Nr. 48 Mittwoch, den 26. Februar 1913 27. Jahraaua MmvurgerEcho Tas »Hanibiirner »dio" erscheint täfllid). aufier Montag«. Slbniinementsprei« linkt. .Tie Reue »Selt« und .Tie arbeitende Jugend«) durch di, Post bezogen ohne Bringegeld monatlich ,luzsassung wird verwirklicht', dtp Türkei verständige sich über die bulgarijchen, serbischen, griechischen und montene - grinischen Ansprüche und die albanische Frage sei gelöst, so daß auch die russisch-österreichische Spannung nachläßt und nament - lich Oesterreich die furchtbaren Lasten, welche die Aufstellung einer großen Armee nun schon seit Monaten ihm auferlegt, endlich sich ersparen kann. Aber schon taucht eine neue Frage aus, an die man bisher weniger gedacht hat — die Frage der Kriegsentschädigung. Sie wird schon aufgeworfen, ehe die Türkei definitiv be - siegt ist. Man kann ja annehmen, daß sie schließlich besiegt werden wird, wenn der Krieg in der bisherigen Weise fort - dauert. Aber dann ist auch nicht ausgeschlossen, daß der Krieg aus weitere Gebiete überspringt und dann ist sein Ausgang gar nicht abzusehen. Aber daß die Frage der Kriegsentschädigung jetzt schon ausgeworfen wird, halten wir für ein neues Manöver der rus - sischen Diplomatie, das den Zweck verfolgt, die Türkei bis aüfs äußerste zu demütigen und zu schwächen oder den Friedens - schluß zu hintertreiben und durch die definitive Niederlage der Türkei zum gleichen Ziele zu gelangen. Es wäre albern, heute noch leugnen zu wollen, daß die Politik des Balkanbundes von der stets ihre Friedensliebe beteuernden russischen Regierung gemacht wird. Nun ist zunächst der bulgarische Finanzminister von Petersburg aus dahin informiert worden, daß er eine Kriegsentschädigung von der aufs äußerste erschöpften Türkei verlangen muß. Der M«s unh feine streune. Von Oskar Wöhrle. [7' Lange hielten wir c8 in der Stadt nicht aus. Dir marschierten weiter und waren froh, als etwa» i^onne kam. Schon erliche Tage hatte es mich 'auf meinem Rücken so seltsam gejuckt. Wenn ich den Rostocker fragte, was das sei, lachte er nur: „Bienen, mein Junge, BieiienI" Als wir in eine einjame ....... .4.u v .v -uct) et ,ich uni) jagte: ,,^a) nun mir mal den Bienenstock ansehcn!" Wir setzten uns hm, ent- kleidete» uns und suchten unsere Stauden ab. Mir wurde ganz erbrecherisch zu Mute, solche Viecher hatte ich meinen Lebtag noch nicht gesehen. Insgesamt sanden wir 413 Stück, beim wir zählten sie. Diesen gruben wir ein schönes Grab, lochten sie hinein und setzten zwei Stecken daraus, daran ein Blatt Papier mit der Inschrift: Hier beschlossen 413 ausgemästete Bienen ihren Lebenslauf durch Menschenhand. Die Hemden legten wir vier bis fünf Stunden in das Meerwasser und wälzten einen Stein darauf, damit sie nicht forlgeschwemmt werden konnten. Derweilen badeten wir und liessen uns von der Schon citidK Tage hatte es mir auf meinem Rücken so seltsam zurückgebliebenen Läuse würden ersaufen und wir Ruhe haben. ?lber weit gefehlt! Nachdem wir die Hemden getrocknet hatten und wieder hineingeschlüpft waren, biss die zurückgebliebene Brut noch niederträchtiger. Ter lange Aufenthalt im Seebad mutz ihnen Appetit gemacht haben. Abends fing es wieder zu regnen an. Als wir im Wald eine Hütte fanden, die geschlossen war, standen wir hinten unter und machten aus Kistenbrettern, die herumlagen, ein schönes Feuer. TaS flackerte dermassen, dass auch die Hütte anging. Da wir nicht löschen konnten, blieb uns nichts anderes übrig, als möglichst