Nr. 82. Dienstag, den 7. April 1914. 28. Jahrgang. LamburgerEcho. "m"~" 'lat „.ipnniUiitfler «-dio" etfdjeint laqlich au6ei Moniags. aibiinnementOPret» (intl. „Tie Neue äiitlt* und „Tie nrbeitende J»ne»d^> durch cte Post bczonen ohne Brin,ie>icld monallich a 1.20. vierteljährlich A durch die fiolportcure wöchentlich 30 4 frei ins Hau?. Einz. stlr. k 4. Sonntaa?»Nummer mit lüuflr. Beilage „Tie Neue ‘Iticlt* 10 4- itreuibandlendungen monatlich x 2.70 für das 'Ausland monatlich a 4.—. Redaktion: Ä . o/< Expedition: Fehlandftratze 11, 1. Stock. •vdlltulilfl • > Fehlandstraße 11. Erdgeschoß. Beraniworilicher Redakteur: I. Reitze In Hamburg. Anzeige» die stobengeipallene Peinzetle oder deren Baum 4j a. Ardeitsmar.t, Bermietnngo. u«. Flamiliennnzeigen 20 4. Anzeigen-Annahme Fehlandstr. 11. Erd zeschoß Ibis 5 Uhr na..,mittags! in den FNiaien, sowie in allen Annoncen-Bureaus. 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Ottenien, BahrenieN« bei Fran; Rose, Friedensallee 46. Hierzn zwei Beilagen. Sil eine „KeöäöiöliöM“. Bei den Nationalliberalen herrscht eitel Freude und Hurrastimmung. Denn einer ihrer „Helden", der allgemein für abgetan galt, ist „rehabilitiert" worden. Karl Peters, der „kühne und tatkräftige Pionier deutscher Kolonialpvlitik", hat auf Anregung der Staatssekretäre Jagow und Solf aus dem kaiserlichen Dispositionsfonds eine Pension zugewicsen erhalten. Die übergroße Mehrzahl der Deutschen wird diesen Akt mit sehr „gcniischien Gefühlen" aufnehmen. Es sind zwar 17 bis 18 Jahre verflossen, seitdem der Reichstag sich mit dem Peters-Skandal beschäftigte und Peters vom Leipziger Disziplinargerichtshof zur Dienstentlassung ver - urteilt wurde. Aber gerade darum ist es angebracht, die damals konstatierten Tatsachen wieder neu in das Gedächtnis der Deutschen zurückzurusen, resp, sie denen, die nichts davon wissen, zur Kenntnis zu bringen. Denn uns schwant, daß der Versuch gemacht werden soll, den Dr. Peters nicht nur „ehrenvoll" zu rehabilitieren, sondern ihm auch auf Reichs - kosten dauernd eine Pension zuzubilligen oder ihm gar, was das Allerschlimmstc wäre, wieder eine hervorragende Stellung zu verschaffen, sei es nun im Kolonialdienst oder in der aus - wärtigen Politik. Das muß unter allen Umständen verhindert werden; übrigens wird sich im Reichstage schwerlich eine dem Dr. Peters günstige Mehrheit finden. Wir sind die Letzten, welche die Verdienste jener Männer — und auch Frauen — bestreiten, welche zur Erforschung ferner Tropcnländcp sich tausend Gefahren ausgesetzt und ihr Leben gering angeschlagen, auch oftmals eingebüßt haben. Aber wir sind ebenso entschiedene Gegner jener Menschen, welche ihre Forschungsreisen und die dabei erlangte Macht benutzt haben, um bei unkultivierten Völkern als „Herren- m c n s ch e n" aufzutreten und dort Gewalttaten zu verüben, die sie im zivilisierten Europa glücklicherweise nie verüben könnten. Eben mit diesen Gewalttaten ist aber auch die europäische Zivilisation in überseeischen Ländern und bei „wilden" Völkern zu sehr in Verruf gekommen, als daß es jemals wieder gut gemacht werden könnte. Als prinzipielle Gegner der Art, wie die deutsche Kolonial - politik betrieben worden ist und noch wird, können wir die Jöetöunju". övu ggellu Peiers nicht so eutjchätzen, wie Dies andere tun. Er hat die „Deutsche Gesellschaft für Koloni - sation" begründet und der „Deutsch-Ostafrikanischen Gesell - schaft" in Afrika den Boden bereitet. ■ Dafür mögen ihm diese Gesellschaften dankbar sein; das deutsche Volk hat dazu keine Ursache, um so weniger, als ihm durch die Kolonial - gründungen