Nr. 230. Sonnabend, den 1. Oktober 1910. 24. Jahrgang. Hamburger Echo. Da» „fiambttraec ®d>0* erschrwt «»glich, aut« Monlag«. AbonnenieiitSprrtS (intl. ..Tie Neue Welt" und ..Die arbeitend« fugend") durch die Post bezogen ohn« Bringegeld monatlich * 1.80. vierleljührlich * 8,60; durch die Kolporteure wöchentlich 80 4 frei In» Haus. Ein,. Nr. 6 4. SonntaaS-Numiner mit llluftr. Beilage .Die Neue Welt» 10 4. Nreuzbandsendungen monatlich * 8.70. für das Ausland monatlich * 3.60. Verantwortlicher Redakteuri «ruft Köpke in Hamburg. Redaktion: & , qz. Expedition: gehlandstra», ll. 1. eie’> Fehlandftrat« ll. »rdg,schob. Anzeigen dl« sechsgespallene Pelitzelle oder deren Raum 86 4. ArdeitSmarkt. riermietunaS. und sfaniiltenanzeigen 20 4. «nzeigen Annahme Fehlandstr. ll. Erdgeschoß tbiS 5 Uhr nachmittags«, in den Filialen lbtS 4 Uhr nachm.), sowie in allen Annoncen-Burraux. Platz, u. Tatenvorschrislen ohne Verbindlichkeit. 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Der Magdeburger Parteitag hat eine Reihe wichtiger Fragen, die das Jahr geboren, in befriedi - gender Weise zum Abschluß gebracht. Wie immer in dem einen und anderen Falle die Geister auf - einanderplatzten, das Endresultat war der entschlossene Wille aller, die Größe und Einheit der Partei zu wahren und in den bevorstehenden schweren Kämpfen Schulter an Schulter den Feinden die Stirne zu bieten. Es war ein erhebender Moment, als in der Debatte über die preußische Wahlrechtsfrage die Vertreter unserer Genossen aus den süddeutschen Staaten in warmen Worten die Bereitwilligkeit der süddeutschen Genossen kundgaben, die preußischen und norddeutschen Genossen m den kommenden schweren Wahlrechtskämpfen mit allen Kräften zu unterstützen. Diese eindrucksvolle Bekundung unverbrüchlicher Solidarität hat in der ganzen Partei freudigen Widerhall gefunden. Parteigenossen! Parteigenossinnen! Neben dem Kampfe für die Eroberung des all - gemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts in den norddeutschen Einzelstaaten, gilt es Vor - bereitungen zu treffen für die Reichstagswahlen, die zweifellos im Jahre 1911 stattfinden. Man nahm bisher an, diese Wahlen würden im Herbst 1911 vorgenommen werden. Wir haben aber gute Gründe, zu glauben, daß sie viel früher stattfinden. Die großen Gesetzentwürfe (Neugestaltung der Reichsversicherungsgesetzgebung, Revision der Straf - prozeßordnung) werden kaum im letzten Abschnitt der Session durch den Reichstag zu Ende beraten werden. Sie bilden also kein Hindernis für eine baldige Auflösung und Neuwahl des Reichstags. Für die letztere sprechen aber eine ganze Menge Gründe aus der inneren und äußeren Politik des Reiches, die es den Regierenden wünschenswert erscheinen lassen, recht bald einen neuen Reichstag zu erhalten, der alsdann in fünfjähriger Tätigkeit ihre Wünsche in bezug auf Militär- und Marinevorlagen, Steuergesetze, neue Zoll- und Handelsverträge befriedigen soll. Parteigenossen! Parteigenossinnen! Auf keinen Fall dürfen wir uns über - rumpeln lassen. Von heute ab muß in jedem Reichstagswahlkreise die intensivste Agitations- und Organisationsarbeit geleistet, müssen ununterbrochen Geld - mittel beschafft werden. Keine Anstrengung darf zu groß, kein Opfer zu schwer fein. Selbst in den uns sicheren Wahlkreisen muß diese Arbeit aufs eifrigste betrieben werden. Denn es gilt nicht nur zu siegen; die Sozialdemokratie muß mit gewaltigem Stimmenzuwachs aus der Wahlschlacht hervorgehen. Parteigenossen! Parteigenossinnen! Täuscht Euch nicht über die Situation. Unsere Gegner werden, wie im Jahre 1907, alle Mittel in Anwendung bringen; sie werden im Verein mit den einzelstaatlichen Regierungen den ganzen Beamtenapparat