Nr. 80. Mittwoch, den 5. Februar 1918. 27. Jahrgang. HamvurgerEcho. „„ Tas »Hamburger flrdio“ erscheint täglich, außer Montags. Aoonnementspreis (inkl. »Tie Neue Hflelt* und »Tie arbeitende Jugend^) durch die Post bezogen ohne Brinaegeld monatlich a 1,20, vierteljährlich a 8,60; durch die Kolporteur« wöchentlich 80 4 tret ins Haus. Ein,. Nr. 6 4. SonntagS-Nummer mit illuftr. Beilage »Tie Reue Wels 10 *. Kreuzbandsendungen monatlich *- 2,70, für das Ausland monaUich 4,—. Redaktion: oc - Exvedition: Fehlandstratze 1l, l. Stock. PllMVUlg oO Fehlandftratze ll, Erdgeschoß. Derantwortlicher Redakteur: Karl Petersson in Hambnrg. Anzeigen die siebengeipaltene Petitzeile oder deren Raum 40 *, Arbeitsmarkt, Bermietuugs- und ffamilienanzeigen 20 *. Anzeigen Annalime Fehlandstr. 11. Erdgeschoß (bis 5 Uhr nnchmrttagsl in den Filialen, sowie in allen Annoncen-BureauS. 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Die Weltgeschichte führt uns verschiedene Persönlichkeiten als Beispiele vor, daß die Philosophie imstande ist, eine über - legene und erhabene Ruhe gegenüber dem Drang mißlicher Ereignisse zu verleihen. Solche Beispiele finden sich meist in der antiken Welt; in der modernen Welt sind sie seltener. Der Philosoph, der zurzeit den deutschen Reichskanzlerscssel cin- nimmt, ist jedenfalls nicht dahin zu rechnen. Zwar zeigt er eine gewisse Ruhe gegenüber den sich drängenden Ercignissen, aber sie ist nur eine äußerliche. Sie kommt auch nicht von einer überlegenen und erhabenen Weisheit, sondern sie ist das SchweigenderVerlegcnheitundRatlosigkcit, während von allen Seiten gegen den Mann zum Angriff ge - blasen wird. Sein Vorgänger, der gefürstete Bülow, hatte sich, um sich zu halten, in die kläglichste Abhängigkeit von den Junkern hineindrängen lassen. Sein bekannter Spruch, auf seinem Grabstein werde man lesen, er sei ein agrarischer Kanzler ge - wesen, war eine recht bezeichnende Beteuerung seiner Ergeben - heit gegen die agrarischen Beutepolitikcr und zuglcick eine flehentliche Bitte, ihn doch in seiner Stellung zu belassen. Es kam alsdann die Farce des Bülow-Blocks mit der „Paarung liberalen und konservativen Geistes". Als die Erbschafts - steuer nur als entfernte Möglichkeit am politischen Horizont erschien, krachte dieser Block auseinander und der überagrarischc Kanzler purzelte über dessen Trümmer. Die famose „Finanzresorm", welche die Kosten der neuen Rüstungen wiederum auf die Schultern der großen Masse ab - lud, verschaffte dem Nachfolger, dem fünften Reichskanzler, eine gewisse Galgenfrist. Diese droht aber nunmehr abzu - laufen. Die Schwierigkeiten um Herrn Theobald v. Beth - mann-Hollweg türmen sich unübersehbar auf. Zunächst unternahm das Zentrum seinen Vorstoß gegen ihn in der Jesuiten frage; es kündigte dem Reichskanzler offen feine Feindschaft an und die erste bedeutsame Wirkung dieser Feindschaft war das Mißtrauensvotum, das der Reichstag ihm, als preußischem Ministerpräsidenten, wegen Der rigorosen Anwendung des polnischen EnteignungSgesches ausstellte. Zwar hat das Organ des Reichskanzlers diesen Be - schluß als „staatsrechtlich" unzulässig und als bedeutungslos oargejiellt. Wir itverschayeu gewiß Die Bedeutung oes deut - schen Reichstages am allerwenigsten. Aber wenn die Mehrheit des Reichstages, hinter der in diesem Falle doch etwa a ch t Millionen Wähler stehen, sich gegen politische Maß - nahmen des Reichskanzlers in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident erklärt, so kann die moralische Wirkung einer solchen Demonstration durch „staatsrechtliche" Tifteleien nicht einmal abgeschwächt, geschweige denn beseitigt werden. Die liberale Presse hackt