Nr. 2 Ml. Mittwoch, den 16. November 1910, 34, Jahrgang Hamburger Echo La« »Hamburger »*o* erscheint tätlich, außer Montag«. AbnnneineutSprelS (Inti. „Die Neue Welt" und „Lie arbeitende Jugend") durch dl« Defl bezogen ohne Bringegeld monatlich * 1.20. viertelsihrllch x 3.60; durch die Kolporteure wöchentlich SO ch Irei in» bau?- Ein,. Nr. 6 4. Sonntayg-Nummer mit IlluNr. Beilage »Die Neue Weit' io 4. Kreuzdandfendungen monatlich A 2,70. für bot Mullonb monatlich A 8.60. l,rt, V b ” Raum 85 -*• «rbeltSmark«, Vermietung«. UN» bi bTn ^haÜn ib fl u Viih; F«hl°ndNr. I I. «rdgeschoß (bis 5 tthr nachmittag«,. Rnbsnblidittit ,0 ™ le *" ® Oen «nnoncen-Bure-ul. Pla«, u. ralenoorlchrltten ohn« «erdindUchte». dietlamen im eedattimtellen Teil werden weder grell« noch gegen Entgelt ausgenommen Buchhandlung und Buchdruckerei-Kontor: Fehlandstr. 11, Erdgeschoß. ?lma "Mtra6e, bei H-inr. Koenen. Annenstr. 17. Si.nSbüttel. Langenseide bei Carl Treyer. Fruchtall.e 42. Hoheluft, EtlpeuSorf, (*ror,=«orftcl und Winterhude bei Ernst Großkopf, M-ldorfersft 8 B-r...be- Ilblenbarst be. Theodor ninllll* $ Clerei ' ® ad)ftr - 12 - Hohenfelde, Borgfelde, Hamm, Horn, «chisfbcik und Billmürder bei Carl Ortel, Baustr. 28. Hamuierbraok bi« Ausschläger Billdeich bei Rud. Fuhrmann, Süderkaiftr 18 Rotenbi, rasort und Reddel bei Tb Reimer PmMeJtr rs Redaktion: Ä , o« Expedition: Fehlandslraßi 11, 1. Stoch HaM0lkrg «o Fehlandstraße 11. Erdgeschoß. Berantwortlicher Redakteur: Ernst Köpke In Hamburg. Hierzu zwei Beilagen und die Monatsbeilage: a,Die arbeitende Jngend". Des Bußtages wegen erscheint die nächste Nummer des „Hamb. Echo" am Freitag, 18. November. Preußen in Rußland und Rußland in Preußen. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Sache des Großgrund - besitzes zu vertreten. Wir führen unsern Klassenkampf zwecks der Befreiung der Unterdrückten und Ausgebeuteten und unser Ziel ist die Abschaffung der Klassenherrschaft überhaupt. Der Großgrundbesitz ist zurzeit immer noch der am meisten bevor - zugte Faktor im Staate; er hat im Verhältnis die geringsten Lasten zu tragen und genießt die meisten Vergünstigungen in der Gesetzgebung. Das wird uns nicht abhalten, unsere (Stimmen dagegen zu erheben, wenn Grundbesitzer aus politischen Gründen Verfolgungen und Ausnahme- maßregeln zu erdulden haben. Ohnehin wird meistens der kleine Grundbesitz, der so wie so schon unverhältnismäßig schwer belastet und bedrückt ist, von solchen Maßregeln mit - betroffen. Das ist zweifellos der Fall bei dem Vorgehen der russischen Regierung gegen die d eu t s ch c n K o l o n i st e n in den west - lichen Provinzen des europäischen Rußland. Während der russische Zar in Deutschland eine kostspielige Gastfreundschaft genießt, während eine Wolke von russischen und deutschen Spitzeln das Hesienland bedeckt, um den angstvoll vor „seinem" eigenen Volke flüchtenden Despoten gegen nur in dcsien Phan - tasie existierende Mörder zu schützen, während deutsche Reichs- bürger, als ob Hesien in eine russisch-orientalische Provinz ver - wandelt wäre, die auf ihre Kosten erbauten und unterhaltenen Straßen meiden müssen, wo der Zar zu lustwandeln geruht — zur selben Zeit bringt der „liberale Kosack in Minister - uniform", Herr Stolypin, in der Duma zu Petersburg einen Gesetzentwurf ein, der die Beraubung und Aus - treibung der deutschen Kolonisten in West- rußland bezweckt. Während politisierende preußische Mili- "tdre a. D. ein Geschrei darüber erheben, daß der Deutsche nicht genug „Nationalstolz" besitze, können sic sich nicht genug sitt - lich entrüsten, weil die Sozialdemokratie dagegen protestiert, daß der Zar, dieser dem deutschen Volke verhaßte Gast, auf deutschem Boden behandelt wird, als fei er zum Souverän über das deutsche Volk berufen. In diesem Falle vertritt die Sozialdemokratie den wahren „Nationalstolz", um das Wort im guten Sinne anzuwenden, während