in Reich, Einzelstaat, Gemeinde, gegen uns aukzubieten suchen, um einen parlamentarischen Machtzuwachs des Proletariats zu verhindern. Berlin, den 1. Oktober 1910. Gebt Euch keinen Illusionen hin! Tie Interessengegensätze unter den bürgerlichen Parteien sind weit geringer als zwischen irgendeiner bürgerlichen Partei und und. Es wird daher auch bei den nächsten Wahlen nichts unversucht bleiben, um alle bürgerlichen Parteien zu einem geschloffenen Vorgehen gegen uns zu vereinigen. Bisher haben faü alle Wahlen bewiesen, daß wir selbst bei den engeren Wahlen von denen im Stich gelaffen wurden, denen wir in anderen Kreisen Wahlhilfe geleistet haben. Es müssen alle Hebel angesetzt werden, damit wir aus eigener Kraft siegen. Trotz alledem sehen wir dem bevorstehenden Wahlkampfe mit vollem Verträum entgegen. Die Regierenden und die herrschenden Klaffen haben mit jenem Ungeschick, das die Götter benen verleihen, die sie mit Blindheit schlagen und verderben wollen, alles getan, um die Massen zur Empörung aufzureizen. Grollende Unzufrieomheit mit den bestehenden Zuständen hat sich bis in die sogenannten staatstreuen Säiichlm eingefressen. Tie unerträgliche Teurung aller Lebensbedürfniffe ist die unausbleibliche Folge der in Deutschland herrschenden agrarischen Wirtschasts- und Liebesgabenpolitik. Diese Teurung wird nicht nur bleiben, sie wird sich steigern und Millionen und Aberrnillionen fleißiger, sorgender Menschen zur Unterernährung zwingen und zur Verzweiflung treiben. Zu den aufreizenden Steuerlasten des letzten Jahres, die Zehntaufende und Aberzehntaufende von Arbeitern brotlos machten ober im Verbimst schwer schädigten und eine große Anzahl selbständiger Existenzen ruinierten, werden neue Lasten kommen. Das Wettrüsten zu Wasser, zu Lande und in der Luft geht ins Maßlose weiter und weiter und muß die Katastrophe beschleunigen, die diese Rüstungen angeblich vermeiden sollen. Dazu kommt die empörmde Mßachtung und Verhöhnung der Forderungen der Arbeiter nach politischer Gleichberechtigung und Ausbau des Arbeiterschutzes und ber Arbeiterversicherung, bie schreienbe Vernachlässigung ber bringenbstm Kulturaufgaben, bie immer zahlreicher roerbenben Akte ber Rechtspflege, bie ein Hohn auf Recht unb Gerechtigkeit sind, unb mblich bie zahlreichen Fälle schlimmster Polizeiwillkür, bie auch ben Geduldigsten zum Rebellen machen müssen. Parteigenossen! Parteigenossinnen! Dieses Anklagematerial geschickt auSzunutzm, muß unsere Au'gabe sein. Ttärkt unsere Lrganisation! Werbt neue Leser unserer Preffe! frisch ans Werk! Die Zeit drängt! Lchliesit die Reihen! Die Trompete ruft zum Kampfe! Hoch die Sozialdemokratie! Der Parteivorstand. Bebel. Ebert. Gerisch. Liepmann. Molkenbuhr. Müller. Pfannkuch. Singer. Wengels. Zietz. Hierzu zwei Beilagen. Klassengegensätze in der Hierarchie. Im Reiche der päpstlichen Hierarchie scheint es ebenso zu gehen wie im Deutschen Reiche. Wie hier die Angst vor der Sozialdemokratie zu allerlei törichten Maßnahmen treibt, die unsere Bewegung stärken statt zu schwächen, so dort die Angst vor dem Modernismus. Unser Wilhelm Liebknecht hat ein - mal treffend solche bornierte Unterdrückungsversuche gegen unsere Partei mit der Fabel in den antiken Schicksalstragödien verglichen, wo der Held, um einem vom Orakel ihm geweis- sagten Unheil auszuweichen, eben dadurch in dasselbe rennt. Wie sehr der jetzige Papst — der freilich so wenig wie der deutsche Kaiser ein Instrument des Himmels ist, sondern ein Instrument der Jesuiten — den Bogen überspannt, weiß man aus seinem neuesten Erlaß, wonach sogar den jungen Leuten, die zu Theologen im Seminar ausgebildet werden, verboten ist, weltliche Zeitungen zu