Nr. 81. Sonntag, den 5. April 1914. 28. Jahrgang. Hamburger Echo. TaS ^Hamburger ret8 sinkt. „Tie Neue Stielt* und „Tie arbeitende Jugend*) durch die Post bezogen ohne Bringegeld monatlich k 1.20, vierteljährlich a 8,60; durch die Kolporteure müchentlich 80 * frei in8 HauS. Tin,. Nr. 5 4. EonntagS-Nummer mit illustr. Beilage „Tie Neue Welt* 10 4. Ikreuzbandsendungen monatlich * 2.70, für boS Ausland monatlich * 4,—. Anzeigen die siebengespaltene Petitzeile oder deren Naum 4j 4, Ardeitsmarkt, Vermietung«- und Samilienanzeigen 20 4. «nzeigen-Annahme Fehlandstr. 11, Erdgeschoß (bis 5 Uhr nachmittags), m de« Filialen, sowie in allen Annoneen-BureanS. Platz, und Datenvor'christen ohne Verbindlichkeit, Reklamen im redaktionellen Teil werden weder gratis noch gegen Entgelt ausgenommen. Buchhandlung: Erdgeschoß. Buchdruckerei-Kontor: 1. Stock. Fehlandftr. 11. Redaktion: Artmlinrn Expedition: Fehlandstraße 11. L Stock. DllMvucg OO Fehlandstraße 11. Erdgeschoß. Berantw örtlicher Redakteur: I. Reitze in Hamburg. HL ♦ p । 3t. Pauli, ohne Amandastraße, bei Franz Würzberger, Annenstr. 17. «tmSbÜttel, Langenfelde bei Carl Dreher, Fruchtallee42. Hoheluft, Eppendorf, «rotz-Borstel und Winterhude bei Ernst Großkopf. Meldorserstr. 8. Barmbeck, Uhlenhorst bei Theodor Pelereil, H-mrich Hertzstr. 145- irtItrtl 0tt 4 Nord-Barmbeck bei Robert «iw, Poppenhusenstr. 13. Hohenfelde, «orgfelSe, Hamm, Horn, Lchifsbeck und Billwärder bei Earl Ortel, Baustr. 26. Hammerbrook bis Ausschläger «illdeich bei Rud. Fuhrmann, Eüderkaistr. 18. RotenburgSort und Veddel bei Fr. Hübener, f ) Hl Uli II ♦sgint) Röhrendamm 213 a, Schpt. Wilhelmsburg bei Adolf Bendt, Echulftr. 22». Eilbeck, WandSbeck, Hinichenkelde und kst-varmbeck bei Fran, Krüger, Kurze Reihe 34. Altona bei Friedr. Ludwig, Bürgerstr. 22. Ottensen, Babrenield bei Franz Rose, Friedensa >c 46. Hierzu fünf Beilagen und das illustrierte Unter - haltungsblatt „Die Neue Welt". Die Stile in EngM öooetl. z. London, 3. April. Nach dem Sturm kommt die Ruhe. Ob es auch Friede ist? Noch vorgestern beglückwünschten sich die Liberalen zum Abschluß der schweren Krise, und der National Liberal Club, das Hauptquartier des Londoner Liberalismus, der erst eine Woche srüher den liberalen Arbeiterdeputierten John Ward feierte, weil er im Unterhaus gegen die Anmaßung der Krone gesprochen hatte, faßte einstimmig eine Resolution, in der er das vollständige Vertrauen der Partei in die Regierung aussprach, und brachte ein begeistertes Hoch auf den König aus. Tatsächlich stimmten auch die konservative Presse und die konservativen Redner im Unterhause einen versöhnen - den Ton an, und die konservative Parteiorganisation in East Fife, dem Wahlkreise Asquiths, wo er sich jetzt einer Wieder - wahl unterziehen muß, beschloß, einen Gegenkandidaten nicht aufzustellen. Somit schien schon alles wieder gut zu sein. Aber bereits am selben Abend hielt im Unterhaus der konser - vative Führer Finlay, ein ehemaliger und wohl auch zu - künftiger Minister, eine Rede, die wieder stark zugespitzt war, und gestern sekundierte ihm Herr Balfour selbst in einer Weise, die bewies, daß wenigstens die konservative Opposition sich gar nicht ausgesöhnt fühlt. So war die nach dem großen Sturm der vergangenen Woche eingetretene Stille keineswegs die Stille des Friedens. Es war die Stille der Müdigkeit und die Stille des Suchens nach einer neuen Orien - tierung in den geänderten Umständen. In der Wirklichkeit haben die sensationellen Ereignisse der vergangenen Woche eine ganz neue Situation, man darf fast sagen, ein ganz neues England geschaffen. England hat eine tiefe und erschütternde Krise durchgemacht, und obschon alles scheinbar wieder auf seinem Platze steht, beruht das ganze auf einem neuen Fundament, aus einer neuen Ver - fassung. Die wiederhergestellte Ordnung ist nichts als eine kolossale Lüge und wie jede Lüge wird sie früher oder später zusammenbrcchen. Der Leser weiß, wie sich die Regierung aus der Klemme ge - rettet hat. Sie hat sich gerettet eben durch eine Lüge, wie sie jchamtojer nicht ersonnen werden köniuc. Atan wird sich er - innern, daß im Auftrage des Kriegsministers der komman - dierende General in Irland seine Offiziere zu sich konimen ließ und ihnen erklärte: „Wer die militärischen Operationen in Ulster nicht mitmachen will, der soll demissionieren, es sei denn, daß er selbst ein Ulstermann ist, in welchem Falle er sich auf „Urlaub" wohin er will begeben kann." Als sich dann er - wies, daß die Demissionsgesuche massenhaft waren und das Publikum ob dieser unerhörten Schwäche der Regierung aufgebracht war, ließ der Kriegsminister die Offiziere zu sich nach London rufen, bat sie, ihre Demissionen zurückzuziehen und gab ihnen eine schriftliche Versicherung namens der Regierung, daß sie gegen Ulster nicht verwendet werden würden. Dadurch aber war die Kapitulation der Regierung vor der Soldateska erst recht dokumentiert. Doch die Regie - rung hoffte, daß kein Mensch in der Welt davon wissen würde. In der Tat erklärte die Regierung auf Anfragen im Parla - ment, daß die Offiziere den kommandierenden General in Ir - land mißverstanden batten, und daß, nachdem man ihnen die wahre Sachlage in London klargemacht hatte, nämlich, daß die Operationen in Ulster nur als Schutzoperationen zur Deckung der verschiedenen militärischen Magazine gemeint wären, sie bereitwillig nach ihren Regimentern zurückkehrten. Bedingungslos? fragte man sie. Ja, bedingungslos! war die Antwort. Aber das schöne Dokumentchen war bereits in allen konservativen Klubs Londons bekannt und die Lüge wurde auf der Stelle enthüllt. In einem wirklich demo - kratischen Lande wie Frankreich, ober selbst in England, wenn im Parlament und im Lande nicht eine „Arbeiter"-, sondern eine wirkliche sozialistische Partei Die Massen leitete, hätte die feige und lügnerische Regierung sofort und auf der Stelle demis - sionieren müssen. Nicht so aber in dem heutigen England, wo, die Massen immer noch g e n a s f ü h r t werden, und wo poli - tischer Betrug und Schwindel den wahren Klassenkampf er - setzen. Die Regierung, auf einer Lüge ertappt, suchte sofort in einer zweiten Lüge Zuflucht. Wie, der Kriegsminister habe den Offizieren eine schriftliche Versicherung gegeben, daß sie gegen Ulster nicht geschickt werden würden? Aber das sei für sie, die Regierung, eine Ueberraschung! Das Kabinett habe int Gegenteil beschlossen, daß die Offiziere unbedingt alle Be - fehle der Regierung ausführen müßten, und der Kriegsminister habe zweifelsohne auf seine eigene Verantwortung gehandelt' Man gab sich den Schein, als ob man die Sache untersuchte, und es wurde wirklich „entdeckt", daß der Kriegsminister auf seine eigene Rechnung gehandelt hätte. Nun sollte doch der Kriegsminister jetzt fortgehen? Ach, nein! Er habe in guter und ehrlicher Absicht gehandelt, und da jetzt das Kabinett seine Handlung desavouiert habe, jo dürfe er auf seinem Posten bleiben ! Wo in der Welt ist von einer Regierung eine Derartige Komödie ausgeführt worDen? Aber Das ist eben die Ouint- e s f e n z der parlamentarischen Kunst, wie sie in einem so sortgeschrittenen Lande wie England täglich ans- geübt roirD. Leider war auch Diese Lüge nicht gut gelungen. Erstens erklärte in der Lordkammer Lord Morley, eines der vornehmsten Mitglieder des Kabinetts, daß Der Kriegs - minister vollständig im Sinne Der Kabinettsbeschlüsse gehandelt hätte, unD noch mehr, daß er, Morley, selbst dabei war, als der Kriegsminister seine schriftliche Versicherung an Die Offiziere abgab, und Die Handlung und Formel