rasch zu verschwinden, denn wie Prügel schmeckren, wussten wir bereits. Unsere Flucht war so eilig, dass wir in den mit todjlamm nnd Wasser gefüllten Strassengraben einsanken und über und über verdreckt wurde». Natürlich gab jeder dem andern die Schuld daran. Es hätte nicht viel gefehlt, waren wir aneinander aeraic». . , , .. Als wir nach Nizza kamen, jähen wir beide wie richtige Landstreicher aus. Dock) keine halbe Stunde später kam der Rostocker mit einem frischen Anzug und ganzen Schuhen daher und sagte, er wolle schauen, wo er »och einen Hut bekäme, der dazu passte. Sein Beispiel machte mir Mut, und cm Lwtelportier, den ich um Kleidung ansprach, schenkte mir ebenfalls eine Montur, und zwar war die besser, als dem lllostocker seine, was den nicht wenig ärgerte. In Nizza gab es eine Stiftung, die jeden Morgen Brot und Suppe auSteilte, Wir gingen nur einmal Das böse Beispiel hat allerdings seinerzeit Bismarck gegeben, welcher der französischen Republik für einen Krieg, bei dem er den Kaiser Napoleon III. zum Losschlagen ge - zwungen, zwei Provinzen abnahm und eine Kriegsentschädigung von 5000 Millionen Franken auferlegte. Der französischen Bourgeoisie, klein und groß, war dieses Opfer, das schließlich doch von der Gesamtheit des Volkes getragen werden mußte, eine schöne Gelegenheit, ihre Kapitalien in einer sicheren Rente von 4% pZt. anzulegen. In neuerer Zeit hat man von solchen Auflagen abgesehen; das siegßkiche Japan verlangte von Rußland keine Kriegsentschädigung und auch Italien hat bei dem Friedensschluß, der den tripolitanischen Krieg beendigte, keine solche gefordert. Bezeichnend ist es, daß gerade die rus - sische Diplomatie nun zu einer solch harten Maßregel gegen die Türkei treibt, da man doch in Petersburg noch nicht ver - gessen haben kann, was die Zahlung einer Kriegsentschädigung an Japan für Rußland bedeutet hätte! Gerade Bulgarien ist seinen finanziellen Verpflichtun - gen, die es im Berliner Vertrage von 1878 gegenüber der Tür - kei übernommen hatte, nicht nachgekommen. Das küm - mert aber den bulgarischen Finanzminister gar nichts, denn er hat natürlich triftige Gründe für seine Forderung. Gründe, sagt ein Sprichwort, sind so billig wie Brombeeren. Die Gründe des bulgarischen Finanzministers sind noch bedeutend billiger. Denn er tut kund und zu wissen, Bulgarien müsse auf einer Kriegsentschädigung bestehen, weil die Verluste an Men - schen, Vieh und Kriegsmaterial sowie das völlige Stocken der Geschäfte Bulgarien große Opfer auferlegten und eine große Krise herbeiznführen drohten. Die annektierten Provinzen seien entvölkert und verwüstet und bilden keine genügende Hilfs - quelle, um neuen finanziellen Lasten standhalten zu können. Daß die Türken selbst die annektierten Provinzen verwüstet haben sollten, ist kaum oder doch nur in geringem Maßstabe anzunehmen. Dagegen hallten in ganz Europa die Klagen wider über die Verwüstungen und Grausamkeiten der christ - lichen Heere, die einen „Kreuzzug" gegen den Halbmond unternommen hatten. Sie haben die Traditionen der alten Kreuzzüge wohl gewahrt. In wie vielen Städten mögen alle „Heiden", Männer, Frauen und Kinder, abgeschlachtet worden sein wie einst bei der Erstürmung von Jerusalem im ersten Kreuzzuge ! Und dafür soll nun die Türkei eine Kriegsent - schädigung an die Bulgaren bezahlen. Das sieht doch ganz so aus, als ob es am grünen Tisch zu Petersburg ausgeheckt morden wäre. Ein Berliner Blatt macht sich üvcr oieses Auftreten