222. Sonntag, den 22. September IN 12. 2«. Ja Hamburger Echö^ * d * 0 '' "scheint täglich, außer Montag« ,L’" fL ”? ie Neiie Welt" und „Die arbeitende Jugend") durch die Poft »qogen ohne Bringeaeld monatlich X 1.20. vierteljährlich x 3.60; durch di« Kolporteure wöchentlich 30 4 stet tn« Sau«. «in,. Nr. k 4. SonntogS-Nummer mit illustr. Beilage .Die Neue Welt" 10 * Kreu»b°ndsendungen monatlich A 2.70. für da« Ausland monatlich A 4.—. Nedalti on: ~ Expedition: Fehlandstraße 11, «.Stock. vaNlvNrg ->t> Hehlandslrahe ll Lrdgeschotz. Verantwortlicher Medakteur^ nrtch Hertzstr. 145. Hohenfelde, Borgselde, Hamm, Horn, Lchisfbeck und Pillwärder bet Carl Otlel, Baustr. 26 Hammerbrook bi« Ausschläger Billdeich bei Rud. Fuhrmann, Sllderkaistr. 18. Notenburgsort und Veddel bei Th. Reimer, Lindleysir. 8S. Wilhelmsburg bei H. Möller, Schulstr. 13. «ilbeck, Wandsbeck, Hinscheufelde und Ost - Barmbeck bei Franz Krüger, Kurze Reihe 34. Altona bei Friedr. Ludwig, Bürgerstr. 22. Ottensen, Bahrenselü bei Joh Heine, Bahrenfelderstr. 129. Hierzu vier Beilagen und das Illustrierte Unter - haltungsblatt „Die Ne«e Welt". Der politische Kampf in Ungarn. Die wüsten Szenen, die sich im ungarischen Wgeordneten- hause abgespielt haben, sind, obwohl angekündigt, doch einiger - maßen überraschend gekommen. Gerade weil im Sommer derlei Faustkämpfe an der Tagesordnung waren, durfte man glauben, daß beide Teile — die besiegte Opposition wie die gewalttätige RegierMg — eine Wiederholung des sie in gleicher Weise kompromittierenden Faustkampfes nicht mchr riskieren würden. Es ist anders gekommen! Wieder haben Polizisten Abgeordnete au» dem Saale geschleppt und wieder ist die sozialdemokratische Arbeiterschaft auf die Straße gestiegen. Heute ist es aller Welt klar: Ungarn steht unmittelbar vor einer Ent - scheidung. Sicher aber auch ist etz, daß das Proletariat auch in diesem Lande als eine der stärksten Triebkräfte der politischen, damit aber auch der sozialen und kulturellen Entwick - lung angesehen werden muß. Das lenkt naturgemäß auf die Frage nach dem Stande der Wirtschaft und speziell der Industrie in Ungarn hin, dessen politische Wirren nur unter diesem Ge - sichtswinkel zu verstehen sind. In dieser Beziehung sei vor allem festgestellt, daß seit dem Jahre 1870 das reine Vermögen des Staates um 371,54 Prozent, das Immobiliarvermögen um 514 Prozent, die Schulden aber um 625 Prozent gewachsen sind. Dabei ist Ungarn auf fast allen Gebieten des kulturellen Lebens rück - ständig. Denn während sogar in dem verpfasften Oesterreich die Zahl der Volkssämlcn um 50,92 Prozent, die der Lehrer um 182,97 Prozent gestiegen ist, haben sich diese mächtigen und wichtigsten Erwecker der Volkswirtschaft in Ungarn bloß um 21,35 bezw. 84 t 71 Prozent vermehrt. Was nun die P r 0 d u k t i 0 n, und zwar zunächst die l a n d - wirtschaftliche, anbclangl, so umfaßte in den siebziger Jahren das Ackerland nur 34 pZt. des Gesamtgebietes, 1907 war es auf 42 pZt. gestiegen. Das Brachland hat um 1,5 Millionen Katastraljoch abgenommen. Der Wert des Grundbesitzes ist um 7,5 Millionen Kronen, der Wert des Vich - exportes ist um 546 pZt., der Durchschnittsertrag eines HeÜarö Getreidebodens um 73 pZt. gestiegen. Was das Gewerbe betrifft, so hat die Zahl der Gewerbetreibenden um 70 pZt., die kaufmännische Bevölkerung um 115 pZt., die int Verkehrsdienst stehende Bevölkerung um. 379 pZt. zugenommcn — wett mehr als in Oesterreich, wo die diesbezüglichen Zahlen 32,1, 51,6 und 102 pZt. betragen. Ungarn beeilt sich also, der öster - reichischen Reichshälfte mit Doppelschritten nachzukommen. Trotzdem ist die Auswanderung eine starke und hat sich seit 1891 mehr als versechsfacht, wie von offiziöser Seite zu - gegeben wird: nicht bloß wegen des Mangels an Arbeitsgelegen - heit, sondern auch wegen des Ueberwiegens