billigte. Also war der Kriegsminister gar nicht so einzig schuldig, wie es seine Kollegen unD er selbst dargestellt haben. Zweitens aber hatten der Generalstabschef und sein Gehilfe das Dokument mit unter - zeichnet, und jetzt erklärten sie, wenn ihre Unterschrift des - avouiert werde, so müßten auch sie fortgehen. Und tatsächlich reichten sie ihre Demissionen ein! Jetzt mußte schon auch der Kriegsminister demissionieren, und so wurde mit einemmal die britische Armee enthauptet. Die Krise wurde nur dadurch zum Abschluß gebracht, daß der Premierminister Asquith selbst das Kriegsministerium übernahm, was ihm auch die Möglichkeit gab (Da er sich nach englischen Gebräuchen jetzt einer Wieder - wahl unterziehen muß), auf ein paar Wochen aus dem Parla - ment zu verschwinden. So sieht man, wie schön Die Dinge roieDer geordnet worDen sind. Lügen wurden geäußert unD enthüllt, und noch mehrere Lügen blieben stehen. So ist zum Beispiel Morleys Verbleiben im Amt eine Lüge. Eine Lüge steckt in dem Punkt, den bis Regierung sich hartnäckig weigert, aufzullären, was im Auf - trage der Regierung Der komandicrenbe General in Jrlanb feinen Offizieren in erster Linie gesagt hat. Ferner liegt eine Lüge in der Abwesenheit des Premierministers vom Parlament unter einem technischen Vorwand. Die verhägnisvollste Lüge aber ist, daß die Verfassung, nachdem Die Regierung jenes Dokumentchen des früheren Kriegsministers desavouiert hat, wieder glücklich hergestellt worden fei. Denn ob das Papier noch Gültigkeit besitzt ober nicht, die Tatsache bleibt, baß es herausgegeben würbe, baß in einer entscheibenden Stunbe die Regierung vor dem Offizierkorps kapituliert hat, daß Die Re - gierung jetzt weiß, daß sie auf die Armee nicht unbedingt sich verlassen Darf. Daran mag keine Ableugnung zu ändern. Die Regierung selbst gesteht, was ist. Dadurch, Daß sie die Ver - suche wieder ausgenommen hat, einen friedlich-schiedlichen Weg in der Homcrule-Frage zu finden. Damit sie nicht gezwungen werde, gegen Ulster wirklich Gewalt anzuwenden. Nachdem sie schon vor Drei Wochen erklärt hatte, sie würde mit Der Oppo - sition nicht mehr verhandeln und Die Homerulevorlage durch - setzen, es möge kosten, was es wolle, macht sie jetzt eine Reihe neuer Vorschläge, die das Ziel haben, Die Opposition auszu- söhnen. So ist sie schon Dazu bereit, in dem Zeitraum zwischen der endgültigen Annahme des Homerule-Geseyes unD seinem Inkrafttreten das Parlament aufzulösen unD die Wählerschaft über das Gesetz zu befragen. Sollte Dann Die Wählerschaft Den Konservativen recht geben, so würde das Gesetz zurückgezogen werden. Das wäre ein Verzicht auf den Parlamentsakt, dessen Sinn eben darin besteht, daß er ohne weiteres Anfragen der Wählerschaft, wie das die Lordskammer immer herbeiführte, das Zustandekommen eines Gesetzes ermöglicht. Schwerlich wird aus allen diesen Vorschlägen etwas herauskommen, denn die Konservativen sind sich ihrer Armee und anderer Macht - mittel sicher und bestehen noch immer aus dem Recht der Ossiziere, die Politik der liberalen Regierung zu Diktieren. Ganz offen gestand Dies im Unterhaus Balfour, indem er er - klärte, die Frage fei jetzt nicht die Homerule, sondern das Recht Der „englischen Bürger", die des Königs Rock tragen, ihre poli - tischen Meinungen zu haben unD nur nach ihrem Gewissen zu hanoeln. Darin hat Balsour vollkommen Recht. Nicht Die irische Selbstverwaltung, sonDern Diese Verfassungsfrage steht gegen - wärtig auf Der Tagesordnung, und deshalb behaupten wir, daß Die Krise noch bei weitem nicht gelöst worden ist. Es ist für Die Vogelstraußpolitik Der Liberalen charakteristisch, Daß sie einer aiiDern Meinung sind ober sich bock den Schein geben, es zu sein. Tie Tatsachen aber werden sie in geeigneter Stunde Des besseren