Nr. 110 Anzeiger, dl- sechsgespaltene P-tltzetle ober beten Raum 35 *. NrdeitSmarkt. VermtetungS. unb isamtlienan,eigen 20*. Anzeigen-Annahme Fehlanbstr. 11. Trbgeschotz (bis 5 Uhr nachmittags», in den Filialen, sowie in allen Slnnoncen-Sureau«. Platz, unb Daienvorschrisi-n ohne Berbinblichkeil. Reklamen im rebakilonellen Teil werben weder gratis noch gegen entgelt ausgenommen. Buchhanblung unb Buchbruckerei-Uontort Fehlanbstr. 11, Erbgeschob. , Das .Hamburger flrdio“ erscheint täglich, außer Montags. «bonnementSpreis sink!. „Tie Neue Welt" unb „Die arbeitende Jugend") durch die Poft bezogen ohne Bringegeld monatlich x. 1,20, vierteljährlich x 3,60; durch die Kolporteure wöchentlich 30 * stet ins 6au8. einz. Nr. 6 *. Eonntaos-Nummer mit lllustr. Beilage „Die Neue Welt" 10 * Kreuzbandsendungen monatlich X 2,70, für daS Ausland monatlich x 3,50. M / Würzberger, Annenstr. 17. Eimsbüttel, Langenfelde bei Carl Dreyer, FruchtalleesS. Hoheluft, Eppendorf, «rost-Borstel u. Winterhnde bei Ernst Großlopi, OTelborfetftr. 8. Barmbcck, Uhlenhorst bet Theodor liUlllIL KÜSS’ Unb 8iDtoärber bei «arl Ortel, Baustr. 26. Hammerbrook bis Ausschläger Billdeich bei Rud. Fuhrmann, Süderkaistr. 18. RotcnbnrgSort und Veddel bei Th. Renner, Ändleystr. 85. Wilhelmsburg bet Carl C. Ttehl, Blcyerstr. 12, l.ttt «ilbe«, WandSbeck, Hiuschenselde und Lst-Varmbe« bei Franz «rüger. Kurz« Reihe 34. Altona bei Friedr. Ludwig, Bllrgerstr. 118. Ottensen, Bahrenfeld bei Joh. Heine, Bahrenfelderstr. 129. Redaktion: Qß Expedition: Fehlandstratze 11, 1. Stod .yumUlU t) ou Fehlandstraße 11, Erdgeschoß. Verantwortlicher Redakteur: tkrnst Köpke in Hamburg. _ Freitag, den 12. Mai 1911. 25. Jahrganl, Mmburger Echo. Hierzu zwei Beilagen. WüküekeN'WlikPi uni) fielet 6eilminel6anöel. Durch die nunmehr zur zweiten Beratung im Plenum des Reichstages stehende Reichsversicherungsordnung und den Entwurf eines Gesetzes gegen Mißstände im Heilgcwerbe, das noch im Stadium kommisiarischer Be - ratung sich befindet, ist die alte Streitfrage des Apotheken - monopols beziehungsweise des Arzneimittel- verkehrs außerhalb der Apotheken wieder auf - gerollt worden. Es stehen sich da zwei Erwerbsstände, die Drogisten und die Apotheker, als Jntereffenten- gruppen gegenüber. Aber auch für weite Volkskreise, insbesondere für diejenigen, die von der K r a n k e n v e r s i ch e - r u n g umfaßt werden, ist die Frage von erheblichem Interesse. Ehe mit der Heranbildung eines zünftigen AerztestandeS die Ausgestaltung des monopolisierten, staatlich beaufsichtigten Apothekenwesens sich verband, war der Arzneihandel frei. Daß dieser Handel vielfach in Scharlatanerie ausartete, erklärt sich aus der derzeitigen Rückständigkeit der ärztlichen Wiffen- schaft und dem niederen Stande der Volksbildung. Waren die zünftigen Aerzte selbst doch großenteils arge Scharlatane und führten doch gerade sie in die Apotheken „Heilmittel" ein, die geradezu auf den Arzneiaberglauben der breiten Masten des Volkes berechnet erfchienen. „Im Interesse des Ansehens ihres Standes und ihrer Patienten", wie sie vorgaben, tatsäch - lich aber in ihrem Erwerbsinteresse, bekämpften die Aerzte schon ausgangs des Mittelalters sehr energisch den freien Arzneihandel. Die Aerzte erreichten, daß durch gesetz - liche Bestimmungen scharf zwischen dem Drogistengewerbe und dem privilegierten Apothekenbetrieb unterschieden wurde. Dem freien Handel wurden nur wenige Heilmittel überlasten, wäh - rend die Apotheken ein Monopol des Alleinverkaufs gewisser Waren, vor allem zubercitcter Heilmittel, erhielten. Seit jenen Zeiten wird der Jnteressenkampf zwischen Drogisten einerseits und den Aerzten und Apothekern ander - seits geführt. Begünstigt von der aufblühenden Wissenschaft, namentlich der Chemie, hatte sich schon