des Groß - grundbesitzes („unglückliche Besitzverhältnisse", meinte kürzlich der ehemalige Staatssekretär Szterenyi) und der Un - zulänglichkeit („Ungleichmäßigkeit") der Löhne. Man tröstet sich freilich damit, daß dafür jährlich von den Aus - gewanderten 200 Millionen Kronen zurückfließen, was die schäd - lichen Folgen der Auswanderung abschwäche. Aber wie schwach dieser Trost ist, wie sehr die Verarmung der Bevölke - rung fortschreitet, beweist u. a.t das erschreckende'Anwachsen der Hypochekarverschulduug des (kleineren und mittleren) Grund - besitzes, die seit 40 Jahren um fast 1000 pZt. gestiegen sein soll. Was nützt es da, daß der Grundwert sowie die übrigen Werte, die der Realobjekte, der Sparkasseneinlagen, der im Jnlande an - gesammelten Staatspapiere gleichfalls stark gestiegen sein sollen? Den 4 Milliarden Hypothekardarlehen stehen nur 3,3 Milliarden Sparkasseneinlagen gegenüber, wobei natürlich ganz davon ab - gesehen wird, daß der Kazntalisierungsprozeß sich lediglich auf die Handvoll Besitzenden beschränkt. Die Entwicklung der Produktion wird durch folgende Daten illustriert: Die Produktion in Eisenerz nahm zu um 418,1 pZt. (in Oesterreich um 169,85 pZt.), Roheisen um 253,94 pZt. (Oesterreich : 338,70 pZt.), Bier um 145,08 pZt. (Oesterreich : 119,48 pZt.), Zucker um 227 pZt., Mchl um 431,9 pZt. Ebenso weisen andere Industriezweige, zumal solche, die mit der Landwirtschaft zusammenhängen, eine vermehrte Erzeugung aus. Die Regierungen Ungarns haben denn auch systematisch an der Entwicklung der Industrie gearbeitet. In dem Zeitraum 1899—1909 sind mit Staatssubventionen 181 neue Fabriken geschaffen, 156 bestehende erweitert worden. Die Jahreserzeugung dieser Fabriken beläuft sich auf 200 Millionen Kronen. Die Kosten dieser Förderung beliefen sich auf 50 225 200 Kronen, wovon, da sich die Auszahlung der bewillig - ten Subventionen meist auf 8 Jahre verteilt, nur 19 652 680 Kronen geleistet werden. Es sind dies Liebesgaben, die zur Korrumpierung gewisser Kreise von der jeweils herr - schenden Clique verliehen werden. Hand in Hand damit geht die ärgste Ausbeutung der Arbeiter, deren Vogel- freiheit die für die Kapitalisten wertvollste staatliche Liebesgabe ist. Daß unter solchen Umständen der „Nationalreichtum", das ist das Vermögen der herrschenden Klassen, rasch wächst, ist leicht einzusehen. Demgemäß erstarkt in Ungarn auch mehr und mehr die Großindustrie, wie das Anwachsen der Aktiengesellschaften be - weist, die seit 1905 bis 1909 von 393 auf 632 mit 937 gewerb - lichen Betrieben stiegen, wozu noch Bergwerks- und Hütten- unternchmungen, Handels- und Verkchrsunternchmungen u. a. kommen (im Jahre 1911 ihrer 374). Kurz, die Indu - strialisierung Ungarns schreitet rapid vorwärts. Das hatte natürlich die Bildung einer bereits sehr mächtigen Bourgeoisie und eines Proletariats zur Folge, die nun gleich - falls ihren Anteil an der Gesetzgebung heischen. Die aber wird zurzeit noch vollständig von dem Keinadel (Gentry) und Großgrundbesitz bcherrscht, welche von ihrem Privilegium den rücksichtlosesten Gebrauch machen. Deren agrarische Inter - essen dominieren; daneben noch die Interessen des großen Indu - striekapitals und der Bureaukratie. Und nun fühlen diese feu- ‘ dalen Junker mit ihren Verbündeten, daß sie chre Alleiicherrschaft nicht länger aufrechterhalten können, daß sie vielmehr ihre Macht mit den nachdrängenden Massen teilen sollen. So ist das Problem, wie sie dabei bester wegkommen, für sie zum Zankapfel geworden. Es ist der Kampf einer Junker- cliquegegendie andere! Man darf sich nur nicht durch die demokratischen Allüren derer um Jusch und Apponyi täuschen lassen. Sie meinen es mit dem rechtlosen Teile des Volkes genau so „chrlich" wie jene um Tisza und Lukacs. Jenen gesellt sich auch der Heerbann des römisch-kacholischen Klerikalismus, der Morgenluft wittert und immer dort zu finden ist, wo er seine Interessen besser gewahrt glaubt und die günstigeren Aus - sichten für die Zukunft erblicken kann. Die Zukunft aber gehört in Ungarn den Parteien, die die W a h l r e f 0 r m an - streben und sie demokratisch gestalten wollen. Das aber ist in Ungarn bei den Arbeitern und denjenigen der Fall, orm.