Nr. 238. Freitag den 11. Oktober 1912. 2«. Jahraang Hamburger Echo. TaS , Hamburner ©die* erscheint täglich, außer Montag«. »bonuementspreis (intl. „Tie Neue Welt« und „Tie arbeitende Jugend«, durch die Post bezogen ohn« Brinaegeld monatlich x 1,20, vierteljährlich x 8,60; durch die Kolporteur- wöchentlich 30 * frei in« Hau«. Linz. Nr. 5 4. -onntagS.Nummer mit illustr. Beilage „Tie Reue Welt« 10 4. Kreuzbandsendungen monatlich x 2,70, für das Ausland monatlich x 4,—. Sledaftion: *. , «p Expedition: F-hlandslraße 11, 1. Stock. opillUUlirf| OO Fehlandstraße 11 Erdgeschoß. Verantwortlicher N-dakteuri «rnft Köpke in Hamburg. Anzeigen die siebengespaltene Pelitzeile oder deren Raum 40 4, Arbeitsmarkt, Vermietung«, und Jamiiienanzeigen 20 4. Anzeigen-Annahme Fehlandstr. 11, Erdgeschoß (bi« 5 Uhr nachmittags», in den Filialen, sowie in allen AnnonceN'Bureaus. Platz, und Datenvorschristen ohne Berbindlichkeit, Reklamen im redaktionellen Teil werden weder gratis noch gegen Entgelt ausgenommen. Buchhandlung und Buchdruckerei.Kontor: Fehlandftr. 11, Erdgeschoß. Filiale«: 2t. Pauli, ohne Amandastraße, bei Franz Würzberger, Annenstr. 17. Eimsbüttel, Langenfelde bei Carl Dreyer, Fruchtallee 42. Hoheluft, Eppendorf, btroft-Borftel und Winterhude bei Ernst Großkopf, Meldorferstr. 8. Barmbech Uhlenhorst bei Theodor Petereit, Heinrich Herhstr. 145. Hohenfelde, Borgfclde, Hamm, Horn, Echissbeik und BillwärSer bei Earl Ortel, Baustr. 26. Hammerbrook bis Ausschläger Billdeich bei Rud. Fuhrmann, Tüderkaistr. 18. NotenburgSort und Beddel bei Th. Reimer, Lindleystr.85. WUHelmSburg bei H. Möller, Schulstr. 13. Eilbeck, WanÜSbeck, Hinschenfelde und Ost - Barmbeck bei Franz Krüger, Kurze Reihe 34. Altona bei Friedr. Ludwig, Bürgerstr. 22. Ottensen, Bahrenfeld bei Joh. Heine, Bahrenfelderstr. 129. ' I ™ Hierzu zwei Beilagen. Sie Mmötle nnö öer Ballanltito. Herr Ssasonow hat mit einem Lächeln der Befriedigung Berlin verlassen können, nachdem in letzter Stunde die Kriegs - erklärung Montenegros an die Türkei den Bankerott der europäischen Diplomatie allen vor Augen geführt hatte. Seit Wochen war die diplomatische Feuerwehr am Werke, den Brand zu löschen, den sie selbst am Balkan entzündet hat; seit Wochen hat der commis voyageur der zarischen Auslands - politik in den Hauptstädten Europas unter der Maske des Friedensapostels deni kriegerischen Vorstoß der unter Rußlands Leitung stehenden Balkanstaaten den Boden bereitet — bis im letzten Augenblick der Ageiü des Zarismus, Montenegro, als Avantgarde der verbündeten Balkanstaaten gegen die Türkei los - ging. „Montenegro ist uns durch die Lappen gegangen!" erklärte Herr Ssasonow mit gemachter Resignation. Ein Augurenlächeln der diplomatischen RUtverschworenen war die Antwort auf diese Heuchelei des russischen Ministers. Es gibt kein Wort, das scharf genug wäre, das frevel - hafte Doppelspiel der russischen Regierung zu brand - marken. Damit sei durchaus nicht gesagt, daß die Methoden der engrijcyen, französischen, deutschen und österreichischen Diplomatie höher einzuschätzen seien, als das Vorgehen der zarischen Diplo - maten in der Balkankrise. Der Unterschied ist bloß der, daß die russische Diplomatie, ungeachtet aller gegenteiligen amtlichen Behauptungen, am Balkan andere Zwecke verfolgt, .als die ge - nannten Großmächte. Diese sind bei der jetzigen Balkankrise an der Erhaltung des status quo interessiert: England — um seinen neu erworbenen Einfluß am goldenen Horn nicht zu ver - lieren; Frankreich — um das Schicksal der im Orient in- vestierten Riilliarden seiner kleinen Sparer nicht zu gefährden; Deutschland — um die Zuneigung des ihm als wirtschaftliches Aio>bcutungsobjekt nahestehenden Oltomanenreiches nicht völlig einzubüßen; Oesterreich endlich — weil es erst kürzlich zwei türkische Provinzen in die Tasche gesteckt hat und eifersüchtig darüber wacht, daß ihm der Weg nach Saloniki, diesem Ziel des österreichischen Imperialismus, von keiner anderen Macht ver - legt werde. Rußland befindet sich hinsichtlich der Saltanfrage in einer anderen Lage. Seit jeher sah das amtliche, nationalistische Rußland seinen Ehrgeiz darin, die Hegemonie über die tleineii Balkanstaaten wiederzugewinnen und den Ausgang aus dem Schwarzen Meer zu erzwingen. Tie Methoden, die es hierbei anwandte, wcchscüen