vor Einführung der allgemeinen Gewerbefreiheit im Jahre 1869 die Drogcnindustrie und der Drogenhandel in Deutschland ziem- ich start entwickelt. Als die Gewerbesreihcit kam, nahmen diese Gewerbe einen erheblichen Aufschwung. Während die chemische Industrie in stetig wachsendem Maße ihre Produkte an die Apotheken absetzte, übernahm der Drogenhandel die Ver - mittlerrolle zwischen Produktion und Konsum. Es mehrten sich die der Körper- und Gesundheitspflege dienenden Artikel, die das Publikum im Drogenhandel kaufen konnte. Ließ auch die Gewerbeordnung von 1869 Vorrechte der Apotheker fortbestehen, so wollte sie doch dem Handel mit Arzneimitteln eine freiere Bewegung sichern. Eine Verord - nung des Bundespräsidiums sollte bestimmen, welche Apotheker - waren dem freien Verkehr zu überlassen seien. Erst im Jahre 1872 erschien eine solche Verordnung. Aber sie brachte nicht eine Erweiterung, sondern eine Beschränkung des freien Handels. Vergebens hat der Reichstag seitdem mehrfach, Petitionen der Drogisten Folge gebend, seine Meinung dahin kundgctan, daß das Privilegium der Apotheken zu - gunsten des freien Handels mit Stoffen zu Heilzwecken einzu - schränken sei. An dieser Einschränkung ist das Publikum hauptsächlich insoweit interessiert, als der freie Handel sie billiger abgibt als die Apotheke. Vor allen Dingen kommt dabei auch das Interesse der Krankenkassen, die durch Gesetz beziehungsweise Statut zur Lieferung von Heilmitteln verpflichtet sind, in Betracht. Dieses Interesse berücksichtigte das K r a n k c n v e r s i ch e - rungsgesetz von 1883 einigermaßen, indem cs bestimmte, daß für gewisse Heilmittel auch andere Lieferanten als Apotheker zugelasscn werden können. Die Apotheker haben diese Bestimmung lebhaft bekämpft. Der materielle Gewinn der Drogisten aus ihr war nach einer dem Reichstage aus deren Kreisen zugegangenen Darlegung in den ersten Jahren nur sehr gering, da die Aerzte gewohnt waren, nur Arzneimittel aus den Apotheken zu verschreiben. Der Gewinn für die Apotheken war aber ein so erheblicher, daß die Wert- steigerung der Apotheken und damit deren andauern - der spekulativer Besitzwechfel ein ganz bedeutender wurde. Nach genauen Berechnungen lagen im Jahre 1904 nicht weniger a(§ 300 Millionen Mark Ideal- beziehungsweise Speku- lationswerte in deutschen Apotheken — 300 Millionen gingen über den wirklichen Wert der Apotheken hinaus. Seit - dem ist diese Summe wieder um etwa 80 bis 100 Millionen gestiegen. Nimmt man 400 Millionen Mark Ideal werte nur zu 4 pZt. Verzinsung an, so ergibt das eine Summe von 16 Millionen Mark, die tatsächlich nichts anderes sind, als eine K r a n k e n st e u e r. Die obligatorische Krankenversiche - rung wurde von den Apotheken dazu mißbraucht, ihr A r z n e i - wucher-Monopol zu festigen und auszugestalten. Ueber dieses Monopolunwesen haben sich die amtlichen Erläute - rungen zum Entwurf eines Reichs-Apothekengesetzes unter anderm dahin geäußert: „Daß durch die übertriebenen Kaufpreise der Apotheken die Verschuldung zahlreicher Apotheker eingetreten ist und daß aus dieser Verschuldung der Apotheker der Antrieb sich ergibt, den Geschäftsgewinn durch Führung minderwertiger Arzneien und durch Geheimmittelhandel zu stei - gern, sowie eine ständige Steigerung der Arznei- preise zu fordern." Daß eine „soziale Gesetzgebung" solche Konsequenzen zum Nachteil der Krankenkassen und ihrer kranken Mitglieder haben konnte, ist sehr charakteristisch. Durch die Reichs - versicherungsordnung soll nun die Zahl der für den Krankheits - fall versicherten Personen, die jetzt 11 Millionen beträgt, auf etwa 20 Millionen gesteigert werden. Da will die Regierung und die Mehrheit der Kommission, welche die Reichsversiche - rungsordnung vorberaten hat, nun wieder den Apothekern