« sie übechaupt zugute kommen soll: den n i ch t m a g y a r i s ch e n Nationalitäten. Rumänen und Serben insbesondere, die von den Magyaren am meisten unterdrückt werden, will die kacholische Kirche, obzwar jene vorwiegend dem griechischen Be - kenntnis angehören, beizeiten sich geneigt machen. Darum ge - bärdet sie sich demokratisch und tolerant, darum tut sie, als ob sie die Vertreterin des wahren nationalen Ungartums wäre. Darum auch gcht sie jetzt Hand in Hand mit den Achtundvierziger Parteien, mit Kossuth und Jusch. Ihnen gegenüber sicht die Regierung, die sich auf die so - genannte Arbeitspartei stützt. In ihr konzentriert sich die andere, calvinistische Adelsclique nebst ihren Hörigen aus den Kreisen der Großbourgeoisie. Sie hat dem Wiener Hof die Wchrgesetze apportiert, und der Hof muß sie deshalb protegieren. Er braucht sie auch jetzt noch, da die Tagung der Delegationen vor der Türe steht und in dieser ein Krakeel von wegen der in diesen kritischen Zeitläuften so notwendigen Reputation höchst peinlich wäre. Darum wurde die O p p 0 s i i 0 n, welche die Delegationswahlen verhindern wollte, um Tisza und Lukacs zu stürzen, mit Polizeifäusten traktiert und aus dem Saale geschleppt. Darum wurden die Tags darauf in Budapest demonstrierenden Arbeiter mit Polizeisäbeln auseinander getrieben. Der Hof braucht die Herren noch. Wer der berüchtigte Dank vom Hause Habsburg wird nicht ausbleiben: Auch Tisza und Lukacs werden ihren Fußtritt bekommen von „Wien", und zwar früher, als sie ahnen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß sie erst jüngst hohe Auszeichnungm erhielten. Im Gegenteil: sie sind dadurch erst recht gekennzeichnet und zum Falle reif erklärt worden. Denn mit seinem Herzen ist der Hof bei den Römischklerikalen, und Die sind zum größten Teile auf der andern Seite, wo Die Par - teien Der Zukunft sich befinden, die man durch den Klerikalismus korrumpieren und binden will. Wie immer man die Dinge betrachten will: Eines stcht fest: daß die Wahlreform der einzige Ausweg aus dem politischen Chaos ist, welches in Ungarn vorherrscht. Die alten Parteien haben in ihren wesentlichen Bestandteilen abgewirt - schaftet, finb großen Teils diskreditiert und können kein regie - rungsfähiges Ministerium mchr bilden. So wie einst im pol- ischen Reichstag, haben auch im ungarischen dir Junker den Parlamentarismus zugrunde gerichtet, weil sie ihre Interessen für die des Staates ausgaben. Neue Kräfte können nur aus dem Volke kommen, das um die Wahlreform kämpft. S. K. Politische Uebersicht. Die Teuerung und die Judustrie. Tie Wirkungen der Teuerung machen sich nicht mchr nur den unmittelbar Betroffenen bemerkbar, deren kleines Ein - kommen auch zur Bestreitung des Allernotwendigsten nicht aus - reicht; sie gehen schon weit darüber hinaus und machen sich manchen Industriezweigen sehr unangenehm fühlbar. Das Berliner Jndustrieorgan „Tie Textilwoche" veröffentlicht mehrere Schreiben, die zeigen, wie die herrschende Teuerung die Kauf - kraft schwächt, wodurch eine ganze Reihe Gewerbe großen 'Schaden erleidet. So schreibt eine Aachener Texiilsirma: „Die einfachen, die guten und besseren bürgerlichen und die meisten Beamtenfamilien müssen sich schon seit Jahr und Tag die denkbar größte Einschränkung auferlegen, um den Ansprüchen des täglichen Lebens einigermaßen gerecht zu werden. Ta Mieten, Nahrungsmittel und sonstiger Unterhalt andauernd kostspieliger werden, greift