unablässig auf die Auslands- politik der Firma Bechmann-Hollweg. Im Liberalismus steckt ein großer Teil der kapitalistischen Eroberer, der Flotten- und Panzerplatten-Palrioten, der Kriegshetzer und ähnlicher Elemente, die nicht genug über „Tatenlosigkeit" und „Miß - erfolg" in der Weltpolitik schreien können. Kongo, Tripolis, Kirkkilisse, Adrianopcl — überall sieht man Mißerfolge der äußeren Politik Deutschlands. Wir stehen diesen Uebertrei - bungen sicherlich fern; sic wären aber nicht möglich, wenn nicht in Deutschland die diplomatische Geheimnis - krämerei womöglich noch größer wäre, als anderwärts. Und die Junker? Erst schienen sie einigermaßen zufrieden mit dem Kanzler, der sich so entschieden gegen allge - meines Wahlrecht und parlamentarische Re - gierung aussprach und der in so hohen Tönen die „bewährte Wirtschaftspolitik" zu preisen verstand. Die Beute schien wieder gesichert. Aber da taucht am politischen Horizont schon wieder in verschiedenen Formen die verhaßte Erbschafts - steuer auf. Bei den Junkern herrscht schon lange eine ge - wisse schwüle Stimmung; sie wird noch schwüler, als die Erb - schaftssteuer auch im Bundesrate zu Differenzen führt. Das Gewitter muß nun auSbrechen. Es bricht auch aus, weil der Reichstag das von den Junkern beantragte Verbot des Die überwölbet. Roman von Rlfreb Dod?. [16] (Nachdruck verboten.) Der KrärnerSkarl la« das Schriftstück, las eS mit mackvendem Befremden noch einmal. Der Sachverhalt lag klar zutage, ».er Eigentümer des Hauses Baroper Straße 3 sonnte dte ;->imcn der ersten Hypothek nicht bezahlen, die zweite war oer «par- und Darlehnskasse verpfändet. Wie hatte der Bauunternehmer gesprochen? „Ich habe mein Vermögen in guten Hypotheken an - gelegt." Hier war nur eine Möglichkeit: der Mann batte nch gröblich täuschen lassen. Ta sah man's wieder, auch der ,)llngste wurde einmal hinter das Licht geführt. Die Zwangsversteigerung an sich bedeutete übrigens noch keinen Verlust. Wenn das Hau^- so wertvoll war, wie Bisping versicherte, wurden die beiden Hypo - theken gedeckt. In keinem Falle würde die Kasse Schaden erleiden. Bisping Blieb ihr verantwortlich. Das Richtige^ war, er nahm da» Dokument zurück und sorgte für eine andere Sicherheit. Um der Kasse und um seiner eigenen Ehre willen mußte er, der Krämerskarl, die Angelegenheit sofort in Ordnung bringen. Denn er hatte Vorstand und Aufsichtsrat bewogen, dem Bisping das Darlehn zu gewähren. Der IöckelSheinrich hatte das Schrift - stück überflogen. Vielleicht auch nicht, ^ebenfalls hatte er keine Ahnung, um was es sich handelte. Fhn aufzuklären war Zeit genug, wenn man den Ersatz für die .Hypothek in Händen hatte. Der Rechner holte das Dokument herbei, steckte es in seine Tafcfie und schloß den Kasienschrank ab. Es läutete fünf, stuft fuhr der Anton Blitt aus Lautervach vorbei. Dem rief der Karl zu: „Anton, nehm mich mitl” Er warf seinen Mantel über und eilte hinaus. Der Anton hals ihm auf den Bock, und die Braunen zogen an. Es ging eine scharfe Luft, aber unter warmen Decken spürte man nickt allzuviel davon. „Was willst Du dann heut noch in Lauterbach?" fragte der ^"'"„^ch hab toafc Pressantes," antwortete der Karl. Der Anton bohrte ihn noch ein paarmal an, holte aber nichts aus ihm heraus. . . .Vlud’ auf dachte er und war doppelt geiprnchrg. Er tarn von Engelrod. Dort war unter allgemeiner Be- teiiinuna der alle Peter Schuchardt begraben morden, der den ^orfnamen Tauvenschlad" trug. AIS einziges Kind war er von feinen Eltern arg verhätschelt worden. Damit er sich nickn vev- 'älte legte ihm die Mutter, auch wenn es das schönste Wetter war,'einen Palat.n um den Hals. Der Vater wär seines Zeickena iAnäeh -v.