ber Bulgaren luftig und spricht vom Beginn des Katzen - jammers. Ach, der Katzenjammer ist schon längst da und die edlen Herrscher von Griechenland, Serbien und Monte negro möchten auch ihre teeren Staatskassen füllen. Aber diese Sache bedeutet mehr als Katzenjammer. Die Türkei soll, wenn sie überhaupt Frieden schließt, so geschwächt werden, daß sie womöglich zum Staatsbankerott getrieben wird. Damit kommt die russische Politik wieder ihrem Ziele näher. Die Leute, welche die Friedensmanifeste de- Zaren seiner - zeit ernst genommen haben und heute noch an die Friedfertig - keit der russischen Politik glauben, mögen uns für Schwarz - seher halten. Sei's darum! Das nächste Ziel der russischen Eroberungspolitik ist und bleibt Konstantinopel. Was Ruß - land auf dem Balkan bis jetzt getan hat, sind ifitr Vorderer jungen für die letzten Schritte, die zu diesem Ziel führen sollen. Wenn es jetzt zu einem Frieden kommt, kann er nur ein trüge - rischer oder vorübergehender sein. Es sind durch diese unge - heure Balkankrise so viele Fragen aufgeworfen und so viele Erschütterungen bewirkt worden, daß ein plötzlicher Stillstand aller der in Bewegung geratenen Faktoren kaum denkbar ist. Das sind keine guten Aussichten. Aber es hat keinen Zweck, die Augen zu verschließen. Tröstlich ist nur, daß die Balkan- krise für alle Kulturvölker einen gewaltigen Impuls bildet, ihre Angelegenheiten selber in die Hand zu nehmen. hi», den» da e$ sehr viele Hotels hatte. Maren wir mit dem Essen nie in Verleqenheit. Abfälle qab es überall,^ fopar Leute, die einem »och Geld dazu schenkten. Eine Woche später verliehen wir die prächtige Stadl und wanderten über Monte Carlo, wo jeder auf der Bürgermeisterei einen Franken bekam, Mentone zu. Unterwegs saben wir viele Blumenzüchtereien. Ganze Felder starwen voller Nelken, Veilchen und Rosen. DaS bildete zu den schneebedeckter Bergen im Hintergrund einen merkwürdigen Gegensatz. Wahrend wir darüber redeten, kam ein junger Mann daher und hörte unS eine Weile zu. Dan» fragte er, ob wir Lust hätten, bei ihm zu Mittag zu essen. DaS liehen wir unS nicht zweimal sage». Wir erfuhren von ihm. dah er sich früher lange in den holländischen Kolonien aufgehalten habe und jetzt Buchbaltcr in einer Blumenzüchterei sei, wo cS ihm aber nicht gefalle. Er hatte bald heraus, daß der Rostocker auch Englisch und Dänisch konnte, und fragte ihn, ob er nicht bereit wäre, seine .stelle zu versehen. Die Arbeit bestände nur darin, die fremdsprachliche Korrespondenz zu führen. Als der Rostocker daS hörte, blühte er übers ganze Gesicht nnd konnte kaum erwarten, in dir Plantage geführt zu werden. Ich ging mit und dachte, er werde schon wieder herauskommen und mir Bescheid sagen. Ich wartete fünf geschlagene Stunben. kein Bein lieh sich sehen. Nun wurde mir die Sache zu dumm, ich dachte, ein BaldamuS kann auch ohne einen Rostocker fertig werden, und ging fort. 8. In Mentone lernte ich einen Arzt kennen, der mir Arbeit verschaffen wollte. Ich hatte aber die richtige Möge nicht unv überschritt die Grenze. Die italienischen Zollwächter wollten mich nicht durchlaffeu, ich hatte zu wenig Geld bei mir. So blieb mir nichts anderes übrig, als die ■ Dunkelheit abzupassen und einen grossen llmiveg ums Zollhaus zu machen, waS auch unbemerkt gelang. In Veinimiglia traf ich einen, der nach Genua zu wollte. Diesem schloss ich .»ich an. Wir tippelten acht Tage lang und belagen m dieser Zeit kein Bett, sondern muhten ständig