ebenso enorme als zwecklose Opfer aufgebürdet worden sind. In der Tat ist Peters auch nur von den Kolonialinteressenten und ihrer nationalliberalen Gefolgschaft gefeiert worden, und wenn der Junker v. Kardorff einmal sagte, Peters sei bedeutender als alle Kapazitäten des Reichs - tages, so war das eine jener reaktionären Uebertreibungen, die man Bismarck abgcspickt hatte. Peters unternahm dann die Expedition zur Rettung von Emin Pascha, der von ihm gar nicht gerettet sein wollte. Später wurde er Rcichskommissar in Ostafrika. Seine Art, mit den Eingeborenen Verträge zu schließen, ist bekanntlich sehr abfällig beurteilt worden. Was er aber an wirklicher Forscherarbeit geleistet, tritt völlig zurück hinter die Affären, durch die der deutsche Name im Auslande so sehr geschädigt worden ist. In den neunziger Jahren gab es in Deutschlands Schutz - gebieten verschiedene vom „Tropenkoller" befallene „Herren - menschen", die wegen ihrer Roheiten und Grausamkeiten zur Verantwortung gezogen werden mußten. Da war zunächst in Kamerun der Kanzler L e i st, der die „P f a n d w e i b c r" erfand, sie „zur geschlechtlichen Zwangsarbeit für sich und seine Freunde" benutzte und sic später wegen Arbeitsscheu mit der Nilpscrdpcitschc derart traktieren ließ, daß die Dahome - soldaten einen Aufstand machten. Leist wurde entlassen, aber nicht bestraft und verschwand in Amerika. Der Vizekanzler W e h l a n wütete gleichfalls mit der Nil - pferdpeitsche. Er war angeklagt, zwei Eingeborene wegen Gefangenenbefreiung mit dem Tode bestraft zu haben, wurde aber merkwürdig milde behandelt. Der Prinz Arenberg wurde vom Kriegsgericht wegen Ermordung von Eingeborenen zum Tode und zur Ausstoßung aus der Armee verurteilt, aber zu 15 Jahren Gefängnis begnadigt. Noch andere „Herrenmenschen" wurden bestraft, aber am meisten Staub hat der Fall Peters aufgewirbelt, weil dieser den bekanntesten Namen trug. 1896 erhob Bebel im Reichstage eine zerschmetternde Anklage gegen Peters, und die Regierung schien damals insgeheim nicht ungern diesen „Helden" los zu werden. Wir wollen nur das Wesentliche aus der Entscheidung des Difziplinargerichtshofes hierher setzen. Der Gerichtshof betrachtete als erwiesen, daß PeterS den Negcrjungen Mabruk habe hinrichten lassen, weil dieser mit Peters' Konkubinen geschlechtlichen Verkehr gehabt habe; dazu habe Peters kein Recht gehabt. Ueber die Hinrichtung hat Peters an seine vorgesetzte Behörde einen unwahren Bericht gesandt. Weiter heißt es: Die Kriegserklärung an den Sultan Malamia, zu dem die Konkubinen entflohen, erachtete der Gerichtshof für ein schweres Dienstvergehen, zumal'dadurch die schlimmsten Folgen hätten entstehen können. Aber auf solch einen „kleinen Krieg", natürlich auf Kosten des Reiches, kam es dem „genialen Staatsmann" Peters nicht an. Ein Blut- und Eisenmann ä la Bismarck im Westentaschenformat! Der Gerichtshof war der Ansicht, daß Peters ein Recht aus die ihm geschenkten Weiber in keiner Weise zustand und daß er sie gegen ihren Willen nicht behalten durfte. Er hatte weder ein Recht, die Herausgabe der entflohenen Weiber zu verlangen, noch sie durchpeitschen zu lassen. Tie Auspeitschung erklärte der Gerichtshof für eine besondere Grausamkeit. Peters ließ die eine der entflohenen Frauen, Jagodja genannt, aufhängen, was der Gerichtshof für „vollständig unberechtigt" erklärte. Zugleich wurde die Art, wie sich der Angeklagte im Hotel Bristol in Berlin über seine Taten äußerte, vom Gerichtshof für ein Benehmen erklärt, das der Würde eines Beamten nicht entspreche. Peters wurde zur Dienstentlassung verurteilt, aber