wahrhaft unerhörte Konzessionen machen. Die zwangsweise versicherten Personen beziehungsweise die Krankenkassen sollen noch mehr als seither dem Arznei- wucher der Apotheker überantwortet werden. Das Reichsgesundheitsamt hat allerdings sowohl in einem Gutachten, als durch den Mund seines Präsidenten Dr. B u m m in der Reichstagssitzung vom 13. Februar 1909 erklärt, bei Regelung der Heilmittelfrage dürfe weder das Interesse der Drogisten noch der Apocheker, sondern nur das Interesse des Arznei verbrauchenden Publix k u m s zu berücksichtigen fein. Die Regierung und die Mehr - heit der Reichsversicherungsordnungs-Kommission hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Interessen der Apo - theker allen andern überzuordnen sind. Die organi - sierten Apotheker haben kecklich die Forderung erhoben, daß das Drogistengewerbe von der Lieferung an Kranken - kassen ganz ausgeschlossen, daß den Apothekern die Lieferung aller Heilmittel gesetzlich gesichert werde — vor - geblich „im Interesse der Kranken". Der Entwurf in der Fassung der Kommissionsbefchlüsse will ihnen diesen Vorteil gewähren. Allerdings schließt er die Drogisten nicht direkt von der Lieferung aus; aber er bietet den Apothekern die Mög - lichkeit, sich ein Lieferungsmonopol zu erzwingen. Nach § 398 kann die Satzung den Vorstand der Kasse er - mächtigen, wegen Lieferung der Arznei mit einzelnen Apo - thekenbesitzern oder -Verwaltern, oder, soweit eS sich um die freigegebenen Arzneimittel handelt, auch mit einzelnen andern Arzneimittelhändlern Vorzugsbedingungen zu vereinbaren. Alle Apothekenbesitzer und -Verwalter im Bereiche der Kasse können solchen Vereinbarungen beitreten. Im § 399 ist dann bestimmt, daß die Apotheker den Krankenkassen für die Arzneien einen Abschlagan den Prei - sen der Arzneitaxe zu gewähren haben, dessen Höhe die oberste Verwaltungsbehörde bestimmt. Und dazu heißt es bann: „Beziehen die Berechtigten die freigegebenen Arznei - mittel zu einem Preise, derdieFestsetzungnichtüber- steigt, aus einer Apotheke, so kann die höhere Ver - waltungsbehörde anordnen, daß die Kasse die Bezah - lung nicht deshalb ablehnen darf, weil sie nach § 39 8 mit Arzneimittelhändlern anderer 21 rt niedriger e Preise vereinbart hat." Watz hat es da noch für einen Sinn, den Kassen den Bezug freigegebener Heilmittel aus Droge- rjen zu „gewährleisten"? In der Praxis würde sich die Sache so gestalten, daß die Apotheker Sperrverträge ein - gehen, daß sie zur Gewährung von Vorzugsbedingungen (über die Rabattgewährung und Preisermäßigung laut § 399 hin - aus) nur bann bereit sein werben, wenn bie Kassen sich ver - pflichten, alle Arzneimittel, auch bie freigegebenen, nur aus Apotheken zu beziehen. Gehen bie Kassen diese Verpflichtung nicht ein, haben sie mit Drogisten Verträge betreffs Lieferung freigegebener Heilmittel abgeschlossen, so müssen sie trotzdem die Apothekerrechnungen bezahlen. Das ist eine wahrhaft skandalöse Begünstigung der Apotheker, wodurch bie berechtigten Interessen ber Kassen unb bet Drogisten erheblich geschädigt uxrden. Mindestens müßte dem § 398 ein Zusatz gegeben werden, daß Vorzugs - bedingungen nicht davon abhängig gemacht werden dürfen, daß andere Arzneimittel- händler von der Lieferung ausgeschlossen werden. Sperrverträge, wie sie die Apotheker schon seither gegen Krankenkassen in Anwendung gebracht haben, um Vorteile zu erpressen, müssen unmöglich gemacht werden. Das g a n z e V o l k müßte sich gegen das den Begriff „Sozialgesetzgebung" verhöhnende Unwesen erheben, daß die Krankenkassen dem Heilmittelwucher der Apotheker tributpflichtig bleiben. Radikal kann diesem Wucher nur ein Ende gemacht werden durch die Be - seitigung des privatkapitalistischen Apo - thekenmonopols, durch Uebernahme der Apotheken in