Nr. 36. TommvcnÄ, Sen 11. Februar 1611. 2s. Jahrganq. LamvurgerEcyo. Da« »Hamburger »djo* trfdjemt ISgltch. ou8er Monlag« Abonnementspreis (tnlL „Tie Neue Welt" und „Tie arbeitende Jugend") durch die Post bezogen ohne Bringegeld monatlich x i.so. vierteljährlich x 3,«0; durch die Kolvorteure wöchentlich 30 4 frei in« fcau«. Ein,. Nr. 5 *. SonntaaS-Nummer mit illustr. Beilage »Tie Neue SSSell* 10 4. Kreuzdandsendungen monatlich A 2.70, für da« Ausland monatlich * 8,60. Verantwortlicher Redakteur: »ruft Köpke in Hamburg. Redaktion: *, r of Expedition: Fehlandstrast« 11. 1. Stock. yaMvllrg Fehlandstraste 11, Erdgeschoß. Anjeigen die sechSgespalten« Petilzeile oder deren Raum 3b 4. »lrbeitSmarkt. riermietunqs und- Kamilienanzrigen 20 4. Anjeigen-Annahme geblandstr. 11. Erdgeschoß bis 5 Uhr nachmittags,, in den Filialen (bis 4 Uhr nach,».), sowie in allen Annoncen-Bureaur. Platz- u. Datenvorschrislen ohne Verbindlichkeit. 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Vor dem, was die nach st en Reichstagswahlen bringen werden, hat man im konservativen Lager eine gewaltige Angst. Man sicht voraus, daß es mit der Mehrheit der Junker und Pfaffen ein Ende nehmen wird, wenn von bürgerlich-liberaler Seite der Kampf ernsthaft mit allen Konsequenzen ausgenommen wird. Darum werden immer erneut Versuche gemacht, die liberalen Spieß - bürger, deren es leider noch so viele gibt, vor den Folgen der Reichstagswahlen, wenn sie eine erhebliche Verstärkung der Sozialdemokratie bringen, graulich zu machen und sie ins Bockshorn zu jagen, damit sie sich abermals bereit finden sollen, der Reaktion Handlangerdienste zu leisten. Diesem Be - mühen liegt die „Kreuzzeitung" schr eifrig ob in einem langen Leitartikel über „Die kommenden Reichs - tagswahlen und die Sozialdemokratie". Sie beginnt mit einem Vorstoß gegen das Reichstagswahlrecht, das von den „verständnislosen" Masten als Waffe gegen den Staat benutzt werde, und dann heißt es weiter: „Wenn wir die verhetzende Agitation betrachten, die nach der Annahme der Rcichsfinanzreform gegen die Mehrheit deS gegen - wärtigen Reichstags eingesetzt hat und noch immer ihre schmutz gen Wellen wirft, so entdecken wir nirgend eine Spur von Rücksicht auf das gemeine Wohl, das Interesse des großen Ganzen. Bei der sozialdemokratischen, den krassesten Klassenstandpunkt vertretenden Partei ist man ja das überhaupt nicht anders gewöhnt und auch von den Demokraten kann man sich keines Besseren versehen. Aber beim Liberalismus, der sich so gern als Hauptvertreter des Bürger - tums hinzustellen liebt, muß doch dieses völligen Mangel an Verantwortungsgefühl und unbegreifliche Kurzsichtigkeit verratende Verhalten als un- ver stündlich erscheinen. Wenn er seine Aufgabe darin erblickt, im Verein mit der Demagogie der äußersten Linken das politische Verantwortlichkeitsgefühl in weiten Kreisen der Wähler - schaft zu ertöten und die Anschauung zu verbreiten strebt, als käme es bei den nächsten Wahlen zum Reichstage lediglich darauf an, das von ihm als Schreckgespenst für politisch wenig geschulte und daher im Urteil über politische Dinge unselbständige Schichten erfundenePhantomeines sogenannten „schwarz - blauen Blocks" zu zertrümmern, koste es, was es wolle, so untergräbt er sich damit nur schließlich den eigenen Boden. Den Hauptnutzen von solcher Agitation hat — eine ganze Anzahl von Reichstagsersatzwahlen offenbarte das bereits hinreichend deutlich — die Sozialdemokratie. Gelingt es, einer Politik der Verärgerung und Ver - hetzung bei den nächsten ReickStagswablen zum Siege zu . £ ci helf e so dürste dgs Bürger tum, als deüeu. Hcuck M» her Liberalismus so gern aufspielt, in erster Linie d i e Nachteile am eigenen Leibe verspüre n." Und nun schildert das Junkerblatt in grausigen Farben die schrecklichen Folgen eines sozialdemokratischen