lesen. Diese Kleriker treten also ins Priesteramt, ausgerüstet mit einer Ignoranz, die sogar ihre amtliche Befähigung nicht wenig beeinträchtigen muß. Wie verkehrt und lächerlich ist überhaupt eine solche Absperrung, die ja doch ihren Zweck nicht erreichen kann, da die Alumen auf allerlei andern Wegen das und jenes erfahren können! Und wie sehr wird außerdem die katholische Jugend durch solche Verbote vom Studium det Theologie abgeschreckt! Doch nun hat Pius X. in seiner Unfchlbarkeitsweisheit eine Bestimmung getroffen resp, genehmigt, welche auch die zahmsten Pfarrer erbittern muß. Er dekredierte die Ab - se tz b a r k e i t auch unbescholtener Pfarrer durch die Bischöfe. '„Zwar nennt sich der Papst Hüter des kirchlichen Rechts. Aber in der Kirche haben nur die Oberen Rechte, die Unteren haben nur Pflichten; sie haben zu schweigen und zu gehorchen, die Heloten des Gottes - reichs"— schreibt darüber ein katholischer Theologe. Wie Bischöfe, ja wie Päpste en miniature, schalteten und walteten bisher die Pfarrer in ihren Gemeinden; wenn sie sich nur nicht zu grober Vergehen schuldig machten, brauchten sie weder Papst noch Bischof zu fürchten, denn weder jener noch dieser konnten sie ihres Amtes entsetzen. Das Pfarrhaus war eine Art Festung, an deren Wällen die Geschoße, die der bischöflichen Verfügungsfreiheit zu Gebote standen, wirkungs - los abprallten. Abgesetzt oder versetzt konnten sie nur werden, wenn bestimmte, vom Kirchenrecht namhaft gemachte Ver - brechen Vorlagen, wie namentlich Häresie (Ketzerei), Simonie (Handel mit geistlichen Aemtern), tätlicher Angriff auf einen Bischof, Kardinal oder Papst, oder wenn einer einen unsitt - lichen und ärgerniserregenden Lebenswandel führte und sich trov aller Mabnungen nicht besserte. Aber die Entscheidung darüber, ob dergleichen vorlag, war keinesivegs dem persön - lichen Ermessen des Bischofs überlasten, sondern erforderte gerichtliche Untersuchung, und eventuell konnte er Berufung beim Metropoliten (Erzbischof) oder beim Papst einlegen. Run aber soll der Bischof im Einvernehmen mit zwei von ihm ernannten Examinatoren entscheiden können, und zwar wegen recht fragwürdiger und kaulschukener Reute, wie „Verlust beo guten Rufes bei den ernsten und ehrbaren Leu - ten"; was unter solchen zu verstehen, kann man sich denken. Es ist offenbar mit der neuen Verordnung auf eine ge - waltige Erhöhung der bischöflichen Macht auf Un - kosten des Pfarrers abgesehen. Der Bischof hat jeden Pfarrer vollständig in der Hand; gegen den würdigsten kann er ein- schreiten, der sich etwa politisch oben mißliebig macht, die ultra - montane Presse nicht unterstützl, oder gar an verpönten Zeit - schriften mitarbeitet, und vollends, wenn er modernistischer Gesinnungen auch nur verdächtig ist. Der Pfarrer ist zum „ewigen Kaplan", zum ständigen Verweser hcrabgesunken, der nie sicher ist, ob er nicht in acht Tagen brot- und heimatlos geworden. Zweifellos ist es mit der Verordnung nichtbloßgegen den Modernismus, sondern namentlich auch gegen die Sozialdemokratie abgesehen. Es hat ja schon bisher manchen Pfarrer gegeben, der für die sozialistische Ar - beiterbewegung Verständnis und Sympathien hegte und ent - weder nur lau oder auch gar nicht das Zentrum unterstützte, oder ihr sogar in der Presse Anerkennung gezollt hat. Dem soll ein Riegel vorgeschoben werden, und wer nicht nach Kräften für das Zentrum und gegen die Sozialdemokratie agitiert, fliegt hinaus. Ob aber die Erbitterung, die damit bei den Pfarrern not - wendig erzeugt wird, ihnen nicht erst recht den ultramontanen Geist austreiben wird, wenn sie ihn auch äußerlich notgedrungen zur Schau tragen? Ob nicht unter den Pfarrern eine