belehren, Denn was immer sie tun mögen, so wird ihnen Die objektive Logik Der Dinge doch schließlich zum Bewußtsein bringen, daß Die ultima rat io jeder Ver - fassung nicht in ihren Händen liegt. politische Uebersicht. Besitzsteuer-Feiudk. I» der Monatsschrift des HansabundcS findet sich folgend« Auslassung: „SS unterliegt keinem Zweifel, daß feit bet Annahme bet VermögenSzuwachSiteuer gegen ben Willen des gesamten Gewerbe st andes im Deutschen Reiche gegenüber ben mittleren Parteien und ihren Bestrebungen eine Zurückhaltung eingetreten ist, welche sich nur bann legen wirb, wenn endlick einmal Garantien dafür gegeben werden, daß Deutschlands Industrie, Handel und Gewerbe in seinen Bestrebun - gen die notwendige Unterstützung Beim Parlament findet." Mit nickt ganz unberechtigter Lchadenfteude konstatiert dem - gegenüber die agrarische „Teutsche TageSztg.", daß sämtliche vom Hansabund auf den Schild gehobenen ReickstagSabgeordneten für die Vermögenszuwachssteuer gestimmt haben, und fügt höhnend hinzu: „Man weiß nicht, wen man mehr bedauern soll, den Hansabund wegen seiner Enftäuschung ober bie Abgeordneten wegen dieser scharfen und schonungslosen Kritik." Zu bedauern ist dabei nur eins, daß die Kreise des kleineren BesttzeS eS die Parteien entgelten lassen, wenn sie einmal ver - nünftige Steuerpolitik macken. Tie Besitzsteuer war ja nach der „Finanzreform" beS sckwarz-blauen Blocks von 1909 zur .^ah-poeole von iji2 ;m besonderen für Mc ubertt.ca Parteien geworden. Sie mußte also kommen, zumal der neue Reicksiag schon nach Jahresfrist vor eine neue ungeheuerliche Militärvorlage gestellt wurde. Die .Begeisterung", mit der zunächst der Gedanke des Wehrbeitrages ausgenommen wurde, war zwar von Anfang an zum Teil geheuchelt; sie verscnwand ganz, als der Wehrbeitrag dahin aü5geitaltet wurde, daß nicht nur große und mittlere Ver - mögen, sondern auch die Einkommen über 5000 damit belastet wurden. Gegen daS Selb st zahlen hat nämlich baS kleinere unb mittlere Bürgertum ebenso einen Abscheu wie die GrotzbourgeoiS und die Agrarier. Tie Massen de» deutschen Volkes find aber durch die früheren „Finanzreformen" schon in einer Weife mit Zöllen und indirekten Steuern be - lastet, daß dieser ungeheuren Last überhaupt kaum noch ctroaS hin» zugefügt werden sann, ohne dadurch den Ertrag in Frage zu stellen, weil höherer Besteuerung auf der einen Seite notwendig Einschränkungen auf der andern folgen müssen, da die Belastung mit Steuern bis an bie Grenze ber Leistungsfähig - keit bet Aermeren und Armen getrieben worben ist. Tie Besitz- steuer. bie bie Liberalen schon 1909 in Form eines Ausbaues her Erbschaftssteuer forderten, sollte nur ihr Gewissen hal - bieren, damit sie dein mit indirekten Steuern bepackten Volke sagen konnten: Seht, wir haben auch den Besitz herangezogen zu ben Lasten beS ReickS, nun dürft Ihr Euch nicht mehr beklagen! So mußte denn auch behufs Deckung wenigstens eines Teils der aus der großen Militärvorlage erwachsenen dauernden Aus - gaben eine Besteuerung beS Besitzes geschaffen werben. Die ReichSvermögenSzuwackSsteuer ist nun freilich keineswegs baS Ideal einer Besitzsteuer. Aber so wie sie in den Verhandlungen beS Reichstags zum schweren Aerger ber Junker unb Agrarier geworden, ist «ie immer noch erheblich besser, als sie von feiten der Regierungen unter konservativem Druck zugeschnitten worden war. Wäre sie so wie im Entwurf geblieben, eine Eventualsteuer, über deren Einzelheiten bie Gesetz - gebungen bet Einzelstaaten, in Preußen also bie Junker unb ihr Anhang, zu entscheiden hatten, bann wären im größten Teil Deutschlands freilich bie Agrarier besser gefahren, die G e w e r b e- treibenben würben aber sicher viel mehr Grund zum Klagen haben, als heute. Bezeichnend ist, daß der Han > abund sich