Platte reissen. Auch mit dem Essen war's mau, hätten wir unS nicht au verschiedene Klöster halten können, wäre cS uns schlecht er - gangen. Als wir einmal in ein Weinfcld entbrachen und Trauben abpflückten, krachte in der Nähe ein Schuh. Wir rissen schleunigjt aus, blieben aber aty dem Draht der Ilrnzäunung hangen uns verschlugen uns die Schienbeine. In Savona besuchten wir den Pizekonsul. Der war aber kein Deutscher, sondern ein Ein - heimischer und gab trotz unserm Zetern nichts her. Wir suchten in Genua das Konsulat auf. Hier bekamen wir einen Bo» zum esse» und Schlafen. Den Tag darauf gingen wir wieder hi» und erhielten wieder nur einen Bon, als wir aber den dritten hole» wollten, wurden wir grob hinausgewiesen. ES blieb uns nicht» anderes übrig, als im Asilo Notturno zu schlafen. Hier war eö säuberlich, auch Eisen wurde verabreicht. Der einzige Haken war daS frühe Aufstehcn. Wir trieben uns viel am Hasen herum und fanden hie und da kleine Arbeiten. Waren deutsche Sckjisfe da, so kochten wir ab, d. h. wir suchten die Küche und fragten dort um Essen. Brauchten Die tzalkanfrage. ftinc Pause in den Kämpfen. Der Winter mit seinen Unbilden, die für die armen Soldaten auf beiden Seiten eine furchtbare Vermehrung der Cualen mit sich bringt, hat zeitweilig eine Pause in den Kämpfen eintreten lassen. Ein Konstantinopeler amtliches Kriegsbulletin besagt: Infolge des herrschenden Schneesturmes hat sich vor Tschataldscha, Adrianopel und Bulair nichts neues er - eignet. Nach einer Meldung der »Agence Bugare" ist General Sawofs der Bitle der griechischen Bischöfe von Tschataldscha und Tschorlu nachgekommen, den auS den Dörfern bei Tschataldscha g e - siebenen 700 hugtgerleibenden Chrtsten Nah - rungsmittel zuzuweisen, und hat den bulgarischen Militärbehörden sofort entsprechende Anweisunaen gegeben. Am 25. Februar wird auS Konstantinopel gemeldet: Es heißt, dass ein türkisches LandungskorpS Scharkoej besetzt habe, doch steht auch für diese Meldung die amtliche Bestätigung aus. Die bulgarisch-rumänische Streitfrage. Nach einem Telegramm der .Franks. Ztg." auS Sofia' scheint die Annahme der Vermittlung der Mächte nicht vorbehaltlos zu sein. 2lm Ende der darauf bezüg - lichen Note erklärt Rumänien nach der Behauptung D a n e w s in der .Bulgaria", dah es sich seine Handlungsfreiheit für den Fall bewahre, dah die Entscheidung der Mächte für die rumänische Regierung unannehmbar wäre. Anderseits wird mitgeteilt, dah Ministerpräsident Majorcsku den Vertretern der Mächte die Demission des Kabinetts in Aussicht stellte, falls die Entscheidung der Mächte nicht einstimmig oder für Rumänien nachteilig wäre. An mahgebender Stellt werde mit größter Entschiedenheit die Sofioter Meldung der Wiener .Po - litischen Korrespondenz", wonach Bulgarien im äußersten Falle bereit wäre. S i l i st r i a, da? e§ Rumänien versagte, den Mächten abzutreten als Erfindung bezeichnet. Die ^riedeuSvermittluug. Wie das Reutersche Bureau erfährt, haben die Mächte auf dem letzten Schritt der Türkei, wodurch sie um ihre guten Dienste ersucht wurden, darauf hingewiesen, dass ihre an die Pforte gerichtete Kollektivnote (worin der Türkei die Ab - tretung Adrtanopels angeraten war) noch nicht an - genommen worden sei. Nach einem Londoner Telegramm der ..Voss. Ztg." stellt Bulgarien für die Wiederaufnahme der FriedenSverhand- lungen folgende Forderungen: 1. Die neue Grenze muh näher bet Konstan - tinopel liegen als die zuvor in Erwägung gezogene. 