Nr. 186. Freitag, den 11. August 1911. 2». Jahrgang. Mmburger Echo DoS „t>amburflcr »cho» erfdjtfnt tagltd), aufier ÄlontagS AbonnementSPrriS (intl. ..Die Neue Welt" und „Tie arbeitende Jugend") durch die Post bezogen ohne Bringegeld monatlich A 1,20. vierteljährlich *. 3,80; durch die Kolporteure wöchentlich 30 X srei ins Hau». Einz. Nr. 6 4. SonntagS-Nummer mit illustr. Beilage »Die Neue totlt" 10 A Kreuzbandsendungen monatlich a 2.70. für da« Ausland monatlich A 3,60. Redaktion: , q „ Expedition: Fehlandstraße 11, 1. Stock. HllMVUkg «>O Fehland sttaße 1L Erdgeschoß. Verantwortlicher Redakteur: Ernst Köpke in Hamburg. Anzeige« die sechsgespaltene Petit,eil« oder deren Raum 86 *. «rbeitSmarkt, Brrmietung». und „ami.ienanzelgrn 20*. stlnzeigen Annahme Fehlandstr. 11, Erdgeschoß (Ma 5 Uhr nachmittag»). In den Filialen, sowie in allen 'Annoncen-BureauS. Platz- und Talenvorschriflen ohne Verbindlichkeit Reklamen im redaktionellen Teil werden weder gratis noch gegen Entgelt ausgenommen. Buchhandlung und Buchdruckerei-Kontor: Fehlandstr. 11. Erdgeschoß. m Würzbergkr, Annenstr. 17. Eimsbüttel, Vniineufclöe bei Earl Treyer. Fruchlalle, 42. Hoheti.st, Epstcndars, (groil-Borstel u. Winterhude W Ernst «toltopf, Meldorferstr 8 Barmbeck tthleuharit be, Theodor ?hIIuICIu w.Ti’ und Billmärder bei Earl Ortel, Baust». 2«. Hammerbrook bi» Ausschläger Billdeich bei Rud. Fuhrmann, Züdertaistr. 18. «otcnbnrgs-rt und Veddel u°> r'h Re,Nier, Lmdleqstr.8i. O Wilhelmsburg be. Carl C. Diehl, Meyerstr. Ilh 1. Et. «ttbeck, W-udSb.ck, Hiuschei.sel.e und 0,.-B°rmbeck bei Frau. Krüger, Kurz- Reihe s* Aiioua bei Fnedr. Ludwig, Bärget 118. Otteusen, 11?^30^«. 1«. eltkrieges denkt! Demonstration für den Weltfrieden ! Für die Erhaltung des Friedens, gegen die Kriegshetzer und gegen das gefahrvolle Abenteuer der deutschen Marokkopolitik erhebe das arbeitende Volk von Hamburg-Altona und Umgegend am Mittwoch, 16. Angnst, seine Stimme! Parteigenossen! Sorgt durch massenhaften Besuch der an diesem Tage stattsindenden Volksversammlungen dafür, daß den henlchenden Klassen klar gemacht wird, wie die große Mehrheit des Volkes über die verbrecherische Torheit eines Hierzu zwei Beilagen Die neue Völkerwanderung. in 1 Die alte Völkerwanderung, die vor anderthalb Jahr - tausenden stattfand und sich über drei Weltteile erstreckte, ent - stand dadurch, daß einzelne Völkerstämme im Osten sich in ihren Niederlassungen nicht mehr halten konnten und nach Westen vordrangen. Die dadurch bewirkten Verschiebungen hatten ein allgemeines Eindringen barbarischer Stämme in das alte Römerreich zur Folge, vor deren Stoßkraft die römische Weltherrschaft zusammenbrach. Das römische Welt - reich zerfiel und die barbarischen Raubfürsten teilten sich mit ihren Völkern in seine Schätze. Reiche entstanden und ver - schwanden; die Physiognomie der Kulturwelt änderte sich voll - kommen. Das Altertum nahm Abschied und die Menschen standen alsbald an der Schwelle des Mittelalters, nachdem die wandernden Völker sich mit Raub gesättigt und übersättigt hatten. Die Völkerwanderung unseres Zeitalters ist eine andere; sie geht von ganz entgegengesetzten Anfängen aus. Nicht dringen fremde barbarische Stämme nach Europa herein; das geschah zum letzten Mal im Jahre 1813, als der russische Zar Alexander I. als „Befreier" nach Deutschland kam und seine Kosacken und seine mit Pfeil und Bogen ausgerüsteten Basch - kiren mitbrachte, wenn man nicht die massenhafte Invasion russischer Polizeispitzel als den Beginn einer neuen Völker - wanderung ansehen