Nr. 107. Sonnabend, den 9. Mai 1914. 28. Jahrgang. Hamburger Echo. tai .Hamburger V-dio* erscheint täglich, autzer Montag». ?lboniicmentsprets linkl. »Die Neue ISelt* und .Die arbeitende Jugend^) durch di« Voll bezogen ohne Bringeqeld monatlich Jt 1,20. vierteljährlich a 8,60; durch die Kolporteure wöchentlich 80 4 frei ins Haus. Ein,. Nr. 6 4. EonnlagS-Nummer mit illustr. Beilage .Die Neue Welf 10 4. Kreuzbandsendungen monatlich * 2,70. für da» Ausland monatlich a 4,—. Redaktion: Qft Expedition: Sehl-ndftrab- 1L I. Stock. .YNMvUrg OO F«hlandftr-b« 11, »rdgescho». verantwortlicher Redakteur: I. Neitz« in Hamburg. »n,eigen du siedengespallene Pelit, eue ober deren Raum tu 4, «rbeitSmarte, itermietung». unk ff-mtl,e«an, eigen 20 4. «nz„gen.«nnahme F-Hlandftr. 11, rrdgelchotz (bi» 5 Uhr nartzuiittag», m den S'lialen. sowie in allen «nnoncen-Bureau«. Pla», und Talenvorschriften ohn« Verbindlichkeit, Rellamen i»> redaktionellen Teil werden weder grattl noch gegen Entgelt ausgenommen. 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In weiten Kreisen der politischen Welt ist die feste Ueber - zeugung verbreitet, daß in Deutschland ein großer Kon - flikt zwischen Militarisnius und Parlamen - tarismus sich vorbereitet. Diese Auffassung hat viel Wahrscheinlichkeit für sich. Man hat bei der Zaberner Affäre den Uebermut des Militarismus und die Dummheit des Spieß - bürgertums gesehen, welches sich noch geehrt fühlt, wenn dem „Zivil" vor den Bauch getreten wird. Das kann auch den Uebermut jener Junkerkamarilla nur steigern, die schon seit Jahren die eifrigste Maulwurfsarbeit betreibt, um die gegen - wärtige Verfassung, respektive das allgemeine Wahlrecht zu unterhöhlen und die Volksvertretung zu beseitigen oder zu einem willenlosen Werkzeug zu machen. Wenn so planmäßig auf den Konflikt hingearbcitet wird, so wird er schwerlich zu vermeiden sein, wenn man sich auch sagen darf, daß die Bäume der „starken Männer" wie andere nicht in den Himmel wachsen. Man kann daran erinnern, daß der „stärkste Mann" unter den Junkern, der Säkularmcnsch Bismarck, vergebens versucht hat, einen solchen Konflikt herbeizuführen und die Verfassung umzustürzen. Er bezahlte das verfehlte Experiment mit seinem eigenen Sturze. Immerhin müssen wir uns darauf gefaßt machen, daß eines Tages riesengroß und drohend der Konflikt vor uns steht. Wir fürchten ihn nicht. Denn die deutsche Sozialdemokratie hat den heftigsten Konflikt, den es in Deutschland seit 1848 zwischen Volk und herrschenden Gewalten gegeben hat, siegreich durch- gcfochtcn. Ihr Gegner war der mächtigste und zugleich ver - schlagenste Staatsmann seiner Zeit. Er verhängte über die Sozialdemokratie ein Ausnahmegesetz schlimmster Art und ver - folgte den Plan, die geächtete Partei so zu drangsalieren, daß sie in Verzweiflung auf die Straße steigen und Barrikaden bauen würde. Dann war der ersehnte Moment gekommen, der das Eingreifen des Heeres ermöglichte; dann konnte die revo - lutionäre Partei mit überlegener Waffengewalt nieder- gcschmettert und ein „Aderlaß" vorgcnommen werden, der auf lange Zeit den erschöpften Volkskörper zu sklavischer Unter - würfigkeit gezwungen hätte. Dieser infernalische Plan schei - terte an der festen Haltung der Sozialdemokratie. Aber wir wissen, daß andere den Konflikt fürchten. Der -Zusammenstoß zwischen Militarismus und Parla - mentarismus bedeutet den Zusammenstoß des eisernen und des irdenen Topfes. Es kann kein Zweiset bestehen, welcher von beiden in Trümmer gehen wird. Von den bürgerlichen Par - teien, welche zur Zeit den Parlamentarismus beherrschen, ist kein Widerstand zu erwarten. Die konservativen Elemente wer - den es mit Beifall begrüßen, wenn der irdene Topf in Trümmer