-i, Veterchen wurde konfirmiert. Und die. Rackbarn redeten den Eitern zu, sie möchten den Bub in die Fremde Streikposten stehe ns mit überwältigender Mehrheit ab - gelehnt hat. Dieser Beschluß geht „staatsrechtlich" das preu - ßische Abgeordnetenhaus viel weniger an, als den Reichstag das gegen die Polen gerichtete Enteignungsgesetz in Preußen, aber er entfesselt einen Sturm bei der Junkerschast. Da der Stellvertreter des Reichskanzlers sich gegen das Verbot des Streikpostenstehens erklärt hat, so geht der Vorstoß der Junker formell gegen Delbrück, faktisch aber gegen Bethmann- Hollweg. Die alten Register der Desperado-Politik werden gezogen. Der gegenwärtige Reichskanzler, das ist schließlich der Sinn der ganzen junkerlichen Aktion, muß durch einen „starken Mann" ersetzt werden. Die Ursache der junkerlichen Aufregung ist schließlich nur die Furcht, es möge in irgend einer Form eine Erbschaftsbesteuerung kommen, welche die Staatsbehörde nötigt, in die Geheimnisse der agra - rischen Steuereinschätzung mit der offiziellen Laterne hineinzu - leuchten. Und mitten in diesem Trubel, während die Deckung für frühere Vermehrungen der Streitkräfte noch nicht beschafft ist, will nun der Reichskanzler mit einer neuen Militärvor- lage kommen im Betrage von 100 bis 150 Millionen. Man spricht jetzt sogar schon von 250 Millionen. Ta werden in der Deckungsfrage die heftigsten Kämpfe entbrennen und die Junker und Junkergenossen werden wiederum alles daran setzen, um die Kosten abermals auf die große Masse abzuwälzen. Die Woge der Zeit wird den Philosophen Bethmann über Bord spülen. Das wird sie auch, wenn er dem Beispiel seines Vorgängers Bülow folgen und den Reichstag auflösen würde. Selbst ein relativer Erfolg bei den Wahlen würde ihn nicht in seiner Position befestigen können. Er paßt den Junkern so wenig wie Bülow; also muß er diesem nachfolgen. Das wird die Junkersippe schon besorgen ; die versteht sich darauf. Wir meinen diesem Junker, wenn „seine Zeit erfüllet" sein wird, keine Tränen nach. Ein Besserer kann zurzeit nicht kommen und ein Schlechterer wird den Niedergang der Junker - herrschaft nur um so rascher herbeiführen helfen. Selbst wenn der heißersehnte „starke Mann " nach dem Geschmack der Junker einmal kommen sollte, so würde das am Ganzen wenig ändern. Das ganze Phantom von dem weltum - wälzenden starken Mann, wie es sich int Gehirn der Junker ausgewachsen hat, entspringt einer kindischen Ueberschätzung ber Persönlichkeiten im Verhältnis zu der Macht der Tat - sachen. Napoleon I. war gewiß ein starker Mann, aber ohne die französische Revolution, zn deren Entstehung er doch nichts beigetragen hat, ist seine welthistorische Rolle undenkbar. Auch Bismarck war ein starker Mann. Aber wenn nicht tausend andere Faktoren auf die deutsche Einheit hingedrängt und ihm vorgearbeitet hätten, so hätte er das Deutsche Reich niemals begründen können, bei dem die Einheit ohnehin Stück - werk geblieben ist. Wir leben in der Zeit einer ungeheuren Umwäl - zung; Deutschland verwandelt sich aus einem agrarischen Gemeinwesen in ein industrielles. Die modernen kapitalisti - schen Großbetriebe nehmen einen Umfang an, den früher die menschliche Phantasie nicht erreichen konnte; der moderne Warenproduktonsapparat arbeitet mit schwindelnder Schnellig - keit. Die Weltherrschaft des modernen Kapitalismus hat be - gonnen, die auf fcdes Land zurückwirkt. Die politischen Kämpfe und Wirrnisse sind nur der Reflex der cor, sich gehenden und bis in die unterste Tiefe greifenden ökonomischen Verände - rungen. Keine Macht der Erde kann sie aushalten. Ein starker Mann nach den Wünschen der Junker müßte, um