Sieges. Da - bei kommt cs den „Kreuzzeitungs"männern — das gehört bei ihnen schon von jeher zum Handwerk — auf einige Fälsch ungen nicht an. So wird erneut der Versuch ge - macht, die Hamburger Schopen st ehlkrawalle der Sozialdemokratie in die Schuhe schieben, obwohl seinerzeit gerichtlich festgestellt worden ist, daß es sich nur um Aus - schreitungen des Mobs handelte, der die Gelegenheit benutzte, da die Polizei ganz überflüssigerweise das Kaschemmcnvicrtel von Beamten entblößt hatte. Aber die „Kreuzzeitung" fälscht die Tatsachen für ihre Zwecke noch weiter. Sie ver - legt die im Jönuar 1906 passiertet? Ereignisse in den Ja- naur 19 07, um das so viel bejubelte „Riedcrreiten" der Sozialdemokratie damit in Verbindung bringen und es als unmittelbare Folge jener Vorgänge darstellen zu können. Aehnlich wie mit den Hamburger Ereignissen von 1906 springt die „Kreuzzeitung" mit denen aus neuerer Zeit um, indem sie schreibt: Eine der nächsten Folgen eines großen sozialdemokratischen Wahlerfolges dürfte die Zunahme der vom Zaune ge- brochencn, reinen Machtgelüsten entspringen- den Ausstände sein. Und welche Begleiterscheinungen die nach sich ziehen werden, darüber kann man nach den Kra - wallen in Moabit und auf dem Wedding in Berlin, in Bremen und anderen Orten nicht mehr im Zweifel sein. Auch die Wahlrechtsdemonstrationen in Preußen wur - den zweifellos mit erhöhtem Eifer wieder ausgenommen werden. Das neue Vcrcinsgcsctz hat ja den Demagogen ihr Volks- verhexendes Handwerk wesentlich erleichtert, wie auch die mehr - fach gezeigte Nachgiebigkeit der Behörden tm Punkte der Ge - währung von Versammlungen unter stetem Himmel und Straßenumzügen, sogar mit Mustkkorps, die revoluKonare Lieder und Sräcsche spielen, und mit sozialdemokratischen Sangertrupps, die Begehrlichkeit und das Selbstbewußtiein der auS^iprochen umstürzlerische Ziele verfolgenden Sozialdemokratie nicht unwe- ,Cn Es Gf eine alte Erfahrung, daß jeder Erfolg auf demagogi- icke Ricktunaen förmlich berauschend wirkt . . . . Die in allen demagogischen Künsten so geschulte Sozialdcmokatie weiß eS )a nur tu genau, welche berauschende Gewalt der Slcgestaumel, der . bette r f o la , das Bewußtsein der Un- widerstehlichkeit auf die Menge übt. Tiefer Glaube an bk Unüberwindlichkeit der Sozialdemokratie entflammt den fa- den Haufen der von Natur zagen und anwtlichen Gemüter, die ihr Heil immer darin suchen, mit der star.'ien ^arle^ zu gelen. Auf die Psychologie des Demoss verstehen sich die ^chuler der Marx und Engels ausgezeichnet. Darum erklärt das vom Rotkoller ergriffene Junkerorgan, eine nachdrückliche Bekämpfung der „Umsturzpartet musse zunächst darauf gerichtet sein, der Partei wirkliche Schlappen beizubringcn, die den Glauben an die Unuber- windlichkcit der Sozialdemokralic bei den fassen erschuttcln. „Die Niederlage von 1 907 war k-ln- nach- b altiae weil sie nicht von einem stimmen, nck- a a n ae bealeitct war. Immerhin hat sie doch den man - nen Uebermut der Umstürzler eine Zeitlanggedampst. ^w Liberalismus hat aber inzwischen dafur gesorg , daß jede Spur einer Wirkuiig dcö damaligen Mandatöver.t |fc ö in der Sozialdemokratie wieder verloren g g > G 1 Da die Erhaltung des schwarz-blauen Block» dm„K z. zeitung" natürlich sehr am Herzen l'egt, «umal er neuzu. wählende Reichstag auch über die zukunf ig Zolltarif s und der H a n d e l s v e r t r a g e zu entscheiden hat und die „Gefahr" nabeliegt wenigstens du ,chl^ sten Volksbelastungen, die den Agranern°enmentmV°rteiI «SWS«-«- kratie völlig verkenne. Und dann wird den Liberalen ordent - lich eingcheizt, um sie vor den Ansprüchen der Sozialdemo - kratie in Angst und Schrecken zu versetzen und sie ein - zuschüchtern, damit sie willig werden sollen, den edlen Junkern und Pfaffen vom schwarz-blauen Block zu helfen, die Sozialdemokratie