die Regierung ging leider strafgerichtlich nicht gegen ihn vor. Er ging nach England, wohl weil er befürchtete, es möge doch noch cm Strafverfahren gegen ihn eröffnet werden, da diese Unter lassungvsünde der Regierung auf fast allseitigen Tadel stieß. Nun verlangt die nationalliberalc Presse, daß die „be - sänftigende Wirkung der Zeit" anerkannt werde. Hierauf kommt es in diesem Falle gar nicht an; Venn wenn Peters „rehabilitiert" werden soll, so wird man schließlich verlangen, daß er wieder verwendet wird, und wenn dies geschieht, so ist zu befürchten, daß er neues Unheil anrichtet, welches dann wieder an den deutschen Namen sich hängt. Seine Ratschläge, beißt cs, hätten als die eines erfahrenen Afrikaners Anspruch darauf, gehört zu werden. Wir danken schönstens für die „Ratschläge" dieses Mannes. Weiter soll er im Auslande „sein Interesse für die deutsche Kolonialpolitik" bewahrt haben! Das mag fein! Wir haben aber auch vor zwei Jahren, wenn wir'uns recht erinnern, Artikel von ihm gelesen, worin er der deutschen Regierung den Rat gab, sogleich mit dem Dreibund die Tripelentcnte anzugreifen, weil es nachher zu spät sein könnte. So ein kleiner Weltkrieg macht diesem Peters auch weiter keine Bedenken. Unv dessen „Ratschläge" sollten unentbehrlich sein! Uebrigens sei wegen der „besänftigenden Wirkung der Zeit" bemerkt, daß verschiedene Teilnehmer an der Bewegung von 1848, die aktive Militärs waren, nie amnestiert worden sind; so Tcchow, der beim Zeughaussturm beteiligt war. Auch Rüstow, der eine „hochverräterische" Broschüre schrieb, ist nie amnestiert worden. Dazu schwieg die national - liberale Presse; für die „Taten" eines Peters aber verlangt sie Vergessenheit! Die ganze öffentliche Meinung wird sich mit elementarer Gewalt gegen diesen Mann richten, wenn er aus der Ver- 'enkung, in der er verschwunden, wieder aufzutauchen den Versuch machen sollte. Daß zwei Staatssekretäre es durch - gesetzt haben, vaß ihm dorthin eine Pension nachgeschickt wird, das wird wohl im Reichstage zur Sprache kommen. Und Da wird sich Dann zeigen, daß dieser Peters erledigt ist — für immer! politische Uebersicht. Regierung und Reichstag. Zu der in der letzten Woche viel erörterten Frage, ab der Reichstag über den Sommer hin vertagt oder ob die Session geschloffen werden würde, hat nun auch die „Nordd. Allgem. Ztg.", daS orfiziöse Sprachrohr des Reichskanzlers, das Wort genommen. Wat sie in; allgemeinen über den Gang der Reichstagsarbeilen in der laufenden Session sagt, braucht uns nicht weiter zu inter - essieren, auch nicht die Konstatierung, daß die Schließung die Regel, die Vertagung dagegendie Ausnahme bilde. Wohl aber die Inschutznahme der Regierung gegen den Vorwurf, daß sie eine Politik der Nadel st iche gegen den Reichstag treibe. Darüber, wie über die Absichten des Reichs - kanzlers, schreibt das offiziöse Blatt: „In die Erörterungen der Frage, ob Vertagung oder Schluß, spielt endlich auch die Frage der Freikarten hinein. In freisinnigen Blättern war schon für den Fall, daß die Ent - scheidung gegen die Vertagung mit ihrer Folge der fortdauernden Freifahrten der Abgeordneten auf den Eisenbahnen fallen sollte, von einer Taktik der Nadelstiche gegen den Reichstag die Rede. So wenig der Reichstag die in erster Linie die persön - lichen Intereffmi seiner Mitglieder angehende Frage der Frei- ' führten mit staatlichen Interessen zu verquicken geneigt sein wird, so wenig kann die Regierung dem Gedanken- gange von Zeitungsartikeln folgen, die behaupten, der Reichskanzler wolle durch daS mit dem Schluß des Reichs - tages eintretende Aufhören