die herrschenden Klassen den russischen Brutalitäten von jeher unterwürfig zugesehen haben. Bürgertum und Junkertum demütigen sich vor der russischen Politik, in der sie immerhin einen Hort der Reaktion erblicken, wiewohl in der russischen Revolution die tönernen Füße des alten Kolosses Absolutismus deutlich genug zum Vorschein gekommen sind. Die Junker bäumen sich gegen Rußland nur auf, wenn es gilt, die Einfuhr russischen Rog - gens, russischer Schweine, russischen Geflügels und russischer Eier nach Deutschland abzuhalten; im übrigen würden sie mit Vergnügen den russischen Absolutismus nach Deutschland ver - pflanzen. So hat man für die deutschen Kolonisten nur einige be - dauernde Worte. Wir wollen uns in solchen Dingen der Schadenfreude enthalten, die hier sehr nahe liegen würde, wenn die deutschen Kolonisten haben während der russischen Revolu - tion ihren ererbten deutschen Servilismus betätigt und haben sich, wie ein deutsches liberales Blatt lobend sagt," „als ruhige, besonnene, zuverlässige Elemente des russischen Staatslebeiis", mit andern Worten als traurige Reaktionäre und Stützen des alten verrotteten despotischen Systems erwiesen. Für diese loyale Rolle werden sie nun von Herrn Stolypin, der seinen Deutschenhaß nicht zügeln kann, schlecht belohnt; er bezeichnete sie in der Duma als staatsfeindliche Elemente, als eine große Gefahr für den russischen Staat. Die deutschen Kolonisten sollen in den Westprovinzen Rußlands, wo ihre Ansiedlung seit 200 Jahren im Gange ist, jetzt 146 000 Köpfe betragen; in Wolhynien sollen ihnen 12 pZt. des gesamten Ackerlandes gehören. Schon 1887 war der Landerwerb durch Ausländer in den westlichen Provinzen verboten; durch den Antrag Stolypin sollen aber auch die Deutschrussen getroffen und alle nichtorthodoxen Kolonisten vom Erwerb und von der Pacht von Landgütern ausgeschlossen werden. Auch die Ver - erbung von Grundbesitz wird auf direkte Nachkommen und überlebende Ehegatten beschränkt; der Erbe aus einer Seiten - linie muß das Erbgut veräußern und zwar binnen drei Jah - ren, auch wenn es seit 200 Jahren im Besitze der Familie ist. Man spricht davon, daß dies ein „Feldzug gegen die Kultur" sei, daß solche Maßnahmen aller Kulturemwicklung Hohn sprechen. Nun, wir erblicken ein Ziel der wirk - lichen Kulturentwicklung im Uebergang der Bodenbewirt - schaftung in den gesellschaftlichen Betrieb, womit den unauf - hörlichen widerlichen Balgereien um den Besitz des Grund und Bodens ein Ende gemacht werden könnte. Aber was in Rußland vorgeht, ist nur ein Besitzwechsel, der willkürlich vor - genommen wird, um eine mißliebige Bevölkerungsschicht zu expropriieren und „echt russische Leute" mit dem Grundeigen - tum, dessen Preise künstlich gedrückt werden, zu belohnen. Das Geschrei unserer „nationalen" und alldeutschen Kreise über dies brutale Vorgehen gegen die deutschen Kolonisten an der Westgrenze Rußlands würde viel lauter sein, wenn man nich> befürchten müßte, die russischen Politiker möchten mit wohl - begründetem Hohn auf die Dinge Hinweisen, die in den „Ost- marken" Deutschlands vor sich gehen. Wir haben die ver - fehlte preußische Polenpolitik, die nur zu Miß - erfolgen geführt hat, schon des öfteren kritisiert. Der Kampf zwischen polnischem und preußischem Großgrundbesitz, der Da sich abspielt, interessiert uns an sich wenig; die polnischen Großgrundbesitzer sind genau die gleichen beutegierigen Agrarier, wie die ost- und westpreußischen Junker. Aber Stolypin kann sich darauf berufen, daß ihm der Kulturstaat Preußen mit gutem resp, schlechtem Beispiel vorangegangen ist. Auch die polnischen Angehörigen des preußischen Staates und des Deutschen Reiches werden von der junkerlich dirigier - ten preußischen Politik als staatsfeindliche Elemente verfolgt, und das Enteignungsgesetz, mit welchem man der ge - schickten Spekulation und Organisation der polnischen Agra - rier, die so viele geschäftliche Erfolge erzielt haben, begegnen will, geht in einem Punkte sogar über die Stolypinschen Maß - regeln hinaus. Die preußische Regierung zögert, dies Gesetz anzuivcnden, weil sie offenbar davon eine Verschärfung der nationalen Gegensätze und nicht vorher zu sehende Mißerfolge befürchtet. Aber die hakatiftischen Agrarier drängen uituus- hörlich und es wird wohl kaum noch lange dauern, bis sie die Regierung aus ihrer Reserve herausgedrängt haben. Man kann hier deutlich ersehen, wie die Bestrebungen der russi - schen und der preußischen Reaktionäre parallel laufen. Sowie der große Bismarck, das Idol der Junkerschaft, eigentlich ein russischer Staatsmann war, so ist auch das Bestreben seiner „kümmerlichen Epigonen" darauf gerichtet, immer mehr russische Maximen in die deutsche Politik einzuführen. Klassen und Kasten, die von der Staatsweisheit des über - lebten russischen Despotismus zehren, bilden in einem zivili- - fierten Volke, wie es das deutsche ist, einen Fremdkörper. Die ans unsern sozialökonomischen Zuständen hervorgehende und mit unserer allgemeinen Bildung zusammenhängende Knltureniwicklung muß diesen Fremdkörper ausscheiden, den sie aus die Dauer nicht mehr verträgt. K. k. Imperialismus. Wien, 13. November. Während da? Haus des allgemeinen Wahlrechts seit dem Juli d. I. von seiner Tätigkeit abgehalten wird, weil die Re - gierung ohne Majorität ist und ihre Parteien sich wegen der nationalen Frage nicht einigen können, sind die sogenannten Dele - gationen — jene Mißgeburten des Dualismus, die dem Schoße des österreichischen Reichsrats wie des ungarischen Reichstages entstammen — seit einigen Wochen zu einer Tagung versammelt, die längst fällig war, infolge der durch die bosnische Annexion herborgerufcnen weltpolitischen Krise und Kriegsgefahr aber auf ihre regelmäßigen Verhandlungen verzichten mußte. Denn der starken demokratischen Strömung in fast allen Nationen, ja gerad« ihretwegen hüten sich die Machthaber Oesterreichs, die parla - mentarischen Körperschaften einzuberufen, wenn sie ihrer nicht ganz sicher sind und gewärtigen müssen, daß sie da Dinge zu hören bekommen, die sie vor der europäischen Oeffenilichkeit zu kompro - mittieren geeignet wären. Diese Gefahr war aber ganz besonders imminent zurzeit des wegen Bosniens drohenden kriegerischen Konflikts. Wie peinlich und die „Großmacht"-Stellung Oesterreich- UngarnS degradierend wäre es gewesen, wenn slawische Politiker zugunsten Serbiens oder Ruhlands das Wort ergriffen, Deutsch- nationale das Hohenzollerntum, Klerikale den Papst, hätten hock- leben lassen! . . . Der Gedanke ist gar nicht auszudenken für einen schwarz-gelben Patrioten, und die Vorstellung, daß sein ge - liebtes HauS Habsburg vor aller Welt lächerlich gemacht worden wäre, vermag sein frommes Gemüt nicht zu fassen. Deshalb wurden die Delegationen, die einzigen Körperschaften des parla - mentarischen Oesterreich-Ungarn, wo offiziell über die aus - wärtigen Angelegenheiten gesprochen werden kann, nicht einberufen und daran gehindert, ihr freilich bedeutungsloses Votum abzugeben. Hof und Kamarilla wünschten einfach nicht, in ihren auswärtigen Geschäften gestört zu werden durch un - angenehme Gespräche rauhborftiger Abgeordneter, und das genügte, um die Delegationen mundtot zu machen zu einer Zeit, da sie es am dringenditen hatten, zu reden und die Meinung der Volks- masien zum Ausdruck zu bringen. Jetzt aber, da es sich darum handelt, die durch die Großmacht- bestrebungen verursachten Kosten zu decken, da von den imperia - listischen Machthabern die Rechnung ihrer abenteuernden Politik präsentiert ward, jetzt erinnerte man sich wieder der parlamentari - schen Karrikatur, so da Deleganonen heißen, und ließ sich vor den - selben herab, die äußere Politik und was dazu gehört, zu recht - fertigen. Vor allem galt es natürlich, die während der Annexions - krise in Anspruch genommenen Kredite und Ausgaben bewilligen zu lassen. Tas war die „reinste" Komödie, die man sich denken sann. Vor allem deshalb, weil ja die Delegierten vor einer vollendeten Tatsache standen und absolut keine Möglichkeit hatten, daran etwas zu ändern. Das Geld war pfutsch, wie man bei uns in Oesterreich zu sagen pflegt, und die Regierung dafür verantwortlich zu machen, fiel den bürgerlicken und adligen Herren, die den Delegationen angehören, nicht ein, um so weniger, als sie ja mit den Geschäften des Hauses Habsburg durchaus einver - standen sind, wenigstens die klerikalen und aristokratischen Dele - gierten. Tie Deutschbürgerlichen machen die auswärtige Politik nicht so ganz ohne Bedenken mit; in ihren Mannesbrüften kämpfen zwei Seelen: die eine, welche vor jeder Vermehrung der slawischen Elemente, die mit dieser Expansionstätigkeit des römisch-katholi - schen Geschäftshauses Habsburg verbunden ist, Grauen empfindet; die andere, die die kapitalistischen Vorteile des Imperialismus nicht preisgeben will. Natürlich ist diese letztere Seele die stärkere, und sie erhält ein um so bedeutenderes Uebergewicht, als die Erfahrungen gelegentlich der Okkupation Bosniens, wo die Deutschen in Opposition standen, diese von der Schädlichkeit einer solchen überzeugt haben. Der Hof „schnitt" seither die Deutschen und strafte sie dafür, daß sie feine Groß - machtpläne zu durckkreuzen versucht batten, und in weiterer Folge gelang es den Tschecken. sich an die Machthaber anzubiedern und unter ihrer Protektion die Deutschen in der Hofgunst nicht nur, sondern auch in der Gesetzgebung und Verwaltung zurückzudrängen. Diese- «chicksal hatte freilich die Teutschen gewitzigt und ea hierzu noch die Erkenntni« der kapitalistischen Vorteile des Imperialismus kam, so stimmten sie jetzt mit Hurra für alles, was die Regierung für den Militarismus forderte. Dasselbe tat ein Teil der Tschechen, die freilich während der Nnnexionskrise „Manderl" gemacht hatten, nämlich bockbeinig gewesen waren, indes ein anderer Teil alle auswärtige Politik der Regierung ebenso wie die Sozialdemokraten ablehnte, freilich ohne der Re - gierung ernstere Verlegenheit zu.Bereiten. Die Delegationsberatungen waren aber noch aud einem andern Grunde eine Komödie. Ganz abgesehen davon, daß von einem eigentlichen Budgetrecht überhaupt nicht die Rede ist, weil ja die Geldbiüvilligung den beiderseitigen Parlamenten obliegt; ist diesmal von der Heeresverwaltung nicht bloß das normale Erfordernis beantragt, sondern auck dasjenige, welches durch die Kriegsgefahr bedingt war. Und nicht genug daran: In diesem letzteren Teil waren auch schon solche Ausgaben enthalten, die die Vergrößerung des militärischen Apparates in Zukunft verursachen müssen. Das Reichskriegsministerium nahm die durch die Annexionskrise herbeigeführte — erwünschte — Ge - legenheit auch dazu wahr, um längst gehegte „Bedürfnisse", die man wegen der Nachbarstaaten und der ^oppositionellen Abge - ordneten bislang tief im Busen verschlossen hatte, mit den Rüstungskrediten zu befriedigen. Konnte man schon nicht die Erhöhung des Rekrutenkontingents durchsetzen, so nahm man wenigstens eine ausgiebige Vermehrung der Truppenstäbc und Cadres, deS kriegsmäßigen Materials — der Geschütze und Muni - tion, der Verkehrsanstalten usw. — vor, um so unbemerkt von lästigen Beobachtern in den Besitz von Dingen zu gelangen, die man sonst coram publico hätte amvrechen müssen. Erwägt man diese Tatsache, bann tritt der Charakter der bosnischen Annexion als eines dynastisch-militärischen Ge - legenheitsmanövers zur Vervollständigung der Rüstun - gen plastisch vor Augen; bann wirb es klar, baß es nur Mittel zum Zwecke war, bic weiteren Aspirationen bes österreichisch, ungarischen Imperialismus vorzubereiten. So ein „kleiner Spaziergang" nach Belgrab — in der Vor - aussetzung, daß die russischen Kanonen nicht