niederzuringen zur höheren Ehre der Macht der Junker. Das Junkerorgan hält zum Schluß den Libe - ralen vor: „In der Tat würde ein die Staatsautorität schwä - chendes liberales Regiment dem Ziele der Sozialdemokratie ebenso förderlich sein, wie es jetzt die liberale Parteitaktik ist, die tm Volke die Er - kenntnis des Ernstes der sozialdemokratischen Gefahr mit aller Kraft verhindert. Der Liberalismus läbt eine schwere Verantwortung auf sich, wenn er fortfährt, durch seine Agitation die Blicke des Bürgertums von der schwersten Gefahr, die unserm Vaterland zurzeit droht, abzulenken. Die Reichs - tagsersatzwahlen seit dem Sommer 1909 haben zur Genüge ge - zeigt, daß seine Positionen der Sozialdemokratie gegenüber die allerschwächsten sind. Verschließt er sich gegen die Lehren, die daraus zu ziehen sind, so wird er d i e Folgen schwer genug am eigenen Leibe spüren. Das deutsche gewerbtätige Bürgertum, das in erster Linie die Folgen einer Verstärkung der Sozialdemokratie zu fühlen bekäme, hat alle Ursache, sich ernstlich zu überlegen, ob eS eine solche ver - hängnisvolle Politik mitzumachen gewillt ist." Die „Staatsautorität" ist im Munde der Junker bekannt - lich identisch mit ihrer eigenen Autorität, d. h. mit ihrer Herrschaft über den Staat. Diese zu er - halten, ist ihnen jedes Mittel recht. Sobald der Liberalis - mus nur ein wenig Einfluß auf den Staat gewinnt, ist diese „Autorität" in Gefahr. Da man aber doch die Liberalen nicht gut vor sich selber bange machen kann, so wird das alte Mittel angewandt, das sich schon so oft als probat er - wiesen hat. Man zitiert das „rote Gespenst", um daS hasenherzige Bürgertum von der energischen Verfolgung seiner eigenen Interessen zurückzuscheuchen. Oft genug schon haben sich die Liberalen durch diesen reaktionären Trick narren lassen, weil ihr kapitalistisches Gemüt die entschlossene Wahrung der unmittelbaren Arbeiterinteressen durch die Sozialdemokratie als ein Hindernis in der so hoch und heilig verehrten Profitmacherei empfindet. Wenn eS die Entscheidung zwischen Re - aktion und Sozialdemokratie galt, dann hat oft genug ein falsch verstau bene s Kla ss e n i n t e re s s e die liberalen Spießbürger zu vielen Tausenden ins Lager der Reaktion getrieben und sic haben den schlimmsten Fein - den einer bürgerlich-liberalen Entwicklung zum Siege verholfen. Die bürgerlichen Interessen sind dabei immer mehr unter die Räder gekommen. Daß cs wieder so komme, ist der Zweck solcher drohenden und warnenden Ergüsse wie der der „Krcuzzeitung". Sie rechnet auf die Unbelehrbarkeit derjenigen Liberalen, die noch immer nicht begreifen können, daß die bürger - lichen Interessen gegen die Macht der Junker nicht auf - kommen können ohne die Hülfe der in der Sozialdemokratie politisch organisierten Arbeiterklasse. Setzt der Libe - ralismus die Klassenfeindschaft gegen die Ar - beiter über die Notwendigkeit, Junker und Agrarierzubesiegen,dann dankterdamitfür alle Zeit ab, dann gibt er jede Möglichkeit auf, jemals im Staate die Geltung zu erlangen, die längst für das Bürger - tum hätte errungen werden müssen. Gelegenheit genug, aus der Geschichte zu lernen, hat der deutsche Liberalismus gehabt. Besonders eindringlich ist ihm die Logik der Dinge eingepaukt worden, nachdem der tragi - komische Versuch, mit den Konservativen im Bülow-Block liberale Politik zu machen, so elendiglich gescheitert ist, wie cs klare Urteiler voraussahen und voraussagtcn. Man sollte deshalb meinen, daß solche Einschüchterungsversuche von feiten der Reaktion endlich wirkungslos an den Liberalen abprallen müßten. Daß sie aber immer wieder gemacht werden, zeigt, daß man bei den Konservativen noch nicht alle Hoffnungen verloren hat. Man schätzt eben den Verstand und die Einsicht der Liberalen auf der Rechten beleidigend niedrig ein. Hoffen wir, daß diesmal