2. Die Türkei muß eine Kriegsentschädigung zahlen. 3. Die Türkei muß sich einverstanden erklären, am fünf - zehnten Tage nach der Eröffnung der Friedensverhandlungen mit derAbrÜstung zu beginnen. Wenn tatsächlich Bulgarien seine Forderungen noch erhöbt, so dürften oic Aussichten für einen baldigen Friedensschluß recht gering sein. Türken und Krieche«. In türtischen Kreisen hegt man die Meinung, daß die Griechen als die Betrogenen aus dem Balkankriege hervorgehen werden. Ein Telegramm aus K o n st a n t i n o p e 1 berichtet darüber: Bei dem Besuche, den der Justizminister dem ökumenischen Patriarchen abstattcte, kam der Mnister auf die politischen Tagesfragen zu sprechen und sagte unter anderm, wie die Blätter melden, der Balkanbund fei für Griechenland nicht vorteilhaft. Ter Bund werde für den Hellenismus verhängnisvoll fein. Ter begangene Fehler werde in späterer Zeit zutage treten, wenn ein großer Teil der hellenischen Nation den nationalen Charakter, den er sich unter der Herrschaft der Türkei erhalten habe, verlieren werde. Die Strömung, die die Griechen und Muselmanen bedrohe, werde die Bewohner der besetzten Gebiete verschlingen. Als der Patriarch erstaunt fragte, warum die Türkei nicht rechtzeitig Schritte getan habe, um die Beteiligung Griechenlands am Balkanbunde vorzubeugen, erklärte der Minister: Was geschehen ist, ist geschehen. Trachten wir Türken wie Griechen wcnigsiens danach, künftig in 5 r e u n b f efi a f t gu leben. Tie «er« gaiigenbeit wird uns nach dem Frieden für da» künftige Zu - sammenarbeiten zur Lehre dienen. politische Uebersicht. Sozialdemokratie und Militarismus. Für die Treiber bei den militärischen Rüstungen ist die Gegenwart der 110 Sozialdemokraten im Reichstag ein schwerer Stein des Anstoßes. Der Reichstag. hat wohl trotzdem eine wir Geld, so stahlen wir auf den Lagerplätzen altes Eisen und schleppten es zum Althändler. Freilich gab's nur wenige Centesimi dafür. Auch den berühmten Friedhof besuchten wir. Er wird Camposanto genannt Wir hatten keinen rechten Genuß von den Kunstwerken, es war zu viel zu sehen. In der Hafengegend stand eine Garküche neben der anderen. In manchen wurden Kutteln abgesotten und Brühe zu 5 Centesimi die Tasse verkauft. In anderen wieder gab es billige Fische. Ueberall aber war's unsauber. Dauernde Arbeit lieh sich keine finden. Mein Kollege wanderte nach Mailand, ich schloss mich einem Lesterreicher an, der über Florenz nach Rom wollte. Zu - nächst ging'S nach Pisa. Wir wählten den Meerweg. obwohl dieser bedeutend länger ist. Doch hatten wir den Vorteil, überall Fischerhütten zu treffen, in denen wir nachts schlafen konnten, jedoch in Rapallo, einem größeren Badeort an bet Küste, in dem sich auch viele Deutsche aufhalten, konnten wir trotz allem Suchen kein Unterkommen finben. Was sollten wir ansangen? Wir legten un3 in einen offenen Hausgang nieder und schliefen ein. Später kamen Leute und als sie uns schlafen sahen, holten sie die Polizei. Die kam und warf uns hinaus. Wir schlichen in den Hafen und stiegen in eines ber kleinen Fischerboote, bie auf den Strand gezogen waren. Zuvor aber nahmen wir von den anderen Booten bie Segeltuchdecken w^> und fütterten unseres damit aus. Aus rippigem Holz zu schlafen, schien unS kein Vergnügen. In ber Frühe goß es; wir merkten'? erst, als baS Wasser von der Decke abtrofr, in'S Boot hineinlief, unb uns biirch- näßte. Am Ufer ftanben Schiffer, bie ihre Boote noch weiter binaufzogen unb