geht; die Ultramontanen werden sich geschickt in d'e Situation finden und der Liberalismus wird zusammenknicken. Dies kann die Sozialdemokratie, wenn es eintreten sollte, alles nicht ändern. Aber das Volk selbst wird nicht gleich dem irdenen Topfe in Trümmer gehen. Es wird in Bewegung geraten, wenn die Rechte gefährdet sind, die das Resultat eines langen und opfervollen Kampfes bilden. Eü wird sich daran erinnern, daß die bürgerliche Gesellschaft und der ihr aufgepfropfte Klaffen- und Militärstaat nur auf seine Kosten und nur durch seine Arbeit bestehen können. Der Klassenkampf wird sich verschärfen. Welche Form er an- nehmen wird, darüber zu streiten, ist heute vollkommen über - flüssig. Aber jedenfalls wird die Verweigerung der den volks - feindlichen Mächten zu ihrem Bestände unentbehrlichen Arbeit des Gedankens und der Hände, die das gesamte Volk leistet, eine große Rolle spielen, wohl die ausschlaggebende. In den Kreisen, die bei einer solchen Krisis von den herrschenven Klassen mit der Aufgabe betraut werden, den Widerstand des Volkes zu bewältigen, herrschen die sonder - barsten Vorstellungen von dem geistigen, materiellen und moralischen Zustande dieses Volkes. Man läuft dort wie mit Scheuklappen umher. Man rechnet dort nicht mit den großen Veränderungen, die sich inzwischen vollzogen haben; man weiß nichts von der Solidarität, die das Klassenbewußtsein schafft. I IW— Illi Der Kasematten-Wolff. Co.; Erscheinen der Volksausgabe des „Kapital" rechtfertigt es woh:, wenn wir heute des Mannes gedenken, dessen Namen Karl Marx für dauernd durch die Widmung seines Hauptwerkes geebri bat. Heute vor 50 Jabren starb Wilhelm Wolfs, von dem Friedrich Engels einst schrieb: „Mit ihm verloren Marx und ich den treuesten Freund, die deutsche Revolution einen Mann von unersetzlichem Wert. .... Einen so eichenfcsten Kerl, der so zum Volke zu sprechen wußte und stets im schwierig - sten Moment erst recht auf dem Posten war, bekommen wir nie wieder." Drei Jahre später schrieb Karl Marx auf die erste Seite seines Lebenswerkes: „Gewidmet meinem unvergeßlichen Freunde, dem kühnen, treuen, edlen Vorkämpfer des Prole - tariats, Wilhelm Wolff, geb. zu Tarnau 21. Juni 1809, gest, im Exil zu Manchester 9. Mai 1864." Unsern neu gewonnenen Freunden sowie der Heranwachsen - den Jugend zu sagen, was wir diesem Manne verdanken, er - scheint uns an seinem Todestage eine ernste Pflicht. Denn Wilhelm Wolff ist uns nicht nur der Freund unserer bedeutend- iten Lebrer, sondern wir ehren ihn auch als den Mann, der viel für die Sache des kämpfenden Proletariats getan hat. Und selbst wenn er nur die berühmten Artikel über die Kasematten in Bres - lau geschrieben hätte, Artikel, in denen er blitzhell in das Wohnungselend der Aermsten der Armen hineinleuchtete und die ihm den Ehrennahmcn „Kasematten-Wolff" eingetragen haben, so wäre das genug, die heutige Generation der Arbeiter - klasse dankbar seiner gedenken zu lassen. Wilhelm Wolfs gehörte, nm Mehrings schone Worte zu ge - brauchen, „zu den edlen Naturen, die nach Schiller mit dem zahlen, was sic sind";, sein unerschütterlicher Charakter, seine unverbrüchliche Treue, seine peinliche Gewissenhaftigkeit, seine nie zu beirrende Bescheidenheit machten ihn zum Muster eines revolutionären Kämpfers und erklären die Ehrfurcht, womit neben aller Liebe oder allem Haß seine politischen Freunde wie seine politischen Gegner von ihm zu sprechen pflegten". Eine verdienstvolle Tat war cs, die Wolff, der sein Leben lang ein armer Teufel blieb, im März 1849 durch seine wuchtigen acht Artikel in der „Neuen Rheinischen Leitung" über die „Schlesische Milliarde" vollbrachte. In prächtiger Schärfe stachelte er darin die schlcsiichen