der Gültigkeit der Freikarren den Reichstag „bestrafen". Tie Willkürlichkeit einer solchen haltlosen Känstruktion erkennend, haben andere Blätter als zwingenden Grund für die Vertagung ein immanentes Obren« recht jedes Abgeordneten auf unbeschränkte freie Benutzung aller deutschen Eisenbahnen ins Feld geführt. Solange dieses Postulat nicht in der Verfassung anerkannt ist, werden die verbündeten Re - gierungen daran Festhalten müssen, daß eine Vertagung lediglich davort abbangt, o i sie im allgemeinen Interesse des geregelten Ggngco der Reichpgesetzgebung zweckmäßig und notwendig er - scheint. Im bortideenben Falle wird der Reichskanzler, wie wir glauben, die Entscheidung des Kaisers erst herbeifübren, wenq sich das Ergebnis der Reichstagsverhand - lungen genauer übersehen läßt. Darüber, was in diesem Jahre nach Ostern noch erledigt werden soll, wird sich hoffentlich eine Verständigung zwischen der Regie - rung und den Parteien erzielen lassen. Findet dann noch der Appell ast die Seldstbeschränkung in den Debatten Gehör, so wird der Reichstag nicht ungebührlich lange auf den Beginn der Sommerpause zu warten brauchen." Die letzten Sätze scheinen die in den ersteren gegebene Ver - sicherung ziemlich wieder aufzuheben. Nur wenn er sich bereit finden läßt, diejenigen Vorlagen schleunigst zu erledigen, auf die die Regierung besonderen Wert legt, wird ihm auf baldige Sommerferien Aussicht eröffnet. Ob durch Vertagung oder Schluß, wird auch jetzt noch nicht gesagt. Wenn aber die Regie - rung schließen will, so r t alle weitere Arbeit wie dte vorausgegangene an den Vorlagen, die nickt mehr zur Erledigung kommen können, total überflüssig; sie würde von vorn - herein vergehlick erscheinen. Darum ist eine Verschiebung Der Entscheidung darüber, was denn nun geschehen soll, bis zum letzten Moment absolut unangebracht und der Reichstag hat in dem Zeitpunkt, wo feststeht, daß nickt alles aufgearbeitet werden kann, ein Recht darauf, zu wissen, was die Regierung beabsichtigt, weil man es ibm nickt verdenken kann, wenn er nicht allein für den Papierkorb arbeiten will . Die Frage der F r e i f a h r k a r t e n ist tatsächlich nur eine Nebenfrage, die weder für den Reichstag noch für die Regie - rung als bestimmendes Moment in Erwägung kommen sollte. Falsch ist aber, daß die Freifahrkarten als „immanentes Ehren- recht" der Abgeordneten in Anspruch genommen worden sind. Es handelt sich dabei lediglich um eine Frage der Zweckmäßig - keit, und die Regierung sollte gerade alles tun, um die Ent - scheidung über Vertagung ober Schluß von allen Erwägungen freizumachen, die etwa an die Fahrberechtigung de Ri'ckstags- mitglieber anknüpfen könnten. Freiheit für die Unternehmer — Stnebelnng bet Arbeiterrechte. So denken sich die organisierten Unternehmer scharfmacoe- rischer Couleur die „Parität" auf dem Gebiete des Koalitions - rechts. Nicht ohne Grund hab:n die industriellen Schar'macker und ihre konservativ-agrarische Hilfstruppe nach einem Sonder - gesetz, muß heißen Ausnahmegesetz, gerufen, durch das der „Schutz der Arbeitswilligen" verschärft und mit dem das Koalitionsrecht bet Arbeiter abgeroürgt werden soll. Tie Unternehmer wissen ja sehr wohl, daß sie auch dann, wenn von ihrer Seite offenkundige Terrorismusakte vor - liegen, sich nicht leicht in den Maschen bet Strafgesetzgebung ver - fangen, während Arbeitern oft genug schon ein barmloses^Wort zum Verhängnis wird. Wird erber der strafrechtliche „Sckntz" allgemeinrechtlich" verschc.rft, so fürchten die Unternehmer davon, daß sie selbst in diesen „Schutz" sich verstricken könnten. Das bat