staatliche oder gemeindliche Regie. So weit sind wir aber leider noch nicht, daß diese Reform sich durchführen läßt. Aber das eine kann und muß erreicht werden, daß der Drogenhandel befreit wird von allen ihm im Erwerbsinteresse der Apotheker auferlegten ungerechtfertigten Beschränkungen. Weitaus die meisten Heilmittel können unbedenklich dem f r e i e n V e r - kehr überlassen werden. Politische Uebersicht. Aus dem Reichstag. Berlin, 10. Mai. Die Beratung der ReichsversicherungSordnung wurde heute in derselben Weise fortgesest wie bisher, nur mit dem Unterschiede, dag endlich einmal ein sozialdemokratischer Antrag angenommen worden ist. Dieser Antrag kann aber nur insofern alS Lerbesterungsontrag an - gesprochen werden, als er die Richtigstellung einer Unrichtigkeit bettaf. Bei der Hast, mit der man auch in der Kommission gearbeitet hat, namentlich bei Fertigstellung der Berichte, ist dem Berichterstatter Horn -Reuß der Lapsus unterlaufen, im § 326 statt .längere" Fristen, wie beschlossen war, zu schreiben .kürzere" Fristen, und dieser Fehler ist bei der Revision übersehen, von unseren Kommissions - mitgliedern Hoch, Molkenbuhr und Schmidt aber soforrt emdeckt worden und deshalb Richtigstellung beantragt worden. Daraus resultiert die sonst unerklärliche Tatsache der Annahme eines sozial - demokratischen Antrages seitens deS Kompromißblocks. Sonst wurden wie immer alle unsere Anträge abgelchnt, trotz aller von unseren Genossen Leber, Emmel, Sachse, Bus old und Brühn e, die unsere Kommissionsmttglieder nach Kräften unterstützten, vorge- brachten guten Gründe. Dahingegen wurden einige, von Angehörigen deS Kompromißblocks eingebrachte BerschlechterungSanträge unter Zu - stimmung der Fortschrittler angenommen. Bemerkenswert war daS Bcrhalten des meist einsam auf der preußischen Seite der BundeSratsempore chronenden Vertreters der Rcichsregierung, des Ministerialdirektors CaSpar, der während der Rede unseres Genossen Emmel, in der er unerhörte Büßstände in den Betriebskassen einiger Reichsbetriebc — kaiserliche Werften :c. — zur Sprache brachte, cs für angemessener hielt, mit dem Dr. Semler eine, wie eS den Anschein hatte, sehr amüsante Privatunterhaltung zu führen, ohne den Angriffen EmmclS auf die kaiserlichen Musteranstalten auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Nun, im Grunde ge - nommen sind auch die Regierungsvertreter bei dieser Beratung völlig überflüssig, denn der Block hat gesprochen, stimmt seinen Beschlüssen gemäß und wurde sich durch Gründe, die von den Regierungsvertretern etwa f ü r sozialdemokratische Anträge iiiB Feld geführt würden, eben - sowenig bestimmen lassen, seine Beschlüsse umzustoßen, wie durch die von sozialdemokratischen Rednern vorgcbrachten. Nachdem heute die die Betriebs- und JnuungSkassen betreffenden Bestimmungen erledigt sind, kommen morgen die die OrtSkassen betreffenden daran. Die elsaß-lothringische Berfassungssrage. Der Erledigung der Verfcrssungsvorlage türmen sich immer neue Schwierigkeiten entgegen. Nachdem am Dienstag die Erste Kammer zum zweiten Male in der Kommission abgelehnt war» wurden hinter den Kulissen neue Verständigungsverhandlungen eingeleitet und bürgerliche Blatter verkündeten schon hoffnungS- froh, daß sie einen erfreulichen Verlauf genommen hätten; die beim § 6 entstandenen Schwierigkeiten seien behoben worden; auch von der Wahlrechtsvorlage befürchte man keine Störungen mehr; in der Tonnerstagssitzung erwarte man eine glatte Ab - wicklung. Aber es kommt immer anders. Ueber die Donnerstags - verhandlungen berichtet der Telegraph: Tie Reichstags- kommission für die elfatz-lothringischen VerfassungSgesehe beriet in der vierten Lesung zunächst den § 6 (Zusammensetzung der Ersten Kammers. Es lagen ein Antrag der National- liberalen