Bauern, denen er selbst nach seiner Abstammung angehörte, gegen ihre Unterdrücker auf. Nach- deut diese Schrift jahrelang vergriffen war, hat Mehring sie vor fünf Jahren neu herausgegeben und dem Büchlein auch die Kase- mattenortikel Wolffs von 1843 und die Schilderungen des Weber- Man hält daß Volk immer noch für eine gedankenlose Masse, und man weiß nicht, daß das allgemeine Wahlrecht den Deutschen eine politische Erziehung gebracht hat und daß Dem gewaltigen Bildungstrieb Der Arbeiterklasse wenigstens bis zu einem gewissen Grade Befriedigung zuteil geworden ist. Der preußische Kriegsminister hält offenbar die Offiziere Der Garderegimenter für den intelligentesten Teil der Be - völkerung und glaubt sogar an die Erblichkeit ihrer Intelligenz. Lassen wir ihm dies kindliche Vergnügen. Aber kennen die Gardeoffiziere auch den mächtigen historischen Prozeß, der sich zurzeit vollzieht und den keine Macht der Erde aufzuhalten vermag? Schwerlich, denn dieser Prozeß ist kein Ding, gegen das man mit Bajonetten anrennen und das man mit Kanonen - schüssen zertrümmern kann. Die Arbeiter kennen ihn, und sie haben aus ihm auch die Bedeutung ihrer Arbeitskraft kennen gelernt. Dieser Prozeß, welche Zwischenfälle auch immer ein- treten mögen, bestimmt in letzter Linie den AuSgang einer großen politischen Krisis und nicht die ererbte Intelligenz der Gardeoffizicre. Der preußische Kultusminister kennt unser Volk noch weniger als sein Kollege, der Kriegsminister. Herr v. Trott zu Solz hat sich unlängst mit der deutschen Jugend be - schäftigt. Er meint, daß die JugenD einsehen müsse, es sei alles nur „dummes Zeug", was die bürgerlichen Radikalen und die Sozialdemokraten wollen. Er stimmte sogar „im Prinzip" einem ultramontanen Fanatiker zu, welcher die Bücher von Gottfried Keller und Konrad Ferdinand Meyer für die Jugend verboten wissen wollte. Run, es mag ja sein, daß es der bürgerlichen und feudalen Aristokratie und auch dem „höheren" Spießbürgertum in um - fassendem Maße gelingt, ihre Klassenvorurteile auf ihren Nachwuchs zu vererben. Gewissen Junkerlein und Bourgeois - söhnchen kann man allerdings auf der Straße ansehen, daß ihnen fanatischer Haß gegen die arbeitenden Klassen und speziell gegen die Sozialdemokratie anerzogen und eingetrichtert worden ist. Sie verstehen eS auch, gehässige und ver - leumderische Schlagworte in dieser Richtung abzuleiern. Aber auf dem Nachwuchs der oberen Zehntausend beruht nicht die Zukunft Deutschlands. Sie beruht vielmehr auf der Prole - tarierjugend, welche später die Arbeit leisten muß, ohne die keine Gesellschaft in irgendeiner Form bestehen kann. Diese Jugend ist nicht mehr die Jugend von ehedem, wie sie der Kultusminister sich vorstellt, und sie wird ihm nicht das Ver - gnügen bereiten, den Radikalismus und Sozialismus als „dummes Zeug" abzuweisen. Aber es kann kein System von Dauer sein, das sich nicht auf die Jugend stützen kann. Und dieser Umstand wird bei einer künftigen Krisis von großer. Bedeutung fein. Die Massen Der Proletarierjugend sind heute begeistert für den großen Klassenkampf unserer Zeit um Brot und Freiheit. Mit jedem Jahr gewinnt diese Jugend den herrschenden Klassen neues Terrain ab. Bei diesen beiden Beispielen mag es sein Bewenden haben. Die an der Spitze Der herrschenden Klassen stehenden unD mit der Regierungsgewalt betrauten Persönlichkeiten kennen, wie man sieht, die Machtfaktoren gar nicht, mit denen sie in einem künftigen Konflikt zu kämpfen haben werden und der ohnehin ganz neue Momente aufweisen wird. Mit diesen Macht - faktoren kann man nicht umspringen wie mit furchtsamen Liberalen. Der Zusammenstoß des eisernen und des irDenen Topfes kann sonach ganz ungeahnte Konsequenzen haben, wenn