deren Erwartungen zu erfüllen, dies dennoch versuchen. Die Wogen der Zeit würden ihn bald hinwegschwemmen unö ein solches Männlein könnte es nur zu einer komischen Episode unseres Zeitalters bringen. Die Kalkanfrage. Der Wiederbeginn dcS Kriegs. Ter Korrespondent der Wiener „Neuen Freien Presse' in Sofia erfährt autentisch, daß um 8 Uhr 7 Minuten am Montag abend die Kanonade von Adrianopel begonnen bat. Von der Regierung wird die Mitteilung bestätigt. . Dasselbe Blatt meldet aus Sofia: Montag nachmittag um 3 Uhr begann ein Mini st errat, der bis zum Abend dauerte und eventuelle Zugeständnisse der Pforte abwartete. Um 7 Uhr erschien im Ministerrat der griechische Gesandte Panas, der lange mit Geschow konferierte. Dieser wie der Kriegsminister erhielten gegen 8*6 Uhr Born Hauptquartier die Meldung, daß die forcierte Beschießung der Adria- nopler Festung beschlossen und daß bei Kadiwöj eine gegen - seitige Kanonade tm Gange sei. Von den Belagerern wurde den Konsuln und der Bevölkerung von Adrianopel eine Frist gegeben, die Stadt zu verlassen. Tie Botschafter in Konstantinopel teilten der Pforte da« Gesuch der Konsuln in Adrtanopel um Festlegung einer neu - tralen Zone, in die sich die Fremden flüchten könnten, mit. Der Großwesier erklärte sich bereit, dem " Ersuchen stattzugebcn; vor allem sei jedoch die Zustimmung der Bulgaren erforderlich. Nach nichtamtlichen bulgarischen Meldungen hat die Be - schießung Adrianopels Montag abend um 8 Uhr begonnen und ist mit Unterbrechungen bis Tienstag früh fortgesetzt worden, wo die Beschießung wieder lebhafter einsetzte. Einige Stadt - teil evon Adrianopel sollen in Flammen st ehe n. Tie türkischen Militärbehörden betreiben eifrig die Requisi - tion von Pferden und Wagen für Militärtransporte. In den Konstgntlnopeler Moscheen werden öffentliche Porträge und Predigten zugunsten des Krieges abgehalten. Tie erste und die siebte griechisckeDivifion sind durck Einstellung neuer aus Athen eingetroffener Truppen beinahe wieder auf ihre ursprüngliche Stärke von 20 000 Mann gebracht worden. Di« Serben wollen nicht mehr mitmachcn. Tas Crgan der serbischen Notionalistenpartei „Srpska Zaltava" richtet einen Appell an den König Peter als den Höchst - kommandierten der serbischen Streitkräfte. Darin beschwört sie den König, wenn schon die serbische Regierung so kurzsichtig sei und eine nicht nationale, sondern rein bulgarische Politik betreibe, doch seinerseits um keinen Preis zuzugeben, daß dty Blüte der serbischen Kraft nach Adrianopel und Tschataldscha in den sichern Tod geschickt werde, um fremden Vorteils willen. Es fei nicht wahr, daß es sich in Trazien um allgemeine Balkanintereffen handle. „Wer darf es wagen," sagt das nationalistische Crgan, „das eigene Land zu entblößen, um ein fremdes zu vergrößern? Wer wird uns helfen, uns zu verteidigen bei einer etwaigen Invasion vom Norden her, von ber die Regiern ngsorgane uns so viel zu er - zählen wissen? Wir fragen: wohin schicken Sie uns, Majestät?" Wilhelm II. als Friedensstifter. Der Berliner Korrespondent des „Daily Expreß" schreibt seinem Blatte: Kaiser Wilhelm habe dem deutschen Gesandten in Sofia den Auftrag erteilt, König Ferdinand ernste Vorstellungen zu machen und ihm zu raten, das unnachgiebige Verharren auf feiner bisherigen Politik aufzugeben und die von den Türken angebotenen Friedensbedingungen anzunehmen. Die Türken hätten sehr große Opfer gebrockt, und der Bulgarenkönig würde uniwi.se handeln, wenn er ihre Vorschläge nicht annehme. Aebn- luye Vorilellung.'n, wenn auck nicht so bitdt und energisch, seien auf Veranlassung des Kaisers auch in Belgrad, Cetinje und Athen erhoben worden. politische