will. Heutzutage wandert das Kapital aus und die Völker kommen erst hinterher. Die Auswande - rung des Kapitals hat allerdings den Zweck, es verzehnfacht, verhundertfacht wieder zurückkchren zu lassen; das Kapital der alten Kulturländer Europas sucht überseeische Gebiete auf, um sich dort gewinnbringend anzulegen, da Europa für seine enorme Warenproduktion ja von jeher viel zu klein gewesen ist. Unter den überseeischen Gebieten befinden sich auch solche mit ganz alter Kultur, die aber zurückgeblieben sind; in diesen macht der moderne Kapitalismus seine Ueberlegenheit ebenso geltend, wie bei wehrlosen Naturvölkern, denen erst mit Flinte und Bibel die Grundbegriffe der „Zivilisation" beigebracht werden müssen. Der Expansionsdrang des Kapitals ist so un - geheuer, daß eine neue „Teilung der Welt" im Gange ist. In allen Richtungen stößt man auf das Bestreben, be - stehende Reiche und weite Landstrecken „aufzuteilen", das heißt, sie dem europäischen Kapitalismus als Beute und Aus - beutungsobjekt zu überantworten. Im fernen Osten wollen Rußland und England das alte „Reich der Mitte" aufteilen und müssen wohl oder übel eine asiatische Macht, das schnell zu einer gefährlichen Militärmacht gewordene Japan, als Teil - haber zulassen. Die nationale Bewegung, die zur Zeit durch China geht, ist gegen diese Aufteilungsgelüste gerichtet, und ohne schwere und blutige Kämpfe wird es nicht abgehen, deren Ausgang unter allen Umständen zweifelhaft ist. Das persische Reich wollen Rußland von Norden und England von Süden her miteinander aufteilen, und deshalb läßt man das persische Volk, das sich von dem Despotismus seines Schahs befreit hatte, nicht zur ruhigen Fortentwicklung kommen. Die russische zahlt, macht es den Franzosen schwer, mit den Rüstungen Deutschlands Schritt zu halten. Darum soll eine afrikanische Armee gebildet werden. Die französische Armee hatte immer schon schwarze Bestandteile, und diese sollen nun außerordent - lich vermehrt werden. Angenehme Aussichten für die Europäer im nächsten Kriege! Man denke an die Turkos von 1870! Es ist bezeichnend, daß die „republikanische" Bourgeoisie Frankreichs so vorgeht. Dies Beispiel wird andere Mächte er - muntern, den Franzosen nachzueifern, und so werden sich eventuell beim nächsten Kriege enorme Massen von Afrikanern und Asiaten in Europa umhertummeln und die Gelegenheit benutzen, sich an der ihnen verhaßten europäischen „Zivili - sation" zu rächen. Die alte Völkerwanderung bleibt, wie man sieht, mit ihren Veränderungen hinter der neuen weit zurück. Aber in ihren Wirkungen werden sie sich ähnlich sein. Durch die alte Völkerwanderung ist die alte Gesellschaft aufgelöst worden und eine neue an deren Stelle getreten. Die neue Völker - wanderung, obgleich aus andern Ursachen entstanden, wird ähnliche Wirkungen haben. Die Grundlagen und Schwer - punkte verschieben sich und die alten Formen werden in diesem unübersehbaren Chaos sich auflöseu. Unter den tausend Zeichen der Zersetzung, die wir heute erblicken, gehören diese sicherlich mit zu den bedeutsamsten. schießen könnte." Natürlich sind c» nickt Gründe des R e ch^t s . bie_ den »Reichs - boten" zu dieser Stellung bewogen haben. Seine Sorge ist, daß auch Untertanen „besserer Stände" von den Jagowitern abgesckossen werden könnten. Und das wird voraussichtlick bald genug so kommen; der Sckutzmann fühl! sich jetzt als Richler über Leben und Tod und will in dieser Rolle auftreten. Industrielle Hochschntzzölluer. Die Vereinigung für die Zollfragen der Papier verarbeiten - den Industrie