losgeben — wäre übrigens nicht unwillkommen gewesen den politischen Parade- generalen, woran es uns Oesterreichern sowenig mangelt wie etwa in Deutschland. Man hatte sogar alles getan, um Serbien ÄU provozieren und hatte sogar eine Art Rechtfertigung vor - bereitet: die serbischen Umtriebe in Bosnien, die man dokumenta- rtfd) zu erweisen versuchte. Gerade während die Kriegsgefahr am höchsten war, unternahln es ein dem Ministerium des Aeuhern nahestehender Schriftsteller in der „Neuen Freien Presse", die das offiziöse Organ des genannten Ministeriums ist, und die Anwandlungen der 1. L Militärpolitiker mit „tiefgründiger" Geichicktsphilosopbie zu beschönigen pflegt, die angeblichen An ichlage «erbiens auf die unschuldige .Habsburger Monarchie zu enthüllen. Da hierbei auch kroatische Politiker deS Hochverrate' bezichtigt worden waren, kam es zu einem Prozesse, der die Haltlosigkeit der offiziösen Anschuldigungen ergab und die öster - reichische Diplomatie vor aller Welt bloßstellte. Und diese Bla mage wird jetzt vollendet durch bic Behauptung eines sonst ernst zu nehmenben tschechischen Politikers, des Abgeordneten, Pro fessors Ma s a r h k, wonach die Dokumente, welche daS Ministe - rium des Aeußern zum Nachweise der serbischen Umtriebe seinem Leibhistoriographen Dr. Friedjung beigestellt hatte, Fälschungen seien, die der österreichische Gejandie in Belgrad veranlaßt Haden soll. Die Sache ist nichi unwahrscheinlich, und da sie nicht bloß die Schlechtigkeit der k. I. StaatSlenker, sondern auch ihre Un geschicklichkeit erkennen läßt, sogar sehr glaubwürdig. Wie immer auch diese Angelegenheit sich verhalten mag, eines geht aus der ganzen Geschichte des bosnischen Abenteurers und aus den Delegationsverhandlungen mit Sicherheit hervor: Daß der k. k. I m p e r i a l i s rn u s, der gleichsam die Renaissance bei katholischen Geschäftsbestrebungen, in bereu Diensten bie Habs Burger Monarchie steht, barstellen soll, eine für bie Völker dieses Staates äußerst gefährliche Sache ist und daß diese alle Kraft werden aufwenben müssen, um sich von der unwürbigen Landsknechtrolle, die ihnen die klerikale Großmacht - politik des Hofes zumulet, dauernd zu befreien. Demokratie und Imperialismus sind unversöhnliche Gegen - sätze, und ein Staat, dessen Nationen vor allem um ihre eigene Wohlfahrt und Kultur kämpfen müssen, ist ein höchst ungeeignete? Instrument zur Verwirklichung von Aspirationen, die lediglich Ileriialen und zäsaristischen Interessen dienen. Nicht beShalv Haden sich bie Arbeiter Oesterreichs das allgemeine gleiche Wahl, recht erobert, um sich des Einflusses auf die äußere Politik zu begeben und das Parlament bann kaltstellen zu lassen, wenn seine Mitwirkung von bet Sicherheit ber Völker am bringenbften ge= forbert wird. Wenn schon bie Bürgerlichen es dulden mögen, daß die Kriegsverwaltung Aufträge zum Bau von Dreadnougths an private Werften heimlich vergibt, die sie offiziell ableugnetf bie Arbeiter werden ein solches spiel mit den wichtigsten Rechten der Volksvertretung nicht hinnehmen, ohne die endliche Beseiti - gung ber Delegationen zu begehren, die dem Imperialismus de« Hofes Vorschub leisten und die Völker um den Wert ber Wahl- reform betrügen Helsen. S. K. Politische Uebersicht. Eine konservative Kriegserklärung an den Liberalismus. Ueber die Frage: „Wohin führt der Liberalismus?" hat vor einiget Zeit in Dresden ein Hauptmann a. D. Mein- hold einen Vortrag gehalten, au5 dem jetzt der sächsische Konservative Landesverein einen Auszug verbreitet, mit dessen Inhalt sich also offenbar die sächsischen Konservativen identifizieren Auch die agrarische „Deutsche Tageszeitung' teilt aus den Auslassungen einige Stellen mit; freilich mit der Erklärung, sie sich selbst nicht zu eigen machen zu wollen Sie hätte die Verwahrung ganz gut sich sparen können, denn AehnlicheS hat auch bas Agrarierorgan frfjon oft gesagt, wenn