die praktische Hausfrau zu dem Hilfsmittel, billigere Kleidungsstücke zu kaufen. Die Preislagen verschieben sich zu - sehends mehr und mehr nach unten. Eine neue nicht leichte große Aufgabe ist dadurch für solide Gesckäfte entstanden: daß wir gute, moderne, haltbare Waren in Stoffen und Konfektion für wenig Geld liefern sollen. Man verlangt natürlich obendrein, daß diese billigen Artikel genau so viel vorstellen und ebenso lange halten sollen wie die früher zu zweimal und dreimal so hoben Preisen gekauften Gegenstände. Es wäre eine unendliche Dobltat für alle Bevölkerungsklaffen (ausgenommen die oberen Zebntausend, die nidn zu rechnen brauchens, wenn etwas geschehen könnte, das dem glänzenden Elend zahlloser braver Leute wirksam Abhilfe schaffte." Hierzu bemerkt das Organ des christlichen Textilarbeiterver - bandes: „Es zeigt sich also, daß in den breiten Volksschichten bereits an der Kleidung gespart wird, und es ist klar, daß auch im Konsum anderer industrieller Erzeugnisse eine Einschränkung ein» •- h wenn nickt die Lebensmittelteuerung abnimmt. Es ift sehr bedauerlich, daß die Regierung noch darüber den Mund nicht auftut, welche Maßnahmen sie zur Linderung der Teuerung und insbesondere der Fleischnot zu treffen gedenkt. Wenn unter deutsches Zollsystem einen derart starren Charakter bat, daß es nicht einmal in solchen Notzeiten Maßregeln zur Linderung der - selben zuläßt, dann wird es den Anhängern diese« Lystems immer schwerer gemacht, zu beweisen, daß wir es mit einem bewährten Wirtschaftsmstem zu tun haben." Not -brickt Eisen, und wie es scheinst lehrt der Hunger die christlichen Arbeiter sogar noch das Denken. Was die „Teriil- wocke" schreibt, ist uns eine Bestätigung des Urteils, das wir So - zialdemokraten allzu oft über die Wirkungen der preußisch-deut - schen Teuerungspolitik abgegeben haben. Das christlickc Gewerk - schaftsorgan ist nur sehr naiv, wenn es glaubt, daß so.ckc über - zeugenden Argumente die Befürworter der Teucrungsooliti? ver - anlassen werden, mit der bisher betriebenen Wirtschaftspolitik zu brecken. Solange die fünfer, die Regierung, die Hochschukzöllner und Lebensmittelverteuerer sehen, daß die hungernden christlick-natio- nalen Proletarier gegen die Teuerung nichts weiter als schwache Proteste auszubringen vermögen, >'o lange wird man sieb um die Geschädigten erst reckt nickt den Dev: kümmern. Dem deut'cken Wirtschaftssystem ist eben der starre Ebaraktcr ausgeprägt worden und es „bewährt" ssch Mb irres 1 , daß es die Kaufkraft schwäch: und Not und Elend verbreitest Aber es ist schon ein kleiner Fort - schritt, wenn christliche Organe anfangen, an der von ihnen bisher so gepriesenen und der von ihnen gründlichst gestützten „bewähr - ten Wirtschaftspolitik" zu zweifeln. Maßnahme» zur Linderung der Teuerung. Der Stadtmagistrat Nürnbergs bat ant Freitag beschlossen, mit dem Bezug von Fleisch und dessen A b g a b c an d i e Konsumenten durch die Stadt einen Versuch zu macken. Es wurde mit den Vereinigten «chlachterinnuugen eine Vereinbarung getroffen, wonach diese sich verpflichten, täglich 5 Zentner Öchsensleisch von vollfleischigen, gemästeten Tieren bester Cualität in einen bot: der Stadt noch zu bestimmenden Verkaufsraum zu liefern. Das Fleisch muß zu 30 pZt. aus mageren Stücken, 40 pZt. aus Fleisch der Vorderviertel bestehen, der Rest darf aus Halsfleisch, Wadenstücken, dünnen Bauchlappen usw. bestehen. Es mutz ferner in möglichst großen Stücken möglickit ladenfertig und, mit Ausnahme der Rippen und Zwerchstücke, voll - ständig ausgebeint, geliefert werden, und zwar in frischem, ein wandsreiem Zustande. Der .Knochenanteil darf niemals 20 pZt. überschreiten. Ter Magistrat übernimmt täglich das Fleisch und läßt den Verkauf durch einen Angestellten auf städtische Rechnung besorgen. Jnnungsrnitglieder, die