mit der Zeit. Noch vor nicht gar langer Zeit ließ die Zarenregierung in den Balkanstaaten durch ihre Agenten Verschwörungen veranstalten, Attentate und Mordversuche gegen die Staatsmänner und Fürsten verüben, die nicht bloß Kreaturen in den Händen Rußlands sein wollten. (Ausführliches darüber findet man in den geheimen Dokumenten zm russischen Orientpolftik, die ouf Veranlassung des bulgarischen Minister - präsidenten Stambulow 1893 veröffentlicht wurden.) In den letzten Jahren schlug die mssische Diplomatie am Balkan andere Wege ein. Mch dem Zusammenbruch der neoslavistischen Agitation während der Annexionskrise galt es, das Vertrauen der Balkanstaaten durch zähe Dftnierarbeft wiederzugewinnen. Der neuernannte russische Gesandte in Belgrad, Herr v. Hartwig, nahm die Balkanbundesidee Tscharikows auf und führte eine Militärkonvention zwischen Bulgarien, Serbien, Griechenland und Riontenegro herbei. Als Agent und zugleich als Beschützer dieses Viererbundes reiste Herr Ssasonow nach dem Auslande, um das von der russischen Hetzpresse propagierte Ziel zu er - reichen: Nichteinmischung der Mächte in den Kampf zwischen den Balkanstaaten und der Türkei! Diese Losung der russischen Expansionspolitiker, die sich mit der berühmten „Lokalisation" des Balkanbrandes deckt, birgt trotz ihres anscheinend friedlichen Charakters die schwersten kriegerischen Gefahren in sich. Die beste Jllus!ration dafür sind die Nachrichten, die über die russischen Truppen ¬ mobilisationen in die Presse gelangt sind. Nachdem die neueste sensationelle Mobilisationsorder russischerseits als Zufall, als Gefälligkeit gegen das verbündete Frankreich dargestcllt wurde, bringt die Preßzentrale die Nachricht, daß die Plilitär- verwaltung der polnischen Gouvernements an alle Truppenkörper Befehle hat ergehen lassen, die Mobilmachung innerhalb zehn Tage durchzuführen. Gleichzeitig mit der vollzogenen Mobili- salion werde in den davon betroffenen MUitärbezirken Warschau und Wilna der verschärfte Belagerungszustand verhängt werden. Anderseits verlautet wieder, ähnliche Maßnahmen würden von der österreichischen Regierung in Galizien und Bosnien vorbereitet. Diese Maßnahmen bringen kraß zum Ausdruck, was bei der Zerrissenheit Europas, den Sonderbesttebungen der beiden stärksten Piächtcgruppen und dem Zusammenbruch der neuesten diploma - tischen Aktion schon ohnedies klar ist — daß die ersten Flinten - schüsse am fernen Balkan eine Aera schwerer wirtschaft - licher Erschütterungen und politischer Komplikationen auf dem europäischen Festlande cinleiten. Anstatt dem russischen Brandstifter am Balkan zu bedeuten, daß sämtliche Mächte eine Einstellung der Hetzarbeit in den Balkanstaaten forderten, anstatt gemeinsam und entschlossen den beginnenden Brand zu löschen, vertrödelte die europäische Diplomatie die kostbarste Zeit, verzettelte sie ihre angebliche Friedensenergie in kleinlichen Eifer - süchteleien und Sonderaktioneit, bis die Gefahren, die sie nicht zu bannen vermochte, über ihrem Kopfe zusammenschlugen. Auch die russische Regierung, die sich des Erfolges richmen kann, für die von ihr anfgestachelteit Balkanstaaten Zeit gewonnen und die Vermittlungsaktion illusorisch gemacht zu haben, befindet sich in einer ähnlichen Lage. Auch chr sind die Ereig - nisse über den Kopf gewachsen und sie wird kaum imstande fein, den Gefahren zu begegnen, die sich aus ihrem ftevelhaften Spiel mit dem Kriegsfeuer ergeben dürsten. Es sind, wie in einigen Blättern zutreffend bemerkt wurde, zwei Tendenzen, die sich namentlich in der letzten Zeit in der russischen Auslandspolitik den Rang streitig zu machen suchen. Die eine, gemäßigtere Tendenz, meist von den verantwortlichen Instanzen vertreten, geht darauf ans, die günstige Lage Rußlands zwischen Dreibund und Tripelentente zur Erweiterung des russischen Viachtbereiches in Asien, zur Konsolidierung seiner finanziellen und militärischen Kräfte, zur Stärkung seines Einflusses in der europäischen Politik auszunutzen. Dieser Strömung steht eine andere gegenüber, die, auf mächtige Hoi- und Militärkreiie gestützt, int Interesse der Ab - lenkung von den inneren Angelegenheiten zu den äußeren, int ! Interesse der Eroberung neuer Märkte eine stärkere Erpansion der ruütscheu AuL,latrdsp0t.tii joroeri. na.totralisi-.sche und chauvinistische