es sich auch scheute, fo_ scharf bie politischen Konsequenzen zu ziehen. Die zitierten Stellen lauten: „Wir sind hypnotisiert durch einen gang falschen Begriff, indem wir anen Unterschied macken zwischen bürgerlichen Parteien und Sozialdemokratie, und bie freisinnige Partei als bürgerliche Partei stützen zu müssen glauben. M i t bie s er Vorstellung müssen wir brechen und anstatt dessen unterscheiden zwischen vater - ländischen und internationalen Parteien, wobei die jüdische Händlerpattei von selbst auf die Seite ber internationalen Par - teien fällt und sich dort mit der Sozialdemokratie trifft. Dic theoretischen Ziele beider Richtungen sind von Grund au8 ent- gegengesetzt. Was sie verbindet, ist einzig der Kampf gegen dic Autorität des Staates und gegen den Schutz der nationalen Arbeit. E i n Block, der die konservative Partei mit der jttb i • schen Händlerparte i zu gemeinsamer Arbeit einigen soll, ist eine vollkommene Unmöglichkeit. Vielmehr müssen wir den Freisinn mit ebenderselben Schärfe als den Feind des nationalen ©taatei bekämpfen, toie mir bie «Sozialdemokratie be - kämpfen. UeberantiDorten wir bann durch unsere Stimm- enthaltung von vornherein d i e Sitze ber Freisinnigen ber stärkeren Sozialdemokratie, so ist das keine Vergrößerung der bestehenden Gefahr. Vielmehr ist es eine Klärung der bisher verschwommenen Lage. Die Konservativen selbst werden zu strafferem Zielbewutztscin aufgemuntert, da« bisher vielfach sehr im Argen lag. Vor allem verhelfen wir den Nationalliberalen zur Klarheit, wo - hin ihre neuerliche Linksschwenkung führt. Und alle ordnungsbedürftigen Volkskreise, die aus BegriffSder- Wirrung vielfach eine zweideutige Stellung einnehmen, werden »[40] (Nachdruck verboten.) Das Äuge des Schlafenden. Koman von Seorg von der öavelcntz. Sie weinte nicht, denn die letzten Tranen waren längst versiegt. Sie klagte auch niemand ihr Leid; mit Wern hätte sie auch reden sollen? Die Menschen um sie herum waren ihr fremd und gleichgültig. 7 Cyprian Holzer erwartete viel von der Zeit. Er jagte sich, wie brunten im Backtobel bas Wasser tiefe Rinnen burdi harten Fels grub unb mächtige Blöcke fortwälzte, so mußte allmählich auch von ihm und Mjuta bie Vergmmenheit weggcschwemmt werben, und da er in seiner einfachen Art trotz allem an einen geregelten Lauf menschlicher Schicksale unb sein gutes Recht ber Vergeltung angetanen Unrechts glaubte, so meinte er, so ober so werbe enblich ber Friede wieder auf dem Hofe einkehren. Es kamen ihm sogar Augenblicke, in denen er erwog, das Kind Annas mit freiem .Herzen in bie Reckte bes Hoferben einzu - fetzen, bie es jetzt nur nach außen hin besaß, und baniit seiner Tat eine Entsühnung, Anna aber eine Art Genugtuung zu schaffen. Doch dazu gehörte eben Zeit, und erst diese konnte in bas bunkle Wirrsal Licht bringen. Zunächst mußte er über Annas Gedanken und Empfindungen ins reine kommen; gerade dabei aber geriet er in schwere Bedrängnis Er ahnte, daß Anna noch immer nach dem suchte, ber am Tode bes Geliebten bie Schulb trug. Und er tauschte sich nicht. Anna war überzeugt, daß ihr Mann ihn kannte. Sie war überzeugt davon seit jenem Abend, da sie in seinem Wesen das Unsichere empfunden, da sie seinen jähen Zorn gesehen und er ihr zugeschworen hatte: „Ick war's nicht." Denn auch mit ungetrübtem Ohr batte sie einen Mißton aus diesen Worten gehört. Sie batten geklungen, wie wenn man an einen bronzenen Hasen schlägt, ber einen Sprung hat. Ek war an einem der ersten Frühlingstage, als Anna wieder einmal Nach Monaten bet Abgeschiedenheit aus dem Kasereck den Weg nach Gand und zur Messe sand. Ihr Mann konnte sie nicht begleiten, denn er hatte bei einer ohne Zweck und Ziel in ber Dämmerung unternommenen Wanberung mit dem Stutzen durch den Wald sich in einem «chneeloch den Fuß vertreten und mußte nun zu feinem nicht geringen Aerger einige Tage untätig auf ber Bank sitzen