läßt sich in ihrem neuesten Geschäftsbericht dahin aus: „Wenn cs noch eines Beweises bedurft hätte, daß die Er - neuerung unserer im Jahre 1917 ablaufenden Handelsverträge Für einen frischfröhlichen Krieg. In einer Auseinandersetzung über die Marokkofrage erklärt die „Teutsche Tageszeitung", daß sie keineswegs gründ- sätzlich gegen einen Krieg sei, denn: „Ganz abgesehen davon, daß gerade das Teutsche Reich besser für den Krieg gerüstet ist und sick in einem höheren Stande der Bereitschaft befindet, als alle andern Mächte der Welt, halten wir es auch ganz allgemein be - trachtet für vorteilhaft, ja, unter Umständen für nötig, wenn ein großes Polk innerhalb gewisser Zeiträume vor die praktische Existenzfrage g e • üellt wird, sonst tritt leicht, ja mit einer gewissen Katurnot- Wendigkeit, der Zustand ein, daß es ihm „zu gut" geht. Für da? Volk gilt hier daS gleiche, wie für den einzelnen Menschen." Mit andern Worten: Von Zeit zu Zeit braucht das Volk einen frifchfröhlichen Krieg, sonst erstickt es im Sumps der Kul- tur. Tas ist die Theorie der ostclbischen Junker. Die Praxis ist, daß sie auf Gelegenheiten bedacht sind, den für ihre Kaste so vorteilhaften Militarismus immer mächtiger anwachsen zu lassen. Ruhland, geschweige denn in zivilisierten Ländern ein Gegen - stück hat, ist selbst den Hochkon servativen bedenklich. Der „Reichsbote" sagt von dem Erlaß: „Er öffnet der lieber- eilung Tür und Tor und privilegiert die Unvorsichtigkeit; denn kein Beamter wird sich der Gefahr auSsctzen wollen, neben etwaigen Verletzungen durch Verbrecher noch Disziplinarstrafen für dienst- widriges Verhalten bei solchen RenkontreS zu gewärtigen. Er wird sich deshalb gezwungen sehen, beim Anblick irgend einer Menschen, der auch nur zufällig auf solchen Streifzügen dessen Pfade kreuzt, zur Waffe zu greifen und zu schießen, und wird in solchem Falle gar oft ganz unbeteiligte, friedliche Leute ver - wunden, die ganz harmlosen Dingen nachgegangen sind. WaS damit für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und namentlich für die Sicherheit der Beamten erreicht werden soll, das vermögen wir nicht einzufehen; vielmehr müssen wir leider der Auffassung durchaus gustimmen, daß Dieser neueste Erlaß des Herrn v. Jagow die Sicherheit des Publikums in besorgniserregender Weise gefährdet. . . . So war eS keine glückliche Stunde, die Herrn v. Jagow diesen Erlaß diktierte, und wir hegen den drmgendcn Wunsch, daß diese Verordnung so bald wie möglich redressiert werde, da es jedem friedlicken Bürger passieren kann, daß er sick durch irgend welcken Zufall plötzlich einem Sckutzmann gegenübersieht, der also augenblicklich den Auftrag hat, ihn bedingungslos nieder- zu k n a l l e n, weil ja der Beamte sonst leicht zu spät Gitter eines Siele? zu befördern, und führten alle jene Finessen aus, die sich ein überlegener, schon vom Anbeginn des Kampfes' siegesgewisser Feind gegenüber einem von allen Seiten ein- geschlossenen, halbvernicktetcn Widerpart erlauben darf. Als sie ihr Programm gewissenhaft abgearbeitet hatten und, offenbar in der Absicht, ihre Geschicklichkeit ins rechte Licht zu setzen, Anstalten machten, die Prügelei-wieder von neuem anzu - fangen, mischte sich plötzlich ein Polizist in die Sache, und mit der Allwissenheit der trotz ihrer Binde klarsehenden Gerechtig - keit, packte er den Klempnergesellcn bei einem Fragment seine? Rockkragens und schleppte ihn mit sich fort. Und hier, in den Händen der Polizei, wollen wir den Besiegten lassen, da er weiter nichts mit unserer Erzählung zu tun