und ein solcher des Zentrums vor. Nach dem ersten soll den Handelskammern ein vierter, den Handwerkskammern ein zweiter, nach dem Zentrumsantrage sollen dem Landwirt - schaftsrat sechs Sitze anstatt drei gewährt werden. Staats - sekretär Delbrück erklärte die Zustimmung der ver - bündeten Regierungen. Die Anträge wurden angenommen. Der ganze a r a g r a p h kam mit 16 Stimmen zur An - nahme. Sodann wurde der von der Reichspartei beantragte Sprachenparagrapb, 24 b, mit Stimmengleichheit, 11 zu 11, abgelehnt. In der Gesamtabstimmung wurde das ganze Ver f a ss u n g sgesetz mit 13 gegen 12 Stimmen abgelehnt. Zur Erläuterung des Verlaufs wird weiter berichtet: Der für die Reichsregierung entscheidende § 6 der Vorlage über die Bildung der Ersten Kammer ist in einer den Wünschen der verbündeten Regierungen durchaus entsprechenden Form mit 16 Stimmen angenommen. Der auf freikonservativer Seite beantragte Religionsparagraph fand gleichfalls eine Mehrheit. Nur der Sprachenparagraph, welcher eine gesetzliche Festlegung des gegenwärtigen Rechtszustandes enthält und von freikonser - vativer Seite beantragt war, ist mit Stimmengleichheit bei einigen Stimmenhaltungen gefallen. In der vom Vorsitzenden vorgeschlagenen Gesamtabstimmung wurde alsdann das Ver - fassungsgesetz mit 13 gegen 12 Stimmen im ganzen abgelehnt, da nunmehr die Freikonservativen wegen der Ab - lehnung des Sprachcnparagraphen gegen daS Gesetz stimmten und aus dem gleichen Grunde die nationalliberalen Mitglieder, die an sich Freunde der Vorlage sind, sich der Ab - stimmung enthielten. Auf Vorschlag des Vorsitzenden wurde alsdann, ohne daß es hierüber zu einer Aussprache kam, die in der zweiten Lesung noch nicht beratene Wahlgesetz- vorlage von der. Tagesordnung abgesetzt. Wie sich hieraus ergibt, sann der heutigen Abstimmung für das Zu - standekommen des Gesetzes eine ausschlaggebende Bedeutung nicht beigemessen werden. Nach der Gesamtabstimmung richteten mehrere Mitglieder der Linken und der Reichspartei an den Vorsitzenden, Prinzen Schönaich-Carolath, den Antrag, für morgen eine Sitzung an - zuberaumen, damit das Wahlgesetz noch einmal beraten werde. Dem Ersuchen wird jedoch seitens des Vorsitzenden kaum ent - sprochen werden, da andere Mitglieder der Kommission dies für unzweckmäßig erklärten. Es soll vielmehr nur noch der Bericht festgestellt werden, und die Vorlagen sollen alsdann ans Ple - num gelangen. Vorläufig ist statt der Vorlage also eigentlich nur ein großes Loch vorhanden. $a_bie Kommission bit von ihr um - gestaltete Vorlage am Schluffe abgelehnt hat, kann sie die in den Einzelheiten gefaßten Beschlüsse nicht an das Plenum brin - gen. Dieses muß wieder an die Regierungsvorlage anknüpfen und seinerseits gewünschte Aenderungen beschließen. Das Re - sultat ist noch nicht abzusehen. Um die SchlsfahrtSahgaben. In der Kommission für das SchisfahrtSabgabengesetz wurde am Mittwoch die Abstimmung über den am Dienstag behandelten § 11 ausgesetzt und auf die nächste Sitzung verschoben, um eine Einigung über die verschiedenen Anträge durch eine Unter- kommission zu ermöglichen. § 12 wurde gestrichen; § 13 unver - ändert angenommen. Bei § 14 entspann sich eine Debatte, ob die Schiffseigentümer und auch die Absender und Empfänger der Güter neben dem Schiffer, der zur Abgabe verpflichtet ist, für die Abgabenentrichtung haftbar sein sollen. Abgeordneter Goth ein beantragte die Streichung des betreffenden Satze?. Ein Antrag K r e t h (S.) wollte die Haftung der Absender unb Empfänger subsidiär nach dem Schiffer unb Schiffseigner auf - rechterhalten. Ministerialdirektor Peters schloß sich dem an; dagegen wandten sich die Abgeordneten Junk (NL.), Gün- Ein Kampf ums Leben. Von Gustaf Janson. Aus dem Schwedischen von A. Lütjohann. mit tat es