die Reaktionäre sich wirklich verrechnet haben. Im eigenen Interesse des Libe - ralismus wäre das zu wünschen. Rüstungen und kein Ende. z. London, 8. Februar. Mit großer Spannung siebt man hier dem neuen Marine- etat entgegen. Zwar ist man allgemein auf eine weitere Ver - mehrung um wenigsten» 4 Millionen Pfund Sterling gefaßt, aber man will noch immer den Gerückten nicht glauben, bis man die Ziffern mit eigenen Augen sieht. Es wird aber schon kommen, und jedermann, selbst im liberalen Lager, fragt sich: wohin steuern wir? Was kann der Zweck, was kann das Ende dieser wahnwitzigen Verrnebrung der Rüstungen fein? Noch 1906 07, als die liberale Regierung ans Ruder kam, betrug der Marineetat „nur” 31,4 Millionen Pfund, was schon eine Zunahme um mehr als 10 Millionen gegenüber der Ziffer von vor zebn Jahren war. Seitdem aber ist der Marineetat um weitere 9 Millionen vergrößert worden und betrug 1910/11 nicht weniger als 40,6 Millionen Pfund. Soll er jetzt bis auf 50 Millionen binaufgeschraubt werden? Das würde doch binnen wenigen Jahren zum Bankerott des ganzen liberalen FinanzsystemS führen. Entweder würde man gezwungen sein, eine Anleihewirtschaft nach deutschem Muster einzuführen, oder man würde neue Steuern schaffen müssen, was direkt den Weg zum Schutzzoll ebnen würde. Jrn liberalen Lager herrscht ein großes Unbehagen; man fühlt, man blamiert sich bis auf die Knochen und untergräbt die tiefsten Grundlagen des Liberalismus. Und wirklich, so skandalös wie die liberale Regierung auf diesem Gebiete geschaltet und gewaltet hat, könnte auch die reaktionärste Junkerregierung der Tories nicht schalten und walten. Die Frage der Einschränkung der Rüstungen und der Ausgaben für Rüstungen war der Gegenstand einer der lautesten und populärsten Kampfparolen der liberalen Partei in den berühmten Wahlen von 1906. Mit dieser Parole haben sie den imperialistischen Gegner aufs Haupt geschlagen und eine unge- heuere Mehrheit der Stimmen im Lande und der «itze im Unter - baufe bekommen. In der Tat haben sie gleich im ersten Jahre den Marineetat von 33,1 auf 31,4 Millionen herabgesetzt und dann wieder 1907 bi» 1908 auf 31,2 Millionen heruntergebracht. Aber schon der Etat von 1908 09 zeigte eine bedeutende Vermehrung um 900 000 Pfund, dann stieg er 1909 10 mit einmal auf 35,8 Millionen und endlich 1910/11 wieder auf 40,6 Millionen Pfund Sterling Untersucht man diese Ziffern näher, so erhellt, daß das Anschwellen des Etat» einzig und allein auf da« Anschwellen der neuen Rüstungen zurückzufuhren ist. 1906,07 wurden für Neubauten — hauptsächlich von Trcudnoughts — 10,4 Millionen au »gegeben, eeitbem wurde für Neubauten ausgegeben: 1907/08 : 8.8, 1908 09 : 8,8, 1009 10: 11,2, 1910/11: 14,9 Millionen Pfund Sterling, insgesamt irt den fünf Jabren der liberalen Wirtschaft nicht weniger al« 54 Millionen Pfund! So hat der Liberalismus die Rüstungen und die Ausgaben für Rüstungen eingeschränkt! Was war der Grund dieser schamlosen Verletzung aller Ver- pflichtungen und aller Prinzipien de» eigenen politischen Glaubens ? Natürlich das Wetteifern mit Deutschland. Der bloße Gedanke, daß eine andere Macht sich angemaßt bat, eine starke Flotte zu bauen, genügte, um den englischen Liberalismus in allen feinen Grundpfeilern zu erschüttern. Freilich, das Wissen, daß Deutschland eine große Flotte baut, war schon 1905/06 vorhanden, als die liberale Partei für die Einschränkung der Rüstungen agitierte. Allein damals stand an ihrer Spitze ein Mann, S i r Henry Campbell Bannerman, bei dem das Wort und die Tat nicht auSeinanbergingen, und seitdem führt die Partei ein Herr wie Asquith, der ein Imperialist wie der erste beste Tory ist und nur mit Rücksicht auf feine radikaleren Kollegen nicht ganz nach feinen eigenen Neigungen handeln kann. So ist, seitdem er 1908 an die Leitung der Partei