Der irdene Topf in Scherben liegt. Die Herren Junker scheinen sich solch einen Konflikt als eine Art romantischen Abenteuers vorzustellen. Darin könnten sie sehr enttäuscht werden. Mit dem Klassenkampf des Proletariats ist eine neue Epoche eingeleitet, in welcher die alten Rezepte der StaatS- retter keine Wirkung haben. Das mögen diejenigen sich gesagt sein lassen, die auf „ihre Stunde" lauern, welche die Krisis bringen soll. Der einiqe Reichstaq und die Regierung. Berlin, 7. Mai. Nachdem beute ein kleiner MesetzcSvorfcblag, der die Auf - wandsentschädigung für soldatenreiche Familien vor dem Zugriff von Gläubigern schützen soll, ohne Debatte in erster und zweiter Beratung erledigt war, bot di« Beratung der DesoldungS- gesetznovell« ein eigenartiges Schauspiel. Der ganze ReichSlag von der äußersten Rechten bi» zur äußersten Linken ist darin einig, daß die in der Regierungsvorlage vorgesehenen Auf - besserungen nicht ausreichend sind, daß wenigsten» für einige Be- amtengruppen noch ein Weiterer geschehen muh. Aber di« Re - gierung hat schon in der Budgetkommission erklärt und nach der einleitenden Rede bei Berichterstatters wiederholte eS heute im Plenum der Herr ReichSschaysekretär, daß die Vorlage mit den von der Kommission beschlossenen Erweiterungen für bi« Re - gierung unannehmbar sei, obwohl sie nach derselben Er - klärung prinzipielle Gründe gegen die Erweiterungen nicht hat. Auch finanziell sind diese nicht von so großer Tragweite, daß darum ein Scheitern der Vorlage gerechtfertigt erscheinen könnte. Natürlich sucht man da nach dem eigentlichen Grunde, warum die Regierung so hartnäckig auf ihrem Widerspruch besteht, obwohl, wie Genosie Ebert konstatierte, die Schuld an dem ganzen Vor - gang an der unzulänglichen Regelung im Jahre 1909 liegt und da? vom Reichstag Geforderte in der Tat das Unerläßlichste ist, was in Konsequenz bet vorjährigen Besoldung-gesetznovelle ge- schehen muh. In der Tat wären weitergehende Forderungen durchaus bered;rißt und nur schweren Herzen? hat sich unsere Fraktion auf den Boden der Kommissionkbeschlüste gestellt, um eine Verständigung möglich zu machen und der Regierung durch die völlig« Einigkeit des Reichstages zu imponieren. Wenn die Regierung sich trotzdem ablehnend verhält, so dürfte dafür die allgemeine Stellung der Bundesrats zu diesem Reichstag maß - gebend sein, der mit feiner nicht reaktionären Mehrheit der Re - gierung sehr unbequem ist und dem man daher die Zumutung stellt: Friß Vogel ober stirb! ES zeigte sich darin die Absicht, die Stellung des Reichstags zu degradieren, und mit Recht forderte unser Redner, daß dagegen entschieden Stellung genommen werden müsse, und wies auf den Gegensatz hin, daß für die militärischen Forderungen immer Geld parat sei, daß man aber, wo eS sich um soziale Zwecke handle, die Taschen zuknöpfe. Erheblich sanfter klangen di« Töne aus den bürgerlichen Parteien; aber diese empfinden das Nein der Regierung um so bitterer, als sic alle sich durch Beschränkung weitergehender Wünsche in den KommissionSbeschlüffen zusammengefunden haben. DaS ist ja in diesem Reichstag, in dem die Konservativen sonst sozusagen grundsätzlich Opposition machen, eine neue Konstellation, an die sich sowohl im nationalliberalen wie im ZentrumSlager allerlei schöne Hoffnungen knüpfen mögen. Darum stellten sowohl der ZentrumSmann Nacken, wie der nationalliberale Basser - mann wehmütige Betrachtungen darüber an, daß die Regierung so wenig Verständnis geige für diesen ersten Erfolg bürger - licher Sammlung. Bezeichnend war die geflissentliche Ignorierung der Umstandes, daß auch die Sozialdemo, k r a t i e , um den Unterbeamten die kleine Aufbesserung bald zu verschaffen, sich auf den