Menge „Kryptosozialisten" erstehen werden, die heimlich und auf Schleichwegen unserer Bewegung Vorschub leisten? Man denke an die französische Revolution, wo ein großer Teil des niederenKleruS eifrige Förderer der Revolution waren. Denn von den riesigen Einkünften der Kirche fiel ber Löwenanteil an bie hohen kirchlichen Würdenträger und die Klöster, die Pfarrer dagegen lebten in Armut. (Kautsky, „Die Klassengegensätze von 1789".) Durch ihre Familieubeziehungen mit dem dritten Stand verbunden, arm, mit Arbeit überbürdet, hatten sie es satt, als Werkzeuge der weltlichen und geistlichen Ausbeuter und Prasser weiter zu funktionieren. Ihr Klassenbewußssein erwachte und trieb sie an die Seite des dritten Standes! Solche Gewaltmaßregeln, wie sie jetzt nach dem päpst - lichen Erlaß gegen die katholischen Pfarrer praktiziert werden sollen, um sie zu völlig willenlosen Werkzeugen der Kirche zu machen, können sehr wohl den Erfolg haben, daß auch ein Teil der kaiholischen Pfarrer mehr Verständnis für das Streben der Arbeiterklasse nach Bewegungsfreiheit und Sell'st- bestimmungsrecht gewinnt und — wenn auch nicht öffentlich, so doch im stillen — der Bewegung Vorschub leistet. DaS könnte für das Zentrum sehr verhängnisvoll werden. Die päpstliche Unterdrückung der freien Meinungsäußerung könnte auch hier sich erweisen als ein Teil jener Kraft, die das Böse will, aber das Gute schafft. Politische Uebersicht. Scharsmackierfteye. Weiter behenI DaS ist jetzt die Losung in der (tanzen „gut* gesinnten , b. h. reaktionären Presse. Material siir die Hetze glauben die Hetzer sowohl in den Verhandlungen d«S Magde - burg e r P a it e i t a g e c- wie in den Ttratzenunruhen in Moabit gesunden zu haben. Erstere nimmt ein Industrieller zu Anlaß, um in der »Kreuzztg." sein bedrängtes Herz auSzu» schütten. Er stellt die dringende ss o r d e r u n g . „daß nun ohne jeden Verz u g unb mit aller erdenklicher Schärfe gegen die Aufwiegler und Hochverräter oorgegaugen wird. Wenn die unruhigen, gefährlichen Glcmentc sehen, daß Reden, wie die Magdeburger, in einem Musterstaate wie Preußen ungeahndet gehalten werden dürfen, dann sind der Notiz im Organ des Re,chSkanzlerS ist allerdings so durchs-- Die dauernd ungünstigen Folgen der Steuer für sichtig, daß man ohne weiteres weiß, welche Abficht aus den Zeilen herauszulesen ist. Tie sozialdemokratische Jugendorgani - sation liegt der Regierung schwer im Magen und man schreckt vor keinem Mittel zurück, um eine Handhabe zu bekommen, die es ermöglicht, gegen diese Organisation dorzugehen. Allerdings wird man auch diesmal wieder, wie stets seither, sich einer trüge - rischen Hoffnung hingegeben haben. Uederhaupt werden die im reaktionären Scharfmacherinteresie aufgestellten Verleumdungen an den Tatsachen zu schänden werden. Wettere Steigerung der MartneauSgaben. Rach dem neuen Etatsvoranschlag für die Marine, der jetzt dem Reichsschatzamt zur Prüfung vorliegt, soll nach dem „SB. Z." die Eta 1 Sst5rke der Marine eine beträchtliche Ber- mehrung erfahren. Im Jahre 1910 betrug die Etatsstärke 57170 Mann, int kommenden Etatsjahr soll sie auf über 60 000 Mann gebracht werden. STiese Verstärkung wird damit begründet, daß die neuen Schiffe größer find als die früheren und daß des - halb auch die Sßesatzung eine stärkere sein muffe. Außerdem ist in Helgoland eine neue Matrosen-Artillerieabteilung ausgestellt worden^ und ferner find auch mehr Mannschaften nötig für die größere Zahl von Torpedobooten, die im letzten Jahre in Diensr genommen worden sind. — Bei Neubauten für die Flotte wird -immer nur Daraus hingewiesen, daß zu größeren Typs gegriffen werden müsse, mit keinem Wort wiro aber dabei erwähnt, daß