bleiben. So toanberte Anna allein, unb sie freute sich dessen. Es war ihr ganz sonderbar unb fast fremb zumute, al« sie nach langen Wochen im Tal mit einem Male wieber unter Menschen kam, als sie auf der noch immer schneebedeckten Dors- gaffe unb vor bem alten Kirchlein bic Bekannten wiebersah; hatten boch Monate ber Einsamkeit trennenbe Ferne zwischen sie unb bie anbern gelegt. Aber bald sand sie sich wieber zurecht, unb sie fühlte sich fast glücklich unter ber Menge, die heute zum ersten Mal wieder statt ber bichten Vermummung des Winters hellere und freundlichere Gewänder angelegt hatte. Man säumte auf bem Wege zur Kirche, um sich ein paar Worte zuzurufen, um dem unb jenem die Hand zu brücken. Es gab ja so mancherlei zu fragen und zu hören, ob bie Lawinen niemandem «chaden zugefügt, ob der Schnee kein Dach ein - gedrückt oder der Sturm kein «tadel umgetoorfen, ob Mensch und Vieh in der harten Gefangenschaft der Winterriefen gesund geblieben. Auch von dem wurde geredet, das unterdessen draußen in ber Welt der anbern Menschen Oorgegangcn war, in Tirol, im Reiche ober gar im fernen Auslanb. Davon wußte der „Burggräfler" zu berichten, der int Gasthof gehalten würbe unb zweimal in ber Woche von Viehpreisen unb Märkten, von Ministerreden unb von ben Reisen des Statthalters ober Bezirkshauptmanns, von Un - fällen und aitbcrm immer im gleichen^ Plauderten erzählte. Konnte int Winter kein Weg durch bie Sckneemasfen nach dem Vintschgau hinab gebahnt werden, so mußten sich die Dorf - bewohner freilich oft wochenlang vertrösten und ohne solche Kettigs eiten auskommen. Aber ärgerlich war das keinem; sie verschliefen eben ihre Langeweile, wie c8 die Bewohner ber ab - gelegenen Berghöfe noch viel öfter tun mußten. Mit berfclbcn Neugier unb Teilnahme, mit ber Anna auf die Fragen unb Erzählungen ihrer Bekannten acht gab, folgte sie auch ber Messe, unb sie betrachtete bett Pfarrer im gestickten, weißen Gewand, bas Kruzifix unb bic geschnitzte Muttergottes über bem kleinen Altar mit ihrem rosa Gesicht unb ben blauen und roten Geioändern, als wäre sie feit Jahren nicht mehr int Kirchlein gewesen. Sie hatte gemeint, bas alles sei für sie gar nicht mehr vorhanden; aber nachdem sie es so lange entbehrt hatte, faßte es sie bock mit der Gewalt alter, eingewurzelter und lieb geworbener Gewohnheiten. Trotz allem Räuspern und Spucken unb Husten der Gemeinde wickelte der Pfarrer den wohlgedrebten Faden feiner Predigt ab. unb Annaö Blicke i'vigc,. an jeber seiner Handbewegungen und an si':.,em gutmütigen, runden Gesicht, selbst an feinem Breiten Rücken, als er mit ruhigen Bewegungen am Altar amtierte. Neugierig beugte sie sich zur Seite, um ben Buben ber etnbelbäucrtn sehen zu können, ber den klappernden Weihrauch- keffel schwang; mein Gott, war ber rm Winter gewachsen! Unb sie bemerkte, wie die buftenben Wolken emporsticgen und für einen Augenblick das gelangweilt lächelnde Antlitz bcS hölzernen Marienbildes umspielten. Es erschien ihr sogar fast wunderbar, daß diese darüber keine Miene verzog; wie komisch wäre es ge - meiert, wenn sie plötzlich ben Kopf abgeroenbet hätte. Alles interessierte sie und wiegte ihre Sinne in weichen Nebeln friedlicher Bilder. Tack, ihre Blicke, bic, neugierig und verstohlen, in bem hämmernden Raume umherirrten, trafen plötzlich die Bankecke in der zweiten Reihe, in der sonst Jakob Jörger gesessen hatte. Jedes einzelne Gesicht in der Kirche war Anna feiMangem be - kannt; nur den jungen Mann mit herabhängendem Schnurrbart, der jetzt drüben saß und den sie schon im Vorübergehen mit einem flüchtigen Blick gestreift hatte, kannte sie nicht. Das war wohl der neue Besitzer vom Stallwieshof, da er sich auf den Platz Jakobs gesetzt hatte. Und sie gedachte von neuem bc8 Toten. In schmerzlichem Erinnern rief sic sich ben Druck seiner Hanb, den Blick seiner Augen, ben Klang seiner Worte ins Gedächtnis, alles