und der Regierung angelangt ist, der Marineetat ungeheuer gestiegen, und die Dreadnoughts ver- mehren sich von Jahr zu Jahr. Mußte die liberale Regierung so handeln, wie sie tatsächlich gehandelt hat? Gesetzt, England müne seine Seeherrschaft be - wahren. Gesetzt, eine politische Verständigung oder wenigstens eine Verständigung über die RüstungSfrage fei, bant der Ab - neigung Deutschlands, mit ihm unmöglich. Folgt eS. selbst vom bürgerlichen und, sagen wir „patriotischen" Standpunkt aus, daß dieses Wettrennen an Rüstungen notwendig war oder ist? Als die liberale Regierung im März 1909 die plötzliche Erhöhung des MarineetatS von 8,5 auf 11,2 Millionen für Neubauten Vorschlag, war da« Verhältnis der Seekräfte zwischen England und Teutsch- land wie folgt: England besaß (um nur Linienschiffe zu rechnen) eine moderne Schlachtflotte von 45 Schiffen, darunter 7 Dread - noughts, 2 Nelsons, die zu gleicher Zeit (1905) mit dem ersten Dreadnought gebaut worden waren und von vielen Autoritäten all selbst diesem überlegen betrachtet werden, und dann 8_fiing Edwards, ebenso viele Formidable« und endlich 20 estvas ältere Tunccnl, Canopus und MajesticS. Ter Deri dieser Schiffe ist darau« eu ersehen, daß die King Edwards 1909 ihresgleichen nirgends, außer in der amerikanischen Flotte, hatten, während die Limenjchifte der Dreadnought-Klasse, die Deutschland zu jener Stunde baute, nur etwas besser al« die zuletzt in der Reihe ge - nannten NajcstirS waren. WaS vermochte denn Deutschland dieser Flotte gegenüberzustellen? Es besaß zu jener Stunde noch keine einzigen fertigen Dreadnought, und feine ältere Schlacht- flotte bestand aus 24 älteren Schiffen, von denen kein einzige« sich entweder mit den Nelsons oder den King Edwards messen könnte und nur sehr wenige den Formidables ebenbürtig waren. Dal Kraftverhältnis also war 45 gegen 24, und dabei Schiff für Schiss fast unvergleichlich überlegen. Aber Deutschland war emsig an der Arbeit, ein großes Flottenprogramm auszuführen, und jedes Jahr, ja jedes Halb - jahr vermehrte seine Seekräfte. ES galt also, für die Zukunft zu sorgen. Bereits 1906 riefen die Toryblätter: caveant consules! Deutschland, hieß eS damals, würde schon 1910 eine schlagfertige Flotte besitzen und England müsse entweder vor jenem Jahre Krieg führen, oder sich wenigstens 10 neue Dreadnoughts ver - schaffen. Aber selbst von denselben Tories wurde eS im März 1909 eingesehen, daß diese Schwarzmalerei eine reine Phantasie war: selbst im Dezember 1910 werde Deutsch- Irj*- vrogrammähig nicht mehr als fünf gegen zehn -wqjfCjeyc Treadnougtvs vaoen, unt> da vue jtiant-eruu..u.v in den älteren Schissen dasselbe wie früher sein werde, so könne England bis dahin ganz ruhig schlafen. Aber — und daS wurde mit aller Emphase betont — im Frühjahr 1912 werde (um die damaligen Worte Balfours, des Führers der Opposition, zu gebrauchen) „die Gefahr für England so groß sein wie noch nie im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte!" Zwar seinem Bauprogramm nach dürfte Deutschland Ende März 1912 nicht mehr als 13 Linienschiffe der Dreadnoughtklasse besitzen, allein cS gebe sichere Angaben, daß die deutsche Marineverwaltung geheim daSBautempo 1908 beschleunigt und auf denDerften Maß - nahmen getroffen habe, auch in den folgenden Jahren den Bau zu beschleunigen. Man dürfe — so erklärte Balfour im Unter« Hause im Marz 1909 — sicher annehmen, daß Deutschland im Frühjahr 1912 nicht 13, sondern 21, und wenn eS seine Bau - gelegenheiten tüchtig auSnützen sollte, gar 25 Dreadnoughtsschiffe besinn werde. Was würde dem gegenüber England aufweisen können, falls es nickt mehr bauen sollte? 