Uebersicht. Regierung-- und Junker - Attacken gegen den Reichstag. Daß die Junker und ihre Patrone im StaatSreziment bei ihren reaktionären Umtrieben systematisch vorgehen, ist eine alte Erfahrung. Sie verfahren nach der Erwägung, es müßte „Gewicht sich an Gewicht hängen" wider den Gegner. Dem Scharf - macher-Vorstoß des Herrn v. Kar do r ff, der gegen die gewerk - schaftliche Arbeiterorganisation, das Koal'itionsrecht der Arbeiter und die st^ialdomokratische Partei sich richtete, folgte in voriger Woche im preußischen Dreiklaffenparlament die Attacke des Ministers v. Dallwitz wider den Reichstag wegen des Be - schlusses zur „Frage" her Polen-Enteignung. Diesem „guten Beispiel" folgte in der Sitzung des preußiicken Abgeordneten - hauses am Montag der ft ei konservative Abgeordnete v. Zedlitz. Dieser „Freiherr" glaubte eS dem Lande Und der Regierung schuldig zu fein, auch noch eine Kritik an Sem Mißtrauensvotum des Reichstages zu üben. Wenn eS wahr wäre, was er kecklich behauptete, daß dieser Beschluß „genau so belanglos sei, als wenn der Reichstag beschlossen hätte, hie Sonne solle nicht mehr scheinen" — weSbalb bann die Erregung, der Zorn ber regiere nben unb mitregieren ben Herren? Ihr Versteckenspielen hinter bem Ton hochmütiger Gleichgültigkeit, den sie anschlagen in bemselben Augenblick, wo sie ihrer Erbitterung brastischen Ausdruck geben, wirkt tragt* komisch Junker Zedlitz erklärte im Anschluß an feinen ab- funden Vergleich: ber Reichstag habe „eine Kritik an ber Aus - führung preußischer Gesetze geübt, A u i e r e r nicht zuständig i ft , daß er sich eines schwere nEingriffsindieBesug- nisfe be 5 preußischen Landtags schuldig gemacht hat". (!!!) In diesem „schuldig g e m a ch t ", das der Präsi - dent ungerügt passieren ließ, steckt ein Unmaß junkerlicher U n — verfroren he it, die ber blaublütige „Volksvertreter aber doch noch einigermaßen zu steigern wußte burch bie wahrhaft skanbalöse Behauptung: „Wir sind es > e m Reichstag selb st schuldig, daß wir dagegen protestieren, weil es den Reickstag nur selbst herab - fetzen könnte, wenn er auf ber schiefen Bahn deS Eingreifens in bie bunbesüaatlichen Rechtssphären fortfährt und sich gewiss«r- mahen als unitari scher Konvent etabliert. W i r wahren damit zugleich auch die Rechte ber andern Bundes st aaie n." (!!!) Die Wahrheit liegt genau umgekehrt. AIS „unitarischer Konvent", der die G e s chi ck e des ganzen deutschen Volkes bestimmen und beherrschen will, geriert sich schon lange das Junkertum im preußischen Landtage. Zu be - haupten, daß sich dieses fluchbelastete Toppelparlament ber Standes- und Klassenherrschaft gegen Eingriffe in „seine Rechte" durch den Reichstag wahren müsse, beißt bie Ta tsachen a u f b e n Kopf stellen. Umgekehrt ist es: der Reichs tag hat sich der Anmaßungen deS preußischen Re - giments und des Junker-Konvents zu erwehren, die schon so viel Unheil über das deutsche Volk gebracht haben Tie Majoritäten des preußischen Landtags, des Abgeordnetenhauses und des sogenannter „Herrenbausek" sind es die bisher be - stimmend und entscheidend auf das Reichsregiment, die verbündeten Regierungen, und leider so oft in wich- tigert Fragen auch auf den Reichstag eingewirkt baden. Rechte des Reichstages, die sich auS dem ganzen Wesen einer nationalen Vertretung ergeben, werden verkannt, verhöhnt und nach Möglichkeit vergewaltigt. Ein m ö g • l t ch st unmaßgebliches, ein S cha ttendasein soll ber Reichstag neben dem System führen, in bem „preußisch Trumpf" ist. Wir meinen, daß gerade bie Vorgänge ber letzten Tage, seit Ablehnung der Beantwortung ber Polen-Interpellation burch den Reichskanzler, dem Reichstag sehr