ein Fabrikbesitzer Dr. Rödetbotg -.Krefeld ganz offen ausgesprochen in einer Auslassung in der „Krefelder Zeitung", auf die die Aprilnummer des „Hansabundes" ausmerksaut macht. Ter Artikel banbelt vom „Schutz der Arbeitswilligen und den Kartellen der verarbeitenden Industrie. Am Schluß schreibt der genannte Verfasser: „Ich fasse meine Ausführungen dahin zusammen: Es läßt sich heute nickt überleben, welche Folgen die Bewegung gegen den Organ isationszwang auf dem Gebiete bet Gesetzgebung haben wird. Es besteht die Gefahr, daß sich aus ihr eine Reihe schwerer Schädigungen der für unser Wirtschaftsleben nützlichen und nötigen Zndustrickartelle ergeben kann. Tie öffentlichen Erörterungen beweisen, daß die prinzipiellen Unterschiede zwischen dem Wesen des Lrganisattonszwanges auf dem Gebiete des Lohnarbeitsverhältnisfes und der Industrie- k ar teile nicht klargestellt sind. Es ist unaufschiebbare Pflicht der Jndustriekartelle, die Oesfenilichkeit über diese Unterschiede aufzuklären und dafür zu sorgen, daß keinerlei Aende - rungen des gemeinen Rechtes stattfinden, welche den Bestand und die Fortentwicklung der Industrie- kartelle gefährde n." Tie terroristische PrariS mancher Jndustriekartelle ist ja im Laufe der Jahre an manchen Tatsachen erwiesen. Wird nun Der Terrorismus „allgenteinrecht! ich" der Bestrafung unterstellt, so laufen die Jndustriekartelle Gefahr, vom Strafgesetz erfaßt ;u werden Darum verlangt der Urheber des Artikels, daß ein prinzipieller Unterschied znischen dem, was man „Ardener- terrorismus" nennt und dein terroristischen Gebaren der Jn- dujtrickartcllc gemach: werd«, wert sogst die «orteturoidlung der Judustrielartelle gefährdet, werde, Dte Demnach also ohne Die terroristische P r a r i s nicht existenzfähig sind. Ein prinzipieller Unterfchsttd zwilchen dem Terrorisintts der Kartelle und dem, was man' bet Arbeitern „Terrorismus" nennt, besteht freilich. Der erstere dient nur dem g e ft e i g e r t e n Profitmacken, während die Ausübung des Koaltttonsrechts leitens Der Arbeiter Diese befähigen soll, in höherem Maße als bisher an den Kulturgütern teilzunehmen. Ta aber in der kapitalistischen Gesellschaft der Profit über die Kultur geht, so glauben die kartellierten und andere Unternehmer, daß i h r Terrorismus einer- besonderen gesetzlichen Schutzes ebbarf, während Den Arbeitern ihr Recht durck Straf- gesetze eingeengt werden soll. Bassermann als Tröster. In der „Kölnischen Zeitung" nimmt Bassermann das Wort zu den „Einigungsoestrebungen" in der iiationalliberalcn Partei, irr versichert, niemals habe er einen io festen Willen zur Einigkeit und Geschlossenheit emvfunden, wie in Der letzten Sitzung des Zentralvorstamdes: „Ter feste Wille de» Zusammeii- bleibens mag den Wünschen des „Berliner Tageblatt" und mancher konservativer Geoärdenfpäher unerwartet geiommen und nicht wünschenswert lein. Tie Spekulation auf die sogenannte reinliche Scheidung der rechts- und linksstehenden Elemente muß endgültig begraben werden. Wir haben weder L u ft, demokratisch, noch konservativ zu werden. Tic Beschlüsse des Zentralvorstandes schieben die Partei weder nach rechts, noch nach links, sondern vorwärts. Wir bleiben, was w i r sind." Den Konservativen wirft Bassermann politische Ungezogenheit vor, weil sie die nationale Gesinnung der Nationalliberalen in Zweifel ziehen. Die Einseitigkeit der Kon- fervativen, die sich immer mehr zu einer Klassenpartei rein agrarischen Charakters umgewandelt hätten, paßten nicht mehr für das in glänzender Aufwärtsentwicklung befindliche Teutsch- Vie bange Nacht. Roman von flSols