wiederholt bei Lieferungen zu Beanstandungen Anlaß gegeben haben, sönnen von der weiteren Lieferung ausgeschlossen werden. Streitigkeiten zwischen Liefe ranten und der Stadt werden vor ein Schiedsgericht gebracht, das aus dem magistratischen Referenten, einem Amtstierarzt und einem Vertreter der Innung besteht. Tie sozialdemokratischen Vertreter stimmten dieser Maßnahme zu, wobei jedoch ucloiti wurde, daß sie sich davon keine wirksame Abhilfe des Notstandes versprechen. Tie Hauptsache sei die Beseitigung unserer agrart scheu Zollpolitik. Es wurde auch die Frage wieder erörtert, ob landwirtschaft - lichen Genossenschaften städtische Gelände zur Schweinezucht itber- lassen werden sollen, doch wurde die suche nochmals zuriickgestellt, um erst zu erwägen, ob es sich nicht empfiehlt, eine solche Znchterei dem bereits bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb der städtischen Armenpflege anzugliedern. In der Gothaer Stadtverordnetenversamm - lung hat Oberbürgermeister Liebetrau mitgeteilt, daß sich das Staatsministerium bereit erklärt hat, den Einfuhrzoll und die Fracht auf d i e Staatskasse zu übernehmen, falls die städtische Verwaltung ausländisches Fleisch oder Gefrierfleisch zur Abgabe an die minder - bemittelten Kreise beziehen wolle. Tet .stabtrat ist daraufhin mit der Fleischerinnuttg wegen der Einführung von Gefrierfleisch in Unterhandlungen getreten. Das Zentrum und die preußische Wahlrechtssrage. Zur Wahlrechtsfrage tn Preußen läßt sich die klerikale Zeitschrift „Hisiorisä'-polttische Blätter" wie folgt aus: „Preußens Wahlrecht ist so reformbedürftig, daß eine Aenderung Eintreten mutz, wenn nickt mehr auf das Spiel gesetzt werden soll. Hartnäckiges Per - sch l i e tz e n gegen alle Volkswünsche fördert den U m st u r z und die Unzufriedenheit. Das heutige Dreiklassen Wahl - recht fordert Hohn und Empörung heraus und kann nicht mehr gehalten werden, die geheime Wahl mutz unbedingt gegeben werden, die direkte kann ge - geben werden; das wären schon zwei Fortschritte, für welche stets eine Mehrheit da ist, wenn die Regierung will. Aber auch der plutokratische Eharakter läßt sich schnell mildern ; man lege auch für die Klasseneinteilung nur die wirklich gezahlten Staatssteuern zugrunde, man beschränke sogar die Summe auf Ak 2500 usw. Da lassen sich eine Reihe von MoMlitäten denken, für die eine Mehrheit zu finden ist. Tie Hauptsache ist, daß ein Fortschritt gegeben wird; über das Maß Msielllen wird man ja stets verschiedener Ansicht tn den Parteien fein. Was die eine als Abschlagszahlung ansieht, ist der andern schon Höchstmaß; man wähle die goldene Mittellinie des Fortschritts ohne jede Verschlechterung, uiib cs ist viel gewonnen. Wenn 1913 bte Reuwable « statt, tnben ohne eine Reform, baun kann es doch Ueberraschungen aller Art geben. Ein klugvr Staatsmann baut vor." Darin wollte das „Berl. Tagebl." cm Verdatn mungsurtetl über die Zentrumspolitik in der preußischen Wahlrecht-Frage sehen, was die „Germania" zu folgender Eiitgegnung veranlaßt: „Wir finden in diesen Ausführungen nichts weniger als ein „VerdammungSurteil" über die Zentrumspolitik in der Preu ßischeu Wahlrechtsfrage, sondern vielmehr eine Zustimmung zu derselben. Das Zentrum steht bekanntlich auf dem prin - zipiellen Standpunkt, daß das allgemeine, gleiche, direkte und gehet me Reichstagswahlrecht auf Preußen zu übertragen sei. Da aber dieses bei dem Wider - spruch der Mehrheit des Landtags und der Regierung tt i ch t i u erreichen ist, so wünscht es jedenfalls eine Verbesserung des bestehenden Wahlrechts nach beut in den Hist.