Boden der Kommissionsbeschlüsse gestellt bat. Herr Bassermann verwies sogar auf die Kompromisse beim Spionageoesetz und bei der Konkurrenzklausel und meinte, der intransigente Standpunkt der Regierung sei nicht zu verstehen; sie solle doch bedenken, daß sie den ganzen Reichstag gegen sich habe. ES habe so viele Mühe gemacht, die Parteien unter einen Hut zu bringen, und nun gehe die Re - gierung mit kühlem Lächeln darüber hinweg. Sie solle sich auch überlegen, welche Erbitterung in Beamtenkreisen dadurch erzeugt werd«. , eogar Dr. Oertel von den Konservativen stellte sich auf den gleichen Standpunkt und verwies auf das „Maßvolle" der Forderungen, sowie auf den Umstand, daß bei der den Konser - vativen ja >o vcinvollcn Lösung bet Deckungsvorlage im vorigen Jahre die Regierung sich die völlige Ummodelung ihrer Vorlagen ruhig bade gefallen lassen. Im übrigen machte Dr. Oertel allerlei diplomatisch klingende Andeutungen, daß zwischen zweiter und dritter Lesung noch ein Kompromiß möglich fein werde. Reichsschatzsekretär Dr. Kühn wies da? auch nicht völlig von der Hand; er meinte aber, daß die Vorarbeiten längere Zeit erforderten. Hinsichtlich de? andern Vi-rbaltenS bei der Deckungs - vorlage traf der nachfolgende Redner Kopsch das Richtige, wenn er meinte, die Regierung gebe nach, wo c? sich um neue Ein - nahmen bandle; da fud'c sie nur möglichst viel zu bekommen; sie „bleibe fest", wo eS sich um Ausgaben bandle, zumal um solche, die der RciöbStag warm befürworte. Die wenig eS der Regierung um ein ernste? Zusammenarbeiten mit diesem Reichstag zu tun ist, zeigt ja der Umstand, daß sie von vornherein erklärt bat, an ihrer Vorlage nicht rütteln lassen zu wollen. Während unser Genosse Dr. Weill und der Elfässer H ae g h besonder? die Bedeutung der Vorlage für die ReichSeifenbabner in Elsaß»Lothringen hervorboben, versuchte der ReichSvarteiler S ch u l z - Bromberg darzutun, daß die Mißstimmung der ent - täuschten Beamten sich in e’-fter Linie gegen den Reichstag richten werde, wenn er nicht annebme, war zu haben fei. Nach den in der Debatte gemachten Andeutungen wird bis zur dritten Lesiing vermutlich ein neuer fiubbarbel loSgeben, ob und mit welchem „Erfolg", wird sich noch erst zeigen müssen. Der Reichstag fetzte dann die weitere Beratung de? Mili - täretats fort. Dabei ist von einer Einigkeit natürlich keine Rede. Die nochmal? weit au?bolende Rede de? Genossen S t Ü ck l e n und feine Kritik an den gestrigen Ausführungen des Kriegsminister? waren diesem ebenso wenig angenehm als den bürgerlichen Parteien. Da? aber der Kriegsminister dagegen zu sagen batte, wird deren Eindruck nicht entkräften können. Die gegenteilige Versicherung der beiden nachfolgenden Redner, Astor vom Zentrum und Götting von den Nationalliberalen, womit sie ihre im KriegervereinSton gehaltenen Ausführungen begannen, elends und des Weberaufstandes in Schlesien angefügt. *) Dort mögen unsere jüngeren Freunde sie nachlesen und dabei zugleich lernen, wie man durch Ueberzeugung begeistert werden kann. Dabei werden sie bann noch mehr lernen: Sind doch WolsfS Kasemattenartikel sogar von bürgerlichen Geschichtsschreibern an- erkannt als ein erster Versuch, das Massenelend zu schildern, als eine Darstellung, aus der man mit Schrecken erkannte, daß auch Deutschland schon Höhlen des Jammers besaß, die sich mit denen von Paris vergleichen konnten. Und man wird ferner in diesem Büchlein die historisch bedeutsame Schilderung des blutigen Ver - zweiflungskampfes der hungernden Weber von PeterSwaldau und Sangenbielau finden, eine quellenmäßige Darstellung der allerersten deutschen Arbeiteraufstandes, die allen feinen späteren Schilderungen und so auch, wie Mehring 1893 nachgewiesen hat („Neue Zeit", XI. Jabra.j dem berühmten Weberdrama Gerhart Hauptmanns die tatsächlichen Grundzüge geliefert hat. Trotz Zensur und Polizeiniedertracht lieh sich Wolff, damals Privat- lehrcr in Breslau, nicht abhalten, in schlichter Wahrhaftigkeit den tatsächlichen Verlauf des Weberaufruhrs zu schildern und ihm gerade dadurch eine dauernde Stätte der Ehre in der Ge - schichte der deutschen Arbeiterbewegung zu sichern. Daß er später wegen seines Eintretens für die Armen und für die Wahr - heit von den Schergen verfolgt wurde, läßt ihn uns um so höher schätzen. Neben seiner schriftlichen hat Wolff auch durch mündliche Agitation der aufblühenden Arbeiterbewegung große Dienste ge - leistet. In Breslau wurde er, nachdem die Märzrevolution sein Exil beendete, bald der Kopf der revolutionären Bewegung, ebenso wurde er alsbald neben Marx Redakteur der „Neuen Rheinischen Zeitung in Köln, als welcher er dem Feudalismus wie überhaupt ber^ muffigen Reaktion höchst unbequem würbe. AIS Mitglied des Frankfurter Parlaments hatte er gar al- einziger den Mui, den „ersten Volksverrüter, den Reichsvcrweser, für vogelfrei" zu erklären und auch die Minister als Verräter zu brandmarken. Als die Nationalversammlung gesprengt wurde, würde Wolff Privatlehrer in Zürich, ging aber, als ber schweizerische Bundesrat die politischen Flüchtlinge, getreu dem Befehl ber europäischen Reaktion, zum Lande hinaus zu jagen begann, nach London und Manchester, wo er arm, aber treu ber Arbeitersache ergeben, am 9. Mai 1864 starb. Immer bann, wenn wir berer gedenken, die ganz in der großen Sache aufgingen, der ihr Leben geweiht war, werden wir stets auch Wilhelm Wolffs, des aufrechten Schlesiers, als tapferen Vorkämpfer gedenken. Mögen alle, die noch feine Schriften *) „Gesammelte Schriften von Wilhelm Wolff", Verlag Vorwärt», Berlin. lesen, fidi ganz von Saß erfüllen lassen gegen die Junker und Bureaukraten, die er vor 60 Jahren züchtigte und di« leider heute noch ihr volksfeindliches Unwesen in deutschen Landen treiben. Theater und Musik. Thalia Theater. Mit gellendem Rcklamegeschrei ist „Mr. W u" angekündigt, ein breiaftigeS — angeblich chinesisches — Spiel in drei Auf - zügen von H. M. Vernon und Harold Oven. Zu dieser Reklame paßt das Stück. ES ist ein Sensationsschmarren schlimmster Art, ohne echte Gefühle, ohne ecb ■ Menschen, mit gänzlich un - motivierten Geschehnissen. Aller Kunst bar. Mr. Wu, ein chine - sischer Mandarin, hat guten Grund, auf die Familie des englischen Reeders Gregory zornig zu sein. Der Sohn des Reeder- hat ihm die einzige Tochter versuhrt. Dafür rächt sich Mr. Wu, wie an - geblich nur ein Chinese sich rächen kann. Er schädigt den Reeder materiell schwer, läßt den Sohn heimlich überfallen und in einem Verließ seines Hauses einsperren und lockt die Mutter der Ein - gesperrten, die um ihren Sohn bangt, in sein Hau-, um sie zu vergewaltigen. So etwa? mag möglich sein. Aber man schaue die nun kommenden Unmöglichkeiten: MrS. Gregory will sich, um dem schlitzäugigen Feind nicht erliegen zu müssen, töten. Zu dem Zweck wirft ihr eine treue Dienerin ein Fläschchen Gift durchs Fenster, ohne daß der Chinese e8 merkt. Sie gießt da» Gist in ihre Teetasse. Aber sie kann es nicht trinfen, denn just jetzt be - kommt der gelbe Rächer seiner Ehre Durst und trinkt den ver - gifteten Tec. Natürlich merkt er c8 und will nun mit dem Schwert der Dame den GarauS machen. Aber er trifft nicht sie, sondern einen Gong und gibt sterbend damit wider Willen daS Zeichen zur Entlassung von MrS. und Mr. Gregory. Stoff für einen Film, nichts weiter. Und trotzdem Kräfte wie Bozenhard, die 2? re, die Franck-Witt und Robert- für die Sache eintraten, erhob sich auch die Darstellung nicht