12 Treadnouhts, und nickt mehr! ES sei also Har, England müsse sofort weiterbauen, mindestens 8 Dreadnoughts sofort auf den Stapel legen und weitere 8 1910 bis 1911. Tie Regierung war mit diesen Berecknungen unzufrieden. Auch sie wußte ganz genau, daß die deutsche Marineverwaltung das Bautempo ohne Wissen des Reichstages beschleunigt hat, aber so groß, wie Herr Balfour meint, sind die deutschen Baugelegen - heiten nicht. Wie immer das deutsche Marineamt sich anstrengen mag, wird die deutsche Flotte im Frühjahr 1912 nicht mehr als 17 Dreadnoughts besitzen. Auf dieser Ziffer aber muß man fußen, und dementsprechend die SBauanlagen machen. Vier Dreadnoughts sollen sofort auf Stapel gelegt werben, und sollten sich die Befürchtungen in bezug auf die deutschen Neubauten be - stätigen, so müssen 1910 und 1911 weitere vier begonnen werden. Dann wird England im Frühjahr 1912 20 gegenüber den deut, schen 17 Dreadnoughts besitzen. Wie bekannt, hat Herr v. Tirpitz sofort im Reichstag erklärt, die Befürchtungen der Engländer seien grundlos. Tas deutsche Marineamt habe daS gesetzmäßige Bauprogramm nicht uber- schritten und werde 1912 — und zwar im Herbst, nicht Fritbiahr — nur 13 Dreadnoughts besitzen. Tas gab der radikaleren Gc-, folgschaft der englischen Regierung, die auch ohnehin nur wenig Wert auf die Berechnungen der englischen Admiralität fegte, den Anlaß, die Herabsetzung des vorgescklagencn Programms zu for - dern. Deutschland, erklärten sie, werde im Frühjahr 1912 etwa neun, höchstens zehn Dreadnoughts haben, England aber werde auch ohne neue Bauten über zwölf Schiffe^ dieser Klasse ver - fügen. Außerdem besitze es doch noch die ältere,_ aber immer vortreffliche Flotte, so daß, wolle man sich noch für den Herbst 1912 versichern, eS genüge, nur zwei Dreadnoughts auf stapel zu legen, und dies auch nickt sofort, sondern erst im Begin-i 1910/11, da der Bau eines Schisses in England nicht mehr al« anderthalb Jahre in Anspruch nimmt. . Man erinnert sich, wie die liberale Regierung aus diese Agitation geantwortet hat. Es wurde mit einmal eine Panik inszeniert, wie sie besser auch ein Bismarck nicht inszenieren konnte, und die Radikalen wurden überwältigt, -r te Regierung setzte ihren Willen durck, vier Dreadnoughts wurden zwncken Fuli und November 1909 auf Stapel gelegt, und weitere biet wurden für das kommende Jahr vedingungswelie projektiert. So verging da« Jahr; es fehlte an jeglicher Bestätigung, daß das deutsche Bautempo wirklich beschleunigt wurde, aber dessen - ungeachtet verordnete die englische Admiralität im April 1910 die projektierten vier Dreadnought«l Wie erlaubte iteiicb, einen solchen Treubruch zu begehen? Die Ausrede war. ^.eiiiscklaiid habe zwar da« Bautempo nicht beschleunigt — wenigsten^ schien dafür genaue Angaben — aber Oesterreich habe den Beschluß ge- faßt, feine Flotte um vier Dreadnoughts 3 u öctmehren, unb ba« fei ebenso gut al« wenn Teutschlanb seine Flotte vermehrt hatte Tie Ausrede war geradezu albern, denn erstens stand das oiter reichische Projekt nur auf dem Papier, und zweitens, sollte man die Flotte der Bundesgenossen Deutschlands mitrecbnen, so muß- ten doch englischerseits auch die Flotten Japans und besonder« Frankreich« mitgerechnet werden, von denen das letztere gerade zu jener Zeit ein neues gewaltiges Flottenprogramm entworfen hat. Aber die Radikalen, die auf den Leim der Trugkampagne □egen die Lords gegangen waren, hatten nicht Mehr den Mut zu kämpfen, und Die Regierung entwich ohne Schaden. Und jetzt ist wieder ein Jahr vergangen. $m Verlauf dieses Jahre« ist dokumentarisch bewiesen und selbst vom englischen (Viottenberein (rote in dessen Jahrbuch für 1911 zu lesen ist) anerkannt worben, daß erstens, Deutschland bas Bautempo nicht beschleunigt hat und 1912 (wahrscheinlich erst nn Herbst), wie Herr v. Zrrpin versichert hatte, nur über 13 Dread - noughts verfügen wirb. Zweiten« ft es sicher, daß Oesterreich, wie selbst die englische Admiralität öffentlich gestanden hat, ihre Dreadnoughts