Röster. [31] So vergingen noch vierzehn Tage. _ Tann wurde es Zeit. Und kläglicher als Steen ist wohl kein Student je ins erste Se - mester gefahren. _ Zunächst konnte er sich gar nicht fortfinben von Hamburg. Fast alle seine Genossen sahen schon im Perkeo oder in der Zeise ober im Marburger Schützenpfuhl — ba erst machte er in Ham - burg seine Abschiebsbesuche — bei Blohm und Voß, im Segel- schifshafen, auf dem Großneumarki, in der Niedernstraße. Halb aus innerem Drange, halb aus Eitelkeit lief er auch über bett Deich an seiner alten Schule vorbei, stanb in ber Kirchenallee vor jenem Hause, ba ihm einst der Wäschekorb gestohlen war, und inspizierte tn jener Seitenstraße des Steiudamm genau die Kellertreppe und den Gartenschulhof, wo so viele seiner Schritte lagen. Der Barren stand da und die Laube auch, und wie er an ber Veranba vorbei kam, glaubte er jene alten Schullieder zu hören — laut, aber hölzern und ohne Verständnis. Dann kamen die unzähligen Plätze und Wege, Büsche und Wiesen, Heide - mulden und Knick-Ecken, die östlich vom Hammer Steindamm lagen. Wo überall er eine kleine Erinnerung liegen hatte, fröh - liche und finnige und melancholische und häßliche Erinnerungen. Erst nachdem dies alles genau durchgegangcn und so das ganze kleine Leben Steens noch einmal aufgeweckt war — erst bann ging er. An einem nebeligen Märzvormittag war es. Er lief immer triebet durch die Drei Zimmer bet kleinen Steenschcn Wohnung. Hier nahm er ein kleines Nippstück, da eine kleine Decke. Er stand am Küchenfenster und blickte auf den Hof hinab — auf den Wäscheschiippen, in Dem nun längst andere Frauen ihre <-päße trieben, auf Die Mistbeete von Suhr, auf das ferngezackte Bild der großen Stadt. Der Vater segnete ibn. Feierlich und ernst. Ivie cs dem alten Steen entsprach. Et hatte ihm eine vergoldete llht- kettc gekauft und ließ es sich nicht nehmen sie selber ihm uinztt- tun Von der Weidenstraße her Ivinstc er — als er ging — genau wie früher, mit seinen gufammengeroBten weißen Hand - schuhen, wenn er in ber Mitte des Monats Die üblichen Teekucken mitp.cbradit hatte. Dann fuhren Die Mutter und er in einer Droschke ab. Die Mutter gab ihm viele gute Ratschläge mit — und ant Zuge noch ein in Papier gewickeltes Zehnmarkstück. Sie küßten sich — was sie nie getan hatten. Tic Mutter bemerkte noch, daß seine Schleife heruntergerutiebt sei. Dann pfiff es, und Steen fuhr südwärts — in Die Wissenschaften, in Das Leben. Im Mai Des Jahres 1902 gab es durch das ganze badische Land ein großes Fest. Alle kleinen Weinbergdörfer der Berg- itrafjc und auch die entlegensten Höfe des Schwarzwaldes hatten gelbrote Fahnen aus den Fenstern hängen. Auch die Rheinkähne in Mannheim und Kehl, die Straßenbahnen in Freiburg und Karlsruhe, Schulen und Kirchen, die Pferde vor Den großen Bier - wagen und Die Postillone im Murgtale hatten fiat mit gelbroten Schleifen geschmückt, und alles redete vom Großberzog. In Heidelberg war es schon voller Sominer. Tic Neckar- infcln traten aus' dem Wasser hervor. Die Ebene lag im slim, mernben Dunst. Der Rauch am Tunneleingang hinter der Peterskirche irrte dickballig tief unten am Schloßberg umher. Vom Klingenteich bis zum Königsstuhl ging man durch eine Wolke von Tannendust. Aber es spazierte niemand auf den Bergen, sondern alles füllte die untere Stadt, deren einzige Straße ein Meer von Fahnen war. Gegen Mittag begann Die Auffahrt zur Universität. Das Volk staute sich auf dem Ludwigsplatz und in der Hauptstraße. Es kamen herangefahren die Professoren der Universität — in seltsam altmodischeit Trachten. Sie waren bald vorbei. Viel