hat. Eine Straßenprügelei ist an und für sich nicht? Ungewöhn - liches, aber eine derartige öffentliche Belustigung findet immer ihr Publikum. Bei dieser Gelegenheit fehlte keineswegs das unvermeidliche Kontingent von Laufjungen, die es sich offenbar zur Ausgabe machen, ihren Prinzipalen die Zeit zu stehlen; da - zwischen Vrauerknechte, Arbeiter, und in geziemender Entfer - nung einige Dutzend gut gekleidete Herren nebst diesem un - bestimmbaren Etwas, daS in den Polizeireseraten der Zeitung.m al? Frauenspersonen bezeichnet wird. Alle diese verschieden-« artigen Elemente hatten, belebt von ihrem gemeinschaftlichen Interesse, einen Ring um den eigentlichen Kampfplatz geschlossen, und jedes Individuum teilte unterboten feiner Nachbaren -- einerlei, ob ihm diese bekannt waren ober nicht — feine Ge - danken über die Chancen der Schlacht mit. Ter Schreiber dieser Geschickte, der mit in dem iRing ftanb, merkte mit Genugtuung, daß die Sympathwn sowohl in Worten wie Gebärden sämtlich auf feiten be? schwächeren ?eile? waren, aber ein eigentlicher Vorteil erwuchs diesem leider nickt hier - aus. Der Klempnergeselle wurde dadurch nur in seiner Ju ( - merksamkeit gestört, wenn er sich auf der Reise von oder zum Rinnstein befand. , . , Doch, zwischen diesen hunderkuiidfünfzig leuten gab e? wirt - lich einen, der fein Mitgefühl durch etwa? andere? al? bloßes Reden und Kopfschütteln an den 7ag legte. leier eine lief eilig ab und zu in bedenklicher Nähe bet gehaßten .vauitc der Kämpfer, half bem Klempnergesellen zweimal wieber aur bic Füße, feuerte ihn mit ermutigendem Zuruf an und schleuderte Politik der Brutalität und Hinterlist hat dabei vor der gleich - gearteten englischen Politik den Vorzug, daß die russischen Minister nicht so viele heuchlerisch-schöne Worte machen, wie die englischen Minister. Auch auf dem Balkan sind Auf- teilungsgclüste vorhanden, die dort eine unaufhörliche Unruhe verursachen; die Unzufriedenheit der Albanesen mit dem jung- türkischen Regiment wird dazu benutzt. Italien, Oesterreich, Rußland, Montenegro und Serbien wollen dort im Trüben fischen. Aber unabsehbare Perspektiven eröffnet die neue Tei - lung der Welt am Mittelmeer und in den afrikanischen Küsten - ländern, namentlich im Norden und Westen dieses Erdteils. In Aegypten hat sich England festgesetzt und wird dort so wenig mehr herausgehen, als die Franzosen wieder aus Algier und Tunis herausgehen werden; in Tripolis, das noch der Pforte untersteht, hat sich Italien bereits ein „Vorzugsrecht" gesichert, wofür es den Franzosen in Marokko keine Hindernisse zu bereiten sich verpflichtet hat. In Marokko aber kreuzen sich französische, deutsche und spanische Interessen, das heißt, die Kapitalisten dieser Länder wollen womöglich das Land unter sich „aufteilen". Die Diplomatie hat dazu den allerdings nicht neuen Gedanken der „Kompensationen" in den Vordergrund geschoben. Kompensation — wörtlich Aus gleichung — bedeutet die Entschädigung, die man an die Machte gibt, welche den „Aufteilungen" zusehen, damit sie nicht ein - schreiten. Kompensationen sind ein Ersatz für die Beute. Aus den Aeußerungen englischer Staatsmänner ersieht man, daß der englische Kapitalismus auch eine Belohnung dafür verlangt, wenn die englische Regierung der Beutemacherei in Marokko ruhig zusehen soll. Die „Erfolge" der Gebrüder Mannesmann haben die gierige deutsche Kapitalistenwelt in eine fieberhafte Erregung versetzt. Sie träumt von einem neuen großen deutschen Kolonialreich. Erst dachte sie an die Mittelmeerküste; nun will sie sich