SonnaSenÄ, den 12. Oktober 1912 Nr. 239. 26. Jahrgang. LamdurgerEcho. Da« „Hamburger ®d)o" erscheint täglich, außer Montag«. AbonuementSprets (infi. „Die Nene Welt« und „Die arbeitende Jugend«) durch die Patt bezogen ohn« Bringegeld monatlich k 1.20, vierteljährlich x a,60; durch die Kolporteure wöchentlich 30 4 frei in« Hau«, «in,. Nr. 5 4. Sonntags-Nummer mit illustr. Beilage „Die Neu« Welt« 10 4. Kreuzbandsendungen monatlich K 2,70, für das Ausland monatlich .< 4,—. Verantwortlicher Nedakteuri Gruft Köpke in Hamburg. Nedaktion: Srpcb 11 io«: tzehlandstraße 1L l. Stock. •V in den andern Unternehmungen das deutsche und das französische Kapital brüderlich Hand in Hand, entgegen der Mächtegruppierung in ber allgemeinen Politik, die Frankreich an Englanbk Seite stellt :tnb die sich daher in ber Stellung zur Türkei, an beren Er Haltung Frankreich auch als Hauptgläubiger ein Jntereffe hat, nicht durchsetzen kann. Aber ein noch wichtigere» Anlagegeviei harrt bc» europäischen Kapitals: bie Urbarmachung Mesopotamiens. Da« alte Babylonien, die Geburtsstätte bet ältesten menschlichen Kultur, im Altertum sowie unter ben Kalifen das blühendste, reichste unb zivilisierteste L«nb ber Welt, liegt verübet, durch ben Verfall feiner Bewässerungsanlagen teils versumpft, teils in «and erstickt. Die Wiederherstellung dieser Anlagen in moderner Weise würde die alte Fruchtbarkeit neu erwecken, baS Laub zu einem Wohnsitz von Millionen von Bauern unb zu einem wichti gen Produktionslanb für Baumwolle unb Weizen für ben eure pätschen Markt machen und damit dem Kapital, das in da» Land hineingesteckt würde, reiche Profite bringen. Ter englische Ingenieur Willcocks hatte dafür im Auftrag de« Sultan« die Entwürfe schon ftrtiggestkllt. als er durch die Quertreibereien de« deutschfreundlichen Wali von Bagdad bas Lanb verlassen mußte. Trotzbem betrachtet da? englische Kapital Babylonien al? zu feiner künftigen Einflußsphäre gehörend unb bie Ausschließung dieses Landes al» seine Aufgabe: c8 hofft au8 ihm ein zweites Aegypten zu machen. Und wieder spricht dabei das welk politische Interesse mit: bat England Mesovotamien in der Hand, so hat es, genau wie früher den französischen Suez- kanal, jetzt die deutsche Eisenbahn als Zugangswea nach Indien unter seine Kontrolle gebracht. Hier, bei Bagdad, stoßen ber englische unb der deutsche Jmperia- fiSmuS aufeinander, der deutsche vom Weiten ber bie Babn bauend, der englische vom Lsten, vom Persischen Meere vor bringend, deflen Schiffsverbindung mit Bagdad er scvon mono polistert bat. Mesopotamien, der alte Garten Eden, ist das Gebiet, in s a» >ie oeidc, ein aber «m.gigenarbeitend, vordrstiaen. bas sie beibe beanspruchen werden, das jetzt ncdi keinem gehört und gerabe besbalb am ehesten zu ihrem .Kampfobjekt wird. Wer es bekommen wirb, das hängt vöm Schicksal bc« türkischen Staates ab. Bkcwt er durch militärische Kraft aufretfit, als eine Kreatur Deutschlands, deren Waffen bem beutscken Kapital zur Verfügung sieben, so ist dem Vordringen des deutschen Kapitals in Bagdad fein Einhalt zu gebieten. Fällt bie Türkei auseinanber, so wird England sich in Bagdad fest seyen. Ilm den Besitz der alten Kalifenstadt Bagdad gät e» ab: Anlaß unb Einsab. wenn in der Nordsee die Dreadnoughts gegeneinander mobilisiert werden. Der Kampf um Vorderasien ist ber aktuellste, der am un mittelbarsten gefährliche Teil der großen weltpolitischen Gegen iötze zwischen bem englischen und dem beutschen Imperialismus. Tort