in demselben Maße die Zahl der notwendigen Mannschaften steigt. Nachdem die bürgerliche Mehrheit des Reichstages die größeren Schifte bewilligt hat, wird ihr natürlich n:chts anderes übrig bleiben, als nun auch die vermehrte Anzahl der Mann - schaften für diese großen Schifte zu bewilligen. So treibt ein Keil den andern, und die große Maffe des Volkes hat dann die Zeche zu bezahlen. Die Wirkungen der Leuchtmitteksteuern. Wie vor Schaffung dieser Steuern vorausgesagt und schon bisher durch die Tatsachen bestätigt worden, sind die Leuchtmitiel- steuern ein verfehltes Unternehmen, das die erhofften Millionen nicht einbringt, aber ruinös auf die beteiligten Indu - strien einwirkt. Im dritten Heft der „VierteljahrSheste zur Statistik deS Deutschen Reiches" ist eine Zusammenstellung der von den Steuer-Direktivbehörden für die Zeit vom 1. Oktober 1909 bis 31. März 1910 aufgestellten Nachweisungen über d i e Herstellung sowie über die Ein- und Ausfuhr von Beleuchtungsmitteln und über den Ertrag der Leuchtmittelsteuer, sowie der von den Direktivbebörden über die Verhältnisse des SBeleuchtungSmittelgewerbeS erstatteten erläuternden Berichte veröffentlicht worden. Aus diesen fberichten gebt hervor, daß die seinerzeit von der Leuchtmittclindustrie gegen die Seucbtmittelfteucr geltend gemachten Einwendungen in allen Teilen berechtigt gewesen finb. Dte Schätzungen der Reichsregierung über den Inlands- verbrauch an steuerpflichtigen SBekucbtungSmitteln unb damit über den Ertrag der Steuer haben sich als bei w e i t e m z u b o ch erwiesen. So wurden an Beleuchtungsmitteln im In Ian Jher gestellt und versteuert, bezw. eingeftibrt 10.25 Millionen stuck elektrische Äliihlampen. 1.6 Millionen Kilogramm elektrische Licht kohlen und 14,85 Millionen Stück Elühkörper für Nak-lampen, während nach den von der Reicksregierung vorgenommenen Schätzungen die entsprechenden Zahlen für die gleiche Zeitdauer lauten müßten- 15 Millionen Stuck elektrische Yiluhlampen. 3,5 Millionen Kilogramm elektrische Lichtkohlen und 50 Millionen Stück Glühkörper für GaSlampen. Dementsprechend ist natürlich auch ber Ertrag ber Steuer wesentlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Er beträgt in den elf Monaten Oktober 1909 bis August 1910: 9,73 Millionen Mark, während er nach dem Voranschlag der Re- gierung für die gleiche Zeit 21.5 Millionen Mark betragen müßte. Einen nennenswerten Einfluß auf dieses ungünstige Ergebnis kann die Vorverforgung der Konsumenten vor dem Inkrafttreten der Steuer nicht auSgeübt Haben, da ber Bundesrat bie Nackt Versteuerung der am 1. Oktober 1909 vorhandenen Leucktmittel- bestände auch aus bie Vorräte von Staats- und Gemeindehebörben, gewerblichen Betrieben usw. erstreckte unb im Hinblick darauf viele größere Konsumenten ihre bereits, unter ber Betätigung der Lieferung vor dem Inkrafttreten ber Steuer getätigten Bestellungen annullierten. Ausschreitungen jeder Art, ja die Revolution unausbleiblich. Sollten nicht auch die Moabiter Vorgänge im Zusammenhänge mit den aufrührerischen Magdeburger Reden stehen? Daß die Liberalen, namentlich vom Schlage des .Berliner Tage - blattes", Mitschuldige sind, unterliegt keinem Zweifel. Den sozialdemokratischen Führern ist es selbstverständlich bekannt, daß cs kein geordneteres -Staatswesen gibt, als Preußen und Deutschland; aber die unwissenden Unzufriedenen sollten sich die Zustände im AuSlande einmal ansehen, dann werden sie erkalten, welche bösartigen Leute sie sich zu Führern erwählt b**en." Das Vorgehen „mit aller erdenklichen Schärfe' denkt fick der Verfasser der Zuschrift offenbar so, daß man das^Recht der freien Meinungsäußerung in Wort und Schrift ein - fach