nackdrücklich seine im Inter - esse feines eigenen Ansehens und seiner Aufgaben, wie im Interesse der Nation zu erfüllende Pflicht bemon- ftrieren, sichjenemSystemmitgrößterEntschteben- heii zu widersetzen, insbesondere sich die sogenannten „Kompetenz"-Konflikte, di« von preußischen Regierungsmännern vom Zaun« gebrochen werden, und bie in derselben Richtung gehenden unverschämten Angriffe preußischer I u n f c r , bie im Rahmen des preußischen „Parlamentaris - mus" erfolgen nicht gefallen zu lassen, sondern so scharf und so rücksichtslos wie möglich Front dagegen zu machen. Vor einigen Tagen berichtete bie „Kre-uzzeituna", daß ber Reichstagspräsibenl T r. Kaemps beabsichtige, am Mittwoch bei Beginn ber Sitzung eine Erklärung ähnlich der - jenigen abzugeben, die seinerzeit ber Präsident Dr. Graf zu ^tol- derg-Wernigerobe gegenüber einer Rede deS Abgeordneten v. Brandenstein abgegeben hat. Auch dieser Junker batte den Reichstag in Ausübung feiner Funktionen frivol behandelt. Ob der Präsident in berechtigter und pflichtgemäßer Aus - übung seines Amtes so verfahren wird, wird morgen zur Kennt - nis unserer Leser kommen. Auch wenn er es nicht tun sollte, wird den Dallwitz, dcn Kgrdorsf, den Zedlitz und ihren Genoffen nichts geschenkt werden. Man kann dazu eventuell den Weg der Jnterpejlation an den Reichskanzler betreten. Eine fette (?«te läßt die „Frankfurter Zeitung" auffliegen. Sie berichtet von einem angeblichen „schwarz-roten Wahlbündnis" fol - gendes: „Ein bekannter Führer des Zentrums hat mit einer führenden Persönlichkeit ber Sozialbemo- Iratic bereits Fühlung zu nehmen versucht wegen eines ge - meinsamen Vorgehens bei Reichstagswahle it, im Falle es zu solchen nach ber Ablehnung ber bevorstehenden Militärvorlage und einer dann folgenden ReichstagSauf- l ö s u n g kommen sollte. Der betreffende Zentrumsabgeordnete hat im Falle des Zusammengehens mit .ber Sozialdemokratie bereits einen Plan entwickelt, wonach für bie Hauptwahlen bie Parteien natürlich selbsiänbig vorgehen, abgesehen von etwa notwendig werbenden Abkommandierungen in einzelnen Wahlkreisen, und bie Kooperation erst vollständig bei den Stichwahlen in Kraft tritt. A u f sozialbemokra- t i s ch e r Seite hat mau sich bisher diesen Annäherungen gegenüber sehr kühl verhalten, wohl auch deshalb, weil man merkt, daß das Zentrum nicht gerade die Absicht bat, der Sozialdemokratie Mandate zuzuführen oder zu sichern, son - dern daß es vielmehr wünscht, durch Schwächung der bürgerlichen Linken fid) wieder die Möglichkeit einer doppelten Mehr - heit sowohl mit der Sozialdemokratie wie mit ber Rechten zu verschaffen. Dann würbe, falls bie Militärvorlage in dem jetzigen Reichstag abgelehnt und einem neugewählten wieder vorgelegt würbe, bas Zentrum in ber Sage fein, unter gewissen Bedüngun - gen sie mit Hilfe ber Rechten anzunehmen ober sie roieber mit Hilse bet Sozialdemokraten abzulehnen." Daß bie Sache nicht wahr sein t a n n, hätte sich auch bie „Frankfurter Zeitung" selbst sagen können. So wenig die Sozialdemokratie mit preußischen Junkern ein Wahlbündnis schließt, so wenig wird sie ein solches mit dem Zentrum eingehen, schicken, damit er als künfttger Schmied etwas Tüchitges lerne. Die Alten dachten nicht daran, sich von ihrem Einzigen zu trennen. Tiefem selbst als einem rechten Nestkuller wäre daS größte Leid widerfahren, wenn man ihn in die weite Welt ge - schickt hätte. Wie nun daS Gequackel ber Leute nicht aufhören wollte, sprach die Sckuchardtin zu ihrem Mann: „Weißt Du was? Wir verstecken bas Petercheit im Taubenschlag. Ta mag er vier Wochen Hocken. Ternachert sagen wir, er wäre in ber Fremd' gewesen." Gesagt, getan. Das