nicht vor 1913 und spater bekommen wird. Und drittens, hat der Erste Seelord, also Ches des (ikneraljtabcc bet Marine, jetzt feierlich zugegeben, daß eine Invasion Englands eine Sache der Unmöglichkeit ist. Damit ist der Wahnsinn nicht nur der Bauprogramme bet letzten zwei Jahre, sonbern auch aller ähnlichen Programme in der Zukunft beutlich bew efen worben, und man muß sich, selbst vom rein partei-liberalen Stanbpunkt aus, rounbern, wieso bie Regierung noch wagt, jetzt mit einem neuen erweiterten Bauprogramm vor da« Parlament zu treten. Die Antwort ist dieselbe wie überall: wo das Bürgertum nicht den Mut besitzt, für seine Ueberzeugungen zu kämpfen, dort liefert es die Position der immer wachsamen Reaktion aus. Wie in Deutschland, so auch in England, leibet bet moberne Liberalis muS an Trägheit unb Feigheit, unb ist nur bazu brauchbar, die Geschäfte des Junkertums zu verrichten. Politische^ Uebersicht. AuS deut Reichstag. Berlin, den 9. Februar. Tie heutige Fortsetzung der zweiten Beratung des Ge- richtSverfassungsgeiehes kam über die Frage der Be setzung der Straffammern nicht hinan«. Nach den Beschlüssen der Kommission sollen die Strafkammern in der Hauptverhand- lung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und mit drei Schöffen, und im Berufungsverfahren mit drei Richtern, ein - schließlich des Vorsitzenden, besetzt sein. Alle Bemühungen der sozialdemokratischen KommissioiiSmiiglieder, daß die Schössen unb Geschworenen , denen in Zukunft Tagegelber gezahlt werben sollen, aus allen Teilen ber Bevölkerung, einschließlich der Lehrer unb Bauern, zu entnehmen sind, blieben erfolglos. Ter heutige Redekampf drehte sich hauptsächlich um die Frage der Besetzung der Berufungskammern. Während Gröber vom Zentrum und Dr. Müller-Meiningen beantragten, die Kammern ber Be rufungsinstanz ebenso zu besetzen, wie in ber ersten Instanz, mit zwei Richtern unb brei Schöffen, wurde von der sozialbemokra tischen Fraktion beantragt, in beiden Instanzen bie Kammern mit einem Richter und vier Schöffen zu besetzen. Die fünfeinhalb stündige Diskussion dieser Frage ließ erfennen, daß Zentrum und Nationalliberale gespalten sind. Absolut einig scheinen in dieser Frage nur die Konservativen und die Sozialdemokrat n zu sein. Erstere selbstverständlich nur nach der Richtung hin, da« Laien elcment soweit irgend möglich zu beschränken, wie die Ausfüd rungen der beiden konservativen Redner, Dr. Wagner und Varenhorst, ergaben, wohingegen Gröber vom Zentrum, Bassermann von den Nationalliberalen, Dr. Müller- Meiningen und Dove von den Fortschrittlern aus Gründen, die sie aus ihrer eigenen praktischen Erfahrung schöpften, für die Verstärkung de« Laienelements in der Rechtsprechung cintraten, nur wollten sie nicht so weit geben, wie der sozialdemokratische Antrag, der von unsern Genossen Stadthagen und Z i e t s ch sowohl gegen die Angriffe der Konservativen, des Nationallibc ralen Dr. WölzI. des ZentrumSmannes W e l l st e i n , de« Antisemiten Gr. Graef, wie de« Regierungs Vertreter«, Staatssekretär Dr. L i s c o und des preußischen Ministers B e s e l e r sehr geschickt verteidigt wurde. Dem Ein wurde, ber namentlich von selten bet Regierung gemacht wurde, daß der Mangel an geeignetem Schössen- unb Geschworc nenmateriai namentlich nn £>|ten Preußens eine 6rlueitcLu.ig ter Hinzuziehung von Laienrichtern unmöglich mache, hielten unsere Genossen entgegen, daß bann Preußen die Pflicht habe, für eine bessere Schiilvildung Sorge zu tragen. Da die Regierungsver tretet die bestimmte Erklärung abgegeben haben, daß bei An - nahme eines der gestellten Anträge der Entwurf für die Re gicrung unannehmbar sei, wurde von uns die nameniliche «bftimmung über bie Anträge beantragt, die am Freitag bei Be ginn bet Sitzung ftattfinben soll. Die neue Militärvorlage. Die Budgetkommission des