mit Frankreich und Spanien in Marokko teilen, oder, wenn dies nicht zustande kommt, will sie weiterhin an der Westküste Afrikas so starke „Kompensa - tionen" haben, daß sie sich darüber trösten kann. Die Projekte, welche von den „Alldeutschen" namentlich ausgeheckt werden, kennen gar keine Grenzen mehr; die Phantasie dieser Leute schwärmt über alle Hindernisse weit hinaus. So betrachtet die Kapitalistenklasse von Europa die Welt als ihre Beute, und sie ist der Meinung, daß Staaten, Re - gierungen, Völker und Armeen keine andere Bestimmung hätten, als diesen Gelüsten zu dienen. Das nordamerikanische Großkapital ist zurzeit mit Beutezügen auf dem eigenen Kon - tinent beschäftigt und organisiert dort Feldzüge und Aufstände, um sich gleich ganzer Staaten zu bemächtigen. Wie lange wird es dauern und das nordamerikanische Großkapital wird auch außerhalb des amerikanischen Kontinents seine „Kompensatio - nen" verlangen! Wir befinden uns, wie man sieht, in einer ungeheuren Um - wälzung, bereit Dimensionen heute noch gar keine Grenzen gesteckt sind. Und immer neue „Ideen" tauchen auf, welche die bestehenden Verhältnisse von Grund aus zu verändern trachten. So hat die französische Bourgeoisie den Gedanken einer Kolonialarmee neuester Art auSgeheckt. Der relative Rückgang der Bevölkerung in Frankreich, das gegenüber den 64 Millionen Menschen in Deutschland' nur 39 Millionen einen Garbisten, der ihm zu nahe kam, kräftig gegen die näckste Wanb. Dieser eine sog währcnb ber ganzen Zeit an einer kurzen Holzpfeife, aus ber Rauck unb Asche flatterten, unb fluchte babei so herzlich unb mit solcher Ueberzeugung, baß bie Lauf - jungen vor Vergnügen jauchzten. Als bet Polizist so unerwartet seinen Schützling annektierte, würbe er verwirrt, brehte sich im Kreise herum unb sah bic Umbcrftcbcnbcn erstaunt unb fragenb an. Aber mit einem Male schien ihm bie Sachlage klar zu werben, er warf bie Joppe ab unb schrie: „Kommt man herl Ich laß mich nicht lumpen, wenn einer ’ne Tracks Prügel haben will." E? schien inbessen, als ob niemanb Lust hatte, dieser un - eigennützigen Ginlabung Folge zu leisten. Die meisten Zu - schauer lackten, einige brückten ihre Mißbilligung au?, unb bic Garbisten verdufteten stillschweigend, als sie merkten, daß die allgemeine Stimmung gegen sie war. Ter kleine Mann — jetzt erst sah ick von meinem Platz unter den Zuschauern, daß er unter Mittelgröße War — sprang zwischen den Leuten herum, fluchte, rauchte und ersuchte schließ - lich einen Arbeiter, ob er „als Sachverständiger" seine Arm- muSkeln befühlen wolle. Dieser hatte nicht? Besonderes dagegen, unb offenbar fiel die Untersuchung zur vollsten Zufriedenheit aus, denn er nickte bewundernd mit dem Kopf. Nach diesen unzusammenhängenden Evolutionen schlug sick der kleine Mann kräftig auf die Knie, stieß mitten in einer Rauchwolke ein laute? „Juchhei!" aus, kroch wieder in feine Joppe, und ehe ich noch recht wußte, wir eS gugegangen, stand er vor mir. Nack meiner Übeln oder klugen Gewohnheit — ganz wie man'? nehmen vill — benutzte ick bic Gelegenheit und betrachtete ihn von den Schuhen bi? zur Hutkrempe. Ein Paar O-Beine, ein untersetzter Rumpf unb eine außer- gewöhnliche Sdiultcrnbrcitc war da?, was mir zuerst in die Augen fiel. Und oben auf diesen starken Schultern faß, ohne den vermittelnden Uebergang durch ein so gewöhnliche? Ting Wie einen Hals, ein vierkantiger Kopf, ber dicht mit straffem, schnee - weißem Haar bewachsen war. Ter kurg gehaltene Bart schloß sich wie ein Rahmen um Sinn unb Wangen unb ließ bie Lippen