-pol. Blättern ausgesührten Gedankeit: „Tie geheime Wahl muß un - bedingt gegeben werden, die direkte Wahl sann gegeben werden." Tie geheime Wahl wird hier als das Wich - tigere, unbedingt zu Fordernde bezeichnet. TaS hat auch die konservative Partei bezüglich der Wahlmännerwahlen konzediert, die direkte Wahl wollen aber weder Konservative noch Regierung zugeben, und schließlich kamen die Freikonservativen und Natioitalliberaleit, welche den plutokratische u Cha - rakter des Wahlrechts, der durch die Stimmenzähluitg nach Urivahlbeztrkett gemildert war, durch Beseitigung dieser Alild. rung wieder verschärfen wollten. Daran scheiterte die Wahl - rechtsreform." Tie Berufung auf den prinzipiellen «Standpunkt des Zen trums ist sehr unangebracht, denn das Zentrum hat das „Prin - zip" immer nur Prinzip fein lassen und niemals den Versuch gemacht, dem Prinzip zur Geltung zu verhelfen. Auch nicht bei der Beratung bei Bethmann-Holl.vegschen Wahlreformvoriarc. .Es ist richtig, daß Regierung und Konservative die direkte Wahl nicht wollten. Aber die Konservativen hatten keine Majorität und erst das Zentrum hat ihnen geholfen, eine Majorität zu bilden. Wenn das Zentrum auf die andere Seite getreten wäre, war eine Mehrheit für das direkte Wahlrecht vorhanden. N der vogtsbur Von Heinrich HanSjakob. Ter Egidi aber schiebt ihm den inneren Laden des Tennenlocks bis an den Hals und hält so den Andres fest. Zu gleicher Zeit sticht er ihm mit dem Messer von hinten so tnS Fleisck, daß er ganz erbärmlich zu schreien anfing und der gute Pfarrer vor lauter Geschrei seine eigenen Worte nimmer hörte. Er unterbrach feine Segnung, und der Bur und die Büre, welche andächtig angewohnt hatten, liefen davon,- um zu schauen, wa? loS sei. Sie glaubten an Mord und Totschlag. — Es stellte sich aber bloß ein boc-lxifter Str-stch deS Erbprinzen als Ursache des fürchterlichen Schreiens heraus. Dieser Streich kostete dem Egidi die Herrschaft über den Franzenbof. „Ter gottlose Mensch wird Euch schön behandeln, wenn er Bur ist und Ihr sein Leibgedinger," sprach ernst der Pfarrer zum Franzenbur, als er nach der Weihe mit dem Sakristan, wie üblich, bei Schinken und Wein in der Stube saß. ■ „Wer die Religion verachtet," fuhr er fort, „der mißachtet auch Vater und Mutter." Der Franzenbur stimmte dem geistlichen Herrn zu, und dieser sprach noch weiter: „Wenn Ihr in Euern alten Tagen Ruhe und Frieden haben wollt, so macht den Egidi -lidit zum ^Bur. Der ist und bleibt ein Taugenichts und war schon in der Sckule und in der Christenlehre ein gottloser Bub „Aber wem soll ich den Hof geben V Tie andern Kinder sind alle versorgt," antwortete der Franzenbur. „Ich weiß Euch einen Rat, Franzenbur ' gab der Pfarre zurück, während er sich noch einen Sckittkenschrntt langte; „gebt den Hof dem nächsten Nachbar, Eurem Schwiegersohn, unserm Vogt. Ter ist ein braver Mann, und bei dem habt Ihr und Euer Weib gute Tage." „Dem Vogt?" fragte etwas spöttisch der Bur. „Ter hat ja feine Zeit, seinen eigenen Hof umzutreiben, kann also nickt zwei Höse brauchen." „Aber die Gertrud," fiel der Pfarrer ein, „ist -ine tüchtige Büre, und Ihr seid auch noch da: denn ohne zu schaffen, könnt Ihr doch nit leben. Und wenn der Vogt auch wenig daheim ist. tut er S jeinen Mitmenschen zu lieb. Ihr dürft stolz auf einen wichen Schwiegersohn sein, der angesehen ist bei den Herren wie bei len Buren. Wenn c( einmal beide Höfe beisammen bat, nnrb sein Ansehen noch wachsen, und er wird der größte Bur im D nn Ä2_ n "tvZigtal; der g'scheit'st ist er jetzt schon." e>o und anderes redete der Pfarrherr von Wittichen und ■ r u !? mc ? r den Sinn des Puren für seinen Vorschlag. sL;s C ,® I ü e l t ? lc '^üre, konnte und wollte heute ihren Liebling, "!*$ f ' r *eibtnen; sie war eine gottesfürchtige Frau, jüngsten hatte sic empört. Mit großem, ~ °. 