zuin Sprachrohr dieser Klagen macht. Ter Haitsabund ist seinerzeit gegründet worden, um den agrarischen llebergriffeit zu steuern und die Interessen des Biirgertnins energischer ztt bertrcfeii. Tie Grün - dung erfolgte unmittelbar nach Erledigung ber schwarz-blauen Finanzteform, bei der die Besitzsteuer auSgqchaltet worden war, und die Forderung der Besitzstener gehörte gewissermaßen zum ersten Inventar des Hansabundes, Seine Pflicht war es, bie „mittleren Parteien" unb bereu Anhang von ber Notwendigkeit der Besitzsteuer zu überzeugen. Und bei den Wahlen 1912 waren bie klein- unb mittelbürgerlichen Schichten auch f ü r bie Ein - führung von Besitzsteuern. Die meisten mögen fick freilich bafür erklärt haben in ber stillen Hoffnung, daß sie selbst nickt davon betroffen werden würden. Hätte die sckioacke LinkSmehrheit des ReickStagS ganz frei nach eigenem Ermessen die Bcsitzsteuer gestalten können, so würde sie zweifellos als Erbschafts - ober Vermögenssteuer besser geworben sein als bie schließ - lich zustanbe gekommene VerntügenSzuwachSsteuer. Daß ntchi erstere Gesetz würben, fällt ben Konservativen unb bem Zentrum zur Last, beten tiefer „Familiensinn" es nicht zu- lassen wollte, baß auch baS fiinbererbe in ben höheren Sturen beS Besitzes ber Steuer unterworfen würbe. Wenn sich Gewerbetreibenbe und sonstige „liberale" Elemente heute von ben „mittleren Parteien" abwenden der Besitzsteuer wegen, so ist dadurch erneut bet Beweis erbracht, welche ungeheure politische Kurzsichtigkeit in diesen Kreisen herrscht. DaS ist schlimm für baS Bürgertum; aber noch schlimmer ist, daß ber Hansabunb nichts Besseres zu tun weiß, als solchen politischen Querköpfen bie Stange zu halten, statt sie darüber zu belehren, daß bie Schulb an ber Unzulängliwkeit ber Befitzsteuer an ganz anberer Stelle liegt. Warum der Reichstag „unfruchtbar" ist. Die Regierung bat schon wieder gegenüber den RetckS- tagSbeschlüssen ein Nein bet bet Hand und schickt es den ReickS- tagSmttgliebern sogar in die Ferien nach. Qffiziös wird gemeldet: Aus Grund der Beschlüsse des Reichstags zu ber Vorlage übet die Wiederaufnahme im Disziplinarverfahren sind die Buudesregtetungen soeben zu einer nochmaligen Beratung jufammengetreten. Es wurde einstimmig beschlossen, ber Vorlage in ber vom Reichstag gegebenen Fassung nicht z u z u st i m in c n. falls der beschlossene Zusak über die zu ge- mährenbe Einsicht in die Personalakten aufrecht er - halten bleibt. _ Tie Einsicht in bie Personalakten ist ein durchaus berechtigtet Anspruch der Beamten, den anzuerkennen der Reichstag nicht verweigern konnte. In einigen Bundesstaaten ist dieses Recht der Beamten auch bereits anerkannt worden und irgendwelche Un- zuträglichkeiten sind dadurch nicht entstanden. Es ist nur ber un - austilgbare preußische Bureaukratismus, ber sich dieser ver - nünftigen Neuerung widersetzt. Und bann will man dem Reichs - tag die Schuld zuschieben, wenn seine Arbeiten erfolglos bleiben! (?üt neues Fischereigesetz iß btm preußischen Abgeotdnetcnhausc zugegangen. Ter Entwurf zerfällt in elf Abschnitte mit 127 Paragraphen. In den allgemeinen D o r s ch r i f t e n (§§ 1 bis 3) hat der Begriff der g e j ch i o s s e n e n Gewässer im Interesse der Fischereiwirtschaft eine Erweiterung erfahren Ter Weite Abschnitt über Fischereiberechtiguiig (§§ 4 bis 25) enthält eine umfassende Neuregelung des materiellen Fischcreirechis, ferner an neuen Be - stimmungen, unter aiiderm die Klarstellung der Fischcreirechte bureb Eintragung in bas Wasserbuch, das Userbeiretungsrecht und Borschriften über die Uebertragbarkeit der Fischereirechte. Im dritten Abschnitt (§§ 26—29) sollen die Beschränkungen der Aus - übung der Fischerei, durch welche ein unwirlschastlicher Betrieb der Fischerei, insbesondere