frei. Die Augen, klein und stahlgrau, sahen treuherzig unter buschigen Brauen hervor, so wie ein Kind in die Welt blickt, die Politische Uebersicht. JagowS Schicsterlast. Der Ukas des Berliner Pvligeipräsibcnten. ber nicht einmal es nur aus Märchen kennt. Ter Munb, breit, mit großen fleischigen Lippen, war jetzt energisch geschlossen, und mitten im Gesicht staub ihm „lustig unb obstinat — so sagte er selbst ein - mal — ein kleines runblickeS Stumpfnäschen. Die Hautfarbe war warm dunkelrot und über der ganzen Erscheinung lag etwa? Heiteres unb Herzgewinnendes, etwa? Anziehende?,- das doch gleichzeitig ein wenig Mitleid erregte, denn man merkte sofort, baß bieser alte Mann im Grunde genommen nicht? weiter alS ein gute? Kind war. Späterhin entdeckte ich, daß der Schlapphut und die Stummelpfeife Bestandteile deS Ganzen Waren, unb heute kann ich mir meinen alten Freunb nicht mehr ohne bicfclben beulen. Aber wir wollen gut Er-ihluug unb gut Trottoirkaute, auf der mein Manu staub, gurütffommen. „Sie, hören Sie mall" fing er familiär an unb steckte seinen rechten Zeigefinger burch ein Knopfloch meine? UcbcrgicherS. .Sie haben doch auch gesehen, Wie die Geschichte hier anfing, nicht. Wahr?" i Ein kurzes Nicken liefe verstehen, dafe dies ungefähr mit dem wahren Sachverhalt übercinftimmte. „3laa,“ fing er eifrig wieder an und stampfte mit den Füßen im Rinnstein, daß da? Wasser Weit hcrumsprihte, „WaS sagen Sie gu diesem Skandal? Sollen sich ordentliche unb an- ständige Bürger, bic ihre schweren Abgaben auf die Minute be* zahlen, wie Summe Jungen behandeln lassen?" Ich wollte vermutlich cinrocnben, daß c? un? in gewissem Grade erlaubt sei, diese Sache selbst gu bestimmen, unb hätte wohl auch hingugefügt, daß Wir hier in unserm Stadtteil so sehr derartige Auftritte gewohnt feien, daß sie uns sicher gefehlt haben würden, Wenn sie sich nicht ziemlich regelmäßig Wieder - holten. Aber der kleine Alte kam mir zuvor, er fand c? offen - bar unterhaltender, seine Frage selbst gu beantworten. „Hier sitzt einer in aller Seelenruhe unb raucht feine Pfeife," fuhr er ohne eine Sckunbe Aufenthalt fort, „und plötz - lich geht der Lärm auf der Straße lo?. Einer Will doch auch sehen, waS draußen in ber Welt passiert, und da hauen sie sich denn immer doller. Vier Stück gegen einen. Ta? ist feige, so viele gegen einen, erbärmlich feige. Und ein paar Tutzend große, starke Kerls sieben daneben und lachen und sehen das gang ge - mütlich mit an, daß bi» vier den andern da verhauen. Was ist da? Abgeschüiielt! Die scharfmacherische „P o st", die in letzter Zeit über dis Marokkvaffäre gerabegu tobsüchtig Würbe unb am liebsten bie gesamte beutsche Heeresmacht auf espreekähnen nach England übergesetzt gesehen hätte, hat vom Kanzlerorgan eine ungewöhn - lich scharfe Zurückweisung erfahren. Nun fühlt auch die frei* konservative Partei, als deren Blatt die „Post" be - trachtet wird, das Bedürfnis, sie abzuschütteln. Der Vor* sitzende ber Reichspartei, Fürst v. Hatzfelbt, Herzog zu Trachenberg, richtete an ben Schriftführer ber Reichs - partei, Reichstagsabgeorbnetcn, AmtSgerichtSrat Dr. B r u n st er - mann , zu Stadthagen (Schaumburg-Lippe) das nachfolgende aus Ostende, 8. August, datierte Schreiben: „Es drängt mich, Ihnen meine Meinung über den Artikel ber „Post" vom 4. b. Mts. auszusprechen, in bem ber Verlauf ber Verhanblungen über bie Marolkosrage als eine nationale Schmach, viel schlimmer als Olmütz, bezeichnet Wirb. Dieser Artikel ist, ba ich mich zur Zeit auf Reisen befinde, erst nach - träglich zu meiner