größeres Interesse erregte, was nach ihnen kam: in endloser Reibe Die prächtigsten Wagen der ganzen Stadt. In diesen saßen junge Leute. Immer je zwei in derselben Montierung. Ihre Traätt überstieg diejenige der Professoren an Buntheit und Aus - sehen bei weitem. Tie Pferde waren bedeckt mit strahlenden Parabeschabracken — gelb, rot, weiß unb grün. Auf Den Köpfen schüttelten sie hohe Federbüsehe. Die jungen Leute selbst saßen stolz in ben Wagen, indem sie keine Miene verzogen und die Hände 'theatralisch auf'bei, Knauf bes Degeits legten, ber vor ihnen in ber Scheide steckte. Tie ersten waren unzweifelhaft bic prächtigsten. Ihre Beine verschwanden ganz in den mächtig schwarzglänzenben Ritterstiefeln, ihre Arme in den ebenso mächtigen weißen Ritter- Handschuhen. Ihre Köpfe waren entweder blank, mit einem fleinen runden Teller verziert, ober eine lange teure Feber legte sich in edler Schweifung nach hinten über ein schwarzes Samt- barett. Gegen daS Ende bes Zuges mürben bie Insassen charakter - loser unb immer weniger bunt. Die Gesichter, bie Gestalten, daS Menschliche trat zu sehr in ben Vordergrund. Ganz hinten endlich kamen ganz gemeine Zvlinder gefahren. Diese wurden mit ver - ächtlichem Schweigen ober mit Lachen begrüßt. Schon waren alle tn der Aula angclangt ba fetzte sich vom Bahnhof 1 er ber Wagenzug d«S alten Großherzogs in Bewegung. Unb in dem Augenblick, ba er in die Hauptstraße einbog, fingen alle Glocken von Heidelberg zu läuten an — so mächtig, so er - schütternd lebendig, daß einige ganz ben alten Mann, der dort im Wagen saß, vergaßen unb an sich selber backten. Mit Stufen unb Hütcsckwcnken von wein gen beginnt es. ’llber das Rufen steckt an. Geschrei unb Gejauckze läuft beut Zuge voraus. Als ber Wagen in ben Ludwigsplatz einbiegt, erhebt sich ein donnernbes Getöse, das bic Glocken für einen Augenblick verstummen läßt und an ben Walbwänden des Neckar über der Stadt hoch emporscklägt. Just in diesem Augenblick stürzt brühen auf dem Philosophen - weg der junge Steen zu Boden. Ter Philosophenweg zieht sich jenseits des Neckars in einer -döhe von vielleicht cinhundertundstinfzig Metern über dem Neckar- spiegel hin. Steen ist gestürzt da, wo die steile Schlangenstiege auf ben Philosophenweg mündet. Vielleicht ist er diese steile Stiege heranfgefommen, unb ein Hitzschlag hat ihn getroffen? Nein, denn er bemüht sich, aufzusteben. sein Anzug ist von oben vis unten geweißt Born staub des Weges. Der Hut ist abgefallen. Tas blonde Haar ist ganz lang gewachsen. Seine Brille und sein gänzlich bartloses Gesicht verleihen ihm für ben ersten Anblick immer noch etwas Theologenhaftes. Aber bie tiefliegenden flackernden Augen hinter den Gläsern zerstören schnell diesen Eindruck. Wie er sich jetzt mühsam am Gitter emporrtcktei, fällt er durch einen mächtigen breiten, aber zu runden Rücken auf, der bic Brust einschnürt. Im übrigen scheint lebiglich ein Sckwindel ibn getroffen zu haben. Blaß unb langsam wendet er sich vorwärts, dem Neuenheimer Abhang zu. Hier liegt, auf einer Nase vorspringend, die rechts in die Rheinebene unb links in das Neckartal weite Blicke sendet, eine etwas ramponierte Wirtschaft — besucht nur von unbekannten Fremden, Soldaten und Mannheimer Kleinbürgern. Sie ist jetzt leer. Aber heute nachmittag wird keiner der schmutzigen Tische einen einzigen leeren Platz haben. Alte AushilfSkellnerinnen werden zahllose Bütten schlechten Kaffees vom Büfett wegschleppen. Und in der Dämmerung werden die Soldaten das Örckestrion seine furchtbaren Tonsckleusen öffnen lassen, und das ganze leicht- gebaute Haus bis oben in