in einem fort fluchten, weil sie glaubten, die Schutzdecken seien geswhlen worden. AIS sie nun unser Boot hinaufgezogen und unS darin sahen, verschlugen sie unS. Da es zu viele waren, konnten wir uns nicht wehren. Wir schleppten die geschundenen Rücken weiter und trafen noch einen Oesterreicher, einen äusserst gelungenen Kerl. Am rechten Arm hatte er fast keine Muskeln; es mar ihm möglich den Handteller seiner Hand hintan auf bie Achsel zu legen. Zog er ben Rock barüber, so sah eS auS, als ob er einarmig fei. Diesen Trick benutzte er beim Fechten. Wir hatten in ber Folgezeit sehr schöne Tage, er bettelte auch für unS zwei. Nur in Livorno, wo wir uns länger aufhielten, ging’s schief. Hier suchte er den Konsul auf, ber ihm seiner Einarmig, eit wegen eine grössere Unterstützung auszahlte. Doch schon TagS nachher traf ihn dieser, wie er mit unS ganz gemütlich beibcarmig burch die -Habt marschierte. Sofort stellte er ihn zur Rebe. Der Oesterreicher war keck unb frech unb tagte einfach, er fet nicht ber. Bis der Konsul einen Schutzmann hercingewinkt batte, waren wir ver- schwunben. Wir schlugen unS Pisa zu. Unterwegs kamen wie burch grosse -Tannenu>älder. Wir fragten Zeinen Arbeiter, der Tannenzapfen auflas, wie weit cS nach der - stellen, muss ein derartiges Verhalten zu den Fragen unserer Wehrhaftigkeit Bedenken erregen. Tenn auch ber ein sichtige deutsche Arbeiter kann sich, auch wen» er noch so sehr unter bem Ban» ber zweifellos sehr geschickten Pressemache der Sozialdemokratie steht, der Erkenntnis nicht verschliessen, dass ein auch glücklicher Krieg durch die unüberseh - baren wirtschaftlichen Folgen, die er nach sich zieht, mit rauher Hand störend, vor allem in seine, des 9lr < heiter», Existenz eingveift Er muss sich weiter sagen, dass je de Unterlassung, die Deutschland auf militärischem Gebiete begeht, einen Krieg nur wahrscheinlicher unb in seinen Folgen je nach seinem AuSgange für Handel unb In bujtrie nur verbcrbenbringenbet gestalten kann. Selbst wenn dieser Mitläufer-der Sozialdeinokratie das Reich, wenn er'den in den Bundesstaaten Deutschlands verkörperten monarchischen Gedanken bekämpft, so muss er einseben, dass den effeftitien Schaden eines Krieges die Masse bc5 Volkes unb in ihr wiedei an erster Stelle ber Arbeiter trägt, bet, selbst ohne Besitz, auf bie Möglichkeit angewiesen ist, in frembem Betriebe seine Ar beitsfraft nutzbar zu machen. Und wenn er nach Frankreich hinübersieht, so kann ihn selbst bas lauteste anti- monarchische Toben ber sozialbomokratischen Presse nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass auch die republikanische Staatsform die verantwortlichen Männer eine* Landes weder von ber Notwenbigkeit »och von ber Pflicht ent - hebt, sorgsam unb stetig auf ben Ausbau der Wehrkraft ihre» Volkes bedacht zu sein. Gewinnen derart klare unb einfache Ge - dankengänge _in den Kreisen der verblendeten Mitläufer unb An bänger der Sozialbemokratie an Raum, so kann baS vatcr lanbsfeinbliche Treiben dieser Partei immerhin noch nütz - liche Aufklärungsarbeit leisten." Auf die „Mitläufer" hat eS also die „Aufklärungsarbeit' ber Rüstuiigstreiber abgesehen; bie Sozialbemokratie wirb als „valerlandsfeinblich" verschrien, um bie „Mitläufer" zu schrecken. Das geschieht ja heute nicht zum ersten Male, hat aber nur vorübergehenb einen Mißerfolg ber Sozialbemokratie zur Folge gehabt, bie rapide Weiterentwicklung der Sozialdemokratie nicht aufhalten können. Unb je öfter