iteben die Pulverfässer, aus denen am ehesten ein Welten brand auflodern kann - wenn nicht zuvor das Proletariat mit feiner Weltpolitik dazwischenfährt. Die Kalkanwirren. Nachrichten vom Kriegsschauplatz. Wie das zu Beginn eines Krieges üblich ist, kommen über die ersten Zusammenstöße widersprechende Nachrichten. Jede Partei ist bemüht, sich den Sieg zuzuschreiben, schon um dadurch nach außen Eindruck zu machen. So lange nicht Nachrichten von t-nparreiischer und uninteressierter seite vorliegen, ist jede flor trolle der Richtigkeit unmöglich. Von montenegrinischer Seite liegen aus Podgo Tag für Tag, wenn die Zeit heranrückt, ordnet unb putzt sie an allem herum, damit alles in bester Ordnung ist. schon lange vorher sind sich bie beiden Alten gegenseitig behilflich, die alte Hütte auszubessern. zu verkleben und zu tünchen und das Dach zu flicken, wo immer es not tut. So sorgfältig wie möglich rich - ten sie alles her und verschönern alles, damit den Kindern auch in Zukunft noch das alte Weidenhäuschen gefällt. Jakob unb Torte sind am 1. November in aller Frühe auf ben Beinen. Es gibt nichts zu tun, aber sie können nicht schlafen. Jakob hat sich rasiert unb sich das erste Gläschen Rum genehmigt, er geht jetzt hinaus, um noch einmal nachztisehen. ob auch alles so ist, wie es sein soll; er gebt wieder hinein, unb er unb Dortq, unterhalten sich darüber, welch ein Glück es ist. baß das Wetter sich heute so gut anstißt. Fast den ganzen Vormittag sind sie allein. Sie blicken zum Fenster hinaus unb auf bie alte Uhr. „Nun bauert's nicht mehr lange, dann kommen sie," sagt Jakob ein ums andere. Sie gehen wohl auch htnauS bts an den HauSgiebe. und spähen sehnsüchtig die Fußsteige hinunter. Der erste, der da kommt, ist Peter. Seine Holen stecken in ein Paar langen, funkelnagelneuen Schaftstiefeln; bie Narben bes Leders sind noch deutlich sichtbar. Peter ist schon runbrürfi". Er itolBcrt über ben Fußboden wie ein alter Mann unb setzt sich, als sei er sehr müde. lind doch ist er nur neunzehn Jahre alt. Aber er hat von jeher zu schwer gearbeitet; seit zwei Jahren verrichtet er schon Punze Knechisarbeit. Peter will nämlich Geld haben, viel Gelb. „Raa," sagt ber Vater und steckt sich, belebt durch des Sohnes Ankunft, ein frisches Stück Kautabak in den Mund. ..Naa, Peter, Du hast Dir wohl ein vaar Stulpstiefeln zugelegt?" Iakob beäugt scharf die neuen Stiesel und befühlt das Leder. „P—ti." Jakob Weidenhäusler svuckl einen Strahl in weitem Bogen aus. „die sind warm unb gut. Peter zieht die Strippen how. und seine Augen folgen der seinen, roten Saffiankante, die ber Schuster als Abschluß oben angebracht hat. „Aber sie waren auch teuer," seufzte er. ,.A, das kannst Du Dir schon erlauben, mein Bester. Bei dem Lohn, den Ihr heutzutage kriegt — P—ti!" Peter murmelt: „Na, na." „Du bleibst wohl auf Deinem Platz, Peter?" „Ja." „Das ist reckt; das hab' ich gern!" „Ach — ivas, Dreck!" Peter blickt unentwegt vor sich nieder unb ist so merkwürdig schweigsam und verdrossen. D e Mutter bemerkt eS. „Dir ist doch nicht»?" fragt sie. »Ach nein, nichts weiter." „Du bist both nicht etwa krank?" E» zittert wie Angst in ihrer Stimme. »Nein, aber — e» fehlen mir in ber Kasse noch zehn Kronen an dreihunbert." Die Mutter schlägt eine laute Lache auf. „Du bleibst Dir doch immer gleich, ha, ha, ha!" Jalob Weidenhausler aber lächelt vor sich hrn, voll hetm- Sara. Die Geschichte einer Liebe. Von JohanSkjoldborg. — Berechtigte Uebersetzung aus bem Dänischen