Reichstags hat sich über die neue Militärvorlage sehr schnell schlüssig^ g- macht. Nach einem Berliner Telegramm Hai sie schon am Frei tag den Gesetzentwurf über bie FriebenSpräsenzstärke angenommen unb bie Neusorberungen auf Grund desselben bewilligt, nachdem schon am Donnerstag die Forderungen für die Infanterie und für die Artillerie angenom men worden waten. Ueber die Beratungen am Tonnerstag ist noch uachzutragen. daß zunächst die Debatte über die Deckn ngsstage fortgesetzt wurde, die am Mittwoch auf Wunsch der Nationalliberalen ab gebrochen worden war. weil Aogeordneter Erzberger eine Aufstellung über den Kostenpunkt gab, die wesentlichhöhere Summen aufwies, als sie in de.- Vorlage angegeben sind. Der Schatzsekretär hatte erklärt, diese Zahlen seien ihm nickt bekannt. Ueber Nacht hat sich alles „geklart'. Als Genosse Noske auf die Vorgänge am Mittwoch hinwies, tat Erzbevger plötzlich so, als ob er nur allgemein bekannte und harmlose Angaben gemacht habe. Und beinahe wie auf Verabredung mürbe von den bürgerlichen Rednern über alles mögliche ge sprachen, nur nicht über das, was am Tage vorher allgemein als Sensation aufgefafet wurde. Genosse Schöpf lin knüpfte an diese Vertusckungsversuche an unb erklärte, vom Kriegsminiite- rium sei ein „Spiel mit doppelten Worten" gespielt worden. Kriegsminister unb --chahsekretär protestierten dagegen, aber die Tatsache, daß zweierlei Aufstellungen über den Kostenpunkt bestehen, konnte nickt mehr geleugnet werden: gab dock der Kriegsminister zu, eS wäre richtiger gewesen, dem Schatzamt euch die zweite Kostenberechnung zu geben. Hätte Erzberger am Mittwoch nicht aus der Schule geplaudert, was ihm offenbar am nächsten Tage leib tat, wäre dieses nied'iche Spiel nicht besannt geworden. Mit recht auffälligem Eiser sprachen später bei andern VerbandlungSpunkteii bie Redner aller bürgerlichen Parteien dem Kriegsminister Dank und Vertrauen aus. Beachtlich ist auch, daß auch am Donnerstag k o n s e r- patibe und nationalliberale Redner wieder ihrem lebhaften Bedauern über die „geringen" Forderungen be g Kriegsministers Ausdruck gaben. Sckatzsekretär Wermuth, der am Mittwoch wiederholt sehr schwere finaiv jiefle Bedenken äußerte, war am Tonnerstag gern bereit, die Verantwortung für die finanzielle Durchführung der Mililär- vorlage zu übernehmen. Dabei gestand er, daß selbst, wenn die 500 Millionen ber Finanzreform von 1909 voll eingehen, immer noch große Summen fehlen; das lasse sich auch bei groß ter Sparsamkeit nicht vermeiden. In der amtlichen Tcntschrift der Finanzreform von 1909 wurde genau das Gegenteil gesagt. Genosse N o« t e ging mit den Redereien über die Finanzlage scharf ins Gericht unb beleuchtete ben kritischen Stand der Ding« Die Spezialberatung bot nichts Bemerkenswertes. Vin Protest her Presse. Gegen die am 12. Januar im Reichstag auf dem Wege ber Ueberrumpelung beschlossene Verschärfung derStrafen für Bcleibigung (lex Wagner) regt sich enblich auch die Organisation der bürgerlichen Presse. Der Verein „Berliner Presse" bat dazu folgende Resolution beschlossen: „Die heutige Versammlung de« Vereins „Berliner Presse" erhebt entschieden P rote st gegen die durck die sogenannte lex Wagner geplante Verschärfung der 186, 188 deS Straf gefetzbucheS. Tie Versammlung sieht keinerlei Anlaß zu einer Erörterung dieser Vorschriften vor ber allgemeinen Reform des Strafgesetzbuches und ohne Zusammenhang mit dieser. Die Ver fammlung sieht ferner in ber Erhöhung der Strafen eine schwere Gefahr für die Freiheit und Un - abhängigkeit bet Presse Sie ersucht demgemäß r Vorstand, sofort diese, Protest dem Reichstage zu übermitteln unb alle erforderlichen Maßnahmen zu treiten, um di H l nrung ber Neicksregierung uni bet Parteien zu knesem Gesetz iss.« ««”«”• -*» jMio Belegungen (üble Nachrede, nicht Pctfeumbenfche Be