diese Perhetzungsmcthode zur Anwendung kommt, desw weniger Aussicht auf Erfolg bat sie. denn bie wirkliche Aufklärungsarbeit der Sozialdemokratie bringt in immer weitere Kreise. Heute wissen auch bie .Mit - läufer", bie übrigens meist schon in einer Wahlperiode zu selten Anhängern ber Sozialdemokratie werbe», vom Wesen brr Sozial - blickten, mürbe es boch Nacht, bis wir zu ben ersten Häusern kamen. Wir kehrten in einer Wirtschaft ein, die beiden Oester-- reichern als Sunbcnpcnne besannt war. Hier sah ich viel Neue», Der merkwürbigste Kunbe, ben ich hier traf, war ber Zinkenfritz. Dieser hieß so, weil er ben Kunben falsche Zeugnisse und Aus- weiSpapiere anfertigte. Dies tat er auf eigenartige Weise. Mit einer Nähnadel stach er bie Stempel, die er brauchte, in Schiefer- platten ein. Er verstanb baS Geschäft. Seine Stempel konnte man von echten kaum unterscheiben. Manchmal machte er sich'» leichter unb zog bie echten Stempel mit einer Eihaut ab unb übertrug sie auf bie Fleppe. Dabei verdiente er ein schöne» Gelb. Gar mancher, ber schwarz fuhr, ließ sich bei ihm neue Zinken machen. Er erzählte mir auch, wie er zu feinem Stelz - bein gekommen sei. In Genua hatte er bei einem nächtlichen Streifzug ein Zusammentreffen mit der Hafenpolizei. Al» et trotz mehrfachen Anrufs nicht stehe» blieb, schoss ein Polizist und traf ihn. Tie Wunde war so schlimm, daß ihm baf Bein ah- genommen werden mußte. Als er au» dem Spital entlassen wurde, kauften ihm die Aerzte ein Gummibein, das über bre» hundert Lire kostete. Raum war er draußen, ging er zu einem Orthopäden und versetzte es um fünfundzwanzig Lire, und liess sich ein Holzbein dazu geben. Der Zinkenfritz war ein geriebener Kerl, konnte mehrere Sprachen und war früher in leitenden Stellungen gewesen.' Nur ber Suff hatte ihn so weit herunter - gebracht. Wie alle Kunben, erzählte auch er sehr gern von feiner Vergangenheit. Dabei stellte er alle» inS grellste Licht unb rühmte, wie gut er eS schon hätte haben können, wenn et nur gewollt hätte Auch von feiner vornehmen Verwandtschaft gab er manches. Stücklein zum besten. Wir mußten über feine Geschichten bie) lachen, doch nahm sie niemand für wahr. Der Weg nach Florenz führte über ömpoli unb Pontebera In Enipoli war Fahrmarkt, als mir ^infamen; ich benutzte bie Gelegenheit unb sprach in verschiedenen Kaufläden vor. Gegen Nacht kam ich auch in eine Tuchbaitdlung. Ein alter Fude fass hinterm Tisch und zählte einen Hausen Geld. Fn diese Arbeit war er so vertieft, dass er mich nicht kommen hörte. Erst all ich mehreremale laut hustete, sah er auf unb erschrak. Ich brachte meinen Spruch vor, er gab mir aber keinen Eentesiino, im Gegen- teil, er schob sein Gelb so rasch al» möglich in die Schublade, schloß sie ab und gab mir einen Tritt. Als ich den zurückgab. rief er »ach der Polizei. Mehr Glück hatte ich im sozialistischen Zirkel. Der verschaffte uns Dreien Schlafgelegenheit. Bis Florenz gingen wir noch zusammen, dort trennten wir uns. tagsüber lief ich in bet Stadt umher unb beschaute die Denkmäler. ES gab hier bieüi die Eindruck auf midh machten. Auch bie Kirchen waren' meist sehr prächtig ausgestattet. Eines Abend» iah ich ein Begräbnis, an bem^ etwa zweihunbert Priester teilnahmeii. Die meisten trugen Fackeln in den Hände» unb hatten Kapuzen über ben Köpfen, so bass man nur bie Augen herauSleuchten sah. Da» machte einen grausigen Einbruck, von weitem sah eS au» wie eine Prozession von Totenschädeln 6«n*ie| fei»«*