Peierchen verkroch sich in den Taubenschlag, blieb dort über Taa und wurde bei guter Ver - pflegung schnegelfett. Nun geschah's, bah bes Nachbar? BaliheS bem ^Peterchen seine Kamerabin, bas Stänzcke, brunten im Hos mit Schlägen traktierte. Auf einmal öffnet sich ber Taubenschlag, bas Peterchen steckt ben Kopf aus ber Luke unb schreit: „Dreck- spatz, hörst Du auf! Wann ich alleweil nct in her Fremb' wär, käm ich erabber unb tät Dir ben Buckel voll hauen!" Ta lieh ber Balthes von bem Stänzche ab und guckte wie vergeistert in die Höhe. Dann lackte er hell auf. Und auch daS Stänzche lachte übers ganze Gesicht. Eine Viertelstunde danach wußte das ganze Dorf, wo da? Peterchen in ber „Frembe" war. Das erzählte der Anton Blitt unb erzählte noch viel mehr, benn er kutschierte jahraus, jahrein im Vogelsberg herum unb kannte sich tu allen Dörfern aus. Ter Krämerskarl hörte nur mit halbem Ohr zu. Seine Gedanken waren bei dem Bauunternehmer in Lauterbach. Wenn bet jetzt nicht zu erreichen war, was gab'? bann? Er konnte ge - fährlich krank geworben sein. Der Arzt würde niemand zu ihm lassen. Er konnte auch in Berlin ober in Frankfurt sein, mit seinen Abnehmern zu verhanbeln. Wegen ber Lobnzulagen hatte er sick auf ihn, ben Karl, als seinen Stellvertreter, verlassen. Der kleine Kumpf batte recht. Ein Bries ober eine Postkarte wäre bock wohl am Platz gewesen. Große Herren erlaubten sich alles. DaS beschäftigte unb erregte ben Karl. Allmählich beruhigte er sich- Warum sollte er sich ben Hirnkasten zerreißen? Der Bisping war ein reicher Mann. Die Kaffe würbe nichts verlieren. Noch vor Abenb kam bie Kreisstadt in Sicht. Ter Sinton lenkte in die Bahnbofstraße ein unb setzte dort seinen Fahrgast ab. Ter zog ein paar Minuten später im Erbgeschoß eines statt - lichen Hause» die -theile., Niemanb öffnete ihm. Er fckelltc noch einmal. Jemand rief von oben: „Sie wünschen?" „Ich wollt ben Herrn Bisping sprechen. „Bitte, kommen Sie einen Augenblick herauf." e? war der Hauseigentümer, der ben Rechner in ein be - haglich durchwärmtes Zimmer führte. „Sie Haven mit beut Herrn Bisping Geschäfte?" „Jawohl, iit wart schon feit vierzehn Taget: ans ihn. Sann warten sie vergeblich. Er ist samt seiner Frau spurlos verschwunden. Hoffentlich haben Sie nichts von ihm zu fordern. Sonst können Sie s in den Schornstein schreiben. Dem Schwindler gehört nicht das Hemd auf dem Seib." Der Krämerskarl entfärbte sich unb streckte bie Arme aus, als ob sein Körper ben Halt verliere. Rasch sprang der Hausherr herzu, stützte ihn unb geleitete ihn zu einem Sessel. „Ist Ihnen nicht gut? Ruhen Sie sich ent bißchen aus." Keines Wortes mächtig, an allen Gliedern zitternd, fiel ber Karl auf ben Sessel. Der Besitzer ließ eine Weile vergehen. Dann fragte er: »Ist Ihnen jetzt besser?" Der Karl nickte. „Sie haben sich erschreckt." sagte der Hausherr voll Mitgefühl. „Ich kann mir's schon denken, tfie sind auck bei bem Bisping bercingcfaUeiL 's ist zwar ein schlechter Trost, aber ,8 ist doch ein Trost: Sie haben viele Leidensgefährten. Ich bin selber darunter. Für die Miete, die mir der Gauner schuldig geblieben ist, wollt ich mich an seiner Einrichtung schadlos halten. Gestern schreibt mir eine Frankfurter Firma, sie nimmt die Möbel als ihr Eigentum in Anspruch. Der Bisping hätte nur eine kleine Anzahlung geleistet. Ich kann gar nichts dagegen machen unb gehe leer aus. Dabei hat der Spitzbub brei Jahre mit mir Kontrakt gemacht. Der hat ben Rummel verstauben! Wenn man ihn so sprechen hörte, floß er von Biederkeit über. Ich habe einmal gelesen, in ber Hölle werben bie Heuchler in einen Blei- mantel gesteckt unb müssen mit verrenktem Hals rückwärts