Element, das, künstlich großgezogeit, immer mehr an Einfluß gewinnt, kommt dieser Strömung entgegen. Es ist z. B. kaum glaublich, was die russische Presse, die offiztös-nationalistische wie die liberale, sich hinsichtlich der Balkansrage leistet. Nachdem die offiziöse Presse, voran die „flkowoje Wremja", in den letzten Wochen systematisch zum Kriege gehetzt und es als ein Staatsverbrechen bezeichnet hat, wenn die Balkanstaaten nicht den Krieg gegen die Türkei beginnen würden, droht das Organ des Großkapitals, „Golos Moskwy", Rußland werde zum Drei - bund übergehen, wenn Frankreich und England nicht energischer die russische C-rpresserpolitik am Balkan mitmachen würden! Auch der russische Liberalismus, der zwischen schwächlicher Opposition und patriotischer Knechtseligkeit hin- und hertaumelt, sucht den Kontakt mit dem offiziellen Balkankurs zu beiDoljren. So schreibt das Hauptorgan des russischen Liberalismus, das Kadettenblatt „Retsch", die wichtigste Ausgabe der russischen Diplomatie bestehe darin, „der Eiitmischung Oesterreichs in die bevorstehenden Balkanereignisse vorzubeugen". Die europäischen Rlächte müßten es den Balkanstaaten ruhig überlassen, ihren Zweikamps mit der Türkei auszufechten. So schreibt das Blatt, obgleich es chm nur zu gut besannt ist, was von der „Lokalisation" der Ballait- kämpfe zu halten ist. Ungeachtet dieser aus Perfidie und Heuchelei zusammenge - setzten Treiberei der russischen bürgerlichen Preffe kann indes nicht davon gesprochen werden, daß die Regierung bei weiteren Komplikationen am Balkan einen Rückhalt in den Rlassen finden könnte. Was die russische Arbeiterklasse über die Balkanpolitik des Zarismus denkt, hat die russische sozial- demokratische Fraktion in bet Duma schon, als Iswolski während der bosnischen ffrife an die Duma appellierte, in ihrem flammenden Protest zum Ausdruck gebracht. Und daß and) die Bauernschaft, diese Kerntruppe für die Armee, für die Eroberungszüge des Zarismus fein zuverlässiges Material bildet, beweist nicht nur der klägliche Ausgang des japanischen Krieges, das beweisen auch die fortgesetzten Meutereien in der Marine und die dumpfe Gärung, die in der gesamten Armee herrscht. Der künstlich erzeugte Begeisterungsschwall für die „unterdrückten slawischen Brüder" am Balkan, wird bei den ersten politischen Komplikationen wie Rauch verschwinden, und bleiben wird nur die große Enttäuschung und die Revo- l u t i o n s f u r ch t der unverantwortlichen Regierung, die an dem Feuer am Balkan chr Süppchen zu kochen sucht. Die Kriegshetze in Oesterreich. Wien, 9. Oftckber. Angesichis der unermeßlichen Gefahr, die nichl bloß die Völker des Balkan?, sondern auch die Oesterreich-Ungarns und die Arbeiterschaft anderer europäischer Staaten — nicht zuletzt Deutschlands — bedroht, ist die rücksilbtsloie Aufdeckung deffen, was die Regierungen in dieser kritischen Situation tun und lasten, ein Gebot der Notwendigkeit. Man mag sich darüber nreiten, ob in erster oder letzter Linie die Unfähigkeit der Diplomatie an dem furchtbaren Unglück, das sich vor unsern Augen in ungeheurer Größe entfaltet, schuld ist, oder ob in ihrem Wahnsinn zielbewußte Methode und sein ausgeklügelte Absicht zu erblicken ist; die Tatsache selbst, daß sich die Verhältnisse auf dem Balkan so weit und be - drohlich entwickeln konnten, ist das vernichtendste Urteil, da« über die europäische Diplomatie gefällt werden kann. Schon das sogenannte Expose, welches Graf Berchtold Ende September in der österreichischen Delegation gehalten batte, ließ erkennen, daß der Karren auf dem Balkan total verfahren »et, und daß die Erklärung des Ministers den Zweck verfolge, die „Legitimation" für ein späteres Einschreiten vorzubereiten. Um die Motivierung war Graf Berchtold nicht verlegen: Die öster - reichischen Jnteresten auf dem Balkan, die sorge um die Auf - rechterhaltung des Siatusouo, des unveränderten Zustandes in den Machwerhältnisten. Nichts mehr und nichts weniger! Was hinter diesen Redensarten steckt, toiffen die offiziösen Blätter, welche die diplomatische Vogelsprache verstehen, artig aus- zuplaudern unh. man kann es auch sonst aus dem Verhalten der Machthaber unschwer entnehmen. Schon im Lause der Delegalionstagung sprach sich der Iührer des Hochadels, Fürst Schwarzenberg, für einen y >n 11 f f