viel über Kino. Aller Liebe Mühe ist verloren. Kunst, Wissenschaft und Leben. Tie Neutralität des Uutcrrichts als eine unerläßliche Voraussetzung des modernen öffentltchen Schulwesens forderte und begründete Herm. L. Kötter in einem schwungvollen Vorträge von program man scher Dedeuntng zeigen vielmehr, daß man den Eindruck der sozialdemokratischen Kritik auf die Oeffentlichkeit fürchtet und daß man ihn gern verwischen möchte. Dazu sind aber solche Kriegervereiniphrasen natürlich am allerwenigsten geeignet. Von den stilisierten Tat- suchen läßt sich eben nichts hinwegstreiten und diese Tatsachen sind el in Wirklichkeit, die den Eindruck in der Oeffentlichkeit er- zielen und die so arg gefürchtete „verhetzende" Wirkung üben. politische Uebersicht. Hamburg. 8. Mai. „Krriheit der Wiffenschaft." In Berlin „tobt" gegenwärtig ein heftiger Kampf um die „Freiheit der Wissenschaft", und die in Deutschland etwa- un - gewöhnliche Erscheinung einet Studenten streik! ist zu ver - zeichnen. In neuerer Zeit haben wir diese Art Kampf der „gebildeten Jugend" nur gesehen, als e- ihr in den Sinn kam, ausländische Jünglinge von den Krippen deutscher Wisseiischaft zu verdrängen. Aber an der Berliner Handelshochschule gilt c», wenn man den verschiedenen Nachrichten trauen bars, tatsäch- lich ber Freiheit der Wissenschaft. El wäre nun sehr erfreulich, wenn man konstatieren könnte, daß die studierende Jugend sich wirklich bemühe, diese von ber Verfassung gewährleistete Freiheit zur Wirklichkeit zu machen. Unb man könnte sich weiter freuen darüber, baß nicht nur bi« Stuben len, fonbern auch bre Dozenten, bie akademischen Lehrer, sich an diesem Kampf beteiligen. Leider aber liegen die Dinge etwa! ander!. Im Grunde genommen ist die Sache nämlich die, daß die private Handelshochschule in Berlin weniger deswegen in Aufruhr gerät, weil einem der Lehrer Gesinnungszwang auferlegt werden sollte, sondern deswegen, weil diesem Lehrer einfach von dem privaten Vorstand der Handelshochschule gekündigt worden ist zu dem Zweck, ihn nachher wieder mit einem niedrigeren Gehalt einzustellen, jedenfalls aber auch bei anderer Besetzung der Stelle Geld zu sparen. Gewiß ist nicht ausgeschlossen, sondern sogar wahrscheinlich, daß die Tendenz bei Herrn Professor I a st r o w den leitenden Herren, unter denen der Reicystaglpräsident Kämpf ist, zu weit nach link! gerichtet erschien; jedoch ist wohl zu glauben, daß ihnen bie pekuniäre Seite ber Sache bie wich - tigere war. Daß nun bie Lehrer an ber HanbclShochschule sich mit Herrn Professor Jastrow solidarisch erklärten und daß auch bie Studenten durch den Ausstand ihre Sympathie bekundeten, ist sehr nett und sehr löblich. Nur müssen wir uni fragen, ob das wohl auch geschehen wäre, wenn Herr Professor Jasttow ober ein aoberer Lehrer gemaßregelt worden wäre wegen sozialdemo - kratischer Lehren ober wegen seiner Zugehörigkeit zur sozias- bemokratischen Partei. Wenn jetzt so viel geredet unb geschrieben wird über die „Freiheit ber Wissenschaft", unb wenn manche guten Leute unb schlechten Musikanten au? ben Vorgängen in ber Berliner HanbelShochschuIe schließen, daß es besser geworden sei mit der bürgerlichen Jugend, und daß diese die akademische Freiheit mit Klauen und Zähnen verteidigt, so können wir leider nicht ein- stimmen. Wir erinnern unS nämlich daran, daß vor einer nicht gar langen Reihe von Jahren ein Sozialdemokrat an der Ber - liner Universität einfach an die Luft gesetzt wurde, also gemaß - regelt wurde im eigentlichen Sinne bei Wortes, nicht einmal weil er etwa in seiner Lehre von ben üblichen staatSerhaltenbcn An - schauungen abgewichen wäre — er trug nämlich über Physik vor — fonbern auS bem einfachen Grunde, weil er Mitglied