dennoch; 4 ) Die schwedischen Bauern führen oft den Namen ihres Gehöfts. Früh morgens um fünf machte sich Nilsson im Elend*) mit seinem Gefährt auf den Weg, um seine Frau abzuholen, die seit einem Monat vor Weihnachten im Krankenhaus lag. Wie gewöhnlich, wenn Stockholm da? Ziel war, fuhr Nilsson den Winterweg übers Eis. Ter war allerdings bedeutend weiter als der gewöhnliche, aber er hatte auch keine steilen Höhen, die seinem alten „König David" so viel Anstrengung kosteten und den Gaul unnötig steifbeinig machten. Zudem pflegten immer einige Jnsel- bauern ein ©efdjäft in ber Stadt zu haben, an Gesellschaft würde c§ ihm also nicht fehlen. Ter Morgen war kalt unb unfrennblich. AIs Nilsson auf das Eis nieberfuhr, warf er einen forschenden Blick gegen Sübost, " " ~ — *—" 1 - Er wußte nm nachgusehen, ob ber Tag halb anbrechen wollte, frcftjch, daß es dafür noch zu früh war, aber er tat beim er hatte es immer getan, wenn er sonst um diese Zeit unter- weg» gewesen war. Drinnen unter Land hing die Dunkelheit wie ein schweres Leichentuch über den Wäldern und Buchten, und der Wind strick leise klagend über bie Schneedecke. Nilsson schüttelte mitzlülligend den Kopf, zog den blank- getragenen Sckmfspelz dichter giifammc« und schob die Mütze bis auf die Augenbrauen hinunter; denn in der Luft wirbelten feine Eisnadeln, die ihm zwischen die Kleider drangen und ihm fast den Atem benahmen. Der alte Braune lief in einem ebenen Srott und warf sich nur bisweilen plötzlich zur Seite, wenn ber Wind stärker einsetzte. Die Schneedecke lag hlausckuvarz da, und die Walder bie sie umrahmten, warfen ihren breiten, unregel. mäfcia gezahnten Scklags-tmtten darüber hin; nur der hart- actreteno Wea mit seinen beiden tiefen Spuren unterbrach die kalte Einförmigkeit. Nilsson saß bald schlafend in seinem Schlitten unb überließ es dem Instinkt seine? Pferdes, etwaigen Spalten unb Rissen au? dem Wege zu gehen und um bte Ver - tiefungen, bie bas Tauwetter der vorigen Wockie im Obereis ge- bildet, einen Bogen zu maäcn. Die schelle am .Halse ,.König Davids" klapperte eintönig und bleckern. sie Ivar auch alt unb ausgenutzt, war gewiß schon zu den Zeiten des alteren Nilsson dabei gewesen, die Kufen glitten leicht über die Schneekruste unb ber Braune lief, um sich warm zu halten; sein Herr brauchte ihn nickt ein einziges Mal angutrciben. 5?ad>bfm Nilsson wohl |o eine Stunde gefahren, traf er eine 'Hcibc Sitfelbauern, bie ebenso wie er über da» Ei? zur irtabt muntert Er hielt an und wartete, bis sie an ihm vorüber waren, und ohne einen Gruß oder ein Wort zu loechseln, schloy er sich ihnen an. Sie ihrerseits hatten anderes zu tun, al? sich um den Schlitten zu kümmern, ber aus Norden kam, und fuhren weiter mit ihren Heufudern. Aber offenbar hatte einer den Bauern vom Festland wiedererkannt, denn er rief durch das Halbdunkel: „Guten Tag, Du da hintenI" „Gleichfalls guten Tag!" antwortete Nilsson verschlafen unb hielt sein Pferb zurück, das den Hals lang machte, um einen Büschel Heu von dem nächsten Fuder zu erwischen; denn soviel Ehrgefühl hatte er bock, daß er sein Vieh kein Futter stehlen ließ, wenn jemand anders als er dabei war. „Fährst Du leer zur Stadt?" fragte dieselbe Stimme wie vorhin. „Ich will eine Fuhre holen," rief Nilsson so laut wie er konnte, denn ber Wind pfiff just in biefem Augenblick schärfer als gewöhnlich. Was er holen sollte, erzählte er inbessen nicht, unb es befragte ihn auch niemand darum. Die Schlitten glitten wie unförmliche Schatten über das Eis, unb nur bas klanglose Schellengeklingel unb das Pfeifen bcs Windes störten das «ckiweigen. Der Tag graute und ein farb - loser Streifen erhellte im Südost den Horizont, während schwere Schneewolken träge durch bie Luft schwammen. „In ber Gegenb von Tvärmora sollen Waken