1 ,' cr hörte sie ihren Tochtermann loben. »metTfransen cr äerade m der Nähe war. nock einen Kranken betuchen, droben tn dem kleinen Waldrälchm, ha# Diese schöne Sitte ist mehr und mehr abgekommen, und es ist ein Fehler, daß bte Geistlichen sie nicht wieder einzuführen suchen. Der Sinn dafür lebt in unserm Landvolk heute noch- Mich baten, da ich noch Pfarrer am Bodensee war, mehr als einmal Leute, ihr neues Haus einzuweihen, und Brautleute, ihre« Hausrat zu segnen. Fch tat es stets mit Freuden. Da in dem damals gültigen Ritual nichts über derartige Segnungen zu ftnben war, nahm ich das alte Konstanzer, welches das römische tst, und fand darin die gewünschten Segens- uni ßcBefSfortneln. Fck fand aber auch zu meiner großen Freude, wie eng 'bte Kirche mit bei Volkssitte verwachsen ist unb wie fte diese hegte und pflegte durch viele, jetzt leider vergessene und Der» nachlässigte Segnungen. Ich habe manche -stunde in jenem alten Ritual geblättert und die herrlichen Gebete bewundert, mit denen die Kirche den Bedürfnissen und Wünschen der Volksseele entgegenkommt. Nur eines hab’ ich bedauert, daß gerade jene dem Volke einst so lieben und werten Weihen und Segnungen von Häusern, Ge - raten, Tieren und Früchten nicht tn der Sprache des Volke» ge - betet wurden. — „ Pfarre: tn Wittichen-Kaltbrunn war zur Zett, als der Franzenbur sein neues Haus einweihen lassen wollte, der Priester Josef Merz von Vöhrenbach, der 1S24 auf eine andere Pfarrei kam und ein Jahr später bei einem Bejuch tn Wtittchen einem Schlaganfall erlag und da starb, wo er zwanzig Fabre gewirkt Es war ein schöner Herbstnachmittag, als dieser Pfarrer mit dem Sakristan das enge Waldtal von fialtbrunn hinaufschrttt, um das Leibgedinghans des Franzenburen emzuwethen. In der Tenne waren die Knechte des HanseS und der Stamm Halter mit Dreschen beschäftigt. Während dieser Arbeit studierte der boshafte Egidi darüber nach, wie er die Wethe stören koimte. Er spähte von Zeit zu Zeit von hv Tenne ans aut -te Tal- straße, ob der 'Pfarrer nicht bald komme. AIS er ihn cnbltd) et- blickte, stellte cr den jüngsten Drescher — er hieß Jnbre« unb mar ein braver, stiller Bursche - - unter da? Tennen lock uni sagte ihm, er solle aufbaffen, bis bei Pfarrer die Wctbe beginne, u er, bet Egidi, auch zuschauen wolle. , . „ Tei Andres steckte den Kops zum Loch hiyau- und lauerte, hinter ihm bet Egidi, auch spähend. Der Pfarrer hatte mies t ;. neue Haus betreten und begann zu beten, .stt bent .rügen- blick will der Andre» den Kops zurückziehen und Meldung machen. tont Volk den schönen Namen „Grüßgoit" bat, und brach bald auf. Der Bur aber versprach, indes ein Pferd einzuspainten und bei bet Rückkehr aus dem Grüßgott den „Herrn" und seinen Diener hinabzuführen nach Wittichen. Es war „luhfinitc*", wie die Kinzigtäler sagen, da der Franzenbur wieder beimfuhr und unterwegs nochmals übel alles nachdachte, was der Pfarrer heute gesagt hatte. Als er droben am Pogtskios angekommen war, sah cr noch Licht in der Stube. Er hielt an und knallte mit der Peitsche. Ein Schiebefenster öffnete sich und eine Stimme fragte: ..Wer ist draußen?" „Fch bin's," antwortete der Franzenbur. „So, Fbr feib*?. Vater!" sprach jetzt die Büre, denn sie war es. „Ich habe Euck borbeifahren sehen mit dem Pfarrer. Es iit schon alles im Bett bei uns, ich allein bin noch auf, ich will noch Anken lSckimalzl machen." „Ist der Andres daheim?" fragte der Franzenbur. „Ja, aber cr liegt schon. Er war im Wald heut' und hat Holz vermessen und ist müde geworden." „Er soll morgen zu mir kommen. Fch hab' was mit ihm au reven, was Wichtiges. Gnat' Nackt, schlaf wolstl" Mit diesen Worten trieb der Franzenbur fein Rößlein an, während die Toch - ter ihm nachrief: „Guaf Nacht, Pater, kommet nuat beim. A schöne Gruß an d'Mutter, und i laß ihr au guat Nacht sagen. Den Andres will t morge schicke." Der Vogt war kein großer Liebhaber von Be'uckcn bei seinem „Schwervater". Er ging diesem gerne aus dem Weg, weil er stets predigte, die Buren müßten bei ihren Höfen bleiben und da den