis der Wirt hinter bem Männchen Herumgang unb ihm mit einem einzigen Ruck die Peitsche aiis der Hand riß. „Denn Du bist ja prügeltoll geworden", sagte Jev Andersen und hielt bie Waffe triumphierend so hoch, daß der kleine Vieh- beherrscher sie nicht erreichen konnte, wenn er auch auf ben Zehen stand und vor Raserei fauchte. Hilflos, Wie er geworden War, begann et nun auf einmal laut zu heulen. Halb beschämt über diesen knabenhaften Ausgang beS Kampfes, begann der Haarschneiber ihm gütlich znzureddn: „Du hist mir ber rechte I Kannst Du keinen Scherz vertragen? DaS Ganze würbe ja nur zum Plaisier gemacht! Kannst Du nicht einmal baS begreifen?" Run begann be£ Treiber sich zu schämen. Jnbeni er bic Sache als Emst auffahte, toar er also braus unb brann, einen guten Spaß zu verberben. Anfall von schlechter Laune, baß ihm ein Brief mit Stecknadeln abhanden gekommen sei. Aber nun wurde Jep Andersen rasend; so eine ausgehungerte Krämerlaus, der ben Verstaub in feinem Branntwein weg - gelutscht hatte, so ein schiefschenkliger Hausieret, ber in einem Paar ungleichen Schuhen im Sanb herumzottelte unb sich burch die Hintertüren ber ßeute_ hineinstahl, um seine verbotenen Waren einer unschulbigen Seele von Dienstmagb anzuhängen — e r wagte in seinem Haus bie Leute des Diebstahls zu be - zichtigen! Er wollte ihn beim lebendigen Satan in den Rucken schlagen, daß die Knöpfe durch das ganze Kirchspiel regnen sollten. „Scheer Dich aus der Tüt heraus und bas geschwind!" Es war kein Zweifel: Jep Andersen war in diesem Augen - blick der Herr im HauS. , Er stand wie eine Sprengbombe mitten im Zimmer und wies mit dem zitternden Finger ungeduldig nack der Tüt, die allein den Krämer vor ber Vernichtung retten konnte. Wie er aber so mit ber Front nach dem Fenster stand, sah er etwas, das ihm im Handumdrehen die ganze dramatische Leidenschaft raubte. Was zum Teufel war das? Hielt da nickt ein Wagen auf ber Lanbstratze, unmittelbar bor bem ,vau8? Allmächtiger! Das war ja die ObrigkeitI Die Wirkung war geradezu verblüffend. Jep Andersen riß bie Flasche vom Tisch unb bat bie Gäste, schleunigst auszutrinken. Die meisten waren inbefien so verwirrt, daß sie die Getränke unberührt steben ließen. Ein verdäckitig auSsehendcs Individuum, baS angeblich Schafhänbler war unb sick im übrigen nicht sonberlich am Gespräch beteiligt hatte, wurde plötzlich leichenblaß, öffnete die Hintertür unb sprang kopfüber in den Backofen. Der Kurzwarenbänbler, dessen Stecknabelbriefe wahrscheinlich nickt all« ben gesetzlichen Vorschriften entsprachen, meinte Brannt - weins ränen unb hüpfte mit seinem Kasten unter bem Arm wie eine Krähe im Zimmer herum — bis schließlich Jep Anbersen das Ding wegriß unb unter sein« dicke Bettdecke hineinschob. Einer der Goldbetreßten mar nun aus dem Wagen gestiegen unb begann nonchalant langsam die schräge Strecke nach bem Haus binaufzugcheii. Der pfiffige Wirt, ber jetzt die schlimmsten Spuren verwischt hatte, ging der Respektsperson mit entblößtem Haupt entgegen. tgortfegung Es fehlte nicht viel, daß er ein wenig errötete. Mil ein paar frischen Kautabakblättern auf der Wunde ließ er sich in versöhntem Zustand wieder zu einem Kaffeepunsch auf die Bank niederdrücken, während fein gesträubtes Haar sich all - mählich wieder glättete — auch auf der Seite, wo die Schere ihr Reinigungswerk nicht vollzogen hatte. So jagte die eine bewegte Szene die andere — während ein weißes Huhn wie ein Symbol des Friedens und ber Behaglich - keit unter ben Tischen herumlief und aufpicktc, Ivas herunter, gefallen war. und ein kleines flachsköpfiges Knäbcken. das schwer- lick einem ber Anwesenden gehören konnte, zwischen bett Zech- brübern auf ben Zehen stand und bie kleinen Finger in bie leeren Punschtassen hineinsteckte, um sich mit bem Bodensatz an Zucker gütlich zu tun. Jenö Christian Schütze saß still in bem allgemeinen Lärm unb rührte mit bem Löffel in ber Tasse seines Kaffeepunsches. Er hatte einen Platz in ber Mitte unb an ber inneren Seite bes Tisches bekommen, so daß er von bem unruhigen Wirtschaften bet anbern ziemlich unberührt blieb. Er machte einen so anftänbigen Einbruck in biesem herunter - gekommenen unb schreienben Haufen. Die andern wischten mit ihren Aermeln in verschütteten Punsch unb Tabaksasche hinein, vor i h m aber war auf bem Tisch ein großer reiner Halbkreis, ber von allen respektiert würbe. Sein Rock aus blauem, cigcngemacbtcm Tuch zeigte nicht einen einzigen Flecken; bic vielen kleinen silbernen Knöpfe seiner zweireihigen Weste glänzten mit einem eigenartigen peniblen Glanz unb das feibene Tuck schloß um ben Hals, als wenn es angegossen ge - wesen märe. Er sagte sehr wenig. Die anbern brannten barauf, ihn zu ihrem Vertrauten zu machen; sic hatten ihm halb die eine unb halb die andere hoch - wichtige Mitteilung zu machen; sie beugten sich mit irgenb einem schlüpfrigen Bekenntnis in den Mundwinkeln zu ihm btnuoer; sie legten bie eine Hand auf feine Schulter, um e^tbm gießen zu können, ohne daß etwas verloren ging. Jens l! rti« nahm cs mit einem traurigen Lächeln auf, wahrend tmmcirc die Hand in der Tasse rührte. . .„ , Er trank gar nickt so wenig. Es war etwas da, ba« 'hn bis auf den Tob erschreckt batte. Und das muhte betäubt werben. E. war nun fast vergeffent nur mitunter tauchte eS wieder aus. Dann hob er aufs neue die tzunschtassc an m - ppen, während fein Handgclnk zitterte. . . Q x r „, Fn der Gesellschaft war wieder ein wilder -arm entstanden. Ein Kurzwarenbäiidler, der seine Waren ohne sonderlichen Erfolg auf bem Tisch ausgebreitet hatte, behauptete in einem