von Laura Helbt. [2] Unb jeden Tag in der Fremde denkt es- an daS Haus mit dem Weidenbaum unb dem grünen Fleck. Jeden Tag nehmen die Ge - danken daran an Innigkeit zu, bis sich schließlich über ber heimat - lichen Hütte ein Glorienschein wölbt, um den alle Schlösser der Welt sie beneiden könnten. So wird das Weidenhäuschen geliebt von zehn Kindern. Sie tragen es in ihrem Herzen. Und wenn sie, selbst erwachsen, hetm» kehren, bann eilen sie den Berg hinan, als ginge es zum Stelldich - ein. nur, um so bald wie möglich bie Schornsteinspitze vor Augen zu haben. An jedem ersten Novembertag sitzen Jakob unb Dorfe im Weidenhäuschen unb warten auf das Kommen der Kinder, die auf all den verschiedenen Fußsteigen eintreffen. Für diese Fa milie ist dieser Tag der jährliche Festtag geworden. Lange vor - her schon gelten ihm alle Gedanken und alle Worte. Iakob und Torte sprechen von nichts anberm in der ganzen Welt als von den Kindern: ob sie sich gut führen und wie sich ihr Leben über - haupt gestaltet. Iakob, ber Weidenbäusler, versäumt niemals seine Arbeit. Selbst wenn ihm so elend zumute ist, daß et ^morgens auf dem Fußsteig wie ein krankes Pferd zwischen ben Strängen hin unb her schwankt, auf seinen Posten verfügt er sich trotzdem. Am 1 Novencher jedoch bleibt er zu Hause. Er schützt Krankheit vor ober er findet seinem Arbeitgeber gegenüber irgendeinen andern Vorwand; denn er siebt wohl ein, daß er unmöglich den wahren Grund angeben sann. Seinen Tagelohn verlieren, um zu Haufe mit seinen Kindern zusammen zu sein, das ist eine Wetchherzig- feit die ei’i Mann von Iakobs Stellung nicht verantworten sann. Er versucht es auch gar nicht. Er weiß gut, baß es nicht itattfmben darf, er sann nur einfach nicht widerstehen. Wenn Iakob eines Abends kurz vor dem 1. November seine Arbeit verläßt, geb: er zum Höker und macht dort größere Eiu- . täufc an Kaffee, Zucker, Zwieback und Bunge «. Unb dann kauft er auch einen Viertel Liter alten Rum. DaS Ungewöhnliche die,es seltenen Getränks erhöht die Festlichkeit de» Tage, lem Dutt unb bie schöne dunkelbraune Farbe hebt den Mut. -Iber er le« greift gut, daß er hier die Wege der Ileppigkeit und bc-. Lurus wandelt; daher steckt er auch heimlich die ,71a;che IN die Taiche, damit i,jemand sie zu sehen bekommt. Er tut gmiA . aber cf- ist nun einmal Sitte geworden, daß er am „vember :u seinem Kaffee ein Gläschen alten Rum geiuefjt Unb Bor allen Dingen will er nicht, daß Bon dem Glanz biete, lagt* atiui nur ein Tilelchen verloren gebt. . -. An diesem ersten Novembertag funkelt Totter „ ren tatter die an irgendeinem andern Tage des Jahre«. Tie beucn ’ nl ' in - wollenen Vorhänge vor dem Alkovenbett hängen — fntch-gewa a i — in frischen, steifen Falten. liehen Stolzes unb auch barüber, baß bie? ber Grund ber Ver - stimmung war. Peter verzieht keine Miene. Er legt das Geld auf ben Tisch unb zählt. Die Eltern rücken zusammen unb helfen ihm; sie lassen die Banknoten und das Silbergelb immer wieder durch die groben, knochigen Finger gehen. Es wird aber nicht anders, die zehn Kronen fehlen. „Das ist ärgerlich," sagt Peter. „Es ist nur, weil ich die Stiefel kaufte. DaS war dumm!" Er sitzt und starrt das Geld an, daS geordnet vor ihm auf dem Tisch liegt; Und als könne er den Gedanken nicht Io3» werden, Tagt er bett Daler: „Kannst Du mir nicht die zehn Kronen leihen?" „He, nein, das kann ich nicht, Peter, ich schulde noch dem Höker." „DaS ist doch bcS Teufels!" Nach einer Weile fragt der Vater: „Wozu