sein," hörte Nilsson jemanb bicht vor sich sagen. „Hm!" hustete er nachdenklich. Gerade den Weg war er eben gefahren, und ihm war dabei nichts ausgefallen. Er richtete sich straffer und lauschte neugierig, aber als die Unterhaltung mit dieser aufs Geratewohl hin geäußerten Mitteilung wieder zu Ende war, spähte er forschend in bie Luft hinaus unb schüttelte den Kopf. Der Wind machte ihn besorgt wegen ber Rückfahrt, unb er kannte nicht bie Lage der Waken, von benen ber Insel- bauer gesprochen hatte. „Ach was, bis dahin frieren sie zu," sagte er tröstend zu sich selber, unb der Sicherheit halber fügte er noch hinzu: „Wenn s von Haus gehalten hat, hältzs auch wieder nach Hau?." Hiermit gab er dem alten „König David" einen auf- munternden kleinen Klatsch und sagte laut: „Sv, so." Der Wind wurde stärker und fegte den Scknee über die Eisdecke. Hier und da türmte er Wälle auf, deren Konturen so scharf waren, als wären sie mit dem Messer geschnitten. Es waren nur wenige Grade falt, aber der Wind modelte unermüdlich an den Schanzen, die den Fahrweg einfaßten, und der Schnee ließ sich willig rociter- führen, glitt leicht prasselnd über die gefrorene Fläche, füllte Ver - tiefungen und Schlittenspuren aus, ebnete und glättete. Aber wo er eine Ecke ober eine kleine Erhöhung fand, baute er einen Damm, der ständig größer wurde und an Umfang zunahm. Tas müde Summen, das aus dem Nichts geboren wurde unb roieber in Nichts erstarb, tönte ohne Unterbrechung, untermischt mit bem leisen Rascheln der Eisnadeln und der Graupeln. Es wurde zu einem langen Konzert ohne Anfang ober Ende, ohne Rhvthmus ober Takt, eine Melobie mit nur einem einzigen Ton in grau- schwarzem Moll. Irgendwo in weiter Ferne fing ein zäher, schleppender Laut wie das Weinen eines Kindes an, stieg all- mählich zu einem lang ausgezogenen Geheul unb sank wieder eintönig, ohne Leidenschaft, bis es zwischen einigen Inseln ver - hallte. Dann kam ein neuer^Windstoß, tat einen zitternden Griff in die in Moll gestimmten saften, stieg unb sank. Und immer noch prasselte ber Schnee über das Eis, baute seine Wälle, füllte bie Luft unb ließ die Bauern nicht zehn Schritte vor, sich sehen. Nilsson schüttelte wieder mit dem Kopf. Ihm gefiel dies andauernde Pfeifen nickt, trotz ber Kälte konnte der Rückweg gefährlich werden. Falls er dann auch allein gewesen, hätte er sich nicht gesorgt, Swen Nilsson hatte mehr als einmal mit Pferd unb Schlitten in einer offenen Wake gelegen unb keinen Schaden dabei genommen. Aber heute nachmittag war es etwas anderes, dann mar ex nicht allein. Für eine Frau, bie eben erst vom Krankenbett aufgeftanben war unb ein kleines, nur einige Wochen altes Kind, war eine Fahrt in Wind unb Schneegestöber eipx böse Sache. Nilsson schob den Priem von einer Seite zur andern unb schüttelte den Kopf, aber daburch würbe bie Geschichte nicht besser, er sackte mutlos zusammen und ließ den Braunen laufen, wie er Lust hatte. Und der Wind pfiff, und der Schnee prasselte unb warf große, steile Wogen über das Eisfeld. Zweimal unterwegs machte die Scklittenreihe halt. Nackdem die Leute ihren Pferden einige Büschel Heu gegeben, machten sie sich an ihr eigene? Frühstück. Die Branntweinflascken kamen aus den Rocktaschen hervor und ein kräftiger Schluck bildete bie Ein - leitung, den Stützpunkt unb ben Adsckluß bet Mahlzeit. Als es hell geworden war, erkannte Nilsson mehrere Bekannte von den Inseln. Man nickte sick zu unb rief sich ein halblautes: „Gleich - falls guten Tag!" zu, aber viele Worte würben nicht gewechselt und nach einer Viertelstunde begann die Fahrt auf? neue. Unter Sckellengeklapper und einer Frage ober Antwort, bie von einem Schlitten zum andern geschrien wurde, glitt bie ganze Reihe weiter. Ein Knecht an ber Spitze stimmte ein Solbatenlied an