Kenntnis gelangt. Empörend ist bie Leichtfertigkeit, mit welcher über Dinge abgeurteilt wirb, welche ber „Post" nicht bekannt sinb. Sie selbst wirb nicht behaupten können, baß ihr die Details der Besprechungen zwischen dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts und bem französischen Botschafter bekannt Wären. Noch schlimmer ist e?, baß bie Person S. M. des Kaisers hierbei Jn einen direkten Gegensatz zu dem Reichskanzler und bemt Staatssekretär bes Auswärtigen Amts gebracht wirb, ein Umstand, den bas Ausland auSbcuten unb ber unserm Auswärtigen Amt die Fi,l,rung des Gesckäfi? erschweren muß. Für baS monarchische Gefühl tief verletzend ist die Art und Weise, mit welcher, in ber Form rhetorischer Fragen, über S. M. den Kaiser zu Gericht gesessen wirb. Wie Ihnen bekannt ist, habe ich im Mai b. I. Anlaß genommen, bas Verhalten der „Poft" in unserer Fraktion zur Sprache zu bringen. M i t bem Artikel v v m 4. August h a t bieses Blatt alle Beziehungen gu der Reichs - partei unmöglich gemacht und eS wird nötig sein, nach bem SBiebcrgufammcntritt bes Reichstages hierüber einen Be - schluß der Fraktion gu fassen und zur öffentlichen Kennt - nis gu bringen. Ich erwarte bestimmt, daß die Partei mit hierbei zustimmen wird." König Stumm pflegte die „Posf'-Redakteure kurzweg Esel zu nennen; sein Nachfolger in der Führung der Fraktion gebraucht nicht so derbe Ausdrücke, verfährt aber schärfer mit den armen Teufeln: Er entzieht ihnen den BrotkorbI Denn da» bedeutet ber Bruch mit ber „Post". Seebären. Erzählung von Gustaf Janson. Aus bem Schwcbischcn von A. Lütjohann. An einer Straßenecke hatte sich eine größere Menschenmenge gufammengefunben, um einer Prügelei zuzusehen. Iss einem Krug Waren sich einige Garbisten (Berufsfolbaten) mit einem Klempnergesellen wegen einer vor kurzem erfolgten SIcnberung bet Uniform in die Haare geraten, erzählte ein red - seliger Zuschauer, ber sichtbar unb hörbar diesem Wichtigen und in Stockholm ziemlich häufigen Ereignis sein ungeteilte? Inter - esse schenkte. Tie Gardisten behaupteten, daß die hoben Herren nur experimentierten — „quackelten", wie sic sich nicht gerade ehrerbietig ausbrückten — unb ber Klempnergcselle meinte, baß „bie Buntröcke", wie seine weniger gut gewählten Worte fielen, sich man ssicht mausig machen sollten. Sie Wären doch samt unb sonbers bieselbe Couleur unb täten für keinen Dreiling Nutzen, unb bemnach . . . Aoch mehr zu äußern, war ihm nicht vergönnt. Eine Gar - distenfaust verschloß ihm urplötzlich ben Mund, und ein Gar - distenfuß praktizierte ihn ziemlich rücksichtslos ins Freie. Da unsere <^esellschaft sich Militär leistet, ist es auch nicht zu viel verlangt, baß bieses bie Uniform verteibigt — mit unb ohne SIcnberung. Der Klempnergeselle war indessen alles andere als zu- frieden mit dieser Behandlung. Er erhob sich aus dem Rinn- stein, in ben er gefallen, unb stürzte auf die Gardisten Io8, bic ihm bereitwillig aus ber Schenkwirtschaft auf die Straße nach - gekommen waren. Die Schlacht begann augenblicklich. Der Klcmpncrgefelle bedachte nicht, daß bic Kriegskunst ber Neuzeit überwiegend tak - tisch ist und der hitzige Mut heutzutage sehr niedrig im Kurs steht. Dank ihrer durchgehends praktischen Ausbildung wußten bic Garbisten schönem Vorau?, daß die Uchermackt allezeit ben Sieg davonträgt. Sie waren ihrer vier, ber Klempnergeselle war allein unb unvorsichtig. Sic knutschten ben Gegner im Rinnstein zusammen, fchleuocrten ihn mit einigen Fußtritten «nf bie Trottoirkante, um ihn sofort toieber auf ba? rostige