durch mehrere Fischerei- berechtigte, e nlreten kann, wirksamer aiS bisher verhindert werden. In dem Abschiiitt über Fischereigenossenschaften (§§ 30—76) sollen die bestehenden Vorschriften im fischerciwirtschafilichcn Intcrene ergänzt und in bezug auf das Berfabrcu den Porschri'ten des Wafiergesetzes nachgedildet werden. Ter fünfte Abschnitt behandelt in den §§ 77—84 die Fischereibezirke. Diese sollen ciiyprecheud den in einzelnen Probinzeii bereits bestehenden Spczialgesetzcit nach Art der Jagdbezirke eingerichtet loerdeit, um dort, wo der gcnossenschaslliche Fischereibetrieb nicht möglich ist od.r nicht auSreichl, eine sachgemäße Ausnutzung der Fischgewässer zu gewährleisten. Im Abschnitte über Fischereischeine und Fischerei- erlaubnisscheine (§§ 85—91) soll die Einführung des von den Die bange Nacht. Roman von flbolfRöster. [30] Biet floß über die Tische, Schnaps auf die Kleider, Gläser zerklirrten, man tanzte mit der Pfeife im Munde, man spuckte im Tanz über die Schultern der Mädchen hinweg auf den Boden, einige flöteten, einige fangen, andere grunzten tierisch vor sich hin, indem brauner Tabakssaft aus ihrem Munde floß. Da waren Junge unb Alte, solche, bie nach monatelanger Ausfahrt hier innerlich wahrhaftig aufsprangen, andere von den Wochendampfern, die auf eine halbe Stunde kamen und wieder gingen. Dio Hände dieser Manner hatten im Schneesturm bei Kap Horn Haut und Blut gelassen, jene hatten wochenlang in Del und Kohlen gewühlt, hatten sich an den dicken Schleußstangen groß und hart gerungen. Nun begehrten sie auSzuruhen und suchten überall die weichen Hüften und Hälse dieser fetten Holländerinnen. Es ist längst nach Mitternacht. Salzheringe werden vertilgt, lose abgezogen, in zwei Hälften, die man hochhält und von unten aufschlürft . Darauf brennen die Kehlen nach Bier. Und aufs neue stampfen die Matrosen durch den Raum. Steen torkelte zwischen Müdigkeit, ausgelassener Juchhe- verzweiflung und körperlicher Atcfgeregthcit hin und her. Er trank, er redete Plattdeutsch, er beobachtete die scheue Lustigkeit eines völlig geldlosen kleinen Schiffsjungen, er drehte sich mit Schwung unb stieß die Mädchen gegen die Kniee. Er zahlte ihnen Likör, schimpfte über den Preis unb ging in ein anderes Lokal. Er dachte nicht nach über das, was er tat. Er stieß es von sich. Erst liefe er einen Heizer stehn, der ihn anbettelte. Tann gab er dem nächsten einen ganzen Gulden hin. ES ward noch wilder jetzt. Die Mädchen verließen ihre Stammlokale und zogen Arm :n Arm von Haus zu HauS. Halb betrunken, in phantastisch ausschweifenden Kostümen, einige aiirf Stielen reitend wie Hexen, so juchzten, bölftcn, biesterten sie über baS Pflaster. Von bem ward Steen angesteckt. El geriet in einen Schwarm, ber diesen Weibern nachfolgte. Arm in Arm mit dem Schiffszimmermann der „Gnahyba" ward er kurz vor drei Uhr zuletzt gesehn. Als er am nächsten Morgen erwachte, saß er auf einer Bank in ben Anlagen bes Goudschen Single. ♦ Die paar Wochen, die Steen bis zur Abreise ins erste Semester blieben, schlichen traurig und tot dahin. Zu Hause sprach niemand über feine Englaiidfahrt. AIs er eines TageS | plötzlich und unangemeldet an der Tür erschienen war, da halten ( alle gewußt, ohne daß sie zu fragen brauchten, daß bie Reise miß - glückt war. Unb außer ihnen ahnte keine Seele, wo er bie zehn Tage gewesen war. Er selber war freilich burtfi diese Resse wie auS allen Geleisen geworfen. Er freute sich nicht auf die kommende Fahrt in die Freiheit, nicht auf den Schwarzwald, nicht auf die großen Wissenschaften, die er spielend bewältigen wollte. Wenn er sich nach etwas sehnte, so war es dieS: allein zwischen vier Wänden zu sitzen, von Vater und Mutter und Arbeit an- gestört, und fertig zu werden und durch einen ungeheuren Ruck vielleicht