unb gröhlte einige Takte, aber er hörte halb toicber auf; es war zu kalt zum Singen. Sunde und Bückten lagen grauweiß und eben, unb ber Weg streckte sich gerade über die Schneeflääie, bis er sich unerwartet hinter einer hervorspringcnden Landzunge verkroch ober sich zwischen abschüssigen, steilen Elfern schlängelte, wo der Wind die Felsen leer fegte ober hohe Sämnzcn aufinrmtc und ein sonder - bares Seufzen unb Pfeifen zwischen den Bäumen hervortönte. Nach einer Weile bot ein dichter Wald Schutz gegen den Wind, und da hob ber Knecht in bem vorbersten Scklitten wieder fein Singen an. Die jungen Leute stimmten ein, sobald sie bte MelÄsie horten, und die alten lackten über den guten Gedanken. Geld ist dock nicht bloß zum Sparen, Geld will fliegen und will fahren, Toch da? Beste in der Welt Ist ein großer Sack voll Geld, klang e» aus drei ober vier rauhen Kehlen. Mehr wußte nie» inanb von dem Text, aber alle fangen lauthals in ben frühen Morgen hinein. Dazu heulte der Wind, als ob er sich über diese Einmischung ärgere, während die Eisnabeln wie trockenes Saub über das Glatteis unb die harte Kruste des Schnees raschelten. Nilsson in seinem Schlitten muhte lachen. Durch das Un - wesen wurde er ein wenig wacher und unvermutet kam ihm die Lust, mitzusingen. Er hatte das Lieb oft genug gehört, brinnen in ber Stabt pfiffen alle Schauerleute die Melodie, Straßen - jungen unb feine Herren trällerten sie um die Wette, es war ein hübsches unb fröhliches Volkslieb, bas das ganze Land kannte, bis man binnen kurzem mit einem ebenso hübschen und fröhlichen bedacht wurde. Erst summte er ben Refrain leise und mit Vor - sicht, als ob er sehen wollte, wie weit sein Können reichte, und als bie andern eine kurze Pause machten, um ein wenig zu ber- schnaufen stimmte er aus voller Kraft an. Ein Weilchen hielt er aus, aber plötzlich ging ihm ber Atem aus, und fein Versuch endigte in einem jämmerlich falschen Ton, der in bedenklicher Weife die Harmonie störte. „Wer, zum Teufel, war denn bas?" fragte einer vor ihm unb lachte boshaft. „Tas war Nilsson im Elend," antwortete ein anderer und stimmte in das Lachen ein. „Er will sich gewiß als Kantor tm nächsten Kirchspiel melden!" Und da der, der die Frage gestellt, richtig genau wissen wollte, wer der mißglückte Sänger gewesen, erklärte ihm der, der zuletzt geredet: .Er hat eine Hufe gerade gegenüber von Storboda." NilSson kroch tiefer in seinen Schafspelz hinein, um nicht mehr hören zu brauchen. ' Es ärgerte ihn, baß er sich lächerlich gemacht hatte, und jetzt gefiel ihm auch ber Gesang nicht mehr. Was ging ihn der an; er gähnte und machte bie Augen zu, eS schadete nicht, wenn er ein wenig einnickte. „König Tavid" war zu alt unb zu fittig, um sich irgendwelche Seitensprünge zu er - lauben. Er selber hatte in ber letzten Nacht auch blitzwenig Schlaf gekriegt , ba konnte er sich schon ein Stünbchen Ruhe gönnen. oertfeeung folgt) Bücher und Schriften. Von ber „Neuen Zeit ' ist ba8 32. Heft M 29. Jahrgang, er. schienen. Inhalt: Ifin Parteigenosse auf Urlaub. Von K. — Tie 8. D. P„ Hyndman unb bie Rustungsfrage. Bon Th. Roldftem sronbon). —- iie Bobenverstaatlichnng. Kautskys Vorschlag zur Agrarpoftlik. Von Fnebnch Stampfer. - Slanzendes EIcnd Bon Konrab Haemich. - tu Arbeiter- Bewegung in Belgien. Erwiderung an Vanberoekbe. Von Henbrik be Man. — rechnisch.wirtt»afllick>- Rundschau. Von R. Wölbt. -— Notizen: @e- wöhnung an UnfaOfoIgen. Bon Robert Fette. - ZettfchnNenschau. Die Neue •{eil- erscheint wöchentlich einmal unb ist burch alle Buch, hanblungen Postanftattcn und Kolporteure ,um Preise von Mk. 8,25 pro Euartal zu beziehen; jedoch sann dieselbe bet der Post nur pro Quartal abonniert werden. Tas einzelne Heft kostet 25 Pfennig. — Prvbenummern stehen jederzeit zur Verfügung. -