das, was einst ihre Sehnsucht unb ihr Gluck ausgemacht hatte. Ein Gefühl der Ccbe, bes Vcrlaffeni'eins überkam sie, baß sie ihres ganzen Willens beburftc, um bie Tränen zurückzudämmen. Doch sie drängten in heißer Flut imitier wieder aus ihrer Brust und legten einen Schleier über ihre Augen. Aber Anna wollte sich enblich von bem Druck solcher Gebanken freimachen; sie preßte die blassen Lippen zusammen, unb ihre Finger faßten wie Klammern um ihr Gebetbuch, daß das Blut aus ihren Spitzen wich. Sie mußte immer schnell wieder Augen unb Sinnen auf bie Vorgänge ber Messe werfen, um sich aus bem Bann ber Vcrgang'enheit zu lösen. Die Amvcscnheit ber jungen Fran unter ben Anbächtigen in der Kirche würbe rasch von allen bemerkt. Man stieß sich an, man flüsterte sich gegenseitig Bemerkungen über sie zu und ließ manchen sorschenben Blick über ihre Gestalt laufen; auch ber Pfarrer auf der Kanzel sah einmal finster aus sie herab.. Die Männer waren einstimmig der Ansicht, sie >ci noch immer bie schöne Anna Brugger, toenn ihre Fuge auch etwas Herbes und Jnsickgekehrtes bekommen hatten und man jetzt ver - geblich auf ihnen nach dem früheren verführerischen Weien suchen konnte. Die Frauen fanden sie gealtert unb meinten, es gehe von ihr etwas Feindselige« unb Hochmütige- auS, das nur schlecht zu dem Ruf passe, in ben ihr Leichtsinn sie gebracht habe. Unter beiden Parteien in der Kirche aber gab es niemand, der nicht gern für alles in der Welt einmal einen Blick in das Herz der jungen Frau getan hätte, um darin nach den Spuren zu wühlen, die das Verschwinden Jörgers hinterlassen haben mußte, unb deren Tiefe zu betasten. Denn es war noch immer wie einst, man kannte sich in ihr nicht auS. Anna fühlte sehr wohl das Brennen der Blicke, die aus manchen Augenwinkeln auf ihr Antlitz zielten, aber sie kümmerte sich wenig darum und empfand diese Neugier als einen Angriff, dem sie innere Mißachtung und ein trotziges Schürzen der Lippen entgegensetzte. Darum hielt sie auch den Kopf 'fiodfr als sie durch die niedrige Kirchtür, au8 bem burnpfen, engen Raum, in dem es nach Menschen und nassen Stiefeln, nach kalten Steinen unb Weih- rauchgewölk roch, an den frischen Wintertag trat. Welche Helle rings, welche Sonne und Freibeitl Die junge Frau atmete tief auf mit weiter Brust, unb ihre Wangen färbten sich. Fast verwirrte sie das grelle Licht, das auf sie einbtang, und als die Bekannten an ihr vorübergingen und sich nach ihr um- schauten, war e8 ihr, als leuchte e$ durch sie hindurch und ent - blöße ihre innersten Gedanken und Empfindungen. Darüber lächelte sie einen Augenblick verlegen unb in seltsamer Erregung und fand nicht gleich Antwort, als Maria Planer ihren Stm be rührte unb sich erkundigte, toie bic neugekauften Hühner bürd' den Winter gekommen seien. Vom Dach ber Kirche fielen btamantene Tropsen; die ersten, vom Schnee befreiten Gräser blitzten; selbst die schwarzen, her- Witterten Eisenkreuze des Friedhofs waren von Nässe über- rönnen unb glänzten. Ein Zitern ging burch die klare Luft wie bie Ankiinbigung des nahenben Frühlings, unb bie Baumwipfel bchtcit ihm unter ben Schauern des Saftes entgegen, bet ans den Wurzeln emporstieg. Der Wilbback war >eit einigen Tagen stark angeschwollen, sein Brausen tobte über das Dorf unb verschlang jetzt fast alle anbern Geräusche. Seine milchweißen Wellen hasteten und lärmten int tief gegrabenen Bett, rannten ungeduldig hinter einander her, rollten über Steine und überschlugen sich selbst im Laufe; denn sie batten Eile, ans tausend Bächen und Rinnsalen von Wäldern, Wiesen und Almen die Reste des schmelzendeii Scknceö :alab zu führen. In Gruppen, plaudernd, lachend oder mit ernsten Mienen über ernste Tinge redend, so stapften die Bauern mit Knechten. Mägden unb Kindern durch den erweichten Schnee ihren Hö/en wieder zu, soweit sie nicht noch in Behaglichkeit einen Trunk im Gasthof nahmen. f»igQ