den Turm unb in bic zwei östlichen Frembenzimmer hinauf wirb erzittern. Aber bas ist erst um sechs ober um sieben Uhr. Jetzt ist cS Mittag, unb ber Garten schläft. . Steen biegt vom Wege in biesc Wirtschaft. Er gebt langsam burch den Saal. Vom Gesims des Saales sehen zerfallene Büsten auf ibn herab: Spinoza unb Plato und Fichte. Tenn biete Bier- itnb Kaffecosteria nennt sich mit Anspielung auf ben Weg, an dem sie liegt. Die ..Philosophcnböbe". Er schreitet langsam, bic Jrcppc hinauf. Er kommt auf einen Gang. Au dessen Ende liegt eine Tür, an bic ein kleines giiabratifcheS Papier geheftet ist — offenbar eine iclbflgcfcrtigtc Visitenkarte. iHr tritt in daS Zimmer, öffnet die Fenster und legt sich auf ein abgenutztes roter Plüscksofa. Gegen Abend wurde cS schlimmer mit ibm. Der Lärm Jm saal begann, bic Berge verhüllten sich in Nacht, und im iral blinkten bie Lichter auf, die Lichter von Heidell'erg unb die Lichter des Bahnhofs und weit am Horizont bie Lichter von Mannheim. Steen lag im Bett, und alles wankte vor seinen Augen. Wak war daS? Er sah die Petroleumlampe — jetzt stand sie noch gcrab — jetzt links — jetzt rechts — jetzt langsam, schneller, hin unb her, hin und her. irr warf sich auf die aridere Seite, da war cS für einen Augenblick weg. Aber nun begann die Wand sich zu bewegen — htn und her. Tann schloß er Die Augen. Jibet nun bewegten sich Lampe unb Wanb unb alles, was er sah. Dazu schüttelte ihn Der Frost. Die Solbaten tanzten, baß Trckesirion wütete vis Mitternacht. Steen schlief nicht. Als er am nächsten Morgen nicht essen wollte, schickte bie alte Torte zum Arzt. Ter Arzt kam, rebetc von Ucberanitrcngung, von Mangel an Bewegung, stellte beim Fortgehen unten im Saal bic alte Torte unb fragte sie: „Hat der junge Mann keine Freunde hier?" „C nein, Herr Doktor, der junge Herr ist den ganzen Tag allein. Nur im Anfang waren zwei junge Leute hier. Sonst niemand. Aber mit mir ist er freundlich. Ja, das ist er. Nur des Nachts, da sagt er laut auf zuweilen, vom Fenster aus. und ba ist ^r böse, wenn man ihn stört." „So. Und er arbeitet viel, sagen Sie?" „Immerzu, immerzu von da ab, wo er kam. Er schreibt und lieft. Vormittags und nachmittags, auch Sonntags geb" er manchmal nicht weg." „Hm — unb — sagen Sic — wissen sic vielleicht — ov - je ein Frauenzimmer bet ihm gewesen ist?" „C mei, niemals, nimmer, nee, nee, so ist er nicht." „Nun, ich hab' mirs gedacht." sagte der Toktor unbjah Soin an. „Aber wenn er mal ankommt mit einer — baß Sie ihn ,' nicht stören, Torte, hören Sie? Ja nicht stören, Torte, hören Sic Torte sperrte bas Gefickt auf, sah ihm nach und schütteln den alten Kops. Sechs Wochen waren nun schon bin feit jenem windigen Märztagc, da Steen in Heidelberg cinzog. Er war nickt der einzige von feinem Gvmnasiutn. Aber die zwei andern hatte: sich schon nach wenigen Tagen cingerciht: der eine rot, ber ander: blau. -Steen war also ganz allein Er mar stolz. Aber cS tat weh. Manchen Tag redete er tu; keinem Menschen ein Wort. Und wenn dann abends Torte dir Lampe brachte, so tat der Mund weh beim sprechen. So war cs Einmal versuchte Steen auszugehen. AVer er fing cs seinen Charakter nach gleich zu stürmisch an. Er lief sechzig Kilomerc an einem Tage. Und als er abends heimkehrte, überfiel ihr daS Heimweh — nach der Bille, nach dem Horner Moor, nae einer Bank in einem großen Garten. Dann hatte er sich eines Tages in einer Verbindung gemeldet Halb aus Verzweiflung. Halb aus naivem Menfcheninstinkt. Er batte baS Gefühl, hiermit -einer Mutter etwas zuliebe zu tut Diese Verbindung nannte sich christlich. tSottCeeung sotzlo