aufhebt. Damit sollen bann nicht nur die Sozialdemo - kraten, sondern gleich auch die Liberalen gevack: werden, so weit sie cs nock wagen, einmal ungeschminkt ihre Meinung zu sagen. Die Parteitagsverbandlungen müssen da als Vorwand bienen; worauf es den Edlen ankommt, ist eine Unterbindung jeder Kritik, deren Folgen sich ibney in den jüngsten Nach- wählen zum Reichstag so unangenehm fühlbar gemacht haben. Sie fürchten — wohl mit Recht —, daß der nächste Reichstag nicht mehr die reaktionäre Mehrheit aufweisen werde, wie der gegenwärtige; deshalb möchten sie noch vor den Dahlen mtt den letzten Resten von Freiheit aufräumen. In welch niederträchtiger Weise die Moabiter Un - ruhen für Swarftnackerzwecke ausgebeutet werden, zeigt folgen - des: DaS Dolfftcke Telegrapbenbureau verbreitete am Donners- tag folgende Nachricht: „Von zuständiger Seite erfahren wir, daß nach amtlicher Feststellung unter den am Dienstag aus Anlaß der Straßen - krawalle in Moabit wegen Aufruhrs V e r h a f t e t e n 12 Exze - denten sich 9 Personen befinden, welche einer auf sozial - demokratischem Boden stehenden Gewerkschaft angeboren. Bon diesen sind 3 Personen auch Mitglieder eines hiesigen sozialdemokratischen Wahlvereins und 4 sind streikende Kohlenarbeiter der Firma Kupwr L Co. Daraus erhellt ant besten, w i e falsch die von sozialdemo- kratisÄer Seite verbreitete Behauptung ist, daß bei den Streik- unruhen organisierte Arbeiter und kstrcilenbe der Firma Kupfer & Co. überhaupt nicht beteiligt seien." Dazu macht die .Deutsche Tageszeitung" die niederträchtige Bemerkung, aus dieser Nachricht könne .man nur das eine Resultat entnehmen: daß di- K_erntruppe der Moabiter Ausrührer auS waschechten Sozialdemokraten be- steht; daß die Sozialdemokratie nicht nur der ntora- Iische und intellektuelle Urheber der ®dbanbtaten ist, sondern daß eS direkt ihre .Truppen" sind, die dort in Moal'it ein regelrechtes, .kriegsmäßiges Manöver" abhaltcnl" Eine solche gewiffenlose Verleumdung richtet fick febft. Was beweist eS, daß auch Arbeiter verhaftet worden sind, die einer gewerkschaftlichen Organisation ober einem Parteiverein an- gehören? Für ber.n Sckuld noch gar nichts. Man weiß ja. wie eS bei solchen Ausläufen zugebt. Die wütend gewordenen Polizisten verhaften alles, .wak ihnen unter die Hände kommt, auch ganz unbeteiligte Leute, die deS WegeS gehen müssen, weil sie in der Nähe wohnen oder arbeiten. Oft genug werden sie auch noch mit den Säbeln arg zugerichtet. Die Attacke gegen bie englischen Journalisten im Auto - mobil, in benen man dock wahrlich keine Erzedenten vermuten konnte, zeigt beutlich genug, wie es gemacht wirb. Dieser Vor - gang müßte jeden anständigen Menschen veranlaffen, nickt solche giftigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Aber wo es gilt, gegen die Sozialdemokratie zu hetzen unb reaktionäre Pläne zu verfolgen, ba ist ben gewissenlosen Gegnern jedes Mittel recht. Auch gegen bie Jugenborganisationcn mochte man die Moabiter Vorgänge ausnutzen. Die offiziöse .Nordd. Singern. Ztg." stellt bie Behauptung auf, daß die aktive Beteili - gung der sozialdemokratischen Jugenborganisation an dem Auf - ruhr in Moabit so gut wie erwiesen sei. Für das Organ he-, Reichskanzlers unterliegt es keinem Zweifel, daß die ,oswl^emo- kratischen Lehrlinge sich berufen fühlten, >dre Lungen- u Armkräfte zu probieren. Die Unterbrechung ber etrasenbilernt- tung ist nach der .Nordd. Allgem. Ztg." auf dar Konto der i -- fierten sozialdemokratischen Jugend zu setzen. Demgegenüber ist festzustellen, da,; selbstverständlich bie sozialdemokratische Jugendorganisation mit ben Vorkommnissen in Moabit in keinerlei B er b in b un g^stehi. icr Zweck