der sozialdemokratischen Parten war. Wir meinen den bekannten Fall Dr. AronS. Damals wäre wirklich eine Gelegenheit gewesen, zu beweisen, daß die Hochschulen die Freiheit hochhalten. Aber damals hörten wir weder etwas von einem Studenten - streik, noch gar von einem Dozenten- ober Professorenstreik. Alle? ging glatt unb ruhig ab, unb ber Sozialbemokrat war au»- geschieben. Im Licht biefer Erinnerung erscheint ber Berliner Hoch - schulstreit allerdings weniger als ein Kamps um die Lehrfreiheit, sondern mehr als ein Ringen wegen der Lohnfrage. Die Person des in jeder Beziehung hochachtbaren Professor? Jastrow sei dabei aulgeschloflen; für i h n handelt e» sich gewiß um andere? als die Entlohnung. Doch für die „Kämpfenden" spielen Gründe mit, die mit bet Freiheit ber Wissenschaft nicht! zu tun haben. Unb beSwegen können wir unsere Meinung über bie bourgeoise Jugenb nicht revidieren. in der Gesellschaft ber greunbe bei vaterländi - schen Schul- unb ErziehungSwesenl s Hamburger Lehrerverein). Er führte au?: Da» Einkapseln in gewohnt gewordene Auffassungen, das Konservativwerden in politischen, künstlerischen unb wissenschaftlichen Anschauungsweisen ist ein allgemeine? Schicksal de! alternden Durchschnittsmenschen. Der Gedankenablauf wird mechanisch nach demselben psychophysischen Gesetz ber Uebung, ba! für die Nervenbahnen unb für bie Reagier - weise der Nerven schon lange erkannt unb anerkannt ist. Diese Tatsache tritt am deutlichsten im Wechsel der Generationen hervor: Neu auflommenbe Ideen werden von den alten Hirnen gemeinig - lich zurückgewiesen, ine Jugend dagegen erfaßt sie und trägt sie empor. Es sind immer nur wenige weitherzige, dal Leben über- schauende alte Menschen, die einen neuen Gedanken nach zu würdigen unb ibm praktisch den Weg zu bahnen vermögen. Mitten inne aber zwischen je zwe, Generationen, auf der Grenz, scheide zweier Leben!- unb Zeitepochen, steht nun eigentlich bauernb bie Schule, unb darin liegt die stärkste Schwierigkeit ihrer Stellung. Die Schule soll dal ungeheure Kulturerbe der Vergangenheit der neu Heranwachsenden Menschheit übermitteln, unb bie in diesem überkommenen Gut reif gewordenen Erzieher wollen da! naturgemäß in den Formen tun, in denen sie sellyt sicher unb groß geworden finb — ober doch zu fein glauben. * ie junge Generation bemächtigt sich aber der vorhandenen Cultur in ihrer Weise, trägt ebenso natürlich in sie ihre frischen Strebungen und Auffassungen hinein. Die moderne Lehrerschaft ist geneigt, der Jugend in ihrem Drange nachzugeben, wr ine Mittel darzureichen und die ForschungSmethoben zu zeigen, mit denen sie die Kenntnisse unb bie seelischen Werte, bte unsere Cultur auimacben, selbst trtotrbtii und, rnbrni fte ne erwirbt, ihrem eigenen Wesen entsprechend gestalten kann. Der moderne Erzieher gibt el immer mehr auf, fertiges Wissen fertige Denk- refultate, abgeschlossene autorative Systeme in Wissenschaft unb Moral übermitteln zu wollen Jed« Generation muß für sich eigentlich von vorn anfangen, wenn auch in abkürzendem Ent- wicklungSprozessc. Das Lehren gebt auf in Anleitung zum Selbst finden und Selbstforschen. Die Erziehung wird immer bewußter zu. einet Befreiung und Stärkung der selbsterzieherischen Kräfte im jugendlichen Menschen. Ein« so abgeklärte unb hochsinnige Erziehung?- und Unter- richtSweise erfordert vom Lehrer ein ungewöhnliche? Maß von Selbstverleugnung unb Zurückhaltung. Will er bem Kinde bie Wege zur selbständigen Entwicklung frei- halten, so muß er sich grundsätzlich im Unterricht der Neu - tralität befleißigen Jeder Mensch, ber burch das Leben zu bestimmten Ansichten gekommen ist, hat da» natürliche Bedürfnis, feine Meinung in einem weiteren Kreise jur Anerkennung zu