ein Ende zu machen mit all diesem, was ihn hierhin und dorthin schmife. Er ging wieder auf der Chaussee zwischen Steinbeck unb Sande, dort, wo man rechts über die weißen Sandrücken in die fette Marsch hinuntersiehr. Der Wind wehte. Seiner Gewohn - heit nach, die nun immer stärker in ihm wurde, sprach er mit sich selber: „Unb bann, warum bin ich so unb nicht wie Ingwer Ketelsen? Ketelsen ist Theologe unb weiß. waS er will. Er hat schon jetzt das Thema für feine erste Seminararbeit. Und ebenso Rosental. Er wird Jura studieren, aber er weife: er wird ein Zeitungsmann. Er wird Kriegsberichterstatter. Er wird die Probefahrt mit dem neuen Kreuzer machen. Er weife, was er will. Aber ich? Wenn ich doch weniger könnte! Ick unterhalte mich mit Ketelsen — wissenschaftlich, ernst, erfolgreich. Gut! Aber ich unterhalte mich auch mit Rosental — schwärmerisch, freisinnig, mit Invektiven gegen die Zunftgelehrten. Unb bann siehe im am Schluss allein unb frage: WaS bin ich? Wie? Alle haben sie einen Kring. Ich bin mit allen alles unb bin doch allein. Muß ich so sein ? Warum will ich alles? Warum will ich arm sein unb bock reich, fromm unb doch freisinnig? Saufe ich den Leuten nach? Nein. Ick hasse sic. Warum sind sie freundlich? Warum lassen sie mich nicht fühlen, wie gleichgültig ich ihnen bin? Liebe ist Dreck — Politik ist Dreck — Wissenschaft ist Dreck. Warum sag ich baS nicht immer, was ich sttzi fühle, deutlich fühle? Ich greife es. Ich greife cs: alles ist Schleim. WaS soll ich also in Heidelberg? Und meine Mutier meint, bafe ich noch einmal auf RvggenbaumS Kanzel prebtgen werde . . .“ Solche Reden führte Steen, wo er sich unbeobachtet glaubte, schon damals, indem er mit den Händen agierte, stehen blieb, einen Eckstein fragte ober einer Wolke ben Weg verbot. Er kam in diesen Tagen auch zu Steffen hinüber. Die Stunden waren freilich schon in andern Händen. Aber er er- kündigte sich nach dem Fortgang, nach dem Befinden ber Eltern, ber Tochter .... O, Fräulein Gutte ging cs sehr gut. Sie hätte gerade ge - schrieben. Jetzt begännen die Hockeymatches, und es würbe grün rings um die kleine Stabt. Heimweh hätte sic nicht. Vor ein paar Tagen sei Leutnant Kirsebohm bort gewesen, von London aus, wo sein Schiff im Hafen lag. Zwei Tage lang. Sic hätten eine Ausfahrt gemacht — sie unb die ganze Pension —, cs sei etwas kalt gewesen, aber so fröhlich, daß niemand sich erkältet hätte. Jawohl, so fröhlich. Sie sollten nur mehr Bekannte hin- auffchicken zu ihr. Zuerst bekäme man zwar etwas Sehnsucht, aber hernach fühlte man um so mehr, wie schön cS dort sei. . . . So hatte sic geschrieben. Ihr Zimmer war abgeschlossen und, wie die Mutter sagte, es bliebe genau so, wie sie cs verlassen, biS zu dem Tag ihrer Rückkehr. In der Garderobe hing ihre weiße Hockevmützc von ehedem. _ Steen streichelte sie. Aber zu Hause bei Steens gab cS an diesem Abend zwischen ihm unb seinen Eltern einen heftigen Streit. Der Sohn wollte nichts essen. Unb seine Mutter batte ihm ein LicblingSgericht bereitet. Und da brauste der alte Steen auf. Und bann gab ein Dort dem andern Platz, und der Alte schlug auf den Tisch, unb die Mutter weinte. Steen aß. Aber bann kamen sie auf feine Ab - reise unb auf baS Geld zu reden. Wie er sich hätte unterstehen können, mit bem ihm zum Studium gegebenen Gelde zehn Tage nutzlos in der Welt umherzureisen? DaS traf ben Jungen, wie er meinte, ins Heiligste. Unb wie immer, wenn man eine un- begueme Wahrheit hört, so schlug er nun, ohne Halt, braus IoS. Er schrie mit Tränen in ben Augen, waS er ihnen getan hätte. Alle wären gegen ihn. Darum nun auch sic? Und was wollten sie mit diesem ewigen Pastorwerben? Er werbe Pastor? Jawohl! Aber sie sollten den Mund halten davon. Was wüßten sie denn von ihm? Diese ganzen Jahre