sparst Du denn nun eigentlich das Geld, Peter?" „Ich will ein Gesmäft habeiu" Iakob scheuert sich ben Ellenbogen vor lauter Vergnügen. „Soo, Du willst ein Geschäft haben?" „Jawohl, damit berbient man am meisten Gelb." Die Eltern blicken sich verstohlen an. „Ich will Viehhändler werden, so wie Ander» Pabbesgaard." Das aber scheint dem Alten bebenfiidi. Der bloße Gedanke macht ihn schwindeln. Also selbst ber solide und besonnene Peter konnte ihneit Grund zu Besorgnissen gebetn Der vergnügte unb lebhafte Schimmer verschwindet aus Jakob Weibonhäuslers Antlitz, da? toieber ben gewohnten kummervollen Ausdruck annimmt. Dann sagt er: „Tu wirst doch wohl ein ehrlicher und treuer Knecht bleiben in Deinen Stellungen, damit wir Freude an Dir haben können!" „Ein Geschäft will ich haben", nickt Peter energisch. Die Mutter fürchtet ebenfalls, daß seine Gedanken zu her- messen iiiid, daher fügt sie hinzu: „ES ist wohl am besten, Du bleibst mit ben Füßen auf der Erde und vergißt nicht, wo Du bist." In diesem Augenblick kommt Jen«, ein seit einem Jahre kon - firmierter ctnirpe-, zur Tür bcrcingcitürmt. Er ist sommer - sprossig mit dicken Libpen und hat ein Paar entsetzlich,groge Ohren, die vielleicht heute noch größer als gewöhnlich auSfchcii, da er ganz kurz geschoren ist. Seine Äugen sprühen vor Lebenslust. JenL schwingt ein blaue? Taschentuch. „Huh!" c: uut ' wirft es mitten auf ben Tisch. _ . „ _ . . Der Vater sieht ihn verwundert an. „Las hast ^.u be n „Das ist Weizenbrot und Kuchen 1 H-m- wolle., wir. Gott verdamm mich, einmal flott leben! antwortete b g '"ch'..Jch glaub'. Du bist verrückt. Jung." ichilt die Mutter; im Grunde freut sie sich aber trotzdem urcr ihren ^enc. D« wtter blickt den Sohn rrt an unb tagt mit einer Stimme so voll Güte, daß keine, ber Kinder .hm ie widerstehen konnte: „Mir ist. Jens, als hörte ich Dich fluchen — aber das kann both wohl nicht stimmen." Der Junge errötet und schlägt die Augen nieder. Und uni von diesem Thema abzulenken, öffnet er das Taschentuch unb beißt in einen Kuchen hinein. Die Mutier aber tritt hastig bazwischeit: „Willst Du das lassen, Bursche! Du kannst doch wohl warten, bi» die andern kommen!" Sie reißt das Päckchen an sich und leert den Inhalt auf einen Teller, den sie hinter einen Vorhang auf da» Brett über dem Ofen stellt. . „Ra, Jens," fragt der Vater, „Du bleibst wohl auch, wo Dit bist?" „Nein, ich glaube nicht, daß ich da länger dienen will. Der Mann ist gut, aber s i e ist ein verteufelte- Frauenzimmer." „Willst Du mal ordentlich von Deiner Hausmutter sprechen" tadelt bie Mutter. Unb ber Vater fügt still hinzu: „Jeder ordentliche Dienst böte kann in seiner Stellung bleiben, solaiige er will. Auf diese Art kommen armer Leute Kinder vorwärts!" „Ach Dreck! Stellungen gibt'« genug!" antwortet JenS „Hungern läßt sie unS auch. Und baun hält sie mir vor, daß ich arm bin unb von Haus her nichts BcffereS gewohnt." „Bei solchen Gelegenheiten tun wir ant besten, uns taut zu stellen. Damit kommen wir am weitesten, mein Junge, seufzt ber Pater. Die Mutter fragt in einem Ton, durch den es wie crrocimen beS Mißtrauen klingt: „Dit bist ihr gegenüber doch nicht na-fc- weis?" „Ach — ncinl" kichert der Junge. „Ob Du cs nicht doch mitunter bist? Mir ist bange, Du laß! Deinen Mund zu sehr laufen. _ ®oh' klingt durch ber Mutter stimme ein lener Vorwnrt, doch auch eine geheime Freude darüber, daß ihr Junge nichts an sich herankommen läßt. Daher fürchtet sich Jens auch nicht zu erzählen: ~