ersten Knecht spielen; Gefälligkeit«- und Herreiidienste brächten fein Geld in? Haus und hielten keinen Hof im etanb. Aber sein Weib, die Gertrud, rebott ihm zu, ja zeitig zum Vater zu gehen, denn cr habe gestern abend in einem so wohl wollenden Tone gesprochen, daß sie glaube, cr habe nur Gutes im Simt gegen ihren Andres. Wahrscheinlich, so meinte sie iDcitcr, handle cs sich um bett Egidi; der habe, wie gestern abend noch die Mägde brimgebrad' . einen gottlosen Streich ausgcführt, da der Pfarrer das Ccibgcbtng hau« cingcroeibt. — So besam dar Andres Mut und ging andern -rag« talauf zum Franzenhof. .. , . t . . Zivei Stunden später kant cr zurück; rveudeitrahlciu um seiner Gertrud die Hand entgcgcnitrccfcnb, ricr cr t'.’r zu: „X on heut an, Weible. bist Tu nicht blotz Vrgtsti im xaubrunn, wildern auch die größte Bäuerin im ganzen Kinzigtal. hab eben dem Vater den Hof abgekauft um cm cdmiQ’üabatgc.b. ~ei Egidi wird ausgeschlossen, wie er's verdient, der Psarrer bat« auch g’fagt und mir gut vorg'schuf st-" mivd nie, weder tn «tad: noch Land, ein Wirervolk rennen, wenn ihr Ansehen und ihre Macht mit der des Mannes steigt und Geld genug im Kasten iit. Drum begann auch die Gertrud zu strahlen bei dieser Nachricht denn sie war stolz auf ihren Andres, weil sie ihn überall beliebt und angesehen wußte, und jept toll Freude, daß der Vater ihm auf einmal so wohl wollte und ihm den Hof gab. „Aber, so will's der Vater," fuhr der Andres fort, „im F titln jähr müssen wir hinausziehen aus den Franzenhof. Unser HauS ist alt und baufällig; das reiß ich nieder, und da Wald und Feld von beiden Höfen zusammenstotzen, haben wir dann e i n Gut und e i tt Haus." Tas war der Gertrud zweimal recht, wieder beim zu kommen und da Herrscherin zu werden, wo sie als Kind gelebt. Tas Frühjahr kam. Its der cdnicc geschmolzen war und die ersten Schlüsselblumen auf den Matten blühten, hielten die Vogte teufe tröhlichen Auszug vom Vogtshof und fröhlichen Einzug in den Franzenhof, der ein stattlich Ting war mit gewaltigem Hattv: gebäube, nettem Lerbaediiighaus und eigener Kapelle. Tie Zimmerleute und Maurer aber, rissen den morsch- Vogtshot nieder; doch da, wo cr stund, beißt s heute noch im Volk-'- mund „beim alte Hous". Andreas I. war als Herr zweier gioger Watbhote nach dem Geldwert unserer Tage ein halber Millionär, was für einen Bauer vor siebzig Fahren viel, recht viel besagen wollte. Es regierte feilt Vogt-stab die Gemeinde, sein Ansehen blüh 0 in bei: Tälern und auf den Bergen weithin, und seine Flöße he- Herrichten den fialtbrunncr Back. 2er Egidi oder, wie er nach dem Hot seine-; Vaters Hieß, der Franzegidt trur s c später ein -tagsöbner und hatte ein kleines vmtchen am ivaldigen^Eichberg, unweit vom Fürsten vom Tbufel (teilt, während fein Schwager ein großer Bauernfürst geworden war. nachdem auch Egidis Fürstentum ihm zugefallen. Ter Franzegedt kam aber auch um dieses G title in und wurde in feinen alten Tagen ein so armer Mann, daß cr von der Gr meinde Kinzigtal, in die der Heuwich und der Eichberg gehören, von -?cf zu Hos und von Hütte zu Hütte umgeäzt werden mutzte. Heuizutag tut man derartige Arme in Kreisanstalten, wo sie ' - in __ber Heimat ein kärgliches wehmutsvolles Sehen führen. Früher war diese Versorgung crtSarmer Menschen eine roci. ■ niibi und gerni' tollere. Sie wurden im Reihen" verpflegt ober, ivie es noch öfter lstetz, „umtgehalten“, d. h. jeder Bauer und jeder Taglöhner mußte der armen Person je nach der Größe seine: Hore: oder Gütchens von einem Tag bi? zu einem Monat Kost tnd CbDndr geben. Ter arme Mensch arbeitete den Kostleuten, was cr konnte, und wenn es- nur da« Hüten kleiner Kinder war. Er aß und trank Dafür mit ihnen am Tisch und ward in allewog gehalten wie ein Glied der Familie. Tavei toar cr in feiner lieben Heimat und drum ein zu-