hier in dieser kleinen Wohnung — hätten sie sich wirklich je um ihn gekümmert? Wußten sie denn, wonach er sich von Kindheit auf gesehnt hätte? Ilm 'eine Kleider, um seinen saubern Hals, um seine Kirchen- briuche hätten sie sich gekümmert. Aber sonst? Hätte er nicht olles allein gemacht? Alles? Auch baS, wovon sie gar nichts wußten? Wovon er ihnen mit feinem Deut etwas gesagt hätte? ®r mache ihnen keinen Vorwurf hier. Aber das könne er ihnen sagen: es gäbe nichts Schlimmeres auf der Welt, als power zu sein . . . ..Ihr seid nicht power. Nein. Aber ich. Ich bin power. Weil ich mich Bernrndrücke unb herumlungere, wo ick nickt hingedöre. Ich weiß cs, dass ich da und da nicht Bingcbörc. Die Leute wissen es auch. _ sie behandeln mich darnach. Ick habe nicht gelernt, mich zwischen ihnen zu bewegen. Was soll ich zwischen dieser frommen eleganten Kirchenbandc hier? Zwischen den Bengels drüben auf dem Gvmiiasium? Ick verachte sie Ich bin mehr als sie alle. Das weiss ich. Aber ber dümmste Marinemann ist mehr als ich. Jawohl, das weiss ich auch. Und ich muß betteln. Die ganze Zeit. Und wer weife, wie lange noch. Und wenn ich wirk - lich was bin — alle werden mir doch sagen, bafe ich früher nichts war. bafe ich bic Kleider von gutöcrbicnenbcn Krämern getragen habe, denen unsere Mader den Dreck nachralcn mußte Ich mache Euch keine Vorwürfe. Aber hättet Ihr uns doch um Gotteswillen gelassen, wo wir waren! Wären wir doch auf dem Deick ge - blieben. Und hätte ich nie eine andere Schule gesehen!" So redete er. Und die Alten machten ihm bittere Borwürfe, Und er verteidigte sich. Und so war es raus. Vieles, was er bis - her Dumpf gefühlt, aber nicht klar gedacht hatte. Run stand ihm fein Reckt ganz fest. Die Alten plänkelten noch hin und ber. Aber bann cnbetc es im resignierten Einverständnis aller. Wie er schlafen ging. Da gaben sie sich die Hand, was sic sonst nie taten. Steen aber, als er lag, meinte dockt, durch diesen Streit mehr verloren als ge - wonnen zu haben. Sic wußten nun alles Sic vergaben ihm in Traurigkeit — ganz sicher. Aber war seine Zukunft dadurch um ein Centeben besser gestellt? Tie Abiturienten dieses Jahrganges machten einen letzten Ausflug, bevor sie sich zerstreuten. Steen hatte es nicht vor - geschlagen. Man ging nach Kupfermiible. Es waren auch Damen da. vor allem jene. Die bei ber Ausführung beteiligt gewesen waren. Man ging keusck unb zücktig über bic Felber, zitierte Liliencron, trank zwei unb eine halbe Stunbe Saffec, unterhielt sich schlecht unb recht, riiDertc, schwärmte, schwieg, alberte und eilte vor Dunkelwcrbcn nach Hause. Steen gähnte. Postbote Greiling kam vom Karpfenteich herauf und traf ihn, gcrabc als er aus Der Elektrischen sprang. Ein Bries! Ein schmaler blauer Bries. Mit blauer Marke. Aus England. Mit Gutte Steffens Handschrift, steil und groß. Wohin soll Steen gehen? Rach Hause? Er wollte ungestört fein. Spazieren? Es war Diinfel. Steen geht nach Hause, schließt sich ein und lieft folgenden Brief: „Lieber Herr Steen! Verraten sie um Gotteswillen nie - mandem etwas von diesem Brief. Es würde mein Unglück sein. Ader ich muß Sie wirklich bitten, mich ganz zu vergessen. Ich liebe Sie nicht. Ich bewundere Sie. Ick möchte, dass wir uns später oft treffen, aber ich liebe Leutnant Kirsebohm. Sie kennen ihn und müssen sagen, daß auch er ein tüchtiger Mensch ist. Lieber Herr Steen! selbst wenn ich Sie liebte, würde der Aus- gang ja unglücklich fein. Meine Eltern würden uns immer im Wege stehen. Und wie lange würde cs Dauern, bis dass :ch Die Ihre werden könnte. Aber nun liebe ich Sic ja gar nicht. Wirklich. Ich habe mich geprüft. Es ist nur Bewunderung und Freundschaft. Diese aber möchte ich Ihnen gerne weiter bewahren, eo könnten Sic mir zum Beispiel ein paar gute mode-ute Romane