gucken. Ich wünsch so leicht keinem Menschen was Böses. Dem Bisping, bem Gleisner, tät ich's gönnen!" Obzwar ber Karl den Anfall überwunben hatte, war er doch völlig fassungslos. In seiner Verzweiflung legte er alle Zurückhaltung ab unb schüttete sein Herz vor bem Hausbesitzer auS. Der hörte ihm aufmerksam zu unb sprach sich bann dahin aus, es sei ihm nicht mehr zweifelhaft, baß Bisping bie Komödie mit bem Basaltbruch nur aufgeführt habe, der Spar- unb Dar- lebiiskasse bie sünfzigtaufend Mart abjugaunern. _ Daß bei ber Zwangsversteigerung in Dortmund für die zweite Hypothek etwas übrig bleibe, fei im höchsten Grad unwahrfchecnlick. Immerhin müsse man, um nichts zu versäumen, an maßgebender Stelle Er - kundigungen einziehen. Es dunkelte» als ber Krämerstarl sich zum Gehen wanbee. ’.iuf bet Straße packte ihn aufs neue ein Schwindel, bah er förmlich ins Taumeln geriet. . . Ein paar Jungen, die nicht anders glaubten, er, habe be- Guten zuviel getan, riefen ihm nach: „Er hat! Er batI Er war froh, als er bie Stabt hinter fick hatte. Dee frijcne Luft tat ihm gut. Der Weg führte zu beträchtlicker Höhe hinan. Dnnungeacklet schritt er wacker zu. Wenn ihn die Kräfte nicht veilteßen, konnte er in drei Stunden zu Hause sein. Plötzlich blieb er stehen unb schrie: „Wie nur ein Mensch so schlecht fein sann!" Dann wimmerte er: „Wem soll man noch trauen!" Er wollte an bas Furchtbare gar nicht benfen. Er spürte, es würbe ihn niebertoerfen. Nur vorwärts, vorwärts! Der Walb nahm ihn auf, mächtige Buchen mit Lärchen ge - mischt. Ringsum ertönten bie Stimmen ber Nacht. War bas ber Sturm, ber so schrecklich heulte? Da? war nicht der Sturm. Ja, was war's benn? Dem Herzhaftesten konnte ber Mut entfallen. O weh! Da kam's. Ein grausames Lärmen, Geißelplatzen unb Räbevgerassel, Pserbegehuber unb Hundegebell. Unb einer johlte: „Juhu, juhul" Bei Gott im Himmel, bas toütenbc HeerI Dem Karl trat ber kalte Schweiß auf die Stirn. Er sing laut zu beten an: „Weicht, ihr Trauergeister. Tenn mein Freudenmetster Jesus tritt herein!" Schon war das Teufelsgespüknis verschwunden. Von fern klang's wie verhallender Donner. Ein Wiesengrund tat sich auf. Nahebei glänzten die Lichter von Hopfmannsselb. Dem Karl kehrte der Mut zurück. Von Hopsinannsfeld hatte er noch eine Stunde nach Hause. . Er hastete weiter. An Wäldern und Oeben, an icfilarcnbcn Dörfern vorbei. Gegen Mitternacht passierte er die Grenze der heimischen Gemarkung. t Aut einmal verlangsamte er |ctnc Schritte. Eme Zaghaftigkeit fiel chn an. Tainenb Gedanken stürmten auf ihn ein. Wie sollte er künftig als Beamter der Kasse bestehen? er hatte die Beleihung der Hypothek begünstigt. Jawohl. Doch war's in gutem Glauben geschehen. Aber hatte er nicht tausend Mart von dem Bisping genommen? Allerdings, für feinen Aufsichtsdienst. Hätte er geahnt, au» welchen Händen bas Geld kam, er hätte es weit von sich gewiesen. Nein, sein Ge - wissen war rein. Mochten sie ihn unbedacht, ja leichtsinnig schelten, seine Ehre konnten sie ihm nicht nehmen. Und Ehre ging über Gelb und Gut. Der Nachtwächter hörnte zwölf, da der Krämerskarl über die Sckwelle seines Häuechens schritt. Leise, daß er die Pörtegriit nicht störte, ging er durch ben Laden in das Kassenzimmer und zündete die Lampe an. Tann schrieb er, dem Rate des Haus - besitzers in Lauterbach folgend, an seinen alten Chef, ben Herrn Peter Schulte in Dortmund, und bat ihn. Sachkundige zu be« fragen, ob bei ber Zwangsversteigerung des Hauses Baroper Straße 3 für Pic zweite Hnpothek etwas zu erhoffen fei. Seine Hand zitterte, so hinfällig war er, so todesmatt. Doch setzte er die Feder nicht eher ab, bis er ben Bries beendet hatte.